Kitabı oku: «Wer die Geister stört»

Yazı tipi:

Ulrich Wißmann

Wer die Geister stört

Mord am heiligen Berg der Apachen

Für meine Mutter

Die Toten sind nicht ohne Macht

(Häuptling Seattle)

Wer die Geister stört

Mord am heiligen Berg der Apachen

Ethno-Thriller

von

Ulrich Wißmann


Impressum

Wer die Geister stört, Ulrich Wißmann

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2015

e-book ISBN 978-3-941485-34-1

Lektorat: Ilona Rehfeldt

Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: readbox, Dortmund

Titelbild: Astrid Gavini

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,

Hohenthann

Produced in Germany

INHALT

OSTEN/SCHWARZ

SÜDEN/BLAU

WESTEN/GELB

NORDEN/WEISS

Wir betten unsere Toten in die Erde

von dort sind sie unsere stummen Führer

(Jean Paul)


www.traumfaenger-verlag.de

Die Handlung ist frei erfunden und jegliche Ähnlichkeit mit tasächlichen Ereignissen und Personen wäre rein zufällig.

Vorwort

Wie auch in „Skalpjagd“, meinem ersten Roman um den Navaho-Ermittler Frank Begay, sind die handelnden Personen und die Geschichte des Buches frei erfunden. Die beschriebenen geschichtlichen, politischen und ethnologischen Umstände aber entsprechen der Wahrheit, die historischen Personen gab es wirklich. Das Konsortium des Mount Graham International Observatory, bestehend u.a. aus der Universität von Arizona, dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie, dem Arcetri Obversatorium und dem Vatikan, gibt es tatsächlich. Die beschriebenen Sachverhalte zur Geschichte und zur politischen Auseinandersetzung um die Teleskopanlagen entsprechen den Fakten. Führende Vertreter des Vatikans weigern sich tatsächlich bis heute, die religiöse Bedeutung des Berges für die Apachen (oder die traditionelle Religion der Apachen überhaupt) anzuerkennen. Der Widerstand der Apachen gegen das Projekt dauert an.

OSTEN/SCHWARZ

I

Der Vollmond stand bleich wie ein Totenschädel über einer weiten und kargen Wüstenlandschaft. Obwohl es Nacht war, war es so hell, dass man die Farben der Felsen unterscheiden konnte, roter, weißer und gelber Sandstein. Ein träger Nachtwind rauschte leise in den im Mondlicht glänzenden Nadeln der wenigen Pinien.

Die Gruppe ritt schweigend, fast ohne ein Geräusch zu verursachen. Sie mieden die offenen Flächen wo sie konnten und bewegten sich im Schatten der Felsen und Canyons. Sie waren Apachen, knapp zwanzig kampferprobte und wettergegerbte Krieger, dazu einige Frauen und Kinder. An ihrer Spitze ritt Goyathlay, „der Gähnende“, den die Weißen Geronimo nannten. Er war eine Legende, der gefürchtetste Mann im Südwesten der USA und im Norden Mexikos. Der letzte Apachenführer, der immer noch gegen die verhassten Weißen kämpfte. Er und seine Chiricahua waren die letzten Indianer, die sich im Krieg mit den Eindringlingen befanden. Ihrer kleinen Gruppe gegenüber standen auf jeder Seite der amerikanisch-mexikanischen Grenze mindestens zehntausend Mann, die sie fangen oder vernichten sollten, reguläre US-Truppen, die mexikanische Armee, Texas-Rangers, zahllose Bürgerwehren, Banden von Skalpjägern, Cowboys und Stadtbewohnern, die sich immer wieder formierten, um der „roten Gefahr“ Herr zu werden.

