Kitabı oku: «Beyl und MacGarney»
Torben Stamm
Beyl und MacGarney
Staffel 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel
PILOTFOLGE: Der Retro-Mord von Edinburgh
Prolog
Anfahrt
Ankunft
Der Tatort
Auftakt
Eine streitbare Dame
Mittagessen
Der Leichenkeller
Edinburgh bei Nacht
Bewegung
Die Bank
Der Ober-Nerd
Die Post
Mr. Arthur
Festnahme
Das Verhör
Alles auf Anfang
Wichtige Erkenntnisse
Konfrontation
Abschluss
FOLGE 01: Der letzte Stich
Zwischenspiel
Tatort
Gespräche
Der Buchhalter
Die Gärtnerei
Die Videobänder
Der Chef der Firma
Investmentfirmen
Autofahrt
Ein ereignisreicher Vormittag
Der passende Schlüssel
Der nächste Morgen
Noch mehr Gespräche
Eine Unterhaltung
Recherchen
Die Gärtnerei
Bauinvestoren
Ein freundliches Treffen
Observierung
Bruchstücke
Abschlussgespräch
FOLGE 02: COUNTDOWN
Prolog
Auftakt
Ein Gespräch
Wartezeit
Obduktion
Lagebesprechung
Weckruf
Mitternacht
Lagebericht
Der Alternativplan
Parkdurchsuchung
Wieder eine Leiche
Fund
Telefonate
Eine interessante Begegnung
Rückfahrt
Derweil
Zwischenspiel: Sechs Monate zuvor
Einschätzungen
Der Schlüssel
Sinn der Sache
FOLGE 03: ABSCHLUSS
Quellenzapfen
Weiteres Vorgehen
Hinweise
Nummer zwei auf der Liste
Nummer drei auf der Liste
Der nächste Morgen
Vorladung
Ein explosives Gespräch
Quellen
Probleme
International
Derweil
Am nächsten Tag
Impressum neobooks
PILOTFOLGE: Der Retro-Mord von Edinburgh
Prolog
Es war kurz nach dreiundzwanzig Uhr, als der Mann sich erhob. Er schaute auf den Boden: Dort lag der verkrampfte Körper seines Widersachers. Bald würde sich in seinem Schritt eine Urinpfütze abzeichnen, wenn die Muskeln sich nach dem Todeskampf entspannten.
Er sah sich im Raum um: Hatte er irgendetwas angefasst? Er rekonstruierte die Ereignisse der letzten halben Stunde, seit er den Raum betreten hatte, kam aber zu dem Schluss, dass er keine Spuren hinterlassen haben sollte. Er überprüfte im Geiste diese Hypothese nochmal: Er musste sich sicher sein.
Anfahrt
„Wo fahren wir hin?“, fragte MacGarney lustlos. Er nippte an seinem Pappbecher und starrte auf die noch leeren, sich aber langsam füllenden Straßen von Edinburgh. Es war sechs Uhr in der Frühe und er hasste den Morgen mehr als jede andere Tageszeit.
„Außerhalb. Noch eine halbe Stunde. Wenn Ihre Hoheit müde sind, können Sie auch gerne die Augen schließen.“ MacGarneys Partner steuerte den schwarzen Kleinwagen sicher durch die Straßen der Hauptstadt Schottlands. Er wusste, dass sein Partner morgens zu nichts zu gebrauchen war und hatte innerlich mehr als einmal aufgestöhnt, als sie in der Frühschicht die Nachricht bekommen hatten, dass sie ausrücken sollten.
„Du kannst mich mal“, brummte MacGarney und kratzte sich am Kopf: Er war Anfang vierzig, hatte aber bereits eine Glatze, die die Bulligkeit seines Körpers unterstrich. Er war nicht dick, aber so gebaut, dass er in jeder Pub-Schlägerei mithalten konnte.
Sein Partner war das genaue Gegenteil: Drahtig, mittellanges, dunkles Haar. Gleiches Alter. Beyl war ein freundlicher Mensch, der bei den Leuten gut ankam - es erstaunte niemanden mehr als Beyl selbst, dass er mit MacGarney zurechtkam, der eher dem ungehobelten Klischee eines Groschenroman-Detektivs entsprach. Allerdings musste man MacGarney lassen, dass er in unregelmäßigen Abständen zu genialen Kombinationen imstande war.
„Wo fahren wir denn jetzt genau hin? Ich meine, wo liegt die Leiche?“, präzisierte MacGarney seine Frage.
