Kitabı oku: «Weiterglauben», sayfa 3

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2. Der offenbar verborgene und verborgen offenbare Gott

Dreimal bittet Mose Gott, er möge sich ihm und dem Volk neu zuwenden und sich zeigen, und dreimal antwortet Gott ihm. In der dritten Antwort setzt Gott dreimal an:

„19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen“ (Ex 33,19-23).

Die Antwort ist paradox. Ja, Gott antwortet Mose abermals. Ja, Gott bekräftigt seine bisherigen Zusagen an Mose. Und mehr noch: Gott will und wird sich Mose noch einmal offenbaren. Gott sagt ja, ja und noch einmal ja. Und mittendrin sagt Gott auch einmal: Nein. Ausgerechnet dem zentralen Wunsch Mose, „zeige dich, lass mich deine Herrlichkeit sehen“, verweigert sich Gott: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen“ (33,20).

Was bedeutet diese paradoxe Antwort, dieses Ja und Nein? Zunächst einmal dies: Gott weist die Bitte des Mose nicht einfach ab. Er sagt nicht Nein und Basta. Mose darf so fragen. Es gehört zum Wesen des Glaubens, dass dieser nicht ein für alle Mal ein sicherer Besitz ist. Die Erinnerung an den Gott des Exodus ist allein keine Gewähr dafür, dass du mit Gott heil durch die Wüste kommst. Gott wendet sich Mose zu, er verheißt ihm die Erfahrung einer neuen Nähe. Gott kommt Mose denkbar nah. Und doch nicht wie gehofft: Sein Angesicht, seine Herrlichkeit wird Mose nicht sehen. Ja, Gott kommt ihm nah, er will seine Hand über Mose halten. Was für eine Geste der Zuwendung. Und zugleich: Gott umgibt ihn mit seiner Hand, damit Mose nicht sehen kann, wie Gott vorübergeht. Ja, Gott zeigt sich, er macht sich sichtbar. Aber was Mose sehen wird, ist, wie Gott davonzieht. Gott kommt ihm nah, doch sehen wird Mose nur, wie Gott sich wieder entzieht.

Es hat die Bibelausleger viel beschäftigt, wie realistisch die Schilderung gemeint ist. Was soll das denn heißen, dass Mose Gott von hinten sehen kann? Oder was bitte haben die Ältesten gesehen nach dem Bundesschluss am Sinai, wo es heißt: Und sie „sahen den Gott Israels. Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist“ (Ex 24,10). Hat Gott einen Körper, mit Fußsohlen, Hand und Rücken? Heißt es nicht ganz eindeutig, dass man das Angesicht Gottes nicht sehen kann (Ex 33,20; vgl. auch Ri 6,22; 13,22 f.)? Widersprechen sich diese Texte?18

Man kann an dieser Stelle nicht einfach von Widersprüchen reden. Zu plan- und absichtsvoll stehen diese scheinbar gegensätzlichen Linien nebeneinander. Diese Unklarheit ist für die Offenbarung Gottes wesentlich. So offenbart sich Gott: offenbar verborgen und verborgen offenbar.

3. Geheimnis des Glaubens

Wenn wir von Gott reden, rühren wir an ein Geheimnis. „Gott wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann“ (1Tim 6,16). Ja, Gott teilt sich den Menschen mit, durch die Schöpfung, durch die Propheten, schließlich durch seinen Sohn, durch Jesus Christus. Aber er bleibt darin stets unverfügbar, so, wie es im Blick auf den Heiligen Geist heißt: „Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt“ (Joh 3,8). Was wir uns am Beispiel des Volkes Israels und Moses klargemacht haben, gilt für alle biblischen Geschichten. Gott redet, handelt, greift ein – und dies stets so, dass alles, was man hört, sieht und spürt, zweideutig bleibt. Ganz grundsätzlich kann Paulus sagen: „Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen“ (2Kor 5,7). Nicht, dass es nichts zu sehen gibt, aber in dem, was zu sehen ist, wirklich Gott zu erkennen ist noch einmal etwas Anderes als das, was mit bloßem Auge zu erkennen ist. Diese Spannung lässt sich nicht auflösen. Gott macht sich anschaulich und bleibt doch unsichtbar, er lässt sich berühren und bleibt doch ungreifbar. Davon sind letztlich alle Einsichten des Glaubens geprägt.

