Kitabı oku: «Dornröschen muss sterben», sayfa 3

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Ein fürchterliches Wochenende. Menschen überall. Aufdringlich und nervtötend. Besonders diese sogenannten Turner. Hinterlassen nichts als Dreck. Machen Krach am Strand. Bewegen ihre ach so drahtigen Körper im Sand. Die reinste Provokation. Knappe Höschen und T-Shirts zeigen bei jeder Bewegung nackte Haut. Ich habe das genau gesehen. Sport ist denen doch völlig egal. Lächerlich, wie die sich in den Sand schmeißen, übertrieben und lächerlich. Die nennen das Volleyball und in Wirklichkeit ist es nur Reiben der Körper aneinander. Verstohlen, heimlich jede Möglichkeit nutzend, nackte Beine an nackten Beinen zu schubbern. Ganz genau habe ich das beobachtet. Und nachts werden die Versprechen eingelöst, die die aufreizenden Körper tagsüber am Strand gegeben haben. Ich weiß, wovon ich spreche.

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Jannis machte sich keine Gedanken darüber, dass er den Koffer samt Inhalt auf dem Bett hatte liegen lassen, als er loszog. Für solche Kleinigkeiten wie Auspacken war einfach keine Zeit mehr gewesen. Schließlich hatte er eine Verabredung. Er war sich sicher, dass Jens schon auf ihn wartete. Sie hatten bereits Wochen zuvor von zu Hause aus E-Mails ausgetauscht, voller Vorfreude auf ihr Wiedersehen. Punkt elf an der Inselglocke. So hatten sie es verabredet. Sie wollten in aller Ruhe über ihr gemeinsames Hobby quatschen, bevor sie mit den anderen zusammentrafen. Im letzten Jahr hatten sie die Clique ordentlich genervt mit ihrem ständigen Erfahrungsaustausch. Zumindest hatten die so getan. Und zugegebenermaßen war Ahnenforschung kein Thema, mit dem man aktuell punkten konnte. Für die beiden aber gab es kaum etwas Cooleres als die eigene Familiengeschichte, der eine in Bremen, der andere in Wattenscheid.

Eigentlich war Jannis durch ein großes Ärgernis zu diesem Hobby gekommen: Welcher Junge mochte schon gerne Johannes heißen? Verstaubt und antiquiert, so lauteten seine Beschreibungen, wenn jemand auf seinen Namen zu sprechen kam. Er hatte früh darauf bestanden, dass alle ihn Jannis nannten. Das klang wenigstens etwas moderner. Das klappte auch. Seine Freunde, Mitschüler, Lehrer, alle nannten ihn Jannis. Sogar seine Eltern. Nur dann nicht, wenn sie sauer waren. Wenn er den Ruf »Johannes« hörte, wusste er genau, dass der unangenehmere Teil des Tages begann.

Dann hatte er angefangen, sich mit seinem Namen zu beschäftigen, denn sein Großvater hatte Johannes geheißen, und auch sein Vater hieß mit zweitem Namen so. Daraus hatte sich im Laufe der Zeit seine Lieblingsfreizeitbeschäftigung entwickelt. Inzwischen kannte er sich in den Generationen vor ihm und deren Zeit so gut aus, als wären seine Vorfahren nicht schon lange tot, sondern ständig bei ihm. Seine Eltern unterstützten ihn, wo sie nur konnten.

Auch wenn sie ihn manchmal »Johannes« riefen und behaupteten, dass es kaum ein nervtötenderes Hobby gab, als sich ständig mit den Geistern verstorbener Familienmitglieder auseinanderzusetzen.

