Kitabı oku: «Theologie des Neuen Testaments», sayfa 11
Der Sabbat
In dieselbe Richtung weisen die Sabbatheilungen, die ebenfalls auf eine Wiederherstellung der Schöpfungsordnung zielen; so das Jesuswort Mk 2,27, wonach der Sabbat um des Menschen willen, nicht aber der Mensch um des Sabbats willen geschaffen wurde257. In Mk 2,27 verweist insbesondere ἐγένετο („es ist geschaffen“) auf den Schöpferwillen Gottes zurück. Die Sabbatheiligung dient dem Menschen, indem sie ihn von der Geschäftigkeit des Alltags und damit auch von sich selbst wegreißt, um Zeit für die alles entscheidende Gottesbeziehung zu schaffen. Bereits in der priesterlichen Schöpfungsgeschichte erscheint der 7. Tag als von Gott qualifizierte Zeit, die dem Menschen hilft, sich in Zeit und Geschichte zu orientieren (Gen 2,2f). Diese dienende Funktion des Sabbats ging in der Geschichte des nachexilischen Judentums teilweise verloren258. Zwar wurde der Sabbat zum Zentrum des Toraverständnisses, zugleich aber verschob sich die Qualifizierung der Zeit zu einem statischen Gegenüber von Sabbat und Mensch. In einigen Bereichen der Sabbathalacha musste sich der Mensch dem Sabbat und seinen Anforderungen unterordnen. So heißt es in CD 11,16f innerhalb einer Sabbathalacha: „Einen lebendigen Menschen, der in ein Wasserloch fällt oder sonst in einen Ort, soll niemand heraufholen mit einer Leiter oder einem Strick oder einem (anderen) Gegenstand“ (vgl. ferner Jub 2,25–33; 50,6ff; CD 10,14–12,22; Philo, VitMos II 22). Jesus durchbricht diese Umkehrungen und demonstriert durch seine Sabbatheilungen die ursprüngliche Bedeutung dieses Tages: Er verhilft zum Leben (vgl. Lk 13,10–17) und ermöglicht dem Menschen, seiner eigentlichen Bestimmung nachzukommen: dem Schöpfer zu begegnen. Auch in Mk 3,4 geht es Jesus um den ursprünglichen Gotteswillen in Bezug auf den Sabbat („Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, ein Leben zu retten oder zu töten?“)259. Der Sabbat soll dem Guten dienen, und dies besteht in der Erhaltung und Rettung des Lebens. Gott will dem Menschen in einem umfassenden Sinn Heil schaffen, und dieser radikalen Hinwendung zu den Menschen ist auch der Sabbat unterzuordnen260. Das Gute zu unterlassen, stellt aus der Sicht Jesu keine neutrale Haltung dar, sondern es bedeutet, das Böse zu tun, zu töten. Gottes Ja zum Menschen, seine Sorge um und für ihn, steht über den Geboten. Eine Auslegung der Gebote Gottes, die das nicht berücksichtigt, verfehlt den Sinn der göttlichen Willenskundgebung. Deshalb kann der Sabbat durch das Tun des Guten nicht entweiht werden.
Das Zurücktreten des Verzehntungsgebotes (vgl. Lev 27,30) in Mt 23,23a-c weist in dieselbe Richtung: Der Zehnte war speziell für die galiläische Unter- und Mittelschicht eine schwer zu tragende wirtschaftliche Belastung, so dass Jesus hier eine deutlich andere Position einnimmt als die Pharisäer (vgl. Lk 18,12)261.