„Sie liegt in dem Hotelzimmer eines Retro-Hotels.“
„Eines was?“
„Eines Retro-Hotels.“
MacGarney dachte kurz nach, dann fragte er: „Was soll das denn sein?“
„Soweit ich das verstanden habe, ist es ein Hotel, das auf den ganzen Schnick-Schnack unserer modernen Zivilisation verzichtet. Kein Internet, keine Fernseher auf den Zimmern. Halt sowas.“
MacGarney nippte an seinem Kaffee: „Warum sollte da jemand wohnen wollen? Ist doch ätzend.“
„Ich weiß nicht. Wie viele Leute reden denn immer von der guten alten Zeit? Das haben die halt als Geschäftsmodel entwickelt. Und Retro ist doch immer in. Meine Mutter hat immer gesagt: Es kommt alles wieder!“
„Ich hoffe nicht: Auf die Nazis kann ich verzichten.“
Beyl sah seinen Kollegen kurz tadelnd an: „Das ist nicht witzig.“
„Nein, aber wahr. Ich habe keine Lust auf die. Du etwa? Scheiße, bist du ein Nazi oder so? Lässt du dir in den Ferien immer einen Bart wachsen?“
„Das ist sowas von unpassend. Also, hör zu: Die haben heute Morgen die Leiche gefunden. Der Typ wollte geweckt werden. Als er nicht reagierte, sind sie in sein Zimmer, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist.“
„War es offensichtlich nicht.“
„Genau. Da haben sie uns angerufen.“
MacGarney schüttelte den Kopf: „Hätten auch noch was warten können. Dann wäre unsere Schicht vorbei gewesen und jemand anderes müsste sich jetzt mit diesem scheiß Geschäftsmodell rumschlagen.“
Beyl atmete langsam ein und aus: „Weißt du noch, was wir beim letzten Mal besprochen haben?“
„Wann? Als wir im Pub waren?“
„Als wir den letzten Fall abgeschlossen haben. Als die Hinterbliebenen sich über dich beschwert haben.“
MacGarney dachte nach, kam aber nicht drauf. Beyl half ihm auf die Sprünge: „Wir hatten gesagt, dass du nicht mehr so viel fluchen sollst. Das ist total unpassend.“
„Wir sind doch unter uns, SCHEIßE ABER AUCH!“
„Wenn du jetzt so warm läufst, kommst du aus dem Schimpfen nicht mehr raus. Wie lange arbeiten wir jetzt zusammen?“
„Zu lange.“
„Genau. Ich kenne dich. Also lass das Schimpfen.“
MacGarney brummte und nahm einen neuen Schluck.
Ankunft
Das Retro-Hotel lag außerhalb von Edinburgh und wurde von einer großen, alten Mauer umgeben. Der Zufahrtsweg wurde durch ein eisernes Gittertor versperrt, an dem ein Pförtner in einem kleinen Häuschen saß.
Beyl ließ die Scheibe seines Wagens runter und lächelte den Mann an: „Guten Morgen. Wir sind von der Polizei.“
Der Mann nickte: „Von euch sind schon eine ganze Menge da.“ Er drückte auf einen Knopf und das Tor schwang auf. „Ist das Tor immer zu?“, erkundigte sich Beyl. Der Pförtner schüttelte den Kopf: „Nur heute.“ Beyl nickte und fuhr los.
„Ich hoffe, die sind schon langsam fertig“, teilte MacGarney sich seinem Partner mit. „Ich hasse es, wenn da die Klugscheißer rumrennen und so tun, als wäre ein Haar auf dem Kissen das Größte überhaupt, dabei gehört es nur dem Köter der Putzfrau.“
Beyl sah ihn kurz an. MacGarney seufzte: „Ja, ich werde freundlich sein. Aber dafür bezahlst du das Frühstück nachher.“ Beyl nickte: Er konnte schon nicht mehr nachhalten, wie viele Frühstücke er seinem Kollegen spendiert hatte - ohne dass er sie verdient hätte.
Sie fuhren einen gepflegten Weg entlang, der zu einem großen, alten Haus führte. Es bestand ursprünglich aus gelbem Sandstein, aber die Jahrzehnte hatten das Material dunkel werden lassen. Eine breite Treppe führte zu einer schweren Holztür. Auch hier stand ein Portier, der die Hände hinter dem Rücken hielt und auf Knopfdruck Freundlichkeit versprühen konnte.
Beyl stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und die beiden Männer stiegen aus.
