Kitabı oku: «Ghostsitter», sayfa 2
Kapitel 4: Ungebetener Besuch
Als Tom den Zirkuswagen betreten hatte, fühlte er sich zum ersten Mal seit langer Zeit richtig alleine.
Klar, hinter der Wand hockte Welf in seinem Käfig, Vlarad war in seinem Labor und die anderen würden bestimmt bald zurückkehren. Aber die Sache mit Mimi belastete Tom sehr. Er hatte sich mit dem Geistermädchen von Anfang an super verstanden, sie waren schnell richtig gute Freunde geworden und inzwischen wohl auch mehr als das.
Tom freute sich jedes Mal, wenn Mimi bei ihm reinplatzte, und er liebte es, wenn sie gemeinsam am Computer vor World of WerWizards saßen. Das Gespenst fieberte mit, gab Tipps und warnte ihn, wenn er Gefahr lief auf einem der drei Bildschirme, etwas zu übersehen.
Inzwischen verstanden sie sich blind, sie konnten über alles reden, ohne dass der eine den anderen völlig falsch verstand. Gemeinsam hatten sie sogar Mimis gelegentliche Eifersuchtsanfälle ganz gut in den Griff bekommen.
Humor war hier der Schlüssel gewesen, denn Tom konnte Mimi auch dann zum Lachen bringen, wenn ihr gerade überhaupt nicht danach war. Und wenn Mimi ihr glockenhelles Lachen ertönen ließ, grinste er selbst jedes Mal breiter als der Äquator.
Doch diesmal war es irgendwie anders, und Tom überlegte, warum eigentlich. Er hatte nicht wie sonst Lust gehabt, die Situation durch einen witzigen Spruch zu entschärfen – ganz im Gegenteil.
Tom schaute auf den Zettel, auf dem er sich die Übungen notiert hatte. Genervt faltete er ihn zu einem kleinen Quadrat.
Ja, er spürte deutlich, dass er immer noch sauer war. Wenn Mimi vor so langer Zeit mit dem Training begonnen und das Ganze bis heute durchgezogen hätte … wer weiß, zu was sie jetzt in der Lage gewesen wäre? Tom war sich sicher, dass er selbst an Mimis Stelle täglich trainiert hätte, wenn die Chance bestehen würde, wieder Dinge anfassen, anheben und spüren zu können.
»Ich versteh das einfach nicht …«, murmelte er und überlegte, warum es ihn gleichzeitig verwirrte und so seltsam sauer machte. Tom war auch klar, dass es darauf eine Antwort gab. Diese schwebte schon seit einer halben Stunde direkt neben seinem Kopf – in der Hand ein Schild mit der Aufschrift: »Oh, raff es bitte!«
Aber immer, wenn Tom hinschaute, glitt die Erkenntnis gerade so weit zur Seite, dass er sie wieder nur aus dem Augenwinkel wahrnehmen konnte.
Nervig.
Es klopfte.
Nervig eintausend!
Tom steckte den gefalteten Zettel in die Tasche seiner Leinenhose, um später dafür einen geeigneteren Platz zu finden, an den er sich auch erinnern würde. Dabei schlurfte er zur Tür, öffnete und staunte. Vor ihm stand Zoracz und lächelte sein falschestes Lächeln.
»Dürrfte ich vielleicht einen Morrment eintrreten, junger Mann?«
Tom machte sich keine Mühe, seine Top-Genervtheit zu verbergen. »Nö. Sagen Sie mir hier draußen, was Sie wollen, und dann gehen Sie bitte wieder.«
Zoracz nickte. »Nun gurrt, wie du willst. Hier.«
Er drückte Tom einen Füllfederhalter in die Hand und zog unter seinem Cape ein Schriftstück hervor, um es ihm etwas zu nah unter die Nase zu halten. »Überschrreibe mir die Geisterrbahn mit allem, was dazugehört, und verhindere ein grroßes Unglürrck!«
Tom schaute Zoracz an, als hätte der gerade vor ihm »Alle meine Entchen« gesungen und dazu im rosa Ballettröckchen einen Ausdruckstanz aufgeführt.
»Warrrum starrst du mich so an, rrede ich in einer für dich unbekannten Sprrache?«, knurrte Zoracz.
