Kitabı oku: «Mara und der Feuerbringer», sayfa 2

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Kapitel 3


Ein lautes »Krah Krah« ließ sie erschrocken zusammenfahren.

Mara kannte nur zwei Raben, die »Krah Krah« sagten, anstatt es zu krähen. Der Professor hatte sie natürlich ebenfalls sofort erkannt. »Hugin und Munin! Wenn ihr keine guten Nachrichten habt, schlage ich vor, ihr kommt später wieder.«

Die beiden Raben hatten sich gerade erst auf einem Ast in Augenhöhe des Professors niedergelassen, machten nun aber sofort Anstalten, wieder loszufliegen.

»Stallþu«, rief der Professor sofort auf Altnordisch, was wohl so was wie Stopp hieß. »Das war ein Scherz!«

Ausdruckslos klappten die beiden Vögel ihre Flügel wieder ein und beschränkten sich erst einmal darauf, stumm von dem Ast herunterzublicken.

Doch auch Mara hatte ein Anliegen. Sie versuchte, sich einigermaßen zusammenzunehmen und kratzte alles zusammen, was sie noch an fester Stimme sammeln konnte. Dann erst bemerkte sie, dass sie den Professor immer noch fest umklammert hielt. Sie löste sich etwas zu schnell, als hätte man sie ertappt. Es war ihr eh immer schon unangenehm gewesen zu weinen. Und unter dem stoischen Blick der beiden komischen Vögel erst recht. Sie räusperte sich ein bisschen albern und sah die beiden Raben dann mit einem möglichst seherischen Blick an. »Erklärt mir bitte jetzt, wie das mit meinen Kräften und den Göttern zusammenhängt«, sagte sie.

Die beiden Raben Odins sahen sich für einen kurzen Moment an, als würden sie sich wortlos austauschen. Dann nickten sie, wie Raben eigentlich nur in animierten Trickfilmen nicken, und Munin begann zu sprechen:

Einst schritten die Rater zum Richterstuhl

Die heiligsten Götter hielten Rat —

»Stallschuh!«, rief Mara sofort dazwischen und hoffte, dass sie das altnordische Wort einigermaßen richtig ausgesprochen hatte. »Bitte diesmal ohne diesen nordisch-germanischen … Reim … Rätsel … Bampf!«

»Ich protestiere«, hörte sie den Professor neben sich, aber Mara hob die Hand. »Ich weiß, dass Sie viel Freude daran haben, das immer wieder zu entschlüsseln und so, aber ich will jetzt mal viel Freude daran haben, dass ich gleich alles verstehe.«

Der Protest des Professors brach sich in Form eines lautstarken Ausatmens Bahn, doch er sagte nichts. Mara blickte auffordernd zu Hugin und Munin. »Also? Wie sieht’s aus? Sagt ihr mir jetzt, wie das alles kam, oder nicht? Ich warne euch aber vor: Wenn ich nicht zufrieden bin mit der Erklärung, dann könnt ihr die so was von alleine retten, eure Welt!«

»Unsere«, verbesserte der Professor.

»Die wissen, was ich meine!«, fauchte Mara zurück, und alle schwiegen.

Ein paar Sekunden lang geschah nichts. Wieder wirkte es so, als würden die beiden Raben stumm miteinander kommunizieren. Doch dann passierte etwas Seltsames. Hugin drehte ziemlich plötzlich seinen Kopf zur Seite und starrte nun mit einem Auge direkt in Maras Kopf hinein. Ihr erster Gedanke war: Hoffentlich schaut der sich da drin jetzt nicht um! Ihr zweiter galt dem Professor, und sie hatte noch die Geistesgegenwart, ihn an der Hand zu packen, um ihn mit einzuschließen.

