Kitabı oku: «Sherlock Holmes und die ägyptische Mumie», sayfa 2

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Doch wo würde diese Explosion erfolgen? Mein Gehirn arbeitete intensiv. Es musste ein Ort sein, an dem der Trauerzug eng zusammenrückt, an dem aber auch die Möglichkeit einer unbeobachteten Zündung bestand. Dafür gab es auf dem Friedhof nur eine geeignete Stelle: Auf dem Weg vom Haupttor zur Grabstelle auf der Ostseite musste der Zug durch den Tunnel unter der Swain’s Lane. An seinem Ende würde die auslösende Detonation erfolgen, woraufhin auch das Dynamit im Sarg explodieren würde. Die dahinter gehende Gruppe hätte keine Chance. Immerhin – ich würde wenigstens nicht lebendig begraben werden.

Der Wagen mit meinem Sarg rollte unaufhaltsam weiter über den holprigen Friedhofsweg. Als ich bemerkte, dass sich bei mir langsam defätistische Gleichgültigkeit breitmachte, wurde mir klar, dass der Sauerstoff zur Neige ging. Offenbar waren Seelenfrieds hochwertige Särge sogar luftdicht.

Ich mobilisierte nochmals alle verfügbaren Kräfte und stieß mit den Schuhspitzen meiner zusammengebundenen Füße gegen den Sargdeckel. Einmal, zweimal, dreimal. Ich warf mich verzweifelt hin und her, um gegen die Seitenwände zu prallen. Ich klopfte mit den Kniescheiben gegen die Abdeckung, schließlich sogar mit meiner Stirn.

Und endlich blieb der Wagen stehen. Stimmen waren zu vernehmen, dann wurde von außen an den Sargdeckel geklopft. Ich antwortete mit letzter Kraft und einem heftigen Stoß mit meinen Füßen. Die Stimmen wurden lauter und aufgeregter, dann wurde am Sarg geschraubt. Schließlich, nach einer weiteren halben Minute, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, öffnete endlich jemand den Deckel – ich war niemals zuvor so froh gewesen, das Gesicht von Holmes zu sehen.

Er nahm mir sofort den Knebel ab, woraufhin ich wieder durchatmen konnte. Mit Holmes Hilfe richtete ich den Oberkörper auf, drehte mich um und sah, dass wir keine 20 Yards mehr vom Tunnel entfernt waren. Es war höchste Zeit gewesen.

»Holmes«, keuchte ich, »am hinteren Ende des Tunnels verbergen sich Attentäter, mindestens zwei.«

Dann sank ich wieder auf die samtene Liegefläche des Sarges zurück und verlor abermals das Bewusstsein.

***

Was unmittelbar danach geschah, erfuhr ich nur aus Erzählungen: Während Herr Engels für meinen Transport ins Spital sorgte, kletterten Holmes, Liebknecht und die drei Schwiegersöhne von Marx über die Mauern in den Ostteil des Friedhofes. So umgingen sie den Tunnel und überraschten die lauernden Attentäter, die tatsächlich nur zu zweit waren, von hinten. Angesichts der Übermacht und Holmes’ Revolver leisteten sie keinen Widerstand. Als sie sich als Angehörige der deutschen Geheimpolizei zu erkennen gaben, ließ es sich Liebknecht nicht nehmen, beiden eine pädagogische Ohrfeige zu erteilen – mit konspirativrevolutionären Grüßen an Kaiser und Kanzler in Berlin.

Dass sie diese auch überbringen können würden, stand außer Frage. Zwar übergab Holmes die beiden der Londoner Polizei, doch wie es im internationalen Spionagegeschäft üblich war, wurden sie wenig später gegen zwei britische Geheimagenten, die in Deutschland aufgeflogen waren, ausgetauscht und kehrten unbeschadet in ihre Heimat zurück.

Der Leichnam von Karl Marx hatte indessen das Bestattungsinstitut nie verlassen. Er war von den Tätern in einem unbenutzten Sarg im kalten Keller des Geschäftslokals versteckt und zwischengelagert worden – mehr noch: Als Holmes und Engels ihn mittels Hinweis der überführten Geheimpolizisten bargen, fanden sie darin auch den bedauernswerten Seelenfried, der im bewusstlosen Zustand ebenfalls hineingesteckt worden war. Eine Erfahrung, auf die der gute Mann gerne verzichtet hätte. Zu einem späteren Zeitpunkt hätten die Täter den Körper von Marx nach Deutschland bringen sollen, wo insbesondere sein Gehirn seziert und genau untersucht worden wäre, um Erkenntnisse über die menschliche Intelligenz und den revolutionären Geist zu gewinnen. Selbstredend ein aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht grober Unfug, den man sich nur in Deutschland ausdenken konnte. Aber dazu kam es nun ohnedies nicht.