Dezentrierung der Tora
Für die Beurteilung der Stellung Jesu zur Tora sind drei Beobachtungen ausschlaggebend: 1) Die Tora und ihre strittigen Auslegungen sind nicht das Zentrum des Wirkens und der Verkündigung Jesu262. Die neue Wirklichkeit des Kommens Gottes in seinem Reich bestimmt auch sein Verhältnis zur Tora (vgl. Q 16,16); im Auftreten Jesu bricht das wahrhaft Neue an (Mk 2,21f: „Niemand flickt einen neuen Lappen auf ein altes Kleid, sonst reißt das Flickstück heraus, das neue vom alten, und der Riss wird schlimmer. Und niemand füllt einen neuen Wein in alte Schläuche; sonst wird der Wein die Schläuche zerreißen, und der Wein kommt um samt den Schläuchen“). 2) Innerhalb der Stellungnahmen Jesu zur Tora und ihrer Auslegung dürfte die Unterscheidung zwischen einer Toraverschärfung im ethischen Bereich und einer Toraentschärfung bei rituellen Fragen zutreffend sein263. 3) Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Jesus die Tora aufheben oder einer grundsätzlichen Kritik unterziehen wollte. Zugleich muss aber noch einmal unterstrichen werden, dass er nicht von der Tora, sondern vom Reich Gottes her denkt. Weil sich Gottes end- und urzeitlicher Wille entsprechen264, verbinden sich bei Jesus Eschatologie und Protologie und führen zu einer Dezentrierung der Tora. Diese Dezentrierung ist nicht einfach mit einer Ablehnung oder Abschaffung gleichzusetzen, aber für Jesus war die Liebe Gottes in seinem Reich und nicht mehr das Geschenk der Tora die offene Tür, durch die jeder zu Gott kommen konnte. Eine solche Interpretation des Gesetzes bei Jesus verbleibt innerhalb des Judentums, erklärt die Konflikte mit anderen jüdischen Gruppen (vgl. Mk 2,1–3,6; 12,13–17; Lk 7,36–50; 8,9–14; Mt 23,23) und lässt verstehen, warum wahrscheinlich schon sehr früh innerhalb des sich formierenden frühen Christentums Gesetzeskritik mit Berufung auf Jesus formuliert wurde.
3.8.3Jesus, Israel und die Heiden
Ein mehrschichtiger Befund zeigt sich auch im Verhältnis Jesu zu Israel und den Heiden. Jesus wusste sich grundsätzlich zu Israel gesandt (vgl. Mk 7,27), er sah sich vom Gott Israels beauftragt, seinem Volk das Gottesreich zu verkünden.
Der Zwölferkreis
Sichtbarer Ausdruck dafür ist die Einsetzung des Zwölferkreises. Für die Historizität des Zwölferkreises spricht vor allem, dass die nachösterliche Gemeinde kaum zu der Aussage gekommen wäre, Judas als ein Mitglied des engsten Jüngerkreises habe Jesus verraten (vgl. Mk 14,10.43par), wenn dies nicht geschichtliche Tatsache wäre265. Der Zwölferkreis wird in der vorpaulinischen Tradition 1Kor 15,5 genannt, wonach Christus „dem Kephas erschien, dann den Zwölfen.“ Die ‚Zwölf‘ sind hier eine feste Institution, obwohl Judas nicht mehr dazugehört und Petrus eigens erwähnt wird. Außerdem hat der Zwölferkreis nachösterlich keine erkennbare geschichtliche Rolle mehr gespielt; viel wichtiger werden die durch eine Erscheinung des Auferstandenen berufenen Apostel; erst in späterer Zeit, bei Markus, Matthäus und Lukas und in der Johannesoffenbarung findet sich die Identifizierung der Zwölf mit den Aposteln. Der Zwölferkreis dürfte in die vorösterliche Zeit zurückreichen und seine Bedeutung erschließt sich vor allem aus Q 22,28.30: „Ihr, die ihr mir gefolgt seid, werdet auf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.“ Der Zwölferkreis hatte offenbar die Funktion, das Zwölfstämmevolk Israel zu repräsentieren. Wiederum verbinden sich bei Jesus Proto- und Eschatologie, denn das Volk Israel zur Zeit Jesu war nicht das Zwölfstämmevolk, d.h. der Zwölferkreis repräsentierte das ganze Volk Israel in seiner ursprünglichen und zugleich eschatologischen Gestalt. Der Zwölferkreis ist als Vorwegnahme der eschatologischen Ganzheit Israels zu verstehen, gleichsam in Analogie zum Gottesreich, das in Jesus jetzt schon verborgen anfängt. Der Zwölferkreis entspricht somit dem Gegenwartsaspekt des Gottesreichs, er signalisiert bereits den Anfang der von Gott zu schaffenden Ganzheit Israels. In diesem Sinn kann man sagen: Jesu Perspektive war das eschatologische Israel und er verstand seine Sendung als Auftakt zu seiner Neuschöpfung durch Gott.
