Kitabı oku: «Karmische Rose», sayfa 6
Loredana – August 1990-Mai 1991
Es war heiß im Auto. Als Loredana das Schild mit der Aufschrift ›Zaragoza‹ sah, wusste sie, dass sie ungefähr die Hälfte der Strecke geschafft hatten. Sie und Sergio waren unterwegs von Madrid an die Costa Brava. Sie wollten die Sommerferien im Haus seiner Eltern in Pals verbringen. Alejandro war von María schon vor einer Woche abgeholt worden.
Sie kamen auf der Landstraße gut voran. Loredana freute sich einerseits auf den Urlaub, andererseits bedrückte sie die Lebenssituation ihrer kleinen Familie. Immer wieder gab es Streit zwischen ihr und Sergio und dauernd überlegte sie, wo der Ausweg war. Alle Möglichkeiten, die ihr in den Kopf stiegen, fühlten sich nach kurzem Überlegen wie Sackgassen an.
So war ihr klar, dass sie, sollte sie sich entscheiden, sich von Sergio zu trennen, in Madrid als alleinerziehende Mutter mit einem zehnstündigen Arbeitstag in der Kanzlei Enrique Martín auf Dauer keine Überlebenschancen haben würde.
Die Möglichkeit, mit Alejandro zu ihren Eltern zu ziehen, schied ebenfalls aus. Ihr Vater war bereits gestorben und mit ihrer Stiefmutter verband sie fast nichts mehr.
Immer wieder überlegte sie, ob es sinnvoll wäre, von Madrid nach Pals umzuziehen. Sergio bekniete sie ohnehin schon seit Jahren mit dieser Idee. Er wollte gerne in der Nähe seiner Familie sein und er sagte ihr immer wieder, wie viel Hilfe sie dort mit Alejandro haben würden. Sie hatte sich bislang geweigert, weil sie Angst hatte, von Sergios Familie vereinnahmt zu werden.
Nach sechs Ehejahren, von denen die letzten drei zermürbend gewesen waren, wollte sie jedoch einfach nur, dass etwas weiterging, dass sich etwas an der festgefahrenen Situation, in der sie mit ihm in Madrid lebte, veränderte, denn so wie bisher konnte es einfach nicht mehr weitergehen.
Er hatte sich in der letzten Zeit sogar bemüht, abends weniger oft auszugehen und mehr zu Hause zu sein, aber es nutzte der Ehe nichts mehr. Sie hatte das Gefühl, dass einfach schon zu viel Porzellan zerschlagen worden war, und bezweifelte, dass es noch einmal ein Zurück geben würde. Sie dachte: »Vielleicht wäre es gut, nach Pals zu ziehen, um einfach Bewegung in diese Starre zu bringen.«
Als sie Sergio nach ein paar Wochen ihre Überlegungen mitteilte, war er sofort einverstanden. Noch vor Weihnachten entschieden sie, im kommenden Frühjahr nach Pals umzuziehen. Loredana sah der großen Veränderung in ihrem Leben mit gemischten Gefühlen entgegen, aber die Erleichterung darüber, aus der festgefahrenen Situation in Madrid auszubrechen, überwog ihre Ängste.
Ein paar Wochen vor dem geplanten Umzugstermin überraschte Sergio sie mit der Nachricht, dass ihn seine Firma für ein halbes Jahr nach München versetzt hätte. Sie fiel aus allen Wolken. Er versuchte sie auf seine gewohnte Art zu ›beruhigen‹. »No pasa nada, bonita – ist doch nichts dabei, Liebes«, sagte er zu ihr. Wütend entgegnete sie: »Doch, Sergio, und zwar allerhand. Nämlich, dass ich wieder mit allem alleine bin, mit dem Umzug, mit dem Kauf der Wohnung, die wir uns in Pals angeschaut haben, von der Eingewöhnung in die neue Umgebung, dem neuen Arbeitsplatz und der Anpassung an deine Familie einmal abgesehen.«
Sergio ging – wie meistens – nicht auf sie ein. Er wiegelte weiter ab, bis Loredana das Gespräch beendete. »Für ihn ist es wieder super – er ist weit weg in München, während ich in Pals wahrscheinlich an mehreren Fronten Schwerstarbeit leisten muss«, dachte sie.
