Kitabı oku: «Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze», sayfa 26

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In diesem Augenblick kam Mistress Bartons Stimme ruhig aber befehlshaberisch von der Terrasse: »He-le-ne! Wo bist Du? He-le-ne!«

»O scherdichzumteufel, scherdichzumteufel!« knurrte Helene.

»Ja! Was ist denn?« rief sie scharf.

Das siehst Du doch ein, nicht wahr?

Sie heiratete in Dixieland. Große Hochzeit. Sie kannte sehr viele Leute.

Mit dem Herannahen des Hochzeitstags nahm ihre unterdrückte Hysterie zu. In ihrem Bedürfnis nach Respektabilität wurde sie geradezu streitsüchtig. Sie griff Eliza aufs schärfste an, weil sie gewisse zweifelhafte Dinge in Dixieland dulde.

»Mama, aber um Himmels willen, Mama! Wie kannst Du solche Existenzen hier im Haus vor den Augen Hugos und seiner Angehörigen wohnen lassen?! Was müssen sie von uns denken?! Kannst Du denn nicht einmal meine Gefühle in diesem Punkt respektieren?! Guter Himmel! Mußt Du denn zu meiner Hochzeit das Haus voller Schneppen haben?« Ihre Stimme war überschrien und schrill. Sie weinte beinahe.

»Aber Kind«, sagte Eliza mit bekümmerter Miene. »Was meinst Du denn? Ich habe nie das Geringste bemerkt.«

»Bist Du denn blind? Alle Welt redet davon! Die beiden leben in wilder Ehe zusammen!«

Diese letzte Bemerkung bezog sich auf den Stand der Dinge zwischen einem verschwenderischen jungen Alkoholiker und einer dunkel-schönen, leicht tuberkulösen Frau.

Eugen wurde mit der Aufgabe betraut, diese Dächse aus dem Bau zu graben. Er hockte sich starrsinnig vor die Tür der Schönen und sah zu, wie die Schatten in der Türritze tanzten. Nach sechs Stunden endlich ergaben sich die Belagerten. Der Mann kam heraus. Eugen, bleich, aber stolz auf das in ihn gesetzte Vertrauen, sagte dem Menschen, der das christliche Heim verunglimpft hatte, daß er ausziehen müsse. Der junge Alkoholiker, ziemlich besoffen, willigte freudig ein. Er zog sofort aus.

Mistress Pert blieb bei dem großen Hausputz verschont.

»Alles in allem genommen«, erklärte Helene, »was wissen wir über sie? Die Leute sollen reden, was sie wollen. Ich hab die Fatty gern.« Farne, Blumen, Topfpflanzen, Geschenke und Gäste trafen ein. Das langweilige Gedröhn des presbyterianischen Seelenhirten. Die dichtgedrängte Menge. Das triumphante Getös des Hochzeitsmarsches.

Blitzlichtaufnahme: Hugo Barton neben seiner Frau, mit starrausdruckslosen Augen, erschreckt. Gant, Ben, Lukas, Eugen, breitmäulig grinsend wie Hammel. Eliza, hoch bekümmert und sorgenvoll. Mistress Selborne, ein subtil-geheimnisvolles Lächeln. Pearl Hines, keß, glückhaft lachend.

Als es vorüber war, hingen Eliza und ihre Tochter einander in den Armen. Sie weinten.

Eliza wiederholte über und über, von Gast zu Gast:

»Ein Sohn bleibt Sohn bis er freit,

Eine Tochter bleibt Tochter auf Lebenszeit.«

Sie war getröstet.

Die beiden flohen schließlich aus dem Gedräng der Gratulanten. Mit bleichen Gesichtern, ganz von Sinnen vor Angst, stiegen Mister und Mistress Hugo Barton in ein geschloßnes Auto. Sie fuhren ins Battery Hills Hotel für die Nacht. Ben hatte die Hochzeitssuite für sie bestellt. Und morgen: Flitterwochen! Ein Honigmond am Niagara.

Ehe sie abfuhren, küßte das Mädchen Helene den kleinen Bruder Eugen mit einer Zuneigung, die wie von einst war.

»Wir sehn uns im Herbst, Lieberchen, Du kommst rüber und besuchst uns, sobald Du Dich dort eingewöhnt hast.«

Denn: –

Hugo Barton begann sein neues Leben an einem neuen Ort. Er zog in die Hauptstadt des Staates. Und es war bereits – hauptsächlich von Gant – bestimmt, daß Eugen die Staatsuniversität besuchen sollte.

Aber Hugo und Helene gingen nicht auf die geplante Hochzeitsreise am nächsten Morgen. Mitten in der Nacht, als sie in Dixieland zu Bett lag, war Mistress Barton die Ältere heftig erkrankt. Sie spie und spie. Dieses eine Mal hatte ihr massiver Verdauungsapparat die schweren Zumutungen, die sie beim Hochzeitsmahl an ihn gestellt hatte, zurückgewiesen. Sie war auf den Tod krank.

