Kitabı oku: «Cenophobia – Die Angst vor neuen Ideen»

Yazı tipi:

Toni M. Nutter

– Cenophobia –

Die Angst vor neuen Ideen

Eine absurde (Horror-)Komödie

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Einige genannte Marken- und Produktbezeichnungen

als auch Slogan und Filmzitate sind zum Teil

eingetragene Warenzeichen der jeweiligen Inhaber.

Alle Handlungen, Orte und Personen sind frei

erfunden! Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen

oder mit Personen, die einst gelebt haben,

wäre daher rein zufällig und unbeabsichtigt.

Bibliografische Information durch die Deutsche

Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek

verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio-

nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

© cover image by Ipek Cagla Özmay

Lektorin: Ines Kaplan

Björn Giese (Rätselgedicht)

www.engelsdorfer-verlag.de

„Dass das Leben des Menschen nur ein Traum sey,

ist manchen schon so vorgekommen, und auch mit

mir zieht dieses Gefühl immer herum.“

>Werther<

„Wenn alles vor mir und hinter mir versinkt

– die Vergangenheit im traurigen Einerlei wie ein

Reich der Versteinerung hinter mir liegt –

wenn die Zukunft mir nichts bietet –

wenn ich meines Daseins ganzen Kreis im

schmalen Raume der Gegenwart beschlossen sehe

– wer verargt es mir,

dass ich dieses magre Geschenk der Zeit

– den Augenblick –

feurig und unersättlich wie einen Freund, den ich

zum letzten Male sehe, in meine Arme schließe?“

>Der Geisterseher<

für Nesrin

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Zitate

Widmung

Cenophobia

Dank

Werbeslogans

Filmzitate

Literaturzitate

Spiele

Songs

Diverses

Frei nach einer wahren Begebenheit

grün

heiterer Sommervormittag

reine frische Brise

angefüllt mit Vogelgezwitscher

idyllisch

Sanft wehte eine frische Brise und versetzte die Blätter der hochgewachsenen Bäume in ein zittriges meeresgrün. Die warmen Sonnenstrahlen trafen auf die majestätisch anmutenden Baumwipfel und einige schafften es sogar, sich durch die dichten Blätter hindurchzuzwängen und die rissige Oberfläche der Landstraße zu berühren, um sich dort wiederum in ein wirres Spiel aus Schatten- und Lichternetzen zu verlieren. Die Natur glich einer farbenfrohen Bühne, die, kurz vor dem nahenden Herbst, sich ein letztes Mal von ihrer lebhaftesten Seite zeigte.

Ein schmutziggelber Kleinbus fuhr energisch die Straße entlang. Sein laut knatternder Dieselmotor schien mit dem Vogelgezwitscher der malerischen Umgebung konkurrieren zu wollen. In dem Kleinbus saßen sechs junge Menschen. Sie nahmen dieses überragende Naturschauspiel schemenhaft, nur am äußersten Rande ihrer Aufmerksamkeit wahr. Ihre Gedankenkreisten über anderen Begriffen. Es waren Stadtkinder, die den Blick für die Natur, für diese Urkraft, nicht kannten. Ihre Welt bestand aus zwei- bis dreiminütigen Musik-Clips, Videospielen, den neuesten Smartphones und den aktuellsten Tablets. Sie waren jedoch nicht teilnahmslos der Natur gegenüber aus reiner Ignoranz, sondern sie hatten nie gelernt, mit ihr umzugehen, ihre Schönheit bewusst zu sehen. Es waren Kinder unserer modernen Zivilisation, wo der graue Betonboden die saftig grünen Wiesen ersetzte, die bunten Straßenschilder anstelle der farbenfrohen Blumen die Umgebung dominierten. Diese Generation junger Menschen waren Gefangene ihrer Käfigmentalität: Sie waren gleich einem Vogel, inhaftiert im goldenen Käfig, welcher sein kleines Reich als gegeben hinnimmt und nicht ahnt, was ihm außerhalb der Gitterstäbe entgeht … Sie hatten einfach nur vergessen oder aber auch nie lernen dürfen, was die Herrlichkeit der Natur, der Krone der Schöpfung Gottes, ausmacht.