Selbst sein Vorschlag, an dem Abend schön essen zu gehen, stieß bei Loredana auf keinerlei Gegenliebe. »Du kannst ja gehen. Ich esse lieber zu Hause.« Woraufhin er sich herabließ, im Supermarkt einkaufen zu gehen und ein Abendessen zu kochen. Dieses verlief schweigsam, wie immer, wenn sie sich nicht stritten oder über Nichtigkeiten unterhielten, denn auf beides hatte Loredana an diesem Abend keine Lust. Ihr Kopf war voll von Gedanken über alles, was in der neuen Lebenssituation auf sie zukommen würde, und sie konnte und wollte diese Gedanken nicht mehr mit Sergio teilen. Wozu auch? Er war ja sowieso nicht da.
Eine Frage schoss ihr allerdings noch durch den Kopf und diese stellte sie ihm auch: »Mein Lieber, von wem ist die Idee mit der Versetzung eigentlich ausgegangen?«
Er schaute sie überrascht an. »Na, von meinem Chef natürlich.«
»Und hast du ihm nicht erzählt, wie deine familiäre Situation ist? Dass wir gerade dabei sind umzuziehen und dass ich dann in Barcelona völlig auf mich gestellt bin?«
Sergio schwieg betreten. Dann sagte er monoton: »Nein, das hätte ja auch sowieso nichts genutzt.«
Vier Wochen später stand der Umzugswagen vor der Tür. Der Abschied von Madrid fiel Loredana nicht schwer. Die einzige Person, die ihr wirklich nahestand, war Marisa, und sie wusste, dass sie den Kontakt mit ihr auch weiterhin halten würde. Enrique Martín verabschiedete sie mit süffisanten Worten – sie hatte nichts anderes von ihm erwartet.
Loredana hoffte von ganzem Herzen, dass es in Barcelona leichter werden würde. Sie hatte eine Stelle gefunden in einer großen Firma, die eine Assessorin für ihre Rechtsabteilung suchte. Die neue Position bedeutete eine berufliche Weiterentwicklung und sie freute sich auf die Herausforderung, die auf sie zukam. Gleichzeitig aber hatte sie auch ein wenig Angst vor dem Firmenwechsel und fragte sich, wie sie wohl mit den neuen Kollegen zurechtkommen würde. Bei ihrem neuen Arbeitgeber handelte es sich um eine Motorenfabrik, in der hauptsächlich Männer arbeiteten. Sie konnte sich ausmalen, dass das Betriebsklima in einem solchen Unternehmen ganz anders sein würde als in einer renommierten Madrider Kanzlei und sie hoffte, dass ihr die Umstellung gut gelingen würde.
Loredana und Sergio hatten eine Wohnung in Pals gekauft, dem kleinen Dorf an der Costa Brava nördlich von Barcelona, in dem Sergios Familie lebte – genau genommen lag die Wohnung direkt gegenüber dem Haus von Loredanas Schwiegermutter. Von dieser war auch der Vorschlag zum Kauf dieser Wohnung gekommen – mit dem Hinweis, dass es dann für sie leichter wäre, auf Alejandro aufzupassen, da keine weiten Wege zurückzulegen wären.
Loredana konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als sie mit Sergio und den Besitzern die Wohnung angeschaut hatten. Sie war ihr eigentlich zu klein und zu dunkel und befand sich zu sehr in der Nähe der vielbefahrenen Durchgangsstraße, von der Nähe zur Schwiegermutter und einer Schwägerin, die im selben Haus wohnte, einmal ganz abgesehen. Aber sie wollte keine weiteren Komplikationen. Sie wollte nur, dass jetzt endlich etwas voranging, und hatte deshalb dem Kauf zugestimmt, obwohl ihr die Wohnung nicht gefiel. Sergio interessierte das ohnehin nicht. Er war zufrieden damit, dass er endlich wieder in der Nähe seiner Familie war, alles Weitere ließ ihn unberührt.
Die ersten Tage in der neuen Umgebung kamen Loredana irgendwie unwirklich vor. Ihr Mann war seit einer Woche in München und Alejandro war viel bei seiner Großmutter. Diese fragte Loredana dann auch gleich, ob er nicht weiterhin bei ihr wohnen könne, dann wäre es für sie leichter, als wenn sie ihn jeden Morgen um halb sieben bei Loredana abholen müsse, bevor diese zur Arbeit fuhr. Loredana konnte die Argumente ihrer Schwiegermutter nachvollziehen und sie sah auch ein, dass es für Alejandro und letztlich auch für sie selbst bequemer wäre. Gleichzeitig würde es jedoch auch bedeuten, dass sie und ihr Sohn sich noch mehr voneinander entfernten. Aber nach den harten Jahren in Madrid an der Seite eines Mannes, der sie nicht unterstützte, hatte sie keine Kraft mehr, sich zu widersetzen. So nahm sie Marías Vorschlag an.