Schnell kehrten am frühen Morgen Hugo und Helene auf die Szenerie des fahlen Flitters und der angewelkten Lilien zurück. Helene schmiß ihre ganze Lebenskraft in die Fürsorge für die Kranke. Dominant, furios, alles bewältigend. Sie blies ihr Leben in die Alte. Drei Tage später war die Kranke außer Lebensgefahr. Aber die vollkommne Wiederherstellung war langwierig, widerlich, peinvoll. Tag um Tag verging, und das um seine Flitterwochen betrogne Mädchen wurde bittrer und bittrer. Sie kam aus dem Krankenzimmer gefegt und erschien bei Eliza in der Küche mit schmerzlich verkrampftem Gesicht:

»Dieses verdammte, alte Weib! Manchmal glaub ich wahrhaftig, sie hat es mit Absicht getan. Mein Gott! Kann ich denn nicht ein bißchen Glück im Leben haben? Werden sie mich nie in Ruhe lassen? Uäh! U-u-uäh! Sie kotzt und kotzt und kotzt!« Ihr gutes bacchantisches Lächeln spielte lose über ihr großes unglückliches Gesicht … »Um Gottes willen, Mama, wo kommt nur das Zeug all her?« Sie grinste unter Tränen. »Ich steh die ganze Zeit mit dem Putzlumpen da und zieh auf, was sie ausgekotzt hat. Ich flehe Dich an, Mama, sag mir wie lang das noch dauern kann!«

Eliza lachte schlau, fuhr sich, mit dem Finger unter den breitangesetzten Nasenflügeln her.

»Aber Kind«, sagte sie, »um alles in der Welt! Ich hab' so was auch noch nie erlebt. Sie muß das Zeug seit einem halben Jahr aufgespart haben.«

»Bestimmt«, sagte Helene und sah lächelnd ins Leere. »Wenn ich nur wüßte, wo es herkommt! Soweit hat sie alles ausgespien, ich warte nur noch drauf, daß sie ihre Nieren kotzt.«

»Bäh!« kreischte Eliza und schüttelte sich vor Lachen.

»He-le-ne! o He-le-ne!« Mistress Bartons Stimme drang matt in die Küche.

»Ach, scherdichzumteufel!« knurrte Helene leis vor sich hin. »Uäh! U-u-uäh!« Sie brach plötzlich in Tränen aus. »Wird es denn immer so sein? Ich glaub' manchmal, daß Gottes Zorn auf uns liegt. Papa hat recht.«

»I wo!« sagte Eliza, benetzte ihren Zeigefinger und fädelte einen Zwirnfaden gegen das Licht ein. »Ich würde mich einfach nicht weiter um sie bekümmern. Ihr fehlt ja nichts. Das ist lauter Einbildung!« Elizas tief eingewurzelte Überzeugung war, daß die meisten menschlichen Krankheiten, außer ihren eignen, »lauter Einbildung« wären.

»He-le-ne!«

»Ich komme!« rief Helene vergnügt. Sie grinste Eliza an, ehe sie hinausging. Es war komisch, es war gräßlich, es war furchtbar.

Es schien in der Tat, als ob Papa recht hätte und als ob der himmlische Oberwolkenschieber, der oft in Hymnen besungne, den unsre bittren Modernen manchmal den »uralten Possenreißer« genannt haben, seinen Zornblick auf ihre Geschicke geworfen habe.

Es fing an zu regnen, unaufhörlich zu regnen.

Es stürmte, schüttete, goß. Der Regen fiel endlos auf die starkriechenden Berge, das Gras und das Grün auf den Hängen ertrank, die lehmige Erde löste sich auf, die kleinen Felsbäche schwollen zu gelben Sturzfluten an. Es kam zu Erdrutschen, Hänge wurden unterhöhlt, Wege verschüttet, Erdbänke weggewaschen. Der Eisenbahndamm wurde weggeschwemmt. Über dem gurgelnden Wildwasser hingen die Schienen mit den Schwellen wie ein Gerippe in der Luft.

In Altamont war Hochwasser. Breit kam die Flut von den Bergen geströmt. Der kleine Fluß trat über und verwandelte sich in eine Wasserwüste, breit wie der Mississippi. Die ganze Talsohle wurde überrannt. Eisen- und Holzbrücken trieben wie welke Blätter auf den Wellen. Das ganze Eisenbahnviertel und die Leute, die dort wohnten, standen vorm Ruin.

