Kitabı oku: «Kinder- und Jugendbuchverlage», sayfa 2

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1.3
Studien zum Leseverhalten

Um sich ein Bild davon zu machen, welche Rolle Bücher und Lesen im Alltag von Kindern, Jugendlichen und Familien spielen, werden immer wieder Studien durchgeführt. Die Verlagshäuser Egmont Ehapa, Gruner + Jahr, Panini, SPIEGEL und ZEIT geben gemeinsam repräsentative Erhebungen zur Freizeitgestaltung unter den 7,38 Millionen 4- bis 13-jährigen Kindern in Deutschland in Auftrag. Zuletzt wurde der Kinder Medien Monitor 2020 veröffentlicht. Befragt wurden 6- bis 13-jährige Kinder und ihre Eltern sowie Eltern von 4- bis 5-jährigen Vorschulkindern. In der Tabelle ein Auszug, der für das Bücherlesen relevant ist.

Fazit für die 4- bis 5-Jährigen (knapp und abgerundet):

• Fast der kleinen Kinder lesen nie ein Buch bzw. bekommen nie vorgelesen,

• ¼ lesen selten oder nie ein Buch,

• ¾ lesen mindestens mehrmals pro Woche ein Buch bzw. bekommen vorgelesen,

• Keine gravierenden Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen.

Fazit für die 6- bis 13-Jährigen (knapp und abgerundet):

• Über der Kinder lesen nie ein Buch,

• ¼ lesen selten ein Buch,

• ⅔ lesen mindestens mehrmals pro Woche ein Buch,

• Jungen sind bei den Nicht- und Selten-Lesern stärker vertreten.


Mehr als zwei Drittel der Kinder gehen also intensiv mit Büchern um – das ist eine erfreuliche Nachricht. Da solche Marktanalysen eine Menge Geld kosten, sollte man immer fragen, wer sie aus welchem Grund in Auftrag gibt. Die hier genannten Presseverlage geben Zeitschriften für Kinder heraus und wollen die Nachfrage nach ihrem Produkt und nach ähnlichen Medien kennen. Das ist ein legitimes Interesse, und es gibt keine Indizien, die Zweifel an der Seriosität und Objektivität der Studie begründen.

Ähnliche Untersuchungen, in der Literatur als KIM- , FIM- und JIM-Studien bezeichnet, werden seit 1999 vom mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) betrieben. Dahinter stehen staatliche Landesanstalten für Kommunikation und Medien aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die Medienforschung des öffentlichrechtlichen SWR (Südwest-Rundfunk) – es sind also keine kommerziellen Interessen zu vermuten.

Kinder im KindergartenalterDie mini-KIM-Studie 2014 bezieht sich auf die Kleinsten, die FIM-Studie 2016 ergänzt und bestätigt deren Erkenntnisse im Wesentlichen. Demnach befinden sich die Eltern der 3- bis 5-Jährigen zu 48 % im Alter bis 34 Jahre, zu 48 % zwischen 35 und 44 Jahren, zu 4 % ab 45 Jahre. Ihre Haushalte sind praktisch zu 100 % ausgestattet mit Fernseher, Computer, Internetzugang sowie Handy/Smartphone.

mini-KIM-Studie 2014/FIM-Studie 2016

Als Aktivitäten im Alltag werden in dieser Reihenfolge genannt:

1. Drinnen spielen

2. Draußen spielen

3. Buch anschauen/vorlesen (täglich 26 min.)

4. Fernsehen (täglich 43 min.)

Die Mediennutzung verteilt sich so:

1. Bücher anschauen/lesen/vorgelesen bekommen (93 %)

2. Fernsehen (86 %)

3. Videos/DVDs anschauen (67 %)

4. Hörspiele/Hörbücher hören (66 %)

5. Radio hören (49 %)

6. Spiele am Computer/Konsole (16 %)

7. Spiele auf dem Smartphone (10 %)

8. Spiele auf dem Tablet (9 %)

9. Im Internet surfen (7 %)

Die Beschäftigung mit Büchern:

