Kitabı oku: «Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!»
Tim Renner
Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!
Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie
FUEGO
Über dieses Buch
Als Tim Renner sich 1986 bei der Plattenfirma Polydor bewarb, wollte er eine Enthüllungsstory über die Musikindustrie schreiben. Doch es kam anders, und er machte Karriere. Für achtzehn Jahre verschmolz seine Biografie mit der Entwicklung der Musikbranche, er brachte Bands wie Element of Crime, Rammstein, Tocotronic und Philip Boa zum Erfolg und stieg immer weiter auf, bis er schließlich an der Spitze von Universal Music Deutschland stand. Doch er erlebte auch, wie der Druck des Marktes musikalische Entwicklungen bremste, wie sich Pop und Kommerz immer mehr verzahnten und nicht zuletzt, wie die alten Strukturen der Branche sich durch Digitalisierung und Globalisierung in rasantem Tempo auflösten. Die schwerfälligen Riesenlabels verschlossen jedoch die Augen vor dieser Entwicklung, und schließlich stieg Renner aus. Nach seinem Abschied von Universal 2004 schilderte er die Irrwege und Herausforderungen der Popmusik aus seiner Sicht.
»Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm« ist eine kluge Analyse von Kultur und Musik in Zeiten der Digitalisierung und getragen von der Vision, dass Kreativität, Konsum und Kapital einander nicht ausschließen müssen.
Zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung des Buches liest sich manches schon wie in einem Geschichtsbuch aus einer längst vergangenen Zeit, einige Abschnitte deuten schon Entwicklungen an, die sich heute erst richtig entfalten und noch immer ist alles in Bewegung. Das Buch zeigt die Veränderung einer ganzen Branche und die Anfänge einer Gesellschaft auf dem Weg in die Digitale Zukunft.
Vorwort
Mit der Veröffentlichung von »Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm« im Jahr 2004, lebte während vieler Veranstaltungen auch mein Mittelname wieder auf. Zwischen dem Tim und dem Renner steckt nämlich ein Konstantin, den zu erwähnen ich bislang nicht für wichtig gehalten hatte. Konstantin war eher ein trauriger Held. Niemand auf den man stolz sein konnte, oder mit dem man sich gar identifizieren wollte, eher jemand an den man sich mit einem Schmunzeln erinnerte.
Konstantin war das schwarze Schaf in der Familie der Mutter meines Vaters. Einmal kam er eine ganze Nacht nicht nach Hause, weil ihm auf dem Heimweg von einem fröhlichen Abend mit Freunden, das Gebiss aus dem Mund und in den Gulli gefallen war. Beim Versuch es selbst herauszufischen, blieb sein Arm zwischen den Stäben der Gulliabdeckung klemmen. Wie das technisch gehen soll, ist mir ein Rätsel, aber alle noch lebenden Angehörigen schwören, dass es stimmt. Es ist sowieso nur eine von unzähligen Geschichten über Onkel Konstantin ...
Er war scheinbar ein Freak und oft genug betrunken, um immer wieder Anlass für Getuschel in der Familie zu sein. Im Alkohol suchte er Vergessen. Als Einziger aus einer Sippschaft von Ärzten, Apothekern und Anwälten hatte er kein Abitur und somit auch keinen respektierten Job. Aus pädagogischen Gründen wurde sein Problem auf Familienfeiern nicht kaschiert, sondern forciert. Konstantin bekam Hochprozentiges und die anwesenden Kinder ihr abschreckendes Beispiel, was aus einem wird, der seine Hausaufgaben nicht macht ...
Unsere Hausaufgaben heißen heutzutage Digitalisierung und Globalisierung. Zumindest die erste von beiden hat die Branche, aus der ich komme, nicht gemacht. Betrachtet man die Zahlen der Musikwirtschaft realistisch, kommt alleine hierzulande ein Umsatzeinbruch von 50% innerhalb von einem Jahrzehnt zutage. Das ist gewaltig und auch für andere Industrien nicht zu übersehen. Ein klarer Fall von Managementversagen.
Ähnlich wie Konstantin über die Familienfeste taumelte, trat ich nach der Veröffentlichung dieses Buches meinen Weg durch die Medienbranche und andere Industrien an. Egal ob Börsenverein Deutscher Buchhändler, Schulbuchverlegerverband, private TV Stationen, Großverlage, Touristikunternehmen, Telekommunikationsanbieter oder Tütensuppenhersteller – alle wünschten sich, dass ich ihnen den Großonkel Konstantin mache. Mit wohligem Schauer goutierten sie die Geschichte vom Untergang der Musikindustrie.