Alejandro hatte zwar ein eigenes Zimmer in ihrer Wohnung, aber er war selten dort. Meist ging Loredana ins Haus der Schwiegermutter, um mit ihrem Sohn zusammen zu sein. Auf gewisse Weise fühlte es sich falsch an, aber sie wusste nicht, wie sie es hätte ändern sollen.
Die Abwicklung des Wohnungskaufes erwies sich als komplizierter als angenommen. Loredana wartete noch auf die Zurückzahlung des Geldes, das sie in Madrid angelegt hatte und das nun als Anzahlung für die neue Wohnung genommen werden sollte. Die Überweisung war längst überfällig und die Besitzer der neuen Wohnung wurden ungeduldig.
Es war für sie sicher ungewöhnlich, mit einer Frau zu tun zu haben, und sie hätten sich wahrscheinlich leichter getan, mit Sergio zu verhandeln. Die Zusammenkünfte mit ihnen waren für Loredana oft unangenehm. Die beiden – ein Ehepaar – behandelten sie mit Distanz und Misstrauen. Oft war sie nach solchen Treffen wütend auf Sergio, darauf, dass er sie so alleine ließ, wo er doch ganz genau um die Mentalität der Ortsansässigen wusste. Wenn Loredana ihm am Telefon von diesen Treffen und ihren Gefühlen erzählte, hörte sie von ihm immer dasselbe: »No pasa nada – alles halb so wild.« oder »Pasa olímpicamente – das kann dir doch gleichgültig sein.« Am Ende hatte sie schon gar keine Lust mehr, ihn an ihren Sorgen teilhaben zu lassen. Wozu auch? Ihm fiel ja sowieso nicht viel dazu ein.
Endlich war das Geld aus Madrid überwiesen worden und der Notartermin konnte stattfinden. Sergio kam für diesen Termin aus München angereist, schließlich kauften sie die Wohnung auf beider Namen. Fast wie der Anflug einer Ahnung ging es Loredana kurz vor dem Termin durch den Kopf, ob es nicht doch besser wäre, die Wohnung nur auf ihren Namen schreiben zu lassen. Aber der gemeinsame Kauf war beschlossene Sache und sie wollte die Entscheidung nicht im letzten Moment kippen.
Als Sergio und sie zur Kanzlei des Notars gingen, hatte Loredana zwar ein komisches Gefühl, aber sie wagte nicht, diesem nachzugeben. Zu gut hatte sie verinnerlicht, dass Pflichtgefühl über momentan auftauchenden Gefühlsregungen zu stehen habe. Das hatte ihre Stiefmutter ihr immer wieder vermittelt.
Sie war eine Frau, die ihr ganzes Pflichtgefühl brauchte, um die Ehe mit ihrem Mann aufrechterhalten zu können, eine Ehe, die in Wirklichkeit schon lange keine mehr war. Loredana überlegte oft, ob ihre Eltern sich jemals geliebt hatten. Ihr Vater war Bürgermeister des Dorfes gewesen, in dem sie an der Costa Brava lebten. Sein Beruf war mit einem gewissen Prestige verbunden und er hatte auch öfters verreisen müssen, sodass Stiefmutter und Tochter oft alleine waren.
Sie hatte diese Zeiten als trostlos in Erinnerung und hatte sich oft gewünscht, ihre leibliche Mutter würde noch leben. Aber diese war früh gestorben und ihr Vater hatte ihr gesagt, dass sie ›brav‹ sein und ihrer Stiefmutter immer gehorchen solle. Diese war eine Frau, die ihre Augen vor allem verschloss, was sie nicht sehen wollte. Einmal hatte sie zu ihr gesagt: »Weißt du, vielleicht hat es andere Frauen für deinen Vater gegeben. Aber ich war immer seine Ehefrau. Das ist so, wie wenn es in einer Stadt mehrere Kirchen gibt. Aber es gibt nur eine Kathedrale. Und die war ich.«
Loredana war Jugendliche gewesen, als sie diese Worte gehört hatte. Sie hatte sie damals nicht verstanden und sie verstand sie auch heute nicht. Wie konnte ihre Mutter behaupten, dass sie ›die Kathedrale‹ sei, und daraus ein Gefühl wie Stolz ableiten, wo doch das natürliche Gefühl Ärger auf ihren Mann hätte sein müssen? Loredana konnte sich das nur so erklären, dass ihre Mutter sehr streng katholisch erzogen worden war und gelernt hatte, dass eine Frau ›alles verzeihen‹ und ihrem Mann stets zu Diensten sein müsse. Der bloße Gedanke daran erzeugte Übelkeit in ihr.
