Kitabı oku: «Forschung in der Filterblase»
IMPRESSUM
Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Mit weiteren Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt:
Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.
Lektorat: Stephanie Mohler, Hier und Jetzt
Gestaltung und Satz: Diane Fleury, Freiburg / Miriam Koban, Zürich
ISBN Druckausgabe 978-3-03919-500-8
ISBN E-Book 978-3-03919-964-8
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
© 2020 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden, Schweiz
INHALT
Vorwort von Caspar Hirschi
PROLOG: DIE REALITÄT DES VIRTUELLEN
WISSENSCHAFT KOMMUNIZIEREN: VON DER DEMONSTRATION ZUR PARTIZIPATION
Vergessene Anfänge
Public Understanding of Science
Dialog, Partizipation und Citizen Science
DEMOKRATIE SCHAFFEN: DIE ÖFFENTLICHKEIT UND DIE WISSENSCHAFTEN
Kommunikativ handeln
Helvetischer Pragmatismus
Digitalisierte Granulate
IN DER OFFENSIVE: DIE KOMMUNIKATION DER SCHWEIZER HOCHSCHULEN
Privilegierte: ETH Zürich und ETH Lausanne
Drei symptomatische Fälle: St. Gallen, Tessin, Basel
Das System Westschweiz
Die Fachhochschulen
IM DIENSTLEISTUNGSMODUS: DIE WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION
Der Nutzen der Organisation
Social Media: Keine Wunderwaffe
Reputation vor Öffentlichkeit
Der Spielraum des Monopolisten
UNTER DRUCK: DER WISSENSCHAFTSJOURNALISMUS
Die vierte Gewalt – subjektiv
Macher, Auftragnehmer, Freischaffender
Copy and paste
AUF EIGENE FAUST: FORSCHENDE UND IHRE FOLLOWER
It’s the economy, stupid!
Geschichte der Gegenwart
Jenseits von Twitter
GUT ERZÄHLEN: VIER THESEN
EPILOG: MIT BILDUNG BESSER LEBEN
Anmerkungen
Literatur
Interviews
Umfrage
Autor
VORWORT
Caspar Hirschi
Noch nie haben Schweizer Hochschulen so viel für ihre Reputation getan, und noch nie war ihre Reputation so fragil wie heute. Jede Forschungs- und Lehrstätte, von den ETH über die Universitäten bis zu den Fachhochschulen, beschäftigt einen Trupp von Kommunikationsprofis, die über zahlreiche Kanäle alter und neuer Medien gute Nachrichten aus dem eigenen Haus in die Welt setzen. Zu den bevorzugten Themen gehören: prestigeträchtige Publikationen, erfreuliche Rankingplatzierungen, erhaltene Preise, Spenden und Qualitätszertifikate, eingeworbene Forschungsmillionen, Inbetriebnahmen neuer Gebäude, Laboreinrichtungen oder Supercomputer, Vorträge bekannter Persönlichkeiten. So ergiesst sich aus den Kommunikationsabteilungen eine Good-News-Lawine, die den Eindruck erwecken könnte, alle Hochschulen unseres Landes befänden sich dank der harten Arbeit und hohen Intelligenz ihres Forschungspersonals in einer beständigen Aufwärtsspirale und seien dabei allein dem Ziel verpflichtet, die Gesellschaft mit dem Segen des wissenschaftlichen Fortschritts zu beglücken.