Die Zeiten, in denen sich die Apachen einer offenen Schlacht stellen konnten, waren schon lange vorbei. Sie waren zu wenige und die Feinde waren unvorstellbar viele. Selbst in ihren besten zeiten hätten alle Apachen-Stämme zusammen kaum mehr als eintausend Krieger stellen können. Aber mit diesen vergleichsweise wenigen Männern waren sie über Jahrhunderte ein bestimmender Faktor in der Machtpolitik des Südwestens gewesen. Sie hatten die Spanier gehindert, sich in ihrem Land niederzulassen. Zwar hatten diese teilweise auch nördlich von ihrem Stammland gesiedelt, aber die Apachen hatten ihnen dort mit ihren Raubund Kriegszügen immer stark zugesetzt und sie isoliert. Danach kamen die Österreicher und die Apachen waren es, die die Ausbreitung des Habsburgerreiches nach Norden verhinderten. Und auch der Expansionspolitik Mexikos setzten sie Grenzen. Die Mexikaner hatten zwar ihre Kolonie Nueva Mexico gegründet, aber die Apachen hatten immer wieder den Nachschub und die Anbindung an das Mutterland gestört, so dass das Gebiet schließlich 1848 an die USA fiel. Ebenso standen sie der Ausbreitung des Staates Texas im Wege. Und als schließlich die Anglo-Amerikaner von Norden kamen, waren wiederum die Apachengruppen das größte Hindernis bei deren Ausbreitung im Südwesten.

Doch die Nordamerikaner kamen in unerschöpflichen Mengen, hatten Waffen, denen die Apachen nichts entgegen zu setzen hatten und waren gut organisiert. Außerdem war das Volk nun von allen Seiten von Feinden umgeben, die in ihr Land drängten. Die Apachen reagierten auf diese Bedrohung mit einem verzweifelten, ständig andauernden Guerilla-Krieg. In dieser Form des Krieges waren sie die Meister. Nur selten fand sich eine mexikanische oder amerikanische Armeeeinheit in einer offenen Schlacht gegen die Apachen wieder. Dafür hatten sie zu wenige Krieger und jedes Menschenleben war für sie zu wertvoll.

Die Apachen griffen aus dem Hinterhalt an, lockten den Feind in Canyons, wo sie ihn, selbst ungesehen, unter Feuer nehmen oder unter heruntergerollten Felsen begraben konnten. Sie lagen im Sand vergraben, durch Pflanzenhalme atmend, bis sie unmittelbar neben ihren Gegnern aufspringen und diese töten konnten, ehe sie überhaupt wussten, was passierte. Sie lockten die Weißen in wasserlose Wüsten und vergifteten die wenigen Wasserstellen oder legten zur Nacht Schlangen oder Skorpione in ihre Decken. Ihr mächtiger Verbündeter war die harte Natur ihrer Heimat, mit der sie eins waren und die den Fremden panische Angst einjagte. Ein Apachenkrieger konnte wochenlang mit einer Hand voll Mais und einem Schluck Wasser am Tag auskommen und dabei auch bei größter Hitze täglich in unwegsamem Gelände 60 oder 70 Kilometer zu Fuß und weitaus mehr mit dem Pferd zurücklegen. Damit waren sie auch ihren härtesten Gegnern an Schnelligkeit und Ausdauer weit überlegen. Während sie jeden Winkel der Berge, Canyons und Wüsten kannten und ihre Ressourcen und ihren Schutz nutzen konnten, war diese Landschaft für die Weißen nur eine beängstigende und gefährliche Ödnis. Die Apachen liebten ihre Heimat. Zwar hatten sie früher eher in den höher gelegenen Bergregionen mit ihren weiten Kiefernwäldern, saftigen Wiesen und kristallklaren Bächen gelebt und waren erst unter dem Druck der zunehmenden Besiedelung in die tieferen und heißeren Gebiete ausgewichen, aber durch die Jahrhunderte der Flucht und des Kampfes waren sie die perfekten Wüstenkämpfer geworden.

Bisher hatten die Apachen die Feindschaft zwischen Mexiko und den USA immer ausnutzen können. Hatten sie auf der einen Seite der Grenze einen Überfall verübt, mussten sie nur in das Nachbarland wechseln, um ihren Verfolgern zu entgehen. Jetzt hatten die beiden Staaten ein Kooperationsabkommen geschlossen, dass gemeinsame Militäraktionen gegen die Apachen möglich machte und den Truppen beider Länder ausdrücklich das Recht gab, die Indianer auch auf dem Gebiet des jeweils anderen Staates zu bekämpfen.

Von dieser pausenlosen Verfolgung waren Goyathlays Männer müde, die Frauen und Kinder waren am Ende. Sie brauchten eine Ruhepause. Von amerikanischen Truppen bis nach Mexiko verfolgt, hatten sie sich in ihr altes Bergversteck in der Sierra Madre zurückgezogen. Aber nicht nur die US-Truppen, sondern auch mexikanische Einheiten hatten dort Jagd auf sie gemacht, so dass sie sich kaum frei bewegen und auch nicht jagen konnten. Das Schlimmste war, dass inzwischen Scharen von Apachen als Scouts für die US-Armee arbeiteten, die ihre Spuren verfolgen konnten und ähnlich ausdauernd waren wie sie. Diese Apachen-Scouts waren ihre gefährlichsten Gegner.