Aber schon der dritte Gedanke war nicht mehr der ihre. Stattdessen erfüllte die Stimme von Hugin all ihre Sinne. Schnell erkannte sie auch, was er sprach, und im nächsten Moment hörte sie schon nicht mehr, sondern fühlte nur noch …

Heimdall

Wächter der Götter, Bewacher von Bifröst,

Erwacht.

Wie lang schlief ich, wie lang wachte ich nicht?

Warten schon die Feinde, am anderen Ende der Farbenbrücke?

Ist Asgard schon Feuer, der Wohnsitz der Asen vernichtet?

Heimdall öffnet die Augen

Bifröst, prächtiger Regenbogen, einst Weg nach Asgard, zum Wohnsitz

der Götter – kaum mehr als eine Erinnerung …

Asgard, mein Asgard, einst Sitz der Götter, mit den großen Hallen der

Mächtigen – nichts als Reste vergangener Zeiten …

Die Götter, Odin, Frigg, Thor, Freyr und Freya, vergaßen sich – schlafende

Schatten in den Ruinen …

Und Heimdall weint um die Menschen.

Es passte eigentlich nicht zu der Erscheinung des Mannes, und gerade darum wirkte es so rührend. Er mochte auf den ersten Blick wie ein uralter Mann aussehen, mit seinem dichten, weißen Bart und den langen, zotteligen Haaren unter der Lederkappe. Aber die Körperspannung und die drahtigen Muskeln unter der Lederrüstung verrieten, dass er ein Kämpfer war.

Auffallend war außerdem die seltsam geformte Ledertasche auf seinem Rücken. Sie sah so ähnlich aus wie ein Köcher für Pfeile, war aber so gebogen, dass Pfeile dieser Form überallhin, nur sicher nicht ins Ziel geflogen wären.

Gleichzeitig war Mara ebenso verwundert wie auch gerührt, dass er nicht nur um sich und die alten Götter in Sorge war, sondern um die Menschen weinte! Ja, Heimdall bangte um die Menschen in Midgard, »der Welt in der Mitte«. Denn wie konnten sie überlebt haben, wenn ihre Götter nicht mehr waren?

Mara wusste natürlich die Antwort, konnte sie ihm aber nicht geben. Sie war nur Zuschauer dieser Erinnerung, musste ohnmächtig zusehen, wie der alte Gott verzweifelt durch die blassen Ruinen stolperte. Doch gleichzeitig spürte sie auch, wie dieser ehemals so mächtige Ort ihr selbst Kraft spendete. Es war nicht viel, gerade wie ein sanftes Kitzeln in den Fingerspitzen, aber es half Mara, sich zu konzentrieren.

Heimdall späht in die größte aller Hallen

Walhall, die Halle der Gefallenen, bei Tag kämpften sie hier, bei Nacht tranken sie und sangen, nun nur mehr ein Haus für Gebeine … die grauen Überreste Tausender Toter, ein zweites Mal gefallen ohne die Macht Allvaters …

Heimdall betritt Odins Palast

Valaskjalf ist kaum mehr als ein Haufen Stein … keine Treppen führen mehr hinauf zu des Rabengotts Thron, der goldene Hochsitz ist nun tief darunter vergraben …

Heimdall gräbt

Warum tut er das?, überlegte Mara. Was will er denn mit dem Thron von Odin? Oder sucht er nach Odin selbst?

»Natürlich! Hliðskjálf

Mara erschrak und ließ einen spitzen Schrei los, der ihr sofort peinlich war. Der Professor hatte gerade direkt in ihrem Kopf gesprochen! Heimdall schien nichts bemerkt zu haben. Er wuchtete nur weiter traurig Stein um Stein von dem Trümmerhaufen.