Wenn sich dieser Eindruck trotz aller Bemühungen nur selten einstellt, so hat dies damit zu tun, dass die gleichen Kommunikationsabteilungen immer öfter mit einer zweiten Aufgabe der konträren Art beschäftigt sind. Sie trägt den euphemistischen Namen «Issue Management» und besteht darin, schlechte Nachrichten über die Hochschule kommunikativ zu bewältigen. Es sind Nachrichten, die oft auf verschlungenen Wegen an die Öffentlichkeit gelangt sind, sei es, weil sie von offizieller Stelle zurückgehalten oder aus rechtlichen Gründen nicht kommuniziert werden konnten. Sind sie einmal bekannt, fällt es den Kommunikationsabteilungen schwer, die mediale Diskussion über ihre Hochschule unter Kontrolle zu bringen. Mal für Mal steigert sich eine punktuelle Kritik an einzelnen Akteuren oder Abteilungen zur Skandalisierung der gesamten Institution. In jüngerer Zeit waren davon vor allem prominente Lehr- und Forschungsanstalten wie die Universität Zürich, die HSG oder die ETH betroffen. Sie gerieten wegen Vorwürfen professoralen Fehlverhaltens in den Strudel öffentlicher Skandale, die sich monatelang hinzogen und sich dabei sukzessive ausweiteten, sodass in mehr als einem Fall nicht nur die kritisierten Professorinnen und Professoren, sondern selbst die Rektoren zum Rücktritt gezwungen wurden. Hat sich eine Hochschule eine hohe Reputation aufgebaut, fällt der Schaden durch Skandale umso grösser aus.
Angesichts der schroffen Gegensätze, die das Bild der Schweizer Hochschulen in der heutigen Medienlandschaft prägen, könnte man meinen, die Arbeit in akademischen Kommunikationsabteilungen sei ideal zugeschnitten auf Menschen mit manisch-depressiver Veranlagung. Tatsächlich legen die meisten Kommunikationsprofis aber einen professionellen Pragmatismus an den Tag, als sei die parallele Verbreitung von guten und die Verarbeitung von schlechten Nachrichten die einzig mögliche Normalität der Wissenschaftskommunikation. Vielleicht haben sie damit sogar recht, nur stellt sich dann umso mehr die Frage, warum die institutionelle Wissenschaftskommunikation in Extremen operiert und dabei den grössten Teil des Hochschulalltags, der sich wie in jeder anderen öffentlichen Institution zwischen diesen Extremen abspielt, kaum darstellen kann.
Wer dieser Frage nachgehen möchte, kommt um Urs Hafners Buch über die Wissenschaftskommunikation von Schweizer Hochschulen nicht herum. Liest man es, versteht man, dass die beiden Bilder der segensreichen und der skandalträchtigen Universität zwei Seiten derselben Medaille sind und sowohl mit den neoliberalen Reformen an Hochschulen als auch mit dem digitalen Wandel der Medien zusammenhängen.
Hafner nimmt in der hiesigen Forschungslandschaft eine Position ein, die ihn für eine Untersuchung dieses Themas geradezu prädestiniert. Erstens war er von 2007 bis 2014 Chefredaktor des Magazins Horizonte und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für Sozial- und Geisteswissenschaften des Schweizerischen Nationalfonds. Er kennt damit die Bedingungen der institutionellen Wissenschaftskommunikation aus eigener Erfahrung. Zweitens hat er als Autor für den Wissensbund der WOZ und für das Feuilleton der NZZ auch die journalistische Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Geschehen miterlebt und mitgestaltet. Drittens besitzt er als Historiker und freischaffender Wissenschaftsjournalist die nötige Distanz und Unabhängigkeit für eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Untersuchungsgegenstand.
Tatsächlich ist dieses Buch von einem intellektuellen Engagement getragen, mit dem Hafner die gegenwärtige Situation der Wissenschaftskommunikation erst geschichtlich einbettet und dann einer systematischen Kritik unterzieht. Er diagnostiziert ein Ungleichgewicht, dem zwei konträre Entwicklungen zugrunde liegen. Zum einen werden Kommunikationsabteilungen von Hochschulen in Nachahmung der privatwirtschaftlichen Corporate Communication stark aufgerüstet, zum anderen die Wissenschaftsressorts unabhängiger Medien im Zuge der Digitalisierung sukzessive ausgedünnt. In der Westschweiz ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten. Während die ETH Lausanne fast zwei Dutzend Vollzeitstellen in ihrer Kommunikationsabteilung hat, beschäftigen die französischsprachigen Tages- und Wochenzeitungen kaum noch Wissenschaftsjournalisten. Dadurch fliessen sowohl die Selbstanpreisungen der Hochschulen als auch die Skandalisierungen universitätsinterner Vorgänge im Internet fast ungefiltert in die Medien. Das polarisierte Meinungsbild hat auch strukturelle Ursachen.
