Kitabı oku: «Öffentliche Kirche», sayfa 3

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2. Zeiten besonderer Dringlichkeit

Offenbar gibt es Zeiten, in denen die Notwendigkeiten gelingender theologischer und kirchlicher Kommunikation besonders dringlich sind. Blickt man in die jüngere protestantische Vergangenheit, ist festzustellen, dass die Rede von einer öffentlichen Kirche jeweils einen besonders deutlichen Orientierungsbedarf markierte und damit selbst eine bestimmte Krisensignatur darstellt. Dies zeigt sich etwa an der immer wieder konjunkturell auftauchenden expliziten Rede vom Öffentlichkeitsauftrag der Kirche. Ein entscheidendes Datum ist hier fraglos Wolfgang Hubers 1973 erschienene Monographie »Kirche und Öffentlichkeit«, die sich explizit als systematisch-theologische und ethische Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den deutschen Nachkriegsjahrzehnten versteht.

Es steht zu vermuten, dass gerade die seit den 1990er Jahren in ambivalenter Weise sowohl gefragte wie infrage gestellte öffentliche Rolle der protestantischen Kirche dazu geführt hat, diese Begrifflichkeit erneut stärker herauszustellen. Dies verbindet sich mit den bereits angedeuteten innerkirchlichen Veränderungstendenzen ebenso wie mit der zur gleichen Zeit stark anwachsenden öffentlichen Debatte über neue Formen der Bürgerbeteiligung und mögliche zivilgesellschaftliche Neuformierungen.

Auf der Basis der Theorie der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft stellt die Kirche selbst eine öffentliche Sozialgestalt des gesellschaftlichen Teilsystems Religion dar.53 Unter dem Leitbegriff von Öffentlichkeit als »Inbegriff der gesellschaftlichen Bedürfnisse sowie der für die Ordnung, Sicherung und Reproduktion der Gesellschaft notwendigen Funktionen und der ihnen entsprechenden Institutionen«54 haben somit die Kirchen eine eminent öffentliche Aufgabe, nämlich »eine besondere Verantwortung für die Kommunikation zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen«55. Durch diese Fokussierung – auch wenn damals die zivilgesellschaftliche |30| Dimension des Öffentlichkeitsbegriffs noch nicht so deutlich vor Augen stand – sollte einerseits der Befürchtung entgegengetreten werden, dass sich Kirche gleichsam unerkennbar machen oder den Rückzug in eine bestimmte kirchliche Ghettomentalität und Privatheit antreten könnte, andererseits sollten dadurch aber auch bestimmte angenommene Krisenphänomene selbst öffentlich markiert werden56.

Interessant ist nun, dass in jüngster Zeit ausdrücklich und konzeptionell von einer öffentlichen Kirche und in systematischem Sinn auch von einer öffentlichen Theologie geredet wird, was für eine kirchentheoretische Profilierung näher in Augenschein genommen werden soll.

3. Die Rede von einer public church

Die Rede von einer public church hat ihren Ausgangspunkt in der nordamerikanischen Debatte über die Frage der civil religion und ist damit von einem sehr spezifischen kulturellen Kontext bis hin zum entsprechenden Verhältnis von Kirche zum Staat geprägt. Gleichwohl können diese Überlegungen auch für die kirchliche und praktisch-theologische Selbstreflexion im mitteleuropäischen Kontext orientierend sein: Denn gerade unter den anfangs genannten Voraussetzungen einer globalen Zivilgesellschaft stellen sich sowohl die Herausforderungen wie die Artikulations- und Handlungsmöglichkeiten von Kirche ausgesprochen ähnlich dar.

Dabei war es die von R. Bellah vorgenommene Charakterisierung der civil religion als Kohärenz von puritanischem Bundesgedanken und republikanischer Freiheitsidee, von der aus das Selbstverständnis der amerikanischen Gesellschaft mit dem Faktum der inneren Zustimmung ihrer Mitglieder verbunden wurde. Im Anschluss an diese soziologische Perspektive fragte dann vor allem M|31| . Marty näher nach den manifesten Erfahrungsorten dieser Überzeugungen und Identitätsbildung, konkret nach der öffentlichen Bedeutung der Kirchen – übrigens auch der Synagogen und Moscheen.57 Die public church zeichne sich durch »a specifically Christian polity and witness«58 aus.