Die Stadt war von der Außenwelt abgeschnitten. Nach drei Wochen, als der Fluß wieder in seine Ufer zurückgetreten war, stiegen Hugo Barton und seine junge Frau in den großen Buickwagen. Sie fuhren fort. Auf ausgewaschenen Straßen, über gebrechliche Notbrücken fuhren sie fort durch das von der Wasserwut zerstörte Land. Sie machten ihre Hochzeitsreise, die kein Höhepunkt mehr war; sie wollten ihre schon welkgewordnen Flitterwochen genießen.

»Entweder er geht dorthin, wo ich ihn hinschicke, oder er geht überhaupt nicht«, erklärte Gant bündig.

Somit war es beschloßne Sache, daß Eugen auf die Staatsuniversität gehen mußte.

Eugen wollte nämlich nicht auf die Staatsuniversität.

Seit zwei Jahren hatte er mit Margaret Leonard romantische Pläne geschmiedet. Seinen zukünftigen Bildungsgang stellten sie sich so vor: – Zwei Jahre in Vanderbilt College oder auf der Universität von Virginia (weil er noch so jung wäre), – dann zwei Jahre in Harvard – und schließlich (nachdem er so leicht ins Paradies gelangt wäre) ein oder zwei Jahre in Oxford, England, um die Sache zu krönen.

John Dorsey Leonard, begeistert von diesem Plan, erklärte zwischen zwei Löffeln Dickmilch: »Dann, Jungchen, ja dann kann ein Mann anfangen, von sich zu behaupten, daß er wirklich ›kultiviert‹ ist. Dann natürlich«, fügte er großzügig hinzu, »dann sollte er ein Jahr oder so auf Reisen gehn …«

Aber die Leonards waren noch gar nicht bereit, ihn ziehen zu lassen.

»Du bist noch so jung, Eugen«, sagte Margaret. »Kannst Du nicht Deinen Vater überreden, daß er noch ein Jahr wartet? Du hast ja noch so viel Zeit vor Dir.« Ihre Augen wurden dunkler, als sie das sagte.

Gant war nicht umzustimmen.

»Er ist alt genug«, sagte er. »Als ich so alt war, hatte ich mir schon jahrelang den Unterhalt verdient. Ich bin ein alter Mann und werde nicht mehr lang mitmachen. Ehe ich sterbe, möchte ich es noch erleben, daß er sich einen Namen macht.«

Aufschub kam für ihn nicht in Betracht. In seinem jüngsten Sohn sah er die Hoffnung, daß sein Name in Lorbeeren überleben würde. In den politischen Lorbeeren, die er so hochschätzte. Er wollte, daß aus seinem Sohn ein weitblickender, großer Staatsmann würde, ein Mitglied der Republikanischen oder der Demokratischen Partei. Die Wahl der Universität war daher für ihn Sache der politischen Ratsamkeit, der praktischen Klugheit. Er gründete sein Urteil auf die Vorschläge seiner politischen und juristischen Freunde.

»Er ist alt genug, und seine Vorbildung ist abgeschlossen«, erklärte Gant, »und nun geht er auf die Staatsuniversität. Eine andre Universität kommt nicht in Frage. Die Staatsuniversität ist so gut wie jede andre. Außerdem wird er dort Beziehungen anknüpfen und Freunde finden, die ihm sein Lehen lang beistehn.« Er sah Eugen bitter-vorwurfsvoll an. »Es gibt sehr wenige Jungen«, sagte er, »denen eine solche Gelegenheit geboten wird. Und Du solltest erkenntlich sein, anstatt die Nase zu rümpfen. Höre auf mich: eines Tages wirst Du mir dafür danken, daß ich Dich gerade dorthin geschickt habe. Also: Du gehst dorthin, wo ich Dich hinschicke, oder Du gehst überhaupt nicht. Verstanden? Das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit.«

Dritter Teil

XXVIII

Eugen war nicht ganz sechzehn, als er auf die Universität zog. Er war damals annähernd zwei Meter groß und wog dabei kaum mehr als 120 Pfund. Er war fast nie krank gewesen, aber das schnelle Wachstum hatte sehr an seinen Kräften gezehrt. Er war ungestüm und heftig, aber sein Vorrat an Energie war bald erschöpft. Er ermüdete schnell.