Nicht immer gelang es mir dabei, die eigentliche Botschaft zu vermitteln: Die Musikindustrie scheiterte nicht an ihrer Unfähigkeit, sondern ob ihres Erfolgs. Dem Konsumenten 10 bis 12 Songs auf CD zum doppelten Preis einer Vinylschallplatte zu verkaufen, obwohl dieser vielleicht nur 3 bis 4 Lieder haben will, ist ein gutes Geschäftsmodel. In den Neunziger Jahren gab es kaum ein Musiklabel, was nicht Gewinnmargen von mindestens 20% vorweisen konnte. Die Vorstellung der Konsumentendemokratie durch einen Download per Internet war da wenig verlockend. Wieso sollte man das eigene Geschäftsmodel mit Angeboten im Internet angreifen, wo es doch gerade so gut lief?
Die Geschwindigkeit der Digitalisierung ist eine Frage der Datenmenge des Produkts, der zur Verfügung stehenden Kompressionstechnologie und der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Netzwerke. Früher oder später werden die mit ihr einhergehenden Effekte daher jede Software oder auf Informationsaustausch beruhende Dienstleistungen betreffen. Das bedeutet alle medialen Güter und Kanäle, so wie der gesamte Handel müssen sich der Digitalisierung und der mit ihr einhergehenden Effekte stellen. Wem es, wie einst den Plattenfirmen zu gut geht, der ist besonders gefährdet.
Gut gerüstet ist kaum jemand. Man freut sich etwa in der TV-Branche, dass digitale Programmführer wie TiVo noch nicht wirklich den Sprung über den Teich geschafft haben. Parallel prangt unübersehbar T-Home und somit Werbung für Fernsehen aus dem Internet auf der Brust der Spieler des FC Bayern München. Egal ob die Deutsche Telekom nun mit 50mbit das Internet zum TV bringt, oder das TV mit Spielkonsolen wie PS3 und XBox zum Internet kommt, dass beides zusammenwächst, ist ein Prozess, den keiner mehr umkehren wird.
Dennoch schaut man in erstaunte Gesichter, wenn man im Workshop-Gespräch mit dem Management eines privaten TV-Senders fragt, wieso sie nicht die eigenen Telenovelas, an denen sie alle Rechte halten, zur zeitsouveränen Nutzung für ihre Konsumenten ins Internet stellen würden. »Streamingkosten«, die erste Antwort, ist eine Ausflucht: Übertragungskosten im Internet werden immer günstiger und gerade die nachweisbare Nutzung des Programms durch einen Zuschauer kann man mit Werbung gut kapitalisieren. Aber diese Werbung wird nicht zusätzlich zur TV-Werbung geschaltet, sondern womöglich bei dieser eingespart, erfährt man auf Nachfrage. Keine 12 Monate ist es her, dass sich dieser Dialog ergeben hat. Vorher habe ich noch vom Ende derjenigen erzählt, die sich nicht selbst anzugreifen trauen ...
Auf Radiosymposien, zu denen besorgte Bundestagsfraktionen einladen, dominiert die Schadenfreude der privaten Anbieter darüber, dass die Digitalisierung des Rundfunks über DAB fehlgeschlagen zu sein scheint. Auch andere digitale Formate wie DVB-H, DMB oder das in der ersten Ausgabe dieses Buches noch gefeierte DRM (Digital Radio Mondial) tun sich schwer. Die für 2012 in den Staatsverträgen festgeschriebene Digitalisierung der terrestrischen Radiosignale droht technisch zu scheitern. Politisch, so feixen manche Radiomacher, wäre der Technologiesprung eh nicht so einfach machbar, wie zuvor beim Fernsehen. Ein bundesdeutscher Haushalt hat durchschnittlich 6,4 Radioempfänger und einer davon ist auch noch fest im Auto eingebaut. All diese Geräte müssten aufgerüstet werden. Wer will sich durch Abschaltung des analogen Sendesignals mit den Herstellern und – noch schlimmer – dem Konsumenten anlegen?
Digitalisierung ist jedoch wie Wasser. Sie bahnt sich ihren Weg. Gibt es Widerstände, geht es anderswo lang. In den USA kommt die neue Radiowelt von oben - die Satellitenradioanbieter Sirius und XM vereinen dort bereits 17 Millionen Abonnenten und 207 Kanäle auf sich. Hierzulande geschieht es von unten: unsere eigene Radiostation Motor FM hat zu Bürozeiten bereits eine höhere Reichweite durch ausgelieferte Internetstreams, als durch die altertümliche Telefonumfrage (MA) der Radiowirtschaft nachgewiesen werden können. Geräte wie das iPhone sorgen dafür, dass diese Art der Internetradionutzung nicht auf den Arbeitsplatz beschränkt bleiben wird.