„Guten Morgen die Herren“, begrüßte der Portier sie freundlich und hielt die Tür auf. „Sie müssen sich keine Mühe machen. Wir sind von der Polizei, keine Gäste“, sagte MacGarney und ging an dem Portier vorbei, der ihm verwirrt nachschaute. Beyl schüttelte unmerklich den Kopf und folgte seinem Kollegen.
Der Eingangsbereich war nicht nur retro, sondern sah so aus, als hätte man ihn 1:1 aus einer lang vergangenen Zeit importiert. An der Decke hingen schwere Leuchter, alles war aus dunklem Holz gearbeitet. Eine breite Treppe führte in die oberen Stockwerke. Neben der Treppe befand sich die große, erhabene Rezeption. Eine junge Dame lächelte sie an: „Guten Morgen! Willkommen in unserem Haus.“
„Guten Morgen“, sagte Beyl schnell, bevor sein Kollege wieder stänkern konnte. „Wir sind von der Polizei.“ Die Dame schaute nun nicht mehr freundlich, sondern traurig: „Ja, das ist gut. Es ist so furchtbar. Herr Sebstein war ein freundlicher Mann. Immer gute Laune, immer freundlich.“
Sie griff zum Hörer: „Ich rufe einen Kollegen an, der Sie in sein Zimmer bringt.“
Beyl bedankte sich und ließ seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen: „Schon schön. Bestimmt nicht billig.“
„Da kannst du dich drauf verlassen. Ich wette, wir könnten uns vielleicht eine Nacht hier leisten. Zwei, wenn wir beide zusammenlegen und ein Doppelzimmer nehmen.“
„Der Kollege kommt gleich“, sagte die Dame.
Es dauerte ein paar Minuten, dann erschien ein älterer Herr in einem tadellos sitzenden Anzug. Er streckte den beiden Beamten die Hand entgegen: „Guten Morgen. MacHorn mein Name. Ich bin der Besitzer dieses Etablissements.“ Beyl und MacGarney gaben ihm die Hand.
„Kommen Sie doch mit“, sagte er und führte sie die Treppe hinauf. „Es ist wirklich furchtbar. So etwas hat es in unserem Haus noch nicht gegeben. Der arme Herr.“
„Wie lange war er denn schon Gast?“, erkundigte sich Beyl.
„Eine knappe Woche. Er wollte übermorgen abreisen.“
„War er geschäftlich hier?“
MacHorn schüttelte entschieden den Kopf: „Nein. Auf keinen Fall. Wir sind ein reines Urlaubshotel. Keine Geschäftsreisen. Das verbitten wir uns ausdrücklich. Hier kommt man hin, um zu entspannen, nicht um zu arbeiten. Wenn wir jemanden dabei erwischen, wie er diese Regel bricht, bekommt er lebenslanges Hausverbot.“
Beyl warf MacGarney einen Blick zu. Der sagte: „Dann haben Sie wohl hauptsächlich Leute hier, die länger bleiben?“
MacHorn nickte: „Genau. Die meisten bleiben ungefähr eine Woche, viele aber auch länger.“
„Teuer“, merkte MacGarney an.
„Unsere Gäste haben in der Regel so anstrengende berufliche Tätigkeiten, dass sie gerne dazu bereit sind, etwas mehr zu zahlen, wenn das Angebot stimmt und sie sich wirklich entspannen können.“ Er schaute verächtlich. „Nicht so wie bei diesen modernen Wellness-Hotels, wo man mit Duftkerzen und Ähnlichem malträtiert wird. Furchtbar.“ Er schüttelte sich. Beyl nahm ihm den Ekel sofort ab.
„So, hier wären wir“, sagte MacHorn und ging durch eine Tür, vor der ein Polizeibeamter stand.
Der Tatort
Als Beyl den Tatort betrat, erinnerte ihn der Anblick an eine Aussage seines Ausbilders: „Ein Tatort ist wie ein Bienenstock. Alle sind fleißig, alle arbeiten - und der Oberboss tut nichts.“ In diesem Fall war der Oberboss der König der Spurensicherung: Lobs war ungefähr zweihundert Jahre alt und brauchte ebenso lange, um einen Satz zu formulieren. Allerdings gab es keinen bei der Truppe, der mehr Ahnung von seinem Job hatte als er. Das Problem war nur, dass Lobs und MacGarney sich absolut gar nicht leiden konnten und ein Zusammentreffen zwischen ihnen meistens mit wüsten Beschimpfungen endete.