»Ich kann Sie hören! In meinem Kopf, ganz so als wären Sie neben mir … und trotzdem weit weg!«, sagte, oder besser, dachte Mara in Richtung des Professors. Der dachte lachend zurück: »Eine Seherin, die auch hören kann. Da denk ich doch mal: Respekt.«

Mara ignorierte den Halbscherz. »Das liegt an diesem Ort, Asgard. Da bin ich mir ganz sicher! Ich spür das.«

»Na, vielleicht liegen hier nicht nur die Trümmer der alten Götterfestung, sondern auch noch Überreste der alten Kräfte herum. Möglich wäre es doch. Und wenn nicht hier, wo dann?«, entgegnete der Professor. »Nutz es bitte für einmal Volltanken, wer weiß, wann wir es wieder brauchen.«

»So viel ist das leider nicht … reicht gerade für ein bisschen Kopfradio und Kribbeln in den Fingern«, seufzte Mara. Sie konnte den Professor ja gerade nicht einmal ohne Berührung in die Vision mit einschließen. Sie seufzte und wendete sich wieder dem Geschehen vor ihnen zu. »Also, was sucht der Mann denn da? Irgendwas mit Odins Thron hab ich mitbekommen, aber warum?«

»Nun ich denke, er sucht Odins Hochsitz, Hliðskjálf

Mara wurde ungeduldig. »Okay, er sucht Odins Thron, und der heißt wie eine Mischung aus Schnupfen und Husten. Aber was will er damit?«

»Na, Antworten will er.«

»Und die kriegt er vom Wiglaf?«

»Nein, vom Hliðskjálf, bitte schön, wie Hlið die Öffnung und skjálf, was vielleicht Gerüst oder gar Turm bedeutet. Also in etwa der Blick von oben herab – und zwar auf die ganze Welt!«

Mara hatte schon zu viel Götterzeugs erlebt, um sich nun über einen Thron zu wundern, der einem die ganze Welt zeigte. Dafür war ihr nun auch klar, was Heimdall vorhatte: Er wollte von Odins Thron einen Blick über die Welt werfen, um zu sehen, was passiert war. Oder ob es die Welt noch gibt, dachte sie.

Hliðskjálf, Odins Sitz …

Vorsichtig stellt Heimdall Allfaðirs Blick wieder auf, zögert erst voll Demut, setzt sich dann – und schweigt.

Das Gesicht des alten Gottes sprach Bände. Verwirrung, Bestürzung, Panik, Trauer, Verzweiflung! Mara konnte den Schmerz spüren, den all diese Eindrücke in Heimdall hervorriefen und hätte ihm am liebsten Trost gespendet. Stattdessen sah sie hilflos zu, wie der Wächter sich in Agonie hin und her warf, mit schmerzverzerrter Miene, dabei seine Finger um die Armlehne krallte, bis diese splitterte. Hölzerne Spreißel drangen tief in die Handfläche Heimdalls, aber er ließ nicht los, konnte nicht oder wollte nicht.

»Oh mein Gott«, flüsterte der Professor und merkte dabei gar nicht, wie passend dieser Ausruf gerade jetzt eigentlich war. »Wenn mich nicht alles täuscht, holt der arme Kerl gerade viele Hundert Jahre Menschheitsgeschichte nach.«

Mara schluckte den Spruch So was hätte ich mal im Geschichtsunterricht gebraucht ganz bewusst herunter, denn ihr war eigentlich gar nicht nach Witzen zumute. Warum fielen ihr die eigentlich immer nur in den unpassendsten Momenten ein?

Sie zuckte zusammen, als der morsche Sitz unter Heimdall mit der Lautstärke eines Gewehrschusses brach und der ganze Thron unter ihm zusammensackte. Dazu stürzten die letzten Reste der Treppe ein, und der alte Gott verschwand in einer Wolke aus Holz, Staub und Steinbrocken.

Was … was ist denn jetzt passiert?, dachte Mara in Richtung des Professors.

Mir scheint, dass der alte Thron diesem Ansturm an Geschichte und Geschichten nicht gewachsen war, Mara. Schade, denn ehrlich gesagt, hätte ich das auch gerne einmal ausprobiert, antwortete der Professor ihr in Gedanken, näherte sich dann neugierig den Trümmern und versuchte, den Stein zu berühren. Seine Hand glitt hindurch, und er wirkte enttäuscht.

