Kitabı oku: «Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.», sayfa 4

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Kybele/Magna Mater

Der Kybele-Kult (Kybele = Große Mutter) stammt aus Kleinasien, wo er sich um 1000 v.Chr. in Phrygien ausbildete54. Die Region zwischen Phrygien und Galatien entwickelte sich bald zum Zentrum des Kultes und hier entstand eine große Priesterschaft, Galloi genannt, an deren Spitze ein Oberpriester stand, der den Namen Attis trug. Die Priester entmannten sich zu Ehren der Gottheit und feierten – ähnlich wie Dionysos – einen ekstatischen Kult mit Musikzügen, Kriegern und wilden Tieren. Kybele vereinte in sich sehr verschiedenartige Motive; sie war die Göttin der Berge und Erdentiefe, der Natur und der Tiere. Als Herrin der Natur wurde sie in den vielfältigen Ausprägungen des Mythos auch mit dem Werden und Vergehen der Vegetation verbunden. Dazu gehört auch, dass die Muttergottheit Kybele einen schönen jungen Liebhaber hatte, zumeist Attis genannt. Er wird ihr untreu, so dass sie ihn mit Wahnsinn bestraft, woraufhin er sich entmannt und stirbt. Dies reut Kybele und sie bittet Zeus, ihren Geliebten wiederzubeleben, was aber nicht vollständig gelingt. Seit dem 6. Jh. v.Chr. ist der Kybele-Kult in Athen und seit 200 v.Chr. in Rom nachweisbar. Mit der Magna Mater verbanden sich bei zahlreichen öffentlichen Festen vor allem Raserei, Kastration, Tod und partielle Wiederbelebung, so dass es nicht verwundert, dass der Kult – trotz seiner Verbreitung und Aufnahme in den römischen Pantheon – immer argwöhnisch betrachtet wurde. Zugleich erlebte der Magna-Mater-Kult mit dem Beginn der Kaiserzeit vor allem in Rom einen Aufschwung.

Mithras

Der Mithras-Kult führt sich auf die iranische Gottheit Mithras zurück, die ursprünglich ein Schwur-Gott war55. Über Kleinasien gelangte der Kult nach Rom und die westlichen. Provinzen, wobei er einen so starken Transformationsprozess durchlief, dass beim römischen Mithras-Kult vielleicht sogar mit einem Neuansatz zu rechnen ist56. Der römische Mithras-Kult dürfte im letzten Drittel des 1. Jh. entstanden sein und setzte sich im 2. Jh. n.Chr. im gesamten römischen Reich durch. Der Schwerpunkt lag neben Rom/Ostia vor allem in Militäranlagen entlang des Limes (Britannien, Germanien) und in den Donauprovinzen. Der Mithras-Kult war nur Männern vorbehalten, kannte keine weibliche Gottheit und fand unter Soldaten eine große Anhängerschaft, aber auch unter Sklaven und Freigelassenen, die in den Grenzprovinzen in der Verwaltung arbeiteten (z.B. als Steuerbeamte). Weitergetragen wurde der Kult vor allem innerhalb von Familien, vom Großvater auf den Vater und den Sohn. Als besondere Tugenden der Kultanhänger galten Tapferkeit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Eine zweite Besonderheit bestand darin, dass der römische Mithras-Kult offenbar der einzige ausschließlich private Mysterienkult war, während Dionysos, Isis oder Kybele mit zahlreichen öffentlichen Festen in den Städten verehrt wurden. Der Grundmythos erzählt, wie Mithras in einer Höhle einen Stier tötet, der als Inbegriff der Lebenskraft gilt. Die Höhle symbolisiert wahrscheinlich den Kosmos, dem nun durch die Tötung die Lebenskraft des Stieres zugute kommt, verkörpert durch die Teilnehmer an den kultischen Mahlfeiern. Gefeiert wurden die Mithras-Mysterien deshalb immer in höhlenartigen Räumen. Die kosmischen Dimensionen des Kultes zeigen sich auch in der Verbindung zwischen Mithras und dem unbesiegbaren Sonnengott Sol invictus, der immer wieder auf- und unterging. Mithras wird von diesem Sonnengott auf Kultbildern begleitet57, er gilt selbst als unbesiegbar und sein Geburtstag am 25.12. fällt mit dem des Sonnengottes zusammen. Im 4. Jh. n.Chr. wurde dann der 25.12. zum Geburtstag Jesu Christi, der nun die wahre Sonne verkörpert.