Er war ein Kind, als er fortzog, ein Kind, das viel Schmerzliches und Schlimmes gesehn hatte und ein Phantast, ein Idealist geblieben war, ein Kind, das in der Schlüsselburg seiner Träume hauste. Zwar hatte er spotten und die Nase rümpfen gelernt, aber sein geheimes Leben blieb völlig unangetastet. Immer und immer wieder war er mit den grauen Tatsächlichkeiten des gemeinen Daseins in Berührung gekommen, seine grausamen Augen hatten keine einzige Gebärde mißdeutet, sein gepreßtes und bittres Herz hatte in ihm geglost wie ein Eisenbarren in der Schmiedesse, aber all die harterworbnen Einsichten zerschmolzen wieder im Licht seiner Phantasie. Zwar war er kein Kind mehr, wenn er nachdachte, aber wenn er träumte war er eines; und das traumselige Kind war es, das die Herrschaft über sein Wesen innehatte und behielt. Vielleicht gehörte er zu einer älteren, einfacheren Art Mensch, nämlich zu den Mythenschöpfern. Für ihn war die Sonne eine herrliche Lampe, die ihm den Weg zu großen Abenteuern erhellte … Er glaubte an ein tapfres, heldisches Leben. Er glaubte an die seltnen Blumen des Zartsinns und der Menschlichkeit. Er glaubte an Schönheit und Ordnung und war überzeugt, daß er durch diese Mächte das Wirrsal des Daseins bannen könne. Er glaubte an Liebe, an die Güte und Reinheit der Frauen. Er glaubte an den Adel des Denkens und erwartete von sich selber, daß er, ganz wie Sokrates, nichts Niedriges oder Gemeines in der Stunde der Gefahr tun werde. Er stand im Überschwang seiner Jugend, so daß er glaubte, er könne nie sterben.

Vier Jahre später, als er die Universität absolviert hatte und seine Jünglingsjahre hinter ihm lagen, brannte der Kuß der Liebe und des Todes auf seinen Lippen … und er war immer noch ein Kind.

Als es schließlich feststand, daß Gants Wille in der Sache unbeugsam war, sagte Margaret Leonard zu ihm:

»Dann also mußt Du Deiner Wege gehn, Junge, und Gott schütze Dich!«

Sie sagte das ganz ruhig. Dann sah sie einen Augenblick lang Eugens lange, dürre Gestalt an, wandte sich feuchten Blicks ab und sagte zu John Dorsey Leonard:

»Kannst Du Dir noch den Burschen in Kniehosen vorstellen, der vor vier Jahren zu uns kam? Kannst Du es glauben?«

John Dorsey Leonard lachte verlegen, trübselig, leer.

»Man faßt es nicht«, sagte er.

Als Margaret sich wieder an Eugen wandte, war eine Leidenschaft in ihrer Stimme, wie er sie nie zuvor gehört hatte:

»Du nimmst ein Stück von unserm Herzen mit, weißt Da das, Eugen?«

Sie nahm seine zitternde Hand zärtlich in ihre schmalen Finger, Er senkte den Kopf, schloß die Augen.

»Wahrhaftig, Eugen«, sagte sie, »wir könnten Dich nicht mehr lieben, wenn Du unser eignes Kind wärst. Wir hätten Dich so gern noch ein Jahr bei uns behalten, aber nachdem das nicht sein kann, schicken wir Dich mit all unsern guten Hoffnungen fort. Ach, Junge. Du bist fein. Keine Faser ist an Dir, die nicht fein wäre. Und das Licht des Genius liegt hell auf Dir. Gott schütze Dich, die Welt gehört Dir!«

Diese stolzen Worte von Liebe und Ruhm waren Musik für ihn; strahlende Triumphvisionen zogen auf, und heiße Scham über seine verborgnen Wünsche brannte in ihm. Er war begehrlich, aber sein Herz schrak vor der Sünde zurück. Ein Tierschrei zwängte ihm die Kehle, jäh löste er seine Hand ans der ihren und fuhr sich an die Gurgel.

»Sie müssen nicht denken …« stammelte er. »Ich bin ja nicht …« Aber er konnte nicht weitersprechen. Alles in ihm drängte zur Beichte.

Später, als er von ihr weggegangen war, brannte der leise Kuß, der erste, den sie ihm gegeben hatte, wie ein feuriger Ring auf seiner Wange.

In diesem Sommer stand er Ben näher als je zuvor. Sie hausten zusammen im selben Zimmer in der Woodson Street. Lukas war nach Helenes Hochzeit nach Pittsburgh in die Westinghouse-Elektrizitätswerke zurückgekehrt.

Gant wohnte noch im alten Wohnzimmer, aber die übrigen Räume hatte er an eine muntre, grauhaarige Witwe von vierzig Jahren vermietet. Sie besorgte den Haushalt aufs beste; besondere, zärtliche Aufmerksamkeit aber schenkte sie Ben. Nachts fand Eugen die beiden unter den Reben auf der Terrasse; er hörte Bens ruhige Rede und sein kurzes, leises Lachen; er sah den Bogen, den Bens brennende Zigarette im Dunkel beschrieb.