Der Apostel Paulus macht diese Spannung durch eine Metapher deutlich: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild“ (1Kor 13,12).

Mit dieser doppelten Metapher macht Paulus zweierlei deutlich: 1. Unsere Gotteserkenntnis ist grundsätzlich indirekt.19 Wir sehen und erkennen Gott nie unmittelbar, sondern wie durch einen Spiegel. Gott wird sichtbar vermittelt durch Begebenheiten wie einen brennenden Dornbusch, durch Texte, durch Bilder und Geschichten. Jesus redete immer wieder in Gleichnissen und Bildern vom Reich Gottes (Mk 4,33). Alle Gotteserkenntnis ist immer indirekt.

2. Unsere Gotteserkenntnis ist bildhaft. Das „dunkle Bild“ der Lutherübersetzung steht eigentlich für: in Rätseln. Wenn wir jemandem sagen: Du sprichst in Rätseln, meinen wir: Kapier‘ ich nicht, sag es jetzt noch mal klar und deutlich. Paulus würde sagen: Ja, ich spreche in Rätseln, aber nicht, weil ich mich nicht klar ausdrücken will oder kann, sondern weil ich von Gott rede. Gott sprengt alle unsere Worte, alle unsere Gedanken. Darum können wir von Gott nicht anders reden als in Rätseln.

Immer gibt es diesen doppelten Abstand zur göttlichen Wirklichkeit. Alle unsere Erkenntnis als solche ist nur annäherungsweise Gotteserkenntnis. Und sie ist grundsätzlich indirekt, vermittelt und daher immer zu unterscheiden von einer unmittelbaren Kenntnis.

Was wir uns mit Hilfe der biblischen Geschichte und anhand einiger Aussagen des Apostels Paulus vor Augen geführt haben, hat grundsätzliche Bedeutung für die Ausgangsfrage in diesem Buch. Gar nicht so wenige Menschen sagen heute: Ja, ich wurde christlich erzogen, ich habe als Kind oder als Jugendlicher geglaubt. Jetzt tue ich das nicht mehr. Denn der christliche Glaube ist überholt. Er ist nicht zeitgemäß. So sagen und sehen das diese Menschen, und das Tragische ist m. E. Folgendes: Diese Menschen verwechseln ihren eigenen Kinderglauben mit dem christlichen Glauben als solchem. Sie haben Gott kennengelernt in einer bestimmten Gestalt, in einem altersgemäßen Horizont. Und dann haben sie sich als Menschen weiterentwickelt, viel Neues erfahren und gelernt. Irgendwann haben sie gemerkt, dass ihr christlicher Glaube aus Kinder- und Jugendzeiten nicht mehr passt zu dem, wie sie inzwischen die Welt und sich selbst betrachten. Und leider gibt es christliche Gruppen, die genau dazu ermutigen: bloß nicht weiterdenken, bloß keine gefährlichen Fragen zulassen, dass du ja nicht deinen Glauben verlierst … Und genau auf diesem Weg verlieren viele Menschen ihren Glauben.

Manchmal ist der Glaube einfach nicht auf neue Herausforderungen eingestellt. Es gibt Menschen, deren Glaube ungeheuer tragfähig war in Lebenskrisen. Er bot Halt, gab Kraft, er stützte, stabilisierte. Und sie sind dankbar dafür. Und nun sind diese Menschen in einer neuen Lebensphase, einem Lebensabschnitt, wo es nicht darum geht zu überleben, standzuhalten, sondern zu bauen, zu gestalten. So habe ich das von manchen früheren Pfarrern gehört, die in den Erfahrungen des Krieges gelernt hatten, sich mit ihrem Glauben in größter Lebensgefahr zu bewähren. Ihr Konfirmandenunterricht war darauf eingestellt, den jungen Christen eine eiserne Ration mitzugeben: Wenn ihr in Kriegsgefangenschaft kommt, dann braucht ihr eine tragfähige Grundlage. Viele Jugendliche fragten sich in der Nachkriegszeit heimlich: Und wenn ich nicht nach Stalingrad muss? Wenn es nicht darum geht, durchzuhalten – sondern leben zu lernen in einer Nachkriegsgesellschaft mit unendlich vielen Möglichkeiten? Was bedeutet Glaube denn dann?