Mit dieser Bestimmung eines spezifischen politischen Selbstverständnisses institutioneller Zeugenschaft wird übrigens auch bereits der Begriff der public theology in den Blick genommen;59 Marty charakterisiert diese als »an effort to interpret the life of a people in the light of a transcendent reference. The people in this case are not simply the church but the pluralism of peoples with whom the language of the church is engaged in a larger way«60.

Natürlich stellen sich nun die Bestimmungen des Verhältnisses von kirchlicher Praxis und politischen Prozessen und im Blick auf die eigene kirchliche Institutionalisierung auf dem Feld des Politischen im Vergleich zwischen der nordamerikanischen und der deutschsprachigen Religionslandschaft sehr unterschiedlich dar. Vergleicht man allein die historisch gewachsenen und ausgeformten staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in Deutschland und der Schweiz, so ist das je eigene Selbstverständnis im Blick auf den öffentlich-politischen Mitgestaltungsanspruch augenfällig. Allerdings greift im Zusammenhang einer inzwischen globalen zivilgesellschaftlichen Dynamik der duale Blick auf das Verhältnis von Kirche und Staat deutlich zu kurz.

Gerade deshalb aber erscheint ein zivilgesellschaftliches Modell, das von einer kirchlichen Mitgestaltung und Mitverantwortung ausgeht und sich dabei bewusst auf die Ebene der öffentlichen Handlungsmechanismen einlässt, über die je spezifischen Traditionen hinaus geeignet, diese öffentliche Artikulationsrolle einzunehmen, ohne sich damit der Gefahr der politischen Vereinnahmung und unkritischen Staatsnähe einerseits noch der Gefahr der öffentlich-politischen Bedeutungslosigkeit und Ignorierung der prekären gegenwärtigen Verhältnisse bzw. dem Verdacht eines bloß kompensatorischen diakonischen Wirkens andererseits auszusetzen.

|32| 4. Systematische Reflexionen über eine public theology

Die systematische und inzwischen vielfältige Bezugnahme auf die Begriffe einer public church und einer public theology sind nun nicht zuletzt auf einen breiten internationalen theologischen Diskurs unter dem ausdrücklichen Banner der public theology und der Gründung einer Reihe von institutionellen Netzwerken und Neuschöpfungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten zurückzuführen.61 Systematische Reflexionen zum Aspekt der public theology zählen gegenwärtig sicherlich zu den spannendsten systematisch-theologischen Debatten überhaupt. Im deutschsprachigen Raum sind hier bisher vor allem Vertreter der systematischen und ethischen Theologie aktiv, während die Konsequenzen für die praktische Theologie einstweilen noch kaum ausführlicher bestimmt und bezeichnet sind.62

Die Leitlinie wird in folgender begrifflicher Erläuterung deutlich: »Public theology is the result of the growing need for theology to interact with public issues of contemporary society. It seeks to engage in dialogue with different academic disciplines such as politics, economics, cultural studies, religious studies, as well as with spirituality, globalization and society in general.«63 Die Zeit sei nun gekommen, so William Storrar, für eine public theology als »a collaborative exercise in theological reflection on public issues which is prompted by disruptive social experiences that call for our thoughtful and faithful response«.64

Hier zeigt sich nun über den bisher angedeuteten Öffentlichkeitsauftrag von Kirche hinaus ein inhaltlicher Impetus, der die Aufgabe der Kirche in einer dezidiert gesellschaftspolitischen Ausrichtung beschreibt.