Dave, der Fahrer des Kleinbusses, war ein Draufgänger und Macho, ein Stereotyp wie er im Buche der Vorurteile steht. Seine frauenfeindliche Einstellung und sein aggressiv-dominantes Auftreten waren charakteristisch. Und obwohl es mit dem Vorhergesagten schwer zu vereinbaren scheint, war er ein regelrechter Frauenheld. Die jungen Mädchen am College fühlten sich zu dem „Bad Boy“ hingezogen. Viele von ihnen erwachten, nach einer durchzechten Nacht, in seinem Bett – nur mit Scham bekleidet, ansonsten splitterfasernackt. Jedes einzelne dieser Mädchen wusste über die sexistische Grundhaltung Daves gegenüber Frauen Bescheid, und nichtsdestotrotz schien seine kernige Ausstrahlung, verbunden mit kiloweise definierter Muskelmasse, die wie kleinere und größere Säcke voll Sand an seinem Körper hingen, ihn für das andere Geschlecht unwiderstehlich zu machen. Seine hellbraunen Augen leuchteten voller Elan und Lebensenergie. Sie passten zu den kurzen kastanienbraunen Haaren, die mit Haargel zurechtgemacht waren und die immer wie frisch von einer Ziege abgeleckt aussahen. Er war ein Rebell, der einen „Coffee to go“ im Sitzen trank und gleichzeitig brüllte: „Fuck the system!“ Lediglich wenn er nachzudenken schien, dann trübten sich seine Augen und sein ganzes Gesicht nahm den Ausdruck einer in Gedanken versunkenen Kuh an.

Dass er auf dem College studierte und nicht etwa auf einer Baustelle Betonsäcke – monoton von links nach rechts und wieder zurücktrug – verdankte er unter anderem seinen hervorragenden Genen, die ihn zu einem talentierten und viel gefeierten Footballspieler gemacht hatten. Als Captain der College-Footballmannschaft hatte er schon oft den Sieg mit seinen Jungs errungen und den begehrten Pokal, verbunden mit Ruhm und Glanz, heimgebracht. Als Gegenleistung für ein eindrucksvolles Renommee der Schule im Bereich sportlicher Leistungen gingen die Professo- ren mit seinen edukativen Leistungen milde um, das hieß zumeist, dass viele von ihnen ein Auge zudrückten, und manche mussten sogar beide Augen fest zukneifen, damit dieser Einfaltspinsel weitere Pokale im Namen der Schule gewann. Anders ausgedrückt: Eine Hirnzelle weniger und Dave wäre eine Pflanze!

Wenn man nach der Reihe fortschreiten wollte, dann würde man jetzt auf Louis zu sprechen kommen, der als Beifahrer neben Dave saß. Aber wir können ihn ruhig fürs Erste übergehen, wie ihn desgleichen oft das wahre Leben übersprang, und kommen zuerst auf Wayne zu sprechen, zumal Wayne und Dave richtig gute Buddys waren. Wayne saß hinten im Wagen zwischen drei aufreizenden Mädchen. Er legte lässig einen Arm um seine Freundin, den anderen legte er, nonchalant, zwischen seine weit ausgebreiteten Oberschenkel. Zwischen den hübschen Mädchen schien er sich sichtlich wohlzufühlen, zumal es kleinere Anzeichen gab, die hierauf hindeuteten, wie zum Beispiel die Beule in seinem Schritt und das permanente Grinsen in seiner Fresse. Wie erwähnt waren Dave und Wayne echt gute Freunde. Wenn man die heterosexuelle Verbindung von den beiden näher beschreiben wollte, dann darf man behaupten, dass wenn Wayne eine Vagina besäße, er mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bitch von Dave wäre. Beide verstanden sich gut, da sie die gleichen Interessen teilten, und es heißt ja auch: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Was die gleichgearteten Interessen anbetraf, so ist es in einem Satz formuliert: so viele Weiber, in relativ kurzer Zeit, zu bumsen wie nur möglich (optimales Zeit-Leistungsverhältnis) oder – etwas gesitteter ausgedrückt – die Kopulation mit so vielen Damen zu praktizieren, wie es imaginabel war. Neben Football besaß Wayne noch eine stark ausgeprägte Leidenschaft für sein Bahnrad. Dies sind die Fahrräder, die wie Rennräder aussehen, jedoch keine Gangschaltung besitzen. Wayne besaß ein blaues Bahnrad, das er liebevoll „Schatzi“ nannte. Sein Enthusiasmus für sein Fahrrad ging so weit, dass er eines Tages seinen Schwanz in die Hand nahm, daran kräftig rieb und auf den verdammt teuren Sattel abspritzte. So hatte er es eingeweiht. Diese Intimität verband beide – Wayne und sein blaues Bahnrad – noch inniger miteinander. Er liebte es, auf den dünnen, harten Sattel aufzuspringen und durch die Gegend zu cruisen. Am liebsten fuhr Wayne auf Schotterwegen, denn dann vibrierte der Sattel so schön und er hatte das Gefühl, von seinem blauen Schatzi eine Hoden- und Anusmassage spendiert zu bekommen. Leider musste sein „Schatzi“ dieses Mal zu Hause bleiben, und so nahm er vorlieb mit seiner menschlichen Freundin, die er heute Abend auch abzuspritzen und einzureiben gedachte.