„Guten Morgen“, sagte Beyl und gab dem alten Mann die Hand. Er schaute sich im Raum um: „Das nenne ich mal eine Unterkunft: Groß, riesiges Bett... Nicht schlecht.“
Lobs lächelte: Er mochte Beyl, weil der wenigstens etwas kultiviert war. Allerdings wirkte auch ein Scheißhaus neben MacGarney wie die Bewahrungsstätte für Kultur und gutes Benehmen.
„Ja, da haben Sie Recht. Aber das übersteigt meine Gehaltsklasse.“
MacGarney stellte sich neben Beyl. Er schaute Lobs an, grüßte ihn aber nicht.
„OK, was haben wir denn genau?“, fragte Beyl.
Der alte Mann ging zum Bett und stellte sich daneben: „Das Opfer wurde neben dem Bett gefunden. Es ist vollständig angekleidet. Es gibt Anzeichen für einen Kampf - Schnittwunden und Kratzer an seinen Knöcheln. Er hat es seinem Mörder nicht leicht gemacht.“
MacGarney musterte den toten Mann, der auf dem Bauch vor dem Bett lag: „Das ist echt mal retro.“
„Bitte?“, fragte Lobs.
MacGarney atmete übertrieben aus: „Der Mord. Der Typ hat ein Telefonkabel um den Hals.“
„Ja, und?“
„Sowas gibt es heute nicht mehr. Kein scheiß Telefon hat noch eine Telefonschnur.“
Lobs zog die Augenbrauen hoch: „Meins schon.“
„Ja, aber Sie sind auch so alt, dass bei Ihnen der Prototyp steht. Ich frage mich, wann das Museum auftaucht und seine Herausgabe fordert.“
Beyl bemühte sich, die Streitigkeiten solange aufzuschieben, wie es möglich war: „Wie lange ist er denn tot?“, erkundigte er sich.
Lobs schien unsicher zu sein, ob er auf die sachliche Frage eingehen sollte oder lieber den üblichen Schlagabtausch einleiten sollte. Er kam aber zu der Erkenntnis, dass Beyl eine freundliche Frage gestellt hatte und es daher sehr unhöflich wäre, diese nicht zu beantworten, nur weil sein Partner ein mieser Sack war.
„Der Todeszeitpunkt ist ungefähr dreiundzwanzig Uhr gewesen.“
MacGarney fragte prompt: „Könnte es eine Frau gewesen sein?“
Lobs musterte die Leiche: „Das Opfer ist 24 Jahre alt, weist eine normale körperliche Konstitution auf... Ich halte es für unwahrscheinlich, dass eine Frau ihn überwältigen und mit einer Schnur erwürgen konnte.“
Beyl stimmte zu: „Außerdem hat er sich ja gewehrt. Der andere muss ihm total überlegen gewesen sein.“
„OK, gibt es schon was von den anderen Gästen?“ Beyl war froh, wenn er mit Lobs fertig war.
„Ich weiß es nicht“, sagte der alte Mann. „Ich habe mich bisher nur mit dem Opfer beschäftigt.“
MacGarney brummte: „War ja klar.“
„Bitte?“
„Ich sagte: WAR JA KLAR!“
Lobs verstand nicht: „Und das soll was bedeuten?“
„Dass es klar war, dass Sie die grundlegenden Regeln der Polizeiarbeit nicht auf die Reihe bekommen.“
„Ich bin kein Polizist. Ich arbeite bei der Spurensicherung.“
„Oh, jetzt sind Sie was Besseres als wir?“
„Das habe ich nicht gesagt!“
„Ach hören Sie mir doch auf.“ MacGarney machte eine wegwerfende Handbewegung.
Beyl schaltete sich hastig ein: „Gut, dann werden wir mal zu den anderen Gästen gehen.“
Er zog MacGarney mit sich in Richtung Tür. Dabei flüsterte er: „Komm mit.“
Auf dem Flur machte MacGarney seiner Wut Luft: „Dieser arrogante Arsch meint, er wäre was Besseres. Es kotzt mich so an!“
Beyl schüttelte den Kopf: „Du hast ihn provoziert. Wie jedes Mal. Ich habe keine Lust, mir das anzuhören. Wir müssen jetzt losmarschieren und Leute befragen.“
Er wandte sich an einen jungen Beamten, der sinnvoll in der Gegend rumstand: „Sie!“, rief er und winkte den Mann zu sich. „Sind die Gäste in ihren Zimmern?“ Der junge Mann nickte erschrocken.
