Kitabı oku: «Das Flüstern der Pferde»

Yazı tipi:


Foto: Christiane Slawik

TINA SCHUMACHER

Das Flüstern der Pferde

Die acht größten Potenziale aus der Begegnung mit Pferden


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Impressum

Copyright © 2022 by Crystal Verlag GmbH

Gestaltung: www.jb-design-online.de – Johanna Böhm, Dassendorf

Titelfoto: Anna Kentnofski

Fotos im Innenteil: siehe Nachweise

Druck: Westermann Druck, Zwickau

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de aufrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

Printed in Germany

ISBN: 978-95847-026-2

eISBN: 978-3-95847-726-1


Inhalt

Die Magie des Anfangs

Warum Pferde flüstern

WUNDERvolle Wesen

Schubladen für die Persönlichkeit

Spieglein im Stall

Hinsehen hilft

Potenzial – Persönlichkeit – Pferd

Innere Ruhe

Verantwortung & Abgrenzung

Reflexionsvermögen

Annahme & Geduld

Klarheit – authentisch leben

Kommunikation & Empathie

Loslassen & Freiheit

Intensive Beziehungen

Pferde verkörpern Menschlichkeit

Danke

Quellen


Foto: Celina Gehrsitz

Die Magie des Anfangs

Der Anfang einer Reise, der erste Moment einer Begegnung oder die ersten Zeilen eines Buches sind oft etwas ganz Besonderes. Meist entscheiden sie schon durch wenige Nuancen darüber, ob wir unseren Weg fortsetzen, einen neuen Kontakt aufrechterhalten oder ein Buch gefesselt weiterlesen.

Meine Reise mit den Pferden hat mit sieben Jahren begonnen. Damals wusste ich noch nicht, dass es eine der spannendsten Reisen meines Lebens werden sollte. Vom ersten Augenblick an war ich fasziniert von diesen kraftvollen und gleichzeitig unglaublich sanften Wesen. Schon damals war ich mir absolut sicher, dass die Pferde ein Teil meines Lebens werden sollten, und ich wusste, dass ich irgendwann bei Olympia reiten wollte. Davon bin ich zwar noch weit entfernt, aber dieser Traum lebt auch heute noch in mir weiter – selbst 24 Jahre später.

Ich bin zwar nicht in einer Pferdefamilie groß geworden, aber dennoch besitzen wir heute einen eigenen kleinen idyllischen Hof mit unseren insgesamt drei Pferden. Gino, Wamiro und Leviano haben mein Leben auf eine ganz besondere Art und Weise geprägt. Mit meinem Gino hatte ich eine unbeschwerte Kindheit und einen Partner, der mir in jeglichen Lebenslagen zur Seite stand. Mit Wamiro sollte, vor allen Dingen zu Zeiten, in denen ich turniermäßig in S-Dressuren unterwegs war, vermehrt die Unsicherheit und Verbissenheit einziehen. Später durfte ich durch ihn und genauso durch Leviano meine kindliche Unbeschwertheit zurückfinden.

Die Geschichten dieses Buches erzählen von all den schweren, verrückten, bereichernden und emotionalen Erlebnissen auf dem gemeinsamen Weg mit meinen Pferden. Sie erzählen von Umwegen, von Neuanfängen, von Ängsten und von Mut. Mit einer Entscheidung zum Umdenken begann für mich vor einigen Jahren eine ganz neue Magie des Anfangs. Ich konnte mich plötzlich viel intensiver in meine Pferde einfühlen, nahm kleine Veränderungen wahr und hatte das Gefühl, nicht mehr länger ein Opfer der Umstände zu sein, in denen ich mich befand. Es war berührend und gleichzeitig beunruhigend, zu sehen, was ich früher nicht gesehen hatte. Ich arbeitete intensiv an meiner Persönlichkeit und war erstaunt über die Resultate, Resultate, die sich nicht nur in Zusammenhang mit den Pferden bemerkbar machten, sondern in meinem gesamten Leben. Plötzlich konnte ich eigene Potenziale erkennen, von denen ich damals nicht glaubte, sie zu besitzen.