Waynes Freundin hieß Nancy, alias Miss Knackarsch. Sie war Cheerleaderin wie die anderen beiden Mädchenauch. Mit ihren schulterlangen, schwarzen lockigen Haaren und ihren feinen Gesichtszügen, war sie eine echte Augenweide. Ihr enges Sport-T-Shirt mit der Aufschrift „69“, was auch zufälligerweise ihre Vorliebe widerspiegelte, spannte sich über zwei wohlgeformte, feste Brüste. Sie saß neben Wayne und kuschelte sich in seinen Arm. Ein flüchtiger Blick auf Waynes Schritt zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht; es war die unverkennbare Vorfreude auf den heutigen Abend.

Betty saß auf der linken Seite von Wayne. Sie war Waynes Schwester und die „Freundin“ von Dave. Auch sie entsprach, genau wie Nancy, dem typischen Bild, welches man von Cheerleaderinnen im Allgemeinen hat: Sie war groß gewachsen, hatte pralle Brüste, die sie kaum unter ihrer weißen Bluse bändigen konnte, und verfügte über einen ebenfalls traumhaften Hintern – zum Reinbeißen. Im Unterschied zu den beiden anderen Mädchen war sie jedoch auffallend zickig und äußerst launisch. Gleich einer Katze war sie schwer einzuschätzen, was ihr wiederum den Spitznamen „Kätzchen“ einbrachte. Auch sie konnte sich in diesem lieb gemeinten Beinamen wiederfinden; so sehr mochte sie ihren Nickname, dass ein kleines Tattoo-Kätzchen ihr linkes Schulterblatt zierte.

Sandra, das dritte Sexspielzeug im Kleinbus, war eine hübsche Kroatin. Dave hatte Sandra zu dieser Tour eingeladen, damit sie Louis Gesellschaft leisten mochte. Dave und Wayne hatten ihre beiden Girls dabei, und Louis konnte ja nicht einfach rumstehen und die Kamera halten, wenn es wild abging. Fernerhin hatte Louis die Hütte organisiert, und so musste er wohl oder übel mit. Sandra war nicht gerade begeistert von dieser Einladung, insbesondere wegen Louis, obgleich sie gewiss nicht sehr wählerisch war, was ihre Männerauswahl anbetraf. Ihr Ruf im College war die einer feuergefährlichen Femme-fatale. Mit ihren langen blonden Haaren und ihren deliziösen ozeanblauen Augen war sie eine wahre Jägerin. Ihre gegenwärtig anvisierte Beute hieß: Dave. Sie stand auf Männer mit Durchhaltevermögen und Ausdauer. Daher wollte sie keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um ihn für sich allein zu gewinnen. Zumindest musste sie ihn für eine begrenzte Zeit besitzen, bis sie Lust auf ein neues Spielzeug bekam. Dass Dave seine Freundin dabeihatte, stellte keinen plausiblen Grund für Sandra dar, um nicht mitzufahren. Im Gegenteil, diese Nebenbuhlerin feuerte ihren Jagdinstinkt erst richtig an. Sie wollte diese Trophäe, auch wenn es hieß, über Louis zu steigen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie Opfer bringen musste, um ihr festgesetztes Ziel zu erreichen.