Vielmehr wurde auch das Begräbnis zwar mit einiger Verspätung, aber doch noch in aller Würde und in Anwesenheit des Verstorbenen durchgeführt. Engels und Liebknecht sollen wunderbare Grabreden gehalten haben. Über die schwierigen Umstände der Zeremonie wurde die Öffentlichkeit nicht informiert.

***

Ich selbst erholte mich nur schleppend von den Ereignissen auf dem Friedhof. Die Erinnerung daran – an den Einschluss im Sarg und den bevorstehenden Tod – hatte traumatischen Charakter. Längere Zeit plagten mich Ängste, extreme Stimmungsschwankungen und Schlaflosigkeit. Erst jetzt, seit ich mich in psychologischer Behandlung bei Dr. Kurzmann befinde, ist mir eine schrittweise Aufarbeitung möglich. Ein Teil davon besteht darin, dass ich mich nun endlich durchgerungen habe, diesen Fall zu Papier zu bringen.

***

Wenige Monate nach den Ereignissen rund um den verschwundenen Leichnam von Karl Marx suchte uns Friedrich Engels eines Vormittags in der Baker Street auf. Er erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden und bedankte sich nochmals für unsere Tätigkeiten.

»Ich hoffe doch sehr«, scherzte ich, »Ihnen ist nicht wieder ein Freund abhanden gekommen, sei es tot oder lebendig.«

»Kein Sorge, Dr. Watson«, antwortete Engels, »in meinem Alter hat man den Großteil seiner Freunde ohnedies bereits überlebt. Nein, ich bin nur hier, um Ihnen persönlich unser neuestes, gerade druckfrisches Machwerk zu überreichen.«

Er nahm ein dickes Buch aus der Tasche und händigte es Holmes aus.

»Es ist die dritte Auflage des ‚Kapitals’, an der ich in den vergangenen Wochen sehr intensiv gearbeitet habe«, erklärte Engels. »Mit einer Vielzahl an Erweiterungen, Ergänzungen und Präzisierungen, die gewiss ganz im Sinne von Marx wären. Vielen Dank nochmals, Mr. Holmes, für Ihre diesbezüglichen Hinweise. Sie waren sehr wertvoll für die Überarbeitung.«

Holmes nickte bescheiden. »Ich bedanke mich, dass ich helfen durfte. Aber: Sie haben mich doch nicht etwa im Vorwort erwähnt?«

Engels winkte ab. »Nein, nein«, versicherte er, »alles, wie von Ihnen gewünscht.«

Ich war doch einigermaßen überrascht, denn über einen inhaltlichen Schriftverkehr mit Herrn Engels über das »Kapital« hatte mir Holmes nichts gesagt.

»Gegenwärtig bin ich übrigens dabei«, setzte Engels fort, »den Nachlass von Marx zu sichten. Sie müssen wissen, er hatte zumindest noch einen zweiten, vielleicht einen dritten Band des ‚Kapitals’ geplant und eine Unmenge an handschriftlichem Material hinterlassen. Trotzdem hoffe ich, mit dem Redigieren des nächsten Bandes binnen eines Jahres fertig zu sein. Sie würden doch auch vorab einen Blick auf das Manuskript werfen, wenn es so weit ist, nicht wahr?«

»Es wäre mir eine Ehre«, bestätigte Holmes.

Engels seufzte. »Danke. Es ist sehr schade, dass Sie und Marx einander nicht mehr persönlich kennen lernen konnten. Sie verfügen über ähnliche Charaktereigenschaften – die Akribie, der Überblick, die scharfsinnigen Schlussfolgerungen, die genaue Beobachtungsgabe. Marx hätte eine Freude mit Ihnen gehabt – und Sie gewiss auch mit ihm. Nun denn, ich darf mich verabschieden. Fräulein Demuth schätzt es nicht, wenn ich zu spät zum Lunch erscheine.«

Ich stand von meinem Stuhl auf und reichte Engels die Hand: »Auf Wiedersehen!«

Holmes geleitete unseren Gast noch zur Tür, einstweilen nahm ich die Neuauflage des »Kapitals« zur Hand. Auf der dritten Seite befand sich eine handschriftliche Widmung: »Für den brillanten Detektiv Sherlock Holmes und seinen überaus tapferen Kompagnon John Watson. In Bewunderung und Freundschaft: Frederick Engels.«