Den vehementesten Widerspruch aller Vorträge erntete ich bei der Printbranche. Nirgendwo sonst scheint man so verbunden mit dem physischen Gut. Das wäre ja auch nachvollziehbar, würde die Qualität stimmen. Beeindruckt hat mich ein Drucker, der auf einer Tagung des weltgrößten Druckmaschinenherstellers seinen Kollegen Werbeprospekte ins Gesicht warf. »Das ist kein Gold,« rief er empört, während er auf einen glänzenden Gelbton einer Luxusgüteranzeige zeigte: »So macht ihr unsere Branche kaputt!« Danach hagelte es Twix-Schokoriegel auf seine Kollegen im Publikum. »Ein 50 Cent Snack - aber echtes Gold!«
Man sollte wissen, dass den altehrwürdigen Brockhaus weder Prägedruck noch Goldintarsien retten konnten. Das herausragende Nachschlagewerk Deutschlands gibt es seit diesem Jahr nur noch Online, genauso wie die Hochglanzzeitschrift Max aus den Achtziger Jahren. Schulbuchverleger leiden darunter, dass engagierte Lehrer die Schüler mit viel aktuelleren Unterlagen aus dem Internet versorgen, die Herausgeber von Buchklassikern zittern vor den Digitalisierungsoffensiven von Google und Co. Konsequent schreitet weiterhin der Spiegel voran. Mit seinem Angebot Spiegel Online war er als erstes deutsches Nachrichtenmagazin im Netz und ist dort bis heute Marktführer. Längst haben einflussreiche Spindoktoren erkannt, dass die Meinung online und eben nicht mehr vorrangig von der Printausgabe gesetzt wird und lassen diesen Spiegel Online-Redakteuren Hintergrundinformationen aus Politik und Wirtschaft zuerst zukommen. Die Zeitschrift als Verdichtung des Onlineangebots wird beim Spiegel bereits gelebt und Matthias Müller von Blumencron, Chefredakteur von »SPON«, ist konsequenterweise bereits einer der Nachfolger von Stefan Aust als Vordenker des Heftes.
Ein ehemaliger Universal Kollege hatte früh genug den Absprung von der Musik zum Film geschafft. »Du wirst auch noch Holzklasse fliegen …«, knurrte der Promotionchef der Universal Music, als er gemeinsam mit mir an dem fröhlich aus dem Business-Sitz grüßenden Ex-Mitarbeiter die Sitzplätze ganz hinten im Flieger suchte. Die Prophezeiung dürfte sich erfüllt haben: Mittlerweile musste die verwöhnte Filmwirtschaft im ersten Halbjahr 2007 erstmals einen Umsatzrückgang bei DVDs vermelden. Die Stückzahlen steigen, aber die Preise erodieren. DVDs geraten unter Druck, die Konkurrenz kommt aus dem Netz und Filme taugen gerade noch als sogenannte »Loss-Leader«, als Verkaufsbeschleuniger der Elektro- und Drogeriemärkte. Ein legales Angebot, das wie die Piraten zum Filmstart im Netz verfügbar ist, sucht man vergebens. Dafür sucht der ehemalige Kollege aus der Business Class bereits einen neuen Job.
Die Umrüstung der Kinos zu digitalen Abspielstätten kommt hierzulande nur langsam voran. In Amerika hingegen hat sie die Mainstreamkinos erreicht und wird dort für die neue, alte Hoffnung des Films genutzt: 3D. Als Real D kommt ein von den Disney Studios entwickeltes digitales 3D in die Kinos (»Chicken Little« war der erste Test im Jahre 2005, in 2009 kommt mit »Horrorween«, »Final Destination 4« und dem Remake »Stewardesses« eine ganze Reihe neuer Produktionen auf die digitale Leinwand) – was den Mitschnitt für das Internet erschweren soll. Dieses Upgrade von Filmen erinnert an den von wenig Erfolg gekrönten Versuch der Musikindustrie, durch Surroundmixes auf Super Audio CDs (SACD) die Kopierleidenschaft ihres Publikums einzudämmen.
