Kitabı oku: «Tod eines Jagdpächters», sayfa 3

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»Früchte des Zorns«

Kurz hinter Rheinbach begannen die Hügel. Willkommen in der Eifel, hieß es hier für die Flachländer. Es war sonderbar. Plötzlich befand man sich in einer vollkommen anderen Landschaft. Irgendwie hatte man das Gefühl, als würden hier die Uhren anders ticken.

Nach fünf Kilometern Waldstrecke erblickte man Loch in einem Tal. Die Hütten, in denen die Erdbeerpflücker untergebracht waren, befanden sich oberhalb von Loch, einem Teil, der sich Queckenberg nannte. Hinter der Kreuzung, an der es rechts nach Flamersheim und Euskirchen und links nach Altenahr ging, wand sich die Straße durch einen relativ neuen Dorfteil nach oben.

Beltel war hier schon gewandert, auf dem Weg von Rheinbach nach Bad Münstereifel. Von Merzbach kommend musste man hier durch. Allerdings rechts von dieser Straße, sozusagen durch Lochs Altstadt. Besonders ein Fachwerkhäuschen unten am Dorfrand, mit einer zugewachsenen Terrasse, war ihm immer wieder aufgefallen. Der Innenhof mit der alten Scheune, der im Sommer zum draußen sitzen einlud, hatte ihn auf den Gedanken kommen lassen, sein Häuschen in Altenahr zu verkaufen und sich so etwas Schönes zu suchen.

Aber er war ein Gewohnheitsmensch und wusste, er würde diesen Wunsch nicht in die Tat umsetzen. Schon der Gedanke, dass dieser komische freche Dackel ihn für eine Zeit aus seinem gewohnten Rhythmus brachte, war zu viel. Ein Umzug mit dem Inventar eines ganzen Hauses, eine neue Nachbarschaft und eine neue Umgebung schreckte zu sehr, als dass er ihn wirklich in Angriff nehmen würde.

Beltel bog links oberhalb der Kirche in Richtung Madbachtalsperre ein und hielt nach wenigen Metern.

Die Unterkünfte der Saisonarbeiter waren leer und auch der Hof wirkte wie ausgestorben. Nur die Wäscheleine, auf der die Sachen einer ganzen Kompanie zum Trocknen hingen, zeugte von Leben. Nach zweimaligem Läuten trat eine Bäuerin aus dem Haus, das den Hof in L-Form umgab. Die Polizisten stellten sich vor und erklärten, dass sie gerne mit einer Frau namens Ivonna Martiniak reden würden.

»Grete Much«, machte die Bäuerin sich bekannt. »Ivonna ist auf dem Erdbeerfeld. Ist etwas passiert? Hat sie etwas verbrochen?«

Beltel erklärte, dass Karl Nirbach ermordet worden war und dass davon auszugehen war, dass Ivonna den Mann gekannt hatte.

Die Bäuerin war schockiert. »Der Nirbach ist tot?«

Die Polizisten antworteten nur mit einem kurzen Nicken und Frau Much fuhr fort. Nun war Groll in ihrer Stimme zu erkennen. »Man soll die Toten ja ruhen lassen und ermordet zu werden ist wirklich ein Grauen, aber viele Tränen werden diesem Mann bestimmt nicht nachgeweint. Das kann ich mir nicht anders vorstellen. Allein die Geschichte mit der Ivonna war eine Sauerei. Der Mann hatte hier in der Gegend überhaupt keinen guten Ruf. Da können Sie sich ruhig umhören.«

»Welche Geschichte mit der Ivonna gibt es denn da?«, erkundigte sich Beltel.

Frau Much ging ein paar Schritte in das Hofinnere. Dann senkte sie ihre Stimme und sprach leiser, als hätte sie etwas Geheimes zu erzählen.