Als Holmes wieder zum Tisch zurückkam, legte ich das Buch beiseite und sah ihn fragend an: »Und? Bedauern Sie, Herrn Marx nicht gekannt zu haben?«

Holmes setzte einen düsteren Blick auf. »Keineswegs«, behauptete er. »Nach all dem, was ich über ihn weiß, dürfte Herr Marx zwar sehr intelligent gewesen sein, aber ansonsten ein notorischer Besserwisser, der es liebte, seine Freunde zu korrigieren und zu übertrumpfen. Mitunter überheblich, etwas weltfremd und unnahbar.«

Ich musste mir ob der exzellenten Selbstbeschreibung das Lachen verkneifen und antwortete nur: »In der Tat, Holmes! Mit solch einer Person wären Sie gewiss nicht gut ausgekommen. Nun die andere Frage: Wann wollten Sie mir denn mitteilen, dass Sie unter die Theoretiker des wissenschaftlichen Sozialismus gegangen sind?«

Holmes schüttelte den Kopf, nahm Platz und begann, seine Pfeife zu stopfen. »Davon kann keine Rede sein«, erklärte er, »nur ein paar Anmerkungen. Ich kann Ihnen versichern, mein guter Watson, dass ich ein entschiedener Befürworter des Kapitalismus bleibe.«

»Ich dachte, Sie halten den Kapitalismus für einen einzigen gigantischen Raubzug?«, erinnerte ich Holmes an seine eigenen Worte.

»Ganz recht«, entgegnete Holmes, »eben deshalb. Stellen Sie sich eine sozialistische Utopie vor, wie sie sich die Herren Marx und Engels ausmalen: Keine sozialen Unterschiede, kein nennenswertes Privateigentum, keine Armut und kein Reichtum, Wohlstand für alle, kein Neid, keine Laster, keine Ausbeutung und keine Unterdrückung, keine Banken, keine Grundeigentümer und keine Aristokratie, ja letzten Endes nicht einmal Geld im eigentlichen Sinn. All das würde auch eine massiv reduzierte Verbrechensrate implizieren. Mein lieber Watson, ich versichere Ihnen, in einer solchen Welt wären wir als Detektive arbeitslos. Mögen wir zeitlebens von der proletarischen Revolution verschont bleiben!«

Dann setzte er sein markantes spitzbübisches Lächeln auf und entzündete zufrieden seine Pfeife.

SHERLOCK HOLMES UND DIE KÖNIGLICHEN GÄRTEN

Im Südwesten von London, in Kew, befinden sich die königlichen botanischen Gärten. Es handelt sich um eine immense Parkanlage, mit künstlichem See, chinesischer Pagode und einer Vielzahl hübscher Gärtnereiarbeiten. Die Prunkstücke dieser weitläufigen Anlage sind jedoch die mächtigen temperierten Gewächshäuser, beeindruckende Konstruktionen aus Stahl und Glas, Sinnbilder der englischen Ingenieurskunst. Im Umfang vergleichbare tropische und subtropische Glashäuser gibt es lediglich in München und Wien, während das Berliner Pendant, dessen Skelett unsinnigerweise aus Holz errichtet worden war, zurecht ein Raub der Flammen wurde.

Was genau Holmes und mich nun eigentlich hierher verschlagen hatte, muss man folgendermaßen erklären, denn es handelte sich nicht um einen beruflichen Auftrag: Dr. Kurzmann, der sich zur therapeutischen Aufarbeitung meiner Erlebnisse vom Highgate-Friedhof meines Seelenlebens angenommen hatte, erachtete es als genesungsfördernd, wenn ich mindestens einmal wöchentlich einen geruhsamen Ausflug aufs Land oder an die Küste unternehmen würde. Als pflichtbewusster Freund hatte sich Holmes bereiterklärt, mich zu begleiten – allerdings machte er keinen Hehl daraus, dass dies widerwillig geschah. Da weder das Meer noch die englische Landbevölkerung zu seiner bevorzugten Umgebung gehörten, blieb Kew Gardens als eine Art Kompromiss. Holmes war dennoch ungehalten.

Wir befanden uns gerade auf dem Weg zum zentralen Palmenhaus, das zwischen 1841 und 1849 errichtet worden war und in dem tropische Pflanzen angesiedelt und gezogen wurden, als ich einen optimistischen Versuch unternahm.