Mara war fassungslos.

Wie bitte? Haben Sie denn nicht gesehen, wie der gerade gelitten hat, der Heimdall?

Oh, das habe ich wohl, und trotzdem denke ich, das wäre es wert gewesen, gab Professor Weissinger zurück und meinte spürbar jedes Wort ganz genau so, wie er es zu ihr hinüberdachte.

Mara schüttelte nur den Kopf. So viel Wissensdurst war ganz bestimmt nicht gesund.

Da rührte sich etwas in den Trümmern, und der Professor ging zur Sicherheit doch wieder auf Abstand.

»Zäher Hund«, murmelte Mara.

Muss er auch sein, als einziger Wächter vor dem einzigen Eingang zur Festung der Götter, hörte sie den Professor in ihrem Kopf sprechen. Mara nickte. Ja, da stellt man wohl am besten den zähesten Knochen von allen hin.

Sie war beeindruckt von dem alten Gott, der sich da vor ihr aus den Gesteinsbrocken schälte. Mit dem unnachgiebigen Grimm eines Mannes, der schon Dinge gesehen und erlebt hatte, die er am liebsten vergessen hätte, schob er das Geröll von sich und richtete sich wieder auf. Doch kaum stand er wieder auf seinen lederumwickelten Füßen, als er auch schon zu dem seltsamen Köcher auf dem Rücken fasste und mit geübtem Griff etwas daraus hervorzog.

»Ich werd verrückt, jetzt auch noch das Gjallarhorn«, rief der Professor und schlug sich sofort die Hände auf die Ohren. Mara überlegte nicht lange und tat es ihm gleich. Er würde schon seine Gründe haben. Doch kaum hatte sie seine Schulter losgelassen, als er auch schon verblasste und verschwand. Wenn sie den Kontakt zu ihm abbrach, sah er nicht mehr, was sie sehen konnte!

Sofort tat sie das einzig Richtige und machte einen großen Schritt in seine Richtung, ohne die Hände von den Ohren zu nehmen. Kaum berührte ihr Arm wieder den seinen, erschien er wieder und sah sie erleichtert an.

Sie war trotzdem verwundert, als die Stimme des Professors laut und deutlich in ihrem Kopf ertönte, obwohl sie sich die Ohren zuhielt. »Danke, Mara, es wäre wirklich schade, wenn ich das nicht miterlebt hätte. Wobei mir gerade etwas einfällt …« Dann lachte er und nahm die Hände von den Ohren. »Das bringt nix. Ist ja alles in unseren K…«

Alle Fasern von Maras Körper wurden nun von dem wahnwitzigsten Geräusch durchgerüttelt, das sie jemals gehört hatte und sicherlich auch jemals hören würde.

Heimdall stieß in sein Gjallarhorn.

Kapitel 4


Eine wahnwitzige Mischung aus Schiffstuten, Drucklufttröte, Schafsblöken und Hilfeschrei schmetterte sich durch die Köpfe von Mara und ihrem Mitstreiter. Es klang so widerlich, als würden vierhundert Schweine durch ebenso viele Vuvuzelas kreischen und dabei so erhaben wie Kirchenglocken.

Können die nicht einmal einfach nur ein ganz normales Geräusch machen, die Götter?!, schimpfte Mara in sich hinein.

Das Ohrenzuhalten half überhaupt nichts, denn natürlich konnte man sich innerhalb einer Vision, die nur im Kopf stattfand, nicht die Ohren zuhalten. Nun gut, natürlich konnte man. Es brachte nur nix.