Allerdings ist schon durch diese ersten Versuche der Beschreibung deutlich, dass von einer einheitlichen public theology kaum gesprochen werden kann. Vielmehr ist von public theologies auszugehen, sowohl was den Anspruch und die Zielsetzung, den Kontext und die Reichweite, die theologische und politische Positionierung wie auch was die jeweiligen Referenzbezüge angeht.

|33| Für die Darstellung des grundlegenden Ansatzes können deshalb nur annäherungsweise einige grundsätzliche Aspekte benannt werden – im Wissen darum, dass sich gerade in einer detaillierten Betrachtung die nicht unwesentlichen Unterschiede des je spezifischen Profils zeigen. Der Richtungs- und Artikulationssinn in den gegenwärtigen Profilen einer public theology hängt somit wesentlich damit zusammen, welcher Begriff von Öffentlichkeit und von Theologie hier jeweils im Hintergrund steht. Hier bilden sich im Einzelfall wieder die anfangs genannten unterschiedlichen Auffassungen des Begriffs Öffentlichkeit selbst ab: So lässt sich von dorther entziffern, ob der jeweilige Ansatz sich eher als Beitrag zur zivilreligiösen Debatte versteht, auf kirchlich-kritische Mitverantwortung abzielt oder primär eine soziologische Beschreibung öffentlicher theologischer Reflexionspraxis unternimmt.65 Insofern kann die folgende Charakterisierung nicht viel mehr als der erste Schritt einer zukünftig notwendigen genaueren Annäherung an die interne Vielfalt der public theologies sein.66

Erkennbar ist in vielen Ansätzen die enge Verbindung von theologischer Wissenschaft und gesellschaftlicher Analyse bzw. die Überzeugung, dass eine public theology ihre Themenstellung, inhaltliche Ausrichtung und Zuspitzung nur in enger Bezogenheit auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Analyse erfährt. Der Theologie werden der Auftrag und das Potential der Einmischung und Anwaltschaft aufgrund der christlichen Tradition und ihrer Werte, die ein Orientierungspotential anbieten, zugeschrieben. Damit wird ihre gesellschaftskritische Dimension als unverzichtbarer Bestandteil ihres Selbstverständnisses angesehen. Gemäß ihrer eigenen Sache müsse sich die Theologie mit den Zukunftsfragen der Menschheit auseinandersetzen und die Einhaltung der Menschenrechte ebenso anmahnen wie die Erfüllung sozialer Gerechtigkeit.

Für den deutschen Zusammenhang wird als Zielsetzung einer public theology genannt, »die Befragung der eigenen Traditionsquellen der Theologie mit der Kommunikabilität im allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Diskurs |34| zu verbinden (›Bilinguality‹)«67: Konkret ist damit gemeint, dass das Reden der Kirche in der Öffentlichkeit zweisprachig zu sein habe: »Es muss die Sprache der säkularen Vernunft genauso beherrschen wie die Sprache biblischer und theologischer Begründungen.«68

Ausgegangen wird hierbei davon, dass die demokratische Zivilgesellschaft auf Orte angewiesen ist, an denen Orientierungswissen gepflegt und ethisch reflektiert wird und damit gerade die Kirchen als Institutionen notwendig sind, um solche Orte zu pflegen.69 Hingewiesen wird hier auch darauf, dass die Kirche in ihrem öffentlichen Reden nicht politisiert, aber notwendigerweise politisch ist70. In diesem Sinn wird der Theologie als kulturellem Kräftefeld eine katalytische Funktion im politischen Prozess der Anwaltschaft zum Schutz der Schwachen und der Überwindung von Gewalt in der Gesellschaft zugemessen.

Für die theologische Grundausrichtung ist die intensive Bezugnahme auf die alttestamentlichen Referenzgrößen der Schöpfungserzählungen, aber auch der Prophetenüberlieferung, insbesondere deren Anklage- und Visionspotentiale, zentral. Von dort aus wird sowohl einer Art kritisch-ökologischer Schöpfungstheologie sowie der immer wieder genannten Option für die Schwachen und Armen die Bahn bereitet. Dies kann sich mit einer uneingeschränkten Kritik an allen Formen der Diskriminierung von Minderheiten, sei es aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Rasse etc. sowie mit einem uneingeschränkten Plädoyer für die Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte verbinden. Neutestamentliche Referenzgrößen sind eine Christologie, die insbesondere die helfende und messianische Funktion Jesu herausstellt, wobei zugleich dezidiert trinitarische Grundlegungen zu konstatieren sind. Die Metapher vom Salz der Erde und Licht der Welt findet sich vielfältig im Blick auf die notwendige christliche Durchwirkung der schal gewordenen weltlichen Verhältnisse. Eine deutliche inhaltliche Ausrichtung erfolgt entlang dem pneumatologischen Bezug.