Der kleine Trupp näherte sich über eine weite Ebene, die bis zum Horizont ohne jede Bewegung dalag, dem immer höher aufragenden Rücken eines gewaltigen Berges. Im Nachtlicht schien der Gipfel mit dem Himmel zu verschmelzen. Auf den weiten Flanken des einsam daliegenden Kolosses konnte man die weiten Kiefernwälder im fahlen Mondlicht liegen sehen. Das war der heilige Berg der Apachen, Dzil Nchaa Si‘An, der große ruhende Berg. Hier hatten die N‘de, wie sich „die Menschen“ selbst nannten, die 32 heiligen Gesänge des Lebens von ihrem Schöpfergott Yusen erhalten. Hier lebten die Berggeister, die Ga‘an, die die Schamanen unterwiesen und ihnen die Heilkräuter zeigten, die sie brauchten, hier fanden heilige Zeremonien und Begräbnisse statt. Der Berg hatte ursprünglich zur San Carlos Apache Reservation gehört, aber als die Weißen das den Indianern zugesprochene Land immer weiter beschnitten hatten, war er aus dem Gebiet herausgenommen worden. Goyathlay hoffte, dass man sie hier nicht vermuten und nicht finden würde. Ihre Spuren hatten sie so gut es ging verwischt. Sie hatten Lappen um die Hufe der Pferde gebunden und ritten möglichst vorsichtig über felsiges Gelände, so dass auch die Apachen-Scouts Schwierigkeiten haben würden, ihnen zu folgen. Der Dzil Nchaa Si‘An ragte hoch über das ihn umgebende ebene Gelände auf, so dass man mit geschickt auf dem Berg postierten Spähern Verfolger entdecken konnte lange bevor sie in die Nähe kamen. Besonders den Frauen und Kindern würde es gut tun, eine Zeit lang in den kühlen Wäldern des heiligen Berges auszuruhen. Die Pferde würden auf den saftigen Wiesen mit ihren klaren Bergbächen endlich wieder genügend Futter und Wasser finden und die Männer würden auf die Jagd gehen können. Und sie würden etwas hier zurücklassen, was sie nicht mit sich tragen konnten, wenn sie ihre Flucht fortsetzten.

II

Frank Begay betrat das Hauptquartier der Navaho Nation Tribal Police ein paar Minuten nach acht Uhr morgens. Er hatte einen Termin um acht Uhr bei seinem Vorgesetzten, Captain Blackhat, war also nach Maßstäben der „Indian Time“ sehr pünktlich. Begay hatte die markanten Gesichtszüge seines Stammes und trug sein Haar schulterlang, wie viele Angehörige der Dineh. Er war mittelgroß und schlank und für sein Alter von fünfzig Jahren in ziemlich guter Form, was er darauf zurückführte, dass er sich viel im Freien bewegte. Während er sich bei Zeremonien oder Festen, oder wenn er sich in der Natur aufhielt, gerne traditionell kleidete, trug er jetzt Jeans, Jeansjacke und Cowboystiefel.

Begay fand den Captain wie erwartet hinter seinem riesigen Schreibtisch vor, der mit Stapeln von Aktenordnern und Papieren bedeckt war. Hinter Blackhat gab das Fenster den Blick frei auf einen tiefblauen Himmel und die roten Sandsteinformationen, die über dem Ort Window Rock aufragten. Die Wand des Büros zierte die Fotografie eines Navaho-Mädchens von Edward S. Curtis sowie eine Landschaftsaufnahme des Monument Valley. Begay erstattete seinem Vorgesetzten Bericht über die Vorkommnisse der letzten Tage. Es hatte einige Verkehrsdelikte gegeben, Geschwindigkeitsübertretungen, die eigentlich immer von durchreisenden Anglo-Amerikanern begangen wurden, da es auf dem Reservat kaum schnelle Autos gab.