»Nun, Holmes«, begann ich nach Minuten des Schweigens neuerlich ein Gespräch, »Was sagen Sie nun zu dieser prachtvollen Parkanlage?«

Holmes blieb stehen und drehte sich langsam um die eigene Achse, bis er mir wieder gegenüberstand. »Mein lieber Watson«, sagte er schließlich mit einem überraschenden Lächeln, »Sie erinnern sich doch noch daran, dass ich gesagt habe, dieser Ausflug würde mir bestimmt nicht gefallen?«

»Ja, natürlich«, antwortete ich erwartungsvoll.

Holmes blickte nochmals nach rechts und links, während seine Miene wieder ernste Züge annahm: »Ich hatte recht«, meinte er und setzte den Weg schnellen Schrittes fort.

Schlagartig wurde mir wieder bewusst, dass ich mir eigentlich untersagt hatte, falsche Hoffnungen zu hegen. Ich lief ein paar Schritte hinterher, bis ich mit Holmes wieder auf gleicher Höhe war.

»Aber Sie müssen doch zugeben«, keuchte ich, »dass die Gärten Ihrer Majestät in ihrer geordneten Vielfalt, in ihrer erstaunlichen Grazie und ihrer schieren Unbegrenztheit eine äußerst passende Metapher für das britische Empire darstellen.«

Holmes blieb abermals stehen. »Wenn Sie nach der Substanz des Empires suchen«, erklärte er, »dann halten Sie lieber Nachschau in walisischen Kohlebergwerken, in den Schiffswerften von Liverpool, den Textilfabriken von Manchester, den Stahlwerken von Glasgow oder den Kanonengießereien von Newcastle. Sollten Sie jedoch auf einer botanischen Allegorie beharren, so böte sich einzig eine fleischfressende Pflanze an.«

Nach kurzer Pause, die meinem Erstaunen ob dieser unerwarteten Aussage geschuldet war, knurrte ich: »Sie sollten Ihren Briefwechsel mit Herrn Engels einschränken!«, und beschleunigte nun meinerseits den Weg zum Palmenhaus. Dass ich damit Holmes in die Falle getappt war, der mich lediglich zum Schweigen bringen hatte wollen, wurde mir erst im Nachhinein bewusst.

Bald darauf erreichten wir das mächtige Glashaus inmitten des Parks und steuerten auf den Eingang zu. Doch bereits aus einiger Entfernung wurden wir einer Menschenansammlung gewahr, die den Zugang blockierte. Offenbar war das Palmenhaus kurzfristig geschlossen worden. Während Holmes vorschlug, umgehend die Heimreise anzutreten, wollte ich zumindest wissen, was der Grund für unseren verhinderten Rundgang durch den tropischen Dschungel war. Ich drängte mich durch die Menschengruppe hindurch, wobei ich Holmes hinter mir herzog. Tatsächlich fanden wir uns vor einer Absperrung wieder und bei der Eingangstür hatten zwei Sicherheitsbeamte Stellung bezogen.

»Was mag da los sein?«, fragte ich, während ich versuchte, einen Blick ins Innere des Palmenhauses zu erhaschen.

»Vermutlich benötigt der imperiale Glanz ein wenig Politur«, spottete Holmes. »Oder eine Borkenkäferinvasion ist zu bekämpfen. Jedenfalls werden wir das Glashaus heute nicht betreten.«

Holmes wollte sich bereits umdrehen und gehen, als einer der Sicherheitsleute auf uns zukam.

»Mr. Holmes?«, rief er. »Mr. Sherlock Holmes, der berühmte Detektiv?«

Der Angesprochene blieb stehen. »Ganz recht«, bestätigte er, »ich bin Sherlock Holmes und dies ist mein Kollege Dr. John Watson.«

Der Mann kam nun ganz nahe an die Absperrung und stellte sich vor: »Mein Name ist James Taylor. Ich leite das Sicherheitsteam von Kew Gardens.«

»Sehr erfreut«, entgegnete ich. »Was können wir für Sie tun?«

Mr. Taylor begann zu flüstern: »Wir sind im Palmenhaus mit einer äußerst unangenehmen, auch einigermaßen unappetitlichen Situation konfrontiert. Gleichzeitig wollen wir kein Aufsehen erregen…«

Ich blickte mich um. Die Menschenmenge hatte sich vergrößert, alle bemühten sich, etwas über die Vorgänge im Glashaus zu erfahren.

»Dafür dürfte es ein wenig zu spät sein«, stellte ich nüchtern fest.

