Kitabı oku: «Die neue Engelreligion»

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Thomas Ruster

Die neue Engelreligion

Thomas Ruster

Die neue Engelreligion

Lichtgestalten – dunkle Mächte

Butzon & Bercker


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


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ISBN 978-3-7666-1356-1

E-BOOK ISBN 978-3-7666-4127-4

EPUB ISBN 978-3-7666-4128-1

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Umschlagfoto: © Adam Radosavljevic – fotolia.com

Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern

Satz: Schröder Media GbR, Dernbach

Druck: Bercker Graphischer Betrieb, Kevelaer

Inhalt

Vorwort

I. Die neue Engelreligion

1. Eine Religion für unsere Zeit

2. Hilfreiche Helfer allüberall

3. Dunkle Kräfte

4. Satanische Mächte

5. Die beiden Seiten der Engelreligion

6. Der Himmel ist wieder offen!

II. Etwas über den Himmel

1. Der Himmel, die Erde und Gott

2. Religion als Himmelsfrömmigkeit. Zum Verhältnis von Christentum und Religionen

3. Jesus ist „durch die Himmel gegangen“ (Hebr 4,14)

4. Wohin kommen wir, wenn wir „in den Himmel kommen“?

III. Der verschlossene Himmel

1. Kant und Swedenborg

2. Das Zeitalter ohne Himmelskenntnis

3. Zum Stand der theologischen Angelologie

IV. Engelwelten

1. Himmlische und kirchliche Hierarchie

2. Heilige Herrschaft?

3. Zwischen Engeln und Menschen: the missing link

4. Die Schutzengel und ihre Systeme

V. Die Engel im göttlichen Rechtswesen

1. Das Tora-System

2. Die guten Engel und das Gesetz des Lebens

3. Der Teufel, die Tora und die Theodizee

VI. Engel im Kampf unserer Zeit

1. Keine Engel nach Jesus?

2. Gottesdienst und Gottesreich

3. Christentum und Engelreligion

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Qui conta come i savi astrologi dispuavano del cielo impireo

Grandissimi savi stavano in una scuola a Parigi e disputavano del cielo impireo, e molto ne parlavano disiderosamente, e come stava di sopra li altri cieli. Contavano il cielo dov’è Giupiter, Saturno e Mars, e quel del sole, e di Mercurio e della luna; e come sopra tutti stava lo ’mpireo cielo, e sopra quello sta Dio padre in maiestade sua. Così parlando, venne un matto, e disse loro: „Signori, e sopra il capo di quel Signore che ha?“ E l’uno rispuose a gabbo: „Havi un capello.“ Il matto se n’andò, e’ savi rimasero. Disse l’uno: „Tu credi al matto aver dato un capello, ma elli è rimaso a noi. Or diciamo: sopra capo che ha?“ Assai cercaro loro scienzie; non trovaro neente. Allora dissero: „Matto è colui ch’è sì ardito che la mente metta di fuori dal tondo; e via più matto e forsenato colui che pene e pensa di sapere il suo Principio; e sanza veruno senno chi vuol sapere li Suo’ profondissimi pensieri.“

Il Novellino (12. Jh.), Nr. XXIX

Wie die gelehrten Astrologen über das Empyreum disputierten

Berühmte Gelehrte aus einer Hohen Schule in Paris disputierten über das Empyreum; mit großer Begeisterung erklärten sie, wie dieses über den andern Himmelskreisen stand, und sie sprachen auch von den andern Himmeln, dem des Jupiter, Saturn, Mars, der Sonne, Merkurs und der Luna; aber über allen war das Empyreum, und über diesem nur noch Gottvater in seiner Herrlichkeit. Als sie sich so unterhielten, kam ein Narr hinzu und fragte sie: „Ihr Herren, und über dem Haupt jenes Herrn, was ist da?“ Im Scherz antwortete einer: „Sein Hut.“ Der Narr ging seines Weges, und die Gelehrten waren wieder unter sich. Da sprach einer von ihnen zu dem, der dem Narren geantwortet hatte: „Ihr glaubtet, Ihr hättet dem Narren eine Lektion erteilt, aber die Frage ist ohne Antwort geblieben: Was ist über dem Haupte Gottes?“ Aber so lange sie auch in ihrer Wissenschaft suchten, so fanden sie doch nichts. Da erkannten sie: „Ein Narr ist derjenige, der in seiner Verwegenheit über den Kreis dessen, was wir kennen, hinausgeht; und ein noch größerer Narr und ganz von Verstand derjenige, der sich abmüht, den Anfang der Dinge erkennen zu wollen; und ganz und gar von Sinnen, wer Gottes geheime Gedanken ergründen will.“