„Gut“, brummte Beyl. „Dann werden wir mal arbeiten.“
Auftakt
Auf dem Flur lagen drei Zimmer. Beyl war zunächst verwirrt davon, warum nur so wenige Gäste hier wohnten, aber nachdem er sich in Erinnerung gerufen hatte, wie groß ein Zimmer war, erschloss sich ihm bald die Gesamtsituation.
Sie klopften an die Tür des Raumes, der dem von Sebstein direkt gegenüber lag. Es dauerte nicht lange, dann wurde die Tür schwungvoll geöffnet. Beyl war sich sicher, dass der Bewohner direkt hinter der Tür nur auf das Klopfen gewartet hatte.
„Guten Morgen“, sagte eine alte Dame. Sie war klein, hatte graue Haare und kniff die Augen zusammen.
„Guten Morgen. Wir sind von der Polizei und hätten ein paar Fragen an Sie.“
Die Alte nickte: „Gerne. Aber vorher möchte ich Ihre Ausweise sehen. Man sieht so viel im Fernsehen.“
Beyl sagte: „Natürlich“, und zog seinen Ausweis hervor. Die alte Dame musterte ihn und nickte dann.
„Gut“, antwortete sie. „Und Sie?“ Sie schaute zu MacGarney, der keine Anstalten gemacht hatte, einen Ausweis hervorzuholen.
„Ich bin von der Presse und möchte nur zuhören.“
Die alte Dame zog die Augenbrauen hoch: „Presse?“
Beyl sagte hastig: „Nein, nein. Das ist mein Kollege.“
Die alte Dame war verwirrt: „Er sagt, er sei von der Presse.“
„Das war ein Scherz.“
Die alte Dame wirkte empört: „Also ich finde das alles sehr unerfreulich. Ich denke, ich möchte nicht mit Ihnen sprechen.“ Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen. MacGarney griff in seine Tasche und holte seinen Ausweis hervor: „Es war ein Witz. Ich bin Polizist.“ Die alte Dame beäugte den Ausweis, dann MacGarney, dann den Ausweis. Sie schaute in den Gang. Dort stand der junge Beamte, den Beyl kurz zuvor angesprochen hatte: „Sie!“, rief sie. Der junge Mann zuckte zusammen und kam näher: „Ja?“
„Sind das hier echte Polizisten?“, fragte die alte Dame. Der junge Mann schaute verwirrt zu Beyl und MacGarney. Er nickte: „Ja, klar. Das sind echte Polizisten.“
„Gut. Ich lasse die jetzt rein. Achten Sie bitte darauf, ob ich um Hilfe rufe.“
Dann ließ sie Beyl und MacGarney in das Zimmer.
Auch dieser Raum war sehr großzügig bemessen. Die alte Dame deutete auf eine Sitzecke, die aus einem Sofa, einem schweren Tisch und zwei Sesseln bestand. Beyl und MacGarney setzten sich.
„Man muss vorsichtig sein“, sagte sie. MacGarney nickte: „Da haben Sie Recht. Ich denke, Sie haben den jungen Mann auch überprüft? Ich kenne den nicht. Ich hoffe, er ist wirklich Polizist.“
Die alte Dame schaute ihn erschrocken an. Beyl warf seinem Kollegen einen bösen Blick zu: „Also, dann wollen wir mal anfangen. Sie wohnen ja direkt auf der anderen Seite des Ganges. Ist Ihnen in der vergangenen Nacht etwas aufgefallen, Mrs...?“
„Mein Name ist Henriette Groose.“ Sie sagte das in einem Ton, als müsste jedem auf der Welt der Name etwas sagen. Nachdem sie aber merkte, dass weder Beyl noch MacGarney darauf reagierten, fuhr sie leicht genervt fort: „Ich bin sehr misstrauisch. Ich passe immer auf.“
Beyl nickte: „Ist Ihnen denn etwas aufgefallen? So gegen elf Uhr abends?“
„Nein. Mr. Sebstein war ein sehr ruhiger, freundlicher Herr. Er hat mir öfters geholfen.“
MacGarney fragte interessiert: „Wobei?“
Mrs. Groose stand auf und ging zum Nachtkonsölchen. Hier zog sie eine Schublade auf und nahm einen Laptop heraus. Sie trug ihn zur Sitzecke und stellte ihn auf den Tisch: „Hierbei. Das Ding ist ziemlich widerspenstig. Dauernd macht es die falschen Sachen.“
MacGarney fragte belustigt: „Mr. Sebstein hat Ihnen am PC geholfen?“
„Ja. Er hat das wohl irgendwie beruflich gemacht. Ich habe das nicht so ganz verstanden. Aber er hat das Teil immer wieder auf Touren gebracht. Sogar vor zwei Tagen, als das Internet kaputt war. Ich frage mich, warum das alle so toll finden, wo es doch dauernd kaputt geht.“
MacGarney unterdrückte ein Lachen. Mrs. Groose bemerkte es: „Seien Sie nicht so frech, junger Mann. Das Internet ist sehr hilfreich. Sie könnten sich da auch mal mit beschäftigen!“
„Entschuldigung, aber ich habe keine Probleme damit.“ MacGarney wirkte noch immer amüsiert.