Unerlässlich im digitalen Wandel ist es, den möglichen Angreifer zu kennen, um ihn entweder einzubinden oder seinen Angriff umzudrehen und selbst auszuführen. Ich war deshalb überrascht, dass keiner den kleinen, weißen Fon Router erkannte, den ich während eines Vortags vor dem Management des deutschen Marktführers für Hot Spots in die Luft hielt. Das Gerät war zu diesem Zeitpunkt hierzulande bereits 75.000 mal verkauft worden. Wer es anschließt, ist entweder ein »Linus« und lässt andere Foneros per W-LAN umsonst mit ins Netz und kann dafür auch kostenfrei über ihre Fon Hot Spots surfen, oder man verlangt als »Bill« eine Gebühr, die man dann genauso bei anderen Fon Nutzern zu entrichten hat. Am besten bindet man diese »Telephone-Company by the people« (Fon Eigenwerbung) wie die British Telecom oder die französische Cegetel zum Ausbau des eigenen Netzwerkes ein. Wer nicht den Mut hat, das eigene Geschäftsmodell neu zu denken, muss eben später bezahlen: geradeso wie die Mobilfunkunternehmen, die Millionen ausgeben, um Prepaid-Card Unternehmen aufzukaufen (jüngstes Beispiel: die Übernahme von blue durch e-plus), die zuvor auf ihren Netzen ihre Preise unterboten haben.
Man muss Jamba nicht mögen, aber die Zeichen der Zeit wurden dort immer rechtzeitig erkannt. Die meisten Kids generieren mittlerweile ihre Ringtones selbständig und die Klingeltonfirmen haben darauf frühzeitig mit eigenen Copyrights reagiert: ob mit dem Crazy Frog, dem Kuschelsong oder anderen musikalischen Verbrechen wurden sie zu digitalen Schallplattenfirmen für Trash, den sie nun als mobilen Download vertreiben. Ein deutlich kleinerer Markt, aber eine Chance in einem Geschäft zu überleben, welches technisch eigentlich obsolet geworden ist.
Vieles ist so eingetreten, wie man es sich vor vier Jahren schon denken konnte. Deshalb reichen zumeist auch die hier vorgetragenen Änderungen und Ergänzungen, um die späteren Texte zu verstehen. Es gibt nur ein Kapitel, welches von Grund auf überarbeitet werden musste. Peinlicherweise war es ausgerechnet jenes über das World Wide Web ...
Tim Berner’s Lee, der Begründer des Internet, träumte im Jahr 2004 noch von dem »Semantic Web«. Zusammen mit der »Netzregierung« vom W3C suchte er nach einer Sprache, die es den Maschinen ermöglichen sollte, Zusammenhänge zu erkennen und auf komplexe Fragen Antworten geben zu können. Getrieben wurde er dabei von einer Einstellung, mit der er dem Netz bereits im Jahr 1989 eine Oberfläche gegeben hatte: ein von Wissenschaftlern entwickeltes System braucht Modifizierungen aus der Wissenschaft, damit es für Jedermann nutzbar wird. Genau das hatte er aber bereits im ersten Schritt so gründlich erledigt, dass die Jedermanns da draußen in der ganzen Welt sich mit seinem Netz so gut verlinken konnten, dass ihre kollektive Intelligenz jeder singulären Überlegung überlegen war. Während Tim und seine Freunde also noch an der Syntax des Resource Description Frameworks (RDF) und der Web Ontology Language (OWL) arbeiteten, tagten und bloggten die Nutzer des Internets längst drauf los und schufen so fast spielerisch die Netzintelligenz, nach der die Wissenschaft verzweifelt suchte. Nun ja ...
All unsere Vermutungen in Sachen Musik sind in der ersten Ausgabe dieses Buchs noch vom Gedanken geprägt, dass das Schlimmste für die Labels vielleicht schon überstanden sei. Deutlich zu optimistisch: die Erosion der Industrie schritt schneller voran als gedacht. Das betraf insbesondere die beiden Majors Warner und EMI. Wenn die Regeln der Börse für Musik schon schwierig sind, da Kreativität sich nicht in Quartalen abbilden und steuern lässt, ist das absolut kurzfristige Gewinnstreben von Venture Capital, also den sogenannten Heuschrecken, nicht mit ihr vereinbar. Genau solche Unternehmen sind mittlerweile aber die Mehrheitseigentümer der beiden Traditionshäuser. In dem jetzigen Marktumfeld riecht das nach ihrer Zerschlagung und dem Verkauf in Einzelteilen; an wen auch immer. Auf Dauer wird es wohl deshalb nur noch zwei Majors geben – Universal und SonyBMG.
