Kitabı oku: «Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht», sayfa 2

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Schwierigkeiten bereitet aber die konkrete Feststellung einer Interpolation, da kaum Vergleichsmaterial vorhanden ist, das geeignet wäre, hinreichend Auskunft über den Rechts- oder Textzustand vor Justinian zu geben. Aus diesem Grund ist die Interpolationenkritik in hohem Maße spekulativ: Die meisten Interpolationsbehauptungen beruhen auf Vorurteilen und Unterstellungen, die in der Regel davon abhängen, wie viel Grundvertrauen der Interpret der Authentizität des Textes entgegenbringt. In der Literatur vom Ende des 19. und vom Beginn des 20. Jahrhunderts war dieses Vertrauen besonders gering: Als Interpolationskriterien galten typische Wendungen und besonders interpolationsverdächtige Wörter, aber auch das Postulat, eine (scheinbar) unzureichende Argumentation oder terminologische Schwäche könne nicht von einem römischen Juristen stammen. Eine eigene Dynamik gewannen diese Argumente, indem sie kombiniert wurden: So wurde aus einem ‚nachweislich‘ interpolierten Fragment auf die Interpolation eines bisher unverdächtigten Textes geschlossen, auch wenn gar kein gleichartiges Interpolationsindiz vorlag. Ein solches Vorgehen ist etwa dann zu beobachten, wenn ein aufgrund argumentativer Schwächen verdächtigtes Fragment zum Beweis der Interpolation eines anderen Fragments verwendet wird, obwohl die Übereinstimmungen zwischen beiden Texten nicht argumentativer, sondern nur stilistischer Natur sind. Diese methodischen Schwächen waren der Ansatzpunkt für die Gegenbewegung, die ‚Kritik der Interpolationenkritik‘, wie sie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte. Diese kritischen Stimmen hoben hervor, dass der justinianische Auftrag vorrangig auf die Beseitigung von Überflüssigem, vor allem auf die Streichung von Wiederholungen und rechtlich Überholtem sowie auf die Ausmerzung von Widersprüchen zwischen einzelnen Juristen abgezielt habe.

Das eigentliche Ende erlebt die Interpolationenkritik jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg: Vor allem Max Kaser hat die Notwendigkeit betont, die Textkritik an die Sachforschung anzulehnen. Es muss daher in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die behauptete Interpolation einem sachlichen Motiv Kaiser Justinians entsprechen könnte. Alle lediglich auf stilistische Eindrücke gestützten Verdächtigungen sind in der Regel zurückzuweisen. Diese Zurückhaltung wird durch den Vergleich mit dem außerhalb der Kompilation Justinians überlieferten Material bestärkt: Soweit erkennbar, beschränken sich die Eingriffe der Kompilatoren auf stilistische Anpassungen und vor allem auf Kürzungen. Freilich sind die meisten Vergleichstexte nur bruchstückhaft oder auszugsweise in Sammelwerken aus dem 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. erhalten. Somit sind die Vergleichsmöglichkeiten gering und das Vergleichsmaterial ist seinerseits nicht frei von überlieferungsbedingten Veränderungen.

Nur ein einziges Werk ist außerhalb des justinianischen Corpus vollständig überliefert: die 1816 wiederentdeckten Institutionen des Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.).

1.2.3 Institutionen des Gaius

Das Werk stammt aus der Zeit um 160 n. Chr. Sein Autor, Gaius, war wahrscheinlich als Rechtslehrer tätig und dürfte aus der griechischsprachigen Provinz stammen. In vier Bücher gegliedert, führt sein Werk den juristischen Studienanfänger in das Personenrecht (personae = „Personen“), das Vermögensrecht (res = „Sachen“) und die Rechtsdurchsetzung (actiones = „Klagen“) ein. Die Institutionen des Gaius sind im Folgenden mit dem abgekürzten Verfassernamen „Gai.“ unter Angabe des Buches und des Kapitels zitiert. Das Werk ist für die Kenntnis des antiken römischen Rechts von besonderem Wert, weil es nicht nur einen Einblick in die Organisation des Rechtsunterrichts im Prinzipat gibt, sondern auch von Rechtsinstituten oder Gesetzgebungsakten handelt, die in der justinianischen Kompilation gestrichen wurden oder bereits außer Gebrauch waren. Dies gilt auch für das Erbrecht, dem Gaius einen eigenen Abschnitt widmet.