Ein bisschen bedauerte sie auch, mit ihrem Vater nie über all diese Dinge gesprochen zu haben. Sie erinnerte sich an ihn mit Liebe, aber auch mit vielen Fragezeichen. Über seine erste Ehe mit Loredanas leiblicher Mutter hatte er nie gesprochen.
Mit diesen Gedanken war sie beschäftigt, während sie mit Sergio zur Kanzlei des Notars lief. Sie dachte: »Und obwohl ich mich immer so gegen die Ideologie meiner Stiefmutter verwehrt habe, gehe ich doch hier an der Seite eines Mannes, von dem ich nicht genau weiß, ob ich ihn noch liebe, zu einem Termin, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn wahrnehmen will, um eine Wohnung zu kaufen, die ich eigentlich auch nicht will.«
Es kam ihr vor, als laufe ein zweites Ich neben ihr her, das die ganze Situation beobachtete und kommentierte. Loredana sah sich wie von außen. Sie kannte dieses Gefühl aus vielen Situationen, die in Zusammenhang mit ihrem Mann standen. Wie meistens bemerkte Sergio nicht, dass etwas in ihr vorging. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sich wirklich für seine Frau zu interessieren. Sein Gesicht drückte Selbstzufriedenheit und eine Spur von Arroganz aus – wie so oft. Er war im Begriff, das zu bekommen, was er wollte – eine Wohnung gleich gegenüber von dem Haus seiner Mutter. Sein bequemes Leben für die nächsten Jahre war gesichert.
Die Sekretärin führte sie in ein muffiges, nach abgestandenem Rauch und viel altem Papier riechendes Büro. Der Notar selbst war mittleren Alters und hatte die gelangweilte Attitüde eines Mannes, der seine Schäfchen bereits im Trockenen hat.
Sergio übernahm sofort die Führungsrolle in der Situation, obwohl sie die Wohnung von Loredanas Ersparnissen kauften. Auch das registrierte sie mit Unbehagen, wusste jedoch nicht, wie sie diesem Gefühl Ausdruck hätte verleihen sollen. Die Männer begannen, auf eine kumpelhafte Art und Weise über Fußball zu reden, und sie fragte sich, warum sie sich in solchen Situationen immer wieder in die zweite Reihe stellen ließ. Sie fühlte sich dann oft wie ein kleines Kind, dem die Eltern sagen, dass es warten muss. Ein heißes Gefühl stieg aus ihrem Inneren an die Oberfläche. War es Wut? Oder Ärger? Auf jeden Fall war es ein intensives Unbehagen, das sie verspürte.
Der Notar und Sergio hatten ihre Plauderei beendet und das Verkäuferehepaar war inzwischen auch eingetroffen. Wie selbstverständlich übernahm der Mann der Verkäuferin die Gesprächsführung, obwohl die Wohnung seiner Frau gehörte. Loredana dachte: »Was für eine skurrile Situation – eigentlich müsste diese geschäftliche Transaktion zwischen uns beiden Frauen abgewickelt werden. Sie hat die Wohnung, ich habe das Geld – und trotzdem tun die Männer so, als wären sie die Hauptpersonen.«
Nach einigem Hin und Her waren die Verträge unterzeichnet und sie verließen die Kanzlei als frischgebackene Wohnungsbesitzer. Sergio schlug vor, das Ereignis irgendwo zu feiern, aber Loredana war nicht nach feiern zumute. Wie so oft befand sie sich in der Zwickmühle, Sergios Wünschen nachzugeben, sich dann aber schlecht zu fühlen, oder ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern, woraus aber ebenfalls schlechte Gefühle oder zumindest ein schlechtes Gewissen resultieren würden, denn Sergio würde auf seine gewohnte, leicht beleidigte Art und Weise reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie nicht dasselbe wollte wie er.