»Mensch, Jens, super, dich zu sehen.«

Jens war zwar genauso alt wie Jannis, war aber mindestens einen Kopf kleiner und hatte eine blonde, von Gel gehaltene Strubbelmähne. Er schlug seinem Freund fröhlich auf die Schulter und beide setzten sich auf den Rasen, das Gerüst der Inselglocke als Rückenlehne nutzend. »Immer nur durchs Telefon oder Internet wird auch mal langweilig. Schon wieder ein Jahr her, seit dem letzten Mal.«

Fast augenblicklich fielen sie in ein Fachgespräch, das so manchen Wissenschaftler in Erstaunen versetzt hätte. Sie redeten und redeten, bis sie merkten, dass die Sonne immer höher gestiegen war.

»Meinst du, wir sollten jetzt mal wie zwei ganz normale Vierzehnjährige das Strandleben genießen?«, fragte Jens.

»Du meinst, mit ins Wasser und Mädchen und dem ganzen Kram?« Jannis strahlte seinen Freund an.

»Genau. Und Sport, und Eis essen. Das ganze Programm halt. Ich habe den anderen vom letzten Jahr gemailt. Die sind fast alle wieder da. Jasmin und Anna habe ich schon auf dem Schiff getroffen. Sie wollten sich am Kajakverleih treffen. Anna habe ich kaum wiedererkannt. Sie war doch so ein bisschen, na du weißt schon, nicht gerade schlank, und die hat jetzt eine …« Jens wurde rot. »… also die hat jetzt eine super Figur, ehrlich. Und ganz lange schwarze Haare.«

»Gut, dass du mich vorgewarnt hast. Wäre sonst ganz schön peinlich geworden, wenn ich mich ihr in blindem Eifer galant vorgestellt hätte.« Jannis lachte. »Noch irgendetwas, das ich wissen müsste?«

»Nee, eigentlich nicht. Jasmin hat sich kaum verändert. Sogar den grün-weißen Werder-Schal, den du ihr im letzten Jahr geschenkt hattest, trug sie um den Hals. Trotz der Wärme.«

Jannis sprang auf. »Na, dann! Stürzen wir uns ins pralle Leben!«

Sie liefen bis zum ersten Strandaufgang. Hier standen die Container von der Surfschule und dem Kajakverleih, ein beliebter Treffpunkt der Jugendlichen. Wer hierher kam, fand sofort Anschluss.

Die beiden wurden mit großem Hallo empfangen. Alle waren versammelt, Jasmin, Maik, Anna, Heiner, Andreas, der Bäcker aus dem Insel-Markt und noch viele, deren Namen Jannis erst wieder ins Gedächtnis zurückholen musste.

»Erzählt, wie habt ihr die unwichtigen Tage zwischen den Baltrum-Urlauben verbracht? Aber bitte, bitte kein Wort über eure Urgroßelterntanten und -onkels. Wir wollen es einfach nicht wissen!« Alle lachten lauthals und eine fröhliche Wiedersehensrangelei begann.

»Los kommt, wir gehen ein Stück weiter zu den emsigen Sportlern«, sagte Heiner schließlich. »Vielleicht lassen die uns mitspielen. Dann können wir denen mal zeigen, wie man das richtig macht.« Er stand auf und klopfte sich den Sand von seinem Bauch, der sich über die knappe Badehose wölbte. Eindeutig ein Zufluchtsort für viele, viele kleine Hamburger mit Pommes, dachte Jannis.

Links und rechts des Bohlenweges, der sie zu den Sportlern führte, saßen Familien in den Strandkörben, beseelt vom Wetter und dem Wissen um ein paar freie, unbeschwerte Tage. In diesem Jahr standen die Körbe besonders eng beieinander, denn die Stürme und Sturmfluten des letzten Winters hatten ein gutes Stück Strand abgenagt. Es würde eine lange Zeit, kräftigen Ostwind und viele heranwandernde Sandbänke brauchen, bis der Strand wieder zu seiner alten Größe herangewachsen wäre.