Die griechische und römische Religion, aber auch die Mysterienreligionen, unterschieden sich vom frühen Christentum vor allem durch zwei Punkte: 1) Sie hatten keine zentralen Offenbarungsschriften und betrieben 2) keine umfassende, bewusst geplante Mitgliederwerbung.

3.2.1 Philosophische Hauptströmungen

Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung III/1, Darmstadt 2006 (= 1923). – Hellmut Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike (2,1/2,2/3/4,1/4,2), Basel 1998.1983.1994.2007 – Maximilian Forschner, Die stoische Ethik, Darmstadt 21995. – Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike 3: Stoa, Epikureismus und Skepsis, München 21995. – Ders., Antike Glückslehren, Stuttgart 1996. – Hans-Josef Klauck, Umwelt des Urchristentums II, 75–143. – Arthur A. Long/David N. Sedley, Die hellenistischen Philosophen, Stuttgart/Weimar 2000. – Heinrich Niehues-Pröbsting, Die antike Philosophie, Frankfurt 2004, 142–219.

Weil in der Antike ein sittliches Leben gleichbedeutend mit Philosophie war und die Philosophie handeln lehrt58, kann sie mit der Verkündigung und den ethischen Weisungen des frühen Christentums durchaus verglichen werden. In der Antike gehörten Philosophie und Theologie als konkrete Lebensformen zusammen; philosophische, religiöse und moralische Themen durchdrangen sich und galten nicht als getrennte Wissens- und Lebensbereiche59. Jede Philosophie hatte religiöses Potential und umgekehrt jede Religion auch philosophisches Potential60, zumal es vor allem der Philosoph ist, „der mit seinem Verstand () vielleicht am wahrsten und vollkommensten das Wesen des Göttlichen erklärt und verkündet.“61 Gott und gelingendes Leben sind zentrale Themen antiker Philosophie und Theologie. Fast allen Mitgliedern frühchristlicher Gemeinden in Städten wie Ephesus, Korinth, Philippi, Athen, Rom dürften die philosophischen Hauptströmungen der Zeit (zumindest in rudimentärer Form) bekannt gewesen sein (vgl. Apg 17,18).

Sokrates als Urbild des Weisen

Von herausragender Bedeutung für das geistige Leben im Römischen Reich war die schöpferische Entwicklung der Philosophie im Hellenismus. Sie knüpfte einerseits an die Schulen von Plato und Aristoteles an, auf der anderen Seite entstanden neue wirkmächtige Schulen, wie die Kyniker, die Stoiker und der Epikureer. Leitfigur der gesamten hellenistischen Philosophie war zweifellos Sokrates (um 470–399 v.Chr.)62, der als Urbild des allein seinen Überzeugungen folgenden Weisen und wahrhaft Freien63 galt. Die Bezugnahme auf Sokrates erfolgte allerdings in unterschiedlicher Weise64: Während sich die Kyniker und Stoiker am ‚wilden‘, ethischen Sokrates orientierten, stand für den Platonismus und die Akademie der fragende, aufdeckende und auf Erkenntnis zielende Sokrates im Mittelpunkt.

Kyniker

Die Kyniker führten sich auf den Sokrates-Schüler Antisthenes (ca. 445–365 v.Chr.) zurück65. Ihren Namen ( = „Kyniker“; abgeleitet von = „Hund“) erhielten sie wahrscheinlich aufgrund des Lebensstils ihres Hauptprotagonisten Diogenes von Sinope (ca. 400–325 v.Chr.), der sich teilweise wie ein Hund benahm und wie ein solcher hauste. Hauptvertreter der frühen Epoche des Kynismus waren u. a. Krates (ca. 365–285 v.Chr.), sein Schwager Metrokles, Menippos (ca. 350–270 v.Chr.), Bion (ca. 335–245 v.Chr.) und Teles (Mitte des 3. Jh. v.Chr.)66.