Urs Hafner legt mit diesem Buch keine abschliessende Bestandsaufnahme, sondern eine anregende Diskussionsvorlage für die künftige Gestaltung der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus in der Schweiz vor. Zu diesem Zweck stellt er abschliessend mehrere Forderungen auf, wie sich die Forschung aus der «Filterblase» der aktuellen Wissenschaftskommunikation befreien kann. Sie verdienen eine fundierte Prüfung. Es ist zu hoffen, dass Wissenschaftlerinnen und Praktiker auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation die von Hafner beklagte Ängstlichkeit ablegen und sich auf eine offene Diskussion seiner Befunde und Korrekturvorschläge einlassen.
«Caspar Hirschi ist Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität St. Gallen und forscht unter anderem zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik.»
Prolog: Die Realität des Virtuellen
Wie wird heute, im digitalen Zeitalter mit seinen Social Media und den kriselnden Massenmedien, Wissenschaft öffentlich? Auf welchen Wegen gelangen in der Schweiz die Forschungsergebnisse zum Publikum, und welche? Erreichen wissenschaftliche Inhalte nun via soziale Netzwerke fast alle Bürgerinnen und Bürger? Kann man Wissen twittern – und wenn ja, welches? Nur das positivistische? Und wieso gilt die Vermittlung akademischen Wissens überhaupt als wichtig? Wenigstens daran besteht kein Zweifel: Mit der sogenannten Wissenschaftskommunikation, die hauptsächlich von den Hochschulen betrieben wird, kümmert sich eine wachsende Branche um den Wissenstransfer in die Öffentlichkeit. Und daneben sind weitere Akteure aktiv: Wissenschaftsjournalistinnen und Forschende. Einige haben sich auf Twitter eine beachtliche Gefolgschaft aufgebaut.
Auf die sozialen Netzwerke möchte ich hier besonders eingehen, weil sie unsere Kommunikationsgewohnheiten und Mediennutzung verändern. Ich meine vor allem Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, LinkedIn und Blogs – und davon nicht zu trennen die Webseiten, zu denen die Kanäle und ihre mit Bewegtbildern animierten Nachrichten meist führen, ob sie nun von einer Hochschule, einem Medienunternehmen oder von Privatpersonen betrieben werden. Fast jede Nachricht im Web zirkuliert heute zunächst als Tweet, als Post oder vielleicht auch als E-Mail – und fast immer kostenfrei. Das Internet und die Gratisökonomie pflügen den Nachrichtenverkehr um: immer mehr, immer schneller, immer kürzer. Die Bezahlschranken, welche die Medienunternehmen im Netz errichten, haben an der Beschleunigung nichts geändert. Wohin diese uns führen wird, darüber rätseln die Medienauguren. Lange hatten die Optimisten die Oberhand: Das Netz habe jegliche Kommunikation demokratisiert, alle könnten sich nun frei äussern und miteinander austauschen. Mittlerweile überwiegt die Skepsis: Die berüchtigten digitalen Filterblasen führten zur Isolierung der Bürgerinnen und Bürger. Indem sich jeder in seinem eigenen virtuellen Spiegelkabinett einrichte, schotte er sich von der realen Welt ab.
Es gibt kein Zurück, aber gibt es ein Vorwärts? Manche wollen das Reale ausgerechnet mit dem Virtuellen zurückgewinnen. 2018 präsentierte das Historische Museum Basel aus Anlass von Jacob Burckhardts 200. Geburtstag zusammen mit der Universität die wissenschaftskommunikative 3-D-Installation «Desktop». Indem sich die Besucherin ein klobiges Brillengestell aufsetzte, verband sie sich mit dem Internet, wo sie in eine virtuelle Welt eintauchte. Das Gerät heisst VR-Brille (VR für Virtual Reality) oder auch Artificial-Reality- oder Mixed-Reality-Brille. Jacob Burckhardt, der so originelle wie reaktionäre Historiker des 19. Jahrhunderts, der fast nur mehr Fachhistorikern bekannt ist, bildet die VR-Ausnahme. Die Regel heisst: Sex und Gewalt, vielleicht auch Design und Kunst. Auch wenn heute global nur rund zwanzig Millionen VR-Brillen in Umlauf sind: Gemäss ihren enthusiastischen Promotoren sind sie «the next big thing». Die VR werde Smartphones und Laptops verdrängen, denen sie haushoch überlegen sei. Bald würden wir nur noch mit solchen – natürlich viel angenehmer zu tragenden – Geräten kommunizieren, Musik hören, arbeiten, uns zerstreuen, einkaufen und Massenmedien konsumieren.