»He, pass doch auf, wo du hintrittst!« Ein zornrotes Gesicht mit Körper dran hatte sich vor Jasmin aufgebaut, die, einem Schubser von Jens ausweichend, fast in einem Strandkorb gelandet war. »Mir reicht das allmählich. Erst dieser Krach hier am Strand, dann die schreienden Blagen überall und jetzt auch noch du. Kann man hier nirgends seine Ruhe haben? Kann ich ja auch gleich nach Malle fahren und mir den Kopp zudröhnen.«

»Wäre gar nicht schlecht, die Idee«, erwiderte Jasmin, während sie mit zwei langen Sätzen wieder den sicheren Steg erreichte. »Fahrkarten gibt’s im Reisebüro. Und denk dran, Opa, demnächst in der Urne ist es schön stille.« Sie reihte sich seelenruhig wieder in die Gruppe ein und zuckte mit den Schultern. »Der alte Bock hat mich gestern auf dem Schiff schon genervt. Da hat er nämlich seiner Tochter eine gelangt. Scheißkerl. Der kann mich mal.«

Sie liefen weiter, und nach kurzer Zeit hatten sie das erste Spielfeld erreicht. Prellball. Damit kannte sich keiner von der Gruppe aus und sie beschlossen, sich ein wenig beim Volleyball umzusehen. Ganz unauffällig. Unverbindlich. Würden sich in den Sand hocken. Könnte ja sein, dass mal einer der anderen Spieler ausfiele. Dann würden sie schon einspringen. Nur nicht aufdrängen. Aber mitmachen, das wäre schon klasse.

Es dauerte etwa zehn Minuten, dann standen sie alle abwechselnd im Feld. Sogar

der dicke Heiner war dabei.

Auf den T-Shirts ihrer Gegner stand Postsportverein Leer. Und die Truppe war verdammt gut.

Zwei Stunden später und um mehrere Erfahrungen hinsichtlich ihrer sportlichen Laufbahn reicher, lagen Jannis und die anderen fix und fertig im weißen Inselsand. Aber auch die Leeraner bestanden auf einer Pause. Zwei von ihnen liefen zur Mehrzweckhalle und holten eine Runde Mineralwasser für alle. Die nächste halbe Stunde nutzten sie, sich näher miteinander bekannt zu machen. Auch dazu ist so ein Sportfest bestens geeignet, dachte Jannis, bevor er seinem Gegenüber eine höchst komische Geschichte aus dem Leben seines Urgroßvaters mütterlicherseits erzählte.

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Britta war hin- und hergerissen. Sie fand es total süß, dass Hendrik angeboten hatte, in die Halle zu kommen. Gleichzeitig war ihr aber auch bewusst, dass sie hier einen Job zu erledigen hatte. Sie war als Betreuerin verantwortlich für die Gruppe. Jetzt hatte sie schon den Vormittag verpasst und ihre Arbeit den anderen aufgehalst. Aber sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass die Vergangenheit in Form ihres Exmannes wieder auftauchen würde.

Er war damals nach Australien gegangen, als sie ihm den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte. Schlagen ließ sie sich nur einmal. Danach war Schluss.

Nun war ihm offensichtlich das Geld knapp geworden. Ihre größte Sorge war gewesen, dass er mit der Morgenfähre auf der Insel auftauchen würde. Bis jetzt hatte er sich allerdings nicht blicken lassen. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass sie Angst hatte. Angst vor seiner Aggressivität, Angst vor der Aussicht, dass er sich wieder in ihr Leben einzuschleichen versuchte, und Angst, dass er ihre Beziehung mit Hendrik herausbekäme. Obwohl ihn das überhaupt nichts anging. Sie waren seit Jahren geschieden. Und trotzdem.

Sie wünschte nichts sehnlicher, als dass er wieder aus ihrem Leben verschwinden würde.

»He, Britta, aufwachen, deine Gruppe will was zu trinken haben. Wo steht euer Vorrat?«

Britta schreckte auf. »Da hinten, hinter dem Strandkorb, entschuldige bitte, ich war in Gedanken.«

Marco Schneider schaute sie mitleidig an. »Das habe ich gemerkt. Probleme mit Hendrik?«

»Nee, nee, das ist okay, lass man, wird schon wieder.« Sie band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz und begleitete die beiden Spieler zum Strand.