„Man kann da viele Sachen kaufen. Bestimmt gibt es da auch was für Ihre Glatze. Sie sehen aus wie ein Nazi.“ MacGarney starrte die alte Dame geschockt an. Unwillkürlich griff er sich an den kahlen Kopf.
„OK, dann weiter“, sagte Beyl, der sich insgeheim darüber freute, dass MacGarney mal etwas zurückbekam. Sein Kollege machte sich gerne mal einen Spass, aber er konnte nur schlecht einschätzen, wann man es sein lassen sollte.
„Warum haben Sie denn Internet? Ich dachte, das wäre ein Retro-Hotel?“
„Stimmt“, entgegnete die alte Dame und grinste. „Aber ich habe da so ein Ding, das man dransteckt und dann kann ich immer ins Internet. Sogar, wenn ich im Park sitze. Das ist ja nun wirklich nichts Ungewöhnliches. Soll ich es Ihnen mal zeigen?“
„Nein, ist schon gut!“, sagte Beyl und hoffte, dass er später auch noch so fit sein würde. „Hatte Mr. Sebstein manchmal Besuch?“, fragte er.
Mrs. Groose dachte nach: „Nein, eigentlich nicht.“
„Eigentlich?“
„Ja, also er kam abends immer spät nach Hause. Ich denke, er wird sich dann mit jemandem getroffen haben.“
„Hat er mal gesagt, mit wem?“
Die alte Dame runzelte die Stirn: „Puh, das ist schwer. Keine Ahnung. Wollen Sie sich nicht mal Notizen machen?“
Beyl lächelte: „Das ist eine gute Idee.“ Er zog sein Handy aus der Hosentasche und begann, eine Notiz zu verfassen. Mrs. Groose schaute ihm interessiert zu: „Das ist ja so wie ein kleiner Computer, der in die Hosentasche passt. Ich habe das schon öfters gesehen. Vielleicht sollte ich mir sowas kaufen.“
Beyl hatte seine Notiz beendet und steckte das Gerät wieder weg: „Ich finde, das ist eine sehr gute Idee. Und ich denke, Sie werden keinerlei Probleme haben, damit zurecht zu kommen.“ Die alte Dame lächelte erfreut. Dann wandte sie sich an MacGarney: „Nehmen Sie sich mal ein Beispiel an Ihrem Kollegen. Das ist ein Gentleman.“
„Was für eine furchtbare Person“, sagte MacGarney, nachdem sich die Tür hinter ihm und seinem Kollegen geschlossen hatte und sie wieder auf dem Hotelflur standen.
„Was hast du erwartet?“
„Kekse? Und vielleicht etwas Freundlichkeit?“
„Nicht alle Leute schenken dir Kekse. Vor allem, wenn du vorher versuchst, sie zu verarschen.“
MacGarney zuckte mit den Schulter: „Wenn alte Leute freundlicher wären, würden sie nicht so oft verarscht werden.“
Sie gingen zu dem Zimmer, welches rechts neben dem von Sebstein lag. Sie klopften.
„Außerdem kann ich alte Leute nicht leiden“, setzte MacGarney das „Gespräch“ fort. „Sie sind nur am Meckern und tun so, als wären sie die besten...“
„Ich weiß nicht, was du auf einmal mit alten Leuten hast, aber wenn gleich einer die Tür aufmacht, solltest du dich geschlossen halten.“ Beyl klopfte erneut.
„Ja!“, rief eine genervte Stimme aus dem Zimmer.
„Hier ist die Polizei!“, antwortete Beyl freundlich, aber bestimmt. Die Tür öffnete sich: „Das habe ich mir schon gedacht. Sie trampeln hier ja auch schon seit Stunden durch die Gegend.“
Der Produzent dieser freundlichen Antwort war ein Mann Mitte dreißig, dünnes, schwarzes Haar, hagerer Körperbau. Er trug eine Jeans und ein kariertes Hemd.