Foto: Christiane Slawik

Zahlreiche neue Wege haben meine Pferde mit mir bestritten und die Magie des Anfangs geprägt: meine Entscheidung zur Selbstständigkeit, die Mitarbeit im therapeutischen Reiten, meine Coachingausbildung, die Durchführung inklusiver Reitturniere, das Reiten mit Halsring und vieles mehr. Heute helfe ich Menschen und Pferden dabei, ihre Stärke wiederzuentdecken und vertrauensvolle Beziehungen zu leben, egal ob im Pferdesport oder im Leben an sich. Regelmäßig entscheide ich mich ganz bewusst dafür, in das Chaos eines neuen Anfangs zu starten – genauso wie mit diesem Buch.

Es besitzt diese Magie des Anfangs. Das Flüstern der Pferde ist mein erstes Projekt dieser Art und eine Herzensangelegenheit, mit der ich dich dazu ermutigen möchte, dich mit mir auf eine Reise zwischen Persönlichkeitsentwicklung, Potenzialen und Menschlichkeit zu machen – das Leben, die Pferde und jeden Moment immer wieder zum ersten Mal zu betrachten. Dann verstehen wir, dass Flüstern zwar leise, aber dennoch sehr deutlich ist. Und wir erleben, dass genau darin das Geschenk der Pferde liegt.

Podcast


Die Arbeit mit meinen Pferden kannst du dir in diesem Podcast anhören https://www.youtube.com/watch?v=FZeucmPo7e8


Foto: Anna Kentnofski


Foto: Christiane Slawik

Warum Pferde flüstern

… vielleicht, weil wir oft viel zu laut sind!

Mit deinem Fokus kannst du Welten bewegen. Das lernen Pferdemenschen, aber auch Menschen, die sich intensiv mit sich und ihrer Wirkung beschäftigen. Ob Führungskraft, Kind oder Jugendlicher, Mensch mit Handicap, millionenschwer oder bettelarm – Pferde wirken auf jeden Menschen gleich. Sie machen keine Unterschiede. Sie wirken klar, unverblümt und ehrlich. Pferde spiegeln das Verhalten des Menschen auf eine unheimlich wertschätzende Art und Weise. Manchmal müssen wir ein wenig deutlicher hinsehen, um das zu erkennen. Manchmal zeigen es uns die Pferde auf eine sehr direkte und harte Weise. Genauso funktioniert das mit dem Leben. Manchmal bekommen wir gewisse Entwicklungspotenziale oder Schritte, die wir für uns auflösen dürfen, in klitzekleinen Portionen geliefert. Diese kleinen Portionen schleichen sich an, „flüstern“ sich in unser Leben. Oft hören wir aber nicht zu, weil wir nur dieses „laute Schreien“ der Gesellschaft, in der wir leben, kennengelernt haben, weil wir jeden Tag in der „Disco des Lebens“ unterwegs sind und es verlernt haben, diese leisen Töne zu hören. Dabei wollen sie uns bereits frühzeitig sagen: „Hey, schau doch mal genauer hin. Ich werde immer wieder kommen. Ich bin ein Thema, das dich immer wieder einholen wird.“ Irgendwann wird dieses Thema schreien. Es muss laut werden, damit wir endlich hinsehen.

Genauso ist es mit der Reaktion der Pferde. Die Art und Weise, wie ein Pferd wirkt, hat immer auch etwas mit uns zu tun. Es ist ein Spiegel unserer Persönlichkeit, mit dem wir tiefer schauen können, als wir es uns zu träumen gewagt haben. Manche Dinge, die wir dann sehen, werden uns nicht gefallen, und andere hingegen finden wir wunderschön. All das filtern die Pferde und mit ihrer feinen Wahrnehmung geben sie uns die Möglichkeit, uns selbst aus ihren Augen anzusehen. Sie lehren uns, unsere Wahrnehmung zu verfeinern – die leisen Töne zu hören. Sie ermöglichen uns behutsam und liebevoll, das Flüstern wieder zu erlernen.


Foto: Lea Schlechtriemen

„Zuhören und Hinsehen sind oft die größten Schlüssel zur eigenen Persönlichkeit.

Die Filter unserer (menschlichen) Wahrnehmung werden mit den Jahren, mit dem Älterwerden und all unseren individuellen Erfahrungen teilweise überlagert oder überdeckt von Erfahrungen, die wir selbst gemacht haben oder die wir im Spiegelbild anderer Menschen erleben durften und mussten, von Dingen, die durch unsere Erziehung beeinflusst wurden und unsere Blickwinkel geprägt haben, durch die wir mittlerweile die Welt und die Menschen sehen. All das lässt uns auf eine gewisse Art und Weise reagieren.

