Kitabı oku: «Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt», sayfa 2

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Notiz 2

Shannon Lucid war im ersten Astronautenteam der NASA, zu dem auch Frauen zugelassen wurden. Sie verbrachte insgesamt 188 Tage im All und hält damit den Rekord für Astronautinnen: Auf der russischen Raumstation MIR war sie mit zwei Männern, die beide Juri hießen. Juri und Juri mussten einen Außenbordeinsatz, einen sogenannten EVA machen. Shannon sollte alleine an Bord bleiben. Bevor die beiden Männer ins All ausstiegen, verdeckten sie mit einem roten Tuch alle Knöpfe im Kontrollzentrum, die Shannon Lucid absolut nicht berühren durfte, während sie draußen waren.

3

Der Flieger nach Moskau ist nicht voll, nur jeder zweite Sitzplatz ist besetzt. Die Frau am Gangplatz schaut dauernd zu mir her. Oder versucht sie aus dem Fenster zu schauen? Nein, ich habe mich nicht getäuscht. Sie fixiert mich und rückt einen Sitz näher. Ihre Lippen sind tiefrot gestrichen, ihr Lidschatten zu dunkel. Entschuldigung, sagt sie.

Ich drehe mich zu ihr, ohne mein Buch abzulegen und schaue langsam auf. Ist die Strahlung am Fenster größer, was glauben Sie, fragt sie mit aufgerissenen Augen.

Keine Ahnung, sage ich.

Diese Maschine ist Nummer eins auf der Liste der Abstürze, sagt sie.

Da kann ich Sie beruhigen, sage ich. Wenn Sie den Weg mit dem Auto zum Flughafen überlebt haben, haben Sie den gefährlichsten Teil der Strecke schon hinter sich. Das zeigen alle Statistiken.

Ach, sagt sie, das ist gut, und lehnt sich zurück. Doch dann fährt sie noch einmal hoch und sagt: Gilt das auch für den Weg vom Flughafen nach Hause?

Ich sehe sie an und sage nichts.


Am Flughafen steht ein Mann mit einem Schild, auf dem »Star City« und mein Name stehen. Sternenstädtchen. Ich folge ihm, ich bin allein. Ich hatte gehofft, diesmal jemanden kennenzulernen. Der Fahrer legt mein Gepäck in den Kofferraum. Er deutet es zumindest an. Er lässt mich den Koffer hochheben und hineinlegen, synchronisiert seine Bewegungen mit meinen, greift jedoch erst zu, als der Koffer nur noch hineingeschoben werden muss. Alter Taxifahrer-Trick, der funktioniert wohl überall, denke ich. Ich setze mich ins Auto, er kratzt das Eis weg, das sich in der kurzen Wartezeit auf der Windschutzscheibe gebildet hat. Dann fahren wir los. Er lächelt nicht, er spricht nicht. Wir verlassen die Stadt, nach rund 50 Kilometern fahren wir durch einen Wald, und plötzlich steht vor uns ein großes Tor. Wir sind da. Das Juri-Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrum. Der Fahrer zeigt einen Brief, die Soldaten beraten, bringen den Brief zurück und machen das Tor auf. Der Taxifahrer fährt langsam durch die Allee, biegt bei einem der Blocks ein und bleibt vor der Tür stehen. Er zeigt mit dem Finger zum Eingang, macht aber keine Anstalten aufzustehen. Ich steige aus und nehme meinen Koffer. Der Taxifahrer fährt weg.

Das ist also Star City. Das sagenumwobene Trainingszentrum. Und ich bin hier.

Challo, ruft eine Frau. Eine kleine, rundliche Frau mit blonder Kurzhaarfrisur und Stechschritt kommt aus dem Haus.

Challo, sagt sie und reicht mir die Hand. Willkommen in Swjosdny Gorodok. Ich bin Oberst Irina. Ich freue mich, dass Ihre Reise gut verlaufen ist.

Danke, sage ich. Ich freue mich, hier zu sein.

Hier werden Sie wohnen, sagt sie und winkt, dass ich ihr folgen soll.

Star City war lange eine geschlossene Stadt, heute leben und arbeiten rund 6.300 Menschen hier.