»Na ja, die Ivonna hat letztes Jahr noch auf einem anderen Gut in Schweinheim gearbeitet. Dort hat sie diesen Kerl kennengelernt. Er ist mit dem Gutsbesitzer bekannt. Um die jungen Saisonarbeiterinnen ist er wie ein Pfau herumgeschlichen. Und Ivonna ist auf ihn hereingefallen.«

Draußen auf der Straße zockelte ein Traktor vorbei. Die Bäuerin verstummte, bis das Dröhnen des alten Diesels wieder verebbte. »Sicherlich hat er ihr mit seinem dicken Mercedes imponiert, und wie ich weiß, hat er sie auch mit in seine schicke Villa genommen. Seine Frau muss in Urlaub gewesen sein, und natürlich hat er Ivonna nicht erzählt, dass er verheiratet ist. Tja, und wie es bei einem Mädchen aus armen Verhältnissen kommen kann, hat ihr der ganze Luxus scheinbar imponiert. Das Spielchen hat er eine Weile gespielt, dann wurde sie schwanger und er hat sie fallen lassen. Ich verurteile sie nicht, weil sie sich mit einem dreißig Jahre älteren Typ eingelassen hat. Die meisten der Saisonarbeiter kommen aus wirklich armen Verhältnissen, und für sie schien hier in Deutschland ein Traum in Erfüllung zu gehen. Er wird ihr sicher jede Menge Versprechungen gemacht haben. Aber stattdessen hat er sie ins Unglück gestürzt.«

Beltel hatte Klötsch kennengelernt. Von Nirbachs Vergangenheit als Saunaclub-, sprich Puff-Betreiber wusste er auch. Das Bild, das er sich von dem Toten gemacht hatte, bestätigte sich in gutem Maße. »Was ist mit dem Kind?«

»Er hat sie zu einer Abtreibung gezwungen und danach hat sie trotzdem ihre Arbeit auf dem anderen Gut verloren. Dieses Jahr ist sie zu uns gekommen, und ich bin sehr zufrieden mit ihr. Ihr Bruder Dariuz hat damals auch in Schweinheim gearbeitet und ist ebenfalls entlassen worden, weil er sich mit Nirbach angelegt hat. Angeblich hat er einen Diebstahl begangen. Er hat schon bei mir gearbeitet, da wurde er verhaftet und nach einer Zeit im Gefängnis wurde er nach Polen abgeschoben. Ivonna hat mir geschworen, dass ihr Bruder diesen Diebstahl nicht begangen hat, und ich glaube ihr. Ich habe eine gute Menschenkenntnis und er machte auf mich einen sehr guten Eindruck. Die meisten der Saisonarbeiter sind anständige Leute, die hart arbeiten, gar nicht dem Bild entsprechend, das bei vielen Deutschen über Menschen aus osteuropäischen Ländern herrscht.«

»Können wir mal mit Frau Martinak reden?«, bat Beltel.

»Kommen Sie mit«, sagte die Bäuerin. »Sie ist auf dem Erdbeerfeld. Sie spricht Englisch und nur ein paar Brocken deutsch, aber mein Vorarbeiter Mihau Grechuta kann übersetzen. Ich kann mir allerdings denken, dass sie nicht gerne über die Geschichte reden möchte. Es wird ihr sehr peinlich sein.«