Dabei spielt natürlich auch schulische Prägung eine Rolle. In der Schule haben wir gelernt, dass der Himmel blau ist und das Gras grün. Wir haben gelernt, dass es gesellschaftliche Muster gibt, in die wir uns fügen sollten, sofern wir in unserer Kultur angenommen werden möchten. Durch festgefahrene Vorgaben, die uns sagen, wie wir zu handeln, zu fühlen und zu denken haben, verlernen wir, wirklich wahrzunehmen – uns und unsere Umgebung. Wir verlernen mit den Jahren, genauer hinzusehen. Dann bedienen wir uns unserer gewohnten Verhaltensweisen und reagieren – wie in einem Hamsterrad, das vorgibt, welche Handlung als Nächstes zu vollziehen ist. Klingt ziemlich unfrei und ist es auch!

Das führt dazu, dass wir uns nicht selten als Opfer der eigenen Umstände betrachten und nicht damit rechnen, dass auch wir einen Anteil an dieser Situation haben könnten. Wir streiten heftig und brüllen uns an, wenn wir anderer Meinung sind. Wir missverstehen uns sehr oft, weil wir in unserem eigenen Hamsterrad und der andere in seinem fröhlich weiterradelt. Oft vergessen wir, genauer hinzusehen und auf unser Gegenüber zu achten. Wir übersehen Potenziale – von uns selbst, der Gemeinschaft und von anderen. Wir übersehen, wenn es dem anderen mal nicht so gut geht. Vielleicht übersehen wir auch, wie wir wirken und was wir in gewissen Momenten nach außen ausstrahlen – ein Konfliktpotenzial, welches mit Wahrnehmung beginnt, den eigenen Ausdruck und die eigene Einstellung beeinflusst und letztendlich darauf wirkt, ob wir in erfüllten oder unerfüllten Beziehungen leben.

Jeder Pferdemensch weiß natürlich, dass mit „Pferdeflüstern“ nicht gemeint ist, sich neben das Pferd zu stellen und leise mit ihm zu reden. Pferdeflüstern ist ein Ausdruck für eine gewisse Qualität der Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung ist die Basis für eine extrem feine Kommunikation. Wir alle haben das in uns – diese intensiv fühlende und kleinschrittige Wahrnehmung, die letztendlich eine klare und wertschätzende Kommunikation beeinflusst. Wenn wir uns dazu entscheiden, sie wachzurütteln, müssen wir anfangen, uns selbst und unsere Wirkung zu beobachten. Dann werden wir wiederfinden, was wir irgendwo und irgendwann auf unserem Weg verloren haben.


Foto: Anna Kentnofski

Mich hat es schon immer fasziniert, Menschen mit Pferden in der Freiarbeit kommunizieren zu sehen. Dieses Zusammenspiel war für mich magisch. Das musste fast schon eine Art Zauber sein, wie der Mensch sich gemeinsam mit seinem Pferd bewegt. Wie die beiden sich wahrnehmen, wie sie miteinander spielen – wie das Pferd für den Menschen vollkommen frei und ohne Zwang bestimmte Dinge tut. Manchmal habe ich mich sogar dabei erwischt, mich zu fragen, wie man so etwas überhaupt erreichen kann. Ob da Gewalt im Spiel war? Diese Frage spricht natürlich schon für eine gewisse Erfahrung, die ich in meinem Leben gemacht habe.


Foto: Lea Schlechtriemen

Ich durfte lernen, dass es nicht nur schwarze Schafe gibt, die Pferde dressieren, sondern unheimlich fühlende, klare und wertschätzende Pferdemenschen. Ich durfte aber auch lernen, dass ich diese Menschen nicht auf einen Sockel stellen muss. Sie machen eine wunderbare Arbeit und trotzdem durfte ich verstehen, dass eigentlich jeder „flüstern“ kann. Jeder, der sich Fragen stellen möchte, zu sich selbst und seiner Wirkung. Jeder, der sich reflektiert und sich auf Wertschätzung fokussieren möchte. Jeder, der sich für den Weg des „Pferdeflüsterns“ entscheidet. Selbst eine stumpfe und nach Schema F arbeitende, turnierfixierte Dressurreiterin, die ihre Pferde zwar wirklich gern hatte, aber irgendwie trotzdem, auch nach über zehn Jahren, noch nie einen „richtigen“ Dialog mit ihnen führen konnte. Ach übrigens: Ich meine damit nicht, dass alle Dressurreiter so sind – ich habe schlichtweg von mir gesprochen und davon, wie meine Welt damals aussah.