Und manchmal ist es umgekehrt: Menschen haben einen heilen Glauben mitbekommen. Einen Glauben, der sie leicht und fröhlich umhüllte wie ein Frühlingskleid, dessen Muttersprache Dankbarkeit war, der ihr schönes Leben bereicherte und vertiefte, solange sie behütet waren in einer weit überwiegend liebevollen Umgebung. Und später führte ihr Weg sie in ihre ganz persönliche Wüste, auf ungewohnte Bahnen, ins Unwegsame und Ausweglose. Und alles, was sie an Glauben je kennengelernt hatten, bot ihnen keine Worte für die Erfahrung von Leere, Enttäuschung und Frustration.

Viele Menschen erleben auf die eine oder andere Weise solche neuen Herausforderungen. Ich halte diese Geschichte von der Gottesbegegnung des Moses für eine ungeheure Hilfe in solchen Phasen der Umgestaltung. Denn wir können hier eine wesentliche Unterscheidung lernen. Gott ist immer größer als alle bislang bewährten Erfahrungen. Manchmal wachsen Christen heraus aus alten Gewissheiten. Manche Gewissheiten sind aufgebraucht, bestimmte Geschichten sind auserzählt. Sie haben in einer bestimmten Lebensphase getragen, jetzt tun sie es nicht mehr. Manchmal wachsen ihnen neue Herausforderungen über den Kopf. Und in beiden Fällen ist es entscheidend, sich dem Wandel zu stellen, ohne sich von der Angst lähmen zu lassen, den Glauben oder Gott zu verlieren.

Gott ist größer. Du kriegst keinen Gott zum Anfassen. Und zugleich steht dieser Text auch dafür: Gott ist näher. Gott lässt dich nicht los. Er hält die Treue, über alles Zweifeln und Scheitern hinweg. Es gibt Neuanfänge. Du kannst weiterglauben, weil Gott mit dir weitergeht, hinein in neue Herausforderungen, in neue Erkenntnisse. Wie er sich in Jesus Christus ganz neu eingelassen hat auf das menschliche Leben, so begleitet er Menschen durch alle Herausforderungen und Wandlungen ihres Lebens hindurch. Größer, als wir fassen, näher, als wir uns vorstellen können.

Gott begibt sich in den jeweiligen Horizont der Menschen und sprengt diesen zugleich. Als der nahe Gott ist er ungreifbar. Er macht sich verständlich und bleibt unergründlich. Ist das widersprüchlich bzw. unlogisch? Nein. Es ist paradox, mit einem biblischen Wort: geheimnisvoll. Dieses Staunen vor dem Geheimnis Gottes zieht sich durch die Bibel. Bevor Paulus im Römerbrief zu den praktischen Fragen des christlichen Lebens übergeht, schließt er den theologischen Teil seines Schreibens mit einem Lobpreis des geheimnisvollen Gottes ab:

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen“? (Jesaja 40,13.) 35 Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?“ (Hiob 41,3.) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen (Röm 11,33-36).

Diese Erkenntnis ist uralt und vielfach formuliert. Vorbildlich hat die christliche Kirche des Westens diese Einsicht im 4. Laterankonzil im Jahr 1215 in einer Weise formuliert, die bis heute als grundlegend angesehen werden kann.