In zwei Fällen waren ein paar Touristen irgendwo in der Weite der Reservation liegen geblieben, weil sie die immensen Entfernungen zwischen den wenigen Tankstellen in dieser Gegend unterschätzt hatten. Neugierige, die sich von den wenigen Hauptstraßen der „Big Rez“ auf die oft in katastrophalem Zustand befindlichen Nebenstraßen wagten, erlitten oft einen Achsbruch oder landeten neben der Fahrbahn, unfähig aus eigener Kraft weiterzufahren. Auch in diesen Fällen wurde die Stammespolizei gerufen, von hilfsbereiten Dineh, oder solchen, die die Touristen nicht in ihrer Gegend haben wollten, meistens ohne dass diese überhaupt wussten, dass man sie bemerkt hatte. Die Polizisten sorgten dann dafür, die Fremden aus der Wildnis zu holen und ihre Fahrzeuge zu bergen und gegebenenfalls reparieren zu lassen. Es hatte auch einige Prügeleien gegeben, wie eigentlich immer in Folge von Alkoholkonsum, der auf der Reservation strengstens verboten war. Es hatte einen Fall von Wilderei gegeben und zwei Fälle von Viehdiebstahl. Im ersten hatten die frei herumlaufenden Schafe eines Navaho-Züchters sich im Canyon de Chelly der Herde einer anderen Familie angeschlossen, wahrscheinlich ohne deren Wissen. Im zweiten Fall war der Verbleib mehrerer Schafe und Ziegen noch nicht geklärt.

„Und was machen unsere Grabräuber?“, fragte Captain Blackhat. In einem Seitencanyon des San Juan Rivers im Norden der Navaho Reservation trieben sich schon seit fast zwei Wochen einige junge Weiße unter dem Deckmäntelchen herum, dort zu wandern und zu campen, die aber ganz offensichtlich ein starkes Interesse an den vielen dort gelegenen Anazasi-Ruinen hatten. Begay hatte bei ihnen Keramik sicherstellen können, die aus den Ruinen stammte. Gegenstände aus den Ruinen zu entwenden war strengstens verboten, selbst das Betreten war nicht erlaubt. Bereits einmal hatte die Stammespolizei die Weißen aufgefordert, das Reservat zu verlassen.

„Ich habe sie persönlich aus dem Canyon begleitet“, sagte Begay, „und bin ihren Autos bis über die Grenze bei Mexican Hat gefolgt.“

„Gut gemacht, Frank“, lobte Blackhat, „wollen wir hoffen, dass sie nicht wiederkommen!“

Der Captain räkelte sich in seinem Sessel, nahm eine Zigarette aus der auf dem Schreibtisch liegenden Marlboro-Packung und klopfte sie, nachdem er Begay vergeblich auch eine angeboten hatte, ein paar Mal umständlich auf die Tischkante. Bagays Blick wanderte derweil sehnsüchtig zu den hinter Captain Blackhat im Sonnenlicht liegenden Felsspitzen.

„Frank, ich habe Sie hergebeten, weil ich mal wieder eine Sonderaufgabe für Sie habe. Wir haben eine Anfrage vom Sheriff des Graham County. Dort wird ein Mann seit einigen Tagen vermisst. Sie brauchen einen anständigen Fährtenleser.“

„Und warum rufen sie da nicht einen San-Carlos-Apachen? Der hätte es nicht so weit!“, fragte Begay mürrisch.

„Der Mann ist am Mount Graham verschwunden“, sagte Blackhat und sah Begay musternd an.

Begay ahnte sofort den Zusammenhang.

„Wissen Sie über den Mount Graham Bescheid?“, fragte Blackhat.

„Ja, es ist einer der heiligen vier Berge der Apachen. Und der Mount Graham ist der absolut wichtigste davon, wenn ich mich recht erinnere.“

Die meisten Menschen hier im Südwesten wussten von der Bedeutung des Mount Graham für die Ureinwohner und auch, dass auf dem Berg gegen den Widerstand der traditionellen Apachen, für die das unerträglich war, seit Jahren Teleskopanlagen gebaut wurden.

„Ja“, sagte Blackhat, „nun arbeitet der Vermisste für das Konsortium, das die Teleskope errichtet und dafür eine neue Straße auf den Mount Graham führen möchte. Es könnte natürlich sein, dass sein Verschwinden damit zu tun hat. In diesem Fall kämen, wenn es sich um ein Kapitalverbrechen handeln sollte, natürlich auch Apachen von San Carlos als Täter in Frage.“ Er machte eine Pause und sah Begay verschwörerisch an. „Und Sie wissen ja, dass man uns generell Vetternwirtschaft vorwirft.“

Mit „uns“ schien er alle Ureinwohner zu meinen. Natürlich wollte der Sheriff deshalb einen Fährtenleser aus einer anderen Gegend hinzuziehen.