Zuletzt wollen wir auch Louis vorstellen. Er saß als Beifahrer neben Dave und las in einem abgegriffenen Buch. Louis war ein Nerd, ein richtiger Streber würde man im Deutschen sagen. Jedoch keinesfalls ein Nerd wie die unterhaltsamen Hochbegabten in der Serie „The Big Bang Theorie“, sondern ein Streber wie bei den Schlümpfen: ein Schlaubi Schlumpf. Louis besaß eine durchschnittliche Intelligenz und ein bescheidenes, überschaubares Talent. Nur sein Äußeres entsprach dem Nerd-Bild: Er trug eine dicke schwarze Hornbrille, besaß ein von Akne gezeichnetes, hohlwangiges Gesicht, fettige zur rechten Seite hin penibel gekämmte Haare und einen Überbiss, für den ihn jedes Pferd ausnahmslos beneidet hätte. Seinen hageren Oberkörper versteckte er hinter einem karierten Pullover, und die spindeldürren krummen Beine verdeckten breite Khakihosen. Zudem war er stets freundlich und fair, also alles typische Eigenschaften eines perfekten Loosers. Als ob dies nicht schon genug Benachteiligungen seitens der Natur wären, war er zudem braun; braun aufgrund seiner indischen Abstammung. Als leidenschaftlicher und exorbitanter Fan von Science-Fiction- und Horror-Romanen las er alles aus diesen Genres, was ihm in die Hände fiel. Und genauso wie die meisten Helden seiner Fantasiewelt wollte er dieses Wochenende zum Mann werden, indem er seine Jungfräulichkeit endlich loswurde. It´s time to change. Sex, richtigen, versauten Sex wollte er haben. Louis wollte seine Körperflüssigkeit wild und ziellos in die Gegend verspritzen und dabei brüllen wie ein Gorilla, wie King Kong auf dem Empire State Building. Dass es sich als eine Herkulesaufgabe herausstellen sollte, wird sich im Laufe dieser Erzählung noch zeigen.

Gemeinsam fieberten diese jungen Menschen einem Wochenende voller Alkohol, Marihuana und Sex entgegen. Bis auf Louis, der keinen Alkohol vertrug, der absolut gegen Drogen war und auch keinen Sex haben sollte. Eine Sache war aber gewiss: Es sollte ein unvergessliches Wochenende für alle werden. Im Radio lief „Highway to hell“; wie passend …


„Das wird ein echt geiles Wochenende!“, rief Dave aus und verlieh seiner Euphorie Nachdruck, indem er das Lenkrad heftig hin- und her riss. Die anderen im Kleinbus wurden, wie kleine Erbsen in der Blechdose, ungestüm durchgeschüttelt. „Yippie ya yeah, Schweinebacke!“

„Wenn du nicht möchtest, dass ich dir die Sitze vollkotze, dann fahr ordentlich“, beschwerte sich Betty und verzog ihr mattes Gesicht.

„Komm schon, Dave“, mischte sich Sandra ein, „ich möchte nicht den Rest der Fahrt in einem nach Kotze stinkenden Auto mitfahren.“

Dave sah in den Rückspiegel und lächelte Betty dreist an. „Ich spüre die Gier, die Gier nach Tempo in mir! Außerdem: Mein Auto. Meine Regeln.“ Der Kleinbus gewann zunehmend an Geschwindigkeit und raste über die Landstraße. „Das nenne ich: Freude am Fahren!“ Die hochgewachsenen Bäume, die beide Seiten der Straße wie brave preußische Zinssoldaten flankierten, zogen immer schneller an den Seitenfenstern vorbei, verloren dabei ihre Konturen und verwischten zu einem bunten Brei. „Ich bin: The Ultimate Driving Machine! So was von gut.“

„Dave, fahr etwas langsamer“, schimpfte Wayne halbherzig. „Die Mädels bekommen Angst“, versuchte er die Mädchen in Schutz zu nehmen, um dabei seine eigene aufsteigende Furcht zu kaschieren.

Dave lachte aus voller Kehle. „Oh – unser John Wayne hat Schiss? Soll ich etwa so pussy fahren wie du?“, zog er ihn auf. „Du fährst so langsam – du könntest bei Miss Daisy Chauffeur werden.“

„Mach was du willst, Dave“, resignierte Wayne und fügte frech grinsend hinzu: „Mitdenken rentiert sich. Gleich kotzt Betty, und du machst es dann selbst weg.“

Dave blickte über den Umweg des Rückspiegels zu Betty rüber. „Hey, Wayne, meinst du nicht, dass deine Schwester nur blufft? Ich glaube nicht, dass sie ernsthaft kotzen muss, oder?“

Wayne ignorierte ihn, und um ihn ferner zu provozieren und sich selbst etwas abzulenken, warf er lässig einen Arm um Nancy und schaute ihr tief in die bezaubernden dunklen Mandelaugen. Er wusste, dass Dave ein totaler Anti-Romantiker war und daher sprach er hörbar: „Ich seh’ dir in die Augen, Kleines.“

Nancy kicherte: „Ach, du Charmeur. Aber mach weiter. Das tut mir gut.“

„Sie sind so schön, dass es fast wehtut“, fügte Wayne mit betont romantischer Stimme hinzu und versuchte dabei, die raue, tiefe Stimme von Bruce Willis nachzuahmen. Das Ergebnis klang jedoch eher nach Goofy, der mit einer schlimmen Erkältung im Bett lag.