»Ich hab verstanden, was Sie gesagt haben, aber warum Sie es gesagt haben, versteh ich wirklich nicht«, antwortete Tom. »Okay, außer Sie halten mich wirklich für unfassbar dumm. Das würde es erklären.«
Er schüttelte fassungslos den Kopf und lachte einmal trocken auf. »Ha, echt jetzt, ich frag mich wirklich, wann ich mich jemals so saublöd verhalten habe, dass Sie annehmen, ich würde das jetzt einfach unterschreiben.«
»Es ist keine Frrage von Dummheit, Junge, sondern eine Frage der Barrmherzigkeit«, antwortete Zoracz, und Tom starrte seinen Widersacher noch ein bisschen verständnisloser an.
»Eine Frage der Barmherzigkeit?«, wiederholte er schließlich, und Zoracz nickte bedeutungsvoll.
»Genau das.«
»Ähm. Wollen Sie mir das vielleicht ein bisschen näher erklären?«
»Nein.«
»Okay, Sie wollen nicht, tun es aber hoffentlich trotzdem?«
»Nein.«
»Ah. Na gut.«
Einen Moment lang standen die beiden schweigend voreinander: Tom mit dem Füller in der Hand und Zoracz mit dem Vertrag, den er Tom immer noch unter die Nase hielt.
Schließlich hatte Tom genug. »Wie lange wollen Sie denn jetzt hier noch stehen und mich an dem Zettel riechen lassen? Ich unterschreibe das auf gar keinen Fall und wenn Sie bis zum Winter hier rumstehen.«
»Das ist aus vielerlei Grründen sehr bedauerlich … sehr bedaurrerrlirrch …«, schnarrte Zoracz, wartete aber trotzdem noch ein paar Sekunden, ob Tom es sich nicht doch noch anders überlegen würde.
Schließlich ließ er den Vertrag sinken und seufzte. Tom fiel sofort auf, dass es nicht sein übliches operettenartiges Seufzen war. Es klang vielmehr wirklich erschöpft und fast … verzweifelt. Tom sah Zoracz scharf an.
»Du wirst es bereuen«, sagte der nun, aber es klang nicht direkt wie eine Drohung – eher, als würde Zoracz ihn auf etwas vorbereiten. Und Tom hatte sehr wohl bemerkt, dass sein Erzfeind in dem Satz kein einziges R gerollt hatte. Das war eigentlich immer ein Zeichen dafür, dass Zoracz es ernst meinte. Andererseits konnte es auch sein, dass er dieses Mittel inzwischen absichtlich einsetzte, um Ernsthaftigkeit vorzutäuschen – wer konnte das bei Zoracz schon wirklich sicher sagen …?
Sein Widersacher drehte sich um – und das überraschenderweise, ohne das Cape effektvoll aufzubauschen – und ging dann einfach über den nächtlichen Rummelplatz zurück zu seinem Spiegelkabinett. Tom hatte noch nie erlebt, dass sich Zoracz eine Gelegenheit für effektvoll eingesetztes Cape-Gebausche entgehen ließ. Normalerweise ging er auch nicht einfach nur weg, sondern schritt von dannen, als würde er während eines tosenden Schlussapplauses die Bühne verlassen. Seltsam …
Es ist mir eine große Freude, Vollzug in die Runde vermelden zu dürfen, ertönte da Hop-Teps Stimme in Toms Kopf.
Hey, das ist toll, antwortete Tom, aber er klang nicht so begeistert, wie er eigentlich beabsichtigt hatte. Also ist Wombie auch wieder entspannt?
Wir haben Grund, das anzunehmen, ja. Er begab sich direkt zur Waschmaschine, fraglos um Odors Geruch nach Marderhöhle mit einer gehörigen Überdosis Lavendel zu überdecken.
Okay, danke, Hop-Tep und … alle, funkte Tom in die Runde und wollte damit eigentlich die telepathische Verbindung kappen, ohne von Zoracz’ seltsamem Besuch zu berichten. Doch im selben Moment besann er sich, denn er fand sich dabei selbst so doof, dass er es kaum aushielt. Den anderen etwas Wichtiges zu verheimlichen, nur weil man gerade mies drauf war? Das machten doch nur Blödis in Blödi-Filmen, damit sie es später besonders effektvoll bereuen konnten. Auf so was hatte Tom keinen Bock, nein, er würde sich trotz allem Knatsch mit Mimi vernünftig verhalten. Nämlich.