Heute bin ich an einem Punkt, an dem ich nur mit dem Setzen meines Fokus die Beine meiner Pferde ansteuern kann. Ich bewege mich mit ihnen vollkommen frei. Ich genieße es, mit ihnen zu spielen – vom Boden und im Sattel. Ich hole sie ab, wenn sie sich mal Raum schaffen. Ich lobe unheimlich viel. Ich reflektiere mich selbst in jedem Moment und vor allen Dingen dann, wenn ein Pferd anders reagiert, als ich es mir gewünscht habe. Seitdem kann ich so viel feiner wahrnehmen. Ich führe endlich einen Dialog mit meinen Pferden und vor allen Dingen mache ich eins: Ich flüstere!

Und die Pferde lieben es! Meine Entwicklung und später die meiner Kunden hat mir ganz extrem gezeigt, wie sensibel diese Tiere reagieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal so leicht mit Pferden bewegen kann. Wie fein sie spüren, was wir wollen, wenn wir ganz klar im Fokus haben, was jetzt gerade unser Anliegen ist. Dann brauchen wir keine lauten Gesten mehr. Wir müssen dann nicht mehr verbissen unseren Willen durchsetzen – mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.

Auch ich war mal hart zu meinen Pferden und mein Ego war mindestens drei Kilometer größer als ich. Und auch jetzt noch mache ich Fehler und kommuniziere hier und da noch viel zu unklar. Das spiegeln mir meine Pferde, aber heute wachse ich daran, weil ich gelernt habe, mich zu reflektieren – und ich wachse in allen Lebensbereichen, denn die Veränderungen, die daraus entstehen, schwappen zwangsläufig auf das Leben über.

Ich glaube, in der Pferdewelt sind die beiden kontroversen Richtungen „Schema F“ und „tatsächliches Hinsehen“ ziemlich präsent. In einigen Bewegungen mit dem Pferd scheint der Tellerrand so hoch wie ein Hengstzaun mit 130 Volt, bei dem man gar nicht erst darüber nachdenkt, drüberzuschauen. Für die, die jetzt glauben, ich spiele auf die Englischreiterei an, kann ich nur sagen: Nein, diese Aussage gilt generell für Menschen, die denken, sie hätten „die Weisheit gefressen“, für Menschen, die sich über andere stellen, sich und ihre Arbeit für etwas Besseres halten. Ich glaube, damit limitieren wir uns selbst und bewegen uns dennoch in unserer kleinen Welt. Selbst dann, wenn das ganz nett und „horsemen-like“ erscheinen mag.

Doch immer öfter ist auch eine andere Richtung erkennbar. In dieser Richtung sind oft Menschen unterwegs, die intensiv mit sich selbst gearbeitet haben, um eben Resultate von wirklicher Verbundenheit zu erzielen. Sie schauen über den Tellerrand und reflektieren sich ständig selbst. Sie beobachten, sie spielen, sie verändern und sie probieren aus. Sie lernen, sich wirklich auf ihr Gegenüber einzustellen, und sie lernen diese leise und absolut feine Art der Kommunikation. Dann machen Pferde Menschen und sie sind ein Vorbild für Menschlichkeit – egal, ob in der Therapie, im Sport, im Coaching, in der Freizeit oder ganz einfach im Leben.

Die Entscheidung, genauer hinzusehen und unsere Wahrnehmung zu schulen, halte ich für unglaublich wichtig. Unterschiedliche Sprachen erfordern schließlich andere Mittel der Kommunikation. Wie wir alle wissen, kommunizieren Pferde sehr selten bis eigentlich fast gar nicht über Laute. Vielleicht sagt man auch „Pferde flüstern“, weil sie Laute tatsächlich nur in extremeren Situationen nutzen. Und trotzdem funktioniert die Sache mit den unterschiedlichen Sprachen – ganz klar durch feine Wahrnehmung und eine genauso feine Beobachtungsgabe. Denn selbst wenn wir die gleiche Muttersprache sprechen, kommunizieren wir doch immer aus unserer eigenen Welt heraus – mit unseren individuellen Erfahrungen, Gedanken und Wünschen. Wir müssen uns erst verstehen lernen. Genauso ist das bei Pferd und Mensch.