„Zwischen Schöpfer und Geschöpf lässt sich keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen nicht noch eine größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“20

Zunächst drückt diese Aussage die Überzeugung aus: Wir können über Gott reden, weil es zwischen Gott und Mensch so etwas wie eine Ähnlichkeit gibt. Wenn Gott den Menschen zu seinem Bilde geschaffen hat, dann ist Gott uns nicht total und völlig fremd. Dann können Menschen mit menschlichen Worten, Bildern und Gedanken über Gott reden, dann können sie Gott als Vater und Mutter, Herr und Freund, Quelle und Licht bezeichnen, wohl wissend, dass Gott noch einmal anders und mehr ist, aber: Es besteht eine Ähnlichkeit zwischen dem, was wir sagen, und Gott selbst. Aber: Es gibt nicht nur diese Analogie, diese Ähnlichkeit, sondern eben auch eine Unähnlichkeit; und die ist größer. Wer von Gott spricht, kann dies zuversichtlich wagen – und zugleich auch nur in aller Demut.

Ein solches Verständnis des Glaubens wendet sich gegen zwei Missverständnisse: Wir haben Gott nie im Griff. Wir stehen aber auch nicht vor einem absoluten Rätsel. Diese doppelte Abgrenzung ist natürlich eine Zumutung, denn die beiden anderen Lösungen sind sehr viel griffiger. Entweder wir sind uns unserer Sache sicher; weil die Kirche es so lehrt, weil die Bibel es so sagt – dann können wir klar und eindeutig bekennen, Klartext reden. Wenn das nicht möglich ist – dann sollte man vielleicht besser ganz verstummen. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schrieb einmal: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“21 Auch das wäre eine klare und eindeutige Lösung.

Das wäre gut und schön, wenn es nicht um Gott ginge. Von Gott reden – das bringt uns Menschen in eine heikle Situation. Wenn Gott sich mitteilt, wenn er von Anfang an das Wort bei sich hat (Joh 1,1 ff.), kann es keinen Verzicht auf Denken und Erkenntnis geben. Die biblischen Texte sind nicht irrational und vernunftfeindlich. Christen können und sollen sich gemeinsam verständigen über das, was sie glauben. Die Bekenntnisse der Kirchen sind der geronnene Ausdruck dessen, was Christen gemeinsam zu verstehen glauben und was sie miteinander bezeugen.

So wenig die Christenheit auf gemeinsames Zeugnis verzichten kann, so wenig darf sie die Differenz zwischen ihrem Bekennen und der Wirklichkeit Gottes kaschieren.

4. Gott ist größer – Gott ist näher

Gott ist größer als alle unsere Gedanken über ihn, er entzieht sich all unserem Begreifen – und zugleich kommt er uns ganz nah. Im Grunde ist das unstrittig. Als der Jerusalemer Tempel eingeweiht wird, spricht der König Salomo ein Gebet, das diese Spannung schön auf den Punkt bringt: „Sollte in Wahrheit Gott bei den Menschen wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen“ (1Kön 8,27). Beides muss gesagt werden. Gott ist größer als alles, was ihn umfassen soll. Kein Tempel, kein Vergleich und keine Theorie können ihn vollständig erfassen. Und doch wird dieser Gedanke zur Falle, wenn ihm nicht die andere Wahrheit zur Seite steht: Er will in Wahrheit bei uns wohnen, er ist uns näher als wir selbst. Er ist nicht einfach restlos unverfügbar, unsagbar, undenkbar. Nur beides miteinander wird Gott gerecht. Das meint Geheimnis: Gott ist unergründlich und gut; er ist Liebe – und wohnt in einem unzugänglichen Licht. Er übersteigt alle unsere Worte und lässt sich doch fassen in Kindergebeten und -reimen.