Taylor seufzte. »Meine Herren«, erklärte er mit leiser Stimme, »es hat sich ein Vorfall ereignet. Im Palmenhaus wurde eine Leiche gefunden.«

Holmes’ Augen blitzten auf. Sollte sich sein leidvoller Ausflug ins Londoner Umland nun plötzlich als Gelegenheit zur Beschäftigung mit Mord und Totschlag erweisen, so wäre er augenblicklich versöhnt.

»Was Sie nicht sagen«, meinte er, nur vordergründig beiläufig. »Und Sie denken, es handelt sich um einen Todesfall mit Fremdeinwirkung?«

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Holmes«, antwortete Taylor, »aber das will ich doch sehr hoffen. In gewisser Weise zumindest. Andernfalls stünden wir vor noch mehr Rätseln…«

Holmes und ich blickten einander an. Er konnte bestimmt an meiner Miene ablesen, dass ich eine Fortsetzung des Spazierganges in Richtung Teich bevorzugen würde, hatte jedoch bereits seine unumstößliche Entscheidung getroffen.

»Nun gut«, erklärte er gegenüber Taylor, »nachdem wir schon einmal hier sind und ohnedies nichts anderes vorhaben, können wir uns die Sache ja zumindest ansehen!«

»Das wäre sehr freundlich und hilfreich«, antwortete Taylor, offenkundig erleichtert. »Ich habe gehofft, Sie würden dies vorschlagen.« Er öffnete vor uns die Absperrung. »Kommen Sie, ich bringe Sie zum Tatort.«

»Fundort«, korrigierte Holmes. »Einstweilen handelt es sich lediglich um den Fundort der Leiche.«

Taylor nickte. »Natürlich – aber dafür ist er umso bemerkenswerter. So einen Leichenfund haben Sie bestimmt noch nie gesehen!«

Er ging voran in Richtung Eingangstor, wo uns sein Kollege öffnete. Holmes folgte energischen Schrittes, während ich etwas widerwillig hinterhertrottete.

***

Als sich die Glastüre hinter uns schloss, war sofort der gravierende Klimawandel zu bemerken: draußen der englische Frühherbst, herinnen tropische Temperaturen bei immenser Luftfeuchtigkeit. Die Bedingungen erinnerten mich an den indischen Urwald. Aber das war wohl auch der Sinn der Sache.

Holmes ließ sich nichts anmerken. »Wo ist denn nun Ihre Leiche?«, fragte er merkbar ungeduldig.

Taylor ging abermals voraus. »Wenn Sie mir folgen wollen – wir müssen in den Westflügel.«

Im Gänsemarsch durchquerten wir die Gänge zwischen den wuchernden Pflanzen, links und rechts exotische Bäume, Sträucher und Blüten. Für mein mangelhaftes botanisches Wissen muss ich mich entschuldigen, doch waren gewiss ein paar Palmen und Orchideen darunter.

Schließlich kamen wir auf einer kleinen Lichtung an, die gleichzeitig eine Wegkreuzung markierte. In der Tat hatte Taylor nicht zu viel versprochen: Wir standen vor einer großen, mir gänzlich unbekannten Pflanze, deren trichterförmiger mittlerer Hauptteil gut eineinhalb Meter nach oben ragte und sich aufgrund der erhöhten Anpflanzung in etwa zweieinhalb Metern Höhe befand. Der imposante Trichter mit einem Querdurchmesser von vielleicht einem Meter dürfte eine Art Blütenstand sein und verströmte einen eher unangenehmen, leicht fauligen Geruch. Dass er oben offen und offenkundig recht stabil war, konnten wir indessen sofort erkennen, denn schließlich ragten zwei menschliche Beine heraus. Unsere Leiche befand sich kopfüber im riesigen Blütentrichter.

»Um Himmels Willen«, stammelte ich leise, während Holmes nüchtern konstatierte: »Ja, das ist neu.«

»Zum Glück«, erklärte Taylor, »haben wir dieses Schlamassel noch vor Öffnung des Palmenhauses entdeckt. Wir haben natürlich sofort Scotland Yard verständigt, doch es dürfte noch über eine Stunde dauern, bis deren Ermittler eintreffen.«

»Einstweilen sind ja wir hier«, sagte Holmes voller Zuversicht, woher auch immer er diese nahm. »Wir werden sehen, was wir bis dahin wissen. Zunächst stellt sich die Frage: Ist Ihnen der Tote bekannt?«