1. 43 % der Kinder beschäftigen sich jeden Tag mit Büchern

2. weitere 44 % greifen ein- oder mehrmals die Woche zu Büchern

3. 5 % tun das selten

4. 7 % nie

Begeisterung für Bücher (nach Aussage der Haupterzieher):

1. 49 % der Kinder beschäftigen sich ›sehr gerne‹ mit Büchern

2. weitere 41 % ›gerne‹

3. 8 % ›nicht so gerne‹

4. 1 % ›gar nicht gerne‹

• Bücher/Comics sind bei 21 % ein Gesprächsthema in der Familie.

• 3 von 4 Kindern sehen regelmäßig fern, 90 % täglich oder mehrmals in der Woche.

• Das gemeinsame Lesen von Büchern/Comics findet bei 58 % statt.

• Täglich oder mehrmals in der Woche Bücher/Comicslesen bzw. vorlesen kommt bei 63 % vor.

• Zumindest selten kommt Bücher/Comics lesen/vorlesen bei 92 % vor.

Kinder (6 bis 13 Jahre)Die derzeit jüngste Untersuchung über Freizeitaktivitäten und Mediennutzung der Kinder ab Grundschulalter bis zum Beginn der Pubertät ist die KIM-Studie 2018. An Büchern und Lesen ›sehr interessiert‹ sind im Jahr 2018 15 % der Kinder, 2016 waren es 13 %; Mädchen stärker (19 %) als Jungen (11 %). ›Interessiert‹ sind weitere 35 % – also die Hälfte sind von sich aus für Bücher zu haben. 51 % besitzen ein eigenes Smartphone oder Handy, 39 % ein Smartphone. Die Smartphone-Zahlen erhöhen sich und dürften weiter auf eine Vollversorgung zulaufen. Dazu ist wissenswert, dass die Haushalte, in denen diese Kinder leben, praktisch zu 100 % mit Fernsehgerät, Internetzugang sowie Handy/Smartphone ausgestattet sind. Bei über 80 % sind Computer/Laptop vorhanden. 33 % der Kinder verfügen über einen eigenen Fernseher; 74 % sehen täglich fern. Noch ist also bei dieser Altersgruppe das Fernsehen der größte ›Zeitfresser‹, auch wenn das Zeitvolumen für TV langsam zurückgeht. So schlecht steht es also um den Umgang mit freiwilliger Buchlektüre in der Freizeit nicht; diese Werte erweisen sich zudem als relativ stabil.

KIM-Studie 2018

Faktische Freizeitaktivitäten der 6- bis 13-Jährigen:

(jeden Tag/fast jeden Tag/ein- oder mehrmals pro Woche)

Rang


1. Fernsehen 96 %
2. Freunde treffen 92 %
3. Hausaufgaben/Lernen 91 %
4. Drinnen spielen 91 %
5. Draußen spielen 69 %
6. Familie/Eltern 77 %
7. Musik hören 72 %
8. Sport treiben 69 %
9. Digitale Spiele 60 %
10. Handy/Smartphone 60 %
11. Internet nutzen 55 %
12. Radio hören 54 %
13. Computer (offline) 53 %
14. Buch lesen 51 %
15. Zeitschrift lesen 22 %
16. Tablet nutzen 26 %
17. Bücherei/Bibliothek 11 %
18. Zeitung lesen 7 %

Jugendliche (ab 13 Jahre)Die Lebenswelt der 12- bis 19-Jährigen unter ›normalen‹ Verhältnissen wurde zuletzt in der JIM-Studie 2019 untersucht. Wegen der erwarteten rasanten Veränderungen war schon die JIM-Studie 2020 geplant, die dann trotz der veränderten Lebensbedingungen durch die Corona-Pandemie durchgeführt wurde. Die Jugendlichen sind praktisch zu 100 % ausgestattet mit Handy/Smartphone, Computer/Laptop, Internetzugang und Fernseher. 84 % haben Zugang zu einem Video-Streaming-Dienst, 76 % zu einem Audio-Streaming-Dienst; hier ist tendenziell eine weitere Zunahme wahrscheinlich.