1.3 De testamentis et de legatis

Gaius unterteilt das Kapitel über den Erwerb von Eigentum in zwei Abschnitte:

Übersicht 3: Das Erbrecht in Gaius’ Institutionen 3


Der erste Abschnitt ist dem Singularerwerb von Sachen gewidmet, wie er vor allem durch Rechtsgeschäft unter Lebenden verwirklicht wird. Im zweiten Abschnitt behandelt Gaius dagegen den Universalerwerb, wie er vorrangig beim Erbfall stattfindet (in der Übersicht 3 hervorgehoben). Dabei kommt nicht nur die auf dem Willen des Erblassers beruhende Erbfolge nach dem Testament, sondern auch die von Gesetzes wegen angeordnete Erbfolge ohne Testament (Intestaterbfolge, von intestato = „ohne Testament“) zur Sprache. Vor allem aber erörtert Gaius an dieser Stelle auch die Vermächtnisse (Legate, von legare = „vermachen“), die dem Begünstigten (Vermächtnisnehmer oder Legatar) nach dem Tod des Erblassers das Recht an einer Sache zuweisen. Da die Vermächtnisse nach der übergeordneten Gliederung des Lehrbuchs an sich beim Singularerwerb zu erörtern wären, zeigt die Zuordnung als Annex zu Testament und Intestaterbfolge, dass Gaius den erbrechtlichen Erwerb – unabhängig von Gegenstand und Umfang – als einheitliche Erscheinung ansieht. Damit wird unter dem Titel „von den Testamenten und von den Legaten“ (de testamentis et de legatis) das Erbrecht als eigenständiges Rechtsgebiet erfasst.

1.3.1 Die Komplexität des römischen Erbrechts

Schon die weitere Gliederung des Abschnitts de testamentis et de legatis bei Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) offenbart die Komplexität des römischen Erbrechts.

Übersicht 4: Kapiteltitel in den Abschnitten zum Universalerwerb bei Gaius


Wie die Übersicht 4 zeigt, gibt es nicht nur allgemeine Regeln für die Errichtung von Testamenten, sondern es gelten zusätzlich besondere Vorgaben für die Testamente von Soldaten (siehe 2b). Zudem ist die Möglichkeit, ein Vermächtnis zu errichten, durch die Möglichkeit, Fideikommisse aufzuerlegen (siehe 3g), gleichsam verdoppelt, weil der Erblasser nicht nur förmliche Vermächtnisse (= Legate), sondern auch formlose Vermächtnisse (= Fideikommisse) aussetzen kann. Zuletzt tritt beim Erbschaftserwerb ohne Testament neben das gesetzliche Erbrecht ein besonderes prätorisches Erbrecht (bonorum possessio, siehe 4b). Auch existieren Sonderregeln für das gesetzliche Erbrecht von freigelassenen Sklaven (siehe 4c – f). Schon die Gliederung der Institutionen des Gaius lässt damit zwei wesentliche Züge des römischen Erbrechts hervortreten: Die Vielfalt von Instituten vergleichbarer Zwecksetzung und die große Anzahl an Ausnahme- und Sondervorschriften für bestimmte Gruppen oder Situationen. Diese Heterogenität des römischen Erbrechts ist in der Forschung als juristische Schwäche angesehen worden:

In der Rechtstechnik steht das Erbrecht dieser Periode [sc. des klassischen Rechts] den meisten anderen Gebieten des Privatrechts nach. Ähnlich etwa dem Vormundschaftsrecht, ist es kompliziert und unübersichtlich; die allgemeinen Sätze werden von zahlreichen Ausnahmen durchbrochen und bisweilen überwuchert. […].4

Führt man sich allerdings vor Augen, dass diese Komplexität des römischen Erbrechts das Ergebnis einer historischen Entwicklung darstellt, bietet gerade die vermeintliche Schwäche dieses Rechtsgebietes die Möglichkeit, die Entstehung und das Zusammenspiel unterschiedlicher Entwicklungsstufen des römischen Privatrechts zu untersuchen. Als charakteristisch für die römische Rechtsentwicklung gilt, dass sich die verschiedenen Entwicklungsstufen nicht sukzessive ablösen, sondern anhäufen. Man kann das römische Erbrecht daher auch als für den Rechtshistoriker besonders reizvolles Gebiet ansehen:

However, it is just this characteristic [sc. the fine network] of the Roman law of succession which renders it a particularly interesting field for legal historians. The labyrinthine law cries out for historical analysis; available materials are unusually rich; all factors in Roman legal evolution are clearly visible, in particular the strength of Roman jurisprudence as well as its limits and shortcomings.5

Kein anderes Rechtsgebiet des römischen Privatrechts bietet derartig reiches Anschauungsmaterial, um die Rechtsentwicklung und die damit verbundene Anhäufung verschiedener Rechtsschichten im Detail beschreiben und beobachten zu können.