Dave verdrehte seine Augen und streckte angeekelt die Zunge heraus. „Seit ich euch kenne, bin ich verstopft.“

Ein langer Kuss mit feuchter Zunge folgte.

„Lecker, lecker. So schmeckt Genuss“, grinste Wayne und führte erneut seine Zunge fachkundig tief in Nancys Rachen hinein.

Dave begehrte lautstark auf: „Na-na-na ihr Turteltäubchen. Könnt ihr nicht warten, bis wir die Hütte erreicht haben?“ Als Erwiderung stopfte Wayne seine Zunge noch viel tiefer, wie ein Ölbohrturm, in Nancys Mund hinein. Dave konterte, indem er erneut am Lenkrad riss und alle im Kleinbus kräftig durchschüttelte. Es war eine effektive Art, die beiden Knutschelche auseinanderzubringen. Bei dem ganzen Geschüttel entwich aus Waynes Mundwinkel ein dünner Strahl lauwarmen Speichels und landete auf Nancys Stirn.

„Iiiiiii!?! – Er hat mich angeschleimt!“, kreischte Nancy.

„Mir ist echt übel“, beschwerte sich Betty und hielt sich hastig die Hand vor den Mund. Dave sah sie an und kam zu dem Entschluss, dass es doch klüger wäre, wenn er etwas langsamer fahren würde, zumindest sprach hierfür die grüngelbe Gesichtsfarbe Bettys. Er ergriff die Kupplung und schaltete hastig runter – ein Krachen erklang, der Motor heulte auf. Dave hatte vom vierten Gang geradewegs in den ersten geschaltet und dies bei Tempo 90. Es folgten abgehackte Sprünge nach vorn. Mit Mühe schaffte er es, in den dritten Gang zu schalten und die Kontrolle über den Wagen wiederzuerlangen.

„Schönen Gruß vom Getriebe, der Gang ist drin“, spaßte Sandra.

Dave ließ die Kritik an seinem Fahrkönnen unbeachtet und kurbelte sein Fenster hinunter. Ein bekömmlicher frischer Luftstrom streichelte über sein Gesicht und durchkämmte seine akribisch gestylten Haare. Verträumt schaute Dave in die farbenfrohe Welt hinaus. Er hätte gerne schöngeistig philosophiert: „Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauß von Blüten, und man möchte zum Marienkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumschweben und alle seine Nahrung darin finden zu können.“ Aber seine begriffliche Beschränktheit und die emotionale Abgestumpftheit ließen ihn nur Nachstehendes denken: „Wow, heute Abend wird gefickt, was das Zeug hält. Vielleicht, wenn alle so richtig einen hinter die Binde gekippt haben, kommt es sogar zum Gang-Bang! Die Mädels sind hammergeil: Für jeden Geschmack die richtige Sorte.“ Bei diesem trivialen Gedanken zog Dave die frische Waldluft tief in seine Lungen hinein: „Ich mag den Geruch der Straße, er passt zu mir. Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer.“

„Ich auch“, meldete sich Louis zu Wort, der ansonsten nahezu die ganze Fahrt über schweigend in seinem Buch gelesen hatte. „Es ist der Duft der großen weiten Welt.“

Dave schaute ihn aus den Augenwinkeln an und lächelte. Er dachte: Was für ein Idiot! Er sagte jedoch: „Louis, ich denke, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“ Und um diese vorgeheuchelte Freundschaft sinnbildlich zu festigen, gaukelte Dave Interesse vor. „Was liest du da?“, fragte er, ohne wirklich eine Antwort darauf zu erwarten.

„Einen Roman“, erwiderte Louis sichtlich erfreut über die ihm zugeteilte Aufmerksamkeit.

„Und was genau?“, musste Dave nachhaken, da er das Gespräch selbst ins Rollen gebracht hatte. Er dachte: Der eine hat’s, der andere nicht. Louis war der andere.

„Einen Horror-Roman von M. Tontur“, schwatzte Louis frisch-fröhlich und streckte ihm das Buch entgegen, damit er einen Blick dadrauf werfen konnte.