Sie wohnen im selben Haus wie Dennis Tito, der erste Tourist in der Geschichte der Raumfahrt. Ihr Training beginnt morgen. Wir dürfen keine Zeit verlieren, Ihr Aufenthalt ist sehr kurz.

Sind noch andere da, frage ich und weiß in dem Moment, dass es falsch war, das zu fragen.

Oberst Irina sieht mich scharf an und sagt, oberste Geheimhaltungsstufe. Sie wissen! Und schüttelt den Kopf.

Ich hole Sie morgen ab, 0600, sagt sie und geht. Mein Zimmer ist einfach, aber sehr sauber. Ich ziehe mich aus und lege mich ohne zu duschen sofort ins Bett. Ich drehe mich hin und her, sie haben mir nicht gesagt, was auf mich zukommt.


Als Oberst Irina an meiner Zimmertür klopft, sitze ich schon an dem kleinen Tisch und warte, bis sie kommt. Das war schon als Kind so. Immer wenn ich Angst vor dem nächsten Tag hatte, konnte und wollte ich nicht schlafen. Im Schlaf vergeht die Zeit so schnell, und ich wollte den Moment des Schreckens weit, ganz weit hinauszögern. Deshalb sitze ich schon seit vier Uhr im Finsteren an diesem Tisch.

Oberst Irina nickt zufrieden, Lächeln entkommt ihr keines. Ich folge ihr still. Wir verlassen das Gebäude und gehen ein Stück durch Star City in einen anderen Block. Oberst Irina öffnet Türen und wandert durch Gänge, ich bin mit zwei, drei Metern Abstand hinter ihr. Wir stehen vor einer riesigen Halle und schauen durch ein Fenster hinein.

Das ist die größte Zentrifuge der Welt, sagt Oberst Irina. Hier müssen alle Kosmonauten durch. Wenn es gesundheitliche Probleme gibt, werden sie hier aufgedeckt. Sie haben einen Termin um 1100. Bis dahin wird sie Doktor Morokov untersuchen und für die Zentrifuge vorbereiten.

Elf Uhr. Ich trage einen Kosmonautenanzug, meine Haare sind streng zusammengebunden. Unter dem Anzug bin ich an Dutzende Messgeräte angeschlossen, ich kann mich nicht bewegen, die Gurte sind fest angezogen. Die ersten Umdrehungen spüre ich ganz leicht, doch dann beginnt meine Haut aus dem Gesicht zu fliegen, meine Gedärme wandern aus meinem Körper und mein Herz setzt aus. Ich denke an ein Karussell auf dem Spielplatz bei meiner Großmutter. An das Gefühl, dass meine Beine abheben und die Büsche rundherum zu fliegen beginnen. Ich kreischte damals, bis mir die Kraft ausging. Doch das Karussell hielt nicht an, es drehte sich immer schneller und schneller. Meine Hand begann sich von der rostigen Stange zu lösen. Ich flog in hohem Bogen auf den Schotter und holte mir blutende Wunden. Wow, sagte ich damals und wollte es gleich noch einmal versuchen. Aber ich musste genäht werden, und dann waren die Ferientage bei meiner Großmutter vorbei. Nur nach innen schauen, sage ich mir. Bald ist es vorbei. Das haben schon 300 Kosmonauten vor dir ausgehalten. 300 hat Oberst Irina gesagt. 300 sind eigentlich nicht sehr viel. Zählen Sie, befiehlt mir eine Stimme. 300, 301, 302, 303 … meine Zunge ist ganz dick, es fällt mir schwer, deutlich zu sprechen, ich bekomme keine Luft. Wie lange das wohl dauert. Lösen Sie die Aufgaben, befiehlt die Stimme. Ich drücke die Tasten, die auf dem Monitor vor mir aufscheinen. Ich spüre meine Zähne, vielleicht fallen sie aus dem Gebiss, meine Augäpfel wollen aus den Augenhöhlen springen, wieso ist mitten in der Zentrifuge ein Strand, ein wunderschöner Sandstrand, ich atme auf, die Luft ist heiß und feucht, das kann nicht sein, nein, bleib doch, er verschwindet wieder, ganz langsam, meine Zähne kommen wieder zurück, meine Haut entspannt sich, die Zentrifuge wird langsamer. Ich versuche aufzustehen, ein Techniker sagt, ich soll noch sitzen bleiben, sie müssen mich erst abkabeln. Ein Mann bringt mich auf mein Zimmer. Ich schlafe erschöpft ein.