Der Grund für die gerade im Erbrecht zu beobachtende Kumulation verschiedener Privatrechtsordnungen ist im für die römische Rechtsentwicklung typischen Beharren auf dem Überkommenen zu suchen. Der sprichwörtliche ‚Traditionalismus‘ der römischen Juristen verhindert die Abschaffung und Aufhebung althergebrachter Rechtsvorschriften und führt dazu, dass das neu eingeführte Recht neben das bestehende tritt, ohne dieses abzulösen. Die damit fast zwangsläufige Anlagerung von Rechtsquellen unterschiedlicher historischer Provenienz und abweichender rechtspolitischer Zielsetzung entspricht der von den römischen Juristen befolgten Methode.

1.3.2 Zur Methode der römischen Juristen

Die in den Digesten überlieferten Juristenschriften enthalten vorrangig Fallrecht, das heißt die Entscheidung von Einzelfällen. Daher spricht man davon, die römische Rechtsfindung sei ‚kasuistisch‘, erfolge also durch Fortentwicklung des Rechts von Fall zu Fall. Dabei bildet sich neues Recht immer dort, wo ein bisher nicht vorgesehener Fall zu entscheiden ist oder auch nur zur Erörterung eines neuen Rechtsproblems vom Juristen formuliert wird. Das vom Juristen an diesem Fall erstmalig gefundene Recht bedarf aber der Fundierung im Bestehenden; es kann nur als Fortdenken der bereits existierenden Ordnung und damit durch die Akzeptanz der Fachgenossen bestehen. Schon ihrer Natur nach ist die kasuistische Rechtsfindung daher immer konservativ; ein Wertewandel kann sich nur schrittweise durchsetzen. Durch Gesetzgebung sind dagegen jederzeit Umwälzungen, Reformen und Neuanfänge möglich. Soweit ein Gesetz oder ein kaiserlicher Erlass zu Konflikten oder Friktionen mit der Tradition führt, sind es ebenfalls die Juristen, die im Einzelfall den Ausgleich zwischen den verschiedenen Vorgaben herzustellen suchen. Auch diese Anpassung erfolgt also mittels Einzelfallentscheidung.

1.3.3 Drei Leitfragen

Aufgrund der skizzierten Besonderheiten der römischen Rechtsordnung wie der Rechtsfindungsmethode der römischen Juristen kann das römische Privatrecht nur als Entwicklungsprozess dargestellt und beschrieben werden. Genau diese Entwicklung des rechtlichen Denkens soll durch die Untersuchung des römischen Erbrechts erfasst werden. Aus diesem Grund erfolgt die Darstellung der Institute des römischen Erbrechts unter den drei folgenden Leitfragen:

1) Welche Entwicklungsstufen sind für eine Regelung des römischen Erbrechts zu erkennen und zu unterscheiden?

2) Welche Grundsätze gelten für die jeweilige Entwicklungsstufe und woraus ergibt sich ihre besondere Prägung?

3) Auf welche Weise greifen die Juristen auf die zu ihrer Zeit existenten Rechtsschichten zurück, und wie bringen sie konkurrierende Rechtsschichten im Einzelfall zum Ausgleich?

Antworten auf diese drei Leitfragen werden zunächst separat für jedes behandelte erbrechtliche Institut am Ende des jeweiligen Kapitels formuliert (Fazit). Schließlich sind im Rahmen der Ergebnisse (Kap. 10) die Folgerungen für das Erbrecht als Rechtsgebiet und die Erbrechtsentwicklung in Rom insgesamt zu ziehen.