„Wann könnten Sie fahren?“, fragte Blackhat.

„Ich kann morgen früh losfahren. Es sind etwa dreihundert Meilen. Also könnte ich so gegen Mittag dort sein“, antwortete Begay.

„Gut! Sie melden sich bei Sheriff Lawson in Safford. Ich werde ihm mitteilen, dass Sie kommen. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie wieder da sind!“ Blackhat stand auf und verabschiedete Begay mit einem kräftigen Händedruck.

III

Am nächsten Tag gegen Mittag erreichte Begay den kleinen Ort Safford. Er fuhr über die in Folge der Sommerhitze immer wieder geflickte Main Road zwischen hübschen aus Adobe errichteten Häusern im Westernstil und altertümlichen Straßenlaternen entlang. Nach Süden gab die Hauptstraße den Blick auf das wuchtige Massiv des Mount Graham frei. Vor dem Büro des Sheriffs stellte er seinen Wagen ab.

Sheriff Lawson, ein freundlicher Mitvierziger, der die gut erhaltene sportliche Jugendlichkeit vieler Amerikaner seines Alters verströmte, hatte Begay schon erwartet. Lawson war blond und blauäugig und seiner Haut sah man an, dass er seine Arbeit nicht nur im Büro verrichtete. Wie bei vielen Weißen, die hier im Südwesten viel draußen arbeiteten, zeigte seine rötlich-braune Gesichtsfarbe, dass er in Gefahr war, Hautkrebs zu entwickeln.

„Setzen Sie sich, Frank, setzen Sie sich“, sagte Lawson freundlich und gestikulierte zu einem Ledersessel hin.

„Wollen Sie etwas trinken?“, fragte er. Als Begay verneinte, fuhr er fort: „Captain Blackhat hat Sie mir schon angekündigt. Wir freuen uns, einen so kompetenten Ermittler und Fährtenleser hier bei uns zu haben!“ Lawson lächelte und zeigte eine Reihe makellos weißer Zähne.

„Also, es geht um Folgendes …“, leitete Lawson mit kurzen Worten ein, „am letzten Donnerstag, also vor sechs Tagen, ist am Mount Graham ein gewisser Robbie Timmons verschwunden. Ein Geologe von einer Firma in Tucson, der im Auftrag des MGIO, Mount Graham International Observatory, eine Trasse für die neue Straße auf den Mount Graham suchen sollte. Wir haben ihn natürlich suchen lassen, nachdem wir von seiner Frau um Hilfe gebeten wurden, aber wir konnten nicht die geringste Spur von ihm entdecken.“

„Ist denn sicher, dass er überhaupt am Mount Graham war?“, fragte Begay.

„Ja, sein Auto steht jedenfalls am Fuß des Berges. Wir haben es dort auch stehen lassen, falls er doch noch auftaucht. Aber da verliert sich seine Spur.“

Lawson holte eine topographische Karte hervor und zeigte Begay den Platz, an dem Timmons seinen Wagen geparkt hatte. Er stand am Fuße des Berges an einer Kehre der Straße, die zu den Teleskopen auf dem Mount Graham führte.

„Gibt es irgendeinen Hinweis auf ein Verbrechen?“, fragte Begay. „Nein“, antwortete Lawson. „Aber Sie wissen ja, dass die Bebauung des Mount Graham bei vielen Menschen nicht unbedingt auf Zustimmung stößt. Da sind die Apachen, für die die Bebauung eine Entweihung ihres Heiligtums bedeutet, außerdem die Naturschützer. Auf dem Mount Graham gibt es einige Pflanzen- und Tierarten, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt“, erzählte Lawson offensichtlich mit einem Anflug von Lokalstolz. „Ich bin früher auch gerne auf den Berg gegangen zum Jagen und Campen“, fügte er hinzu.

„Also könnte es sich durchaus um ein Verbrechen handeln“, überlegte Begay.

„Ja, aber es kann natürlich auch sein, dass Timmons sich einfach verirrt hat, oder dass er sich ein Bein gebrochen hat und dort nicht mehr ohne Hilfe wegkommt.“

„Haben Sie ihn denn mit Hunden gesucht?“, fragte Begay.

