Kitabı oku: «Herr Doktor, tut das weh?»

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ebook 2020

© 2020 mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)

www.mitteldeutscherverlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagabbildung: Peter Dunsch

Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

ISBN 978-3-96311-485-4

Inhalt

Vorwort, oder: Herr Doktor, tut das weh?

Lieber Nachsorge als Vorsorge

Ruhe sanft!

Nicht verscherzen mit den Schmerzen!

Mit harten Bandagen

Der Besuch des Anderen

Beethoven im Bauch

Ich kann dich nicht riechen!

Die sprechende Sprechstundenhilfe

Man muss dran glauben

Zeit heilt alte Wunden

Spirale ohne Ende

Der frühe Vogel killt den Wurm

Neue Zähne mit Biss

Keine Neurose bei dieser Diagnose

Gemeinsam sind wir schwach

Im Darm ist es noch warm

Vorwort, oder:
Herr Doktor, tut das weh?

Frauen gehen, das ist statistisch mehrfach belegt, häufiger zu Ärzten als Männer. Logisch! Frauen müssen niemandem etwas beweisen, müssen keinem Härte vortäuschen, können sich völlig ungezwungen in ihren Körpern verwirklichen. Mit anderen Worten: Frauen sind Leibeigene. Und sie lieben ihre Körper, mit allen Ecken und Kanten, den ausladenden Rundungen und den schwabbligen Wärmepolstern, die sich dezent um Bauch und Hüfte schwingen. Sie hängen an jedem Gramm und umgekehrt. Frauen hören auf ihre innere Stimme, und wenn ihnen diese zuflüstert: Mammografie! – stürzen sie zum nächstbesten Busengrapscher im Kostüm eines Arztes.

Männer sind da völlig anders, nicht nur, weil sie diese Form der Vorsorgeuntersuchung für sich selbst ablehnen. Gerade meine Generation der Babyboomer bekam nämlich während der Kindheit Sätze zu hören wie: „Hör auf zu heulen, du Memme!“ Ganz beliebt war: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ Oder: „Bis zur Hochzeit ist alles wieder verheilt.“ Ebenfalls ein Favorit: „Flenne hier nicht rum, sonst wirst du nie ein Mann!“

Auch ich wurde in diesem autoritären und für Kinder sehr gewaltbereiten Zeitgeist erzogen. Das hat Spuren hinterlassen, nicht nur in der Unterhose. Meine Erziehung hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin, ein Hypochonder, der ständig in sein tiefstes Inneres hineinhorcht, ob nicht Krankheiten und damit verbunden Schmerzen, Arztbesuche oder Klinikaufenthalte unmittelbar bevorstehen wie ein Vulkanausbruch auf Bali.

Und jetzt kommt das, was ich anfangs bereits angesprochen habe: Obwohl Männer seltener zum Arzt gehen als Frauen, stellen sie die größere Gruppe unter den Hypochondern. Ärzte mögen sie nicht, vielleicht weil die Mediziner eine intellektuelle Konkurrenz fürchten. Der Hypochonder ist, dank des Internets, gebildet – neben seinen unzähligen Krankheiten, da ist er eingebildet. Er liest sämtliche Fachjournale, verschlingt regelmäßig die Apothekenumschau, schmökert im Senioren- und Diabetesratgeber und ist angemeldet auf allen interaktiven Patientenforen. Und obwohl er panische Angst vor Weißkitteln hat, es könnte ja was Ernstes und die Phantomschmerzen echt sein, drängt es ihn zu den Sprechstunden aller Fachärzte.