„Es tut uns leid, dass wir Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten, aber auf der anderen Seite Ihrer Wand liegt ein Mann auf dem Boden und der hat ein Problem: Er ist tot.“ MacGarney schaute den jungen Mann angriffslustig an. Beyl kam zu dem Schluss, dass sein Kollege weder etwas gegen alte noch gegen junge Menschen hatte: Er war einfach generell menschenfeindlich.
„Ich freue mich darüber!“
Beyl war überrascht: „Sie freuen sich darüber, dass er tot ist?“
Der Mann verdrehte die Augen: „Nein. Ich freue mich darüber, dass es Ihnen Leid tut. Die anderen Beamten machen einen sehr ungehobelten Eindruck.“
MacGarney starrte den Mann an: „Das war sogar für meine Verhältnisse schon etwas zu trocken!“
Der junge Mann zuckte mit den Schultern: „Humor ist nicht jedermanns Sache.“
Beyl räusperte sich: „Ja, OK. Dürfen wir reinkommen?“
„Nein.“
„Nein?“
„Nein.“
MacGarney schüttelte den Kopf: „Warum nicht?“
„Weil ich Sie nicht reinlassen muss und ich keine Lust habe, mit Ihnen zu sprechen.“
„Dann müssen wir das Gespräch auf dem Revier fortsetzen“, informierte Beyl den Mann.
„Stimmt. Ist mir aber eigentlich egal.“
Er machte einen Schritt zurück und schloss die Tür.
„Was war das denn?“, fragte MacGarney seinen Kollegen.
„Keine Ahnung. Aber normal war das nicht.“
Beyl winkte dem jungen Beamten, der sich an seine Rolle bereits gewöhnt hatte. Beyl instruierte ihn: „Holen Sie sich noch zwei Kollegen und nehmen Sie diesen Mann mit aufs Revier.“ Der Beamte nickte und verschwand.
Der Hoteldirektor trat zu ihnen: „Entschuldigung, die Herren. Ich möchte mich nicht in Ihre Arbeit einmischen, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie meine Gäste nicht mehr... behelligen würden, als unbedingt nötig.“
„Haben Sie gesehen, wie der uns behandelt hat?“, fragte MacGarney drohend. „Wir haben bestimmt keinen Spaß daran, jemanden aufs Revier bringen zu lassen. Das macht nämlich mehr Arbeit, als wir gebrauchen können. Aber anscheinend will er es ja so haben.“
„Ich kann es ja nochmal versuchen“, sagte MacHorn und schob sich an den beiden Beamten vorbei. Er klopfte sanft an die Tür: „Hallo? Hier MacHorn, der Hotelbesitzer.“
„Was?“, dröhnte die Stimme von der anderen Seite der Tür.
„Ich denke, es wäre am leichtesten für alle, wenn Sie kooperieren und den Gentlemen ein paar Fragen beantworten würden. Die beiden Herren sind wirklich sehr freundlich und ich denke, dass das für alle Betroffenen der leichteste Weg ist.“ Schweigen. Dann schwang die Tür wieder auf.
„Ich habe nur fünf Minuten Zeit“, sagte der Mann und ging wieder in das Zimmer.
Der junge Beamte kam mit seinen Kollegen auf die Tür zu. Beyl gab ihnen ein Zeichen zu warten. Dann folgte er MacGarney, der das Zimmer bereits betreten hatte.
Der junge Mann saß in einem Sessel und schaute die Beamten an: „Ich würde Sie ja bitten, sich zu setzen, aber dann würde das Gespräch bestimmt länger dauern, als wenn ich Sie nicht bitten würde. Wie an der Kasse im Supermarkt.“
„An der Kasse?“, fragte MacGarney.
„Ja: Da, wo Sie Ihre Sachen in die Tasche packen. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass bei Discountern das Band nach der Kasse sehr kurz ist? Dadurch fühlen Sie sich nicht wohl und machen schneller Platz. Sie haben ja schon Ihr Geld abgegeben und der Verkäufer hat kein Interesse mehr daran, dass Sie länger bleiben und den Betrieb aufhalten.“
MacGarney seufzte und setzte sich auf das Sofa: „Ich bin keine Kasse. Ich bin auch kein Verkäufer. Ich bin Vertreter des Gesetzes dieses Landes.“ Beyl setzte sich ebenfalls. Der junge Mann zuckte mit den Schultern: „Ich habe Ihnen fünf Minuten zugestanden. Mir ist es egal, wie Sie diese füllen wollen.“
„Wie heißen Sie?“, fragte Beyl.