Sie dachte: »Warum habe ich in dieser Ehe immer nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, die ich beide nicht will? Warum muss ich mich immer entscheiden zwischen zwei Dingen, die beide nicht wirklich stimmig sind? Ich will mich doch einfach nur gut fühlen.«
Sarah – November 2007
Fünf Monate später fand die zweite Verhandlung gegen die Bank statt. Es sollten insgesamt fünf Zeugen der Bank gehört werden.
Eine Woche vorher führte Sarah ein Telefonat mit Frau Gebert, bei dem sie sich selbstbewusster fühlte als bei den vorherigen Gesprächen mit der unnahbaren Frau. Sie sagte: »Frau Gebert, ich erwarte, dass wir diesen Termin gewinnen.« Am nächsten Tag teilte ihr die Anwältin mit, dass sie krank sei. Sie konnte kaum sprechen. Eine Kollegin würde sie vor Gericht vertreten. Sarah dachte: »Irgendwie soll das wohl so sein. Eine andere Anwältin mit mehr Klarheit und Biss kann meiner Sache nur nützlich sein.«
Als sie am Verhandlungstag Frau Messing, die Kollegin von Frau Gebert, auf dem Gang vor dem Gerichtssaal begrüßte, spürte sie sofort, dass die Anwältin aus anderem Holz geschnitzt war. Sie wirkte klar, ohne Schnickschnack und Allüren und ganz auf die Sache konzentriert. »Ja, mit dieser Frau kann ich zusammenarbeiten«, dachte Sarah und nach einem ersten kurzen Gespräch merke sie, dass sie Frau Messing vertraute – mehr, als sie Frau Gebert vertraut hatte.
Sie musste auf der Bank vor dem Gerichtssaal warten. Helmut durfte der Verhandlung beiwohnen. Sie war schon gespannt, was er ihr später erzählen würde. Nach drei Stunden traten die Beteiligten nacheinander auf den Gang hinaus. Die Zeugen der Bank, die Sarah alle gut kannten, grüßten sie nicht. Sie selbst verspürte allerdings auch keinerlei Impuls, mit diesen Menschen in Kontakt zu treten.
Frau Messing trat auf sie zu. »Es ist gut gelaufen. Wir haben einige massive Widersprüche in den Aussagen aufgedeckt und herausgefunden, dass die Zeugen des Geldinstitutes von ihrem Anwalt präpariert wurden. Nun müssen wir abwarten, was der Richter entscheidet.« Dann verabschiedete sie sich mit einem aufmunternden Händedruck von Sarah.
Helmut und sie verließen das Gerichtsgebäude und beschlossen, irgendwo zum Mittagessen hinzugehen. Als sie am Tisch saßen, sagte Sarah: »Leg los. Ich bin total gespannt.«
Er holte tief Luft und berichtete: »Also, es war extrem spannend. Diese Frau Messing ist um Welten besser als Frau Gebert. Sie hat wirklich Biss und hat die Zeugen der Bank zerpflückt. Sie hat gute Fragen gestellt und ist richtig in die Tiefe gegangen. Eine Zeugin behauptete, alle Transaktionen würden in ein Kassenbuch eingetragen, dessen Einträge vier Wochen danach gelöscht würden. Eine andere Zeugin behauptete, die Einträge in diesem Kassenbuch würden erst ein halbes Jahr nach Vermerk gelöscht.«
Er fuhr sich durch die Haare und fuhr fort: »Derjenige, der behauptet hatte, dass er in Urlaub gewesen sei, als du das erste Gespräch mit ihm gehabt hattest, und der darüber ja sogar eine Aktennotiz erstellt haben sollte, wusste plötzlich weder von dem Urlaub noch von der Aktennotiz etwas.«
Sarah holte Luft. Wut stieg in ihr hoch. »Das gibt es doch nicht, dass die alle so lügen und dann auch noch von ihrem Anwalt präpariert wurden. Die haben mir gegenüber also tatsächlich nach dem Motto agiert ›Angriff ist die beste Verteidigung‹.«
Sie nahm einen Schluck Apfelsaftschorle und fuhr fort: »Und deshalb haben sie versucht, mich einzuschüchtern und mir anzudrohen, mich wegen Prozessbetrugs zu verklagen.«
Helmut nickte langsam.
Sarah sprach weiter: »Erinnerst du dich noch an die ungute Situation auf dem Gang des Gerichts, als Frau Gebert so schroff mit mir geredet hat und ich mich fast gedrängt gefühlt habe aufzugeben?«
Er nickte erneut.