Oberst Irina holt mich ab. Wir müssen ein Stück durch Star City gehen.

Ein weißer Wagen fährt an uns vorbei, bremst, bleibt ein paar Meter vor uns stehen. Oberst Irina deutet mir, hier zu warten.

Sie läuft zum Auto, aus dessen Fenster ein winkender Arm hängt. Wie ein Winkerkrebs, denke ich.

Oberst Irina flirtet. Sie lacht und verbiegt ihren festen Soldatenkörper. Der Fahrer startet los, bleibt noch einmal stehen und fährt dann weiter.

Das war der erste Kommandant der Internationalen Raumstation, sagt sie und lächelt noch immer. Bill.

Wir gehen beim Juri-Gagarin-Denkmal vorbei. In Schrittstellung und in Arbeiterkluft steht er hier in Bronze gegossen. Ich wundere mich, dass er nicht im Kosmonautenanzug abgebildet wurde.

Wenn die Crew ins All fliegt, sagt Oberst Irina, dann legt sie Blumen zum Monument von Juri Gagarin und trägt sich in das Memorial Book ein.

Wenn die Kosmonauten zu spät zum Training kommen, sagt sie, müssen sie die ganzen 15 Kilometer rund um die Sternenstadt laufen.

Oberst Irina gibt sich Mühe, eine gute Fremdenführerin zu sein. Das Sternenstädtchen ist zu einem Dienstleistungszentrum geworden für die Raumfahrt. Es ist nur eine Frage des Preises, ob man hier trainieren und Tests machen kann. Doch die Sowjetzeiten sind noch in ihren Körper eingeschrieben. Der militärische Habitus und der Befehlston in ihrer Stimme tun sich noch schwer mit ihrer serviceorientierten Freundlichkeit.

Werde ich das Ergebnis des Zentrifugen-Tests erfahren, frage ich.

Ich bin nicht befugt, Ihnen das mitzuteilen, sagt Oberst Irina und beschleunigt ihren Schritt.

Wir gehen bei der Betriebskantine vorbei. Der Duft von Essen kriecht in meine Nase, mein Magen beginnt zu knurren. Sie führt mich in einen kleinen Gastraum, auf dem Tisch steht ein Teller mit dampfendem Essen.

In einer Stunde hole ich Sie wieder ab, sagt sie.

Nach zehn Minuten bin ich mit dem Essen fertig. Ich könnte noch einen Spaziergang machen, denke ich und will die Tür öffnen. Ich bin eingesperrt. Die Tür hat kein Schloss, sie muss automatisch versperrt worden sein. Jetzt erst bemerke ich, dass der Raum keine Fenster hat. Vielleicht ist das ja auch ein Test. Ich setze mich wieder und versuche ruhig zu bleiben. Was kann ich schon tun. Ich muss eine Dreiviertelstunde warten, dann wird sie mich holen. Ich lege mein Ohr an die Tür, kein einziges Geräusch ist zu hören.

Als Oberst Irina die Tür öffnet, sitze ich mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden und schlafe.

So, sagt sie nur. Ich springe auf.

Jetzt Belastungstests und morgen Tauchgang, sagt sie.

Die Belastungstests kenne ich schon, es sind dieselben wie zu Hause. Der erste von drei Tagen ist vorbei.

Als Oberst Irina am nächsten Tag um 6 Uhr in der Früh klopft, öffne ich ihr die Tür. Ich sage Guten Morgen.

Guten Morgen, erwidert sie. Heute Tauchgang.

Wir gehen wieder durch das Sternenstädtchen. Oberst Irina ist schweigsam. Sie bleibt vor einem Gebäude stehen und sagt, ich soll hineingehen. Sie muss weiter. Heute viel Ärger, sagt sie und erschrickt über ihre Offenheit.

Alles Gute, sage ich und gehe in das Haus.

Ein junger Mann will meinen Namen wissen und hakt ihn auf einer Liste ab. Ich muss irgendwie an diese Liste kommen. Das sind sie, alle Namen. Der Mann, keine 20 Jahre alt, muss meine Gedanken gelesen haben, denn sofort nimmt er die Liste, steckt sie in seine Uniform und knöpft die Brusttasche zu.