Kann man Burckhardt mit VR in die Gegenwart holen, die Massenmedien für den entlegenen Gegenstand erwärmen, ein junges Publikum für geschichtstheoretische Überlegungen begeistern? Das war der Plan. Sicher ist: Hätte man Burckhardt wie bei seinen letzten Jubiläen eine klassische Museumsausstellung gewidmet, die seinen Schreibtisch, Bilder aus seinem Leben und seine Manuskripte gezeigt hätte, wären die bildungsbürgerlich Interessierten unter sich geblieben. «Desktop» wollte genau das nicht, sondern mithilfe der neuen Medien die Grenzen zum wissenschaftsfernen Publikum überschreiten und diesem die Wissenschaft des Jacob Burckhardt und seiner Historiografie kommunizieren.
Das Resultat ist zwiespältig. Unverkennbar ist einerseits der Mut, mit der Installation Leute zu erreichen, die zwar nicht mit Burckhardt, aber mit Virtual Reality vertraut sind – also ein jüngeres und technikaffines, vermutlich überwiegend männliches Publikum. Allerdings bezwang das mit Wissenschaften und Bürgerkultur nicht vertraute Publikum die hohe Hürde «Museum» kaum. Und selbst wenn es sich in den künstlerisch gestalteten Burckhardt-Raum begeben hätte: Es hätte zur Figur Jacob Burckhardt, zum Historismus, zu Burckhardts Renaissance, zur Historiografie, zum Sinn des Historischen, zum Rassismus des 19. Jahrhunderts nicht viel erfahren.
Zugegeben: Der Kommunikation und Vermittlung von Wissenschaft geht es nicht mehr darum, das unwissende Publikum mit Wissen zu versorgen und sein Bildungsdefizit zu beheben. Die Wissenschaftskommunikation sowie der Wissenschaftsjournalismus sollten weder nach dem Modell des Lexikons noch des Wissensquiz funktionieren. Aber: Was könnten dann das Ziel und der Effekt der Vermittlung von Wissenschaft, einer Ausstellung oder Installation zum Beispiel zu Jacob Burckhardt sein? Wird VR die Wissenschaftskommunikation erobern? Ich riskiere keine Prognose. Mein Buch hält den Stand der Wissenschaftskommunikation in der Schweiz fest. Die Zukunft wird weisen, was die Analyse taugt.
Zuerst wird Definitionsarbeit geleistet: Da die Begriffe Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftspopularisierung und Wissenschaftsjournalismus nicht trennscharf benutzt werden, versuche ich zu klären. Das Kapitel öffnet zudem den historischen Raum: Wissenschaftskommunikation ist nicht neu. Ihre Anfänge datieren ins 19. Jahrhundert, als es noch keine Kommunikationsabteilungen gab, als aber prominente Professoren insbesondere die Naturwissenschaften popularisierten. Danach wende ich mich dem Verhältnis von Wissenschaften und Öffentlichkeit in Wissensgesellschaften zu. Die Bestimmung des Verhältnisses ist grundlegend für dieses Buch: Wenn die Entstehung der Demokratie und der Wissenschaften miteinander verknüpft sind, wie der Sozialphilosoph Jürgen Habermas behauptet, dann ist die Kommunikation der Wissenschaften mit der Res publica bedeutsam. In diesem Kapitel wird diskutiert, ob die beiden Systeme – Wissenschaft und Politik – überhaupt miteinander kommunizieren können und wozu diese Kommunikation gut sein soll. In der Schweiz ist in der politischen Sphäre eine ganz besondere Vorstellung von Bildung, Wissenschaft und Forschung dominant. Es regiert der Pragmatismus.