(Übersetzung von János Riesz)

Vorwort

Seit geraumer Zeit fasziniert mich die neue Engelreligion. Hinter dem schon oft besprochenen Engel-„Boom“ steckt mehr als eine Mode. Aber was? Ein Gespür für überirdische Mächte? Eine neue Wahrnehmung des Himmlischen? Eine Absage an die reduzierte Weltsicht unserer rationalistischen Kultur? Oder nur eine Art von Gläubigkeit, die sich dem Markt angepasst hat und den Konsumismus ins Religiöse verlängert?

Die Engelreligion schickt sich an, die Religion der Zukunft zu werden. Ihre weltweite und wachsende Verbreitung, ihre undogmatische, den Bedürfnissen der Menschen von heute entgegenkommende Art prädestiniert sie dazu. Sie vermag sich mit allen früheren Religionen zu verbinden, sie schöpft aus ihnen, auch aus dem Christentum. Wie steht sie zum christlichen Glauben? Wie können Christen zu ihr stehen? Die Engelreligion trifft das Christentum an einer empfindlichen Stelle. Gerade hat die Theologie mit Mühe den Glauben entmythologisiert, da kommt ihr das ganze mythologische Material wieder entgegen, in einem sehr zeitgemäßen Gewand: alte Bekannte in neuen Kleidern, die doch in den Kirchen kein Heimatrecht mehr haben. Haben die christlichen Kirchen den religiösen Zug der Zeit verpasst?

Das sind die Fragen, die mich in diesem Buch bewegen. Ich versuche, dem Phänomen der Engelreligion gerecht zu werden, es so genau wie möglich zu untersuchen. Davon habe ich sehr profitiert. Von Seiten des christlichen Glaubens gibt es natürlich Einwände. Die Engel der Bibel sind nicht so wie die Engel der neuen Engelreligion. Sie folgen einem anderen Gesetz. Und Gott ist der Schöpfer des Himmels, mithin auch der Engel in ihrer Macht; davon ist in der Engelreligion nicht die Rede. So gibt es allen Anlass, die Engellehren der Theologie noch einmal durchzumustern. Im Lichte der neuen Engelverehrung zeigen sie eine überraschende Aktualität, aber sie müssen sich auch korrigieren lassen. Am Ende wird die Einsicht stehen, dass das Christentum gut daran tun wird, der Engelreligion mit offenen Armen zu begegnen. Und die Einladung an die Gläubigen der Engelreligion, sich dem christlichen Glauben zu öffnen.

Danken möchte ich allen, die die Entstehung dieses Buches unterstützt haben, vor allem Frau Gudula Frieling für ihren theologischen Rat und Herrn Sebastian Peters für seine wertvollen Hinweise zur Heavy-Metal-Szene, der dunklen Seite der Engelreligion.

Gewidmet sei dieses Buch meinem Vater, der den Doctor angelicus des Mittelalters, Thomas von Aquin, immer sehr verehrt hat. Wenn ihn dereinst die Engel in das Himmelreich geleiten, wird er die Wahrheit über sie erfahren.