„Ja, aber die haben die Spur irgendwann verloren.“

„Dann ist es also nicht so wahrscheinlich, dass er da noch irgendwo herumirrt“, dachte Begay laut nach.

Lawson wechselte das Thema: „Wir haben ein Zimmer im Mount Graham Motel für Sie reserviert.“ Er grinste.

„Gut, dann werde ich jetzt erstmal zum Berg fahren“, sagte Begay. „Kann ich diese Karte haben?“

„Natürlich“, antwortete Lawson und schlug sie schnell zusammen.

Sie verabschiedeten sich und Begay trat wieder auf die in mittäglicher Hitze daliegende Straße hinaus. Er ging zu seinem Wagen und machte sich auf den Weg zum Mount Graham. Der Weg zu dem Berg, der die gesamte Landschaft überragte, war leicht zu finden. Begay bog von der Swift Trail Road, die um den Berg herumführte, auf die Straße ab, die auf den Gipfel führte und entdeckte in einer der ersten Kehren den weißen Pick-up von Timmons. Er parkte seinen Wagen daneben und folgte den leicht auszumachenden Spuren, die die Mannschaft des Sheriffs hinterlassen hatte. Die Hunde hatten die Witterung von Timmons anfangs ja gehabt, so dass er sicher in der richtigen Richtung ging, auch wenn hier keine Spuren von Timmons mehr festzustellen waren. Wegen seiner Höhe von über dreitausend Metern umfasste der Mount Graham sechs Klima- und Vegetationszonen. Hier unten herrschte ein trockener Wald aus Chiricahua- und Ponderosapinien vor, aber um so mehr sich die Spur, der Begay folgte, am Berg aufwärts zog, desto mehr mischten sich Tannen und einzelne Laubbäume darunter.

Nach etwa einer Stunde erreichte Begay eine Lichtung, auf der frisches Gras und verschiedene Wildblumen den verschlun genen Lauf eines kleinen Baches säumten. Das Gras war in weitem Umkreis platt getreten und die Spuren der Hundeführer mit ihren Tieren überlagerten sich immer wieder und liefen in verschiedene Richtungen. Offensichtlich hatten die Hunde hier die Spur verloren und waren mal hierhin und mal dorthin gelaufen. Begay sah sich genauer um und entdeckte den Grund dafür. Zwischen den Spuren von Hunden und Menschen fand er die Abdrücke vieler Hirsche. Ein starkes Rudel schien sich hier öfter zum Äsen aufzuhalten. Das erklärte, warum die Hunde Timmons Spur verloren hatten: Der starke Wildgeruch überdeckte hier überall die Witterung des Menschen und die Hunde könnten auch einfach viel interessierter an diesem Geruch gewesen sein, als an dem des Mannes, dem sie folgen sollten.

Nachdem Begay sich in allen Richtungen umgesehen hatte, beschloss er, der wahrscheinlichen Richtung von Timmons Route weiter zu folgen. Bisher war diese Route kaum merklich, aber doch stetig ansteigend um den Berg herum verlaufen. „So, wie man eine Straße auf einen Berg anlegt“, dachte Begay, „ständig an Höhe gewinnend, aber dabei ohne großes Gefälle oder starken Anstieg.“ In der vermuteten Richtung überquerte Begay die Wiese. An deren Ende ragten ein paar Felsklippen auf. Diese würde die Straße umgehen müssen. Da sie recht steil anstiegen, entschied sich Begay für den wahrscheinlicheren Weg an ihrem Fuß entlang. Er schien recht zu behalten. Während die Spuren der Polizeiaktion erst aus den letzten zwei bis drei Tagen stammten, fand er jetzt Hinweise darauf, dass vor knapp einer Woche auch schon ein Mensch hier gewesen war. Der Sheriff und seine Leute hatten am Sonntag und Montag in dieser Gegend gesucht, Timmons war aber am vergangenen Donnerstag zum Mount Graham aufgebrochen.