Vielleicht kommt ihr trotzdem besser mal bei mir vorbei, funkte er darum in die Runde. Zoracz war gerade hier, und er war noch komischer als sonst …
Kapitel 5: Seltsarrm
Und er wollte sonst nichts?«, fragte der Vampir, und Tom schüttelte den Kopf. »Nein, er wollte nur wieder mal, dass ich ihm die Geisterbahn überschreibe.«
Vlarad legte die Zeigerfinger seiner gefalteten Hände vor den Mund und begann, im Zirkuswagen auf und ab zu laufen. Hop-Tep lehnte an der Küchenzeile, und Wombie stand im Eck neben der kleinen Couch. Im Arm hielt er den frisch gewaschenen Odor. Der Lavendelgeruch war so intensiv, dass Tom die Augen tränten, wenn er sich näher als zwei Meter heranwagte.
Der Vampir kratzte sich am Kinn. »Das ist allerdings hochgradig seltsam, in der Tat … Gut, dass du uns gerufen hast.«
»Wieso ist das jetzt so besonders?«, schaltete sich da Mimi ein, und ihr Tonfall klang immer noch motzig.
Diese Frage ist, mit Verlaub, nicht ganz korrekt gestellt, meldete sich da die Mumie. Sie müsste wohl eher lauten: Was ist nun besonders?
Vlarad reckte den Zeigefinger so ruckartig in die Luft, als wolle er ein Luftloch ins Dach schmettern. »Sehr richtig, alter Junge! So ist es. Dass Zoracz die Schreckensfahrt unter seine Kontrolle bringen will, ist in der Tat nichts Außergewöhnliches. Aber dass er nach so vielen Anläufen, Tricks und Attacken nun einfach mit Stift und Zettel vor der Türe steht, ist erstaunlich.«
Er drehte sich zu Tom herum und musterte ihn. »Ich möchte wetten, irgendetwas an ihm war anders als sonst, nicht wahr?«
Tom nickte. »Ja, und wie. Dass er ab und zu vergisst, sein R zu rollen, kennen wir ja schon. Aber stellt euch vor, er hat beim Weggehen sein Cape nicht aufgebauscht!«
»Was?«, entfuhr es Vlarad, und auch die Mumie wirkte überrascht. Sogar Mimi kam jetzt etwas näher geflattert, hielt aber nach wie vor Abstand zu Tom und würdigte ihn keines Blickes. Der versuchte, das zu ignorieren und bei der Sache zu bleiben. »Und als Zoracz weggegangen ist, da … na ja, da ist er einfach weggegangen. Nicht so storchenartig übertrieben wie sonst, sondern einfach ganz normal.«
»Ich glaube nicht, dass ich unseren Erzfeind jemals dabei beobachten konnte, wie er normal läuft. Das ist allerdings mehr als ungewöhnlich …«, murmelte Vlarad. Dann wandte er sich an Mimi: »Verehrtes Fräulein, ich muss dich um etwas bitten.«
Mimi zog nur die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Entweder Vlarad bekam nichts davon mit, dass das Geistermädchen schlecht drauf war, oder er ignorierte es.
»Bitte fliege hinüber zu Zoracz und sieh dich heimlich ein wenig bei ihm um.«
»Okay«, antwortete Mimi kurz angebunden und schwebte direkt durch die Wand davon. Kaum war sie verschwunden, drehte sich der Vampir zu Tom herum: »Was in dreizehn Teufels Namen hast du angestellt?«
»Ich!?«, platzte es sofort aus Tom heraus. »Ich hab überhaupt nix angestellt! Mimi war die, die nix gemacht hat, so sieht es aus, nämlich! Ähm …«
Vlarad und die Mumie sahen Tom fragend an, und fast schien es so, als würden auch Wombie und Odor verwundert zu ihm herüberschauen.
Der Vampir hob beide Hände. »Also du hast nichts angestellt und Mimi hat nichts gemacht. Wenn keiner von euch irgendetwas getan hat, wo genau liegt dann das Problem, wenn ich fragen darf?«
Tom fasste sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und kniff die Augen zu. »Nein, das … So hab ich das nicht … Moment mal …«
Er setzte sich an den Küchentisch und atmete dann einmal so kräftig aus, als wolle er die Kerzen einer Geburtstagstorte auspusten. Tom ordnete kurz seine Gedanken und machte dann einen neuen Anlauf.