Dortmund, im Februar 2010

Thomas Ruster

I. Die neue Engelreligion
1. Eine Religion für unsere Zeit

Die alten Religionen, das Christentum voran, ringen um ihren Fortbestand. Ihre Zeit scheint abgelaufen zu sein. Mit ihrer schwierigen Dogmatik, ihrer aus den Jahrhunderten belasteten Geschichte und ihren aus früheren Gesellschaftsphasen stammenden Formen sind sie das Erbe einer Vergangenheit, das es schwer hat, sich in unserer Zeit zu behaupten. Aber keine Zeit kann ohne Religion sein. Und schon hat sich eine neue Religion herausgebildet, weltweit und in den Herzen unzähliger Menschen fest verankert: die Religion der Engel. Die schier unglaubliche Konjunktur der Engelliteratur ist ein Index für ihre Verbreitung.1 Was ist das für eine Religion? Was sind ihre Überzeugungen, in welcher Weise nimmt sie Transzendenz wahr, welche Heilsversprechen und Verheißungen macht sie? Wie stellt sie Erlösung von der Macht des Bösen und des Todes in Aussicht? Ein Durchblick durch einige Veröffentlichungen der Engelliteratur, wie man sie heute in allen Buchläden überreich findet, soll helfen, diese Fragen zu beantworten.2 Es wird sich zeigen: Die Engelreligion entspricht in idealer Weise den Anforderungen an eine moderne, zeitgemäße Religion. Sie gibt den Menschen schlicht und einfach das, was sie als Religion brauchen. Sie ist den Bedingungen angepasst, unter denen Menschen heute religiös sein können und wollen. Doch schauen wir genauer hin.

Das erste Merkmal der Engelreligion ist: Sie braucht keinen Glauben an Gott, sie kann sich allein auf Erfahrung und Wahrnehmung verlassen. „Ich glaube nicht an Gott, nicht an Adam und Eva, nicht an das, was in der Bibel geschrieben steht. Ich glaube an höhere Mächte“, erklärt Giulia Siegel, die grünäugig-blonde Tochter des Schlagerproduzenten Ralph Siegel, die selbst ein wenig wie ein Engel aussieht. „Für mich waren die Engel schlicht immer schon etwas ganz Normales.“ Ihre Ansichten will sie niemandem aufdrängen, will niemanden „vergewaltigen“. Sie weiß: Engel kann man nicht beweisen, man braucht es auch nicht. Es genügt ihr, „einfach zu versuchen, meine Begegnungen mit den Engeln mit meinen Augen zu beschreiben“. Und an die Leser ihres Buches ergeht die Aufforderung: „Frag also nicht, sondern bitte – und du wirst sehen, dass du gehört wirst.“3

Solche Bekundungen finden sich in vielen Engelbüchern. Die Autorinnen und Autoren – ganz überwiegend sind es Autorinnen – berufen sich einfach auf ihre Erfahrung und bieten an, dass andere daran Anteil haben können. Kein Verweis auf ein schwieriges altes Buch wie die Bibel, auf Offenbarung, Glaubenslehre und Dogmen, dafür ausführliche Schilderungen des eigenen Lebens, der eigenen Begegnungen mit den höheren Mächten. Wie erfrischend ist es, das zu lesen, wenn man etwa einen Katechismus zum Vergleich heranzieht. Und es wird deutlich, dass Giulia Siegels Aussage, sie glaube an höhere Mächte, nicht ganz ernst gemeint ist, jedenfalls nicht im dem Sinne, wie in der Kirche bisher vom Glauben gesprochen wurde. Nicht auf den persönlichen Glauben an einen unsichtbaren, der Erfahrung entzogenen Gott kommt es an, sondern auf die Wahrnehmung. Und es wären ja keine höheren Mächte, wenn sie nicht erfahrbar wären. So weiß Giulia eben, dass Engel da sind.4 Und diese Wahrnehmung ist für alle möglich.