35 % (Mädchen deutlich mehr als Jungen) lesen täglich oder mehrmals in der Woche Bücher. Diese Werte lagen 2009 bei 40 %, ein Höhepunkt war 2011 mit 44 %, er sank 2017 wieder auf 40 %.

Es lassen sich merkliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen ermitteln. Mit dem Lesen von Büchern verbringen die Jugendlichen an einem Wochentag 2019 durchschnittlich 53 Minuten (Mädchen 62 Min./ Jungen 45 Min.). Dieser Wert ist 2020 (Corona-bedingt) auf 74 Minuten gestiegen. Wenn man bedenkt, dass Lesezeit nur mit voller Aufmerksamkeit funktioniert, andere Mediennutzungen wie Audio und TV durchaus auch im Hintergrund laufen können, sind das durchaus beachtliche Werte.


Quelle: JIM-Studien 2019 und 2020

1.4
Vom Wert des Papier-Buchs

Was ist ein Buch? Schauen wir uns an, wie Bücher für ihre verschiedenen ›Nutzer‹ funktionieren:

• Für den LeserBuchinhalte zwingen dem Leser nicht auf, wo, wie, wie schnell, was weglassend, was wiederholend er den Inhalt aufnimmt. Ein Buch passt sich jedem Leser an. Wer sich der Mühe des Lesenlernens einmal unterzogen hat, dem steht eine Welt offen.

• Für den KäuferEin riesiges Angebot ist im stationären oder im Internet-Buchhandel problemlos zu besorgen – überall zum gleichen Preis, im Zweifel umtauschbar.

• Für den HändlerEs ist leicht zu beschaffen, problemlos zu lagern, relativ hoch rabattiert, bei Verlagsbezug mit langen Zahlungszielen ausgestattet, gut kalkulierbar. Im Falle des Nichtverkaufs wird es nach einer angemessenen Frist remittiert.

• Für den HerstellerEs ist – auch im Hinblick auf nachhaltige Produktionsverfahren – mit gebräuchlichen Verfahren herzustellen, gut zu lagern, kurzfristig wiederzubeschaffen. Abgesehen von den prinzipiell unberechenbaren Absatzchancen kann der Verlag in gewissem Umfang seinen Umsatz und seinen Gewinn steuern, da er den Ladenpreis selbst festsetzt.

• Für den AutorEr kann in Zusammenarbeit mit dem Verlag kontrollieren, wie aus seiner Schöpfung, seinem Manuskript, ein Buch wird. Und er kann es weiter begleiten, nachdem es einmal gedruckt ist.

• Für das KindEin Buch ist einfach da; es kann immer wieder angeschaut, vorgelesen, gelesen werden. Es braucht keinen Strom; man kann die Lektüre jederzeit unterbrechen; man kann es sich so schnell oder so langsam zu Gemüte führen, wie es einem gerade genehm ist.

Ein halbes Jahrhundert nach den Untersuchungen von Bruno Bettelheim und seinen Kollegen kommen viele Wissenschaftler zu ähnlichen Erkenntnissen. Daran haben die unterschiedlichen elektronischen Geräte, die inzwischen entwickelt wurden, bei denen man auf Bildschirmen liest, nichts geändert. Über den Vorgang und die Wirkung des Lesens auf Computer-Bildschirmen, Laptops, Tablets, Smartphones, E-Readern etc. wurde und wird weiter geforscht – es ist ein weites Feld, aber man liegt wohl nicht falsch, wenn man Anne Mangen von der Universität Stavanger folgt, die wesentlich an der Stavanger Erklärung zur Zukunft des Lesens vom 3./4. Oktober 2018 beteiligt ist, die weltweit Aufmerksamkeit und Nachdenklichkeit hervorgerufen hat – weniger bei den Politikern, die vorschnell und windschnittig von einer #Digitalisierung schwärmen, deren Voraussetzungen und Auswirkung sie oft gar nicht verstanden haben. An den Studien dazu haben 200 Wissenschaftler aus ganz Europa mitgewirkt, u. a. wurden 54 Einzeluntersuchungen mit insgesamt 170.000 Teilnehmern ausgewertet.