Beltel fühlte sich an den Roman »Früchte des Zorns« von John Steinbeck erinnert. Garantiert lebten und arbeiteten die Menschen hier auf dem Erdbeerfeld besser als die Figuren in Steinbecks Roman. Verglichen mit den Löhnen, die in ihren Heimatländern gezahlt wurden, verdienten sie sogar außerordentlich gut und von dem, was sie hier in ein paar Monaten ansparten, konnten sie zuhause wahrscheinlich ein ganzes Jahr leben. Dennoch war die Erdbeerernte alles andere als ein einfacher Job. Beltel erblickte mehrere Menschen, die auf die Sechzig zugingen. In Deutschland bereitete man sich in diesem Alter gemächlich auf die Rente vor. Diese Leute hier hatten für Monate ihre Familien verlassen und verrichteten eine Arbeit, die vor allem für einen alten Rücken Gift sein konnte. Die Gesichter waren von einem harten Leben gekennzeichnet. Auch die Alten sahen sehr robust und stark aus, aber dennoch zehrte der Knochenjob sichtbar an ihnen. Er sah Frauen mit bunten Kopftüchern, wie er sie aus Dokumentationen über Russland von russischen Bäuerinnen kannte. Viele trugen im feuchten Boden Gummistiefel. Einige stapften mit matschverklumpten Sportschuhen zwischen den Erdbeerbeeten herum. Über der Szene hatten sich am blauen Himmel ein paar Wolken breit gemacht und der Tag schien heute für die Pflücker zum Glück nicht sengend heiß zu werden.

Frau Much grüßte die Saisonarbeiter, die am Rande des Feldes arbeiteten und rief Ivonnas Namen. Eine Frau mit einem rot-blau gemusterten Kopftuch drehte sich um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann kam sie auf Frau Much und die beiden Polizisten zu. Der Vorarbeiter Mihau Grechuta war einer der Männer am äußeren rechten Feldrand. Er blickte herüber und setzte sich in Bewegung, nachdem Frau Much ihm gewinkt hatte.

Beltel und Funk begrüßten Ivonna Martiniak auf Englisch. Sie war wahrscheinlich Ende zwanzig. Ihre blonden, langen Haare waren am Rande des Kopftuchs schweißverklebt. In ihrem braungebrannten Gesicht spiegelte sich das helle Sonnenlicht in einer feuchten Schweißschicht. Sie rieb sich mit den lehmverschmierten Händen über die Augen und hinterließ eine braune Spur.

Beltel hatte als Kind seinen Onkel von den schönen Polenmädchen schwärmen hören. Hier hatte er eine dieser Schönheiten leibhaftig vor sich stehen. Von Frau Much hatte er erfahren, dass Ivonna in Polen Sport und Englisch studiert hatte, aber mit diesem Abschluss in ihrem Land nicht genug Geld verdienen konnte.

Sie war also kein Dummchen, aber anscheinend doch naiv genug, um auf einen Kerl wie Nirbach hereinzufallen. Sie zeigte sich schüchtern. Wahrscheinlich ihr Charakterzug, vielleicht aber auch, weil sie von Polizisten aufgesucht wurde.

Mihau Grechuta war nun bei der Gruppe. Nach kurzem Händeschütteln begann er zu übersetzen, aber es war, wie Frau Much vermutet hatte: Die junge Polin wollte im Prinzip nicht über Nirbach reden.

Beltel hatte das Gefühl, dass sie am liebsten geleugnet hätte, diesen Mann überhaupt zu kennen. Aber sie ahnte, dass die Polizisten wahrscheinlich schon den Großteil ihrer Geschichte kannten, daher musste sie in den unliebsamen Erinnerungen kramen und sie vor diesen fremden Männern preisgeben. Sie druckste herum.

»Er wollte Arbeit geben«, übersetzte der Vorarbeiter, wobei Ivonna mit den Tränen kämpfte, »in Büro sollte ich für ihn arbeiten. Er gesagt, dass er Inhaber von Fitnesskette kennt und dort mir als Leiterin von Studio Arbeit geben.« Grechuta musste immer wieder kleine Pausen machen, um die richtigen Worte zu finden. »Aber langsam ich erkennen, dass er nur Sex wollen. Keine Arbeit in Büro, keine Gespräch mit Freund in Sportstudio. Ich nicht mehr möchte zusammen sein mit geile, alte Mann. Aber zu spät. Ich schwanger und er mir befehlen und Angst machen, Baby muss weg. Ich gehorche, weil große Angst. Viel Angst auch vor diese Mann Klötsch.«

»Ihrem Bruder hat das alles nicht gefallen?«, hakte Beltel nach.