Damit kommen wir zu einem zweiten Merkmal der Engelreligion. Sowenig wie sie Schrift und Dogmen braucht, sowenig braucht sie Priester, amtliche Hierarchie oder sonst eine Vermittlung zu höheren Mächten. Jana Haas, das aus Kasachstan stammende „neue Engel-Medium“, hat in ihren Kursen erfahren, „dass es jedem Menschen möglich ist, sich spirituell zu öffnen, dass jeder Mensch geistige Ebenen und höhere Betrachtungsweisen erlangen und verwirklichen kann“.5 Doreen Virtue, neben Diana Cooper eine führende Gestalt der Engelreligion in den USA, berichtet, wie sie nach einem ihrer Vorträge von einem blonden jungen Mann gefragt wird: „,Was Sie heute gesagt haben – dass jeder mit Gott und den Engeln6 reden kann –, meinen Sie das wirklich? Jeder?‘ Und in seinem Gesicht stand die unterschwellige Frage: ,Meinen Sie, das auch ich mit Gott sprechen kann?‘“ Doreens Antwort ist eindeutig: „,Ich konnte feststellen, dass jeder, unabhängig von seiner spirituellen oder religiösen Sozialisierung oder seinem Bildungshintergrund, klare Mitteilungen des Göttlichen, Mitteilungen aus spirituellen Sphären empfängt, […] direkt, ohne dass ein Priester, ein Hellseher oder [sonst] jemand für mich übersetzt‘“.7 Der junge Mann ist begeistert. Direkte Kommunikation mit dem Göttlichen, für jeden möglich! – es braucht nur ein wenig Übung bzw. die Bereitschaft, den Körper „durchlässiger, transparenter für das Licht zu machen“.8 Der größte Teil der Engelliteratur besteht demgemäß auch in Anleitungen und praktischen Übungen zum Erwerb der Fähigkeiten zur Engelskommunikation. Es können Visionen, Bilder, mentale Vorstellungen sein oder auch Geräusche, Stimmen, Worte oder Ahnungen, Gefühle oder Gedanken, Ideen, plötzliche innere Gewissheiten, in denen sich die Engel anmelden.9 Kontakt mit den Engeln ist auf vielen Kanälen möglich. Um den Kontakt herzustellen, braucht es Entspannung, Achtsamkeit, Sensibilität, wie sie uns im hektischen Alltag normalerweise nicht gegeben sind. Eben deshalb braucht es noch die Übungen in den Engelbüchern, verfasst von denen, die zu einer höheren geistigen Ebene bereits durchgedrungen sind. Die Grundregel lautet: „Öffne einfach dein Herz!“10 Es handelt sich also nicht um geheime esoterische Wissenschaft, nicht darum, den Weg einer Meisterin, eines Meisters zu erlernen und nachzugehen. Vielmehr, und auch das ist ein wichtiges Merkmal dieser Religion, ist der Weg zu den höheren Mächten immer ein ganz individueller. Es ist wesentlich, sagt Jana Haas, „dass jeder Mensch auf seine ganz individuelle Art und Weise so genannte unsichtbare Wesen, Engel und Lichthelfer wahrnimmt.“11 Die Engelreligion ist allgemein und für alle offen, zugleich auch individuell und zutiefst persönlich; sie ist undogmatisch und demokratisch; sie ist wirklich eine Religion für unsere Zeit.

In der Engelreligion kommt es nicht auf Bekenntnis und Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft an, „da Gott Botschaften und Engel überallhin schickt“.12 In Doreen Virtues Workshops finden sich denn auch Teilnehmer aus dem „Protestantismus, Katholizismus, sind vom New-Age-Denken geprägt, Mormonen, Juden, Buddhisten, Muslime, Agnostiker und was es nicht noch an Möglichkeiten gibt“.13 Viele Workshop-Besucher haben eine problematische religiöse Sozialisation hinter sich. Sie haben oft einen Widerwillen gegenüber allem, was an Religion erinnert, wollen nicht einmal, dass die Bibel, Gott, der Heilige Geist oder Jesus erwähnt werden. Sie sind bei Doreen Virtue willkommen, und ihnen zuliebe spricht sie dann statt von Gott lieber vom „Universum“, vom „Spirit“ oder einfach von der „Liebe“, nicht ohne zuvor dafür von der göttlichen Führung „grünes Licht“ erhalten zu haben.14 Die Engelreligion ist bereits die universale Religion. Sie hat alle konfessionellen Grenzen und religiösen Abgrenzungen überwunden, für die die Menschen heute ohnehin kaum mehr Verständnis haben, ja unter denen sie leiden. Die Beziehung zum Göttlichen kann nicht mit religiöser Rechthaberei einhergehen. Gerade die Menschen, die unter religiöser Einengung und unter einem drückenden, kleinmachenden Glauben gelitten haben, sind die ersten Anhänger dieser neuen Religion.