15

Der Chef der Strandspiele schaute nachdenklich hinter ihr her. Von Brittas Lebensfreude war im Moment nicht viel übrig geblieben. Es war ein mühsames Lächeln gewesen, das sich beim Anblick ihrer beiden Schützlinge auf ihrem Gesicht gezeigt hatte.

Er kannte Britta nun schon eine ganze Weile, und es war ihm immer so vorgekommen, als könnte sie so leicht nichts erschüttern.

Als er vor Jahren damit begonnen hatte, die Turnspiele auf Baltrum zu entwickeln und umzusetzen, hatte er in ihr eine begeisterte Mitstreiterin gefunden. Sie brachte Gruppen aus allen Leeraner Vereinen dazu, sich an der Veranstaltung zu beteiligen. Inzwischen kamen Mitspieler aus ganz Niedersachsen, in jeglicher Altersstufe. So war die große Mehrzweckhalle, in der im Winter die Strandkörbe lagerten, jetzt mit lautem, fröhlichem Leben erfüllt.

Sein Küchenteam war perfekt organisiert. Die Zutaten für das Frühstück wurden morgens vom Insel-Markt angeliefert und das Abendessen von einem örtlichen Hotel zubereitet. Auch wenn einige Insulaner der Veranstaltung skeptisch gegenüberstanden – fünfhundert spielbegeisterte Menschen brachten eben doch einige Unruhe – im Großen und Ganzen klappte die Zusammenarbeit mit den örtlichen Entscheidungsträgern recht gut.

Seine Gedanken gingen zurück zu Britta. Er machte sich Sorgen um sie. Normalerweise hätte sie nie ihre Aufgaben vernachlässigt. Es musste schon was Ernstes dahinterstecken, wenn sie sich gerade hier und jetzt eine Auszeit nahm. Außerdem war er der Meinung, dass die Sache zwischen ihr und Hendrik Beyer viel zu schnell ging. Es sollte ihn nicht interessieren, sie war eine erwachsene Frau, aber trotzdem: Es gefiel ihm nicht.

Er wischte die letzten Krümel des Frühstücks von den Partytischen. Am liebsten wäre er Britta an den Strand gefolgt, aber er sah aus den Augenwinkeln seine Frau und wusste, dass er diese Idee wohl im Dünensand vergraben konnte. Nadine Schneider sortierte mit saurem Gesicht das Geschirr.

Schon kamen die ersten wieder vom Strand, um eine kleine Zwischenmahlzeit in Form vom Obst, Müsli oder Joghurt zu sich zu nehmen. Sport und Spiel machten hungrig.

Seine Frau nahm ihm den Lappen mit den Krümeln aus der Hand. »Marco, denk dran, der Bürgermeister wird in einer Viertelstunde hier sein. Ich habe gerade Kaffee angesetzt.« Nadine war die Leiterin seines Küchenteams. »Nicht, dass du noch kurzfristig zu einer Rundfahrt aufbrichst«, maulte sie. »Du bist im Kopf wohl nur noch bei Britta. Die wird schon alleine zurechtkommen. Brauchst du dich nicht auch noch drum zu kümmern. Ich muss schließlich auch sehen, wie ich fertig werde.«

Sie verschwand hinter den Gefriertruhen, ohne seine Antwort abzuwarten. Ein paar Spieler, die ihr Gemecker mitbekommen hatten, wandten sich wortlos in die andere Richtung.

Sie versucht doch immer wieder, mich bloßzustellen, dachte er. Soll sie doch mit dem Hintern zu Hause bleiben, wenn ihr alles zu viel wird.

Aber er wusste, das täte sie nie. Hätte ja sein können, dass irgendetwas Interessantes ohne sie passierte. Ständig meinte sie, dass er sofort auf die Piste ginge, wenn sie einmal nicht dabei war.

Und das Schlimme ist, dass ich es auch machen würde, dachte er. So weit hat sie mich inzwischen. Immer nur hetzen und meckern.