„Ja, ja“, erwiderte Dave und schob das Buch mit der Rechten derb von sich. Er dachte: Wenn ich du wäre, wäre ich gerne ich. Und sagte: „Ich fahre gerade und muss mich auf die Straße konzentrieren. Um was geht es in dem Buch überhaupt?“

Louis, etwas irritiert, legte das Buch dezent auf seinem Schoß ab. Aber gleich einem Fisch, der einem schmackhaften Köder vor der Nase nicht widerstehen kann, ließ er sich durch die trügerische Interessensbekundung Daves erneut einfangen.

„Es handelt von einem kopflosen Monster, das bevorzugt kleine Kinder abends aus ihren Betten herauszerrt und frisst. Dadurch wird es immer stärker und gefährlicher.“

„Es frisst kleine Inder?“, fragte Dave verunsichert.

„Nicht Inder, sondern Kinder“, berichtigte ihn Louis.

„Echt?“, erkundigte sich Dave mit deutlichem Zweifel in der Stimme. „Normal ist das nicht. Du veräppelst mich, oder?“, rief er unsicher aus und lachte.

„Wie kommst du dadrauf?“, wollte Louis wissen und sah sichtlich verwirrt auf das Buch herab. „Es ist die beste Geschichte, die M. Tontur je geschrieben hat“, verteidigte Louis vehement die abgegriffenen Seiten Papier.

„Kopfloses Monster, das gerne kleine Kinder frisst?“, fragte Dave noch mal, um auch ganz sicher zu gehen, dass er es richtig verstanden hatte.

„Ja“, sagte Louis mit monotoner Stimme, da er sich gegenwärtig etwas verarscht vorkam.

„Think different: Wie um alles in der Welt frisst das Monsterdingsbums die Kinder auf, wenn es doch gar keinen Kopf hat?“, wollte Dave wissen. „Du kannst mir doch folgen, oder? Ich meine nur: Kein Kopf gleich kein Mund.“

Louis stutzte und verfiel in ein schweigsames Grübeln. Wortlos kurbelte er daraufhin das Fenster hinunter, schleuderte das Buch kommentarlos hinaus und kurbelte das Fenster wieder hoch. Scheiß Buch, ging es ihm durch den Kopf. Als eingefleischter Horror- und Science-Fiction-Fan war er an so manchen Mist gewöhnt, dessen ungeachtet schoss M. Tontur hier den Vogel ab. Die Lust am Schreiben ist einen Scheiß wert, wenn das Talent fehlt. Das passiert halt, schlussfolgerte Louis, wenn man einen Grundschullehrer Bücher schreiben lässt. Es hieß nicht umsonst: Schuster bleib bei deinen Leisten.

Dave hingegen kostete seinen geistigen Sieg aus. Von solchen Geistesblitzen wurde er in seiner Biografie nur ganz dürftig heimgesucht. Es war vergleichbar mit dem Sichten eines Yetis: Keiner wusste, ob es ihn wirklich gab, aber ab und zu schien er sich doch zu zeigen, zumindest wenn man den Revolverblättern Glauben schenken durfte.

„Ich habe ein geiles Rätsel für euch. Wollt ihr es hören?“, fragte Wayne in die Runde, und ohne auf eine Antwort zu warten, griff er nach seinem Smartphone und streichelte drauf los.

Dave griff in der Zwischenzeit mit der muskulösen Rechten zum Becherhalter und schlang seine Finger gierig um einen länglichen Pappbecher mit einem silbernen Bogen drauf. Er schlürfte genüsslich am Strohhalm. Der unerwartet erschienene klitzekleine Einstein machte wieder seinem alten Ego Platz:

„Oh, mein Gott, das ist ein verdammt guter Milchshake. Ich weiß nicht, ob er fünf Dollar wert ist, aber er ist verdammt gut! Da weiß man, dass es schmeckt.“

„Ich hab’s, Leute. Also hört zu, das Rätsel lautet folgendermaßen:

‚Wenn ich will, dann wirst du richtig heiß.

Ich mag es nicht, wenn du feucht wirst.

Doch ich hab´s so nötig,

dass ich dich von hinten nehme.

Ich machs dir oral und du brennst dahin.

Ich müsste echt betrunken sein, um meine Befriedigung von vorne zu suchen.

Jetzt bist du alle und ich schmeiß dich weg.