»Also, Vlarad … Ich war sauer, als ich erfahren habe, dass du Mimi schon vor so langer Zeit diese Übungen gegeben hast, sie aber seitdem nix damit gemacht hat.«
Vlarad sagte nichts, also sprach Tom weiter.
»Und jetzt ist Mimi wiederum sauer auf mich, weil … weil … Also, ich weiß gar nicht genau, warum eigentlich. Schließlich bin ich ja der, der sauer sein muss, oder nicht?«
Der Vampir sah Tom seltsam an. »Ist das eine ernst gemeinte Frage?«
»Ja klar!«, antwortete Tom und runzelte die Stirn. »Wieso?«
»Nun ja, man könnte das auch andersherum sehen, mein Junge«, sprach der Vampir und sah hinüber zu Hop-Tep. Der nickte.
Tom schaute von einem zum anderen. »Wie … aber … sie hat doch …«
»Hat sie eben nicht, Tom«, unterbrach ihn Vlarad. »Sie hat mit dem Training damals nicht begonnen, weil sie nichts in ihrem untoten Leben vermisst hat. Doch nun lernte sie dich kennen und es gab plötzlich etwas, was sie nach so langer Zeit dazu animierte, doch daran zu arbeiten, feststofflicher zu werden …«
Der Vampir machte eine Pause, als wolle er Tom Zeit dazu lassen, dass die Erkenntnis von den Ohren ins Hirn sickerte. Das war allerdings schnell geschehen – Tom schlug beide Hände vors Gesicht und beließ sie dort, während er ganz leise sprach: »Oh Mann … so hab ich das gar nicht … ich hab …«
»Ja, du hast nur an dich gedacht und dass du nicht Händchen halten kannst, oder was auch immer du im Schilde führst«, sprach der Vampir und verzog dabei keine Miene. »Dass Mimi nach so langer Zeit als glückliche Geisterscheinung nur wegen dir einen Grund sah, überhaupt mit den Übungen zu beginnen, muss dir da wohl entgangen sein.«
Tom klappte die Hände zur Seite wie zwei Fensterläden und gestattete damit seiner Stirn, geräuschvoll auf dem Küchentisch aufzuschlagen. Er war nun weder sauer noch beleidigt oder sonst wie von Mimi genervt, dafür umso mehr von sich selbst.
»Ich hab mich aufgeführt wie dem Depp sein Wurstbrot …«, stöhnte er zwischen Zähnen und Tischplatte hervor. »Das tut mir so leid! Mannomann, tut mir das leid, boah…« Tom hob seinen Kopf und blickte Vlarad entschlossen an. »Ich muss Mimi das unbedingt erklären! Aber wie?«
»Ich finde, das mit dem Depp seinem Wurstbrot war schon mal ein guter Anfang«, erklang da die glockenhelle Stimme des Geistermädchens direkt neben ihm, und Tom schreckte hoch.
»D… du bist …«, stammelte er, und Mimi grinste.
»Schon wieder da, ja. Aber wenn du noch ein bisschen weiter erklären möchtest, warum du dich doof verhalten hast und wie doof eigentlich genau, dann mach ruhig weiter. Ich warte gern mit meinem Bericht und hör dir noch gernerer zu.«
»Gernerer ist kein existierendes Wort«, tadelte Vlarad, aber ihm war anzusehen, dass er es nicht sonderlich ernst meinte. »Wie dem auch sei, ich würde anregen wollen, etwaige interne Zwistigkeiten auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Wäre das für alle Beteiligten in Ordnung?«
»Aye, Sir, Vampir, Sir«, lachte Mimi und salutierte so zackig, dass ihr durchsichtiger Handrücken ein Stück weit in ihrer Stirn verschwand. Tom nickte dafür so stark, dass er die rote Stelle an der Stirn fast mit einer weiteren am Kinn ergänzt hätte. »Unbedingt! Sehr gern. Ahem … ja.«
Er setzte sich aufrecht hin und verschränkte die Arme. Dann stellte er fest, dass das irgendwie unsympathisch wirkte. Er öffnete die Arme wieder, legte einen auf den Tisch, dann den anderen und zog dann beide wieder herunter. Schließlich stand er etwas zu ruckartig auf und setzte sich halb auf die Tischplatte, um wenigstens ein bisschen cooler zu wirken als während der letzten zehn Minuten. Leider kippelte der kleine Tisch unter ihm dabei recht unangenehm. Tom musste laufend das Gleichgewicht korrigieren, und das wirkte nun noch weniger souverän, als wenn er einfach sitzen geblieben wäre.