Mara schlang trotzdem ihre Arme um den Kopf, denn es war nicht auszuschließen, dass dieser von dem Lärm bald platzen würde. Und zwar in fünf, vier, drei …

Odin erwacht

Allvaðir! Heimdall eilt zu dem kaum wahrnehmbaren, schemenhaften Umriss des Oberhaupts der alten Götter, will ihn stützen. Aber seine Hände gleiten durch die Gestalt, er kann nicht helfen. Gleichzeitig erscheinen rundherum weitere Schatten, manche etwas klarer, andere nicht mehr als ein Flirren der Luft.

Der Professor drehte sich um die eigene Achse, deutete hin und her und stieß verzückte Laute aus, die Mara einfach mal als Namen nordisch-germanischer Götter interpretierte.

»ÓðinnÞórrSunnaUllrForsetiSifHöðrViðarrFriggFreyr … ich kann nicht mehr …«

Mara registrierte, dass sie nun tatsächlich von alten Göttern eingekreist waren. Also war das vielleicht der geeignete Moment, um hier abzuhauen. Andererseits war sie nun ganz nah an einer Antwort auf viele, viele Fragen, und sie hatte es gründlich satt, weiter dumm durch die Gegend zu stolpern. Also blieb sie einfach stehen, wo sie war und sah zu, was weiter passierte.

Da kam Heimdall direkt auf sie und den Professor zu, und beide reagierten leider etwas asynchron: Während Mara in Richtung des Professors ausweichen wollte, drängelte der in die entgegengesetzte Richtung, und so blieben sie ein paar wertvolle Sekunden rangelnd in der Mitte wie zwei Schuljungen.

So kam es, dass der alte Heimdall nun im wahrsten Sinne zwischen ihnen stand: Ihn schien es nicht zu stören, dass er jetzt eine Schnittmenge von etwa 85 Prozent mit Mara und dem Professor aufwies. Aber den beiden war das höchst unangenehm, und so einigten sie sich recht schnell auf einen geordneten Rückzug von etwa zwei Metern hinter Heimdall.

»Brr, das war nicht schön«, zischte Mara dem Professor zu. »Der stand echt mitten in uns drin!«

»Ich habe aber nichts gespürt, du etwa?«, fragte Professor Weissinger.

»Außer dass es mir saumäßig unangenehm hoch tausend war? Nö, gar nix«, gab Mara zurück. »Und hat der gerade echt mit der Tröte des Wahnsinns alle alten Götter geweckt?«

»Gjallarhorn«, antwortete der Professor recht einsilbig. »Übersetzt: laut tönendes Horn

»Laut tönend? Die haben es echt drauf mit dem Untertreiben, die nordischen …« Sie verstummte auf der Stelle, als Heimdall das Wort ergriff. »Ihr Asen!«, rief er mit brüchiger Stimme. »Hört mich an! Wachsam war ich, wachsam bin ich und muss es immer sein! So erwachte ich, und wie es scheint, doch zu spät! Asgard ist in Trümmern. Ich saß auf Hliðskjálf, hielt Ausschau, suchte nach den Göttern. Doch keinen der mächtigen Richter fand ich, nur sah ich Loki Asenfeind – immer noch gebunden, doch voller Kraft – in seinem Gefängnis am Ende der Zeit.«

Ein Raunen ging durch die schattenhaften Umrisse, doch einer von ihnen hob nur die Hand, und alle hielten augenblicklich inne.

Heimdall fuhr fort: »Viele Monde sind vergangen, die Welt ist eine andere, und der Eine Gott ist nun mächtig! Viel mächtiger, als wir es sind, vielleicht mächtiger als wir es jemals waren! Einzig voller Kraft noch liegt Loki, gefesselt zwar, jenseits der Welten! Und ich sage euch, es braucht nur noch wenig, und er wird sich befreien!« Heimdalls Stimme wirkte belegt, er wirkte, als würde eine schreckliche Last seine Schultern niederdrücken, als er weitersprach: »Asen! Ihr wisst, was wir ihm angetan. Die Fesseln aus seines Sohnes Gedärmen, gerissen vom Bruder in Wolfsgestalt! Darüber Skaðis giftiges Geschenk, ihn peinigend für alle Ewigkeit! Strafe, ich weiß, Vergeltung für die Schmähungen in Ägirs Halle, für den Tod von Balder, Odins Sohn, Licht unter den Göttern …«