1.4 Gang der Darstellung

Die einzelnen Kapitel des Hauptteils (Kap. 3 bis Kap. 9) sind jeweils einem einzelnen erbrechtlichen Thema oder Rechtsinstitut gewidmet, das in seinen historischen Entwicklungsstufen dargestellt und dadurch in seiner Vielschichtigkeit entwirrt werden soll. Dabei sind nicht alle Themen des römischen Erbrechts angesprochen. Wegen ihrer Besonderheit wurde etwa auf die Behandlung der testamentarischen Vormundschaft, der Freilassung und der Schenkung von Todes wegen verzichtet. Bezweckt wurde vielmehr, die Grundbegriffe des Erbrechts in der durch die Quellen vermittelten Komplexität anzusprechen. Daher sind auch Fragen des öffentlichen Rechts und des Strafrechts behandelt, wenn sie Bedeutung für das Erbrecht haben; zudem sind Regelungen, deren Komplexität aus heutiger Sicht übersteigert scheint, ausführlich aufgenommen worden, um ein möglichst genaues historisches Bild des römischen Erbrechts zu zeichnen. Schon aus diesem Grund musste die Darstellung des jeweiligen Themas direkt aus den justinianischen Quellen erfolgen. Dieses Vorgehen hat auch den Vorzug, dem Leser einen unmittelbaren Eindruck von der Fachdiskussion der römischen Juristen zu vermitteln. Zur Erleichterung des Zugangs sind die exemplarisch zitierten Quellen auch in deutscher Übersetzung abgedruckt.6 Bei Bedarf sind Übersichten eingefügt, die das Behandelte zusammenfassen; in diesen sind die wichtigsten Ergebnisse farblich hervorgehoben.

Auf die Darstellung von Forschungskontroversen oder abweichender Literaturmeinungen wurde grundsätzlich verzichtet. Die Literaturangaben am Schluss des Buches erlauben dem interessierten Leser, sich über den Forschungsstand zu informieren. Diese Literaturauswahl erfasst einerseits für Studenten gut zugängliche Werke und andererseits Forschungsliteratur, die als grundlegend für die behandelte Sachfrage anzusehen ist.

Das folgende Kapitel (Kap. 2) dient dazu, beim Leser die Voraussetzungen für die Betrachtung der Rechtsschichten der einzelnen erbrechtlichen Institute zu schaffen. Zu diesem Zweck ist der Leser mit einigen Eckdaten der römischen Geschichte sowie mit grundlegenden Informationen zur römischen Rechtsentwicklung auszustatten.

1 Der Text folgt der Transkription von Octave Guéraud/Pierre Jouguet, Un testament latin per aes et libram de 142 après J.-C. (Tablettes L. Keimer), Études de papyrologie 6 (1940) 1 – 20 sowie Jean Macquéron, Le testament d’Antonius Silvanus (Tablettes Keimer), RHD 23 (1945) 123 – 170; Korrekturen nach Detlef Liebs, Das Testament des Antonius Silvanus, römischer Kavallerist in Alexandria bei Ägypten, aus dem Jahre 142 n. Chr., in: Klaus Märker/Christian Otto (Hrsg.), Festschrift Weddig Fricke, Freiburg 2000, 113 – 128; eine neuere Übersetzung findet sich bei Benedikt Strobel, Römische Testamentsurkunden aus Ägypten vor und nach der Constitutio Antoniniana, München 2014, 65 – 109.

2 Eine Rekonstruktion der Juristenwerke wurde unternommen von Otto Lenel, Palingenesia iuris civilis, 2 Bde., Leipzig 1889 (Nachdr. Graz 1960 mit einem Supplement von Lorenz Edgar Sierl, davon 2. Neudr. Aalen 2000).

3 Aus: Ulrich Manthe, Gaius Institutiones, 2. Aufl. Darmstadt 2010, 8 f.

4 Max Kaser, Das römische Privatrecht. Erster Abschnitt, München2 1971, § 157.III, 671. Dieser Standpunkt findet sich bereits bei Fritz Schulz, Classical Roman Law, Oxford 1951, 203, der betont: „Classical jurisprudence discussed the law of succession on death with obvious predilection and at the same time admirable delicacy, but […]. This part of classical law was highly complicated and to a large extent perplexedly entangled, but the classical lawyers did little to simplify it. Their professional relish for details and for vexed questions was too strong for them, and, absorbed in the spinning of this fine network, they forgot the maxim simplicitas legum amica.“