Die junge Polin ließ ihren Tränen freien Lauf. »Ich niemanden sagen, schwanger und Baby wegmachen, Dariuz trotzdem erfahren. Mein Bruder sehr wütend und reden mit Nirbach. Nächste Tag wir keine Arbeit.«

Beltel hätte die weinende Frau am liebsten nicht weiter belästigt, aber er musste nachfragen. »Hat Ihr Bruder Nirbach dann in Ruhe gelassen?«

Ihr musste klar sein, dass sie ihren Bruder mit der Wahrheit belasten könnte, aber scheinbar hatte sie auch Angst zu lügen. »Dariuz noch mehr Wut auf Nirbach und wollen mit seine Frau reden. Ich nicht gewusst, dass Nirbach verheiratet. Erst später. Er mich immer anlügen: keine Frau. Und viele, viele andere Lügen.

Dann eine polnische Mann Dariuz mit Motorrad fahren lassen. Diese polnische Mann arbeiten für Klötsch und Nirbach. Wir auch erst hören später. Motorrad geklaut und Fingerabdrücke von Dariuz drauf. Dariuz im Gefängnis und nicht mehr in Deutschland sein darf. Nirbach Ruhe vor meine Bruder. Einfache Arbeit, wie schlimmste Verbrecher.«

Konnte da was dran sein? Oder schützte die Schwester den Bruder? Möglich war’s schon: Jemandem ein geklautes Motorrad unterzuschieben und schon war man ihn los, ging es Beltel durch den Kopf. »Ihr Bruder ist in Polen? Können Sie uns bitte seinen Namen und seine dortige Anschrift aufschreiben?«, fragte er und nahm einen kleinen Block und einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts.

Diesem Wunsch schien sie nun wirklich sehr ungern nachkommen zu wollen. »Ich habe oft versucht zu telefonieren mit meine Bruder, aber nicht gesprochen«, übersetzte der Vorarbeiter.

»Nun gut«, ließ der Hauptkommissar nicht locker. »Können Sie uns trotzdem bitte seine polnische Adresse vollständig aufschreiben?«

Zögerlich nahm sie Stift und Block und begann zu schreiben. Die Worte, die der Übersetzer mit »meine Bruder nichts getan« übersetzte, klangen flehend.

Beltel lächelte freundlich. »Wir glauben Ihnen, Frau Martiniak. Wir möchten nur gerne mit ihm sprechen. Kennen Sie auch den Namen des Mannes, der ihrem Bruder das Motorrad angeboten hat?«

»Nur Vornamen kennen, Darek«, schluchzte sie.

»Danke«, sagte Beltel, »Sie haben uns sehr geholfen.«

Die Polizisten schüttelten den beiden Saisonarbeitern die Hand. Frau Much begleitete sie noch ein Stück auf dem Weg zurück zum Auto.

Beltel stieg ein und telefonierte sofort mit dem Präsidium.

Noch immer keine Spur von Ralf Schmitter und seiner Freundin. Beltel gab die Daten von Dariuz Martiniak durch und bat um eine Überprüfung. Dann teilte der Kollege in Bonn mit, dass ein Nachbar Beltels im Präsidium angerufen und dringend um Rückruf gebeten hatte. Beltel ließ sich die Nummer und den Namen des Nachbarn geben. Herr Espel! Ihm schwante, wo-rum es ging. Mit einer dunklen Ahnung, was auf ihn zukommen würde, wählte er die Nummer.