Kynismus als radikale Ethik

Die Kyniker verstanden Philosophie radikal als Ethik, ihre Grundeinsicht formuliert Antisthenes so: „Die Tugend () ist ausreichend () für das Lebensglück () und bedarf zusätzlich allein der Kraft eines Sokrates. Die Tugend ist eine Sache des Handelns und bedarf weder vieler Worte noch Kenntnisse“ (Diogenes Laertius 6,11). Daraus folgt eine Relativierung herkömmlicher kultureller Werte, so die Abkehr von Reichtum und Besitz67, die Verachtung von Luxus, Gewinnsucht und Habgier68, eine Distanz gegenüber Ehe und Familie69, die Bedeutungslosigkeit der Herkunft (als freier griechischer Mann)70, die Verwerfung traditioneller Machtpolitik (z.B. des Krieges) und die Skepsis gegenüber staatlichen, kulturellen und religiösen Ritualen. Die Kyniker enthalten sich der Erklärungsansprüche von Großtheorien (z.B. Plato) und stellen das persönliche Beispiel, die Praxis des gelingenden Lebens in den Vordergrund, wofür sie sich vor allem auf Sokrates berufen. Positiv fordern und praktizieren sie einen an der Natur und damit zugleich an der Vernunft orientierten Lebensstil, der die falschen Leidenschaften aus der Seele (Lust, Begierden, Zorn) ausrottet und zu einem einfachen, bedürfnislosen Leben führt. So ist der Kyniker wahrhaft frei und unabhängig; er steht ein für die ungeschminkte freie Rede und lässt sich für nichts und von niemandem instrumentalisieren; er zerbricht an keinem Schicksal, als Weiser genügt er sich selbst und ist darin den Göttern gleich. Die Herausbildung eines individuellen Freiheitsverständnisses gehört zu den herausragenden Kulturleistungen des Hellenismus71, insbesondere der kynisch-stoischen Philosophie. Es ist geradezu das Kennzeichen des Philosophen, in Freiheit zu leben (vgl. Epiktet, Dissertationes II 1,23); so wird von Diogenes überliefert, „dieselbe Lebensweise wie Herakles zu verfolgen, der die Freiheit allem vorzog“ (Diogenes Laertius 6,71). Speziell bei den Kynikern lässt sich eine große Zurückhaltung gegenüber postmortalen Theorien beobachten. Von Diogenes wird überliefert: „Es heißt auch, der sterbende Diogenes habe befohlen, ihn unbestattet zur Beute wilder Tiere abzulegen oder in einen Graben zu stoßen und etwas Staub darüber zu tun“ (Diogenes Laertius 6,79; vgl. 6,52; Lukian, Demonax 35.66).

Die Kyniker verstanden sich als Kosmopoliten; Diogenes antwortet auf die Frage, woher er komme: „Ich bin Weltbürger“ (Diogenes Laertius VI 63: )72 und Plutarch lobt Zenon ausdrücklich für sein universales Konzept, das Alexander d. Gr. als erster in die Praxis umgesetzt hat: „Dass wir nicht getrennt nach Stadtstaaten und Dörfern leben …, sondern alle Menschen als Landsleute und Mitbürger betrachten, und eine einzige Lebensform und -ordnung gelte“ (Moralia 329A–B)73. Weil die meisten Menschen falsche Vorstellungen vom wahren und naturgemäßen Leben haben, kommen die Kyniker als Kundschafter zu ihnen und bringen ihnen in Anekdoten, Sentenzen und Maximen (= Chrien; gr. ) jene Einsichten dar, die als Lebenssätze für alle Wechselfälle des Lebens Verwendung finden können. Das Handeln muss sich immer an den Umständen orientieren, denn Leiden entsteht durch eine falsche Auffassung von den Dingen. „Daher muss man nicht versuchen, die Verhältnisse zu ändern, sondern sich selbst den jeweiligen Umständen anzupassen, wie es auch die Seeleute tun. Sie versuchen nämlich nicht, die Winde und das Meer zu ändern, sondern sie bereiten sich darauf vor … So musst du dich gegenüber den Umständen verhalten. Du bist alt geworden: Lass die Spiele der Jugend. Du bist schwach: Lass die Hände von einer Arbeit, die Kraft verlangt …“ (Teles, Fragmente 2).

Kynische Wanderphilosophen

Im 1./2.Jh. n.Chr. erlebte der Kynismus eine zweite Blüte, wobei zwischen Kynikern und Stoikern oftmals nicht mehr zu unterscheiden war. Berühmte Kyniker bzw. Propagandisten kynischer Gedanken dieser Zeit waren Demetrios (lebte unter Nero und Vespasian), Dio Chrysostomus (ca. 40–120 n.Chr.), Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.), Favorinus (ca. 80/90–150 n.Chr.) und Demonax (geb. 80/90 n.Chr.). Die Polemiken eines Dio Chrysostomus, Epiktet oder Lukian von Samosata (ca. 120–180 n.Chr.) gegen ein falsch verstandenes Kynikertum lassen sehr deutlich den Kynismus als ein reichsweites Phänomen erkennen. Die kynischen Wanderphilosophen bildeten keine elitäre Schule, sondern durchzogen die römisch-hellenistische Welt und brachten ihre Botschaft der sittlichen Erneuerung vor allem auf Straßen und Plätzen, vor Theatern und Tempeln zu Gehör74. Um Kundschafter der Götter zu sein, muss der Kyniker „ganz im Dienst der Gottheit stehen, imstande sein unter den Menschen herumzugehen, nicht gefesselt durch bürgerliche Pflichten, nicht gebunden durch persönliche Beziehungen“ (Epiktet, Dissertationes III 22,69)75. Sie erregten durch ihr unkonventionelles Aussehen (Mantel, Ranzen, Stock, lange und ungepflegte Haare), vor allem aber durch das Aufgreifen aktueller Themen und Probleme des alltäglichen Lebens häufig Aufsehen und zogen sich nicht selten die Feindschaft der Herrschenden zu76. Viele Wanderphilosophen hatten keinen festen Wohnsitz, sie reisten barfüßig, bettelten und schliefen auf dem Boden öffentlicher Gebäude. Ein Zentrum der im 1. Jh. n.Chr. neu belebten Kyniker-Bewegung war Korinth; schon Diogenes hielt sich hier gern auf und der berühmte Kyniker Demetrius77 lebte und lehrte ebenfalls in dieser Stadt.