Er verließ die Halle und setzte sich mit hochrotem Kopf neben der Bratwurstbude in den Dünensand. Er musste ja in der Nähe bleiben, wollte er den Bürgermeister nicht verpassen. Und Nadines großen Auftritt als Gattin des Veranstaltungsleiters!

16

Es gibt keine schöne heile Inselwelt. Nein, wirklich nicht. Jeder muss für sein Tun bezahlen. Irgendwann muss das jeder. Auch Sie. Haben Sie sich darüber noch nie Gedanken gemacht? Glauben Sie wirklich an Schicksal? Papperlapapp. Sie selbst sind das Schicksal. Da hilft Ihnen keiner.

Habe es oft genug versucht. Mich geduckt und angebiedert, Dinge getan, die ich gehasst habe. Aber damit ist jetzt Schluss. Jetzt wird aufgeräumt. Gründlich. Und übrig bleiben die, die es verdient haben. Die Treuen. Und Redlichen. Auf die man sich verlassen kann.

Ich weiß genau, was zu tun ist. Mein Plan ist fertig. Gleich fange ich damit an. Dann werden sich alle ganz schön umgucken. Und Sie werden mir recht geben, da bin ich mir sicher.

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Nein, es ging nicht. Er konnte den Kopf nicht bewegen. Mit Mühe hatte er das linke Auge aufbekommen, nun übte er mit dem rechten. Hendrik lag ausgestreckt auf dem Boden seiner Kajüte, den Kopf schmerzhaft zwischen Koje und einem vergessenen Fender eingeklemmt. Durch das Bullauge fielen Sonnenstrahlen, die an der gegenüberliegenden Wand mit dem Wiegen des Schiffes Zacken und Kreise malten. Linker Arm, rechter Arm, linkes Bein, rechtes Bein, Hendrik merkte zu seiner Beruhigung, dass noch alles da war, nur nicht seinen Befehlen gehorchte. Er beschloss, noch eine Weile liegen zu bleiben, denn sein Magen hob und senkte sich mit dem kurzen Wellenschlag im Hafen. Noch wollte seine Erinnerung nicht den Weg ins Licht antreten, so schloss er seine Augen wieder und fiel erneut in einen kurzen, traumlosen Schlaf, bis er von seinem eigenen Schnarchen geweckt wurde.

Und nun kam sie mit Macht. Die Erinnerung.

Sie hatte die Kajüttür geschlossen. Damit hatte alles begonnen. Nein, wenn er ehrlich war, hatte die Geschichte schon vorher begonnen. In seinem Kopf. Und weiter unten.

Sie hatten Kaffee getrunken. Schwarz ohne Milch. Sie waren sich nähergekommen. Zentimeter für Zentimeter. Dann hatte Schnucki eine Flasche Talisker Whisky, Single Malt, auf den Tisch gestellt. Und zwei Nosing-Gläser. So hatte sie die kleinen, bauchigen Gläser genannt, die zur Öffnung hin schmaler werdend zum Verkosten des Whiskys ein Muss waren. Seinen Einwurf, dass zu einem guten Whisky auch immer ein gutes Wasser gehörte und der gute Whisky ja auch eigentlich ihrem Gatten, wischte sie mit einem Lächeln vom Tisch. »Wasser ist für die Fische«, hatte sie gesagt, und »Cheerio«. Ein ums andere Mal. Und jedes Mal war der Abstand zwischen ihnen etwas kleiner geworden.

Er hatte nicht nein gesagt, weder zum einen noch zu dem anderen. Gefangen von der Situation. Der Gedanke an Britta war wie eine flüchtige Wolke vorbeigezogen. Es war warm gewesen in der Kajüte. Da war es nicht ausgeblieben, dass Schnucki ihr Nichts auszog und er sein T-Shirt. Ein Schweißtropfen war genau in der Mitte seiner Brust Richtung Bauchnabel gelaufen. Sie war ihm mit ihrem Zeigefinger gefolgt.