Im Blick auf die theologisch-systematische Orientierung zeigt sich eine starke Bezugnahme auf Bonhoeffers Theologie, und dabei auch auf dessen persönliches Schicksal, das im Sinn verantwortlicher Zeugenschaft auch in |35| seiner Orientierungskraft für die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse referiert wird. Je nach konfessionellem Hintergrund können – vor allem im Blick auf die Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Staat – unterschiedlich starke Bezüge zur reformierten oder zur lutherischen Tradition hergestellt werden. Unverkennbar ist auch ein deutlich ökumenischer und interreligiöser Impetus der public theology: Konfessionelle Unterschiede spielen nur eine marginale Rolle, wobei sich allerdings die politische Kritik immer wieder vor allem mit der Kritik an einer bestimmten Ausgestaltung der römischen Amtskirche, gerade wenn diese im Zusammenhang ihrer Rolle in politischen Unterdrückungssystemen erörtert wird, verbinden kann.

Im Blick auf die gesellschaftspolitischen Analysen gilt die interdisziplinäre Arbeit ebenso wie die internationale Vernetzung als wesentlicher Bestandteil theologischer Arbeit, was konkret bedeutet, dass für eine kirchliche Beteiligung an Reformen die fachliche Expertise für unbedingt notwendig erachtet wird. Im Bereich der unmittelbar politikbezogenen Aussagen stellt eine grundlegende Opposition gegenüber dem Politiksystem der repräsentativen Demokratie eher die Ausnahme dar. Ausgegangen wird vielmehr davon, dass Reformen innerhalb des politischen Systems erfolgen sollen, so dass folglich eher eine Reformsemantik als eine Revolutionsrhetorik zu konstatieren ist. Allerdings schließt dies die deutliche Kritik an den USA und allen westlich-hegemonialen Machtansprüchen ebenso wenig aus wie eine Globalisierungs- und Kapitalismuskritik mit gleichzeitiger hoher Sensibilität für ökologische Fragen. Stark insistiert wird auf der Notwendigkeit zivilgesellschaftlicher Gemeinschaftsbildungen, um so das Verhältnis von Kirche und Staat um eben die zivilgesellschaftliche Perspektive zu erweitern. Charakteristisch ist dabei auch, dass die einzelnen theologischen Entfaltungen gerade immer wieder auch mit konkreten Beispielen lokaler kirchlicher Praxis verbunden werden: So finden sich in einzelnen Beiträgen immer wieder Beispiele kirchlicher Arbeit als Gemeinwesenarbeit bzw. als Arbeit im politischen Sozialraum und kirchliche Gemeindearbeit als einer Art Nachbarschafts- und grassroots-Politik. Die Plausibilität einer public theology wird folglich mit der schon jetzt möglichen Öffentlichkeitsrelevanz einer public church zu untermauern versucht. Damit gewinnt interessanterweise das gelingende praktische Beispiel selbst argumentative Bedeutung für die ekklesiologische Theoriebildung und erlangt zugleich Vorbildfunktion für eine notwendige öffentliche Praxis an anderen Orten.

So zeigt sich grundsätzlich, dass – bei aller internen Pluralität – im Zusammenhang öffentlicher Theologie erhebliches Gewicht auf die Kraft prophetischer Utopie gesetzt wird und dabei der Reich-Gottes-Begriff in seiner besonderen Verheißungsdimension stark gemacht wird. Welches Klärungspotential |36| diese Orientierung für konkrete ethische Fragestellungen und Herausforderungen hat, ist allerdings sicher noch ausführlicher zu reflektieren. Gleichwohl zeigen sich erkennbare Stärken gerade gegenüber solchen Ansätzen einer theologischen Deutung des Politischen, die bei der Aufgabenbeschreibung einer auf die Gesellschaft bezogenen Theologie primär in die Forderung diskursiver Suchbewegungen einmünden.71 Hier könnte sich insbesondere eine theologisch-pneumatologisch ausgerichtete öffentliche Theologie möglicherweise als sehr viel substantieller und weiterführender erweisen.72 Diese theologische Argumentationsdynamik ist jedenfalls – auch in Verbindung mit den gesellschaftlichen Herausforderungen und der gegenwärtigen weltzivilgesellschaftlichen Dynamik – für eine praktisch-theologische Ekklesiologie zweifellos hochgradig inspirierend.

