Kitabı oku: «Harter Ort», sayfa 2

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IV

Damp rieb sich die Augen, nahm die Beine vom Schreibtisch und streckte sich. Sein Rücken hatte zwei Stunden unbequemen Büroschlafs unbeschadet überstanden. Sein Blick fiel auf den leeren Schreibtisch mit dem riesigen Weihnachtsstern gegenüber. Dort hatte früher Hauptkommissar Stefan Rieder gesessen. Nun lag er im Koma in einer Klinik auf der dänischen Insel Møn. Nach Auskunft von Polizeidirektor Bökemüller waren die Chancen auf ein Erwachen oder auf eine Heilung gleich null.

Damps Mitleid hielt sich in Grenzen. Er gab Rieder die Schuld, dass sie beide vor knapp drei Monaten in der Ostsee beinah ertrunken wären, hätte sie nicht die Besatzung eines dänischen Fischkutters entdeckt und gerettet.

Sie hatten eine Mörderin verfolgt. Rieder wollte nicht auf Verstärkung warten und glaubte, Damp und er würden eine Verhaftung schon zuwege bringen. Aber da hatte sich Rieder überschätzt. Mit einem Komplizen hatte die Frau die beiden Polizisten überwältigt, gefesselt, dann in ein Paddelboot gesetzt und auf das Meer hinaustreiben lassen. Rieder hatte bei ihrer Rettung durch die dänischen Fischer das Bewusstsein verloren und bis heute nicht wiedererlangt. „So dicke hätte es nun für ihn auch nicht kommen müssen“, sagte Damp leise zu sich.

Damp selbst war mit einer Unterkühlung ins Marinekrankenhaus Flensburg ausgeflogen worden. Hinzu kamen Herzprobleme, weil ihn der Komplize mit einem Elektroschocker bearbeitet hatte. Nach drei Wochen Krankenhaus hatte er noch sechs Wochenin einer Rehaklinik im Harz zugebracht. Nun war er seit knapp drei Wochen wieder im Dienst. Sofort war allen aufgefallen, dass er deutlich abgenommen hatte. Fast zwanzig Kilo. Er wog nur noch knapp zwei Zentner und fühlte sich deutlich fitter als früher. Sicher würde er sich nicht am Inselmarathon beteiligen, aber er kam nicht mehr so schnell außer Atem.

Vor seiner Rückkehr hatte Polizeidirektor Bökemüller es ihm freigestellt, seinen Dienst auf Hiddensee wieder anzutreten, nach allem, was passiert war. Aber Damp wollte zurück, obwohl ihn die Einheimischen nicht leiden konnten. Zum einen, weil er von der Nachbarinsel Rügen kam. Mit den Rüganern verband die Hiddenseer eine innige Hassliebe. Zum anderen machten sie sich über seinen penetranten Ordnungssinn lustig. Gnadenlos bestrafte er jeden mit einem Bußgeld, dessen Fahrrad nicht verkehrstüchtig war. Und das tat er oft. Immerhin war das Fahrrad hier das Hauptverkehrsmittel. Autos waren verboten, ausgenommen einige Versorgungsfahrzeuge, von denen es allerdings zu Damps Leidwesen Jahr für Jahr mehr gab. Früher hatten nur Arzt, Feuerwehr und er Anrecht auf ein Auto gehabt. Ansonsten war alles per Pferdefuhrwerk oder Fahrrad transportiert worden. Und es war auch gegangen.

Hiddensee war Damp in den vielen Jahren ans Herz gewachsen. Früher hätte er sich das nicht eingestanden. Aber während seiner Kur war ihm das klargeworden. Wenn er abends in seinem Bett gelegen hatte, war es um ihn herum still gewesen. Da hatte ihm das Rauschen des Meeres gefehlt. Das Pfeifen des Sturms in den Dünen. Das Pferdegetrappel am Morgen. Das Schreien der Möwen. Damp hatte Heimweh bekommen.

Während seiner Abwesenheit hatte ihn eine junge Beamtin aus Bergen vertreten. Nelly Blohm. Damp vermutete, dass sie gehofft hatte, er würde nicht wiederkommen und sie könne sich auf seine Stelle bewerben. Damit war es nun Essig.