Herr Doktor, tut das weh?“ „Naja, ich sag’s mal so, Ihnen nicht!“

Neben dieser permanent schwelenden Angst, akut zu erkranken, leide ich zudem unter einer sehr niedrigen Schmerzgrenze. Narkosefreie Behandlungen lehne ich prinzipiell ab. Eine örtliche Betäubung ist das Mindeste. Bevorzugt nehme ich ärztliche Leistungen unter Vollnarkose entgegen. Eine manifestierte Schmerzphobie wurde von mehreren Fachkollegen übereinstimmend diagnostiziert. Bereits der blanke Anblick einer Kanüle bei der Grippeschutzimpfung füllt mir die Schlüpfer wie die Waffel an einer Softeismaschine. Deshalb meine ängstliche Frage, ehe der Arzt zu seinen Folterinstrumenten greift: „Herr Doktor, tut das weh?“ Diese ausgeprägte Panik vor körperlichem Schmerz setzt mir emotional dermaßen zu, dass ich immer und überall nach einer Betäubung verlange, letztens sogar beim Friseur.

Aber, und nun halten Sie sich fest: Das hat mich zu einem außerordentlich empathischen Menschen gemacht. Ich kann für andere, die körperliche Qualen erleiden müssen oder erleiden mussten, Mitgefühl empfinden. Auf einer Skala von Eins bis Zehn soll ja der Geburtsschmerz die Zwölf belegen. Bei meiner Tochter hat sich die Geburt meines Enkels über zwanzig Stunden hingezogen. Mein Gott, was muss mein liebes Mädel für barbarische Schmerzen ertragen, welch höllische Qualen erlitten haben. Regelrecht um eine Schmerzspritze angefleht hat sie ihre Geburtshelfer. Doch diese gefühllosen Stümper haben ihr eine Periduralanästhesie, wie sie Langzeitgebärenden gern verabreicht wird, eiskalt verweigert, obwohl sie als Beamtin privatversichert ist. Und dann, als nach vierundzwanzig Stunden die erste Hebamme wieder zum Dienst erschien, trat die Entbindung endlich in die heiße Endphase, bis meine Tochter kurz darauf von ihren Wehenschmerzen erlöst wurde.

Als wir sie am Abend in ihrem Einzelzimmer besuchten und sie uns, noch schwach und von den zurückliegenden Ereignissen gezeichnet, berichtete, krampften sich bei mir sämtliche Unterleibsmuskeln zusammen. Und um ihr Trost und Beistand zu spenden, sagte ich zu ihr: „Siehst du mein Kind, und das mache ich jeden Morgen durch.“

Übrigens – ich habe diese Information aus verlässlicher Quelle – wurde vor Kurzem in einer größeren Thüringer Stadt eine Notfallklinik für erkältete Männer eröffnet, mit allem was dazugehört: Notaufnahme, Intensivstation und angeschlossener Pathologie. Wenn Männer krank werden, dann aber richtig!

Lieber Nachsorge als Vorsorge

Wenn unsere Volksgesundheit wüsste, wie schlecht es um sie bestellt ist, würde sie sich einen Strick nehmen, und das nicht zum Seilspringen. Immer mehr Vorsorgeuntersuchungen werden gestrichen, also nicht farblich, sondern ersatzlos. Und dafür gibt es einen triftigen Grund: Erst an Kranken kann man so richtig verdienen. Das ist wie beim Auto. An den Inspektionen wird gespart und beim Kolbenfresser draufgezahlt.

Die krankenversicherten Beitragszahler hängen wie Milchkühe an den Melkmaschinen der Pharmariesen. In einer überalternden Gesellschaft boomt auch das Geschäft mit Hilfsmitteln. Plötzlich bringt der Weihnachtsmann Wannenlift, Haftcreme, Toilettensitzerhöhung oder einen tiefergelegten Rollator. Statt Wollsocken gibt es Stützstrümpfe. Und auch bei Apothekern klingelt ordentlich die Kasse. Lediglich Gynäkologen, die Grottenolme der Humanmedizin, müssen Abstriche machen.