Der Eintritt von Finanzinvestoren in die Musikwirtschaft hatte aber auch seine guten Seiten: Realismus bis zur Selbstverachtung. Die EMI, damals noch mit einem ehemaligen Keksproduzenten an der Spitze, hat als erste das für Branchenfremde schwer nachvollziehbare Dogma des DRM (Kopierschutz auf Downloads) in Frage gestellt und für ihren Katalog gänzlich abgeschafft. Universal Music zog zunächst in den USA und Warner gleich weltweit nach. Dort kam mit Jim Griffith zudem ein Mann in führende Position, die er bei Universal verloren hatte, als er für deren Label Geffen die Suche nach einem Geschäftsmodel mit Tauschbörsen propagierte. Als Verantwortlicher für das digitale Geschäft der Warner Gruppe setzt er diesen Gedanken jetzt um. Auf Dauer führen alle Wege Richtung Flatrates: der Konsument zahlt eine Grundgebühr, hat dafür aber die Möglichkeit, herunterzuladen was und wieviel er will. Flatrates sind von allen Labels mit dem japanischen Mobilanbieter DoCoMo vereinbart worden. In Europa bietet sie das skandinavische Telekommunikationsunternehmen TKS für alle Firmen bis auf Universal an, alles von Universal ist wiederum mit Geräten von Nokia für eine Pauschale zu beziehen. Der Haken im Vergleich zum Piraten: Der Besitz ist nur temporär. Erlischt das Abo, verschwindet auch die Datei. Und ein globaler Flatrate-Standard bleibt weiterhin ein Traum ...
Springt die Musikindustrie über diese letzte Hürde, die sie sich da selbst aufgebaut hat, bietet sie für 5 bis 10 Euro pro Monat (soviel zahlt ein Filesharer auch für ein gutes Administrationssystem) den dauerhaften Download, dann ist sie schnell dort, wo man sie vor vier Jahren bereits gewähnt hat. Sie ist dann nicht mehr dieselbe, aber eine in ihrer Wiedergeburt rundum erneuerte Branche.
Wenn es hilft, die unterschiedlichen Industrien zu gewagten aber konsequenten Schritten wie diesen zu ermutigen, tingele ich gerne noch eine Weile als Onkel Konstantin über die Bühnen der Konzernzentralen und Unternehmensverbände und erfreue mich am digitalen Leben nach dem analogen Tod.
Einleitung
Dies ist die Geschichte eines Scheiterns. Meines Scheiterns. Schließlich trat ich vor 18 Jahren nicht an, um in der Musikindustrie Karriere zu machen. Im Gegenteil, ich wollte sie entlarven. Mein Job als sogenannter Junior A&R und Produktmanager des Musikkonzerns PolyGram (also als ein Scout, der Künstler findet, deren Produktionen organisiert, diese überwacht und die Veröffentlichung ihrer Platten dann mit Marketingmaßnahmen begleitet) war Tarnung. Als Undercover-Journalist wollte ich recherchieren und das Erlebte und Gefundene zum ersten deutschen Enthüllungsbuch über die Musikindustrie verarbeiten.
Dieses Vorhaben ist mir gründlich misslungen. Und auch das vorliegende Buch ist kein spätes Produkt meiner damaligen Ambitionen als Westentaschen-Wallraff. Denn um das Enthüllen geht es mir nicht wirklich. Ich könnte nur aufzeigen, dass die Industrie nicht – wie von mir damals angenommen – böse, sondern bestenfalls blöde ist. Aber wen interessiert das? Und sollte ein Buch auf Schadenfreude basieren? Interessanter ist diese Industrie vielmehr als Seismograph.
Das Beben der Digitalisierung konnte man in der Musikwirtschaft, wenn man nur wollte, schon vor weit mehr als einem Jahrzehnt wahrnehmen. Die Krise der Inhalte, die eintreten kann, wenn Kapital ungebremst und ungemanaged auf Kultur trifft, beutelt sie schon länger. Der Kampf um Identität, Abgrenzung und natürlich Macht zwischen Publikum, Künstlern und Managern, gehört bei ihr seit jeher zum Programm. Die Zukunft der Medienindustrie hat also einiges mit der Vergangenheit der Musikwirtschaft zu tun.