Damp hatte schon der eine Tag zur Übergabe gereicht, den er mit Nelly Blohm im Revier verbringen musste. Mangels aktueller Anzeigen und Vorkommnisse war nichts zu übergeben gewesen. Den ganzen Tag hatte ihn Nelly Blohm stattdessen mit ihrem Laptop genervt, um Damp die neue Software der Polizeidirektion zu erklären. Damp interessierten diese Computerprogramme nicht die Bohne. Er musste nur wissen, wie er Formulare für eine Anzeige oder einen Bußgeldbescheid auf dem Computer öffnen, ausfüllen und absenden konnte. Im letzten Jahr hatte er außerdem seine digitalen Kenntnisse um das Lesen und Schreiben von E-Mails erweitert. Das reichte seiner Meinung nach für die Amtsgeschäfte auf der Insel Hiddensee.

Nelly Blohm hatte auch den Weihnachtsstern für Rieders Schreibtisch gekauft und ihn auf einem Deckchen platziert. Rieder hatte gemeinsam mit Nelly Blohm auf Rügen Spuren in dem verhängnisvollen Mordfall verfolgt. Damp war sich sicher, dass die beiden in dieser Zeit was miteinander gehabt haben mussten. Warum sollte sie sonst diesen Gedenkaltar errichtet haben? Andererseits hatte Rieder zur gleichen Zeit ein Verhältnis mit der Wirtin vom Strandcafé in Neuendorf gehabt. Aber das war nun wohl Geschichte. Nicht nur weil Rieder im Koma lag. Charlotte Dobbert hatte ihre Zelte auf Hiddensee abgebrochen und war nach Mallorca gezogen, um dort ein Restaurant aufzumachen. So meldete es jedenfalls der Inselfunk in Person von Malte Fittkau.

Apropos Fittkau. Damp schaute auf seine Uhr. Gleich halb neun. Kurz nach sechs hatte er Malte Fittkau vor dem Revier in Vitte getroffen. Fittkau war auf seinem täglichen Rundgang rund um Vitte gewesen. Auch heute, obwohl er in der Nacht die sinkende „Caprivi“ entdeckt hatte. Damp kam gerade unverrichteter Dinge von der Adresse in Vitte, wo der tote Martin Dehne laut Polizeicomputer gemeldet war. Aber dort wohnte niemand mehr. Das Haus war eine Baustelle. Damp hatte Malte gebeten, sich doch bei seiner Tour mal umzuhören, was man über Dehne so redete. Malte würden die Insulaner eher was erzählen als ihm, dem Polizisten. Malte traf auf seinem Weg durch den Inselort am Morgen jede Menge Leute: am Strand, im Zeitungsladen, im Supermarkt, beim Bäcker. Überall machte er einen kleinen Plausch und versorgte sich so mit den Inselneuigkeiten. Damp wartete deshalb ungeduldig auf Fittkau, um zu hören, was die Insel über den Toten zu berichten wusste.

V

Die schlanke Frau mit den braunen Locken schaute aus dem Fenster. Auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen. Es gab nicht mal Spuren im Schnee. Kein Wunder. Die Pendler, die im Westen Arbeit hatten, waren gestern sofort losgefahren, nachdem die Straßen auf Rügen frei waren und die Eisenbahn wieder fuhr. Die anderen Bewohner der Plattenbausiedlung waren Rentner oder hatten keine Arbeit. Obwohl Bergen die größte Stadt auf Rügen war, gab es wenig zu tun. Erst recht im Winter.

Nelly Blohm kam sich hier oft verloren vor. All ihre Schulfreunde waren längst nach Hamburg, Kiel oder Bremen gezogen. Der Arbeit hinterher. Nur sie war geblieben. Für eine Polizistin gab es auf Rügen eine Menge zu tun. Häusliche Gewalt, Körperverletzung, Diebstahl, Drogendelikte. Schon öfters hatte sie überlegt, sich wenigstens nach Stralsund versetzen zu lassen. Aber wie sollte sie dort als alleinstehende Mutter im Polizeidienst klarkommen. Hier hatte sie wenigstens ihre Mutter, die sich um Lukas kümmern konnte.