Stoa

Der Kynismus und die Stoa sind sowohl durch ihre Entstehungsgeschichte als auch durch ihr geistiges Profil vielfältig miteinander verbunden. Als Gründer der Stoa gilt der Krates-Schüler Zenon aus Kition auf Zypern (ca. 334–262 v.Chr.). Er gründete um 300 n.Chr. eine Philosophenschule, die ihren Namen vom Ort des Lehrens erhielt; einer bemalten Säulenhalle an der Agora von Athen ( = „bunte Halle“). Als Namen für die Bewegung bürgerten sich dann (= „die Stoiker“) oder (= „die Stoa“) ein78.

Die Stoa als komplexes System

Der wichtigste Unterschied zwischen Stoa und Kynismus besteht darin, dass die Kyniker sich ausschließlich mit der Ethik befassten (vgl. Diogenes Laertius 6,103). Demgegenüber entwickelte die Stoa ein über die Ethik hinausgehendes komplexes wissenschaftliches System, das vor allem auch die Logik, die Sprachphilosophie, die Erkenntnistheorie und die Physik miteinschloss. Die Geschichte der Stoa kann in drei Hauptphasen aufgeteilt werden: Die ‚alte‘ Stoa umfasst den Zeitraum von ca. 300–150 v.Chr.; hier wirkten als Schulhäupter nach Zenon bes. Kleanthes (ca. 310–230 v.Chr.) und Chrysipp (ca. 282– 209 v.Chr.). Die ‚mittlere‘ Stoa von ca. 150 v.Chr. bis zur Zeitenwende fand ihre bedeutendsten Vertreter in Panaitios von Rhodos (ca. 180–100 v.Chr.) und Poseidonios (ca. 135–50 v.Chr.). Die kaiserzeitliche Stoa (bis ca. 150 n.Chr.) zeichnete sich nicht so sehr durch eine Theorieerweiterung, sondern vor allem (in Verbindung mit kynischen Elementen) durch eine Profilierung im ethisch-politischen Bereich aus. Hauptvertreter dieser Epoche79 waren Seneca (um 4 v.Chr. – 65 n.Chr.), Musonius Rufus (ca. 25–85 n.Chr.), Epiktet (ca. 55–135 n.Chr.) und Marc Aurel (121–180 n.Chr.).

Pantheismus

Die Stoa geht von einer göttlichen Struktur der Wirklichkeit aus. Sie vertritt einen monistischen Pantheismus, wonach die Gottheit in allen Daseinsformen wirkt. Sie ist weltimmanent und allgegenwärtig, zugleich aber gerade deshalb nicht fassbar. Chrysipp lehrt, „die göttliche Kraft liege in der Vernunft und in der Seele und dem Geist der gesamten Natur, und erklärt weiter, die Welt selbst und die alles durchdringende Weltseele sei Gott.“80 Es existiert nichts über die Stofflichkeit alles Seienden hinaus, es gibt weder einen transzendenten Schöpfergott noch eine metaphysische Weltbegründung. Die Gottheit wohnt als bildende Kraft, als (‚Geist-Hauch‘) oder (‚befruchtender Logos‘), den Dingen inne, die sie schuf. Nach der Stoa ist die Bestimmung des Menschen eingebettet in die Vorstellung einer göttlichen, zweckmäßig eingerichteten Allnatur, der zu folgen der Mensch berufen ist. In der Übereinstimmung mit der Allnatur (= ) und sich selbst vollzieht sich die authentische Selbsterfahrung des Vernünftigen. Indem sich der Mensch auf das naturgemäße Leben ausrichtet81, wählt er das seinen natürlichen Neigungen Zuträgliche (‚Oikeiosislehre‘; = „Zuträglichkeit“); er sucht durch naturgemäßes Leben das ihm zugedachte Lebensziel zu erreichen.