Weiter werden die Hochschulen beziehungsweise ihre Kommunikationsabteilungen ins Visier genommen. Sie sind in der Schweiz die wichtigsten Produzentinnen von Wissenschaftsnews. In den letzten zwanzig Jahren haben sie einen rasanten Aufstieg erlebt. Manche besitzen gar eine Videoabteilung und ein Fernsehstudio. Ich präsentiere drei für meine Fragen aufschlussreiche Fälle: die Universitäten St. Gallen, Tessin und Basel. St. Gallen ist eine Vorreiterin der multimedial-digitalen Kommunikation; viele Abteilungen würden gerne so produzieren. Die kleine Università della Svizzera italiana (USI) arbeitet nach einem neuen Konzept, das die Kommunikation nahtlos in die Wettbewerbsstrategie der Universität einbindet; auch dies schwebt nicht wenigen Hochschulen als Ideal vor. Basel schliesslich, eine mittelgrosse Volluniversität, setzt mit breiter Themenpalette pragmatisch auf den digitalen Wandel. Ihre Wissenschaftskommunikation steht für die der meisten Universitäten: Sie präferiert einen journalistischen Ansatz, der seine Grenzen am Ruf der Institution findet, der keinen Schaden nehmen darf. Zudem werfe ich einen Blick auf das «System Westschweiz» und die Fachhochschulen. Nicht zuletzt präsentiere ich Zahlen zur Social-Media-Kommunikation der universitären Hochschulen.
Es zeigt sich: Die Reputation der Hochschulen steht über allem. Hat die Studentin noch vor zwanzig Jahren ihr Fach an einer Universität belegt, so studiert sie heute bei einem «UZH-Forscher». Das Branding der Hochschulen – UZH steht natürlich für Universität Zürich – und die Hervorhebung ihrer Forschungserfolge gehen einher mit ihrer unternehmerischen Profilierung und dem verschärften Bildungswettbewerb. Auf kommunikativer Ebene stechen die Institutionen des Bundes, die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, hervor. Die neuen Möglichkeiten werden von den Wissenschaftskommunikatoren nicht nur als Chance und Bereicherung, sondern auch als Überforderung wahrgenommen. Eine mögliche Antwort darauf ist: Masse. Es sieht so aus, als ob der Bann der Quantität heraufzöge: «Post it or perish!» – um die berüchtigte, mittlerweile selbst von Forschungsförderungsorganisationen unter Beschuss geratene Wissenschaftlerdevise «publish or perish» zu paraphrasieren.
Heute ist die Wissenschaftskommunikation in der Öffentlichkeit viel stärker präsent als der üblicherweise auf die Naturwissenschaften ausgerichtete Wissenschaftsjournalismus. Diesem widmet sich das Kapitel «Unter Druck: Der Wissenschaftsjournalismus»: Wie ist er in der Schweiz aufgestellt, wie geht er den Umbruch in den Medien an? Dass der Wissenschaftsjournalismus mit Existenznöten kämpft, ist kein neuer Befund, macht diesen deswegen aber nicht weniger akut. In der Demokratietheorie der Gewaltenteilung kommt dem Wissenschaftsjournalismus eine wichtige Funktion zu: Er soll den Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen, darüber zu diskutieren, welche Forschung die Gesellschaft braucht. Und er sollte das Forschungsmanagement aufmerksam beobachten.
Schliesslich werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die selbst Wissenschaft unter die Leute bringen, porträtiert. Ihre Tätigkeit wird vom Aufstieg der sozialen Netzwerke begünstigt. Manche Professorinnen setzen auf Twitter, andere auf Blogs und Webportale. Die Forschenden erzielen zum Teil erstaunliche Reichweiten, und sie kommen direkt mit den Medien in Kontakt, ohne die Vermittlung von Kommunikationsprofis. Allerdings zeigt sich, dass sie die nichtakademische Öffentlichkeit in der Regel kaum erreichen.