Gerade heute wurde ihr das bewusst. Der Vierjährige spielte auf dem Küchentisch mit seinen neuen Matchbox-Autos. Er hatte sie mit einer Polizeiwache und einer Feuerwehrstation zu Weihnachten bekommen. Immer wieder schickte er den Streifenwagen und das Krankenauto auf den Weg zu einem Unfall zwischen einem Tankwagen und einem Pkw. Dazu imitierte er mit einem leisen Summen die Sirenen. Nelly hatte einen Anruf des Stralsunder Polizeichefs bekommen. Im ersten Moment hatte sie sich gefreut. Ein ungeklärter Todesfall auf Hiddensee. Ein Toter auf einem gesunkenen alten Dampfer. Bökemüller hatte an sie gedacht, die junge Kommissarin aus Bergen. Doch der Stolz war im nächsten Moment der Sorge um Lukas gewichen. Sie würde ihren Sohn eine Weile allein lassen müssen. Es war aussichtslos, bei diesen Wetterverhältnissen jeden Abend von Hiddensee nach Bergen zurückzukommen. Sie wusste, dass der Fährverkehr seit Neujahr eingestellt war, weil die Fähre mit Motorschaden in Schaprode festlag. Natürlich hatte ihre Mutter sofort versprochen zu kommen, um sich um Lukas zu kümmern. Gleichzeitig hatte sich aber auch Nellys schlechtes Gewissen gemeldet, ihre Mutter so in Beschlag zu nehmen und die eigenen Pläne der rüstigen Rentnerin zu durchkreuzen.

Nelly streichelte Lukas über den Kopf. Er hatte ihre Ankündigung, ein paar Tage auf Dienstreise gehen zu müssen, nicht weiter tragisch genommen. Die Aussicht auf selbst gemachte Eierkuchen und Makkaroni mit Tomatensoße, die keiner besser machen konnte als seine Oma, war ihm Trost genug. Aber dann hatte er bei Nelly eine Wunde aufgerissen. „Triffst du den Stefan auf Hiddensee?“

Lukas hatte Stefan Rieder kennengelernt, als er im Herbst einmal bei ihr übernachtet hatte. Ihr Sohn hatte ihren Hiddenseer Kollegen gleich gemocht und beide hatten eine Weile miteinander gespielt. Lukas hatte Stefan Rieder nicht vergessen.

„Er wollte doch wiederkommen und mit mir spielen. Das hat er mir versprochen.“

„Du weißt doch, dass Stefan sehr krank ist. Deshalb haben wir doch auch in seinem Haus in Vitte gewohnt, als ich ihn dort vertreten habe. Und jetzt mach ich das wieder.“

„Wie lange ist der Stefan noch krank?“, fragte Lukas weiter.

„Ich weiß es nicht.“

Nellys Augen waren feucht geworden, wie immer, wenn sie an Stefan Rieder erinnert wurde. Er würde sicher nie wieder in diese Wohnung kommen, nie wieder mit Lukas spielen und nie wieder mit ihr das Bett teilen, wie in dieser einzigen gemeinsamen Nacht. Silvester hatte sie sich beim Anstoßen mit ihrer Mutter auf das neue Jahr im Stillen versprochen, nein: befohlen, sich Rieder endlich aus dem Herzen zu reißen. Aber das war leichter gesagt als getan. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie eine Frau die Straße heraufkommen. Sie pflügte mit ihren schnellen Schritten durch den Schnee. Nelly erkannte sie trotz Mütze sofort.

„Oma kommt“, rief sie Lukas zu. Der Junge sprang vom Tisch auf, rannte zur Tür und stürmte den Hausflur hinunter. ‚Nicht gerade sehr vorsichtig für eine Polizistin und Mutter‘, dachte Nelly bei sich. Sie klappte den Laptop zusammen, denn sie hatte schon versucht, ein paar Dinge über den Toten, einen gewissen Martin Dehne, zu erfahren, war aber nicht weit gekommen.

Ihre Mutter kam herein, von Lukas mit tausend Fragen bedrängt, was sie alles tun würden, denn der Kindergarten hatte noch bis zum Ende der Woche geschlossen. Nicht gerade praktisch für berufstätige Mütter wie Nelly. Sie hätte noch Urlaub gehabt, aber nun rief sie die Pflicht.

Nellys Mutter nahm sich einen Kaffee. „Ist das eine gute Idee?“, fragte sie ihre Tochter. „Was meinst du?“

„Tu doch nicht so. Du weißt ganz genau, was ich meine. Hiddensee wird dir nicht guttun. Erinnere dich, wie du im Dezember wiedergekommen bist. Total durcheinander, weil du diesen Rieder nicht aus dem Kopf bekommst.“

Ihre Mutter setzte sich an den Tisch.