Da hob die Mumie die Hand. Ich sage das mit allem gebotenen Respekt, junger Freund, du erreichst gerade das Gegenteil dessen, was du mutmaßlich zu erzielen trachtest.
Tom verstand, was die Mumie meinte, obwohl sie es so verschwurbelt ausdrückte. Mit seiner kleinen Clownseinlage hatte er nicht gerade dazu beigetragen, souveräner zu wirken – ganz im Gegenteil.
Tom seufzte einen klassischen Tom-Seufzer und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Aber ein kaum sichtbares Lächeln umspielte seine Lippen, als er sagte: »Also gut, dann bin ich jetzt eben ausnahmsweise mal uncool.«
»Wir werden versuchen, über deine mangelhafte Coolness hinwegzusehen – auch wenn es uns natürlich schwerfallen wird«, gab der Vampir zurück, und auch er wirkte dabei kaum bierernst.
»Danke, das ist sehr freundlich«, antwortete Tom. »Also, zurück zum Thema. Mimi, erzähl doch bitte, was du rausgefunden hast.«
Das Geistermädchen flatterte heran und deutete aus dem verhangenen Fenster in Richtung von Zoracz’ Spiegelkabinett. »Ich hab Zoracz in seinem Campingmobil belauscht, und ihr werdet es nicht glauben, aber dem geht’s wohl echt schlecht.«
»Wie meinst du das?«, fragte Tom. »Als er hier war, hat er vielleicht ein bisschen erschöpft gewirkt, aber sonst …«
Mimi winkte ab. »Keine Ahnung, wie er das gemacht hat. Ich kann dir auf jeden Fall sagen, dass der Zoracz da drüben in dem Campingmobil nur ein Schatten seiner selbst ist. Der ist vollkommen fix und fertig, schwitzt und kann kaum ’nen Arm heben. Und nicht nur er ist am Ende, sondern auch seine Ledertrine. Und wie!«
»Was? Dada geht’s schlecht?«, fragte Tom und biss sich sofort auf die Zunge. Er wusste doch eigentlich, dass Mimi auf die bloße Erwähnung von Zoracz’ Assistentin empfindlich reagierte.
Aber zu seinem Erstaunen blieb Mimi diesmal ganz ruhig und nickte: »Ja, auch wenn sie mich sonst ab und zu mal nervt, hab ich mich echt richtig erschrocken. Erst hab ich nur gesehen, dass sie auf ihrem Bett liegt, und gehört, dass sie ganz flach atmet. Aber dann bin ich näher rangeschwebt, und fast hätt’ ich vor Schreck gequietscht! Leute, Dada sieht aus wie … wie …«
»… eine alte Dame?«, unterbrach sie da der Vampir, und Mimi schaute ihn verwundert an.
»Ja, genau! Woher weißt du das? Ganz alt ist sie geworden und schwach. Als Zoracz ihr ein Glas Wasser gegeben hat, konnte sie es nur mit zwei Händen festhalten, dabei hat sie voll gezittert und die Hälfte verschüttet.«
»Das klingt ja echt furchtbar …«, murmelte Tom. »Können wir ihr denn irgendwie helfen, Vlarad?«
»Wir wissen noch nicht genug über ihren Zustand, mein Junge«, antwortete der Vampir. »Und im Moment weiß ich gar nicht, was mich mehr erstaunt: dass Dada nun in diesem Zustand ist oder dass Zoracz irgendwem freiwillig ein Glas Wasser bringt.«
»Du hast recht, Vlarad«, antwortete Mimi. »Ich hab so was Ähnliches gedacht. Es war irgendwie … voll abgefahren, dass der blöde Zoracz plötzlich so nett war.«
»Nun, ich wage zu bezweifeln, dass unser Erzfeind nun plötzlich zum Streiter des Lichts wird, nur weil er seiner Assistentin ein Glas Wasser reicht«, sprach der Vampir und begann nun wieder, im Wagen hin und her zu schreiten. »Ihr fragt euch vielleicht, warum ich ahnte, dass Dada nun wirkt wie eine alte Dame …«
»… und da sagst du es uns auch schon!«, riefen Tom und Mimi wie aus einem Mund, sahen sich an und mussten grinsen. Vlarad überging diesen Einwurf, als hätte er niemals stattgefunden. »Wie wir seit unserem letzten Abenteuer wissen, ist Dada ein Katzenwesen ähnlicher Art wie unser Welf ein Wolfswesen ist. Einer der Unterschiede ist, dass sie nicht nur eins, sondern ganze neun untote Leben zur Verfügung hat. Darum gilt diese Spezies auch als besonders risikofreudig.«