»Bedauerlicherweise, ja«, antwortete Taylor. »Ich habe es gleich an den Stiefeln gesehen: Es handelt sich um unseren Gärtnerlehrling, Mr. Palmer. Ein junger, schmächtiger Mann, körperlich wie geistig fast noch ein Kind. Seit gerade einmal zwei Wochen war er bei uns – zu Ausbildungszwecken. Der arme Junge!«

»Wenn sich Mr. Palmer noch in Ausbildung befand«, warf ich ein, »dann war er gewiss noch einigermaßen unerfahren. Kann es sich dann nicht um einen Unfall handeln?«

Holmes schüttelte entschieden den Kopf. »Wohl kaum«, entgegnete er. »Es müsste sich schon um eine äußerst unglückliche Verkettung unwahrscheinlicher Ereignisse handeln. Tatsache ist, Mr. Palmer wäre ohne Hilfe keinesfalls da hinaufgekommen, somit auch nicht hinein. Allenfalls hätte er eine Leiter benötigt, von der jedoch jede Spur fehlt. Es ist meines Erachtens vielmehr davon auszugehen, dass der leblose Körper im Blütenkelch deponiert wurde. Dass die Füße hervorragen, ist vermutlich gegebener Eile seitens des Täters geschuldet. Es handelt sich zweifelsfrei um Mord.«

»Das ist schwer zu begreifen«, stotterte Taylor mit bleichem Gesicht. »Mr. Palmer war bei allen beliebt, beim ganzen Personal. Er war so ein netter, fröhlicher Junge, immer hilfsbereit, immer ein Lächeln auf den Lippen…«

Bevor Taylor noch mehr ins Schwärmen geriet, lenkte ich die Aufmerksamkeit wieder auf ermittlungsrelevante Fragen: »Wer hat denn die Leiche gefunden?«

»Das war Mr. Blackwater auf seinem täglichen morgendlichen Rundgang«, antwortete Taylor. »Das ist mein Kollege, der draußen vor dem Eingangstor Wache hält. Sie haben ihn bereits gesehen.«

Holmes nickte. »Ah ja, ich erinnere mich. Wir werden später mit ihm sprechen müssen.«

»Selbstverständlich«, meinte Taylor. »Mr. Blackwater wird zu Ihrer Verfügung stehen. Einstweilen kann ich Ihnen sagen, dass er die hiesige Situation gegen halb neun Uhr in dieser Form vorgefunden hat. Sofort wurde ich verständigt, woraufhin ich hierher geeilt bin. Wir haben nichts verändert, sondern umgehend das Glashaus für die Öffentlichkeit gesperrt und die Polizei gerufen.«

Holmes ging auf der Lichtung ein paar Meter auf und ab. »Damit haben Sie natürlich alles richtig gemacht«, erklärte er und blieb wieder stehen. »Wer war zu diesem Zeitpunkt denn noch im Palmenhaus?«

Taylor musste nicht lange nachdenken. »Das waren nur zwei Personen«, antwortete er. »Der für das Palmenhaus zuständige leitende Gärtner, Mr. Greenfell, der auch Mr. Palmers Ausbildner ist … ich meine: war. Und Mr. Redwood, unser Tropenbotaniker und wissenschaftlicher Vorstand.«

Während ich mir selbst einen billigen Scherz über die namentliche Farbenpracht des Personals untersagte, war Holmes bereits wieder in Bewegung und murmelte ein paar unverständliche Worte vor sich hin. Taylor sah mich fragend an, ich versicherte ihm mit einem raschen doppelten Kopfnicken, dass dies schon in Ordnung sei.

»Nun gut«, verkündete Holmes, als er endlich direkt vor uns zu stehen kam. »Wir wollen mit der Befragung von Mr. Redwood beginnen! Wären Sie wohl so freundlich, Mr. Taylor, Ihren leitenden Botaniker herbeizuholen?«

»Selbstverständlich«, antwortete der Sicherheitschef. »Ich bin schon unterwegs.« Mit diesen Worten ließ er Holmes und mich allein.

***

Als wir nur noch zu zweit waren, zückte ich mein Taschentuch und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Die künstliche Tropenhitze setzte mir doch einigermaßen zu, während Holmes dagegen immun zu sein schien.