Ich bekomme einen Taucheranzug und muss mit einem Tauchoffizier drei Stunden Übungen im Trockenen machen, bevor er mich ins Wasser lässt. Ich soll eine Luftschleuse in die Internationale Raumstation ISS einbauen, in das 1:1-Modell unter Wasser. Das ist ziemlich absurd. Ich werde nie auf der ISS sein. Aber da alle Trainer mit einem derartigen Ernst bei der Sache sind, versuche ich, mein Bestes zu geben. Es sieht ganz einfach aus, unter Wasser dauert die Prozedur allerdings dreimal so lange wie beim Trockentraining. Der Tauchoffizier ist zufrieden mit mir, er klopft mir auf die Schulter, als ich aus dem Wasser steige. Ich lächle ihn an, er lächelt nicht zurück.

Die denken wohl, alle Frauen sind von Natur aus ungeschickt oder dumm. Das haben wir der Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper zu verdanken.

Notiz 3

Als Heidemarie Stefanyshyn-Piper ihren ersten Weltraumspaziergang auf der Internationalen Raumstation ISS machte, führte sie acht Stunden lang fehlerfrei Wartungsarbeiten durch, und dann verlor sie ihre Werkzeugtasche im All. Frauen und ihre Taschen, das war die Nachricht der Woche.


Als ich aus der Umkleide komme, sehe ich durch die Glasscheibe den jungen Mann, wie er gerade ins Wasser steigt, um ein paar Runden zu schwimmen. Der offizielle Teil dürfte für heute wohl abgeschlossen sein. Er taucht auf, atmet ein, taucht mit kräftigen Schwimmbewegungen wieder ab. Ich sehe mich um, niemand beobachtet mich. Ich öffne die Tür zur Männergarderobe, auf dem Schild steht etwas, das ich nicht verstehe. Das ist zumindest eine mögliche Ausrede, denke ich, und zugleich weiß ich, dass mir das niemand abkaufen wird. Ich muss die Liste haben. Der Umkleideraum ist leer. Ich muss weiter, in den zweiten Raum. Mein Herz pocht so laut in den Ohren, dass ich nicht hören könnte, wenn jemand zur Tür hereinkommt. Die Uniform liegt auf der Bank. Ich durchsuche sie, das Papier knistert. Ich entfalte das Papier. Alles auf Russisch. Was sonst. Und doch bin ich kurz geschockt. Ich kann das Alphabet, ein paar Wörter, gerade genug, um in der U-Bahn die Stationsnamen schnell genug lesen zu können, bevor sie weiterfährt. Und ich weiß, wie man »Wien« schreibt. Ich suche die Liste ab. Ich sehe russische Städte, japanische, arabische, und da: Wien. Hier steht Wien auf Russisch. BéНa. Mein Name und ein Name direkt daneben. Ich lese wie ein Volksschüler, einen Buchstaben nach dem anderen: Zoe Hauser.

Ich möchte die Liste am liebsten einstecken. Es sind 50 Namen. Ich habe noch nicht einmal das erste Drittel überflogen, als eine Tür zufällt. Es ist die äußere Garderobentür. Zwei Russen reden miteinander. Der eine lacht. Ich lege mich unter die Bank, ein witzloses Versteck, denn die Bank besteht aus Sprossen mit breiten Abständen. Ein Blick, und sie sehen mich. Aber es gibt kein besseres Versteck. Es ist dumm, sich zu verstecken, denke ich, damit ist die Ausrede hinfällig, dass ich mich in der Tür geirrt habe. Ich krieche wieder unter der Bank hervor. Die Männer bleiben im ersten Raum, die Tür fällt wieder zu. Ich stecke die Liste zurück in die Uniform und schleiche mich hinaus. Ich habe einen Namen. Das verschafft mir ein Hochgefühl. Ich bin nicht mehr allein.

Der dritte Tag. Oberst Irina klopft ein zweites Mal. Ich bin zu spät. Ein geringschätziger Blick erstickt mein Guten Morgen.

Cheute letzter Tag, sagt sie mit russischem Akzent. In Simulationsanlage.