Auf eine extrem kurze Formel gebracht, ist der allgemeine Befund: Kurze informative Texte bis zu sieben Seiten werden mit gleicher Wirkung auf Bildschirmen und auf Papier gelesen – je länger und je komplexer die Texte sind, desto mehr ist das Lesen auf Papier von Vorteil. Wenn man die Forschungsergebnisse zuspitzt auf die Adressaten der KJBV, werden die Forscher noch deutlicher:

Lehrern und anderen Erziehern muss bewusst gemacht werden, dass schnelles und pauschales Ersetzen von Gedrucktem, Papier und Schreibwerkzeugen durch digitale Technologien in der Grundschule nicht folgenlos ist. Wenn dies nicht von wohlüberlegten Lernmitteln und Lernstrategien begleitet wird, kann es bei Kindern zu Rückentwicklungen beim Leseverständnis und beim Aufbau kritischer Denkfähigkeit führen. (Mangen 2019)

Anne Mangen und viele andere Forscher haben nicht einfach apodiktisch das eine (›Nur Lesen auf bedrucktem Papier wird dem Lesestoff gerecht‹) oder das andere (›Es ist vollkommen egal, auf welcher materialen Basis man liest‹) behauptet. Sie haben nach den Regeln der empirischen Sozialforschung untersucht, wie sich das Leseverständnis von identischen Texten auf den unterschiedlichen Ausgabeformen darstellt.

1.5
Das Kinder- und Jugendbuch zwischen Literatur, Pädagogik, Unterhaltungswirtschaft und Buchhandel

Wessen Regeln, Kriterien und Intentionen sollen Kinder- und Jugendbücher genügen? Die mächtigsten Disziplinen, die auf das KJB einwirken, sind die Literatur, die Pädagogik, die Unterhaltungswirtschaft und der Buchhandel. Sie sehen es – in ihrer jeweils spezifischen Wahrnehmung – entweder als literarische Kategorie, als Kulturgut oder als Wirtschaftsgut. Keinem Bereich kann man die Berechtigung absprechen, hier Interessen einzubringen; aber zu keinem gehört das KJB ausschließlich.

Die in der #Genre-Übersicht angezeigten Kombinationen von ›populär‹ mit ›Medienindustrie‹ und von ›kommerziell‹ mit ›Buchhandel‹ wären irreführend, wenn sie ausschließlich gemeint wären. Gewiss orientieren sich die Unterhaltungsmedien an Popularität, und sie denken und arbeiten kommerziell. So muss aber auch der Buchhandel aufgestellt sein; der Begriff ›kommerziell‹ ist nicht pejorativ gemeint, sondern soll zum Ausdruck bringen, dass hier Geschäfte gemacht werden (müssen), etwa im Gegensatz zum staatlichen Bildungssystem.

Das Kinder- und Jugendbuch: Ein Teil der Literatur?

Paradoxerweise trifft man gerade in den Literatur- und Sprachwissenschaften gegenüber dem KJB häufig auf eine Haltung zwischen freundlicher Herablassung, Desinteresse, Zweifel an der Relevanz und Ignoranz. Die wenigen universitären Lehrstühle, Forschungsinstitute und Studiengänge, die sich auf akademischem Niveau mit dem KJB befassen, sind ein Ausdruck davon. Und auch die müssen in den Hochschul-Gremien oft mühsam für ihre Anerkennung und für Mittel argumentieren.