Bei meinem Vorstellungsgespräch im Juni 1986 waren meine Pupillen geweitet. Ich gab den beiden Polydor-Managern, die mir gegenübersaßen, gerade mal die Zeit, mir drei Fragen zu stellen. Dann redete ich über eine Stunde lang, nahezu ununterbrochen. Kurz vor dem Gespräch hatte mich eine Heuschnupfenattacke heimgesucht und Avil, das brandneue Mittel, welches mir mein Arzt verschrieben hatte, zeigte eigenwillige Nebenwirkungen. Mittlerweile ist es vom Markt genommen worden, aber damals führte es dazu, dass meine Freundin Petra mich zusammengesackt über dem Küchentisch fand. So konnte sie mich nicht gehen lassen. Ein Piccolo sollte den Kreislauf pushen. Sekt und Avil – das entpuppte sich jedoch als perfektes Substitut für Speed. Später haben wir das ab und an gezielt für Partys eingesetzt.
Mit wippenden Beinen saß ich da und starrte auf den Repertoire-Katalog der Polydor. Auf der Liste standen die Namen aller deutschen Künstler, welche die zur PolyGram-Gruppe gehörende Schallplattenfirma unter Vertrag hatte. Ein Kabinett des Grauens, meinte ich damals als 21-Jähriger, und sagte das auch meinen erstaunten Gesprächspartnern: Den einen Künstler hätte man schon vor Jahren entlassen müssen, den anderen von Anfang an mit Berufsverbot belegen sollen und den Dritten könne man vielleicht zum Heilpraktiker umschulen. Zu alt waren sie meiner Analyse nach alle, und ich machte deutlich, dass der Job der Polydor in diesem Bereich über Jahre hinweg lausig verrichtet worden war.
In fast jeder anderen Industrie hätte für den drogenverdächtigen, vorlauten Renner zu Recht der Bewerbungs-Countdown begonnen und ich hätte wenig später nach einem gepflegten Tritt in den Hintern auf der Straße gesessen. Doch der Polydor-Geschäftsführer und der Abteilungsleiter für nationales Repertoire horchten stattdessen auf. Sie wussten schon lange, dass diese Industrie in Plastik gegossene Revolution verkauft, und dieser junge Typ hatte gerade in ihrem Büro die rote Fahne gehisst. Mein Vertrag lag am nächsten Tag in der Post.
Die Geschichte der Popmusik war immer schon die Geschichte eines Aufstands. Man bekämpfte den Schrecken des Krieges mit Swing, die Bürgerlichkeit der fünfziger Jahre samt angrenzendem Rassismus mit der »Negermusik« Rock ’n’ Roll, die elterliche Tätergeneration, deren bestenfalls harmlose Schlager das Vergessen befördern sollten, mit ernsthaften Singer-Songwritern, die Hippies und ihr ewiges Sinn- und Geborgenheitsstreben mit dem groben Punk und die 68er, an der kritischen Theorie geschult, mit minimalistischem, »kalten« Techno. Musik ist das erste eigene Ausdrucksmittel junger Menschen und wird dies immer bleiben. Handwerklich kann sie leichter zu produzieren sein als fast alle anderen Kunstformen. Am Anfang reichen drei Akkorde, das wissen wir spätestens seit dem Punk. Oder zwei Plattenspieler und ein bisschen Übung. Das Ergebnis stellt sich schnell ein: auf der Bühne kann man sich bewundern, zu Hause wegen des Krachs von den Eltern anfeinden lassen.
Genau um diese beiden Dinge geht es zunächst in der Rock- und Popmusik: Sexualität und Abgrenzung. Später, mit zunehmendem Alter, kommt der Wunsch nach ewiger Jugend hinzu. Kein Computer-Game kann das Gefühl ersetzen, das zwischen Bühne und Publikum entsteht. Am Rechner oder der Game-Console spielt man allein oder bestenfalls vernetzt. Das Konzert oder die Party, auf der ein DJ seine Performance hat, ist hingegen immer ein kollektives und verdammt körperliches Erlebnis. Junge Menschen, die noch nicht genau wissen, wie sie mit dem anderen Geschlecht umgehen sollen, wie man es ansprechen und von sich überzeugen kann, haben Musik und Bewegung als gemeinsame Brücke. Wohl dem, der in einer solchen Situation auf der Bühne oder hinter den Plattenspielern steht. Wenn nicht, sollte man zumindest den Gitarristen kennen oder die Songs und die Leistungen der jeweiligen Protagonisten beurteilen können, um später nicht allein im Dunkeln vor der Pausenhalle zu stehen. Ist dieses Schema einmal erlernt und verinnerlicht, funktioniert es auch noch Jahre nach der Pubertät und schafft gleichzeitig wieder und wieder neue Generationen junger Popfans.