Zu Beobachtungsgabe, Wahrnehmung und dem Verstehen gibt es eine kleine wunderschöne Geschichte. Die Geschichte von einem Pferd, das rechnen konnte. Sie spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wilhelm von Osten erwarb im Jahre 1900 seinen schwarzen Orlow-Traber namens Hans. Kurz darauf begann von Osten mit Trainingseinheiten. Hans sollte lernen, Rechenaufgaben und anspruchsvolle Kunststücke aus eigener Gehirnleistung zu absolvieren. Hans beantwortete die Fragen seines Trainers durch Stampfen mit dem Huf oder Schütteln beziehungsweise Nicken des Kopfes. Er konnte sogar ganze Wörter zusammensetzen. Im Jahre 1904 begutachtete eine Gruppe von 13 Wissenschaftlern die Leistung von Hans und kam zu dem Schluss, dass Hans keinerlei Hilfestellung erhielt. Er wurde als Wunderpferd anerkannt.


Foto: www.shutterstock.com/vprotastchik

Doch die Erklärung für die außergewöhnliche Leistung des Wunderpferdes lieferte schlussendlich ein Psychologiestudent:

„Schließlich war es Oskar Pfungst, damals Psychologiestudent und kritischer Beobachter der Vorführungen von Ostens, der die Entzauberung des Klugen Hans in die Wege leitete. Er hielt es für möglich, dass von Osten zwar nicht bewusst dem Pferd Befehle gab, aber unbewusst durch seine Körpersprache auf Hans reagierte. So nahm er an, dass winzige Signale der Erleichterung, nachdem Hans die richtige Zahl mit dem Huf gescharrt hatte, eine kleine Änderung der Körperspannung, eine kaum merkbare Änderung der Mimik des Lehrers das Tier veranlasste, mit dem Scharren aufzuhören.

In einer zweiten kommissionellen Prüfung des Tieres wurde diese Annahme bestätigt. Hans konnte tatsächlich die richtige Lösung auf Fragen immer dann nicht geben, wenn er den Fragesteller nicht sah oder wenn dieser die Antwort auf Fragen selber nicht wusste. Damit war Hans enttarnt – er war doch kein außergewöhnliches Rechengenie innerhalb der Pferdefamilie, aber ein ausgesprochen genauer Beobachter.“


(https://www.derstandard.at/story/2000056054980/der-kluge-hans-das-pferd-das-rechnen-konnte)

Der kluge Hans war ein Genie der Körpersprache. Er nahm die Ausstrahlung seines Besitzers wahr, in ganz feinen Nuancen der Mimik und Gestik, der Bewegung, der inneren Energie oder der Ausdrucksweise, die dieser Mensch ihm spiegelte. Dementsprechend reagierte er – leise und unauffällig.

Gerade deshalb bedeutet „Pferdeflüstern“ für mich, sich tatsächlich aufeinander zu beziehen. Sich kennenzulernen, die Sprache des anderen verstehen zu lernen, in einer gewissen Art und Weise aufeinander zuzugehen, sich selbst zu reflektieren und einen gemeinsamen Weg zu finden. Das ist der wahre Kern vom „Pferdeflüstern“ – letztendlich ein etwas paradoxes Wort mit Konfliktpotenzial, denn, wie du weißt, geht es hier nicht um leise Worte, sondern um eine Form der Wahrnehmung und der ständigen Selbstreflexion, darum, sich selbst anzusehen und die eigene Persönlichkeit und Wahrnehmung bewusst weiterzuentwickeln. Pferde sind Bewusstseinsschmiede in Perfektion.

Fünf Fragen für deine Persönlichkeitsentwicklung – im Gespräch mit Freunden oder für dich allein:

1. Was bedeutet Pferdeflüstern für dich und deine Persönlichkeit?

2. In welchen Lebensbereichen oder Situationen fühlst du dich frei und wo fühlst du dich unfrei?

3. Was war deine bisher größte Herausforderung und was dein bisher größtes Glück mit Pferden?

4. Was sagt dir dein Pferd über deine Wirkung?

5. Wie kannst du diese Erkenntnisse auch im Alltag nutzen?


Foto: Daniel Busse

WUNDERvolle Wesen

Pferde stecken voller Wunder. Das heißt, wir wundern uns, wenn sie auf eine gewisse Art und Weise reagieren und gerade nicht das tun wollen, was wir von ihnen „verlangen“. Oder wir wundern uns, wenn sie genau das tun, was wir wollen, und dabei wie Hellseher ohne Glaskugel wirken.