»Das hab ich schon bemerkt …«, antwortete Tom. »Aber warum liegt sie jetzt als alte Dame da drüben in dem Camper?«
»Der Verlust eines untoten Lebens ist eine anstrengende Sache, und das merkt man ihr zur Stunde noch deutlich an«, entgegnete der Vampir. »Ich gehe davon aus, dass Dada zum Morgengrauen wieder ganz genauso aussieht wie zuvor.«
Kapitel 6: Geisterwecker
Du hast gesaaagt …«, begann Mimi, aber Vlarad hob energisch die Hand. »Ich habe gesagt, ›Ich gehe davon aus‹! Diese Vermutung äußerte ich aufgrund der mir bekannten Parameter. Wenn meine Einschätzung nun nicht zutrifft, gibt es wohl Faktoren, die mir bislang verborgen blieben.«
Tom blinzelte angestrengt in Richtung seines Weckers. Er zeigte 07:21 Uhr. Vor ihm schwebte Mimi, und daneben stand Vlarad, der Vampir – wie immer vollständig und fältchenfrei gekleidet.
Das konnte man von Tom nicht gerade behaupten, denn er lag noch im Bett und trug aufgrund der sommerlich-schwülen Hitze nur das Nötigste. Also zog er erst einmal die Bettdecke Richtung Kinn und fragte dann mit belegter Stimme: »Ähm … könnt ihr nicht wenigstens klopfen oder …«
»Tom«, sagte Mimi. Wenn sie einen Satz mit seinem Vornamen und einer langen Pause begann, war klar, dass es danach umso flüssiger weitergehen würde. So auch jetzt. »Tom. Ich hab dich telepathisch angefunkt und dir gesagt, dass ich noch mal bei Zoracz und Dada war und dass ich jetzt zu dir rüberkomm und dass du dir vielleicht was anziehst und dass ich Vlarad Bescheid sage und dass …«
»Stoppstoppstopp!«, winkte Tom ab. »Wenn ich schlafe, dann hör ich doch kein Telepathie-Dings!«
»Ach ja, stimmt!«, rief das Gespenst, lachte und patschte sich lautlos gegen die durchsichtige Stirn. »Hihi, ich vergess immer, dass du ja deinen Schönheitsschlaf brauchst.«
»Das hat mit Schönheit nix zu tun!«, blaffte Tom zurück. »Ich muss eben schlafen wie jeder andere Nicht-Untote auf dieser W–«
»Soll ich denn so lange wieder gehen, oder können wir in absehbarer Zeit eine sinnstiftende Konversation über die aktuelle Sachlage beginnen?«, frage Vlarad dazwischen, und Tom schloss seinen Mund.
»Verbindlichsten Dank«, säuselte der Vampir süffisant und deutete dann durch die geschlossenen Vorhänge hinüber zu Zoracz’ Lagerplatz. »Mimi hat den beiden abermals einen Besuch abgestattet und meine gestrige Prognose zweifelsfrei widerlegt. Dada scheint sich nicht erholt zu haben und befindet sich immer noch in einem ähnlichen Zustand.«
»Richtig«, pflichtete das Geistermädchen bei. »Ich finde, es sieht sogar noch schlimmer aus als gestern Nacht.«
»Wie meinst du das?«, fragte Tom bestürzt.
»Na ja, gestern sah Dada aus, als wäre sie etwa fünfundsiebzig Jahre alt und vorhin eher wie … hundert …«
Erschrocken schaute Tom zu Vlarad. Der legte die Hand ans Kinn und überlegte.
»Ich bleibe dabei: Sie müsste sich in den letzten Stunden erholt haben.« Der Vampir seufzte. »So geht das nicht weiter. Ich kann auf diese Weise keine Diagnose stellen. Ganz egal, ob es eine Finte von Zoracz ist oder nicht – das untote Leben der Katzendame scheint auf dem Spiel zu stehen, und die Zeit läuft ab.«
»Was brauchst du denn, um festzustellen, was ihr fehlt?«, fragte Tom. »Musst du sie selbst untersuchen?«
»Wir könnten Vlarad als Arzt verkleiden!«, schlug Mimi vor.