»Herr Beltel, was ist da in Ihrem Haus los?«, polterte Espel sofort los. Beltel war dem Mann bislang immer aus dem Weg gegangen. Espel war der Einzige in der Nachbarschaft, dem eigentlich jeder aus dem Weg ging. Ein Kleinlichkeitskrämer, der mehr als die Polizei darauf achtete, dass ordentlich geparkt wurde. »Das Gekläffe ist ja nicht auszuhalten. Mein Baby kann nicht schlafen. Seit wann haben Sie denn einen Hund?«

Beltel hatte die Töle im Laufe des Vormittags zum Glück vergessen können. Nun war er mit ihr wieder leibhaftig konfrontiert. Er wollte beschwichtigend antworten, aber Espel schimpfte weiter. »Das ist eine Unverschämtheit. Ich werde die Polizei anrufen und eine Anzeige erstatten. Dieses Tier schaffen Sie wieder ab. Dafür werde ich sorgen.«

Beltel wollte noch erklären, dass der Hund nur für kurze Zeit bei ihm sein würde, da hatte Espel schon aufgelegt. Funk hatte das Gespräch mitbekommen. Er wich Beltels Blick aus, konnte sich aber ein Grinsen nicht verkneifen.

Der Kriminalhauptkommissar war genervt. »Der Hund muss unbedingt weg. Ich hoffe, der Nachbar meiner Haushälterin hat eine Hundepension aufgetan. Dann habe ich schon heute Abend eine große Sorge weniger.«

Er hatte noch einen Anruf zu tätigen. Von Funk ließ er sich Klötschs Karte geben und wählte die Nummer.

»Herr Klötsch, kennen Sie einen Polen namens Darek? Er soll für Herrn Nirbach gearbeitet haben.«

Klötsch war wieder ganz der selbstbewusste Geschäftsmann. »Darek? Nein, ist mir nicht bekannt. Herr Nirbach hatte einen Tschechen und zwei Türken beschäftigt. Einen Polen gab es nicht in der Firma.«

»Danke, Herr Klötsch, mehr wollte ich erst mal nicht wissen«, sagte Beltel und beendete das Telefonat. Dann wandte er sich an Funk. »Der Kerl lügt, dass sich die Balken biegen.«

»Du magst ihn nicht, was?«

»Du etwa?«

Funk zuckte mit den Schultern. »Ich versuche, mich nicht von persönlichen Abneigungen leiten zu lassen. Das ist unprofessionell, Manfred. Aber das brauche ich dir eigentlich nicht zu sagen. Okay, wir haben nun mit diesem Dariuz Martiniak eine zweite Person mit Motiv. Dennoch könnte es sich als sträflich erweisen, wenn wir die Suche nach Ralf Schmitter ausschließlich den Rheinbacher Kollegen überlassen«, sagte Funk.

»Glaub mir, Hans, der Junge war’s nicht«, erwiderte Beltel. »Das war die Tat eines Profis, der außerordentlich gut mit einem Gewehr umgehen kann. Lass uns nach Schweinheim fahren. Reden wir dort mit ein paar Saisonarbeitern und dem Erdbeerbauern. Außerdem wäre es mir sehr lieb, wenn wir an den Gedichtschreiber, oder den Poeten, wie du ihn nennst, rankommen könnten. Ich hab das Gefühl, dass wir noch von ihm hören werden.«

Funk gab nicht so schnell auf. »Es könnte doch sein, dass wir es mit einem Ausnahmetalent zu tun haben. Es gibt Kinder, wesentlich jünger als Schmitter, die im Schützenverein sind und besser als viele Alte treffen. In unserem Dorf ist letztes Jahr ein Vierzehnjähriger Schützenkönig geworden.«

Beltel nickte und lächelte, innerlich davon überzeugt, dass ihn sein Riecher nicht täuschte.

Der Trauerzug

Nachdem sie von der Schnellstraße Richtung Flamersheim und Euskirchen rechts nach Schweinheim abgebogen waren, tauchte wieder ruhige, hügelige Waldlandschaft auf. Schweinheim lag flach, kleiner und irgendwie mehr abseits scheinend als Loch. Rechts tauchte ein wunderschönes Fachwerkhaus auf, das von Schatten spendenden Bäumen und von einer grünen Mauer von der Straße abgeschirmt wurde. Links befand sich ein größerer Reiterhof. Dann musste Beltel abrupt bremsen. Nach einer Kurve bewegte sich ein Beerdigungszug durch das Dorf. Ungefähr dreißig bis vierzig überwiegend ältere, schwarz gekleidete Menschen folgten einem mit Blumen geschmückten Sarg. Der Zug bewegte sich zu leiser Trauermusik Schritt für Schritt Richtung Dorfmitte.