„Das ist vorbei“, belog Nelly sich und ihre Mutter. „Jetzt geht es um einen Fall. Vielleicht einen Mord. Das ist auch eine Chance.“

„Ich glaub dir kein Wort. Wie willst du überhaupt rüberkommen? Fährt doch kein Schiff.“

„Mit dem Hubschrauber. Die Kollegen der Spurensicherung holen mich vom Flugplatz Güttin ab.“

„Außerdem hast du noch Urlaub.“

„Mutti! Du erinnerst dich doch sicher noch an die Zeiten mit Papa, wie das bei einem Polizisten sein kann.“

„Ja, das tu ich. Ich weiß es noch sehr gut“, seufzte ihre Mutter. „Sein Pflichtbewusstsein hat ihn mit dreiundsechzig ins Grab gebracht. Immer war jeder Fall wichtiger als die Familie oder Urlaub.“

Nelly legte ihrer Mutter die Arme von hinten um den Hals. „Vielleicht ist es doch nur ein Unglücksfall und ich bin heute Abend schon wieder zurück.“

Ihre Mutter griff nach ihren Händen und drückte sie. „Du bist jedenfalls ganz die Tochter deines Vaters. So hat er mich auch immer vertrösten wollen. Dann war er Tage, Wochen weg, kam nur mal nach Haus, um die Wäsche zu wechseln.“

Lukas kam durch die Tür und schleppte mehrere Kinderbücher heran. Er legte sie auf den Tisch. „Kannst du mir jetzt endlich vorlesen?“, quengelte der Kleine und versuchte den Schoß seiner Oma zu erklimmen.

„Ich seh schon, ich werde hier nicht mehr gebraucht“, bemerkte Nelly spitz. „Ich muss auch los. Bis später, ihr beiden.“

VI

Malte klopfte nicht an. Er öffnete einfach die Tür zum kleinen Polizeirevier im Rathaus Vitte. Er schlug den Schnee von seinen Klamotten und ließ sich auf Rieders ehemaligen Stuhl fallen. Sein Blick blieb an dem Weihnachtsstern hängen. „Was ist das? Damp, hast du den grünen Daumen entdeckt?“

„Ist ein Überbleibsel von der Blohm.“

„Ach, die hübsche Polizistin aus Bergen. Die sah nicht schlecht aus.“

„Seit wann interessierst du dich für Frauen?“, fragte Damp.

„Nicht von sich auf andere schließen“, antwortete Fittkau. Er prüfte mit dem Finger die Feuchtigkeit im Blumentopf. „Der braucht mal Wasser.“

„Bin ich hier bei, Du und Dein Garten‘? Mir doch egal, was aus dem Topf wird.“

Malte lehnte sich zurück und betrachtete den Schreibtisch genauer. „Ich verstehe. Das war so eine Art Andenken an den Kommissar. Hatten die beiden was miteinander?“

Damp zuckte mit den Schultern.

„Hast du denn mal was von Rieder gehört?“

Damp schüttelte den Kopf.

„Schon klar“, meinte Malte. „Du und Rieder, ihr wart nicht unbedingt das Traumpaar hier auf der Insel. Aber …“

„Können wir zur Sache kommen“, unterbrach Damp ihn barsch. „Hast du was über unsere Leiche, diesen Dehne rausbekommen?“

Malte setzte seine Schapka ab und legte sie auf den Tisch. Dann öffnete er seelenruhig seine Jacke. Damp wurde ungeduldig. Er rutschte auf seinem Stuhl unruhig hin und her.

„Damp, was du auch nach zwanzig Jahren Marktwirtschaft noch nicht begriffen hast: das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Da bist du nicht der Einzige hier auf der Insel. Aber das nur mal so nebenbei. Um es klar zu sagen: Du willst was von mir, denn ich habe nicht blöd vor einem Haus in Vitte Süderende gestanden, in dem kein Mensch mehr wohnt, sondern …“, er zeigte grinsend auf Damp, „du! Und wer kann dich von dieser Unwissenheit befreien?“ Er drehte den Finger in seine Richtung. „Ich.“

„Schon gut. Also, was hast du erfahren?“

„Es wird dir nicht gefallen.“ Malte beugte sich nach vorn. „Dehne hat das Haus und das Haus der Eltern seiner Frau in der Dünenheide im vergangenen Frühjahr verkauft. Die ist übrigens vor etwas mehr als zwei Jahren an Krebs gestorben. War wohl ziemlich hart für Dehne. Und weißt du, an wen er verkauft hat?“ Malte machte eine Kunstpause. Damp verdrehte die Augen. „An Ulrike und Peter Stein.“

Damp schnappte wie ein Fisch nach Luft. Malte bekam schon Angst, der Polizist würde kollabieren, aber dann atmete er tief aus und schüttelte sich. Es war Ulrike Stein gewesen, die Damp und Rieder mit gezogener Waffe gezwungen hatte, in ein Paddelboot zu steigen, um sie auf der Ostsee dem fast sicheren Tod entgegentreiben zu lassen.