In dem unwegsamen Gebüsch unterhalb der Felsen entdeckte Begay etliche von Menschen abgeknickte Zweige, von denen einige deutlich schon Tage vor der Suchaktion der Polizisten gebrochen worden waren. Nachdem er die Spuren von Hunden und Polizisten, die noch ein Stück weiterführten, hinter sich gelassen hatte, entdeckte er schon bald Anzeichen dafür, dass jemand hier weitergegangen war. Begay orientierte sich an der vermuteten Route und ging im Zickzack von oben nach unten und wieder zurück, entlang dieser Route. Als er der Richtung weiter durch das Unterholz folgte, fand sich immer wieder ein abgeknickter Zweig oder ein Stein, dessen bemooste Seite nach unten lag, ein deutliches Zeichen, dass ein Mensch ihn beim Gehen umgestoßen hatte.

Nach einer weiteren Stunde beschloss Begay umzukehren, da es bald dunkel werden würde. Durch die hoch aufragenden Baumstämme konnte er ab und zu einen Ausblick über die weite Ebene erhaschen, die sich zu Füßen des Bergmassivs ausdehnte. Die Sonne stand bereits tief über dem Horizont und der Saum des Himmels begann sich bereits zu zarten Gelb- und Rottönen zu verfärben. In kurzer Zeit würde er keine Spuren mehr finden können und er musste noch zurück zu seinem Auto laufen. Begay markierte sich auf der Karte in etwa die Stelle, an der er die letzten Spuren hatte ausmachen können und machte sich auf den Rückweg.

IV

Am nächsten Morgen machte er sich schon in aller Frühe auf den Weg. Im Motel schien noch niemand wach zu sein. Er trank zwei Tassen Kaffee aus einem Automaten, frühstückte ein paar Donuts, die für die Frühaufsteher unter den Gästen bereitstanden und machte sich auf den Weg. Diesmal fuhr er die Straße auf den Berg zunächst bis zu ihrem Ende auf dem Gipfel. Vom Abzweig der Swift Trail Road bis dorthin waren es circa zwanzig Meilen. Die Asphaltstraße zog sich in stetiger Steigung und zahlreichen Kehren bis auf etwa dreitausend Höhenmeter, wo sie in eine Staubstraße überging.

Empfänglich für die Schönheit der Natur wie alle Navaho, wollte er den Ausblick von dem Bergmassiv genießen, das alles in seiner Nähe überragte. Außerdem konnte es aber auch nicht schaden, sich einen Überblick über die Landschaft von oben zu verschaffen. Die riesigen Teleskopanlagen standen glücklicherweise nicht auf dem höchsten Punkt des Gipfelbereichs und so stellte Begay seinen Wagen ab und ging zu Fuß den Rest der Strecke bis zum Gipfel. Von hier oben hatte man eine atemberaubende Aussicht. Begays Blick schweifte über die weiten bewaldeten Hänge des Berges, die Pinaleno und Galiuro Mountains, zu den Pedergosa Mountains und zum Dos Cabezas und Chiricahua Peak nahe der mexikanischen Grenze, nach Osten zu den weit entfernt in New Mexiko im Dunst verschwimmenden Mogollon Bergen und zu den Gila Mountains auf der nördlich gelegenen San Carlos Indian Reservation. Irgendwo dahinter lag seine Heimat, die Navaho Reservation. Begay fröstelte in der kalten Bergluft. Er nahm eine Hand voll Maispollen aus seinem Medizinbeutel und sprach ein Gebet, während er die Pollen im Wind fortfliegen ließ.

Begay parkte seinen Wagen diesmal an einer Stelle oberhalb der Gegend, in der er am vorhergegangenen Tag seine Suche beendet hatte und ging von dort aus querfeldein bergab, bis er diesen Punkt wieder gefunden hatte. Er arbeitete sich in derselben Richtung wie am Vortag weiter und entdeckte bald darauf weitere Anzeichen dafür, dass Timmons hier entlanggekommen war. Nach einer Weile kam Begay an eine Lichtung, von der aus man einen fantastischen Blick über das Tal hatte. An einem großen Felsblock häuften sich die Spuren von Timmons und als Begay darunter sah, bemerkte er einen durchsichtigen Cellophanbeutel mit Plastik- und Papierabfällen darin, wahrscheinlich die Reste von Timmons Frühstück, dachte Begay missbilligend. Im Sand vor dem Felsblock bemerkte er, dass Timmons dort mit den Füßen gescharrt hatte und als er näher hinsah, entdeckte er die Stumpen von zwei ausgetretenen Dunnhill-Zigarillos, einer Rauchware, die zumindest in diesem Teil des Landes sicher eher selten konsumiert wurde. Begay nahm die Kippen auf und steckte sie in einen Plastikbeutel. Es würde vielleicht sinnvoll sein, Timmons Frau zu fragen, ob er diese Marke rauchte.