5 Fritz Schulz, Classical Roman Law, Oxford 1951, 204.

6 Alle Übersetzungen wurden von Thamar Xandry und Ulrike Babusiaux eigenständig angefertigt. Als Hilfsmittel für die Digesten wurden die alte deutsche Übersetzung von Carl Eduard Otto/Bruno Schilling/Carl Friedrich Ferdinand Sintenis (Hrsg.), Das Corpus Juris Civilis in’s Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter, 7 Bde., Leipzig 1830 – 1833 sowie die neue deutsche Übersetzung herangezogen, im Einzelnen: Rolf Knütel/Bertold Kupisch/Sebastian Lohsse/Thomas Rüfner (Hrsg.), Corpus iuris civilis I: Institutionen, 4. Aufl. Heidelberg 2013; Okko Behrends/Rolf Knütel/Bertold Kupisch/Hans Hermann Seiler (Hrsg.), Corpus iuris civilis II: Digesten 1 – 10, Heidelberg 1995; dies. (Hrsg.), Corpus iuris civilis III: Digesten 11 – 20, Heidelberg 1999; Rolf Knütel/Bertold Kupisch/Hans Hermann Seiler/Okko Behrends (Hrsg.), Corpus iuris civilis IV: Digesten 21 – 27, Heidelberg 2005; Rolf Knütel/Bertold Kupisch/Thomas Rüfner/ Hans Hermann Seiler (Hrsg.), Corpus iuris civilis V: Digesten 28 – 34, Heidelberg 2012. Für die Institutionen des Gaius wurde die Übersetzung von Ulrich Manthe, Gaius Institutiones, 2. Aufl. Darmstadt 2010, konsultiert.

2 Voraussetzungen

Das Erbrecht ist mehr als jedes andere Rechtsgebiet von den kulturellen Prägungen einer Gesellschaft abhängig. Ein vertieftes Verständnis und die Darstellung der historischen Entwicklung des römischen Erbrechts verlangen daher Kenntnisse des allgemeinen historischen wie des rechtshistorischen Rahmens, in dem sich die Erbrechtsentwicklung vollzieht.

Im Folgenden ist zunächst die historische Entwicklung Roms zu skizzieren, bevor die wichtigsten Stadien der römischen Rechtsentwicklung zu beschreiben sind.

2.1 Der allgemeine historische Rahmen

Die Geschichte Roms lässt sich in die Zeit der Republik (510 – 27 v. Chr.), des Prinzipats (27 v. Chr. – 284 n. Chr.) und der Spätantike (306 n. Chr. – 565 n. Chr.) einteilen.

Übersicht 5: Zeittafel zur Orientierung


Zur Orientierung sind im Folgenden diese Eckdaten zu erläutern und Schlaglichter auf einige Ereignisse und Akteure zu werfen, die für die Rechtsentwicklung bedeutsam waren.

2.1.1 Die römische Republik

Nach römischer Geschichtsschreibung beginnt die Republik mit dem Sturz des letzten Königs, der seine Herrschaft über die Stadt Rom und das Umland (Latium) ausgeübt hatte. Mit dem Sturz des Königs scheint die Macht in die Hände von einflussreichen und wohlhabenden Familien (Patriziern) übergegangen zu sein, die alle Schlüsselpositionen des Staates besetzten. In der Nachfolge des Königs stand der Höchstmagistrat (praetor maximus), wobei der Name praetor (von praeire = „vorangehen“) darauf hindeutet, dass er zugleich der Heerführer gewesen sein dürfte. Im Unterschied zum Königtum wurde das Amt jährlich neu vergeben, also wechselweise von Angehörigen der Patrizier ausgeübt.

Die nicht an der Macht beteiligten Bevölkerungsgruppen entwickelten mit der Zeit ein eigenes Standesgefühl und wurden als Plebejer (von plebs = „Menge“) bezeichnet. Da sie an den Kriegen Roms teilnehmen mussten, forderten sie Beteiligung an der politischen Macht. Zugeständnisse der Patrizier wurden in verschiedenen Schritten erreicht: So erhielten die Plebejer 494 v. Chr. zwei eigene Magistrate, die als Gegengewicht zur Herrschaft der Patrizier durch den praetor maximus dienten. Diese Magistrate wurden als Vorsteher der Plebs (tribuni plebis) gewählt und auch von den Patriziern als unantastbar (sakrosankt, von sacrosanctus = „unverletzlich, hochheilig“) angesehen. Auf diese Weise konnten die Volkstribune die Plebejer gegen magistratische Willkür schützen, indem sie Widerspruch (veto) gegen Maßnahmen der Patrizier einlegten, selbst aber nicht dafür belangt werden konnten. Im Laufe des fünften Jahrhunderts v. Chr. verdoppelte sich sowohl die Zahl der patrizischen Höchstmagistrate (praetores) als auch die der tribuni plebis auf je vier. Das Recht lag jedoch nach wie vor in den Händen patrizischer Familien, welche die Priester (pontifices) stellten, denen die Auskunft über die Sätze des göttlichen wie des menschlichen Rechts anvertraut war und die dieses Vorrecht – so die römische Geschichtsschreibung – einseitig zugunsten ihres Standes nutzten.