»Nun gut, werter Freund«, begann ich und lehnte mich mit dem Rücken an einen Pflanztisch. »Ich muss gestehen, die vorgefundene Situation gestaltet sich einigermaßen spektakulär. Trotzdem – oder eher gerade deshalb – sehe ich keinerlei Ansatzpunkt für vernünftige Ermittlungen. Das Ganze ist doch eher ein ziemliches Mysterium. Wäre es nicht ein tragischer Vorfall, so müsste man von grobem Unfug sprechen. Vielleicht sollten wir den Fall besser der Polizei überlassen?«

»Nur mit der Ruhe, mein lieber Watson«, entgegnete Holmes. »Wir dürfen uns von der befremdlichen Situation, die vermutlich auf einen gewissen Zeitdruck seitens des Täters zurückzuführen ist, nicht verwirren lassen. Wir gehen wie immer systematisch vor: Beobachtung, Analyse, Befragung, Schlussfolgerung. Einstweilen kennen wir noch nicht einmal die Todesursache, denn ein unglücklicher Sturz in den Blütenkelch, ob mit oder ohne Fremdeinwirkung, wird es nicht gewesen sein. Daher müssen wir die Leiche bergen und untersuchen. Außerdem wollen wir sehen, was die anderen Angestellten zu sagen haben.«

Wie so oft hatte Holmes natürlich recht. Den gemütlichen Ausflug ins Grüne – innerhalb und außerhalb des Glashauses –, den mir Dr. Kurzmann verschrieben hatte, konnte ich wohl oder übel abschreiben. In Holmes’ Begleitung war man offenbar auch in seiner Freizeit nicht vor Tod, Verderben und Verbrechen gefeit. Und so fügte ich mich in mein Schicksal.

»Schön«, sagte ich endlich, nach gebührender Nachdenkpause. »Wir haben also einen mutmaßlichen Mord in abgeschlossenen Räumlichkeiten, die allerdings recht weitläufig sind, äußerlich Glaswände und innerlich Dschungeldickicht aufweisen. Es verbleiben fünf Personen, wenn wir Mr. Taylor mitrechnen, mit Zugangsmöglichkeit zum Palmenhaus, einer davon ist tot. Folglich befände sich unter den anderen vieren der Täter.«

Holmes nickte. »Tadellos kombiniert und zusammengefasst«, attestierte er. »Und damit haben wir auch schon mehr Verdächtige, als wir brauchen.«

Im nächsten Moment kehrte Taylor zurück. In seiner Begleitung befand sich nun ein etwas älterer, professoral anmutender Mann: Der Botaniker Mr. Redwood, wie wir sogleich im Zuge der gegenseitigen Vorstellung bestätigt bekamen.

***

Redwood schien genervt zu sein von der Unterbrechung seiner sonstigen Tätigkeiten. Immer wieder strich er sich demonstrativ über den weißen Bart und putzte seine runden Brillengläser.

»Nun gut, Mr. Holmes«, erklärte er, »wie Sie sich vorstellen können, bin ich gemäß meiner Stellung ein viel beschäftigter Mann und trage ein hohes Maß an Verantwortung für die exotischen Anpflanzungen Ihrer Majestät. Stellen Sie Ihre Fragen, aber halten Sie sich kurz!«

Während ich ob dieses Mangels an Umgangsformen ein wenig irritiert war, ließ sich Holmes nicht aus der Fassung bringen.

»Wir wollen Ihnen gewiss nicht mehr Zeit stehlen, als nötig ist«, antwortete er ruhig. »Daher möchten wir gleich zur Sache kommen: Wo waren Sie, als heute Morgen der Tote im Blütenkelch entdeckt wurde?«

Redwood war sofort noch mehr entrüstet: »Sie verdächtigen mich, diese Tat begangen zu haben?«, rief er. »Das ist ja unerhört!«

»Aber keineswegs, Mr. Redwood«, versicherte Holmes. »Indem wir den Aufenthalt aller Angestellten festhalten, machen wir uns lediglich ein Bild über etwaige Zeugenaussagen, die zur Aufklärung beitragen könnten. Es steht Ihnen natürlich frei, jederzeit zu gehen – oder uns als potenzieller Zeuge behilflich zu sein. Als Akademiker verfügen Sie doch gewiss über eine hervorragende Auffassungsgabe und einen besonderen Intellekt, nicht wahr?«

Wenige Sekunden zögerte Redwood, dann siegte seine Eitelkeit: »In Ordnung, Mr. Holmes«, meinte er nun in freundlicherem Ton, »selbstverständlich stehe ich nicht an, Ihnen mit all meinen Fähigkeiten behilflich zu sein. Wie jeden Morgen befand ich mich um halb neun Uhr im Ostflügel, wo ich vor Öffnung der Pforten die Arbeit unserer Gärtner zu inspizieren pflege.«

»Gab es dabei irgendwelche Auffälligkeiten?«, fragte Holmes.