Israel und die Heiden
Inhaltlich steckt in Jesu Auslegung des Anfangs des Gottesreiches als schrankenloser Liebe Gottes gerade zu den Benachteiligten und Deklassierten auch die Tendenz, die Grenzen Israels auszuweiten. Menschen, die aus jüdischer Perspektive gesehen Randfiguren Israels sind, werden integriert. So wird der Zöllner Zachäus auch als ein Sohn Abrahams bezeichnet (Lk 19,9) und die Samaritaner werden von Jesus mit den Juden gleichgestellt (vgl. Lk 10,30ff)266. Ein Zeichen für Jesu Offenheit sind auch die gelegentlichen positiven Kontakte mit Heiden: Die Überlieferungen vom Hauptmann von Kapernaum und von der syrophönizischen Frau (Mt 8,5–10.13; Mk 7,24–30) haben einen authentischen Kern267 und bezeugen eine punktuelle Offenheit Jesu gegenüber Heiden. Sie zeigt sich auch in der Parabel vom Gastmahl (Lk 14,16–24) und in dem prophetischen Drohwort Q 13,29.28. Die Parabel vom Gastmahl illustriert, dass Gott seinen Heilswillen in unerwarteter Weise vollziehen kann, denn die ursprünglich Geladenen werden nicht am großen Fest teilnehmen. In ähnlicher Weise greift Jesus das Motiv der Völkerwallfahrt268 auf, es dient gerade nicht zur Bestätigung der Verheißungen an Israel, sondern die Reihenfolge kehrt sich um. Das Motiv des endzeitlichen Gottesvolkes wurde im antiken Judentum im Wesentlichen in zweifacher Weise thematisiert: Die Erweiterung des Gottesvolkes konnte für die Endzeit erwartet werden, wenn die Völker nach Jerusalem/zum Zion strömen, um den wahren Gott anzubeten (vgl. äthHen 90; TestXII). Auf der anderen Seite gab es starke Strömungen, die eine strikte Abgrenzung bis hin zur Bekämpfung der Heiden forderten (Qumran, PsSal)269. Auffallend ist nun, dass Jesus das erste Motiv umkehrt und das zweite gar nicht erwähnt. In der jüdischen Überlieferung ist die Opposition Israels gegen die Heiden fest mit dem Gedanken der Gottesherrschaft verbunden, so dass Jesus diese Vorstellung bekannt gewesen sein muss. Anders als z.B. die Zeloten thematisiert er sie aber nicht, denn er sah in der politischen und ökonomischen Notlage seines Volkes, die er nach dem Zeugnis der Seligpreisungen keineswegs übersehen hat, nur die Außenseite eines viel tiefer gehenden Problems. Wie Johannes der Täufer dürfte Jesus von der Prämisse ausgegangen sein, dass Israel, so wie es sich vorfindet, vom Gericht Gottes bedroht ist und von sich aus kein Anrecht mehr besitzt, frühere Heilszusagen Gottes für sich in Anspruch zu nehmen (vgl. Mt 3,7–10; Lk 13,3.5). Jesus nahm diesen Gedanken offensichtlich so ernst, dass er es vermied, mit Hilfe der traditionellen Opposition von Israel und Heiden ein Heilsrecht Israels vorzuschreiben und das eschatologische Heil einfach als Befreiung aus der Knechtschaft der Heiden zu beschreiben. Er legt die Gegenwart des Heils als Besiegung des Satans aus, der als Ankläger Israels und der Heiden erscheint. Die Einzigkeit Gottes erweist sich als Besiegung Satans, in dessen Knechtschaft sich Israel und die Heiden gleichermaßen befinden (vgl. Mk 3,27; Lk 11,20). Unter dieser Prämisse war es für ihn sinnlos, in herkömmlicher Weise von den Heiden als den Opponenten der Gottesherrschaft zu sprechen. Wenn Jesus am Gedanken der Wiederherstellung der politischen Selbständigkeit des Volkes Israel völlig uninteressiert war, dann zeigt sich darin nicht ein Desinteresse an politischen Fragen überhaupt, wohl aber ein bestimmtes Israelverständnis: Die Wiederherstellung der politischen Souveränität des Volkes und des davidischen Königtums als politische und vor allem religiöse Frage entsprach nicht seiner Sicht des endzeitlichen Handelns Gottes. Dem entspricht wiederum, dass Jesus sich für die Rechtsordnung seines Volkes nur wenig interessierte.