Er verstummte und für einen Moment wurde Heimdalls Blick sanft. Mara wusste, was er dachte. Sie hatte Balder selbst kennengelernt, bei ihrem unfreiwilligen Besuch in der nordischen Unterwelt. Balder hatte sie vor der Todesgöttin Hel beschützt, kurz bevor diese Mara mit Stumpf und Stiel verschlingen wollte. Ein netter Kerl, der Balder. Warum nur hatte Loki ihn getötet?

»Mara, es wird interessant«, raunte der Professor, und sie konzentrierte sich wieder auf das Geschehen vor ihnen.

»Hört mich an, ich sage euch!«, rief Heimdall den anderen Göttern zu. »Lokis Fesseln sind schwach, wie wir schwach sind! Er wird sich lösen, und er wird grausame Rache üben! Um uns sorg ich mich nicht, denn nichts mehr als Schatten sind wir. Doch wir alle wissen, was die Weissagung spricht. Das Endschicksal der Götter ist auch das Ende für die Menschen, deren Schutz, deren Schicksal wir einst waren. Diese Erde wird brennen, wie es vorausgesagt ist. Und wir sind schwach, können nichts mehr tun … nichts mehr …« Und damit sank der alte Wächter im Kreise der alten Götter auf die Knie und weinte. Es tat Mara weh, den Alten so verzweifelt zu sehen. Er weint um uns, dachte sie in einem fort, um uns Menschen.

»Das ist es also«, wisperte der Professor. »Die Angst vor Loki! Dem einzigen der alten Götter, der noch seine alte Kraft besitzt. Von wegen Feuerbringer, es ist tatsächlich Loki, den du aufhalten sollst!«

»Aber«, wollte Mara gerade widersprechen, als etwas geschah: Vor ihren Augen nahm einer der Schatten Gestalt an, und gleichzeitig hörte sie ein seltsames Geräusch. Es klang so ähnlich wie »Wuuhu, wuhuuhu …«


Mara stellte fest, dass es von Professor Weissinger kam, der vor Aufregung ganz zappelig war.

»Odin … das ist Odin …«, wiederholte er immer und immer wieder und wirkte wieder einmal wie ein kleiner, aufgeregter Junge. Doch Mara sah keinen Odin, sie sah jemand völlig anderes. Vor ihren Augen stand nun nämlich …

»Gandalf?«, hauchte Mara völlig überfordert, denn die Ähnlichkeit mit dem Zauberer aus Herr der Ringe war wirklich verblüffend. Bis auf die Augenklappe stand in der Tat Gandalf der Graue ein paar Meter von ihr entfernt. Der Professor hatte ja schon mehrfach auf die Parallelen zwischen der nordischen Mythologie und dem Werk Tolkiens hingewiesen, aber das war einfach nur … krass.

»Hab ich’s nicht gesagt?«, jubilierte der Professor neben ihr. »Ach was, gesagt! Geschrieben hab ich’s in meinem Buch über die nordisch-germanischen Einflüsse auf die Werke von …«

»Ja, ja, ja!«, winkte Mara ab. »Ich will doch hören, was der jetzt sagt, der G…«

»Odin! Der graue Wanderer Odin! Da steht er, hohoo! Seht her!«

»Herr Professor, bitte!«

Als der Oberste der nordischen Götter nun sprach, rechnete Mara trotzdem fest mit der deutschen Synchronstimme des Schauspielers Ian McKellen. Sie war allerdings auch keine Sekunde enttäuscht, als sie Odins wohlklingenden Bass im Magen spürte. Das war mehr Gänsehaut, als es von den Viechern gab auf der Welt! Boah …