Ich steige in das nachgebaute Raumschiff und warte. Ich muss das Raumschiff landen. Das liebe ich. Schon als Kind spielte ich im Urlaub in den Spielsalons an der Strandmeile mit Computersimulationen. Wo ist die Kanone, dachte ich. Erhöhte Aggressionsbereitschaft wäre sicher ein Grund, mich aus dem Programm auszuschließen. Ich hätte sie alle abgeknallt. Rundherum. Mit dem größten Vergnügen. Cheute letzter Tag, wiederhole ich wie einen Rap, während ich die Kiste in der vorgeschriebenen Zeit lande. In diesen Dingen bin ich wirklich talentiert. Sie sollten mich als Pilotin einsetzen.

Derselbe Taxifahrer steht vor der Tür. Noch einmal mache ich den Trick mit dem Koffer nicht mit. Ich lasse den Koffer an der Treppe stehen, er steigt seufzend aus und hievt ihn in den Kofferraum. Der Rückflug geht schnell. Ich kann es kaum erwarten, zu einem Internetanschluss zu kommen, um sie ausfindig zu machen.

4

Man sollte sie nicht unterschätzen. In Wien gibt es 12 Zoe Hauser. Vielleicht war es ein Umlaut. Und es gibt 9 Zoe Häuser. Das sind zu wenige, um die Hoffnung aufzugeben, und zu viele, um an sie heranzukommen. Was weiß ich über sie? Sie muss jung sein. Sie hat vermutlich keine Kinder. Ich glaube nicht, dass sie Frauen mit Kindern auswählen. Sie müsste ihre Kinder zurücklassen. Andererseits werden sie gebärfähige Frauen brauchen. Und was ist ein besserer Beweis für die Gebärfähigkeit, als Kinder zu haben? Ich drucke die Liste mit den Adressen aus und stecke sie ein.


Meine langen Abwesenheiten von der Arbeit sind immer schwieriger zu erklären. Zuerst haben sie mir Bescheinigungen vom Gericht ausgestellt, dass ich als Geschworene bereitzustehen habe. Ich darf nicht darüber sprechen, das hat jeder der Kollegen sofort akzeptiert. Wenn die dich mal in den Fängen haben, kommst du nicht mehr raus, sagten sie und meinten die Justiz. Schöffe, Geschworener. Das glaubt mir doch inzwischen keiner mehr, sagte ich nach zwei Jahren zu ihm, und er reagierte. Krankenstände, Arztbestätigungen. Meine Arbeit blieb liegen. Keine Laborarbeit, keine Studien, keine Publikationen.

Sie wollten mir die Leitung der Studie entziehen, die ich auf die Beine gestellt hatte.

Das ist mein Forschungsbereich, sagte ich zum Professor. Meine Expertise. Das Thema gibt es überhaupt nur, weil ich an der Uni bin. Ohne meine Initiative gäbe es keine Förderungen, sagte ich ihm.

Sie können weiter mitarbeiten, sagte der Professor. Ich werde den Kollegen Harreiter damit betrauen.

Harreiter, sagte ich, den habe ich ausgebildet. Der ist noch lange nicht so weit.

Das entscheide ich, sagte der Professor.

Mein Sessel war noch da, als ich an einem Sonntag in die Uni kam, aber Harreiter hatte demonstrativ sein Familienfoto auf meinen Schreibtisch gestellt. Ich ließ es in den Mistkübel fallen, es zerbrach. Meine Unterlagen holte ich aus einer Kiste, die in der Ecke stand.

Die Kollegen ignorierten mich. Wenn die Aufgaben für neue Studien verteilt wurden, hieß es nur, wer weiß, ob du dann überhaupt da bist. Ich konnte nicht einmal widersprechen, ich wusste es selbst nicht. Ich wurde nicht mehr auf Firmenfeiern eingeladen und nicht mehr gefragt, ob ich in die Kantine mitgehe. Wenn ich ein paar Tage nicht mehr in der Arbeit erschien, fragte niemand mehr, was ich gemacht habe. Ich war bald die Unsichtbare.


Nach der Arbeit fahre ich mit der Straßenbahn in die Lerchenfelder Straße. Entlang der Straße ist eine Allee, Sitzbänke überall zwischen den Baumreihen. Autos gibt es hier in der Innenstadt schon lange keine mehr. Die Mietpreise sind unerschwinglich. Aber wer sagt, dass sie nur arme Leute ausgesucht haben. Ich setze mich auf die Bank schräg vor dem Haus und warte. Ein paar Leute gehen aus und ein. Ich werde sie nicht erkennen. Ich gehe zur Tür, suche das Türschild. »Hauser« steht da. Die Haustür ist offen, ich gehe hinein bis an die Wohnungstüre und läute.