„Und das ist noch nicht alles“, setzte Malte seinen Bericht fort, nachdem er sicher war, dass sich Damp etwas erholt hatte. „Die Häuser werden jetzt von der Hausverwaltung Zabel betreut.“

„Zabel?“

„Kurt und Marie Zabel.“

Das waren Freunde von Ulrike Stein. Sie hatten ihr ein falsches Alibi für den Mord an ihrem Mann, dem Bauunternehmer Peter Stein, gegeben.

„Sitzen die nicht im Knast wegen Beihilfe?“, fragte Damp wütend.

„Bist du der Polizist oder ich?“

„Wieso verwalten die Zabels jetzt die Häuser der Steins? Da war doch noch der Bruder von dem Peter Stein? Dieser Jan!“

Malte schüttelte den Kopf. „Du bist echt nicht auf dem Laufenden. Jan Stein ist in einer Entzugsklinik, irgendwo bei Schwerin. Da hat er sich am selben Tag eingewiesen, als Ulrike Stein euch auf große Fahrt geschickt hat.“ Malte lachte kurz in sich hinein, wurde aber gleich wieder ernst, als er Damps wütenden Blick sah. „Die Zabels konnten offenbar glaubhaft machen, dass sie nicht bemerkt hätten, wie Ulrike mal kurz während der Grillparty verschwunden war, um ihrem Ex, dem lieben Peter, das Licht auszuknipsen. Sie hätten gedacht, sie wäre mit ihrem Lover, diesem Russen, im Bootshaus für ein Schäferstündchen abgeblieben. Damit sind sie schön raus. Außerdem kann man als Mörderin auch weiter Hausbesitzerin sein. Jan allerdings will wohl klagen, um wenigstens die Firma ‚Inselbau‘ zu bekommen. Aber der Rechtsstreit ist noch nicht entschieden.“

Damp stöhnte auf. „Ich dachte, all das läge hinter mir.“

„Tja, falsch gedacht.“

„Und was ist sonst mit dem Dehne?“

„Hat jetzt ein Hotel in Kloster, oben am Dornbusch. Ist aber wohl noch nicht in Betrieb. Die alte Vogelwarte. Mehr wissen die Vitter auch nicht. Ist ja in Kloster.“ Kloster war der nördliche Inselort und gerade mal drei Kilometer von Vitte entfernt. Aber die Hiddenseer blieben in ihren Orten meistens sehr unter sich.

„Soll wohl ziemlich schick sein“, erzählte Malte weiter. „Hat übrigens alles Peter Stein mit seiner ‚Inselbau‘ noch gebaut. Davor war Dehne Biolehrer an der Inselschule. Aber wenigstens das wusstest du ja schon.“

Das Telefon klingelte. Damp ging ran. Seine Miene verfinsterte sich immer mehr mit der Dauer des Gesprächs. Er warf den Hörer auf die Gabel. „Nicht mein Tag“, raunte er mehr zu sich selbst.

„Was?“, fragte Malte.

Damp winkte ab. „Sie schicken mir die Blohm als Verstärkung. Kommt mit Behm von der Spurensicherung. Außerdem fliegt der Pathologe aus Greifswald, dieser Krüger, mit einem Rettungshubschrauber ein, um die Leiche zu holen.“

„Wird auch Zeit“, bemerkte Malte. „Lange könnt ihr das den Feuerwehrmännern nicht mehr zumuten, an dem alten Kahn die Totenwache zu halten.“

Damp rieb sich das Kinn. „Wo bringe ich nur die Blohm unter?“ Er sah Malte an. „Kann sie wieder in Rieders Haus im Wiesenweg?“

„Wenn du sie morgen auch auftauen möchtest?“, gab Malte trocken zurück. „Du kriegst die Bude nicht warm. Das ist ein Sommerhaus mit dünnen Wänden. Außerdem habe ich das Wasser abgedreht. Ich grabe mich jedenfalls nicht durch den Schnee, um den Schieber wieder zu öffnen.“