Eine erneute Revolte der plebs richtete sich gegen diese Willkür. Sie mündete in die erste umfassende Fixierung rechtlicher Vorschriften, in das um 450 v. Chr. erlassene Zwölftafelgesetz (lex duodecim tabularum).7 Seine Rechtsvorschriften wurden im Rom der Kaiserzeit auf griechische Vorbilder zurückgeführt: Eine Delegation sei aus Rom in griechische Städte gereist und mit zehn Gesetzestafeln nach Rom zurückgekehrt. In der Rechtsanwendung hätten sich Regelungslücken gezeigt, die durch zwei weitere Tafeln geschlossen worden seien. Auch wenn schon in der Republik die Tafeln des Gesetzes nicht mehr verfügbar waren, dienten die Zwölftafeln im gesamten hier betrachteten Zeitraum als Referenz- und Ausgangspunkt der Rechtsentwicklung. Berühmt geworden ist die Aussage des 27 v. Chr. bis 17 n. Chr. schreibenden Historikers Livius, die Zwölftafeln seien die „Quelle allen öffentlichen und privaten Rechts“ (fons omnis publici privatique est iuris, Liv. 3,34,6).

Zur Befriedung des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern genügte das Zwölftafelgesetz allerdings nicht. Der römischen Geschichtsschreibung zufolge erstritten die Plebejer in verschiedenen weiteren Schritten die Beteiligung an weiteren Ämtern, insbesondere auch an den magistratischen Höchstämtern, der Prätur und dem Konsulat. Nachdem 387 v. Chr. die Gallier Rom eingenommen und zerstört hatten, soll es im Rahmen der Bemühungen um den Wiederaufbau zur entscheidenden Auseinandersetzung und zum Kompromiss zwischen den beiden Ständen gekommen sein. Die leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. sahen vor, dass zwei Konsuln das höchste Staatsamt ausüben sollten, von denen einer Plebejer sein konnte. Im Gegenzug erhielten die Patrizier das Recht, zwei neu geschaffene Magistraturen zu besetzen.

Die eine der neu geschaffenen Magistraturen war eine Prätur, die sich auf die Regelung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern beschränkte. Diesem Prätor, der als praetor urbanus bezeichnet wurde, stand die Befugnis zu, Recht zu sprechen, er hatte also die Jurisdiktionsgewalt inne (von ius dicere = „Recht sprechen“). Diese erfasste ursprünglich vor allem die Zulassung und Überwachung der Vollstreckung, das heißt den zwangsweisen Zugriff auf Person oder Vermögen des Beklagten. Grundlage der vom Prätor überwachten Vollstreckung war zunächst die zugestandene oder offenkundige Verpflichtung des Beklagten, später auch das Ergebnis eines Erkenntnisverfahrens. Das Erkenntnisverfahren selbst wurde nicht vom Jurisdiktionsmagistraten durchgeführt. Dieser setzte vielmehr einen Richter (iudex) ein, der das Erkenntnisverfahren durchzuführen und ein Urteil zu fällen hatte, das dann vollstreckt werden konnte. Aus der Zuweisung des Erkenntnisverfahrens an den Richter ergab sich eine Zweiteilung des Verfahrens in eine erste Phase vor dem Prätor (Phase in iure) und eine zweite vor dem Richter (Phase apud iudicem). Diese Zweiteilung des Prozesses blieb bis in die Kaiserzeit erhalten und ist als Charakteristikum des römischen Zivilprozesses anzusehen.