Was passiert, wenn die Geschwindigkeit konstant bleibt und der Abstand sich verringert? Die kleine Segelschule Band 1 Seite 15. Es kommt zu einer Kollision! Das war der letzte Gedanke, zu dem Hendrik fähig gewesen war.

Jetzt lag er in seinem Boot und versuchte das Ende der Geschichte zu rekonstruieren, aber es wollte ihm nicht einfallen. Je länger er nachdachte, desto verschwommener wurden die Bilder des Nachmittages. Ob er sich das Ganze nur eingebildet hatte? Was machte er hier eigentlich auf seinem Boot? Er hob seinen Kopf. Sozusagen als Test. Wie spät war es überhaupt? Sechs Uhr. Da hatte er doch glatt zwei Stunden gepennt. Oder war doch alles nur ein schöner Traum gewesen? Sein Blick fiel auf seine rechte Hand. Ein Kratzer zog sich quer über deren Rücken. Das Blut darauf war dunkel und geronnen. Verdammt, dachte er, wieder dieser Splitter in der Kajüttür. Ich muss sie unbedingt abschleifen.

Er setzte sich auf. Sein Mageninhalt stieg nach oben, machte jedoch kurz vor dem Austritt halt. Hendrik versuchte langsam auf die Beine zu kommen. Er musste aber sogleich feststellen, dass das schottische Lebenswasser noch wesentliche Bestandteile seines Körpers unter Kontrolle hatte, und legte sich mit einem tiefen Seufzer zurück in seine Ausgangsposition.

18

Britta hatte es nicht mehr ausgehalten und Marco Schneider gebeten, einen Ersatz für sie an den Strand zu schicken.

Er hatte genickt. »Mach dir keine Sorgen, ich sage Peter Bescheid. Schließlich gehört er auch als Betreuer zu deiner Gruppe. Er hatte ja heute Nachmittag ein paar Stunden Ruhe, und gleich ist sowieso Abendessenzeit. Das kriegen wir schon hin. Und, falls du jemanden zum Reden brauchst, jederzeit, weißt du?«

Britta lächelte ihm zu. »Danke für das Angebot. Später vielleicht. Schau mal, deine Frau will, glaube ich, etwas von dir. Sie schaut schon die ganze Zeit rüber.«

»Weißt du was? Das ist mir scheißegal.« Britta sah Marcos Erschrecken über die eigenen Worte, aber auch Wut und Entschlossenheit. Sie wussten beide, dass seine Worte haargenau seine Empfindungen ausgedrückt hatten. »Du kannst das gelbe NTB-Fahrrad nehmen, wenn du willst. Lass dir Zeit. Hier läuft schon alles.«

Britta bekam den letzten Satz gerade noch so mit, als sie schon aus der Halle lief. Sie schnappte sich das Rad und fuhr los. Sie hatte Marco nicht mal gesagt, dass sie zum Hafen wollte, aber er würde es sich denken können.

Es war der reinste Slalom. Kurz vor der evangelischen Kirche wäre sie beinahe schwer gestürzt. Zwar hatte sie den Dackel auf der rechten Seite der Straße am Fischerhäuschen gesehen, aber nicht, dass dessen Herrchen gegenüber auf dem Fußweg bei der Kirche lief. Die lange Hundeleine überspannte den Fahrweg komplett. Britta bremste scharf und mochte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, hätte sich die Leine in ihrem Vorderrad verheddert. Sie sprang vom Rad, doch ehe sie sich zu einer scharfen Zurechtweisung aufraffen konnte, hatte sich der Mann schon bei ihr entschuldigt und seinen Hund kurz genommen. »Es tut mir leid, ich war völlig in Gedanken«, erklärte er.

Sie nickte. Das konnte sie gut nachvollziehen, ging es ihr doch den ganzen Tag nicht anders.

Ihre Beine zitterten noch leicht, als sie wieder aufs Rad stieg.