In diesem Kontext ist es wiederum bemerkenswert, welche weiteren Themen jüdischen Selbstverständnisses Jesus nicht aufgreift. Er spricht nicht von der Erwählung Israels, beruft sich nie auf das Verdienst der Patriarchen und thematisiert auch nicht die Exodus- und Landtradition. Zumindest gegenüber dem aktuellen Tempelkult in Jerusalem, wenn nicht sogar gegenüber dem Tempelkult überhaupt, war Jesus sehr kritisch eingestellt (s.u. 3.10.2). Man kann sagen: Obwohl Jesus sich zum Volk Israel gesandt wusste, ist für ihn die theologische Beschäftigung mit dem geschichtlichen Grund der Erwählung Israels und ihrer Verwirklichung in Politik und Recht der Gegenwart kein Thema. Die punktuelle Offenheit gegenüber Heiden, die Umkehrung eschatologischer Erwartungen und die Distanz zu Grundüberzeugungen des antiken Judentums ändern nichts daran, dass Jesus sich grundsätzlich an Israel gesandt wusste. Er war aber zweifellos ein besonderer Jude mit einem außergewöhnlichen Anspruch, einer überraschenden Offenheit und einer neuen Sicht des gegenwärtigen und zukünftigen Handelns Gottes an den Menschen270. Jesus strebte nicht eine Erneuerung, sondern eine Neuausrichtung der jüdischen Religion an. Zwar kann sich die spätere Heidenmission des frühen Christentums nicht direkt auf Jesus berufen, aber sie entspricht dem jesuanischen Gedanken der schrankenlosen Liebe Gottes, verlängert und vertieft ihn auf eine Weise, die starke Impulse Jesu aufnimmt und zugleich über ihn weit hinausgeht.
3.9Das Selbstverständnis Jesu: Mehr als ein Prophet
Die Bindung der Gottesherrschaft an seine Person, die Praxis der Sündenvergebung, die Wunder, der in den Antithesen erhobene Anspruch und die Unheilsbotschaft verdeutlichen jenseits exegetischer Einzelurteile den einzigartigen Anspruch Jesu. Wenn hier „mehr ist als Salomo/mehr als Jona“ (vgl. Q 11,31f) und die Augenzeugen selig gepriesen werden (vgl. Q 10,23f), dann stellt sich die Frage nach dem Selbstverständnis Jesu. Sie kann nur beantwortet werden, wenn die Jesusüberlieferung mit den drei Haupttypen messianischer Erwartung des antiken Judentums konfrontiert wird271: der Erwartung eines endzeitlichen Propheten, der Erwartung eines himmlischen Menschensohnes und der Erwartung eines religiös-politischen Messias272.
3.9.1Jesus als endzeitlicher Prophet
F.HAHN, Christologische Hoheitstitel (s.u. 4), 351–404; F.SCHNIDER, Jesus der Prophet, OBO 2, Fribourg/Göttingen 1973; U.B.MÜLLER, Vision und Botschaft. Erwägungen zur prophetischen Struktur der Verkündigung Jesu, in: ders., Christologie und Apokalyptik, ABG 12, Leipzig 2003 (= 1977), 11–41; M.TRAUTMANN, Zeichenhafte Handlungen Jesu, Würzburg 1980; M.E. BORING, The Continuing Voice of Jesus, Louisville 1991; G.VERMES, Jesus der Jude (s.o. 3), 73–88; N.T. WRIGHT, Jesus (s.o. 3), 145–319; M. ÖHLER, Jesus as Prophet: Remarks on Terminology, in: M.Labahn/A.Schmidt (Hg.), Jesus, Mark and Q, Sheffield 2001, 125–142; J.D.G. DUNN, Jesus Remembered (s.o. 3), 655–666.
Ebenso wie Johannes d. T. (vgl. Mk 11,32; Mt 14,4; Lk 1,76) wurde Jesus von Nazareth als Prophet wahrgenommen (vgl. Lk 7,16: „Und Furcht ergriff alle und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns auferstanden und Gott hat sein Volk besucht“). Der Einfluss der Elia-Tradition (vgl. Mal 3,23) ist besonders in Mk 6,15f („Einige sprachen: Er ist Elia, andere: Er ist Prophet, einer von den Propheten“) und Mk 8,27f („Für wen halten mich die Leute? … Für Johannes den Täufer, andere für Elia, wieder andere für einen der Propheten“) greifbar. Eine gemeinantike Volksweisheit273 wird Jesus in Mk 6,4 in den Mund gelegt: Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterland. In Lk 7,39 heißt es: „Wenn dieser ein Prophet ist, würde er erkennen, wer und was für eine Frau sie ist, die ihn berührt, denn sie ist eine Sünderin.“ Prophetische Beglaubigungszeichen (vgl. Mk 8,11; Mt 12,38f; Lk 11,16.30) werden von Jesus verlangt und in Mk 14,65 wird er verspottet, indem man ihm den Kopf verhüllt, ihn schlägt und ihn auffordert: Prophezeie, wer dich geschlagen hat.