Von Pharma-Lobbyisten gehätschelte Politiker stehen dann mit hängenden Schultern da und wundern sich über die astronomischen Summen, die das Gesundheits-Unwesen verschlingt, wie ein Adipositiver seine Fritten runterwürgt. Inzwischen ist das ganze Land auch flächendeckend durchzogen von Reha-­Kliniken, die frisch Operierte von den OP-Tischen reißen, um neben den Chirurgen ebenfalls einen guten Schnitt zu machen. Irgendwann entdeckte ein findiger Gesundheitsapostel, dass sich auch noch nach Operationen Geld verdienen lässt, und erfand die AHB, die Anschluss-Heil-Behandlung. Chronisch Kranken ist die Reha vorbehalten. Zeit, der Sache mal auf den Grund zu gehen:

Wann immer ich einen Kaffee bestelle, kommt prompt die Frage: „Mit Zucker?“

„Nein, danke“, antworte ich mit der mir gebotenen Freundlichkeit, „den habe ich selber.“ Ich habe keinerlei Probleme, offen darüber zu reden, auch wenn dem Wort Diabetiker etwas Abwertendes anhaftet, ähnlich wie den Begriffen Alkoholiker, Drogenkurier, Exhi­bitionist, Sozialschmarotzer oder Landtagsabgeordneter.

Eines Tages war mein Diabetologe Herr Dr. Schönfelder mit meiner Einstellung alles andere als zufrieden. Meine Blutzuckerkurve schwankte wie ein Seemann, der nach Mitternacht aus der Hafenkneipe torkelt. Mein Arzt sah mir tief in die Augen und meinte: „Sie könnten sich Ihr Insulin auch pumpen.“

„Wie pumpen!?“, rief ich erschrocken. „Will die Krankenkasse das Zeug später zurückhaben?“

„Nein, nein“, lachte Herr Dr. Schönfelder, „ich rate Ihnen zu einer Insulinpumpe.“

Ich dachte einen Augenblick nach. Fortschritt ist nicht dadurch aufzuhalten, dass man ihn ignoriert. Und vielleicht bringt das sogar etwas. Dem Pumpenhersteller auf jeden Fall.

„Ich müsste Sie allerdings zu einer Reha schicken“, erklärte er, „dort wird man die Pumpeneinstellung vornehmen.“

Da ich noch nie eine Reha-Klinik von innen gesehen hatte, ahnte ich natürlich nicht, was mir bevorstand. In den schlaflosen Nächten vor meiner Abreise träumte ich von geilen Zimmerfeten mit scharfen Patientinnen und von kuscheligen Tanzabenden. Vor meinem geistigen Auge rekelten sich verführerische und willenlose Therapeutinnen. Ich aalte mich mit gierigen Nymphomaninnen in entspannenden Moorlaugen. Mit anderen Worten: Eine Wonne in der Wanne!

Keine Ahnung, wieso in meinem Gehirn derart schmutzige Fantasien herumgeisterten. Möglicherweise lagerten in den Abgründen meines Unterbewusstseins Bilder und Szenen eines Films, den ich vor über zwanzig Jahren völlig widerwillig und mit tiefstem Abscheu anschauen musste, da ich ihn aus der Videothek geholt hatte. Er trug den belanglosen Titel: „Scharfe Schwestern bei Dr. SEX“. Und er war ziemlich obszön – aber schön.

Als ich in der Fachklinik für Innere Angelegenheiten wie Herz, Magen-Darm und Stoffwechselerkrankungen eintraf, glaubte ich zunächst, mich in der Adresse vertan zu haben. Auf den Parkbänken im Eingangsbereich dösten hochbetagte Patienten, deren Lebensjahre zusammengerechnet bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückreichten. Ich hatte das Gefühl, in einem Pflegeheim gestrandet zu sein.

Zimmerfeten mit Alkoholexzessen Fehlanzeige! Im Gegenteil: Gemäß Hausordnung herrschte striktes Alkoholverbot. Dabei hatte ich im Kofferraum drei Kästen Bier und eine Stiege Jägermeister. Statt Pilsner, Rotwein oder Kräuterlikör quälte man die Rehabilitanden mit stillem Wasser, Früchtetee und Buttermilch – eine grenzwertige Form der oralen Folter.