Was aber ist nun in inhaltlicher Hinsicht der Mehrwert dieser Signatur einer öffentlichen Kirche und wie lässt sich dieser kirchentheoretisch im Sinn einer praktisch-theologischen Ekklesiologie entfalten?

Blickt man exemplarisch auf einige der jüngeren praktisch-theologischen Kirchentheorien, dann ist festzustellen, dass hier die öffentliche Dimension von Kirche zwar aufgenommen wird, allerdings die jeweilige Konzeption doch mit je eigenen grundsätzlichen Problemen behaftet ist.

5. Kirchentheoretische Ansätze und die Rede von der öffentlichen Kirche
5.1 Der öffentliche Auftrag von Kirche als Institution

Die zivilgesellschaftliche Dimension kirchlichen Handelns wird bis in die jüngere Zeit hinein programmatisch noch kaum systematisch behandelt. Vielmehr zeigt sich im Rückgriff auf einen bestimmten Begriff von Kirche als Institution eine geradezu staatsanaloge kirchentheoretische Beschreibungsfigur kirchlichen Handelns. So widmet sich etwa R. Preul in seiner 1996 erschienenen Kirchentheorie zwar der Frage, wer innerhalb der evangelischen Kirche in wessen Namen und in welcher Angelegenheit etwas öffentlich zu sagen befugt ist. Grundsätzlich wird darauf hingewiesen, dass die Würde und der Wert des Menschen aus der vorgängigen Setzung der sich im Christusgeschehen verwirklichenden Kommunikation des Evangeliums deutlich würden.73 Von dort her werden die kirchliche öffentliche Aufgabe und ihr Wächteramt |37| als ein Dienst der Versöhnung konzipiert. Interessanterweise weist nun Preul jede Form eines hierarchischen oder autoritativen Modells zurück, demzufolge etwa eine kirchenleitende Spitze für sich beanspruchen dürfe, autoritativ für alle Mitglieder sprechen zu können. Die öffentliche Verantwortung wird nicht nur den kirchlichen Amtsträgern zugesprochen, sondern müsse im Sinne der Zivilcourage jedes Christen öffentlich erkennbar werden: »Das sogenannte Wächteramt der Kirche, das ausgeübt wird, um Schaden vom Gesellschaftsganzen abzuwenden, ist also primär eine Aufgabe oder Funktion, die sich aus dem Christsein in der Welt als solchem ergibt«74.

Preul schlägt dann aber doch eine Art Repräsentanzmodell vor: Bei der Ausübung dieses Wächteramtes soll exemplarisch von einer Verantwortung Gebrauch gemacht werden, die »jedem Kirchenmitglied auferlegt«75 sei. Oder wie es heißt: »Die Spitze, oder wer auf andere Weise ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten ist, verdeutlicht durch profilierte Meinungsäußerung auf exemplarische Weise jene Freiheit, die im Rahmen und auf der Grundlage der jeweiligen Organisation möglich ist und die jedem Mitglied in entsprechender Weise zukommt«76. Zwar wird von Preul in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder betont, dass der reformatorische Grundgedanken des Allgemeinen Priestertums nicht nur bedeutet, »dass die Laien am kommunikativen Handeln der Kirche Anteil haben, sondern auch an kirchenleitenden Funktionen«.77 Aber diese Mitwirkung bleibt dann einerseits gleichsam auf die institutionelle Ebene begrenzt und es kommt zugleich auch nur wenig in den Blick, dass echte Partizipation mehr als eine Mitwirkung an den bereits bestehenden Strukturen bedeuten muss.