Je näher sie dem Hafen kam, desto ruhiger wurde es auf den Straßen. Das Abendschiff war schon nach Neßmersiel unterwegs und würde erst in gut anderthalb Stunden mit neuen Gästen wiederkommen. Auch im Bootshafen war nicht viel los, die meisten Schiffseigner waren wohl auch am Strand und genossen das Badeleben. Der leicht modrige Geruch schlickigen Wattbodens stieg ihr in die Nase.

Am Bootshaus sah sie den Mann sitzen, den Hendrik ihr gestern als Hafenaufseher beschrieben hatte. Mit seinem blau-weißen Fischerhemd sah er aus wie der Seemann schlechthin, fand sie. Wenn er nur nicht so griesgrämig gucken würde! Sie stellte ihr Fahrrad ab und lief zur Antje, die an ihrer Anlegestelle dümpelte. Britta wünschte sich sehr, Hendrik auf dem Schiff zu finden

Es schien, als hätte sie kein Glück. Auch auf den Nachbarliegern rührte sich nichts. Britta war maßlos enttäuscht. Aber klar, warum sollte er auch ausgerechnet jetzt an Bord sein? Sie hatten sich ja erst für abends verabredet. Aber gerade jetzt hätte sie ihn so gebraucht.

Zwar hatte sie nicht die geringste Ahnung, ob es ihn überhaupt interessierte, ihren Problemen zuzuhören. Sie kannten sich erst drei Tage, und dieses Kennen stand unter dem Motto: Strand, Sonne, Urlaub, Unbeschwertheit. Doch irgendwie in ihrem Innern meinte sie zu spüren, dass da unter Umständen ein ganz klein bisschen mehr sein müsste als nur Lust am Urlaubsstrand.

Es nützte nichts. Er war nicht da. Würde sie eben zurückfahren. Oder aufs Boot klettern und warten.

Ein Boot betreten in Abwesenheit des Eigners, das ist wie in eine Wohnung einbrechen, hatte Hendrik ihr erzählt.

Egal, sie würde warten. Wenigstens eine Weile!

Sie zog das Schiff an der Achterleine näher an den schmalen Steg, und mit einem beherzten Sprung über die Reling landete sie in der Plicht.

Gerade wollte sie es sich auf einer der Sitzbänke bequem machen, da meinte sie ein Stöhnen oder Schnarchen zu hören. Sie schaute sich um, konnte aber niemanden entdecken.

Da war es wieder. Das Schnarchen. Und wie es sich anhörte, kam das Geräusch von gar nicht so weit her: direkt aus der Kabine der Antje. Britta klopfte vorsichtig an der Kajüttür. Nichts! Sie klopfte wieder und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Vorsichtig öffnete sie.

Sie traute ihren Augen kaum. Da lag Hendrik rücklings und nur mit Boxershorts bekleidet auf dem Boden der Kajüte und schlief tief und fest. Seine nackten Füße zuckten leicht und streckten sich ihr wie zur Begrüßung entgegen. Aus dem kleinen Raum stieg Britta mit jedem Einatmen der Duft des schottischen Hochlandes in die Nase. Auch der Eindruck, dass auf dem Hochland ein paar Schafe und Rinder geweidet hatten, wurde mit jedem Atemzug stärker.

Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Besoffen am helllichten Tag! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Wie sollte sie mit dem Mann in dem Zustand denn reden können? Sie würde gehen. Ganz einfach wieder gehen. Männer! Sie drehte sich um, dann zögerte sie.

Wenn er doch ein ganz kleines bisschen wach würde … Irgendwie sah er auch süß aus, so unschuldig, wie er da lag. Und sie brauchte ihn. Sie kitzelte ihn an seinem großen Zeh. Er rührte sich nicht. Sie zwickte ihn leicht. Noch immer nichts. Sie kniff beherzt zu. Das hatte Erfolg. Mit lautem Stöhnen öffnete Hendrik seine Augen – und erstarrte.

»Was um alles in der Welt machst du denn hier?«, krächzte er.