Der Klinikalltag verlief hektisch. Patienten hasteten im Eilschritt von einer Behandlung zur nächsten. Unweigerlich wurde ich an meinen Grundwehrdienst erinnert, der über Monate hinweg im Laufschritt erfolgte. Die Ähnlichkeiten zum Klinikleben waren verblüffend. Als Soldat wie auch als Patient war man einem auf Zucht und Ordnung getrimmten Regime ausgeliefert, das es genoss, den Willen seiner Untergebenen zu brechen. Zermürbt schlich ich wie der Schatten meiner selbst durch die endlosen Flure und unterwarf mich widerspruchslos dem medizinischen Wachpersonal.

Abends wurde den von Sport- und Bewegungstherapien ausgelaugten Patienten ein kulturelles Programm aufgenötigt. Vor allem musikalisch gequälte Darbietungen produzierten neue Tinnitusopfer. Laiensänger mit Kinderchorerfahrung krächzten sich durch deutsches Liedgut. Besonders amüsant war der Gesang einer lispelnden Heulboje. Der Diavortrag eines ortsansässigen Ureinwohners war so eintönig, dass man ihn als autogene Schlaftherapie hätte anbieten können. Er zeigte Aufnahmen, die noch aus der Zeit vor dem Farbfilm stammen mussten. Jedes Motiv in dutzenden langweiligen Variationen. Und immer mit auf den Bildern seine Frau mit Strickmütze. Diese wiederum war eine Augenweide, also die Mütze.

Der Zauberkünstler allerdings, ein Magier im magischen Alter von gefühlten neunzig Lebensjahren, war echt klasse. Er zeigte Tricks, die wir schon im Sandkasten ausprobiert hatten. Dabei bewegte er sich mit der rasanten Geschwindigkeit einer flüchtenden Weinbergschnecke. Mühelos konnte man sehen, wie er die geheimnisvolle Karte aus dem Ärmel zog oder im Zylinder unter den doppelten Boden griff.

Am nächsten Tag nahm ich zwei meiner Bücher, zeigte sie dem Klinikchef und bot ihm eine humoristische Lesung an. Kurz angebunden lehnte er ab.

„Ohne Honorar“, lockte ich.

„Ich sagte NEEEIIIN!“

„Aber sehen Sie, Lachen ist die beste Medizin.“

„Eben deshalb bin ich nicht interessiert.“

Den Klinikchef zu überzeugen war so aussichtsreich, wie einen FDP-Politiker für die bundesdeutsche Jamaika-Koalition zu begeistern.

„Gehen Sie lieber zur morgigen Veranstaltung!“, riet er mir.

„Die Modenschau?“

„Harry’s Frivole Modenschau“, verbesserte er mich, „so was brauchen wir hier.“

Der Vortragsraum war rappelvoll. Zwei Notärzte und ein paar Schwestern in Dienstkleidung saßen in der letzten Reihe. Pünktlich um sieben erklang Joe Cockers „You Can Leave Your Hat On“. Harry, der Moderator, sprang in den Vortragsraum und riss die Arme nach oben: „Und hier ist wieder Euer Harry mit der Frivolen Moden­schau!“, grölte er ins schläfrige Publikum. „Heute wird Ihnen ein wahrer Festschmaus geboten. Halten Sie den Atem an, denn so etwas bekommen Sie nicht jeden Tag geboten, jedenfalls nicht zu Hause bei Mutti“, er wandte sich an die Damen, „oder bei Vati. Und jetzt möchte Ihnen die reizenden Modelle des heutigen Abends vorstellen.“

Zwei junge bildhübsche Mädels, ein etwas reiferes, aber dennoch attraktives Model sowie ein junger Bursche schwebten in den Saal. „Hier sehen Sie die reizende Anja, die verführerische Marie-Luise, die unwiderstehliche Linda und den feschen Kevin.“

Vereinzelte Patienten spendeten müde Beifall.