Mal sehen, wann ich die Nächste brauch.‘

„Geiles Rätsel“, befand Betty. „Kannst du es noch einmal vorlesen, Wayne?“

Wayne las es ein weiteres Mal vor und alle diskutierten danach, wie die Lösung wohl lauten könnte. Keiner kam auf das Ergebnis. „Und, Wayne, wie lautet die Lösung?“, wollte Dave wissen.

Wayne grinste: „Eine Zigarette.“

Ein allgemeines „Ohhh“ und „Na klar, was sonst“ ging durch den Wagen.

„Louis, werden deine Eltern nicht früher oder später herausfinden, dass wir in der Hütte waren?“, fragte Sandra und blickte angeekelt zu ihm rüber, da sie sich gleichzeitig bildlich ausmalte, diesen Idioten heute Nacht eventuell ficken zu müssen. Louis tat lässig und winkte mit einer Hand ab. Diese Geste wirkte bei ihm deplatziert. Er wollte cool wirken und erweckte lediglich den Anschein eines pantomimenden Affen.

„Die Hütte steht dort schon mehr als hundert Jahre. Sie gehörte meinem Opa. Meine Eltern waren nur ein Mal dort, und sie vergammelt seitdem vor sich hin. Trotzdem sollten wir unseren Müll wieder mitnehmen, falls meine Eltern auf die Idee kommen, ihr Erbstück irgendwann doch noch mal aufzusuchen.“

„Die Hütte gehörte deinem verrückten Opa? Und sie befindet sich auf einem Indianerfriedhof, oder etwa nicht?“, mischte sich Betty ins Gespräch ein.

Louis verzog das Gesicht, als ob er in einen echt sauren Drops gebissen hätte. „Wer erzählt so einen Blödsinn?“, wollte er wissen.

„Mein Bruder“, warf Betty ein und gab den Schwarzen Peter an Wayne weiter.

Louis blickte mit gerunzelter Stirn zu Wayne rüber.

„Hey, Wayne, was erzählst du da fürn Zeug rum? Das stimmt doch gar nicht.“

Wayne wendete sich ab, indem er sich theatralisch seiner Freundin zuwandte und so tat, als ob er nichts mitbekam. Die beleidigte Leberwurst, genannt Louis, sah wieder zu Betty rüber.

„Mein Opa war ganz und gar nicht verrückt“, schimpfte er. „Er war ein Einsiedler, der gerne für sich allein blieb. In unserer indischen Kultur werden solche Menschen hoch verehrt.“

Dave lächelte abfällig. „Die ganze Kraft der Kultur. In Indien kann man ein solches Verhalten als heilig auffassen, aber hier in den USA, dem schönsten und besten Land der Welt, werden solche Leute als Spinner abgestempelt.“

Louis kochte plötzlich vor Wut, und wenn er nicht braun gewesen wäre, dann hätte man gesehen, wie das Blut in seinen Kopf hochschoss. Aber hätte, hätte Fahrradkette oder moderner formuliert: Hätte meine Tante Klöten, wäre sie mein Onkel.

„Was weißt du schon … “, fing Louis lauthals an sich zu ärgern.

„Bla-bla-bla … “, konterte Dave.

„Du hast doch keine Ahnung von … “, setzte Louis aufs Neue an und abermals konterte Dave mit rhetorischer Brillanz: „Bla-bla-bla … “

„Wie kindisch“, mokierte sich Nancy über die beiden verbalen Kampfhähne.

„Was ist mit dem Indianerfriedhof?“, wollte Betty wissen.

„Blödsinn – alles nur Blödsinn“, röhrte Louis. „Es gab da niemals einen Indianerfriedhof, sondern nur einen klitzekleinen alten Zigeunerfriedhof!“

„Was?!“, schrien die Mädchen unisono.

Dave konterte weiterhin unbeeindruckt: „Bla-bla-bla … “ und drückte dabei aufs Gaspedal. Der Kleinbus nahm an Geschwindigkeit zu und dann ereignete sich das Unglück …


Für einen kurzen Augenblick war seine Aufmerksamkeit von der Straße abgelenkt, als wie aus dem Nichts, eine dunkle Gestalt mitten auf der Fahrbahn auftauchte. Dave trat mit voller Wucht auf die Bremse … Die Reifen quietschten, blockierten und schlitterten über den Asphalt … Die Bremsspur zog sich in die Länge … davon ungeachtet konnte Dave nicht verhindern, dass der Kleinbus die Gestalt mit hoher Kraft erwischte. Ein dumpfer Knall und der Kleinbus kam abrupt zum Stehen.