Der Konsument von Popmusik ist bereits längst mehrheitlich über dreißig, doch die Erneuerung der Kunstform kommt nach wie vor von den Heranwachsenden. In der Musik finden sie Ausdrucksformen, die die Eltern und Lehrer nicht auf Anhieb verstehen, Musik hilft ihnen bei der Persönlichkeitsfindung. Nur wenn ich weiß, wo ich eigen bin, weiß ich, dass ich eigenständig bin. Doch von Generation zu Generation wird diese Abgrenzung schwieriger, zuletzt gelang das auf innovative Weise nur noch durch die völlige Auflösung von Songstrukturen – im Techno. Für die Kulturform Pop ist es dennoch ein Gottesgeschenk, so eng mit der Pubertät verwoben zu sein. So wird sie zuverlässig immer wieder hinterfragt. Das macht sie zur innovativsten Kunst. Und weil sie so nötig gebraucht wird, auch zu einer der Kommerziellsten.
Pop = Kunst + Kapital x Massenmedien. Mittel zum Zweck zu sein ist ein Schicksal, das der Kunst schon lange vertraut ist und das sie noch jedes Mal mit tiefer innerer Müdigkeit überlebt hat. Man singt, komponiert, dichtet und malt für die Christianisierung, die Glorifizierung reicher und mächtiger Mäzene und schließlich, nach der industriellen Revolution, für die Markteinführung von Seifen, technischem Gerät, Kurzgebratenem und vielem mehr. Ein Künstler will mit gutem Recht nicht arm sein. Auf diese Form der Romantik kann er dankend verzichten. Gefordert wird diese nur von einem Publikum, welches als Voyeur die Authentizität des Werks durch das echte Leid des Künstlers zu steigern hofft. Am liebsten würde es ihn sowieso erst nach seinem Tode entdecken und fördern. Das Feuilleton unterstützt es dabei entschlossen – häufig eifersüchtig auf lebende Künstler.
Den souveränen Künstler schert das nicht. Ihm ist wichtiger, dass er überhaupt in irgendeiner Weise Gehör findet, Fläche bekommt, um sich und sein Werk zu projizieren. Er drückt seine Befindlichkeit, die er im Alltag nicht vermitteln kann, durch Musik, Bild, geschriebenes Wort oder Darstellung aus. Er sehnt sich nach Ruhm und Anerkennung und das zugestandenermaßen umso mehr, je lauter sein Magen knurrt. Natürlich ist er bereit, sein Tun in den Dienst einer anderen Sache zu stellen, solange zumindest, wie sie diesem Tun nicht widerspricht – zumindest nicht zu offensichtlich.
An Pop fasziniert mich, dass diese Kultur am souveränsten mit der Beziehung zum Kapital umgeht. Klar, die Geschichte der Kunst ist immer auch eine Geschichte von finanziellen Abhängigkeiten. Aber Pop heißt, darüber nicht zu jammern. Die Kunst der Popkultur besteht darin, das Kapital nicht verschämt zu verneinen, keine unbefleckte Empfängnis des Werks vorzugaukeln, sondern sich des Kapitals zu bedienen, mit ihm zu spielen, es sogar ab und an zu verhöhnen. Da Geld keine Seele hat, ist ihm das übrigens völlig egal. Ich brauchte selbst einige Zeit, das zu begreifen.
»You fucked up your life, why don’t you smile?«, sangen Element of Crime, die erste Band, die ich als Mitarbeiter der großen Plattenfirma Polydor unter Vertrag genommen hatte – 1986 im Westwerk in Hamburg. Ich drückte meine damalige Freundin und heutige Mutter unserer Kinder fest an mich, denn statt eines Lächelns waren Tränen auf meinem Gesicht. Ich fühlte mich ertappt: als derjenige, der sein Leben damit verschwendete, einem Konzern zu dienen, der keinen Inhalt hat. Das wäre vielleicht das Einzige gewesen, was ich – auf Wallraffs Spuren – noch hätte entlarven können. Aber nun, da ich diese netten Kreuzberger Jungs genötigt hatte, bei meiner Firma zu unterschreiben, war ich natürlich Teil des Systems. Doch das System ließ sich benutzen und beschwerte sich nicht einmal. Mit seinem Geld wurde die Legende John Cale, der John Lennon von Velvet Underground, überzeugt, die Band zu produzieren. Wir sparten ansonsten jeden Pfennig. Die Band wohnte zu viert in einem Zimmer in Swiss Cottage, einem Stadtteil Londons, der nur irreführenderweise nach Alpenromantik klingt. Wollte man heizen, musste man alle zehn Minuten Münzen nachwerfen, doch dafür hatten wir Fotos von Derek Ridgers, einem der gefragtesten Fotografen des damals angesagtesten Musikmagazins NME (New Musical Express).