Viele kluge Autoren, die in der Belletristik zu Hause sind, schreiben aus Respekt vor den Anforderungen an ein Bilder-, Kinder- oder Jugendbuch dergleichen nicht. Es sind nur wenige, dafür aber dann meist ganz herausragende Autoren, die sowohl allgemeine Literatur als auch für junge Leser schreiben. Der unbestrittene Altmeister dieser Doppelbegabung ist Erich Kästner. Viel zu selten, könnte man sagen, aber immer wieder finden sich Schriftsteller, die sich auf beides verstehen: Peter Härtling, Uwe Timm, Hans Magnus Enzensberger, Annette Pehnt, Franz Hohler, Burkart Spinnen, Markus Orths, um nur einige deutschsprachige zu nennen.

Ähnlich ist es im Sachbuch-Bereich. Während es in vielen anderen Ländern überhaupt keine Frage ist, dass ein hochangesehener Fachwissenschaftler ein Sachbuch für junge Leser verfasst, z.B. Stephen Hawking, ist das bei uns eine – lobenswerte – Seltenheit, wie im Fall des Astrophysikers Harald Lesch, der sich mit der Kinderbuchautorin Gudrun Mebs zusammengetan hat, um Kindern Themen wie Evolution, Astronomie, Philosophie oder Mathematik zu erklären.

Wie kann man diese eigenartige Diskrepanz erklären? Hier ein Versuch: Im deutschsprachigen Feuilleton wurde lange Zeit eine Unterscheidung gepflegt, heutzutage oft heftig bestritten, teils bewusst ignoriert, aber latent immer noch vorhanden: die zwischen E und U, ernster und unterhaltender Literatur. Man kennt diesen Gegensatz auch in der Musik. In der angelsächsischen, skandinavischen, frankophonen, russischen und sicher auch vielen weiteren Kulturen ist eine derartige Unterscheidung nicht gebräuchlich. Es gehört zu den großen Verdiensten eines Verlegers wie Daniel Keel, solche Grenzen gesprengt zu haben, indem er den einst von ihm mitgegründeten Diogenes Verlag nach dem Voltaire’schen Motto geführt hat:

Jede Art zu erzählen ist erlaubt, nur nicht die langweilige. (Voltaire)

Eine ähnliche Grenzziehung verlief früher auch durch das KJB in Gestalt der Gegenübersetzung des ›guten Buchs‹ gegen ›Schmutz und Schund‹, womit vor allem Comic-Hefte, aber auch ›Kaufhaus-Bücher‹ aus dem Franz Schneider Verlag und Ähnliches gemeint waren. Paul Maar hat für die Gegenwart einen entsprechenden Kontrapunkt formuliert:

Früher sagte man: ›Das Buch ist gut‹.

Heute sagt man: ›Das Buch ist gut verkäuflich‹. (Maar 2014)

Das Kinder- und Jugendbuch: Ein Teil der Pädagogik?

Das ›gute‹ KJB stammte entweder von einem klassischen Schriftsteller oder von einem in den neuen Kanon der KJB aufgenommenen Autor wie Otfried Preußler, Max Kruse oder Paul Maar. Alle diese großen Autoren der Nachkriegszeit haben sich dem Zugriff der Pädagogik aus guten Gründen entzogen – obwohl sie selbst einige Zeit als Lehrer gearbeitet haben.

Dem Deutsch-Unterricht an der Schule wird ja mitunter zurecht vorgeworfen, er trage eher zum Desinteresse an der Literatur bei, als dass er junge Menschen für das Lesen begeistere. Dies hängt sicherlich, wie überhaupt jeder Lernerfolg, vom Lehrer ab. Auf eine besonders prägnante Kurzform lässt sich die Zerstörung des Zaubers der Poetik anhand des Umgangs mit Gedichten im Unterricht darstellen. Ein Gedicht ist eben etwas ganz anderes als die Summe seiner Teile, auch wenn die ›Teile‹ Wörter und Sätze sind.