Ben, der Stille, war noch stiller, noch mürrischer geworden. Seine Braue war tiefer, finsterer gerückt. Schweigsamer noch schlich er im Haus umher. Im Gespräch mit Eliza war er kurzangebunden und von bittrer Verächtlichkeit. Mit Gant unterhielt er sich überhaupt nicht. Sie grüßten einander, und das war alles. Und sahen sich dabei nicht in die Augen. Eine große Scham, die Scham zwischen Vater und Sohn, die geheimnisvolle Scham jenseits der Mutterschaft, die allen Männern die Lippen versiegelt, diese Scham hatte sie voreinander stumm gemacht.

Aber mit Eugen sprach Ben nun häufiger und mehr, als er je mit ihm gesprochen hatte. Nachts, vor dem Schlafengehn, lagen sie auf ihren Betten, lasen und rauchten, und all der Schmerz und die Bitterkeit von Benjamin Gants Leben brach in heftigen Anklagen durch. Ben fing mit verstockter Schwerfälligkeit zu sprechen an; langsam und stolpernd, ganz wie beim Lesen, brachte er die Worte hervor, aber seine Stimme wurde schneller und leidenschaftlich, wenn er ins Reden kam.

»Sie haben Dir wohl gesagt, was für arme Leute sie wären, was?« fragte er und warf den Zigarettenstummel weg.

»Ja«, sagte Eugen, »ich muß halt vorsichtig mit dem Geld umgehn.«

»Ah, bah!« lachte Ben fast lautlos und zog einen bittern Mund.

»Papa sagte mir, daß viele Studenten sich als Kellner oder so durchbringen. Vielleicht kann ich da auch Arbeit finden.«

Ben stützte sich auf den dünnen, behaarten Unterarm, wandte sich um und sah Eugen voll ins Gesicht. »Hör mal, Eugen!« sagte er streng. »Sei so kein verdammter Hanswurst! Du wirst jeden Cent nehmen, den Du von ihnen kriegen kannst!« verlangte er grimmig.

»Immerhin«, erklärte Eugen, »ich habe Grund, ihnen dankbar zu sein. Sie tun was für mich. Jedenfalls hängen sie mehr Geld an mich als an Euch andre.«

»Du Idiot!« Ben runzelte verächtlich und angewidert die Stirn. »Bildest Du Dir tatsächlich ein, daß sie das für Dich tun? Sie tun es für sich selber. Sie rechnen damit, daß etwas aus Dir wird, so daß sie eines Tages die Ehre dafür einheimsen können. Ohnehin hetzen sie Dich zwei Jahre zu früh ins Studium. Hör auf mich! Du nimmst jeden Cent, den Du von ihnen bekommen kannst. Wir übrigen Kinder haben ja nie was gekriegt, aber Dir gönn' ich von Herzen alles, was Dir zusteht. Verstanden? Mein Gott!« rief er wütend aus, »ihr Geld nützt keinem Menschen was; da haben sie's auf der Bank liegen, bis es verrottet. Nein, Eugen, wenn Du dort auf der Universität merkst, daß Du schlechter gestellt bist als die andern Studenten, dann schreibst Du dem Alten um mehr Geld. Verdammt nochmal! Hier im Städtchen hast Du den Kopf nie hochtragen können; also fang dort nicht damit an, daß Du auf die Gelegenheit verzichtest.«

Er zündete eine Zigarette an und rauchte in schweigsamer Verbitterung vor sich hin.

»Zur Hölle mit dem ganzen Betrieb«, knurrte er schließlich. »Wozu in Gottes Namen leben wir denn überhaupt?«

XXIX

Eugen war allein, verzweifelt allein.

Aber die Universität war ein bezaubernder, ein unvergeßlicher Ort. Sie lag in dem Dorfe Pulpit Hill, ungefähr in der Mitte des großen Staats. Die Studenten reisten mit der Bahn bis zu der trübseligen Tabakstadt Exeter und fuhren von dort die 18 Kilometer mit dem Bus oder im Auto nach Pulpit Hill. Die Gegend, wellig mit Feld und Wald, war von einer rohen, großartigen Häßlichkeit. Aber die Universität lag herrlich in einer bukolischen Wildnis auf dem langgezognen Tafelberg, der sich steil aus dem flachhügligen Land erhob. Oben angekommen war man plötzlich am äußersten Ende der langen Hauptstraße, die anderthalb Kilometer lang zwischen Fakultätshäusern durchs Dorf zur Universität hinführte. Der zentrale Kampus war ein großer, welliger Parkrasen mit herrlichen alten Bäumen. Ein Karree von schönen, alten Backsteinbauten, kurz nach dem amerikanischen Freiheitskrieg errichtet, stand am äußersten Ende. Um diese Mitte gruppierten sich weitere Bauten in jenem üblen neo-hellenischen Stil, in dem man heutzutage, vermutlich aus pädagogischen Gründen, so gern Schulen ausführt. Und dahinter kam die dichte Waldwildnis: ihr Geruch wehte über den ganzen Ort; man spürte die Entlegenheit, den Zauber des Isoliertseins. Eugen verglich Pulpit Hill einem vorgeschobnen, von der Wildnis umlauerten Vorposten des alten Rom.