In ähnlicher Weise sind aktuelle einschlägige Bestimmungen von kirchenleitender Seite selbst konzipiert. In der jüngsten Denkschrift zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche heißt es innerhalb des Teilkapitels »Wer spricht für die Kirche?« in aufschlussreicher Weise: »Auch wenn das Reden der evangelischen Kirche in der Öffentlichkeit vornehmlich durch ihre Amtsträger und Organe geschieht, hat doch jedes einzelne Kirchenmitglied Teil an der Verkündigung und damit am Öffentlichkeitsauftrag der Kirche. Neben kirchlich autorisierten Texten haben Äußerungen einzelner Christenmenschen als Ausdruck der ›freien Geistesmacht‹ (Friedrich Schleiermacher) eine unverzichtbare Bedeutung. Sie können auch dazu führen, dass die Kirche als Institution solche Anregungen aufnimmt und sich nach einem längeren |38| Prozess der Konsultation zu dem entsprechenden Themenkomplex äußert. Man kann dabei etwa an die Debatten um die Nutzung von Kernenergie denken.«78

Deutlich ist hier folglich, dass die entscheidende öffentliche Artikulation – die Denkschrift spricht auch von institutionalisierter Verantwortung gegenüber persönlicher Verantwortung Einzelner79 – eben dann doch den amtlichen Repräsentantinnen und Repräsentanten zukommt, während individuelle Äußerungen bestenfalls dazu dienen können, wiederum kirchenleitend dienstbar gemacht zu werden. Durch diese Unterscheidung zwischen persönlicher und institutionalisierter Verantwortung wird aber dann gerade die Trennung von Verantwortungssphären befördert – um nicht sogar zu sagen: Die freie und kreative Energie jenseits der gebundenen Formen wird weder kirchentheoretisch noch praxisbezogen als eigene Gestaltungs- und Verantwortungsgröße mit in den Blick genommen. Zugleich zeigt das hier doch sehr zurückhaltend vorgebrachte Beispiel der Kernenergie, dass auch noch so vorsichtige kirchenleitende Verantwortungspositionierungen sehr viel schneller von den realen Ereignissen überholt werden können als man sich dies bei Abfassung dieser Passage vorgestellt haben dürfte.

Hinter einem solchen tendenziell dualistisch geprägten Verantwortungsmodell öffentlicher Verantwortung jedenfalls steht, so kann man es lesen, das Modell von Kirche als »Institution der Freiheit« mit einer vergleichsweise großen Selbstverständlichkeit funktionierender kommunizierender Röhren zwischen Staat und Volkskirche und einer mindestens impliziten Analogie von repräsentativer Demokratie und bischöflich-kirchenamtlicher Repräsentanz mit den entsprechend hierarchischen Bedeutungs- und Verantwortungszuschreibungen.

Interessanterweise wird dabei der Beitrag der Denkschriften zum zivilgesellschaftlichen Diskurs gerade darin gesehen, dass sie weniger zuspitzen, sondern abwägend und differenziert argumentieren, »eher wissenschaftlichen Texten als Meinungsbeiträgen« gleichen, theoretische Texte sind und »keine emotionalen Geschichten«80 erzählen. Abgesehen davon, dass dies natürlich schon ein bestimmtes, nicht unproblematisches hermeneutisches Grundverständnis zeigt, ist dies auch neben nur einem weiteren kurzen Verweis die einzige Passage innerhalb der Schrift, in der überhaupt die zivilgesellschaftliche Dimension explizit in den Blick rückt.

|39| In den genannten Abhandlungen fehlen somit jegliche Hinweise darauf, welche Bedeutung und welcher Eigenwert individuellen öffentlichen Äußerungen und Handlungen einzelner Mitglieder gerade in zivilgesellschaftlicher Hinsicht zukommen können und sollten. Insofern ist dann auch hinsichtlich des politischen Handelns eben immer nur von der Kirche als Gegenüber zu staatlichen und gesellschaftlichen Organen81 die Rede. Systematische Überlegungen zur individuellen öffentlichen Verantwortlichkeit und Partizipation finden sich nicht.

Nach den oben vorgenommenen Ausführungen ist deutlich, dass dieses Modell einer im Wesentlichen auf Delegation und Repräsentation angelegten Volkskirche weder auf der Ebene der Kirchenleitung noch in den lokalen kirchlichen Verantwortungsbereichen zukunftsfähig zu sein verspricht. Eine solche Form von Volkskirche hat jedenfalls nicht nur aufgrund des gegenwärtig stetigen Mitgliederschwunds noch aufgrund der Partizipationsbedürfnisse der einzelnen Mitglieder gute Voraussetzungen, als öffentlich bedeutsame Orientierungsgröße in Erscheinung zu treten.

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