Statt konfessioneller Enge gibt es das Gefühl der Verbundenheit von allem und mit allem. Kurt Tepperwein, ehemaliger Unternehmer, dann zur Engelreligion bekehrt und nunmehr als „Lebenslehrer“ tätig, erklärt es ein wenig akademisch: „Ich erfahre die Ebene der Engelwesen in der Einheit des allumfassenden einen Seins als einen mehrdimensionalen Aspekt des schöpferischen Ausdrucks des Universums.“15 Die Engel sind es, die die Botschaft des Universums von außen in den Menschen eintreten lassen, dort auf Bekanntes treffen und Verwandtes berühren, so dass der Mensch sich in Einheit mit dem Ganzen fühlen kann: „Aus dem Ursprung der allumfassenden Quelle sind wir ein Teil des Ganzen und die Energie eines Engels ist ein Wesensanteil deines großartigen Seins.“16 Hinter allen Zerteilungen und Ausgrenzungen, die so sehr das moderne Leben prägen, gibt es also eine große, unzerstörbare Einheit, jeder Mensch ist in dieser Einheit geborgen, und Engel weisen den Weg zu ihr. Das ist eine große Verheißung der Engelreligion. In gründlicher, vorbildlicher Weise hat Jana Haas diese mehrdimensionale Einheit des Seins auseinandergelegt. Angelehnt an die frühere christliche Rede von den Engelordnungen und -hierarchien zeigt sie auf, welche angelischen Kräfte auf den Menschen einwirken und wie sie zu seinem Heilwerden beitragen.17 Der Schutzengel verschafft „Klarheit über dich und deinen Weg“, er hilft auch, sich von „Täuschungen, Selbsttäuschungen und Verhaftungen“ zu lösen. Daneben existiert eine besondere Dimension der Heilkraft, die aus dem „Himmel der Heilung“ kommt. Der Engel der Heilkraft wirkt aber nicht wie ein Medikament, er arbeitet vielmehr mit dem, „was wirklich in dir lebendig ist“, durchaus auch entgegen dem, was der Kopf gerade denkt. Ferner kennt Jana Haas sieben Erzengel, die jeweils für einen Wochentag, ein bestimmtes Organ und einen bestimmten Chakraraum (= Medium für den Kontakt mit der geistigen Welt) zuständig sind. So ist der Erzengel Michael für den Sonntag und damit für die Ruhe und Muße zuständig, die nötig sind, um die Vergangenheit zur Ruhe kommen zu lassen und Furchtlosigkeit zu gewinnen. Er wirkt zugleich auf das Wurzelchakra (eines der sieben Energiezentren im Körper) ein, von wo aus der Lebensmut gestärkt wird. Michael frischt das Blut, sein bevorzugtes Organ, mit himmlischen, höheren Energien auf. Jana hat beobachtet, dass der Erzengel Michael, der früher mit der Symbolik des Kampfes verbunden war, heute eine veränderte himmlische Rolle angenommen hat, in Reaktion auf die inzwischen erfolgte Entwicklung der Menschheit, die nicht mehr so stark vom kriegerischen Kampf bestimmt ist. Michael steht heute für „die Inspiration zur Tatkraft und zum Lebensmut durch die Verbindung zu einer himmlischen Kraftquelle“. So geht es weiter durch die Woche mit den übrigen Erzengeln, und immer erscheint die Einheit von Zeit, Energie und Körperorgan. Weiterhin gibt es „Familienengel“, die sich um das soziale System der Familie kümmern, und „Kristallengel“, die für übergreifende Institutionen, ja für die ganze Menschheit zuständig sind. Wer sich in diese Ausführungen vertieft, dem kann deutlich werden, wie das ganze Leben in einer Ordnung steht und in den geistigen Kräften mit dem Universum verbunden ist. Die Heilkraft der Engel, so versichert Jana, ist deshalb auch nichts Wunderbares oder Magisches, sondern viel eher die Einweisung in eine kosmische Ordnung, die vom Menschen erlebt werden kann. „Die Heilkräfte der Engel sind Schwingungen von größter Klarheit und Ordnung, von Harmonie und Durchlichtung.“ Wer ihrer teilhaftig werden will, muss in sich Ordnung schaffen und sich bewusst werden über die bereits vorhandenen Kräfte von Körper, Seele und Geist. Leben mit den Engeln, das ist das Leben in der wahren und heilvollen Ordnung des Seins.