In dieser herrlichen Umgebung konnte ein junger Mensch behaglich und vergnügt vier üppige und träge Jahre zubringen. Da war weiß Gott Einsamkeit genug für mönchischen Fleiß, aber die romantische Atmosphäre hätte selbst einen Bücherwurm vom Studieren abgebracht. Die Studenten bummelten und genossen die Freiheit. Mit aller Energie, allem Enthusiasmus ereiferten sie sich für gesellschaftliche Angelegenheiten und die kleine Universitätspolitik. Sie stellten Sportmannschaften zusammen, gründeten Glee-Clubs, Diskussions-Clubs, Amateurtheater-Clubs. Und sie führten große Reden. Immer und überall redeten sie; sie standen unter den Bäumen und schwatzten, sie standen vor den efenüberwucherten Mauern und schwatzten, sie hockten auf ihren Buden und schwatzten. Sie schwatzten den ungegliederten, breiten, trägen, unaufhörlichen, reizvollen, gedankenlosen Schwatz, der in den alten Südstaaten zuhaus ist: – sie redeten großzügig und leichthin über Gott und den Teufel, über Philosophie und Mädchen, über Politik und Sport, über akademische Bruderschaften und nochmals über Mädchen … o Gott ja! wie sie schwatzten, was für Reden sie führten.

Ehe sein erstes Studienjahr um war, hatte Eugen vier- oder fünfmal die Bude gewechselt. Am Schluß des Lehrjahrs hauste er allein in einem großen, kahlen Zimmer ohne Teppich. So zu wohnen war eine Seltenheit in Pulpit Hill, denn die Studenten lebten meist zu zweien oder zu dreien zusammen. In jenem Zimmer begann für Eugen eine räumliche, anfangs schwer zu ertragende Isolation, die ihm später zum unerläßlichen Bedürfnis des Körpers und Geistes wurde.

Eugen lebte in einer kleinen Welt. Aber die Schäden und Mißstände dieser Welt, mochten sie auch noch so unerheblich scheinen, erzeugten tiefgehende, verheerende Wirkungen in seinem Wesen. Er hatte keine Freunde; stolz und hochfahrend zog er sich in seine Zelle zurück, blindlings widersetzte er sich dem Gemeinschaftsleben, das ihn umgab.

In dem ersten, bittren und verzweifelten Herbst fing Eugens Bekanntschaft mit Jim Trivett an.

Jim Trivett, Sohn eines reichen Tabakpflanzers aus dem Osten des Staates, war ein gutmütiges Rauhbein von zwanzig Jahren. Er war ein stattlicher Bursche, machte aber keinen gewinnenden Eindruck. Sein grober, vorgeschobener, dicklippiger Mund stand immer ein wenig offen und lächelte lose und leer; man sah seine schlechten Zähne; die Mundwinkel waren von Kautabakspeichel verschmiert. Er hatte hellbraunes, trocknes Haar, dessen widerspenstige Zotteln sich nie ordentlich legen ließen. Er zog sich auffallend an; nach dem billigen, furchtbaren Geschmack der damaligen Mode: – enge Hosenröhren, die drei Zentimeter über den Halbschuhen freiließen und heruntergerollte Socken bloßstellten; – langschößige Röcke mit einem Halbgürtel im Kreuz; – breite Umlegekragen aus gestreifter Seide. Unter dem Rock trug Jim Trivett einen Sportsweater mit den eingewirkten Nummern der höheren Lehranstalt, die er besucht hatte, ehe er auf die Universität zog.

Jim Trivett wohnte mit drei anderen Studenten aus seiner Vaterstadt zusammen in einem Lodging-House, ganz in Eugens Nachbarschaft, etwas näher am Westtor der Universität. Die vier jungen Herren, die sich der Sicherheit und Kameradschaft halber zusammengeschlossen hatten, hausten in zwei unaufgeräumten, von kleinen gußeisernen Öfchen zu einer trocknen Backofenhitze überheizten Zimmern. Ständig trafen sie die ernsthaftesten Vorbereitungen zur Arbeit, aber sie schafften nie etwas. Man trat entschlossen ein, verkündigte, daß man auf morgen höllisch zu büffeln habe, richtete gemächlich die Bücher her, rückte die Lampe richtig, spitzte umständlich die Bleistifte, ging zu dem hochroten Öfchen und schürte tüchtig nach, rückte den Stuhl zurecht, setzte einen Augenschirm auf, putzte die Pfeife, stopfte sie, zündete sie an, zündete sie abermals an, leerte sie aus … und hörte dann mit einem Seufzer der Erleichterung, daß jemand an die Tür klopfte.