Aus der Wohnung höre ich Schritte näherkommen. Schlurfen. Kein gutes Zeichen, denke ich. Langsames Hantieren an den Schlüsseln. Die Tür geht nur einen Spaltbreit auf.

Ja, eine alte Frau sieht mich fragend an.

Frau Hauser, frage ich

Ja, sagt sie noch einmal.

Das tut mir leid, sage ich, da habe ich mich jetzt in der Tür geirrt.

Die alte Frau schließt die Tür ohne ein Wort.

Vor dem Haus hole ich die Liste aus der Jackentasche und hake die erste Adresse ab.

Arbeit macht frei, schreit ein Mann, der auf der Treppe zur U-Bahn sitzt. Arbeit macht frei! Er fixiert einzelne Passanten und brüllt ihnen entgegen. Nachdenken! Nachdenken! Arbeit macht frei!

Es ist schon finster, als ich aus der U-Bahn beim Westbahnhof steige. Es sind sehr viele Menschen unterwegs, sie rempeln mich an, steigen mir zwischen die Füße, drängen mich an die Hausmauer. Ich atme erleichtert auf, als ich endlich die Äußere Mariahilfer Straße erreicht habe. Nach zehn Minuten stehe ich vor dem Haus, das bei mir auf der Liste die Nummer zwei trägt. Ich läute. Niemand reagiert. Ich läute ein zweites Mal. Ich lehne mich an die Hausmauer und warte. Ich spiele im Geiste verschiedene Möglichkeiten durch, wie ich sie ansprechen und herausfinden könnte, ob sie Teil des Programms ist.

Ich bin ein Marsmensch. Sie auch?

Sagt Ihnen Star City zufällig etwas?

Phobos und Deimos? Wenn sie auf den Mars fliegen will, wird sie wohl die beiden Marsmonde kennen. Eine gute Frage, denke ich. Unverfänglich, aber direkt.

Endlich kommt jemand, ein Mann öffnet die Tür. In dem Moment geht das Licht im Stiegenhaus automatisch aus.

Herr Hauser, frage ich.

Ja, fragt er. Ich kann ihn kaum sehen, in der Wohnung ist es auch finster.

Was soll ich jetzt bloß sagen, warum habe ich denn überhaupt ihn gefragt?

Ist Zoe Ihre Frau?

Wer will das wissen, fragt er nicht unfreundlich.

Oh, entschuldigen Sie, sage ich. Ich warte auf Ihre Frau, ich muss sie dringend sprechen.

Und Sie sind, fragt er noch einmal und hält mir schon die Türe auf. Ich trete aus dem dunklen Stiegenhaus in seine Wohnung.

Elsa, sage ich. Elsa Noah.

Noah. Wenn er eingeweiht ist, wird er jetzt Verdacht schöpfen. Aber mir ist nichts anderes eingefallen. Ich ärgere mich, dass ich nicht besser vorbereitet bin.

Frau Noah, sagt er, dann kommen Sie einmal mit, meine Frau wird in einer Viertelstunde zu Hause sein. Ich mache Ihnen in der Zwischenzeit einen Kaffee. Beim Gehen macht er mit einer Handbewegung das Licht an.

Ich folge ihm in die kleine Küche, die wie aus der Zeit um 1900 wirkt, als die Küchen zugleich Badezimmer waren. Die Badewanne versteckt sich hinter einem schlampig zurückgeworfenen Duschvorhang.

Sie entschuldigen, sagt er. Aber wir haben zur Zeit etwas Chaos.

Er sieht mir erstmals in die Augen und erstarrt.

Was, frage ich.

Frau Noah, sagt er. Meine Frau wird Sie bestimmt sehen wollen.

Ich nicke.

Er starrt mich noch unverschämt lange an, dann verlässt er den Raum.

Ich sehe mich um, ob es Anzeichen für Kinder gibt. Spielsachen, Badeente, Kinderschuhe. Ich kann nichts entdecken.