Plötzlich entstand eine Unruhe unter den Trauergästen. Beltel stellte den Motor ab und stieg aus. Auch Funk verließ den Wagen, um zu sehen, was passiert war. Die beiden Polizisten begaben sich zu der Trauergruppe. Eine Frau um die siebzig war zusammengebrochen. Sicherlich handelte es sich um eine nahe Angehörige des Toten.

Zwei Männer kümmerten sich um die bewusstlose Frau. Beltel zückte sein Handy und wählte die Nummer des Notarztes. Währenddessen ging Funk zum Auto zurück, um ein Kissen zu holen. Er legte es unter den Kopf der Frau. Beltel tastete nach ihrem Puls. Der Puls ging unregelmäßig, aber scheinbar war die belastende Trauer der Grund für die Ohnmacht der älteren Frau.

Waldhotel Rheinbach

Herrmann Klötsch war genervt. Jemand hatte ihn im Auftrag des Architekten Jens Breitbach angerufen und sich über die Innenarbeiten im Waldhotel Rheinbach beschwert. Angeblich hatten Klötschs Mitarbeiter dort schlampig verputzt.

Er hasste es, diesen Lackaffen gegenüber freundlich bleiben zu müssen. Das war einer der Nachteile im Baugewerbe. Früher im Puff hatte er nicht weniger verdient und sich Beschwerden nur einmal anhören müssen. Wer motzte, flog hochkantig raus.

Aber hier herrschten andere Gepflogenheiten. Ohne Zufriedenheit des Kunden gab es kein Geld. Und es war noch eine große Summe offen, die Breitbach zu überweisen hatte. So blieb Klötsch nichts anderes übrig, als am Waldhotel vorbeizufahren und den Arschkriecher zu spielen.

Arbeiter einer anderen Firma waren noch vor dem Gebäude beschäftigt. Innen war es fast schon bezugsfertig. In nur wenigen Monaten würde das Hotel den Betrieb aufnehmen. Ein Luxuskasten, dessen Bauart modernen und alten Stil miteinander vereinte. Wenn die Gartenbaufirma loslegte, würde das Gelände hier ganz anders aussehen. Der zurzeit noch kiesige Weg würde zu einer beidseitig von Gartenarchitekten bepflanzten Prachtauffahrt werden.

Klötsch könnte einen Urlaub gebrauchen. Aber im Moment war dies nicht möglich. Er führte die Geschäfte für Viola Nirbach, die es sich bis heute in Spanien hatte gut gehen lassen. Vor einem halben Jahr hatte Viola Karls Firma übernommen und sie war zu Klötschs Chefin geworden. Aber genau wie vorher war Klötsch nicht nur Befehlsempfänger gewesen. Er hatte nicht selten mitentscheiden können und er hatte immer sehr gut mitverdient. Sein Bankkonto in Liechtenstein wies genug auf, um sich irgendwo in der Karibik zur Ruhe setzen zu können. Aber noch nicht jetzt.

Jetzt, da Nirbach tot war, hatte er zwar noch mehr um die Ohren, aber es waren auch noch mehr Euros drin. Viola war nun vollkommen auf ihn angewiesen, deshalb würde er bald mit ihr über eine kleine Gehaltszulage reden müssen. Das wollte er geschickt anstellen und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, denn sie war härter im Geschäftsleben, als Karl es jemals hätte sein können. Aber sie war auch fair und wusste gute Arbeit zu schätzen. Insofern hatte er gute Karten.