»Rein in die gute Stube! Gott verdammt nochmal!« erschallte die gastfreie Aufforderung.

»Hallo, Eugen! Nimm 'nen Stuhl und setz Dich!« sagte Tom Grant. Er war ein dicker, vierschrötiger Kerl, gutmütig, dumm und träg; dichtes, schwarzes Haar über der niedern Stirn; auffallend angezogen.

»Habt Ihr geschafft?«

»Zum Teufel ja!« rief Jim Trivett. »Geschuftet hab' ich wie der Sohn einer Hündin.«

»Armer Junge, eines Tages wirst Du uns an Überarbeitung eingehn«, sagte Tom Grant und drehte sich langsam nach ihm um. Er schüttelte betrübt den Kopf und lachte: »Wenn Dein Alter wüßte, wie fleißig Du sein Geld verstudierst, verdammt noch mal, er bekäm' sicher 'nen Leistenbruch vor Aufregung!«

»Du kennst Dich doch mit dem Englischen aus, Langbein«, sagte Jim Trivett zu Eugen.

»Was er nicht weiß, kannst Du hinten auf 'ne Briefmarke schreiben'«, sagte Tom Grant.

»Ich muß 'ne lange Klausurarbeit machen, aber mir fällt weiß Gott nichts ein«, erklärte Jim Trivett.

»Warum sagst Du das mir?« fragte Eugen. »Soll ich sie Dir etwa schreiben?«

»Ja«, sagte Jim Trivett.

»Schreib Deine verdammte Arbeit selber«, sagte Eugen mit gemimter Härte. »Ich schreib sie Dir nicht. Aber helfen will ich Dir, wenn ich's kann.«

Tom Grant wandte sich an Eugen: »Sag mal, wann ziehst Du mit dem ›harten Knaben‹ nach Exeter, Langbein?« fragte er und blinzelte zu Jim Trivett, dem »harten Knaben«, herüber.

Eugen errötete; die Frage war ihm peinlich.

»Jederzeit, wann's ihm paßt«, erklärte er.

»Schau her, Langbein«, sagte Jim Trivett anzüglich grinsend. »Meinst Du das ernst oder ist es Bluff?«

»Ich sag Dir's ja, daß ich mitmache«, sagte Eugen ärgerlich. Er zitterte ein wenig.

Tom Grant schmunzelte schlau zu Jim Trivett hinüber.

»Das wird 'nen Mann aus Dir machen, Eugen«, sagte er. »Junge, dann wachsen Dir Haare auf der Brust.« Er lachte unbeherrscht vor sich hin, wackelte mit dem Kopf dazu, als schüttle er sich über einen heimlichen Gedanken.

Jim Trivetts loses Lächeln wurde anzüglicher, deutlicher.

»Herrje, sie werden dort denken, der Frühling wäre gekommen, wenn sie das Langbein sehn. Sie brauchen 'ne Leiter, um zu ihm 'raufzukommen.«

Tom Grant lachte feist und laut. »Sicher!« sagte er.

»Also wie steht's damit, Eugen?« fragte Jim Trivett unvermittelt. »Ist die Sache abgemacht? Samstag?«

»Paßt mir«, sagte Eugen.

Als er gegangen war, schmunzelten die beiden einander an. Durstig. Wohlgefällig. Die Verführer zur Unkeuschheit.

»Hör mal, harter Knabe«, sagte Tom Grant. »Du solltest es lieber nicht tun. Du bringst den Jungen auf Abwege.«

»I wo, es wird ihm nichts schaden, im Gegenteil, es wird ihm gut tun«, erklärte Jim Trivett. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, grinste.

»'nen Augenblick«, flüsterte Jim Trivett. »Ich glaube, das ist das Haus.«

Sie standen in einer schmutzigen, unerleuchteten Seitenstraße fast am Rande der Stadt; ihre Füße raschelten im welken Laub. Es war drei Wochen vor Weihnachten. Sie waren ungefähr zwanzig Minuten gegangen, vom Zentrum der muffigen Tabakstadt weg durch herbstlich dumpfe, nebelkalte Straßen, schließlich einen ausgefahrnen Hügel hinunter, an Hütten vorbei, in denen armes, weißes Gesindel und Neger wohnten. Nun hielten sie vor einem zweistöckigen Holzhaus. Hinter heruntergelassenen Fensterblenden brannte Licht; ein gelber Widerschein glomm in die rauchige Luft hinaus.

»'nen Augenblick«, sagte Tim Trivett, »ich will mich erkundigen.«

Es kamen Schritte durchs welke Laub. Ein Neger erschien vor ihnen.

»Hallo, John!« sagte Jim Trivett fast unhörbar.

»'nAwen', Boß!« sagte der Neger, schläfrig, ebenso leis.