Die Affekte

Innere Freiheit

Um dies zu realisieren, gilt es richtige Urteile zu fällen und danach zu handeln. Falsche Urteile resultieren aus den Affekten82, denen durchweg falsche Vorstellungen zugrunde liegen83. Es ist die Aufgabe der Vernunft und damit der Philosophie, durch die Vernunft erst gar keine Affekte aufkommen zu lassen. Nur im Kampf mit sich selbst und gegebenenfalls gegen sich selbst ist das Gute zu finden. „Den Affekt nennen die Stoiker einen übersteigerten und der wählenden Vernunft nicht gehorchenden Trieb oder eine (unvernünftige) Bewegung der Seele wider die Natur.“84 Zu den Affekten zählen vor allem die Begierde, Furcht, Trauer, Lust, Unlust, Zorn, starke Liebe, Hass85. Deshalb ist das Ziel des Stoikers die Freiheit von den Affekten, die Apathie (), die allein dem Weisen eignet86. Für den Vernünftigen ist nur die Tugend () ein Gut, nur in ihr besteht die Glückseligkeit. Zu den Haupttugenden zählen („Einsicht“), („Besonnenheit“), („Beharrlichkeit“) und („Gerechtigkeit“). Um die Affekte zu vermeiden, die Tugend zu realisieren und damit die („Selbstgenügsamkeit/innere Unabhängigkeit“) zu erreichen, ist es nach Epiktet87 notwendig, das, worüber man nicht verfügen kann, von dem zu unterscheiden, worüber man Macht besitzt. Es geht um die Unterscheidung des Fremden vom Eigenen. Dies leistet die („freie Selbstbestimmung/freier Wille“); sie beschreibt die grundlegende und wesentliche Eignung, welche die menschliche Natur zum sittlichen Handein befähigt. Die Prohairesis umfasst die Anwendung von Elementen der Vernunft, zeigt eine Nähe zur Vorstellung von der Willensfreiheit und bleibt nie theoretisch, sondern ist immer auf das konkrete sittliche Handeln bezogen. Unsere Selbstbestimmung ist frei, sie kann von niemandem, nicht einmal von Gott beeinträchtigt werden88, denn sie stellt das eigentliche Selbst des Menschen dar. Gelebt und gefordert wird eine Selbstverwirklichung des Einzelnen durch den Gebrauch der Vernunft, die die wahre Natur des Menschen ist. Es geht darum, sich an jedem Ort und in jeder Situation als („edel und gut“) zu bewähren. Für den Stoiker (wie auch für den Kyniker) trägt der Mensch die wahren Lebenswerte in seinem Inneren und er braucht kein äußeres Geschick zu fürchten, wenn er diese ihm innewohnenden Kräfte bei jeder äußeren Lebenslage richtig anwendet. Deshalb bezeichnet Epiktet das berühmte Sokrateswort ausdrücklich als Merkspruch: „Anytos und Meletos können mich zwar töten, aber schaden können sie mir nicht.“89 Wenn die Selbstbestimmung/Vernunft erkennt, dass die äußeren Dinge, das Fremde, gleichgültig sind und Wert allein dem Eigenen, den sachgemäßen Vorstellungen von den Dingen zukommt, dann entstehen keine Affekte und gelingt Glückseligkeit. Der Bereich des Eigenen ist das Innere der Person, der allein in voller Verfügbarkeit steht. Ziel der Ethik ist es somit, das in unserer Verfügung stehende Wesen des Guten zu erkennen, zu realisieren und so wirklich frei zu sein. Für Epiktet ist Freiheit identisch mit innerer Unabhängigkeit: „Du musst alles fahren lassen, den Leib und den Besitz, den guten Ruf und deine Bücher, die Gesellschaft, das Amt und dein Privatleben. Denn wohin dich deine Neigung zieht, dort bist du zum Sklaven geworden, zum Untergebenen, bist gefesselt, gezwungen, kurz: bist du ganz von anderen abhängig“ (Dissertationes IV 4,33; vgl. Enchiridion 11). Wie dem Stoiker niemand etwas wirklich geben kann, so kann ihm auch nichts genommen werden90. Es ist sein Ziel, in Übereinstimmung mit sich selbst zu leben und sich gerade dadurch in die Harmonie des Kosmos einzufügen. Der Verzicht auf eine Sache und damit die innere Unabhängigkeit von ihr ist höher zu bewerten als ihr Besitz91. Epiktet, Enchiridion 11: „Sag nie von einer Sache: ‚Ich habe sie verloren‘, sondern: ‚Ich habe sie zurückgegeben‘ Dein Kind ist gestorben? Es wurde zurückgegeben. Deine Frau ist gestorben? Sie wurde zurückgegeben. ‚Man hat mir mein Grundstück gestohlen.‘ Nun, auch das wurde zurückgegeben.“ All diese Einsichten gewährt die Philosophie und wenn man ihr folgt, gewährt sie wahres Leben: „Gemütsruhe, Unerschrockenheit, Freiheit“ ()92.