Begay setzte seinen Weg auf Timmons Spuren in den Wald hinein fort. Hier gab es mehr deutliche Veränderungen auf dem Boden, geknickte Halme oder abgebrochene Zweige an Büschen und Bäumen als vorher. Begay konnte den Spuren des Geologen jetzt mühelos folgen. Er fand sogar so viele Spuren, dass er nicht genau sagen konnte, in welche Richtung Timmons weiter gegangen war. War er in verschiedene Richtungen gelaufen, um das Terrain genauer zu untersuchen? Oder waren hier mehrere Personen gewesen?

Jeder Mensch hat seine eigene und unverkennbare Art, sich zu bewegen. So hinterlässt auch jeder Mensch spezifische Spuren. Einige der Spuren, die Begay hier feststellen konnte, unterschieden sich deutlich von denen Timmons, denen er schon so lange gefolgt war. Außerdem waren hier Spuren mehrerer Personen, die nebeneinander oder hintereinander gegangen waren. Begay war sich jetzt sicher, dass hier eine Gruppe von Menschen ebenfalls vor ein paar Tagen entlanggegangen war. Hatten sie Timmons gesucht oder verfolgt? Dass diese Gruppe weitab von einem Pfad in der unwegsamem Wildnis des Mount Graham dieselbe Richtung eingeschlagen hatte wie Timmons, konnte kaum ein Zufall sein. Begays Jagdinstinkt war geweckt. Er widerstand aber der Versuchung schneller zu gehen, um keine Spuren zu übersehen. Er kam zu einem jungen, abgestorbenen, etwa in der Mitte abgebrochenen Baum, dessen obere Hälfte auf dem Boden lag. In größerem Umkreis waren viele Grashalme und Zweige geknickt oder abgebrochen, teilweise war der Waldboden aufgewühlt. Diese Spuren deuteten auf Körper hin, die sich schnell oder mit großem Kraftaufwand bewegt hatten. Hatte hier ein Kampf stattgefunden? War der Baum gebrochen worden, als ein Körper gegen ihn gestoßen wurde oder jemand versucht hatte, sich an ihm festzuhalten?

Begay sah sich, von dieser Stelle ausgehend, in der Umgebung genauer um. Eine leichte Erhebung unter einer eng stehenden Baumgruppe, deren Zweige den Boden fast berührten, erregte seine Aufmerksamkeit. Begay zwängte sich durch die Äste. Die Erde auf dem Hügel war bewegt worden und die Zweige und Blätter darauf lagen hier noch nicht lange. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube begann Begay in der Erde zu scharren. Der Boden war so locker, dass es nicht schwer war, ihn mit bloßen Händen abzutragen. Nach kurzem Graben bestätigten sich seine Befürchtungen. Als er Blattwerk und Erde davon abtrug, lag ein Arm mit einer kreideweißen, bläulich marmorierten Hand vor ihm. Begay konnte einen Ausruf des Entsetzens nicht unterdrücken. Fast panisch sprang er zurück. Schon seit frühester Kindheit hatte man ihm beigebracht, dass der Kontakt mit dem Tod oder die Berührung eines Toten Unheil bedeuteten. Der chindi, der böse Geist des Toten, konnte ihn verfolgen und er würde erst durch eine Reinigungszeremonie wieder zur Normalität und Gesundheit zurückfinden.

Begay atmete tief ein und beugte sich wieder über den Toten. Methodisch arbeitete er sich an dem Arm entlang weiter vor. Zwischendurch stand er ab und zu auf und ging ein Stück von dem Grab weg, um frische Luft einzuatmen, bevor er sich mit angehaltenem Atem wieder an die Arbeit machte. Die Leiche lag hier seit etwa einer Woche und es war heiß gewesen. Über dem karierten Hemd tauchte ein mit Erde besprenkelter, aufgedunsener Kopf auf, der mit rotblondem, lockigem Haar bedeckt war. Kein Zweifel: Das war Timmons! Begay nahm eine Bewegung wahr und als er auf die blutverkrustete Stelle am Kopf sah, von der sie ausging, bemerkte er, dass sich Würmer darin wanden.

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