Dann wurde es ganz auseinandergenommen

Und jeder Vers wurde einzeln besprochen.

Das hat dem Gedicht das Genick gebrochen.

(Bernd Lunghard: Gedichtbehandlung)

In vordemokratischen Zeiten sollten KJB eine erzieherische Funktion im Sinne der herrschenden gesellschaftlichen Ziele erfüllen. Dominierten in der Kaiserzeit die Ideale einer autoritätshörigen, starren, oft auch nationalistischen Bürgerlichkeit, ging es in totalitären Gesellschaften um Vorbilder für die Jugend, je nach System in nationalsozialistischer oder kommunistischer Gesinnung. Damit war es – zumindest im Westen Deutschlands – nach 1945 vorbei. Auch in der Kinderliteratur der DDR konnten sich trotz staatlicher Genehmigungsprozeduren mit gelegentlichen Verboten neben systemtreuen Werken auch freie literarische Formen entfalten.

Das Kinder- und Jugendbuch: Ein Teil der Unterhaltungswirtschaft?

Zugleich mit und als Teil der Entwicklung der Marktwirtschaft ab 1949 entstand eine Unterhaltungsindustrie: Kinofilme, Zeitschriften, Bücher, Groschenromane, Comic-Hefte. In einigen zentralen Bereichen, wie Rundfunk und Fernsehen, waren allerdings private Unternehmen lange Zeit nicht zugelassen, das System war rein öffentlich-rechtlich geführt. Als diese Beschränkung 1984 fiel, ergoss sich eine Flut von meistens sehr populären (mitunter auch ordinären) Produktionen auf die Bildschirme. Verlage engagierten sich im Privatfernsehen in der Hoffnung, ihre Rechte und Substanzen auf diesem Kanal ein zweites Mal verwerten und verbreiten zu können. Zumindest was die Buch- und KJBV betrifft, hat sich diese Hoffnung recht schnell zerschlagen. Das Medium Fernsehen braucht in der Masse andere Stoffe als das Medium Buch – nur einige sehr bekannte Geschichten oder Serien können auf beiden Schienen fahren.

Nachdem 1989 die innerdeutsche Mauer gefallen war und sich auch im Osten die Marktwirtschaft wild verbreitete, schien der Nachholbedarf an in keiner Weise bevormundender Unterhaltung im Osten Deutschlands noch größer. Es führte dort zu einem großen Verlagssterben und zur Verunsicherung der Existenz zahlloser Schriftsteller, auch im KJB-Bereich, die oft in den neuen Verhältnissen bei den ›westlich‹ geprägten Verlagen mit ihren Büchern nicht mehr ankamen.

Große Hoffnungen wurden auf eine Art Medienkonvergenz gesetzt: Licence Characters (z. B. Disney-Figuren oder eine Zeichentrickfilm-animierte Biene Maja) erschienen zunächst in möglichst vielen Medien wie Film, Fernsehen, Radio, MC-Tonkassette, Buch, Zeitschrift; aber auch als Merchandising-Produkte auf T-Shirts, Geschirr, Kinderfahrrädern, Bettwäsche, Zahnpasta etc. Hier beherrschen oft internationale Medienunternehmen die Szene, die sich je nach Lage vor Ort regionale #Lizenznehmer suchen. Buch heißt in dieser Auswertungsform dann nicht: von guten Autoren geschrieben, von ausgezeichneten Illustratoren bebildert, hochwertig gedruckt – sondern von namenlosen Schreibern und schlecht bezahlten Übersetzern getextet, simpel gezeichnet, billig gedruckt und für einen erbärmlich niedrigen Preis verkauft, meist mit 99 Cent hinter dem Komma. Hier geht es ums Geschäft, hier sind Kinder als Konsumenten gemeint, und diese Medienprodukte findet man auch weniger in Buchhandlungen als im Supermarkt.