Kaffee bekomme ich wohl eher keinen, denke ich, als er gerade wieder zurückkommt.

Es ist alles wie um die Jahrhundertwende, sagt er und fixiert mich wieder so eigenartig, aber meine Frau will nicht umbauen. Ihr gefällt das so. Und die anderen Zimmer sind sehr groß und haben viel Licht. Das braucht sie.

Ja, das verstehe ich, sehr nett, sage ich.

Sie entschuldigen mich kurz, sagt er, während er mir eine Tasse Kaffee aus der Maschine macht und hinstellt, aber ich muss noch rasch ein Telefonat führen.

Ich versuche mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Ich stelle mir vor, wie das Gespräch verlaufen wird.

Wir kennen uns nicht, oder, wird sie fragen.

Nein, Elsa, nein, werde ich sagen. Elsa Noah.

Sie wird meine Hand zum Gruß nehmen. Meine Hand wird zu schwitzen beginnen, und ich werde hoffen, dass sie sie endlich wieder loslässt.

Sagt Ihnen Phobos und Deimos etwas, werde ich vorsichtig fragen.

Sie wird überlegen.

Die griechischen Figuren oder Comicfiguren, oder sind das nicht irgendwelche Planeten? Keine Ahnung, was meinen Sie damit, wird sie fragen. Ihr Mann wird an der Türschwelle lehnen.

Sie wird mich erwartungsvoll ansehen.

Ich bin auf der Suche nach einer Zoe Hauser, werde ich sagen, die mit dem Weltraum zu tun hat. Könnte ich da bei Ihnen richtig sein?

Mit dem Weltraum? Sie wird lachen. Mit dem Weltraum habe ich nichts zu tun, ich habe genug Chaos auf dieser einen kleinen Welt!

Ich werde aufstehen und versuchen, ohne weitere Befragung aus der Wohnung zu kommen. Sie wird sagen, jetzt haben Sie nicht einmal Ihren Kaffee ausgetrunken.

Sie wird mich zur Tür bringen, und ihr Mann wird uns nur ein Stück im Flur begleiten.

Ja, dann, wird sie sagen, die Eingangstür öffnen und zu ihrem Mann zurücksehen, der gerade im Zimmer verschwindet, und mich in diesem Moment am Arm packen. Sie wird mir zuflüstern.

Morgen, Aida Stephansplatz, 8 Uhr, und dann wird sie ganz laut sagen: Viel Glück bei Ihrer Suche, auf Wiedersehen!

Und ich werde sie gefunden haben.

Der Kaffee ist schon kalt. Ich trinke den letzten Schluck aus, als es endlich an der Eingangstür klingelt. Ihr Mann macht auf und flüstert mit ihr. Sie öffnet langsam die Küchentür, als ob ein gefährlicher Hund in der Küche lauern würde. Ihr Kopf kommt zuerst durch die Tür, und jetzt weiß ich, warum mich ihr Mann so angestarrt hat. Sie sieht genauso aus wie ich. Sie ist ich.


Zu mir! Nur diese kleine Notiz auf meinem Schreibtisch. Der Professor will mich sehen. Er wird mir kündigen, denke ich.

Er gibt mir die Hand, das macht er sonst nie.

Es haben sich Veränderungen ergeben, sagt er.

Gute oder schlechte, frage ich.

Setzen Sie sich, sagt er und deutet auf die zerbeulte Ledercouch.

Ich habe meine Entscheidung noch einmal überdacht, sagt er. Sie werden die Leitung der Studie nicht abgeben. Ich werde vielmehr eine Assistentin für Sie einstellen, die Ihre Laborversuche abwickeln kann. Sie werden nur mehr die Interpretation der Daten übernehmen müssen.

Ja, sage ich.

Ich weiß nicht, wie Sie das gemacht haben, aber die Forschungsförderung ist an Ihre Person gekoppelt, die wollen nur Sie.

Aha, sage ich. Aber nicht Harreiter.

Und was mache ich jetzt mit Harreiter, fragt der Professor. Seine Beförderung liegt schon in der Lohnverrechnung. Wie sieht das denn aus. Sie bringen mich da ganz schön in Verlegenheit.

Nicht Harreiter, sage ich noch einmal, schüttle ihm die Hand und gehe.

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