Christen glauben so, sie wissen eigentlich, dass sie das glauben. Aber sie vergessen so leicht, dass sie diese Spannung niemals auflösen dürfen. Rechtes Reden von Gott wäre kenntlich an der Stimmung. Unsere Worte wären getragen von einer Mischung aus Zuversicht und Demut. Die großen Gegensätze unserer Zeit − die Formen fundamentalistischer Religion, in der „der Glaube“ in einer völligen Objektivität gegeben und einfach zu akzeptieren und umzusetzen ist; und die individualistische Patchwork-Religion, wo man nur akzeptiert, was sich gerade jetzt gut anfühlt − sind einander viel ähnlicher, als beide voneinander glauben. Auf den ersten Blick erscheinen sie völlig gegensätzlich, einmal völlig subjektivistisch, einmal ganz objektivistisch. Und doch ähneln sie einander. Beide kennen im Grunde nur eine Gefahr. Beide Modelle setzen auf das unmittelbar Einleuchtende, entweder auf das persönlich Ansprechende oder auf das vermeintlich objektiv Vorgegebene. In beiden Modellen verzichtet man auf die produktive Spannung zwischen dem Gegebenen und seiner persönlichen Verarbeitung. Reifer Glaube ist nicht „einfach“, weder im subjektivistischen noch im objektivistischen Sinn. Reifer Glaube setzt sich auseinander mit der Tradition, den überlieferten Geschichten der eigenen Erzählgemeinschaft – und ist sich der Herausforderung bewusst, dass echtes Verstehen immer etwas Neues ist.

Worum es m. E. geht, möchte ich abschließend im Gespräch mit dem Buch Metaphorische Wahrheit, der Doktorarbeit des katholischen Theologen Johannes Hartl, klären. In ausführlicher Auseinandersetzung mit wichtigen theologischen und philosophischen Strömungen der Gegenwart geht es Hartl letztlich um die Einsicht, die im Zentrum dieses Kapitels steht: Von Gott reden können wir gar nicht anders als metaphorisch, also zeichenhaft, symbolisch, vermittelt über Bilder und Geschichten.22 Hartl beschreibt, dass es sich dabei um eine herausfordernde Einsicht handelt. Im Theologiestudium habe er gemerkt, dass sich viele darauf einlassen – und dabei nach und nach merken, dass ihr bisheriges wörtliches oder buchstäbliches Bibel- und Glaubensverständnis naiv und unreflektiert war. Nicht wenige verlieren über dieser Einsicht jegliche Glaubenszuversicht. Und ja, so würde ich aus meiner Erfahrung bestätigen, das gibt es, dass TheologInnen lernen, über religiöse Kommunikation zu reflektieren, und darüber fast verlernen, selbst religiös zu denken und zu sprechen. Das Reden über religiöses Reden kann bis in die religiöse Sprachunfähigkeit führen. Auf der anderen Seite sieht Hartl eine andere problematische Reaktion: Für eine andere „Gruppe von Menschen gefährdet die Theologie den Glauben eher, als dass sie ihm dient. Wahrer Glaube ist in dieser Glaubensweise gerade nicht von rationaler Reflexion geprägt, sondern vom Vertrauen auf die Bibel, die Tradition, das Lehramt. Diese Sicht könnte man als ‚verteidigte erste Naivität‘ bezeichnen: eine Weltsicht, die naiv ist, weil sie sich nicht hinterfragen lassen möchte. […] Im Bereich des Religiösen entspricht ihr etwa der Glaube an die wortwörtliche Wahrheit der Bibel und der Dogmen, die völlig fraglose Einteilung der Welt in wahre und falsche Aussagen mit den Aussagen der religiösen Sprache als eindeutig zu den wahren gehörend. Eine solche Haltung geht einher mit dem festen Glauben an gewisse moralische Prinzipien und religiöse Handlungen.“23

Hartl lässt keinen Zweifel daran, dass er eine solche Haltung für theologisch unzureichend hält. Die kritischen Einsichten der Theologie, dass alle unsere Gedanken über Gott eben unsere Gedanken sind, unsere Bilder und Deutungen, kann im schlimmsten Fall das Vertrauen auf Gott, die persönliche Hingabe, untergraben. Es wäre verheerend, die vermeintliche Naivität der Frömmigkeit einfach nur aufzulösen. Entscheidend sei daher die Einsicht, dass man von Gott gar nicht anders reden kann als metaphorisch oder symbolisch und dass solche Rede von Gott ganz und gar biblisch und angemessen ist. Nötig sei daher eine zweite Naivität, ein neuer Glaube an die alten Bilder und Geschichten der Bibel. Eine solche „(metaphorische) Theologie lädt ein zu einer Hermeneutik des Vertrauens. Sie ermöglicht einen rational verantwortbaren Wiedereinstieg in die religiöse Bildwelt – wissend, dass es sich um eine Bildwelt handelt, doch darob ohne Scham. Und trotz allem in neuem, festem Glauben an die Wahrheit dieser Bilder.“24