– Stille –

Keiner traute sich, etwas zu sagen. Alle Augen waren auf die schwarze Gestalt streng fixiert, welcher nun regungslos auf dem harten Asphalt lag. Wayne brach als Erster die Stille: „Ist das ein Tier?“, fragte er.

Dave schüttelte zögernd den Kopf. „Nein“, flüsterte er.

„Es ist ein Mensch“, hauchte Nancy und rang dabei verzweifelt nach Luft.

Dave schüttelte nun langsam und bejahend seinen Kopf. „Ein Mensch“, fügte er flüsternd hinzu.

„W-w-was ma-chen w-w-wir jetzt?“, stotterte Betty fassungslos und griff sich verzweifelt in die lockigen Haare.

Sandra stand noch unter Schock, sagte nichts. Sie saß mit endlos aufgerissenen Augen da, gleich einer Spielzeugpuppe, und starrte geradeaus auf die Straße. Sie starrte auf den leblosen Körper.

„Ist er Tod?“, erkundigte sich Nancy vorsichtig.

Diese letzte Frage musste geklärt werden. Dave nahm sich zusammen, ergriff die Tür und öffnete sie. Wayne und Louis stiegen ebenfalls aus. Die drei Mädchen hingegen blieben im Wagen sitzen und beobachteten die couragierten Männer durch die Wundschutzscheibe aus sicherer Entfernung. Schritt für Schritt näherten sich die drei der rätselhaften Gestalt. Sie war schichtweise, gleich einer Zwiebel, in schmutzige, dunkle Kleider eingepackt. Mit einem Sicherheitsabstand von vier bis fünf Schritten hielten die Jungs an und betrachteten den auf dem Asphalt regungslos liegenden Mann.

„Das ist ein Landstreicher“, sagte Dave.

„Das ist ein Schwarzer“, registrierte Louis.

„Das ist ein schwarzer Landstreicher“, fügte Wayne hinzu.

„Wieso hast du ihn nicht gesehen?“, fing Louis an Dave zu rügen. „Hast du ihn übersehen, weil er schwarz ist? Du hast einen Schwarzen umgebracht!“, kreischte er hysterisch.

„Reg dich ab, Louis“, versuchte Wayne ihn zu beruhigen, „keiner ist schuld an dem, was hier passiert ist. Der Typ stand unvermittelt auf der gottverdammten Straße!“

Dave blickte bedächtig zu Louis rüber. „Falls es dich beruhigt, ich hätte ihn auch gerammt, wenn er ein Weißer gewesen wäre.“

Der Landstreicher war ein Afro-Amerikaner um die fünfzig, unrasiert und ungepflegt. Er roch penetrant nach einer Mischung aus Alkohol, Urin und nassem Hund. Eine lange, klaffende Wunde befand sich direkt an seiner Schläfe, aus der kirschrotes Blut langsam aber gleichmäßig herauspulsierte. Seine Augen standen weit offen und blickten ins Leere.

„Der sieht richtig böse aus“, flüsterte Louis und trat einen Schritt zurück. „Schau mal sein linkes Auge.“ Er zeigte zaghaft mit dem Finger drauf. „Das Auge besitzt keine Pupille, sondern ist milchig weiß und hat eine dünne glitschige Haut drauf; ekelhaft.“

„Ja“, erwiderte Dave, „wenn wir aus den James-Bond-Filmen irgendetwas gelernt haben, dann ist es Folgendes: Traue keinem mit einer Narbe im Gesicht, einem böse klingendem Lachen oder, wie in dem vorliegendem Fall, einem Kerl mit einem Horrorauge.“

„Lass uns nachsehen, ob er lebt“, schlug Wayne vor.

„Hä?“, sagte Louis.

„Das heißt nicht ‚Hä?‘, das heißt ‚Was?‘“, korrigierte ihn Wayne.

Dave hob vom Straßenrand einen langen Ast auf und stach skeptisch auf den Oberkörper ein. Der Mann bewegte sich nicht. Dave fing an, sorgfältiger auf den Mann einzuwirken, indem er die Astspitze an das Gesicht lotste und dort beharrlicher rumstocherte. Der Ast verfing sich zuerst in der Nase und glitt dann in den halb offenen Mund hinein. Keinerlei Reaktion.

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23 aralık 2023
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9783957448675
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