»Heimdall Menschenfreund«, brummte Odin gutmütig und half dem alten Wächter wieder auf die Beine. »Die Asen danken dir für deine Wachsamkeit über das Vergessen hinaus. Ehre sei dir und Dank. Wiewohl ist es, wie du sagst, und doch ist nicht alles verloren. Denn auch wenn die Menschen Midgards mich vergaßen, so nennen sie wohl doch noch oft meinen Namen.«

Da trat ein weiterer Gott nach vorn. Er wirkte noch viel älter als Heimdall oder Odin, sein Gesicht war von Narben übersät. Auch er schien an Festigkeit zuzunehmen, bis auf seinen rechten Arm. Der blieb verschwunden.

»Der einarmige Tyr. Vielleicht der älteste aller Asen«, murmelte Professor Weissinger.

»Du sprichst wahr, denn auch ich spüre, was du sagst, Odin«, sprach der alte Gott. »Man sagt auch meinen Namen, und ich erstarke. Seelenlos wird er gesprochen, und ungewohnt klingt er. Aber ich bin es, den sie nennen. Und doch huldigen sie mir nicht.«

Zwei weitere Gestalten traten vor, und Mara erkannte den einen sofort. Es war Thor oder Donar, wie man ihn hierzulande genannt hatte. Sein Gesicht mit den breiten Wangenknochen und dem kantigen Kinn hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, seit sie ihn auf seinem irrsinnigen Fischzug begleitet hatten, wo er versucht hatte, die Midgardschlange zu angeln.

Die andere Gestalt war eine Frau, und Mara musste unwillkürlich an die Frauenquote denken, über die sie in Sozialkunde debattiert hatten. Sieh mal an, die Asen hatten freiwillig eine Frau im Vorstand, dachte sie. Nicht genug für die Quote, aber immerhin.

»Mein Gemahl«, sprach die Frau und griff Odins Hand. »Auch ich spüre es: keine Riten, keine Opfergaben … und doch nennt man mich.«

Der Professor grübelte. »Odin, Tyr, Thor, Frigg … was könnte der Grund sein, dass ausgerechnet die vier … Hm …«

Er fasste Mara am Arm, um nicht den Kontakt zu verlieren, und zog sanft daran. »Komm mit, ich will die genauer ansehen, wer weiß, wann ich das noch einmal erleben darf!«

Mara folgte ihm widerwillig, denn ihr war die Situation nach wie vor unheimlich. Trotzdem gingen sie nun langsam im Kreis und sahen sich die Götter ganz genau an. Die nahmen von ihnen weiterhin keine Notiz, waren auch ohnehin genug mit sich selbst beschäftigt.

»Odin, Tyr, Thor oder Donar … Frigg oder Frija … Ich hab’s! Natürlich, die Wochentage! Es sind die Wochentagsnamen!«, rief der Professor plötzlich aus. »Der englische Wednesday ist Odins Tag, Wodens Day

»Ich weiß, das hab ich …« begann Mara, aber der Professor war schon voll in Fahrt. »Tyrsdagr ist unser Dienstag, dazu Donarstag und der Friday, Frjadagr, der Freitag! Das ist die Erklärung, Mara! Verstehst du nicht?«

»Wann hätte ich denn sagen sollen, dass ich was verstehe? Sie lassen einem ja nicht mal ein Komma«, gab Mara etwas beleidigt zurück. Denn die Sache mit den Wochentagen wusste sie ja in der Tat schon lange. Das war eins der ersten Dinge, die sie im Internet über die alten Götter rausgefunden hatte.

Allerdings machte das wirklich Sinn. Die Menschen nutzten die Wochentagsnamen millionenfach täglich, ohne wirklich zu wissen, dass darin die Namen alter Götter versteckt waren. Und der Effekt war nicht viel anders als bei dem verdammten Feuerbringer! Sie schöpften Kraft daraus, obwohl damit kein wirkliches Glaubensbekenntnis verbunden war.