Pop braucht Kapital, aber noch mehr braucht es Massenmedien, die natürlich wiederum nur aufgrund von Kapitaleinsatz existieren und gemäß Kapitallogik funktionieren. Die Medien bekamen wir für Element of Crime, zumindest was die Presse anging, – weil John Cale und Derek Ridgers nach großer, weiter Welt rochen und die Platte »Try To Be Mensch« dennoch so schön nach nebenan klang. Die Inszenierung für die Medien ist im Pop fester Bestandteil des Werks. Massenmedien sind sein Transportmittel direkt in den Alltag des Betrachters, Lesers, Hörers hinein. Am besten geschieht das ohne Vorwarnung. Als Song im Taxi, Text in der Tageszeitung oder Bild im TV, das dich kalt erwischt und bewegt. Nicht selten wird das Medium dabei selbst zum Pop. Pop funktioniert dann perfekt, wenn durch das Alltägliche der Alltag beeinflusst wird. Pop misst seinen Erfolg daran, in welcher Tiefe, welcher Breite dies gelingt. Das hat maßgeblich mit der Häufigkeit und Intensität zu tun, mit der das Werk den Konsumenten erreicht.
Das offensive und ehrliche Verhältnis zu Massenmedien und Kapital macht Pop aber auch so furchtbar verletzlich, wenn auf der anderen Seite die Verantwortung des Künstlers und der ihn umgebenden Managementstrukturen nicht mehr wahrgenommen wird. Management bedeutet im besten Sinne Moderation, bedeutet, im Interesse beider Seiten anzubremsen, wenn Inhalt durch Kapital und/oder Medium bedroht wird. Denn Inhaltsleere zerstört auf Dauer nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch das Geschäft. Wie soll man einen Konsumenten dazu bringen, für etwas Geld auszugeben, wenn es doch scheinbar um nichts mehr geht? Wenn die Wertschöpfung allein schon der Wert ist, darf sich niemand wundern, wenn die Charts nur noch eine Karaoke-Bar sind. Gute Karaoke-Sänger sind sicher nette Nachbarn oder Arbeitskollegen, aber eben keine Popstars. Innovation gehört nicht zum Programm von Casting-Shows. Doch eine Kultur, die sich nicht erneuert, nivelliert sich irgendwann. Pop führt somit gerade eindrucksvoll vor, wie man sich selbst abschaffen kann, wenn auf Dauer die Inhalte fehlen.
Nach genau diesen Inhalten jedoch sucht der Konsument, um sich selbst zu definieren. Er steht nicht mehr auf der vierten Stufe der berühmten »Bedürfnispyramide«, die Verhaltensforscher Abraham Maslow vor mehr als 60 Jahren publizierte. Auf das Bedürfnis nach Nahrung, nach Fortpflanzung und nach Sicherheit folgt dort das nach Gruppenzugehörigkeit. Auf Stufe fünf winkt in sehr entwickelten Gesellschaften die Individualisierung. Man will nicht mehr nur Teil der wärmenden Masse sein, man wendet sich eher vom klassischen Mainstream ab und versucht, Eigenständigkeit zu demonstrieren. Das gelingt in den meisten Fällen nur bedingt. Es führt aber dazu, dass nicht mehr der »ideale« Schwiegersohn oder die tumbe, blonde Sexbombe den neuen Mainstream ausmachen, sondern durchaus eigenwillige Typen, die die Spitzen der jeweiligen Szenen darstellen. Der Konsument dokumentiert seine vermeintliche Eigenständigkeit, indem er sich musikalische Bouquets zusammenstellt: Norah Jones und U2, Shania Twain und Eminem – und natürlich Robbie Williams. Das bedeutet: Jazz und Alternative Rock, Country, Hip-Hop und natürlich Pop; Künstler aus unterschiedlichen Genres, die sich als Stilrichtungen eigentlich widersprechen. Zusammen bilden sie nun eine Plattensammlung, die vor Jahren noch schizoid erschienen wäre, die ich so aber schon oft vorgefunden habe. Alle genannten Interpreten haben ein eigenständiges Profil, kommen authentisch aus ihren jeweiligen Szenen und sie stehen, jeweils auf ihre Art, für Inhalte. Nebenbei bemerkt, sind sie die weltweit erfolgreichsten Pop-Künstler ...