Redwood schüttelte den Kopf. »Nur das Übliche, Mr. Holmes. Sie wissen ja vermutlich, wie das mit Hilfspersonal und untergeordneten Assistenten ist. Unsere Gärtner sind einfache Leute, die wohl befähigt sind, ein Loch in der Erde zu graben, doch bei der sorgsamen Pflege außergewöhnlicher Pflanzen geraten sie bald an ihre geistigen und praktischen Grenzen.«

Holmes ignorierte diese unnötige Herabwürdigung nicht nur, sondern nickte sogar zustimmend. »Gute Mitarbeiter sind schwer zu finden«, bestätigte er. »Und gilt diese Kritik auch für das Opfer, Mr. Palmer?«

Redwood schnaubte wie ein Pferd. »Gerade für Palmer!«, erklärte er lauthals. »Ein naiver junger Kerl war das! Keine Ahnung von irgendwas, dumpf und lernresistent. Bei seinem Ausbildner war das aber auch kein Wunder…«

»Sie sprechen von Mr. Greenfell?«, warf ich ein.

»Ganz recht«, sagte Redwood, der sich nun wieder zu mehr Ruhe zwang. »Nicht nur einmal musste ich mich wegen seiner Inkompetenz beim Management beschweren.«

Holmes nahm diese Anschuldigung scheinbar ungerührt zur Kenntnis, obwohl dieser offensichtliche Konflikt ein deutliches Indiz bergen konnte. »Ich verstehe«, murmelte er nur. »Da Sie also am anderen Ende des Palmenhauses Ihrer gewissenhaften Tätigkeit nachgingen, haben Sie von der Tat nichts mitbekommen, wenn ich es richtig sehe.«

»So ist es«, antwortete Redwood. »Aber wenn Sie mich fragen, so würde es mich nicht wundern, wenn unsere Hilfsarbeiter untereinander in Streit geraten wären. Vermutlich wegen irgendeiner Unsinnigkeit wie einem Fußballspiel oder dergleichen. Gut möglich, dass auch Alkohol im Spiel war.«

Auch auf diesen Vorwurf ging Holmes nicht ein, sondern lenkte das Gespräch nun in eine gänzlich andere Richtung. »Mr. Redwood«, begann er nach kurzer Pause, »als führender Experte der Tropenbotanik können Sie mir bestimmt professionelle Auskunft über den ungewöhnlichen Fundort der Leiche erteilen: Um welche Pflanze handelt es sich hier?«

»Gewiss«, erklärte Redwood, der nun in seinem Element war und einige Schritte auf die Pflanze zuging. »Es handelt sich um Nepenthes penthesilea. Eine bemerkenswerte Vertreterin, erst vor wenigen Jahren im Amazonasgebiet entdeckt, aus der Gattung der Kannenpflanzen, zudem ein außergewöhnlich großes Exemplar. Natürlich eine Karnivore…«

»Also eine fleischfressende Pflanze?«, vergewisserte ich mich.

»Ganz recht, Dr. Watson«, bestätigte Redwood. »Die scheinbare Blüte bildet einen abgeschlossenen Kessel oder Kelch, der auch einen für bestimmte Insekten, Amphibien sowie kleine Säugetiere anziehenden Geruch verströmt. Dieser Pflanzenteil bildet eine Fallgrubenfalle: Ist ein Tier einmal hineingeklettert oder -gefallen, so verunmöglichen die glatten Innenwände jedes Entkommen. Sofort beginnen die Verdauungssäfte im unteren Bereich des Kessels mit der Zersetzung der Nahrung – bei lebendigem Leibe.«

»Ich hoffe doch sehr«, mischte sich nun Taylor ein, »der bedauernswerte Mr. Palmer wird nicht gerade verdaut.«

Redwood verzog das Gesicht ob dieser Bemerkung und beschränkte seinen Fokus weiterhin auf Holmes und mich. »Mr. Taylors naive Befürchtung ist natürlich unbegründet«, erklärte er. »Nur zum Vergleich: Eine normale Venusfalle benötigt für die Verdauung einer Stubenfliege eine ganze Woche. Auch wenn unsere Pflanze nun um ein Vielfaches größer ist, so bedürfte die Zersetzung eines menschlichen Körpers, rein theoretisch gedacht, mehrere Monate oder sogar ein Jahr – dem käme die natürliche Verwesung zuvor. In der Tat ernährt sich Nepenthes penthesilea von nichts Größerem als Fröschen oder allenfalls Mäusen.«

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