»Gott sei Dank habe ich es nicht getan. Gott sei Dank bin ich meiner inneren Stimme und Wahrheit gefolgt und habe entschieden, den Prozess fortzusetzen. Trotzdem muss ich sagen, dass ich geschockt bin angesichts des Ausmaßes an Unverfrorenheit und Verlogenheit des gegnerischen Anwaltes und des Geldinstitutes.«
Sarah bekam in diesem Moment eine Ahnung von der internen Struktur solcher Geldinstitute. Als ein Jahr später die Finanzkrise die Republik erschütterte, verstand sie sehr genau, wie es dazu hatte kommen können, denn sie hatte die Skrupellosigkeit, Kälte und Menschenverachtung, die anscheinend in einigen Banken herrschte, am eigenen Leib erfahren müssen.
Helmut fuhr fort: »Es traten immer mehr Widersprüche auf und der gegnerische Anwalt, der beim ersten Prozesstermin noch so arrogant aufgetreten war, ist immer kleiner geworden. Es war ein deutliches Unbehagen bei den Vertretern der Bank spürbar – und übrigens auch beim Richter. Er hatte sich wohl erhofft, dass sich die Tendenz vom ersten Prozesstag fortsetzen würde und er ein einfaches Urteil fällen könne. Aber das war mitnichten der Fall. Ich bin total gespannt, wie er jetzt reagiert.«
Mit dieser Verhandlung war die Beweisaufnahme abgeschlossen. Der Termin für die Urteilsverkündung war in sechs Wochen anberaumt. Jetzt hieß es hoffen und warten.
Vier Wochen darauf kam ein Schreiben des Richters, in dem er mitteilte, dass die Glaubwürdigkeit des Geldinstituts zwar erschüttert sei, aber die Beweislage in seinen Augen nicht eindeutig genug, um zu einem Urteil zu gelangen. Er bat Sarahs Anwältin um Stellungnahme.
Kurz darauf hatte Sarah einen Termin bei Frau Gebert. Sie hätte viel lieber mit Frau Messing gesprochen, doch Frau Gebert war ja immer noch ihre Anwältin, was Sarah missfiel.
Nach ein paar einleitenden Worten sagte die Anwältin: »Wir haben die Bank ganz schön zerlegt.«
Sarah dachte: »Du hast gar nichts gemacht. Deine Kollegin hat die Zeugenaussagen zerpflückt, nicht du.« Dann sagte sie: »Warum ist Frau Messing bei diesem Gespräch nicht dabei? Sie hat doch die Zeugen bei der letzten Verhandlung befragt.«
Frau Gebert nickte zögerlich. Ihr Unbehagen war offensichtlich. »Ja, vielleicht kommt sie später noch dazu. Sie hat momentan einen anderen Termin.«
»Das ist aber ungünstig. Ich hätte sie gerne bei dem Gespräch dabei.«
Die Anwältin stand abrupt auf. »Ich werde schauen, wo sie ist.« Nach fünf Minuten kam sie zurück und teilte Sarah mit, dass die Kollegin in Kürze zu dem Gespräch hinzustoßen werde.
Als diese kam, erkannte Sarah sofort an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie die Dynamik der Gesprächssituation erfasste. Sie merkte auch, wie unbehaglich Frau Gebert sich fühlte, als sich Sarah bei Frau Messing für die Vertretung beim letzten Prozesstermin bedankte. Nachdem sie kurz das weitere Vorgehen besprochen hatten, schaute sie auf die Uhr und sagte: »So, dann wären wir ja durch. Wir schreiben eine Stellungnahme, in der wir alle wichtigen Widersprüche aufführen, und senden diese nach Überprüfung durch Sie, Frau Breuner, ans Gericht.«
Sarah ging das alles zu schnell, aber Frau Gebert war schon aufgestanden und Frau Messing traute sich offensichtlich nicht, ihrer Kollegin zu widersprechen.
Als sie auf die Straße hinaustrat, schien die Sonne. Sie dachte: »Wenn alle Anwälte so arbeiten wie Frau Gebert, dann wundert mich die Unzufriedenheit der Mandanten nicht«, und verspürte auch einen Ärger über sich selbst, weil sie nicht noch andere Anwälte konsultiert hatte, bevor sie sich für die Zusammenarbeit entschieden hatte.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.