Die Engel und Gott sind ganz dasselbe, so erklärt Doreen Virtue. Die Aussage ist überraschend und erklärungsbedürftig, das empfindet auch Doreen. Da sie aber einen guten Draht zur „himmlischen Führung“ hat, kann sie diese selbst fragen, wie es sich damit verhält. Die Antwort des Himmels lautet: „Es gibt keinen Unterschied zwischen uns. Wir sind alle eine geeinte Stimme, die aus dem Geist und dem Herzen entspringt.“ Frage Doreens: „Da du ,wir‘ sagst, nehme ich einmal an, dass hier der Engel spricht?“ Antwort: „Das stimmt.“ – „Und gleichzeitig spreche ich mit Gott?“ – „Aber ja. Wie gesagt, wir unterscheiden uns nicht voneinander.“18 Damit ist die Sache klar, aber es ist auch von der Sache her klar. Denn das Himmlische, das Göttliche, Gott oder die Engel sind ja nur verschiedene Namen für ein- und dasselbe: die liebedurchwirkte Einheit des Universums, den Geist des Ganzen, der alles trägt und erhält. Darum kann Doreen Virtue Gott auch Universum, Spirit oder Liebe nennen. Sie weiß: „Wo ist Gott? Überall, unter anderem in Ihnen selbst.“ Er ist „Liebe, reine Liebe“, und so ist er auch „in den Zellen in unserem Körper, unserem Kopf und unserem Herzen.“19 Angelika Arnolds bringt es auf die Formel: „Lebe wieder ein menschliches Leben“, und das heißt: „Lebe wieder ein Leben in Verbundenheit mit dem Urgrund.“20 Das ist die große Botschaft der Engelreligion.

Nicht verwunderlich ist es daher, dass diese Religion auch die spirituelle Dimension der Natur wiederentdeckt. Naturwesen, Wesen der Erde also, die nicht mit den Engeln identisch sind, spielen in der Engelliteratur eine große Rolle. Man erfährt von Waldwächtern, Steinwesen, Wurzelwesen, Baumgeistern, Elfen, Feen, Zwergen, Devas (im Buddhismus Himmelswesen und Götter) usw.21

Jana Haas beschreibt ihre Begegnung mit einem solchen Wesen: „Auf der Rigi sah ich, wie aus dem Wald ein lichtvolles Geistwesen in weiblicher Gestalt herauskam, durchsichtig weiß, vielleicht einen und einen halben Meter groß, das sehr achtsam und konzentriert war. Diese Gestalt hielt behutsam eine Laterne in der Hand, in der ein Licht leuchtete. […] Sie sagte mir, dass sie eine ,Waldwächterin‘ ist und dass ihre Aufgabe darin besteht, das ewige Wissen des Waldes in ihrer Laterne zu hüten.“ Die Waldwächterin, der bald auch noch ein Wurzelwesen zur Seite tritt, führt Jana an einen „Ort der Kraft“. Sie zeigt ihr am Himmel die „Lichtbücher“ und erklärt: „Du kannst alles Wissen in dieser Bibliothek nachschauen. Hier ist das gesamte Wissen des Himmels und der Erde niedergelegt.“22 Für die Anhänger der Engelreligion ist die Natur nicht bloß seelenloses Material. Sie ist voller Leben und Geist, ein bedeutsamer Teil des geistigen Kosmos und in diesem mit den Menschen vielfältig verbunden. So kann es geschehen, dass Angelika Arnolds bei einem Badeurlaub erkennt, dass auch die Delfine Engel sind. „Delfine sind die Engel der Meere. Sie nehmen gerne Kontakt mit dir auf.“ „Die Delfin-Energie bringt dich leicht in das höhere Energie-Wissen des Universums und noch weiter in die Tiefe deines Seins.“ Konsequenterweise wird ein Einweihungsritual in die Energie der Delfine angeboten, das auch außerhalb des Wassers funktioniert. Der Delfin ruft nach uns. „Ihr Rufen: ,komm‘ – präsent, lockend und fordernd. Manchmal brach ich in Tränen aus, konnte es kaum noch aushalten. Da war etwas, was mich tief aus dem Urgrund meiner Seele rief.“ „Vielleicht hast du ja auch einen Delfin als Schutzengel.“23

In diesem Zusammenhang sind auch die erstaunlichen Erfahrungen der Findhorn-Community zu erwähnen, die in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts datieren. Auf unfruchtbar-sandigem Boden im Norden Schottlands legte die Gemeinschaft einen üppigen, fast tropischen Blumen- und Gemüsegarten an – nicht durch den Einsatz von Kunstdünger, sondern durch „telepathischen Kontakt mit den engelhaften Wesen, die das Pflanzenwachstum überstrahlen und lenken“, durch direkte Kommunikation mit den Engeln, Devas, Naturgeistern und Elementseelen, die zum Beispiel kundtun, dass die Pflanzen Wasser brauchen oder vor dem Wind geschützt werden wollen. Die damals vieldiskutierte Erfahrung von Findhorn war: „Du kannst mit den Engeln sprechen“, du kannst dich einweisen lassen in die spirituelle Gemeinschaft mit der Natur, die unserer technischen Zivilisation sonst verloren gegangen ist.24