Epikur

Epikur als Therapeut

Abwesende Götter

Eine eigenständige und sehr wirkmächtige Form antiker Philosophie schuf Epikur (341–270 v.Chr.)93. Er vertritt ein therapeutisches Denken, das darauf abzielt, den Menschen die Angst vor den Göttern, vor dem Tod und ihrem Unwissen über das Wesen von Lust und Unlust zu nehmen, um sie so zur Seelenruhe () und Glückseligkeit () zu führen: „Leer ist die Rede jenes Philosophen, von der nicht irgendeine Leidenschaft des Menschen geheilt wird.“94 Ausgangspunkt des epikureischen Denkens ist die Einsicht, dass Wissen nur aus sinnlicher Erfahrung gewonnen werden kann. Solange die Sinne sich rein rezeptiv verhalten und die Vernunft innerhalb ihrer Möglichkeiten verbleibt, kann kein Irrtum eintreten. Dies gilt einmal für die Kosmologie, die darauf abzielt, das Naturgeschehen ganz aus sich selbst zu erklären. Weder Erdbeben noch Himmelserscheinungen gehen auf die Götter zurück und müssen deshalb auch nicht als Strafe des Schicksals/der Götter verstanden werden95. Damit wendet sich Epikur gegen die weit verbreitete Meinung, die Götter würden die Welt regieren und in ihren Ablauf belohnend oder strafend eingreifen. Es gibt weder eine göttliche Vorsehung () noch ein von Mächten bestimmtes Schicksal (), sondern alles entsteht von selbst. Nach Epikur führen die Götter ein glückseliges, zeitenthobenes Leben, ohne sich um die Menschen zu kümmern. „Denn ein Gott tut nichts, ist in keine Geschäfte verwickelt, plagt sich mit keiner Arbeit, sondern freut sich seiner Weisheit und Tugend und verlässt sich darauf, stets in höchsten und vor allem in ewigen Wonnen zu leben.“96 Die Götter können als Unsterbliche weder leiden noch sich in Liebe der Welt zuwenden97. Sie sind den Niederungen des Lebens entrückt und haben mit den Menschen nichts gemein98. Damit widerspricht Epikur den geläufigen griechisch-hellenistischen Gottesbildern, er vertritt aber keineswegs einen atheistischen Standpunkt, sondern will ausdrücklich den Gottesbegriff in seiner Reinheit und Unverfälschtheit bewahren.

Mit der Furcht vor den Göttern, deren strafendes Handeln fälschlicherweise vorab in den Himmelserscheinungen gesehen wird, verbindet sich die Furcht vor dem Tod. Epikur vertritt eine eigenständige und bis heute faszinierende Theorie des Todes als Nicht-Zeit: „Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was aufgelöst ist, ist ohne Empfindung; was aber ohne Empfindung ist, das hat keine Bedeutung für uns“ (Diogenes Laertius 10,139 = Epikur, Sententiae 2). Mit dem Tod stirbt also auch die Seele, was Epikur in seiner Naturlehre nachzuweisen versucht. Der Tod erscheint den Menschen so schrecklich, weil er Schmerzen verursacht, die Mythen von den Schrecken nach dem Tod erzählen und damit bereits in der Gegenwart lähmende Angst und eine Beeinträchtigung des möglichen Glücks erzeugen. Demgegenüber kennzeichnet den Weisen eine Haltung der Gelassenheit gegenüber dem Tod; er weist weder das Leben zurück, „noch fürchtet er das Nicht-Leben, denn weder ist ihm das Leben zuwider, noch vermutet er, das Nicht-Leben sei ein Übel. …, weil das Einüben des vollkommenen Lebens und des vollkommenen Sterbens ein und dasselbe ist“ (Epikur, Menoikeus 126).