»Wir suchen das Haus von Lily Jones«, erklärte Jim Trivett. »Sind wir da recht?«

»Ja, Suh«, sagte der Neger, »da sein es.«

Eugen lehnte an einem Baumstamm und hörte das leise Verschwörergeflüster an. Die Nacht war weit, lauernd und lauschend wie das böse Gewissen. Seine Lippen waren kalt und bebten, er klemmte eine Zigarette dazwischen. Ihn schauderte; er schlug den Mantelkragen hoch.

»Miss Lily, weiß sie, Sie kommen?« fragte der Neger.

»Nein«, sagte Jim Trivett. »Kennen Sie sich aus?«

»Ja«, sagte der Neger, »gehn Sie mit!«

Eugen wartete unter dem Baum. Jim Trivett und der Neger gingen ums Haus und pochten an die Hintertür.

Er wartete. Er sagte sich selbst lebwohl. Er spürte, daß er mit gezücktem Morddolch über seinem Leben stand. Er war unentwirrbar verstrickt. Ein Entrinnen gab's nicht.

Von drinnen waren schwache Geräusche gekommen, Stimmen, Gelächter, das heisere Kratzen eines alten Grammophons. Nun verstummten sie plötzlich. Das Haus schien aufzuhorchen. Einen Augenblick später ging eine Tür, Eugen hörte eine erstaunte Frauenstimme, die leise und verwirrt fragte: »Wer ist da? Wer?«

Gleich darauf kam Jim Trivett zurück und sagte: »Alles in Ordnung, Eugen. Komm, gehn wir 'rein!«

Jim Trivett gab dem Neger ein Trinkgeld, dankte ihm. Eugen sah dem Schwarzen einen Augenblick in das breite, freundliche Gesicht. Es wurde ihm wärmer. Der dunkle Zutreiber hatte seine Arbeit willig und gern getan; über der gekauften, lieblosen Liebe lag der Schatten seines Wohlwollens.

Sie gingen stillschweigend ins Haus. Eine Frau hielt die Tür auf und riegelte ab, sobald sie eingetreten waren. Sie befanden sich in einer kleinen Diele; eine Lampe mit heruntergeschraubtem Docht brannte matt im Halbdunkel. Eine Holztreppe führte zum zweiten Stock hinauf. Rechts und links waren Türen in die Zimmer des Erdgeschosses. Ein abgetragner Herrenfilzhut hing auf dem langen Kleiderhaken.

Jim Trivett umarmte die Frau sofort, grinste, knutschte ihr die Brüste.

»Hallo, Lily«, begrüßte er sie.

»Jesses!« sagte sie. Sie lächelte mit grobem Mund und sah Eugen neugierig von der Seite an. Dann sagte sie lachend:

»Barmherziger! Die Frau, die den da kriegt, muß ihm erst ein Stück von den Beinen abschneiden.«

Jim Trivett grinste. »Ich möcht' ihn mal mit der Thelma sehn«, sagte er.

Lily Jones lachte heiser. Die Tür rechts ging auf, und die kleine leichtgebaute Thelma erschien. Aus dem Zimmer schallte ein leeres, blödes Männerlachen. Jim Trivett umarmte Thelma.

»Jesses!« sagte Thelma mit blecherner Stimme. »Wen hast Du denn dabei?« Sie wandte Eugen ihr scharfgeschnittnes Vogelgesicht zu und musterte ihn unverschämt.

»Ich hab Dir 'nen neuen Verehrer mitgebracht«, sagte Jim Trivett.

»So 'nen Schlanken hast Du sicher noch nicht gesehn«, sagte Lily Jones unbeteiligt. »Wie lang bist Du eigentlich, Sohn?« fragte sie gutmütig.

»Ich weiß es nicht genau«, sagte Eugen. »Ungefähr zwei Meter.«

»Mehr!« erklärte Thelma entschieden. »Ein Lügenmaul will ich heißen, wenn er nicht zwei Meter zehn mißt.«

»Er hat sich halt seit 'ner Woche nicht gemessen«, sagte Jim Trivett. »Drum weiß er's nicht genau.«

»Und jung ist er«, sagte Lily und starrte Eugen an. »Wie alt bist Du, Sohn?«

Eugen wandte sein bleiches Gesicht ab, unentschieden.

»Wieso?« sagte er. »Ich werde schon …«

»Er wird achtzehn«, sagte Jim Trivett ergeben. »Macht Euch keine Gedanken wegen ihm. Das alte Langbein da keimt sich aus. Er ist 'ne Bierkatze. Spaß beiseite, der weiß, wie man's macht.«

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18+
Litres'teki yayın tarihi:
13 kasım 2024
Hacim:
2761 s. 2 illüstrasyon
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9788075830562
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