Manchmal sind wir so sehr mit dem Wundern beschäftigt – teilweise auch mit dem Wundern über die „Ungerechtigkeit der pferdischen Handlungen“ –, dass wir gar nicht erst darauf kommen, dass das Ganze etwas mit uns zu tun haben könnte.

Pferde sind ehrlich und sie sind authentisch. Sie reagieren schlichtweg auf das, was wir ihnen sagen. Manchmal ist das etwas, von dem wir nicht einmal gemerkt haben, dass wir es ihnen vermitteln. Manchmal liegt das Gesagte auf der Hand. Und ein anderes Mal waren wir einfach nur beieinander und haben trotzdem aufeinander gewirkt. Pferde spiegeln uns klar, direkt und authentisch. Vielleicht liegt darin das Wunder.

Wie Paul Watzlawik in seinem berühmten Satz festhielt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ In jedem Moment strahlen wir etwas Bestimmtes aus und wirken damit auf unser Gegenüber und unsere Umwelt. Es entsteht ein Dialog, von dem wir oft mehr als die Hälfte verpassen. Denn dieser Dialog geht nur leise vonstatten und wird umrandet von dieser nicht ganz unwichtigen Sache mit der Wahrnehmung. Vieles, was in unserem Leben passiert, bekommen wir einfach nicht mit. Wir leben daran vorbei und wundern uns später, warum wir in bestimmten Situationen verharren. Und wir wundern uns auch, warum die Pferde auf eine gewisse Art und Weise reagieren.

Ein paar Beispiele:

Wir belohnen unsere Pferde bei vermeintlich jeder guten Tat mit einem Leckerli und wundern uns später, warum uns das Pferd immer derart nahe kommt, warum es mit der Nase bettelnd an uns zupft oder warum die Dinge, die wir ihm doch beigebracht haben, nur noch mit Leckerli funktionieren.


Foto: www.shutterstock.com_Christy berry

Wenn wir beim Reiten dauerhaft treiben, wundern wir uns, warum wir danach ein Sauerstoffzelt brauchen und das Pferd einfach nicht mehr läuft, sobald wir aufhören zu treiben. Wir geben ständig dieselbe Hilfe, wir sagen dem Pferd ständig das Gleiche und wundern uns, dass die Resultate immer gleich bleiben.

Wenn wir innerlich stark angespannt sind, wundern wir uns darüber, dass das Pferd in Hektik verfällt. Wir machen mit dem Pferd einen Ausflug oder gehen auf ein Turnier, sind nervös und wundern uns wieder, warum das Pferd nervös wird. Das ist kein Fehler, der in irgendeiner Form in uns liegt, aber es ist auch kein Grund, sich zu wundern. Wir können und sollten nicht von diesen Tieren verlangen, dass sie unser Leben, unsere Leidenschaft und unsere Einstellung teilen und uns dabei als Sicherheitsstütze dienen – in Situationen, bei denen wir selbst von Überforderung eingeholt werden.


Foto: www.shutterstock.com_Anaite

Weitergekramt im Beispielkasten fällt mir ein Video ein, bei dem ein Mann einem Fohlen den Po krault. Das Fohlen dreht sich mit dem Hintern zu ihm und er krault und krault und krault. Der Mann entfernt sich ein Stück, das Fohlen kommt wieder und der Mann krault weiter. Was er nicht sieht: Wenn er weggeht, legt das Fohlen immer wieder die Ohren an, schaut ein kleines bisschen verschmitzt zur Seite und fordert das Kraulen ernsthaft und penetrant ein. Als der Mann dann nicht mehr kraulen möchte, kickt das Fohlen mehrfach nach ihm. Dieser wundert sich augenblicklich ganz schön, warum das Fohlen solch ein freches Verhalten an den Tag legt. Und während wir uns dieses Video auf Social Media ansehen, schmunzeln mindestens 80 Prozent der Zuschauer über das Unwissen des Mannes. Mindestens 99 Prozent dieser Menschen sind sich nicht bewusst, dass auch irgendwo in ihnen ein solcher „unwissender Mann“ schlummert.