Ob Jesus sich im Anschluss an Jes 61,1 als eschatologischer Prophet verstand (vgl. Q 7,22), lässt sich nicht mehr entscheiden. Auf jeden Fall bediente er sich prophetischer Redeformen (vgl. die Drohworte Q 10,13–15; 11,31f), er hatte Visionen (Lk 10,18) und nahm wie die atl. Propheten Symbolhandlungen vor (Jüngerberufungen, Mahlzeiten mit rituell Unreinen, Austreibung der Händler und Wechsler aus dem Tempel, das letzte Mahl mit den Jüngern und in einem weiteren Sinn auch Jesu Wunder). Wie bei vielen atl. Propheten lässt sich bei Jesus eine tiefe Identität von Leben und Botschaft entdecken: Das Leben des Propheten steht ganz im Dienste seiner Botschaft und wird zu ihrem Ausdruck. Auch religionsgeschichtliche Parallelen wie die jüdischen Zeichenpropheten (s.o. 3.6.1) und die Erwartung eines eschatologischen Propheten wie Mose (Dtn 18,15.18) in Qumran (vgl. 1QS IX 9–11; 4Q175)274 lassen es möglich erscheinen, dass Jesus sich als endzeitlicher Prophet verstand.
Andererseits lehnt Jesus die Kategorie des Prophetischen in zwei Logien als unzureichend ab (Q 11,32: „mehr als Jona ist hier“; Lk 16,16: „das Gesetz und die Propheten reichen bis Johannes“, danach kommt etwas Neues) und es gibt kein (relativ unumstrittenes) authentisches Wort, in dem Jesus sich ausdrücklich als Prophet bezeichnet, zumal die atl. Botenkategorie seinem Anspruch in keiner Weise gerecht wird. Auch die Anklänge in Mk 9,7 auf Dtn 18,15 können nicht für Jesus in Anspruch genommen werden, sondern verdanken sich markinischer Christologie (s.u. 8.2.2). Fazit: Jesu Selbstverständnis, Verkündigung und Verhalten sprengen die Dimension des Prophetischen275.
3.9.2Jesus als Menschensohn
PH.VIELHAUER, Gottesreich und Menschensohn in der Verkündigung Jesu, in: ders., Aufsätze zum Neuen Testament, TB 31, München 1965, 55–91; H.E. TÖDT, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 51984; F.HAHN, Christologische Hoheitstitel (s.o. 4), 13–53; J.JEREMIAS, Die älteste Schicht der Menschensohnlogien, ZNW 58 (1967) 159–172; C.COLPE, Art. ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου, ThWNT 8, Stuttgart 1969, 403–481; L.GOPPELT, Theologie I, 116–253; A.J.B. HIGGINS, The Son of Man in the Teaching of Jesus, MSSNTS 39, Cambridge 1980; H.MERKLEIN, Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft (s.o. 3.4), 152–164; M.MÜLLER, Der Ausdruck Menschensohn in den Evangelien, AThD 17, Leiden 1984; V.HAMPEL, Menschensohn und historischer Jesus, Neukirchen 1990; J.J. COLLINS, The Son of Man in First-Century Judaism, NTS 38 (1992) 448–466; P.STUHLMACHER, Biblische Theologie I, 107–125; G.VERMES, Jesus der Jude (s.o. 3), 144–174; A.VÖGTLE, Die ‚Gretchenfrage‘ des Menschensohnproblems, Freiburg 1994; G.THEISSEN/A.MERZ, Der historische Jesus (s.o. 3), 470–480; J.BECKER, Jesus von Nazaret (s.o. 3), 249–275; M. KARRER, Jesus Christus im Neuen Testament (s.u. 4), 287–306; M.KREPLIN, Das Selbstverständnis Jesu, WUNT 2.141, Tübingen 2001, 88–133; C.M. TUCKETT, The Son of Man and Daniel 7: Q and Jesus, in: A.Lindemann, (Hg.), The sayings source Q and the historical Jesus (s.u. 8.1), 371–394; U.WILCKENS, Theologie II, 28–53.
Die häufigste Selbstbezeichnung Jesu ist ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου („der Sohn des Menschen“)276, sie findet sich in doppelt determinierter Form 82mal im Neuen Testament (Mk: 14mal; Mt: 30mal; Lk 25mal; Joh 13mal)277 und mit Ausnahme von Joh 12,34 in den Evangelien immer im Mund Jesu278. Diese Wendung ist eine für griechische Ohren sehr ungewöhnliche Übersetzung des aramäischen bzw. des hebräischen
, die einen vornehmlich generischen Sinn aufweisen279: der Mensch als Angehöriger/ein Mensch als Repräsentant des Menschengeschlechtes. Die Bedeutung dieser Wendung erklärt sich aus einer komplexen jüdischen Vorgeschichte.