Hedonismus als natürliches Verhalten

Auch die Ethik Epikurs basiert auf einer sensualistischen Erkenntnistheorie. Ausgangspunkt ist die einfache Beobachtung, dass der Mensch sich zu Lustempfindungen hingezogen fühlt, während er Schmerzempfindungen meidet. „Denn nur dann haben wir das Bedürfnis nach Lust, wenn wir deswegen, weil uns die Lust fehlt, Schmerz empfinden; (wenn wir aber keinen Schmerz empfinden), bedürfen wir auch der Lust nicht mehr. Gerade deshalb ist die Lust, wie wir sagen, Ursprung und Ziel des glückseligen Lebens“ (Epikur, Menoikeus 128). Mit ‚Lust‘ () meint Epikur nicht die Maximierung angenehmer, aber zugleich flüchtiger Gefühle/Zustände99, sondern eine natürliche Grundverfasstheit des Lebens, die als Freiheit von der Unruhe durch Furcht, Begierde und Schmerz und damit als Eudaimonie (Glück, Freude, Zuversicht) bezeichnet werden kann. Das Streben nach Glück entspricht der menschlichen Natur; Ziel des Einzelnen muss es daher sein, ein möglichst dem Wechsel von Lust und Unlust entzogenes Leben zu führen. Bestimmend ist dabei die Einsicht, dass uns die Bedürfnislosigkeit unbekümmerter und unabhängiger macht als ein Leben im Überfluss. Der Realisierung dieser letztlich individualistischen und auch unpolitischen Ethik dienen die ‚Lehrsätze‘ ( ) Epikurs100, die als praktische Anleitungen des glücklichen Lebens zu verstehen sind. Epikur betrieb eine bewusste Schulbildung und die Weitergabe seiner Lehrsätze sicherte über Jahrhunderte den Einfluss seiner Schule.

Skeptizismus

Zu den einflussreichen Strömungen antiker Philosophie gehörte auch der Skeptizismus101. Als sein Begründer gilt Pyrrhon von Elis (ca. 365–275 v.Chr.), von dem nichts Schriftliches erhalten ist. Der Skeptizimus steht in der Tradition der Akademie und machte im Verlauf seiner Geschichte starke Anleihen bei der Stoa und Epikur. Zugleich zeichnet ihn aber ein unverkennbares Profil aus, denn die Grundlage des pyrrhonischen Denkens ist die Unlösbarkeit des Erkenntnisproblems, die Unerkennbarkeit der Dinge und die daraus folgende Enthaltung im Urteil. „Denn er lehrte, nichts sei schön oder hässlich, gerecht oder ungerecht usw., also nichts sei in Wirklichkeit so, sondern nur durch Konvention und Sitte werde der Menschen Tun bestimmt“ (Diogenes Laertius 9,61). Nach Pyrrhon erlebte der Skeptizismus einen Niedergang und gewann erst im 1./2. Jh. n.Chr. wieder an Bedeutung; als sein bedeutendster Vertreter gilt Sextus Empiricus, der in der zweiten Hälfte des 2. Jh. n.Chr. in Alexandria lebte.

Nichts ist begründbar und sicher

Weil jedem Argument ein gleichwertiges entgegengesetzt werden kann, sind die Dinge nicht wirklich unterscheidbar und gibt es auch keine Wertunterschiede zwischen ihnen (Adiaphora = ). Für den Skeptiker kann der Mensch das Glück nicht wirklich anstreben, weil er nicht weiß, worin es besteht und wo es zu finden ist. Dennoch muss selbst der Skeptiker leben und handeln: „Wir halten uns also an die Erscheinungen und leben undogmatisch nach der alltäglichen Lebenserfahrung, da wir gänzlich untätig nicht sein können.“102 Die Glückseligkeit ergibt sich nicht aus der bewussten Suche nach Wahrheit, denn die nicht entscheidbare Frage nach Gut oder Übel versetzt den Menschen nur in eine fortwährende Unruhe. Der Skeptiker dagegen hält inne: „Die Skepsis ist die Kunst, auf alle mögliche Weise erscheinende und gedachte Dinge einander entgegenzusetzen, von der aus wir wegen der Gleichwertigkeit der entgegen gesetzten Sachen und Argumente zuerst zur Zurückhaltung, danach zur Seelenruhe gelangen.“103 Man kann zwar bestimmte Sitten und Verhaltensweisen erklären und auch praktizieren, aber die Frage nach Richtig und Falsch ist nicht lösbar, so dass sich aus der Gleichwertigkeit der Dinge eine Zurückhaltung im Urteil ergibt. Eine vollkommene Ataraxia ( = „Gemütsruhe“) ist deshalb nicht möglich, sondern immer nur die unter den gegebenen Umständen erreichbare Glückseligkeit. Der Skeptiker führt deshalb stets ein Leben in ‚Anführungszeichen‘104; er hat es sich nicht ausgesucht und stimmt ihm auch nicht zu, sondern ist ihm unterworfen. Ein Zustand, den er wegen mangelnder Erkenntnis weder rückgängig machen noch wirklich ändern kann. Selbst der Zweifel an der Möglichkeit gesicherter Erkenntnis ist nicht sicher: „Wir wissen nichts; wir wissen noch nicht einmal dies, dass wir nichts wissen“105. Zugleich bewahrt aber diese Einsicht vor fortwährender Unruhe und deshalb ist auch der Skeptizismus eine Form therapeutischer Philosophie.