„Das habe ich doch schon mal lauter gehört!“, versuchte er den Patienten einzuheizen. Der Applaus verstärkte sich um ein, zwei Dezibel.

„Oho, ein Lebenszeichen!“, lobte er und sagte weiter: „So, meine Lieben. Während sich die Modelle umziehen, sage ich etwas zur heutigen Veranstaltung. Die Mode in dieser Saison ist geprägt von einem ­gewagten Eskapismus, einer frischen Synthese aus Urbanität und Abenteuerlust. Deshalb geht es im ersten Teil um lockere Outdoor- und Trekkingmode. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit, Sie erinnern sich, da zeugten Fleece-Pullis, Allwetter-Jacken oder Ranger-­Hosen für einen schlechten Stil. Doch sehen Sie selbst, was mit Kreativität aus scheinbar belangloser Bekleidung für den Wanderer für tolle Mode entstehen kann.“

Die Modelle traten einzeln in den Vortragsraum, schlenderten graziös durch die Reihen, blieben hin und wieder stehen, um sich leger um die eigene Achse zu drehen, die Jacke abzustreifen und mit einem lässigen Schwung über die Schulter zu werfen. Der Moderator erklärte die einzelnen Exponate, und während die Modelle zum Umkleiden den Saal verließen, kündigte er die nächste Kollektion an – eine erfrischende Sommermode.

„Schals und Tücher prägen das diesjährige Sommer-­Outfit. Ansprechende Accessoires für die modebewusste Frau. Dabei sind die Schals üppig gemustert. Es überwiegen folkloristische Akzente mit orientalischen Mustern. Doch auch Paisley und Karo sind angesagt. Marie-Luise zeigt Ihnen ein leichtes Kleid, passend darauf abgestimmt ein Tuch, verziert mit kleinen Quasten.“

Das Modell flanierte mit einem breiten Grinsen durch den Mittelgang. Unter dem leichten Stoff hoben sich wie ein kaukasischer Gebirgszug zwei wunderschön geformte Brüste ab. Während die weiblichen Zuschauer interessiert die Tücher musterten, saßen die bisher recht gelangweilten Herren schlagartig mit geraden Rücken, als hätten sie eine Dachlatte – im Kreuz.


Ich darf mich nicht aufregen, wegen meinem Zucker!“ „Gib nicht so an, der zuckt doch schon lange nicht mehr!“

Und dann kam der Teil, der wohl das Adjektiv frivol begründete: Die Präsentation von Strandmoden. Die weiblichen Modelle zeigten verschiedenfarbige Röcke, die so knapp geschnitten waren, dass sie wohl zu den Kurzwaren zählen mussten. Darüber trugen sie weiße oder helle ­T-Shirts locker über dem Bund. Der Moderator hob den bequemen Tragekomfort hervor und wies darauf hin, dass auf den einschnürenden BH verzichtet werden kann. Wie zum Beweis seiner Worte rissen die drei Laufsteg-Schwalben gleichzeitig ihre ­T-Shirts hoch. Man wusste gar nicht, wohin man zuerst weggucken sollte. So viel nackte Haut bekommt man nicht einmal in einer dermatologischen Klinik zu sehen.

Ein „Oh!“ und „Ah!“ raunte durch die Reihen, und erste Herzpatienten griffen, um Luft hechelnd, an die frisch eingeschraubten Herzklappen, andere an die erst vor wenigen Tagen eingefädelten Bypässe. Dann schlenderten die Mannequins graziös durch die Reihen und stellten offensichtlich bei ausgewählten Patienten eine Fußspitze auf die Sitzfläche. Ein älterer Herr aus der dritten Reihe stieß plötzlich einen erstickenden Seufzer aus und brach in sich zusammen wie ein gesprengter Industrieschornstein. Was genau passiert war, konnte ich nicht sehen, denn Anja, das blonde Traummodell, versperrte mir die Sicht. Einer der beiden Notärzte sowie zwei Schwestern brachten den abgeschmierten Herrn auf die Intensivstation.