Ausgangspunkt ist als Grundtext Dan 7,13f, wo es innerhalb einer Vision heißt: „und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer, der einem Menschensohn glich (ὡς υἱὸς ἀνϑρώπου = einer, wie ein Menschensohn; ein menschenähnlicher), und gelangte bis zu den Hochbetagten, und er wurde vor ihn geführt. Ihm wurde Macht verliehen und Ehre und Reich, dass die Völker aller Nationen und Zungen ihm dienten. Seine Macht ist eine ewige Macht, die niemals vergeht, und nimmer wird sein Reich zerstört.“ Der Menschensohn ist hier wahrscheinlich eine hervorgehobene Engelgestalt, die Gottes endzeitliches Gericht verkündet280. Zu einem zentralen Titel innerhalb der jüdischen Messianologie wurde der Ausdruck „Menschensohn“ nicht, es finden sich lediglich zwei wirkungsgeschichtliche Aktualisierungen in äthHen 37–71 (sog. ‚Bilderreden‘) und 4Esr 13. Diese beiden Textkomplexe sind in sich nicht einheitlich, so dass man nur von einer inhomogenen Menschensohn-Tradition sprechen kann281. Die Bilderreden des äthiopischen Henochbuches wurden in der Mitte des 1. Jh. v.Chr. redigiert und enthalten vielschichtige Menschensohn-Aussagen. Der Menschensohn ist in engelgleicher Gestalt vor allem universaler Richter (äthHen 46,4ff), der die Gerechten zur Endzeitgemeinde sammelt (45,3f; 47,4; 48,1–7 u.ö.). Wie er selbst sind die Gerechten die Erwählten, er ist „der Stab, damit sie sich auf ihn stützen und nicht fallen“ (48,4). 4Esr 13 stammt aus dem Ende des 1.Jh. n.Chr. und schildert innerhalb einer Sturmvision das Auftreten (13,3: „Ich sah, und siehe, der Sturm führte aus dem Herzen des Meeres etwas wie die Gestalt eines Menschen hervor“) und die endzeitlichen Funktionen dieser Gestalt: Er wird auf dem Berg Zion die herbeiströmenden Völker richten und das Volk Israel sammeln. Er nimmt damit die Funktionen wahr, die nach PsSal 17,26–28 dem davidischen Messias zugeschrieben werden. Die Unterschiede zwischen Dan 7 und äthHen/4Esr weisen darauf hin, dass es z.Zt. Jesu wahrscheinlich verschiedene Ausprägungen der Menschensohn-Vorstellung gab, die eher eine Funktion als eine feste Person bezeichnete282. Deutlich ist in jedem Fall, dass es sich um eine himmlische, menschenähnliche Gestalt mit Richter-, Herrscher- und Retterfunktion handelt.
Eine Bildung der zentralen ntl. Menschensohn-Aussagen in späterer nachösterlicher Zeit ist sehr unwahrscheinlich, denn sie eigneten sich nicht für die Mission, und Paulus nahm sie wahrscheinlich bewusst in seine Verkündigung nicht auf. Warum sollten die späteren Gemeinden einen im Griechischen eher unverständlichen und am Wort ἄνϑρωπος („Mensch“) orientierten Begriff zur christologischen Leitkategorie erhoben haben?283 Wahrscheinlich erfolgte die Übersetzung des aramäischen in das griechische ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου schon früh und dürfte einen Sprachgebrauch Jesu aufnehmen. Neben der Wirkungsplausibilität und der Mehrfachbezeugung in allen Traditionssträngen spricht auch das Fehlen des Menschensohn-Begriffes in Bekenntnisaussagen über Jesus dafür, dass er den Ausdruck ‚Menschensohn‘ benutzte. Die Worte Jesu über den Menschensohn lassen sich in drei Gruppen aufteilen, die sich teilweise überschneiden und ergänzen.