Neben den Naturwesen finden wir weitere geistige Gestalten, etwa die Geister der Verstorbenen, die zum Guten, aber auch zum Bösen wirken können, sowie andere, auch lebende Menschen als Geistführer. „Sie haben mindestens einen Geistführer, der seit Ihrer Geburt bei Ihnen ist und bis zum letzten Atemzug an Ihrer Seite bleiben wird. Gewöhnlich ist dieser Geistführer ein Ahne – etwa ein Teil der Urgroßeltern –, ein Angehöriger, der mehrere Jahre vor Ihrer Geburt verstorben ist.“25 Helga Schaub, von der wegen ihrer besonderen Aufmerksamkeit für die dunkle Seite der Mächte noch später die Rede sein wird, weiß darum, dass Mörder, Selbstmörder, rachsüchtige Seelen oder zu plötzlich Verstorbene die Aura eines Menschen besetzen können, in einer Wohnung oder auf dem Dachboden poltern oder von ihrem Grab her wirken. Sie bewirken Depressionen, grundlose Traurigkeit und Schwäche.26 Jana Haas ist von ihrer Urgroßmutter in die spirituelle Welt eingeführt worden, und auch noch nach deren Weggang blieb sie ihre spirituelle Lehrerin. „Ich empfing Visionen von ihr und erhielt Durchsagen in Bezug auf wichtige Lebensstationen.“27

Kurt Tepperwein gibt der Überzeugung Ausdruck, dass die Engel heute mehr als früher „allseits erfahr- und erkennbar“ sind.28 So ist es zu erklären, dass sich die Engelreligion immer mehr verbreitet. Die Zeit arbeitet für diese Religion, ja hat schon erfolgreich für sie gearbeitet. Denn immer mehr Menschen entdecken ihre spirituellen Kräfte, nehmen Kontakt zur Engelwelt auf, entringen sich der Herrschaft einer begrenzten, auf das Feststellbare und Machbare beschränkten Rationalität. „Vielleicht liegt die Zukunft in größerer Offenheit, persönlicher Integrität, innerer Reife, visionärem Mut, kooperativem Handeln, kreativer Selbstorganisation.“29 Wieder ist es Jana Haas, die der Erwartung eines goldenen, spirituellen Zeitalters den prägnantesten Ausdruck verleiht. Sie ist sicher: „Das Goldene Zeitalter hat bereits begonnen, überall!“30 Anzeichen dafür sind die immer deutlichere Abkehr von Unmenschlichkeit und der Gewalt gegen Mensch, Tier und Umwelt, also das Erwachen eines neuen Bewusstseins, das zwischen Gut und Böse, Hell und Dunkel, Entwicklung und Beharrung unterscheiden kann, das sich von der Bindung an Macht und Besitz, Dogmen und materialistischen Glaubensmustern befreit. Differenziert beobachtet sie, wie die Entwicklung in den verschiedenen Ländern unterschiedlich weit vorangeschritten ist. Von ihrer russischen Herkunft her kennt sie sich mit Ländern aus, in denen das Spirituelle noch „zwei Gesichter“ hat – weiße und schwarze Magie, Heiler, die ihre spirituellen Kräfte zu heilenden, und Magier, die sie zu schädigenden Wirkungen nutzen. Symbolfigur dieser Doppelgesichtigkeit ist für sie Rasputin, der skandal- und geheimnisumwitterte Heiler am russischen Zarenhof. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Diskotheken nach diesem Rasputin benannt werden – ein Hinweis auf die noch unklare Unterscheidung von hell und dunkel, die der Klärung harrt. In einigen Ländern aber ist die Entwicklung schon viel weiter gekommen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sieht sie nur noch lichte Kräfte am Werk. Dafür sorgt schon die geistige Welt selbst, die andernfalls ihren Kräftefluss anhalten würde. Die spirituelle Evolution ist nicht allein Sache des menschlichen Reifegrads, sie ist das Werk und die Wirkung der geistigen Welt selbst. Es muss so sein, dass nach der Evolution der rationalen und technischen Fähigkeiten des Menschen nun auch eine Evolution der spirituellen Kräfte erfolgt. Die Erwartung eines goldenen Zeitalters fügt sich in das Fortschritts- und Evolutionsschema, das so sehr das neuzeitliche Weltbild bestimmt. Auch in dieser Hinsicht ist die Engelreligion eine Religion für unsere Zeit. Am Ende wird, so versichert Jana Haas, ein Zeitalter stehen, in dem die Ambivalenz von weißer und schwarzer Magie überwunden ist. In dem das esoterische (nur Eingeweihten zugängliche) Wissen, das immer auch mit Hochmut und Unterdrückung verbunden gewesen ist, ein für alle zugängliches exoterisches (für Nichteingeweihte verständliches) Wissen geworden sein wird. Ein „weibliches“ Zeitalter der Ebenbürtigkeit und Individualität wird es sein, das das „männliche“ Zeitalter der Unterordnungen und Unterscheidungen ablösen wird. Man sieht, die Engelreligion hat auch ihre Eschatologie.