Man konnte ja auch keiner der Schwurbelhexen vorwerfen, dass sie an den großen Loge glaubten. Trotzdem hatte das stupide Wiederholen der Zeilen eine Wirkung. Wohl nicht so viel, wie ein richtiges Gebet mit echtem Glauben voller Hingabe gesprochen, aber immerhin genug, um Loge für kurze Zeit zu einem übermächtigen Gegner werden zu lassen, der unter anderem ganze Armeen von Untoten aus dem Boden holen und gegen sie antreten lassen konnte.

»Wohlan«, brummte Odin gerade. »Dann sei der Menschen Aufgabe, was die Götter nicht mehr vermögen.«

»Ein Mensch?«, fragte Heimdall und sah Odin erstaunt an. »Du willst einen Menschen zu Loki schicken?«

»Allvater, bei Thrymrs gespaltenem Haupt!«, schaltete sich auch Thor polternd ein. »Was soll ein Menschlein ausrichten gegen einen Gott, sei er gefesselt oder nicht?«

»Oh, keinen gewöhnlichen Menschen, mein Sohn«, entgegnete Odin. »Es gilt, einen zu finden, in dem die alte Gabe noch lebt.« Mit diesen Worten griff der oberste nordische Gott in den Trümmerhaufen und hob ein Stück seines geborstenen Thrones heraus. Er umschloss das ehemals so aufwändig vergoldete Stück Edelholz, und sein verbliebenes Auge wendete sich für einen Moment so weit nach innen, dass Mara nur das Weiße seines Augapfels sah. Trotzdem konnte sie den Blick nicht abwenden, denn sie war sehr aufgeregt. Das ist es, jetzt komm ich! Gleich geht’s um mich!, schoss es ihr immer und immer wieder durch den Kopf. Auch der Professor blinzelte zu ihr herüber und war ganz Ohr.

»Ein Menschenkind mit den Fähigkeiten zu sehen und zu hören«, hob Odin feierlich an zu sprechen. »Gefäß für unsere Kräfte, so wir sie freiwillig geben und geben können … für die Magie der Asen ein Fass.«

Da haben wir’s jetzt, dachte Mara, und sofort stieg ihr der Frust bis hoch in den Hals. Es stimmt also doch! Ich bin echt nur ein Gefäß. Ein Fass auch noch, na toll. Nix als ein Dings, wo man Götterkräfte reintut, und dann schubst man mich in die richtige Richtung. Und ich Vollrind denk dabei doch immer wieder, Wunder, wie toll ich das hinkriege, und huihui, was ich alles kann, und dabei bin ich nur der Erfüllungshirni? Vielen Dank, das hab ich jetzt wirklich gebraucht!

Dem Professor war anzusehen, dass er genau wusste, was Mara nun dachte, und er wollte gerade etwas sagen, als Odin weitersprach:

»Möge dieser Mensch die Last der Götter in ein Geschenk für die Welt verwandeln, auf dass die Erde gerettet wird.«

Mara musste sich sehr zusammenreißen, um nicht loszuschreien. Die Last in ein Geschenk verwandeln? Wie soll das denn gehen? Hallo Erde, ich hab da ein Geschenk für dich! Ich hab all meine Probleme hier in dieses Päckchen gepackt, mit Schleifchen drumrum in Rosa! Hach, du wirst erstaunt sein, Welt, denn meine Probleme sind nämlich witzigerweise eigentlich die deinen. Bitte mach es aber erst auf, wenn ich ganz, ganz weit weg bin. Ich bin nämlich der Geschenkeschlumpf, und ich will nicht dabei sein, wenn es Bumm macht und die Götterdämmerung aus der Torte hüpft, bis dann!

»Und der Name dieses Menschen ist …«

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
374 s. 25 illüstrasyon
ISBN:
9783964260444
Telif hakkı:
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