Seit schon vor der Jahrtausendwende die #Globalisierung auch die Druckindustrie erreicht hat, werden solche Buchprodukte (oft mit ›Gimmicks‹, also zusätzlichem Mini-Spielzeug aus Plastik) in großen Stückzahlen in Fernost (erst Hongkong und Singapur, später zunehmend China) hergestellt – zu Preisen, die in Deutschland, aber auch Italien oder Belgien nicht zu realisieren gewesen wären. Solche bunten billigen Buchprodukte entziehen sich jeglicher Aufmerksamkeit in der an Qualität orientierten KJB-Szene, auch bei Rezensenten, und erst recht im Bereich dessen, was für den Einsatz in der Schule in Frage kommt.

Eine neue Dimension hat das Verhältnis Literatur/Unterhaltungsindustrie bekommen, als hochwertigere Stoffe zur Verfilmung kamen: Die unendliche Geschichte, Herr der Ringe, Harry Potter, Rennschwein Rudi Rüssel, Tschick, Die Welle oder Das Schicksal ist ein mieser Verräter. In den meisten Fällen ist es so, dass zunächst ein Buch oder eine Buchserie ein großer Erfolg wird – und dann engagiert sich ein Filmproduzent; meist muss eine solche Vermarktung international laufen, da aufwändige Filmproduktionen einen ungeheuren Investitionsbedarf haben, der in einem Land gar nicht zurückverdient werden kann. Solche Filme, die dann auch im Fernsehen wiederholt werden, lösen meist einen weiteren Nachfrageschub bei den Büchern aus. So legen Verlage mitunter bei großangekündigten Kinostarts spezielle Ausgaben auf, die auf dem Cover und zum Teil auch innen mit Bildern aus dem Film ausgestattet sind. In anderen Fällen verzichten Verlage darauf, weil sich oft binnen weniger Tage entscheidet, ob ein Film beim Publikum ankommt oder nicht. In letzterem Fall geriete auch das Buch zum #Flop.

Bei Literaturverfilmungen kann man lange Debatten darüber führen, ob der Geist der literarischen Vorlage gut getroffen ist oder diese verfälscht. Berühmt war der Aufschrei von Michael Ende, der sich mit Grausen von der Verfilmung seiner Unendlichen Geschichte durch den sehr erfolgreichen Regisseur Wolfgang Petersen 1984 distanziert hat. Andere Autoren waren so glücklich mit der verfilmten Version ihres Romans, dass sie sogar eine kleine Nebenrolle übernommen haben, so John Green 2014 in Das Schicksal ist ein mieser Verräter.

Es sind oft Nebensätze und Vergleiche, in denen dem Leser der Kulturseiten auch heute noch despektierliche und/oder ignorante Äußerungen über das KJB begegnen, wie man sie eigentlich von gebildeten Journalisten nicht erwarten können sollte, die sich wenigstens ansatzweise ein Bild von der Entwicklung des KJB bis zur heutigen Qualität und Vielfalt gemacht haben. Wenn ein Kritiker einen Erwachsenen-Roman für ein wenig zu simpel geraten hält, schreibt er schon mal, das lese sich ja wie ein Kinderbuch.

Neben der Kritik wegen mangelnder literarischer Finesse ist auch der Vorwurf der Zielgruppen-Beschränktheit zu vernehmen. Die Literaturkritikerin Christine Knödler schreibt dazu:

Lange galt: Jugendliteratur ist für-Literatur; von speziellen Autor/-innen geschrieben, in speziellen Verlagen verlegt, als Sparte klar definiert. Eine Literatur, die sich an spezielle Adressaten wendet. (Knödler 2012, 160)

Ihre Schlussfolgerung, nachdem sie exemplarisch die literarischen Qualitäten mancher ›Jugendbücher‹ erläutert hat, lautet: diese ›für-Rolle‹ ist überholt, weil sich die Jugendliteratur zu einer »experimentierfreudigen, eigenständigen Literatur« weiterentwickelt hat (Knödler 2012, 165).

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