Noch auf ein weiteres Merkmal der Engelreligion ist hinzuweisen. Sie gibt sich technikfreundlich, ja sie benutzt gerne technische Modelle für die Darstellung des Himmlischen. Auch dies ist neu gegenüber den alten Religionen. Angelika Arnolds erlebt das Universum „wie ein riesiges Netzwerk. […] Ich sende etwas aus, die Verbindung wird gesucht und hergestellt“: das Universum als Telefonzentrale.31 Am stärksten ist diese religiöse Technikkompatibilität bei der Amerikanerin Doreen Virtue ausgeprägt. Wie erklärt es sich, dass nicht alle göttlichen Botschaften richtig verstanden werden? Die himmlische Führung selbst erklärt es. Doreen: „Du sagst also, deine Kommunikation mit uns sei wie CDs, und unser Herz und Verstand sei so eine Art CD-Player?“ Himmlische Antwort: „Genau, du sagst es! Ich kann dir gar nicht sagen, wie begeistert ich bin, wenn meine Worte so ankommen, wie sie gedacht waren! […] Manchmal bewirkt der ,Staub‘, der sich auf euren Herzen und euren Gedanken niedergelassen hat, dass der ,Lesemechanismus‘ beim Empfang meiner kodierten Worte wichtige Zeilen und Daten überspringt.“ Doreen: „Also verpassen wir die Bedeutung deiner Antwort auf unsere Gebete aufgrund von Empfangsstörungen unsererseits?“ Gott: „Ja, genau […].“32 Die älteren Religionen hatten die Problematik der Verständlichkeit von Gottes Wort etwas aufwändiger erklärt. Aber Doreen verfügt ja über einen heißen Draht zu Gott, sie kann direkt mit ihm telefonieren. Das Telefon gibt überhaupt das Modell für die Beziehung zwischen Himmel und Erde ab. Die himmlische Führung selbst lässt sich vernehmen mit der Äußerung: „Tut es öfter! Ich mag es, wenn meine heiß geliebten Kinder zu Hause anrufen. […] Es macht mich traurig, dass sich meine Kinder so schwer damit tun, zu Hause anzurufen. […] Sprecht einfach mehr mit mir, Kinder. Sprecht mehr mit mir.“33 Das kann im Handy-Zeitalter jeder verstehen, während man sich in den Kirchen noch angestrengt darum bemüht, die Eigenart des Gebets als Gespräch mit Gott zu erklären. Die Engelreligion aber ist in der Moderne angekommen und bedient sich zwanglos ihrer Bilder und Erfahrungen. So auch Giulia Siegel, wenn sie davon spricht, dass sie mit ihren Engeln „arbeitet“ und dass man seine Engel beschäftigen muss, „damit sie ,fit‘ bleiben“. „Ich setze meine Engel immer wieder ein, ich trainiere sie quasi …“ Seine Engel kann man auch verleihen, wenn man sie gerade nicht so dringend braucht; in der Weihnachtszeit kann es aber zu Engpässen kommen, da sie dann überlastet sind.34 Die Engelwelt als Dienstleistungsunternehmen … Damit sind wir bei der Frage, wie denn der Alltag mit den Engeln konkret aussieht.

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