Inzwischen hatte sich Linda, das reifere Modell, eine Frau von Anfang vierzig, hinter meinem Rücken unbemerkt angeschlichen. Ich blickte plötzlich in ihre tiefblauen Augen, die mich verführerisch auffraßen. Mein Hals war trocken wie ein Saale-Unstrut-Riesling. Sie schnalzte mit der Zunge, dass ich alles um mich herum vergaß. Und dann passierte das Unfassbare. Ich bin mir sicher, dass Sie das nicht glauben werden. Aber es hat sich, darauf würde ich den hippokratischen Eid schwören, wirklich so zugetragen – oder ähnlich. Lasziv hob sie ihr rechtes Bein, stellte die Fußspitze auf mein rechtes Knie. Der ohnehin viel zu kurze Rocksaum rutschte in ihre Hüftbeuge und gab den Blick auf ihr magisches Bermudadreieck frei, wo ich ein fesches Höschen vermutet hätte. Aber Fehlanzeige! Sie hatte vermutlich im Stress der Aufführung vergessen, ihren Slip überzustreifen. Meine Blicke endeten in wahrhaft nackten Tatsachen. Nichts, aber auch gar nichts verbarg ihren vertikalen Faltenwurf. Sie war, wie ein Nachrichtensprecher der Tagesschau, total glattrasiert. Ich spürte plötzlich beidseitige Schluckbeschwerden und fühlte mich wie ein demenzkranker Höhlenforscher, der vorm Eingang steht und nicht mehr weiß, wie es weitergeht.

In diesem Moment schoss mein Blutzucker durch die Decke wie einst das HB-Männchen. Bei koronaren Patienten flatterten die Herzklappen wie die Nationalfahnen vorm EU-Parlament. Den Magen-Darm­patienten drehte es die Eingeweide um und mehrere Diabetiker erlitten schwere Stoffwechselentgleisungen.

Auch die Präsentation der Bade- und Dessous­moden hatte es in sich. Die Teile waren aus transparentem Stoff. Geeignet für die heutige Politikergeneration: Seht her, wir sind durchschaubar! Als Kevin eine Badehose in Form eines Elefantenkopfes auf seinem athletischen Körper zeigte, kreischten Patientinnen laut auf. Besonders der gut gefüllte Rüssel hatte es den Damen angetan.

Die Notärzte wie auch die Schwestern waren jetzt im Dauereinsatz, kümmerten sich um ohnmächtige Patienten wie um Verwundete im Stellungskrieg. Etwas besser dran waren die Diabetiker, denen der Blutzuckeranstieg zunächst keine akuten Probleme bereitete. Aber es würde Tage dauern, bis sie sich von dieser Aufregung erholt hätten und ihre Zuckerkurven in medizinisch vertretbare Bereiche zurückgekehrt wären.

Der Oberarzt war alles andere als zufrieden.

„Herrje, herrje“, stöhnte er beim Anblick meiner Blutzuckerwerte. „Das gefällt mir ganz und gar nicht.“

„Keine Sorge, Herr Doktor“, beruhigte ich den Arzt, „das lag nur an der Modenschau.“

„Aber Herr Levin, wenn Sie derart sensibel auf ein paar weibliche Reize reagieren, dann kann ich Sie unmöglich nach Hause schicken. Wann haben Sie Diabetes bekommen?“

„Mit Anfang vierzig, Herr Doktor.“

„Nicht zu fassen, und dann eine solche Entgleisung. Aus Therapiegründen gehen Sie nächste Woche noch einmal zur Modenschau!“

„Aber ich fahre nächste Woche nach Hause.“

„Wir haben bereits eine Verlängerung veranlasst. So können wir Sie unter gar keinen Umständen entlassen. Und nun mal ehrlich: Ist Ihr Zuckerspiegel auch derart angestiegen, als Sie ihre Frau das letzte Mal nackt gesehen haben?“

„Das weiß ich nicht, da war ich noch kein Diabetiker.“

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