Der Grundthese Hartls stimme ich voll und ganz zu, ebenso seinem Anliegen, dass TheologInnen über ihren Einsichten aufpassen müssen, sich nicht nur noch im Reden über das Reden vom Glauben zu verstricken. Auf diesen Gedanken legt Hartl am Ende seines Buches den Hauptakzent. Wenn das Studium der Theologie dazu führt, dass seine Absolventen eine für die normalen Christen verständliche Sprache des Glaubens verlieren, ist das ein erhebliches Problem.

An dieser Stelle möchte ich einen Schritt weitergehen. Es mag stimmen, dass die große Mehrheit der Christen in Geschichte und Gegenwart naiv geglaubt hat bzw. glaubt, oft ohne Bewusstsein für den bildlich-indirekten Charakter der eigenen Gedanken über Gott.

Es ist allerdings auch ein Problem, wenn erwachsene Gläubige ihre Gottesvorstellungen mit Gott selbst verwecheln, wenn ihnen jedes Bewusstsein dafür fehlt, ihre Einsichten als das Stückwerk zu erkennen, das es ist. Dass alle unsere Worte zu kurz greifen, dass all unsere Einsicht nur eine Annäherung an das Geheimnis Gottes ist, das ist eine wesentliche Erkenntnis, die viele Christenmenschen dringend nötig haben. Daher möchte ich stärker betonen: Theologie ist nicht nur eine Gefahr, sie ist auch eine echte Chance. Ja, theologische Impulse können desillusionierend, verunsichernd wirken, letztlich aber auch befreiend.

In seiner letzten großen Vorlesung, wenige Wochen vor seinem Tod, erinnerte der große katholische Theologe Karl Rahner an die in diesem Kapitel besprochene klassisch kirchliche Lehre, dass alle Rede von Gott analog sei.25 Rahner macht deutlich, dass das unter Theologen unterschiedlicher Richtungen völlig unstrittig ist, fährt dann aber fort: Diese Einsicht wird im Alltag viel zu oft vergessen. Alles, was wir sagen, müssen wir immer aufheben in Richtung auf das Geheimnis Gottes, das er selbst ist.

In zweierlei Hinsicht halte ich diese Einsicht heute für nötig. Erstens kann sie Christen helfen, mit eigenen Zweifeln, Fragen und Entwicklungen gelassener umzugehen. Es ist keine Katastrophe, wenn mich Gedanken über Gott, die mich in meiner Jugend begeistert haben, auf einmal kaltlassen oder befremden. Es ist nicht schlimm, wenn mir manche ehemalige Gewissheit heute als mindestens einseitig erscheint.

Zweitens kann die Einsicht in die Gebrochenheit aller Erkenntnis und Rede über Gott dabei helfen, Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen leichter zu ertragen. In Zeiten der Polarisierungen schaffen es verschiedene Gruppen von Christen nicht, die anderen als Brüder und Schwestern zu sehen – weil sie hier oder dort vielleicht irren mögen. Wie selbstverständlich kann Jakobus sagen: „Wir irren alle mannigfaltig“ (Jak 3,2). Wenn wir damit rechnen, dass alle unsere Gedanken nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln sind, sondern höchstens annäherungsweise stimmen, könnten wir anders denkende Christen anders betrachten. Diese Gruppe von Christen – man möge wahlweise an Fundamentalisten oder Relativisten, streng Konservative oder sehr Liberale denken – mag in die falsche Richtung gehen. Aber kann es sein, dass sie etwas vor Augen haben, was ich übersehe? Dass sie für etwas eintreten, und wenn auch auf problematische Art und Weise, dessen Wert sich mir zu meinem Schaden noch nicht erschlossen hat? Was ist, wenn die anderen wenigstens ein wenig recht haben? Wenn ich nicht alles, aber doch etwas von ihnen lernen könnte?

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