„Kannst du die Blohm nicht bei dir unterbringen?“

„Ich vermiete nicht im Winter.“

„Aber die Hotels sind zu teuer. Es soll nicht mehr als vierzig Euro kosten. Außerdem sind ‚Godewind‘ und ‚Hitthim‘ ausgebucht, so lang die Touris nicht von der Insel runter sind.“

„Da gibt’s doch noch ’ne Menge anderer Vermieter.“

„Erstens haben die alle auch noch die Buden voll und zweitens machen die meisten gleich zu, wenn die Urlauber weg sind.“

Malte überlegte. „Gut, für die vierzig kann sie bei mir übernachten.“ Das wäre für ihn ein gutes Geschäft. Sonst vermietete er ein Bett für nicht mehr als dreizehn Euro.

„Aber mit Frühstück“, setzte Damp hinzu.

„Vergiss es. Bei mir gibt’s kein Frühstück. Müssen sich die Gäste selbst machen. Da mach ich keine Ausnahme. Wenn sich das rumspricht.“

„Wo soll sie sich hier was kaufen? Warst du mal im Supermarkt? Die Regale sind leer.“

„Tütensuppen und Konserven gibt’s noch jede Menge.“

„Ich könnte noch was drauflegen.“

„Für wie lang soll es denn sein?“

„Wenn der Dehne nur erfroren ist, biste sie morgen wieder los. Wenn nicht, kann es dauern. Mindestens ’ne Woche, denke ich. Vielleicht sogar länger.“

Malte überschlug im Kopf, was ihm die Übernachtung bringen würde. Jetzt waren seine Zimmer nur totes Kapital. Außerdem schien er hier noch was rausholen zu können. „Gut. Dann aber fünfundvierzig pro Nacht.“

Er reichte Damp die Hand über den Tisch. Der schlug ein. „Abgemacht.“

Damp grinste. „Ich hätte auch fünfzig zahlen können.“

Malte wollte etwas Gemeines entgegnen, da flog die Tür auf und Bürgermeister Thomas Förster stürmte herein.

„Hallo, Damp.“

Malte nickte er nur kurz zu.

„Haben Sie mal aus dem Fenster gesehen. Da stehen schon wieder mindestens fünfzig Leute mit Kindern, Sack und Pack.“

Damp drehte sich mit seinem Drehstuhl kurz um. Seit Neujahr wiederholte sich jeden Morgen das gleiche Schauspiel. Touristen marschierten vor dem Rathaus auf und warteten auf eine Möglichkeit, von der Insel zu kommen. Stumm standen sie dort im Schnee und forderten mit ihrem stillen Protest von der Inselverwaltung Hilfe.

„Wir müssen da raus, Damp, und mit den Menschen reden.“

Doch der Polizist hob abwehrend die Hände. Er zeigte auf Malte. „Zeugenvernehmung. Ich muss Herrn Fittkau über das Auffinden des toten Herrn Dehne befragen. Stralsund will so schnell wie möglich einen Bericht.“

„Kann das nicht warten?“

„Tut mir leid. Polizeichef Bökemüller hat schon angerufen und Druck gemacht.“

„Gibt es denn schon neue Erkenntnisse, wie der Mann zu Tode gekommen ist?“

Damp schüttelte mit einem bedauernden Gesichtsausdruck den Kopf. „Deshalb sitze ich hier mit Herrn Fittkau. Er war der Erste an der „Caprivi“ und er wohnt ja auch dicht dran am möglichen Tatort.“

„Dann machen Sie mal ihre Arbeit“, sagte Förster enttäuscht.

„Kommt denn nun mal irgendwann ein Hubschrauber von der Bundeswehr?“, mischte sich Fittkau ein. „Die können uns doch hier nicht verhungern lassen.“

„Ich habe gerade heute Morgen mit dem Krisenstab in Stralsund telefoniert“, berichtete der Bürgermeister. „Sie haben mir kaum Hoffnung gemacht. Die Bundeswehr hat das Hilfeersuchen abgelehnt. Die meisten Kapazitäten seien in Afghanistan. Hier in Deutschland gebe es kaum noch Reserven. Und die wären auch nicht alle einsatzfähig, weil Ersatzteile fehlen.“

„Tja, siehste, Malte“, meinte Damp, „die Freiheit wird am Hindukusch verteidigt und nicht auf Hiddensee.“

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
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9783954626922
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