Das Fazit ziehe ich in Form von vier Thesen: Die konstatierten Sachverhalte sowie die Lösungsvorschläge werden provokativ zugespitzt. Sie sollen die Realität transzendieren. Drei Begriffe sind zentral: Reputationsmanagement, Erwartungsüberschuss, Reflexionswissen. Sie verdichten die Mängel wie auch das Potenzial der Wissenschaftskommunikation und des Wissenschaftsjournalismus. Wahrscheinlich stärkt die intensivierte Nutzung der sozialen Netzwerke das Erscheinungsbild der Hochschulen. Für das vertiefte Verständnis der Wissenschaften in der Öffentlichkeit leisten die Social Media aber wenig. Dafür bräuchte es einen radikalen Wissenschaftsjournalismus.
Wozu soll die Kommunikation der Ergebnisse der Wissenschaften, also die an die Öffentlichkeit gerichteten Mitteilungen zur Praxis der Forschung, gut sein, wenn nicht für die Gestaltung einer für alle lebenswerten Gesellschaft? Zu glauben, dieses Ziel erreichten die Wissenschaften und ihre Verwalter von sich aus, hiesse einmal mehr, einer technokratischen Fantasie aufzusitzen – wie es die Apostel der Digitaltechnik tun, wenn sie verkünden, die «Science» werde mit «Big Data» die Demokratie retten. Plato schwebte ähnliches vor, einfach ohne Netz. Es ist komplizierter. Der Historiker Walter Scheidel hat kürzlich zu bedenken gegeben, dass vielleicht bald eine «biomechatronisch» optimierte Elite über die Normalsterblichen herrschen werde.1 Die Segnungen der Technik kommen nicht allen zugute. Es ist umgekehrt: Wenn schon, müssen die Bürgerinnen und Bürger die Demokratie retten. Die Wissenschaften können ihnen dabei nur helfen, wenn sie sich ihrerseits helfen lassen von den Kommunikatorinnen und Journalisten.
Dieses Buch hat den Anspruch, eine dichte Beschreibung der wissenschaftskommunikativen Landschaft der Schweiz zu liefern. Zum einen schöpfe ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Wissenschaftsjournalist und Wissenschaftskommunikator (so habe ich von 2007 bis 2014 für den Schweizerischen Nationalfonds die Öffentlichkeitsarbeit für die Sozial- und Geisteswissenschaften verantwortet). Zum anderen habe ich für diese Studie über dreissig Interviews geführt, überwiegend mit den Kommunikationschefs von Schweizer Hochschulen, dazu mit Wissenschaftsjournalisten und kommunikationsaffinen Professorinnen. Ergänzend habe ich unter den Hochschulen eine Umfrage zum Social-Media-Gebrauch gemacht sowie ihre Webseiten, sozialen Netzwerke und Wissenschaftsmagazine analysiert (siehe Anhang). Vier der Interviews habe ich in San Francisco, Berkeley und Stanford geführt. Die letzten Recherchen und der Abschluss des Buches erfolgten in San Francisco.
Dank der Unterstützung von Swissnex San Francisco, einer Einrichtung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, haben viele Kommunikationsstellen von Schweizer Hochschulen den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft. Ich meinerseits bin Swissnex dankbar für die Benutzung seiner Online-Umfragen sowie die freundliche Betreuung vor Ort und die Begleichung meiner Mietkosten. Apropos Geld: Dieses Buch ist grosszügig von der Gebert Rüf Stiftung finanziert worden. Für die Druckkosten ist unkompliziert die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften aufgekommen. Namentlich geht mein herzlicher Dank an: Michael Bürgi, Jon Mathieu, Marco Vencato und Mirjam Janett für das Gegenlesen und Kommentieren des Manuskripts, Philipp Dubach für Hinweise auf die US-Ökonomen-Blogszene, Sheila Fakurnejad für die Vermittlung der Kontakte in San Francisco und schliesslich alle Interviewpartnerinnen und -partner für die Zeit, die sie sich genommen haben.