Die Veränderungen in der inneren Organisation gingen mit ständigen militärischen Auseinandersetzungen einher, in deren Verlauf Rom zunächst Italien unterwarf und sich sodann auch gegenüber Karthago als Konkurrent für die Vorherrschaft im Mittelmeerraum durchsetzte (Erster Punischer Krieg, 264 v. Chr.–241 v. Chr.; Zweiter Punischer Krieg, 218 v. Chr.–201 v. Chr.). Diese Ausweitung der römischen Herrschaft führte zu einer Intensivierung des Handels mit nichtrömischen Städten. In diesem Zusammenhang ist die Einrichtung einer weiteren Prätur zu sehen, deren Inhaber Jurisdiktionsgewalt für die Streitigkeiten zwischen Nichtrömern und zwischen Nichtrömern und Römern hatte. Das Amt des Fremdenprätors (praetor peregrinus) soll im Jahr 242 v. Chr. geschaffen worden sein. Ab diesem Zeitpunkt sind zwei unterschiedliche Rechtsprechungsbereiche der Prätoren zu unterscheiden: Der Stadtprätor (praetor urbanus) entscheidet Streitigkeiten zwischen Römern, der Fremdenprätor (praetor peregrinus) ist für Prozesse zwischen Römern und Nichtrömern oder zwischen Nichtrömern zuständig.

In der Folge wurden weitere Prätorenämter für die Gebiete geschaffen, die Rom dauerhaft besetzte und die nach dem Begriff für den Kompetenzbereich eines Magistraten (provincia) als Provinzen bezeichnet wurden. Unter der Alleinherrschaft des Sulla (82 v. Chr. – 79 v. Chr.) wurde die Zahl der Prätoren auf acht festgesetzt, gleichzeitig wurde bestimmt, dass jeder Prätor nach seiner Tätigkeit in Rom (als praetor urbanus oder praetor peregrinus) ein weiteres Amtsjahr in der Provinz zu verbringen habe (81 v. Chr.). In den Provinzen nahm ein ehemaliger Prätor (Proprätor) die Funktion des römischen Statthalters (praeses provinciae) wahr, zu der vor allem die Jurisdiktionsgewalt über alle Provinzbewohner gehörte. Die Herrschaft der Prätoren folgte den Grundsätzen, die jeder Prätor zu Beginn seines Amtsjahres in einer Anordnung (edictum = „Bekanntmachung“, davon Edikt) niederlegte. Dieses Edikt stellte nicht mehr als ein ‚Programm‘ über die Grundsätze der Amtsführung des Prätors dar. Daher stand dem Gerichtsmagistraten im Einzelfall durchaus die Möglichkeit offen, von seinen eigenen Vorgaben abzuweichen. Seit der lex Cornelia de iurisdictione (67 v. Chr.) war der Prätor aber an sein Edikt gebunden und musste dem Rechtssuchenden die dort vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere die im Edikt vorgesehenen Klagen und Einreden, gewähren. Dabei setzte der Prätor nicht nur die Vorgaben um, die durch das Zwölftafelgesetz und andere Gesetze (leges) formuliert worden waren; vielmehr enthielt das Edikt auch Klageformeln (formulae), die vom Prätor (unter Beratung mit Juristen) aufgrund eigener Jurisdiktionsgewalt geschaffen worden waren.

Im letzten Jahrhundert v. Chr. geriet die römische Republik in eine Krise, die durch innenpolitische Unruhen (Bürgerkrieg) und außenpolitische Bedrohungen gekennzeichnet war. Durch die Abwehr der Bedrohung von außen setzte sich Oktavian (63 v. Chr.–14 n. Chr.) auch im Innern durch: Der Senat verlieh ihm den Ehrentitel „Augustus“ (27 v. Chr.) und erteilte ihm Sondervollmachten, um nach dem Bürgerkrieg die Ordnung des Staates wiederherzustellen. Auf diese Weise wurde formell die Republik erneuert, materiell aber eine neue Staatsform begründet: der Prinzipat.