Der gegenwärtig wirkende Menschensohn
Die Worte vom gegenwärtig wirkenden Menschensohn enthalten sehr verschiedene Konnotationen. Es gibt Worte, in denen der Menschensohntitel im Zusammenhang mit Jesu Vollmacht erscheint (Mk 2,10par: „Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben, spricht er zu dem Gelähmten“; Mk 2,28par: „So ist der Menschensohn auch Herr über den Sabbat“), in anderen Worten ist von der Sendung Jesu im Ganzen die Rede (Mk 10,45: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“; Lk 19,10: „Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist“). Retrospektiv, aber sachlich sicher zutreffend wird Jesu Umgang mit Diskriminierten in Q 7,34 formuliert: „Der Menschensohn kam, aß und trank, und ihr sagt: Siehe, dieser Mensch, ein Fresser und Säufer, ein Freund von Zöllnern und Sündern“. Schließlich scheint mit dem Menschensohntitel der Gedanke der Niedrigkeit, Verborgenheit und Ungeborgenheit Jesu verbunden zu sein (Q 9,58: „Und Jesus sagte ihm: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wohin er seinen Kopf legen kann“). Auf einen Gerichtskontext verweisen Q 11,30 („Denn wie Jona für die Niniviten zum Zeichen wurde, so wird es auch der Menschensohn für diese Generation sein“) und Q 12,8f („Jeder, der sich zu mir vor den Menschen bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, wird vor den Engeln verleugnet werden“; vgl. Mk 8,38). Der letzte Text wirft besondere Fragen auf284: Meint Jesus hier mit dem Menschensohn eine andere Gestalt als sich selbst? Allein die Möglichkeit einer solchen Interpretation verweist nicht automatisch auf die nachösterliche Gemeinde. Ebenso könnte Jesus selbst dieses Wort im Kontext der Passion gesprochen haben. Isoliert man das Wort, dann kann mit dem künftigen Menschen-Richter ein anderer als Jesus gemeint sein285. Kommt jedoch der Anspruch Jesu in seiner Gesamtheit in den Blick, dann ist es mehr als unwahrscheinlich, dass er sich als Vorläufer oder Bote einer anderen eschatologischen Gestalt verstanden haben soll286. Während Q 12,10 (Das Reden wider den heiligen Geist) sicher und Mk 2,10; 10,45a; Lk 19,10 (als Variante von Mk 2,17; Lk 5,32) möglicherweise nachösterlich sind, bezeugen die anderen authentischen Worte, dass Jesus sein Wirken mit der Menschensohn-Gestalt im alltagssprachlichen Sinn (‚meine Person‘) gedeutet hat.
Der leidende Menschensohn
Die Worte vom leidenden Menschensohn liegen in den drei Leidensweissagungen (Mk 8,31par; 9,31par; 10,33f) und in Worten über die Auslieferung/Dahingabe des Menschensohnes vor (Mk 14,21par: „Denn der Menschensohn geht wohl dahin, wie über ihn geschrieben steht, doch wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird“; Mk 14,41: „Der Menschensohn wird in die Hände der Sünder ausgeliefert“; vgl. ferner Lk 17,25; 24,7). Mit großer Wahrscheinlichkeit sind die Worte vom leidenden und auferstehenden Menschensohn nachösterliche Bildungen, denn sie fehlen in der Logienquelle und lassen deutlich nachösterliche christologische Reflexionen erkennen287.
Der kommende Menschensohn
Während die Worte vom gegenwärtig wirkenden Menschensohn der alltagssprachlichen Tradition verbunden sind, stehen die Worte vom kommenden Menschensohn in Verbindung mit visionssprachlichen Traditionen. So kündigt Jesus in Mk 14,62 sein zukünftiges Richten an: „Da sprach Jesus: Ich bin es, und ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels.“ In einen Gerichts- und Parusiekontext gehören auch Q 12,40 („Seid auch ihr bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr nicht damit rechnet“), Q 17,24 („Denn wie der Blitz vom Osten ausgeht und bis zum Westen leuchtet, so wird der Menschensohn an seinem Tag sein“), 17,26.30 („Wie es geschah in den Tagen Noahs, so wird es auch am Tag des Menschensohnes sein … so wird es auch an dem Tag sein, an dem der Menschensohn offenbar wird“), Mt 10,23b („Amen, ich sage euch: Ihr werdet nicht vollständig durch die Städte Israels hindurchkommen, bis der Menschensohn kommt“), Mt 19,28 („…wenn der Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzt, [werdet auch ihr] auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten“) und die bereits besprochene Tradition vom Bekennen und Verleugnen in Q 12,8f/Mk 8,38.
Die Worte vom kommenden Menschensohn sind schwer zu beurteilen, denn einerseits scheint Jesus sein gegenwärtiges und zukünftiges Richterhandeln mit dem Begriff des Menschensohnes verbunden zu haben (Q 12,8f), andererseits nimmt der wiederkommende und richtende Menschensohn eine zentrale Stellung innerhalb der christologischen Konzeption der Logienquelle ein (s.u. 8.1.2), so dass mit einer starken nachösterlichen Gestaltung gerechnet werden muss. Während Lk 18,8b und Mt 24,30 nachösterliche Bildungen sind und auch die angeführten Q-Logien literarisch nach Ostern ihre vorliegende Gestalt fanden, wird man für Jesus annehmen dürfen, dass er sein gegenwärtiges und zukünftiges Geschick grundlegend mit der Menschensohngestalt verband288.