„Sam Furth.“
„Wo kommen Sie her?“
„Glasgow.“
„Warum sind Sie in Edinburgh?“
„Urlaub.“
„Seit wann?“
„Drei Tage.“
„Haben Sie sich mal mit Mr. Sebstein unterhalten? Über seinen Job oder so?“
Furth dachte nach. Dabei kniff er die Augen zusammen. Schließlich schüttelte er den Kopf: „Nein. Ich denke nicht.“
„Sie sind sich nicht sicher?“
„Es kann sein, dass ich ihm mal die Tageszeit gesagt habe. Aber das kann man wohl kaum ein Gespräch nennen.“
MacGarney schaltete sich ein: „Was machen Sie beruflich?“
„Ich doziere an der Universität.“
„Worin?“
„Literatur.“
„Verstehe.“
Furth war überrascht: „Was verstehen Sie?“
„Sie.“
„Mich?“
„Ja.“
„Inwiefern?“
„Sie sind ein...“
„Das tut nichts zur Sache!“, unterbrach Beyl seinen Kollegen. Der hatte sich schon an anderer Stelle sehr exessiv darüber ausgelassen, was er von Akademikern hielt.
„Wie lang werden Sie denn noch in der Stadt bleiben?“, fragte Beyl weiter.
„Noch elf Tage. Ich bin für 14 Tage eingebucht.“
Beyl kratzte sich am Kopf: „Aber derzeit sind keine Semesterferien. Wie geht das?“
Furth lächelte: „Sehr gute Frage. Ich mache nicht nur Urlaub hier, ich recherchiere für meinen Forschungsschwerpunkt.“
„Das haben Sie aber eben nicht gesagt.“
„Ich wollte Sie nicht langweilen.“
„Haben Sie mit dem Opfer doch mal gesprochen und wollten uns damit nicht langweilen?“
Furth schien begeistert: „Nein! Aber mit Ihnen machen Unterhaltungen Spaß.“ Er warf einen Blick auf MacGarney: „Ihr Kollege scheint nicht sehr kultiviert zu sein.“
„Was für ein eingebildeter Arsch“, sagte MacGarney, nachdem die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte und sie wieder auf dem Flur des Hotels standen.
„Ganz ehrlich: Erkennst du nicht ein Muster?“, fragte Beyl.
„Was meinst du?“
„Wir haben zwei Leute befragt. Beide konnten dich nicht leiden und beide wolltest du beleidigen.“
„Das ist nicht wahr!“
„Stimmt“, lenkte Beyl ein. „Die alte Dame hast du tatsächlich beleidigt. Wir haben doch darüber gesprochen: Du musst dich zusammenreißen.“
MacGarney wirkte zerknirscht: „Ja. Scheiße, ich versuche es.“
Sie gingen zu jenem Zimmer, das auf der linken Seite neben dem Zimmer des Opfers lag.
„Mir kommt der Kerl nicht sauber vor“, merkte MacGarney an.
„Du musst objektiv bleiben.“ Beyl klopfte erneut: „Hallo?“, rief er. „Polizei!“
Keine Reaktion. Der Hotelbesitzer kam, wohl angelockt durch den erhöhten Geräuschpegel, aus dem Zimmer des Opfers: „Kann ich Ihnen helfen?“
„Ist der Gast nicht da oder macht er nicht auf?“
MacHorn griff zu seinem Handy: „Das haben wir gleich. Ich frage eben nach, ob an der Rezeption etwas bekannt ist.“
Er entfernte sich ein paar Schritte und sprach leise in sein Telefon.
„Ich denke, wenn der nicht da ist, sind wir hier bald fertig“, sagte MacGarney. „Ich habe sowieso Hunger.“
Beyl war nicht ganz der Meinung: „Du musst dich noch etwas zusammenreißen. Ein paar Dinge müssen wir schon noch abklären.“
MacHorn sagte: „Danke“, und steckte sein Handy weg. Dann ging er wieder zu den beiden Beamten: „Mr. Arthur hat das Hotel heute Morgen um fünf Uhr dreißig verlassen. Er hatte wohl eine kleine Tasche dabei.“
„Er ist abgehauen?“, fragte MacGarney entgeistert. „Dann haben wir wohl unseren ersten Verdächtigen.“