Mittelplatonismus

Philosophiegeschichtlich106 ist der Mittelplatonismus des 1. Jh. v.Chr. – 2./3. Jh. n.Chr. eher eine Randerscheinung107, für die intellektuelle Stimmung und das Bildungsideal der neutestamentlichen Zeit sowie für das Ineinanderfließen von Denktraditionen aber von großer Bedeutung. Zwei Grundvorstellungen prägen den Mittelplatonismus: 1) Die Existenz und absolute Transzendenz Gottes sowie 2) die Unsterblichkeit der Seele. Damit verbanden sich zahlreiche weitere platonische Gedanken, zugleich konnten aber Mittelplatoniker wie Philo von Alexandrien (ca. 20 v.Chr. – 45 n.Chr.), Plutarch (ca. 45–120 n.Chr.), Apuleius (ca. 125–175 n.Chr.) und Maximus von Tyros (ca. 125–185 n.Chr.) auch stoische, epikureische und neupythagoreische Traditionen aufnehmen und mit ihren Grundannahmen verbinden.

Die platonische Gottesvorstellung

Leib-Seele-Dualismus und Jenseitsvorstellungen

Das eigentliche Sein ist nach Plato das geistig-ideelle Sein ( ), die Welt der Ideen. Sie liegen als eigentliche Wirklichkeit allen sinnlichen Wahrnehmungen zugrunde, während die Welt der Wahrnehmungen dem Wandel, der Täuschung, dem Vergehen, dem ‚Schein‘ () unterworfen ist. Folglich werden Gott/die Götter allein der ideellen, geistigen, jenseitigen, unkörperlichen und zugleich einzig wirklichen Ebene zugewiesen: der Welt der Ideen. Die höchste Gottheit ist identisch mit der höchsten Idee: dem Guten („Das Göttliche nämlich ist das Schöne, Weise, Gute und was ihm ähnlich ist“, Phaidros 246d)108. Weil Gott in jeder Hinsicht der Vollkommene ist (Politeia 381b), kann er sich nicht wandeln und den Menschen nahe kommen109, sondern muss bei sich selbst bleiben: „Also ist es auch für Gott unmöglich, dass er sich wandelt“ (Politeia 381c). Im Gegensatz zu den unwandelbaren Göttern gilt für die Welt und den Himmel: „Er ist geworden; denn er ist sichtbar und betastbar und im Besitz eines Körpers“ (Timaios 28b). Aus diesem Grundansatz, der jenseitigen Welt einen höheren Wirklichkeitsstatus als der Welt der Erscheinungen zuzuschreiben, ergibt sich der platonische Leib-Seele-Dualismus. Sokrates definiert den Tod ausdrücklich als eine Absonderung der Seele vom Leib; ein Vorgang, der bereits im Leben einsetzt, „dass man die Seele möglichst vom Leibe absondere und sie gewöhne, sich von allen Seiten her aus dem Leibe für sich zu sammeln und zusammenzuziehen und soweit wie möglich, sowohl gegenwärtig als hernach, für sich allein zu bestehen, befreit, wie von Banden, von dem Leibe“ (Plato, Phaidon 67c). Die Seele gleicht dem Göttlichen, der Leib hingegen dem Sterblichen (vgl. Plato, Phaidon 80a)110. Die Seele begibt sich nach dem Tod und damit nach dem Auflösen des Leibes an einen von Gott gewiesenen edlen Ort. Dies gelingt, „wenn sie sich rein losmacht und nichts von dem Leibe mit sich zieht, weil sie mit gutem Willen nichts mit ihm gemein hatte im Leben, sondern ihn floh und in sich selbst gesammelt blieb“ (Phaidon 80e). Plato sammelte und systematisierte die griechischen Jenseitsvorstellungen und gab ihnen jene Gestalt, die dann ab dem 4. Jh. v.Chr. prägend wirkte111.