Jesus nahm den Ausdruck „Menschensohn“ auf, weil er kein zentraler Begriff in der jüdischen Apokalyptik war und sich als offener und nicht fest definierter Ausdruck besonders eignete, um sein Wirken zu charakterisieren. Züge des vorösterlichen Wirkens Jesu zeigen vor allem die Worte vom gegenwärtig wirkenden Menschensohn, wobei Q 7,33f und Q 9,58 hervorzuheben sind. Man wird den Ausdruck „Menschensohn“ hier nicht generisch, sondern wahrscheinlich sogar titular verstehen müssen. Auffällig ist an diesen beiden Worten, dass die Macht des Menschensohnes gerade nicht offenbar, sondern eher verhüllt ist. Dieses Nebeneinander von verhüllender und offenbarender Redeweise hat eine Strukturparallele in Jesu Rede vom Reich Gottes: So wie das Reich Gottes eine sich offenbarende und reale, aber zugleich verborgene Größe ist, so zeigt sich das gegenwärtige Wirken des Menschensohnes nicht in seiner Macht, sondern in seinem verborgenen Wirken.
3.9.3Jesus als Messias
F.HAHN, Christologische Hoheitstitel (s.u. 4), 133–225.466–472; G.VERMES, Jesus der Jude (s.o. 3), 115–143; F. HAHN, Art. Χριστός, EWNT 3 (1983) 1148–1153; M.KARRER, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1990; D.ZELLER, Art. Messias/Christus, NBL III (1995), 782–786; M.HENGEL, Jesus der Messias Israels, in: ders./A.M. Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie, WUNT 138, Tübingen 2001, 1–80; J.FREY, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: J.Schröter/R.Brucker (Hg.), Der historische Jesus, BZNW 114, Berlin 2002, 273–336.
Von den 531 Belegen für Χριστός („Christus“) bzw. Ἰησοῦς Χριστός („Jesus Christus“) finden sich allein 270 bei Paulus. Bedeutsam ist, dass Χριστός an den ältesten Bekenntnistraditionen (vgl. 1Kor 15,3b–5; 2Kor 5,15) haftet, und sich damit Aussagen über Tod und Auferstehung Jesu verbinden, die das gesamte Heilsgeschehen umfassen. Bei Paulus ist Ἰησοῦς Χριστός ein Titelname. Der Apostel weiß, dass Χριστός ursprünglich ein Appellativ und Ἰησοῦς das eigentliche nomen proprium ist, denn er spricht nie von einem ϰύριος Χριστός. Χριστός ist somit in der Verbindung mit Ἰησοῦς als Cognomen aufzufassen, bei dem die titulare Bedeutung durchaus mitschwingen kann. Zugleich verschmilzt der Titel so mit der Person Jesu und ihrem spezifischen Geschick, dass er bald zum Beinamen zu Jesus wird und die Christen danach benannt werden (Apg 11,26).
Ausgangspunkt und Voraussetzung der Entwicklung messianischer Vorstellungen sind im Alten Testament Königssalbung und Dynastiezusage (vgl. 1Sam 2,4a; 5,3; 1Kön 1,32–40; 11; 2Sam 7; Ps 89; 132)289. Daraus bildeten sich vielschichtige Traditionen im antiken Judentum, speziell um die Zeitenwende herum besaßen die messianischen Hoffnungen eine vielfältige Gestalt290. Die Vorstellung von einem politisch-königlichen Messias (vgl. PsSal 17; 18; syrBar 72,2), der die Heiden aus dem Land treiben und Gerechtigkeit wiederherstellen soll, findet sich ebenso wie prophetisch (vgl. CD 2,12; 11Q Melch) und priesterlich-königlich geprägte Anschauungen (vgl. 1QS 9,9–11; 1QSa 2,11ff; CD 12,23; 14,19; 19,10f; 20,1). Von der großen Variationsmöglichkeit und Vernetzungskraft jüdischer Eschatologie zeugen auch die Verbindung von Menschensohn- und Messiasvorstellungen (vgl. äthHen 48,10; 52,4; 4Esr 12,32; 13) und messianische Gestalten, die ohne den Messias-Begriff auftraten (messianische Propheten)291.