Der Vampir schüttelte den Kopf. »Ich würde den Weg über den Platz nicht überleben und schon nach wenigen Metern in der Morgensonne zu Staub zerfallen.«
Tom rieb sich die Stirn in der Hoffnung, dass es ihm half, klarer zu denken. »Wir können aber nicht warten, bis es dunkel ist! Der Rummelplatz macht in drei Stunden auf, und mit vielen Menschen drum rum wird alles noch schwieriger. Und ich glaub auch nicht, dass Zoracz überhaupt jemanden reinlässt, der nachts an seinen Camper klopft und sagt: ›Hallo, ich bin rein zufällig Arzt, brauchen Sie vielleicht einen?‹ Das glaubt der doch nie!«
»Und wenn Vlarad sich so ein Dings umhängt und so ein anderes Dings an den Kopf macht, wie die Ärzte immer haben?«, überlegte Mimi. »Daran erkennt man doch sofort, dass jemand ein Doktor ist.«
»Du meinst ein Stethoskop und einen Stirnreflektor?« Tom musste grinsen. »Also, ich glaube, so sehen Ärzte nur noch in Comics aus und inzwischen nicht mal mehr da. Und es geht doch nicht darum, ob Zoracz erkennt, dass es ein Doktor sein soll, sondern dass ein solcher nicht um elf Uhr nachts herumläuft und …«
»Schluss damit«, knurrte Vlarad unwirsch. »Das ist Unsinn, und ich kann mich dabei nicht konzentrieren.«
»’tschuldigung«, murmelten Mimi und Tom im Chor, bemerkten das und mussten beide grinsen. Das tat Tom gut, und er sah auch, dass es dem Geistermädchen genauso ging.
»Ich muss die Dame nicht zwangsläufig persönlich in Augenschein nehmen«, erklärte der Vampir. »Es genügt, wenn ich ein Haarbüschel von ihr untersuchen kann. Die Frage ist nur, wie kommen wir daran?«
Mimi seufzte. »Ich komm locker rein und wieder raus, kann aber weder was abschneiden noch festhalten …«
Sofort schoss Tom der Gedanke an das Stofflichkeits-Training durch den Kopf. Natürlich hätten sie das Problem jetzt nicht, wenn Mimi schon damals mit den Übungen begonnen hätte. Dann wäre sie nun in der Lage gewesen, diese Aufgabe in Sekunden zu erledigen. Aber es würde gar nichts bringen, darauf hinzuweisen, außer dass Mimi sich blöd fühlte. Und das wäre wirklich doof und überflüssig.
Tom sah zu dem Geistermädchen hinüber und erkannte sofort, dass Mimi in etwa das Gleiche dachte wie er. Direkt hatte er das Gefühl, sie trösten zu müssen, aber der Vampir unterbrach seine Gedanken: »Da haben wir es wieder. Ich zerfalle in der Sonne, Mimi kann nichts festhalten, Hop-Tep ist ebenso wie Wombie viel zu auffällig und Welf hat sich in frühestens vier Stunden vollständig zurückverwandelt. Keiner von uns kann diese eigentlich einfache Aufgabe übernehmen – außer dir, Junge.«
»Aber ich kann es doch eigentlich auch nicht«, widersprach Tom. »Also, ich meine, klar kann ich theoretisch rübergehen, klopfen, artig grüßen, ’ne Schere rausholen, ein paar Haare von Dadas Kopf rupfen und damit zurückspazieren. Aber ich kann’s halt andererseits auch wieder nicht, weil der Zoracz mir was husten wird. Der lässt mich doch niemals rein und so nah zu Dada!«
»Du hast natürlich recht …«, seufzte Vlarad. »Wenn uns aber nicht bald etwas einfällt, dann rechne ich mit dem Schlimmsten.«
Einen Moment lang herrschte bedrückende Stille im Zirkuswagen.
»Also gut«, sprach der Vampir dann und straffte sich. »Falls euch etwas einfällt, ich bin in meinem Labor und sinniere gemeinsam mit Hop-Tep über eine Lösung.«
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