Kritik geht leicht über die Lippen, wenn wir eine Situation von außen betrachten können. Wenn wir selbst das Zentrum sind, fällt es uns oft schwer, unseren Anteil am Geschehenen zu erkennen. Es ist einfacher, das, was wir nicht sehen wollen, von uns abzukoppeln und es dem anderen zuzuschieben. Genauso steht es um die „Bandenprofis“. Denn Kritik kann wertschätzend, aber auch herablassend sein. Ich denke, jeder kennt diese Menschen, die alles besser wissen – ob am Rande der Reithalle, im Arbeitsleben oder in der Kindererziehung – es gibt sie überall. Warum? Weil es einfacher ist, sich über die „Dummheit“ der anderen zu wundern, als die eigene „zwischenmenschliche Dummheit“ anzusehen. Oft sind Bandenprofis Menschen, die sich selbst nicht genügend schätzen und deshalb andere kleiner machen müssen als sich selbst.

Wenn ich etwas oder jemanden verurteile, sollte ich mich daher gleichzeitig fragen, was das alles mit mir zu tun haben könnte. Klingt vielleicht im ersten Moment merkwürdig, bezieht sich aber auf einen psychologischen Faktor namens Projektion. Hierbei handelt es sich um einen Abwehrmechanismus, bei dem eigene unerwünschte Gefühle, Wünsche oder Erinnerungen einem Gegenüber zugeschrieben werden. Wir schieben negativ Erlebtes von uns weg, um es auf andere zu übertragen. Eben wie manch ein Bandenprofi, der sich eigentlich wünschen würde, das, was er sieht, genauso gut umsetzen zu können. Wie all diese extremen, fast schon radikalen Sichtweisen rund um die Pferde. Wie die vielen Fälle von Social-Media-Mobbing und wie das Anders-haben-Wollen und Kritisieren der Persönlichkeit eines Menschen, der uns sehr nahesteht. In allen Lebensbereichen und Gesellschaftsschichten unseres Planeten kommt Projektion vor. Wenn wir uns nicht selbst ansehen möchten, werden wir in unserer Opferrolle bleiben und der Verantwortung aus dem Weg gehen. Dabei wäre ein wenig Selbstfürsorge gerade in solchen Momenten nötig. Denn wer andere kleinmacht, um selbst (meist natürlich unbewusst) größer zu wirken, tut weder sich noch seinem Umfeld gut.

Pferde sehen hinter diese Fassade. Sie nehmen uns ganzheitlich wahr. Manchmal sogar mit Inhalten, die wir selbst nicht mal kennen. Sie sind näher an uns und an unserer Persönlichkeit, als wir uns das vorstellen können.

Pferde sind tatsächlich wundervolle Wesen. Nicht nur, weil wir uns so oft über sie wundern, sondern viel eher, weil sie Menschen, die hinsehen möchten, neue Welten eröffnen. Sie reagieren auf jeden Menschen absolut gleich und machen keine Unterschiede. Sie zeigen uns auf eine sehr wertschätzende Art und Weise, was es bedeutet, Mensch zu sein – mit allen innerlichen Facetten, mit allem, was uns bewegt, mit allem, was uns verbindet, und mit allem, was uns voneinander trennt. Pferde sind kleine Wunderheilmittel, durch die wir eigene innere Ketten erkennen und uns davon befreien können. Und trotz unserer Individualität zeigen sie uns, dass wir alle gleich wichtig sind und dass wir geliebt sind mit allen unseren Fehlern, mit allen Potenzialen, mit Ängsten, mit Wünschen und mit dem, was uns Freude bereitet. Wenn wir genau hinsehen, zeigen uns die Pferde ziemlich oft, wie Menschsein funktioniert.

Fünf Fragen für deine Persönlichkeitsentwicklung – im Gespräch mit Freunden oder für dich allein:

1. Worin liegt für dich das Wunder der Pferde?

2. In welchen Momenten hast du dich bereits über dein Pferd gewundert? Mit welchen deiner Persönlichkeitseigenschaften, Alltagssituationen und Verhaltensweisen geht das einher?

3. Gibt es Situationen, in denen du über andere urteilst? Wie sehr reflektierst du, was dein Urteil mit dir selbst zu tun hat? Wie würden Pferde eventuell reagieren?

4. Was zeigen dir Pferde ganz besonders, wenn es um Menschlichkeit geht?

5. Mit welchen Persönlichkeitseigenschaften fühlt sich ein Pferd beim Menschen besonders wohl?

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