Zwanzig Jahre hatte er Nirbach gekannt. Er war immer loyaler Untergebener gewesen und es war nie zu Spannungen gekommen. Karl, Viola und er waren wie eine Familie gewesen. Trotzdem hatte Klötsch kaum Trauer verspürt, als er Karl im Wald erschossen aufgefunden hatte. Wut ja, auch ein wenig Angst. Der Polizist hatte nach Kontakten in Köln gefragt, aber die gab es im Geschäftsleben tatsächlich nicht mehr. Höchstens privat waren Nirbach und er nochmal auf der ein oder anderen Party von Puffbesitzern gewesen.

Dennoch hatte auch Klötsch sich gefragt, ob wirklich die Jungs hinter Karls Ableben steckten. Nur, wer konnte sonst Karl aus dem Weg geräumt haben? Der Bulle hatte nach Darek gefragt. Weshalb gerade nach ihm? Der Pole hatte gelegentlich Jobs für Nirbach und ihn erledigt. Kleine Sachen, wie Baumaschinen von konkurrierenden Firmen lahmlegen, oder mal jemanden aufmischen.

Sicherlich hatten Nirbach und er etlichen Leuten auf den Schlips getreten. Aber das waren Spießer gewesen. Hosenscheißer, die versucht hatten, gerichtlich gegen sie vorzugehen. Keiner von denen hatte den Mumm eines Killers. Der Junge dagegen, dem Nirbach die Nase blutig geschlagen hatte, hatte ihn an sich selbst erinnert. Extrem jähzornig und zu stolz, um die Tracht Prügel einfach so hinzunehmen. Dieser halben Portion war mehr Mumm zuzutrauen als den verspießerten Geschäftsleuten oder Kunden, die ebenfalls einen Pick auf Nirbach hatten.

Der Hotelbau war nicht verschlossen. Breitbachs Mitarbeiter hatte ihn auf das Restaurant hingewiesen. Dort war der Putz angeblich unter aller Sau gemacht worden. Klötsch wusste, dass seine Mitarbeiter normalerweise ordentlich arbeiteten. Er wollte sich das ansehen, und wenn da wirklich gepfuscht worden war, würden ein paar Köpfe rollen. Gute Bauarbeiter konnte er an jeder Straßenecke finden.

Aufgrund der Leere wirkte der Gang wie ein Krankenhausflur, davon abgesehen, dass hier noch alles Dekorative fehlte. Es gab keine Bilder, keine Lampen, keine Vasen. Nur kalter, steriler, weißer Putz.

In dem Raum, der als Restaurant dienen würde, tuckerte ein leiser Motor. Klötsch drückte die Klinke des großen Raums. Die Tür ließ sich nicht einfach ziehen. Irgendetwas klemmte und nur Stück für Stück gab sie nach. Auf der Fensterbank, genau der Tür gegenüber, war eine merkwürdige Apparatur aufgebaut. Größer als ein Bohrer oder ein Akkuschrauber. Ein Schlauch lief zu einem Druckluft- Kompressor, den er von draußen gehört hatte. Dann sah er den Faden, der von der Tür zu der Apparatur entlang der Decke gespannt war. Eine Nagelmaschine, schoss es ihm durch den Kopf. Aber das Denken hatte zu viel Zeit für eine Reaktion zum Ausweichen gekostet. Ein leises, zischendes Plopp – und etwas bohrte sich sehr schmerzhaft in seine rechte Schulter. Er wurde zurückgeschleudert, taumelte und brauchte einige Sekunden, um zu kapieren. Er tastete nach der Wunde. Der Nagel war ganz in die Schulter eingedrungen. Klötsch erkannte sein enormes Glück, denn nur wenige Zentimeter trennten den Nagel von Hals, Lunge oder dem Herz. Die Wunde war klein und es floss nur wenig Blut. Mehr vom Schock als durch die Verletzung taumelnd schaffte er es nach unten, wo er einen Arbeiter anschrie, sofort einen Notarzt zu rufen.

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