»Danke der Nachfrage. Ich wollte dich sehen. Scheinbar aber keine so gute Idee. Ich geh dann mal.« Britta drehte sich um und stieg entschlossen den Niedergang hinauf.

»Nein, warte, war doch nicht so gemeint. Ich bin nur gerade aus dem Tiefschlaf gekommen.«

Sie zögerte. Sollte sie gehen oder nicht? Britta entschloss sich zu bleiben. Sie setzte sich auf den kleinen Hocker im Heck des Bootes und gab Hendrik Zeit, sich aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Es schien ihr, als brauchte er ungewöhnlich lange, bis er endlich, bekleidet mit T-Shirt und kurzer Hose, in der Hand eine Flasche Mineralwasser, aus der Kajüte auftauchte und sich neben sie setzte. Das Rot seiner Augen sprach immer noch Bände.

»Du musst ja nicht, aber willst du mir die Geschichte deines Zustandes näherbringen?«, fragte Britta.

»Tja, das war so«, begann er, »ich habe heute Morgen einen alten Bekannten getroffen und einen neuen kennengelernt, und das war es doch wohl wert, darauf einen zu nehmen, oder nicht?«

»Komisch, ich hatte bei deinem Anruf überhaupt nicht das Gefühl, du hättest einen im Tee.« Warum konnte Britta sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie gerade mit einer Lügengeschichte konfrontiert wurde?

»Soll das hier ein Verhör werden, oder was?« Hendrik schüttelte den Kopf. »Kommst hier rein, weckst mich und ich soll dir Rede und Antwort stehen. So nicht, da habe ich keinen Bock drauf.«

»Nun blas dich mal nicht künstlich auf. Mach doch, was du willst, mir doch egal, wie du deine Tage verbringst. Konnte ich doch nicht ahnen, dass du Komasaufen toll findest. Ich geh dann mal. Du kannst dich ja melden, wenn du wieder nüchtern bist.«

Wütend stand Britta auf, aber Hendrik zog sie am Arm wieder neben sich.

»Entschuldige. Wir fangen das Gespräch noch einmal neu an. Gib mir ein paar Minuten. Ich schleudere mir einen Eimer Wasser ins Gesicht und wir gehen auf die Terrasse vom Hotel Witthus, einen Kaffee trinken.«

*

Leicht schwankend kletterte Hendrik zurück in die Kajüte seines Bootes. Er warf einen vorsichtigen Blick in den kleinen Spiegel, den er neben der Tür des Niederganges angebracht hatte, und zuckte zusammen. Ihm wurde klar, dass nicht einmal drei Eimer Wasser seinen roten Augen und seiner unter der Seemannsbräune fast bleichen Gesichtsfarbe wieder zu einem einigermaßen gesunden Aussehen verhelfen würden. Ihm war schlecht, so schlecht wie es einem nur sein konnte, zwei Stunden nach einem Saufgelage, aber außergewöhnliche Situationen erforderten außergewöhnliche Maßnahmen. Denn eines erschien ihm jetzt am wichtigsten, nämlich Britta aus der direkten Nachbarschaft des Schauplatzes seiner nachmittäglichen Aktivitäten wegzubringen. Nicht vorzustellen, dass Schnucki auch noch zu ihrer fröhlichen Runde stoßen würde. Diese Situation wäre schlichtweg nicht auszudenken. Er nahm jedoch an, dass sie ebenfalls selig in Morpheus’ Armen lag. Aber wissen konnte man das natürlich nicht. Sein Kopf dröhnte bei dem Gedanken, die beiden Frauen könnten aufeinandertreffen. Er wusste, Frauen waren entsetzlich nachtragend!

»Wasch dir mal über die Hand. Ich glaube, du hast geblutet«, hörte er Brittas Stimme. Er schaute auf seine Hand, zuckte unwirsch mit den Schultern und murmelte: »Lieber nicht, fängt sonst nur wieder von neuem an.«

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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
253 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783839264249
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