2.1.2 Der Prinzipat

Als „Prinzipat“ wird die seit der Verleihung von Sondervollmachten an Oktavian (27 v. Chr.) bis zum Beginn der Herrschaft Diokletians (284 n. Chr.) gültige Staatsform bezeichnet. Die Bezeichnung ist abgeleitet vom Begriff princeps (wörtlich: „der Erste“) und bezieht sich auf die besonderen Befugnisse, die Oktavian zunächst persönlich, seinen Nachfolgern kraft ihres Amtes zustanden, und die eine besondere rechtliche Position des Herrschers begründeten. Auch wenn sich das Selbstverständnis und der Machtanspruch des princeps im Laufe der Kaiserzeit ebenso wandelten wie die politischen Gegebenheiten, blieb die rechtliche Konstruktion im Wesentlichen unverändert. Sie beruhte auf zwei bereits in der Republik bekannten Befugnissen, die dem princeps in außerordentlicher Form zuerkannt wurden. Es handelte sich zum einen um eine uneingeschränkte und zeitlich unbegrenzte Kompetenz des Volkstribuns (tribunicia potestas), zum anderen um eine unbegrenzte Amtsvollmacht des Statthalters (imperium proconsulare). Außerordentlich waren diese Befugnisse deshalb, weil der princeps sie ohne die institutionellen Begrenzungen des republikanischen Amtes ausübte: Durch die Verleihung der Befugnisse eines Volkstribuns konnte der Kaiser das den Tribunen zustehende Veto gegenüber allen magistratischen Anordnungen ausüben und – der ursprünglichen Funktion des Amtes entsprechend – den einzelnen Bürger vor magistratischer Willkür schützen. Gleichzeitig war er selbst unantastbar (sakrosankt), so dass das Veto für ihn keine negativen Folgen zeitigte. Da der Kaiser nicht in das Amt des Volkstribuns gehoben wurde, konnte er die tribunicia potestas gelöst von den Begrenzungen und Verpflichtungen des Amtes als wirkungsvolles Instrument der innenpolitischen Machtausübung nutzen. Die Amtsvollmacht des Statthalters dagegen war vor allem für die Außenpolitik, insbesondere für die Herrschaft in den Provinzen, von Bedeutung. Die an Oktavian verliehene Herrschaftsmacht (imperium) war entgegen der für Statthalter gültigen Praxis weder zeitlich noch gegenständlich begrenzt. Der princeps hatte mithin die dauerhafte Obergewalt über die Truppen und das Herrschaftsrecht über alle Bewohner der Provinzen. Zudem kontrollierte er die Statthalter, deren eigene Herrschaftsgewalt über die ihnen zugewiesene Provinz hinter der umfassenderen des princeps zurückstehen musste.

Die skizzierte Herrschaftskonstruktion des Prinzipats brachte freilich mit sich, dass die Thronfolge nicht gesichert war, weil die Gewalt mit dem Tod des princeps immer wieder an das Volk zurückfiel. Damit war es notwendig, schon zu Lebzeiten des princeps einen Nachfolger zu bestimmen und diesem mit Blick auf die Zukunft Teilhabe an den beiden Hauptbefugnissen zu übertragen. Auch war der princeps auf Unterstützung der Eliten des Reiches angewiesen, um beim Herrscherwechsel die Einsetzung seines Nachfolgers auf die beiden Befugnisse zu gewährleisten. Eine besondere Bedeutung bei der Unterstützung des princeps kam dabei den Juristen zu, die von Kaiser Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.), aber auch unter den Kaisern Hadrian (117 – 138 n. Chr.) und Septimius Severus (193 – 211 n. Chr.) eine besondere Förderung erfuhren und an der kaiserlichen Rechtssetzung beteiligt waren.

Mit dem Amtsantritt Oktavians soll ein kaiserliches Respondierrecht (ius respondendi) für Juristen eingeführt worden sein. Diese, als Privileg verstandene Befugnis soll ihrem Inhaber das Recht verschafft haben, Rechtsgutachten (responsa, wörtlich: „Antworten“) nicht nur im eigenen Namen, sondern im Namen des Kaisers zu erteilen, um die vertretene Rechtsansicht mit besonderer Autorität auszustatten. Diese kaiserliche Privilegierung des Respondierrechts von Juristen führte zur Verstärkung der Rechtswirkungen von responsa im Prozess: Während die zuvor privat verantworteten Gutachten als Parteivortrag durch den Prätor und den Richter zu beachten waren, galten die aus der Autorität des princeps erlassenen Gutachten als verbindliche Anordnung (lex, wörtlich „Gesetz“). Sofern also verschiedene Juristen im Namen des Kaisers übereinstimmende Auskünfte über die Rechtslage erteilt hatten, konnte der Richter sein Urteil nicht mehr auf eine abweichende Rechtsansicht stützen. Nur wenn die vorgelegten Gutachten abweichende Meinungen vertraten, blieb ihm die Wahl, sich einer der beiden Meinungen anzuschließen. Der kaiserliche Zugriff auf die Juristen sorgte mithin für eine einheitlichere Rechtsanwendung und führte gleichzeitig zu einer kaiserlichen Kontrolle über das vor Gericht angewandte Recht.

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