Kitabı oku: «Mutter, Muse und Frau Bauhaus», sayfa 2
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All das hatte die Kräfte des nun 27 Jahre alten Architekten so sehr erschöpft, dass er einer Kur bedurfte. Er begab sich nach Tobelbad bei Graz in der Steiermark, das gerade dabei war, zum beliebten Bad der deutschen und österreichischen Aristokraten, Großbürger und Künstler zu werden, nachdem der Erfinder und Unternehmer Gustav Robert Paalen das dortige Kurhotel 1909 erworben, restauriert und erweitert hatte. Die Behandlung erfolgte nach der physikalisch-diätetischen Heilmethode des Dresdner Arztes Heinrich Lahmann, der auf ausgewogene Ernährung, Dampf- und Lichtbäder, Wasserkuren und Freiluftgymnastik setzte. Die im Mai 1910 im Berliner Tageblatt geschaltete Anzeige versprach »mildes Klima bei kräftiger Waldluft, die von ausgedehnten Fichtenwäldern mit Ozon gesättigt wird. Einheitspreise garantiert«.
Alma Mahler (1909)
In Tobelbad lernte der gut aussehende und elegant gekleidete Gropius am 4. Juni 1910 Alma Mahler kennen, die Ehefrau des Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, die mit Tochter und Gouvernante eine sechswöchige Kur absolvierte. Auch die 30-jährige Alma benötigte, obwohl auf der Höhe ihrer imponierenden Schönheit, aufgrund häufiger Unpässlichkeiten und Stimmungsschwankungen therapeutische Anwendungen.
Als Alma und Walter Gropius vom Leiter des Sanatoriums einander vorgestellt wurden, begann eine Amour fou, die nicht ohne Folgen bleiben sollte. Almas Briefe an Mahler wurden plötzlich so spärlich, dass dieser sich sorgte. Ob denn alles in Ordnung sei, er spüre da etwas zwischen den Zeilen der wenigen Briefe heraus. Eine Woche später kam er, um selbst nach dem Rechten zu sehen, und reiste, erfolgreich getäuscht, beruhigt wieder ab. Mitte Juli ging die Kur für Alma zu Ende. Sie fuhr nach Toblach, wo die Familie Mahler seit zwei Jahren ihren Sommerurlaub zu verbringen pflegte, während Gropius allein in Tobelbad zurückblieb.
Bald kam es, wie es kommen musste: Die Affäre, postalisch aufs Eifrigste fortgesetzt, flog auf. Von den leidenschaftlichen Briefen, die Gropius an Alma sandte, adressierte er einen an »Herrn Gustav Mahler«. Bis heute ist ungeklärt, ob es mit Absicht oder aus Versehen geschah. Gropius bestand zeitlebens auf einem Versehen, während Alma »jugendlichen Fieberwahn« dahinter vermutete. Da Gropius auch bei einer späteren Beziehung zu einer verheirateten Frau den Drang verspürte, mit dem Ehemann persönlich Kontakt aufzunehmen, ist allerdings Absicht nicht auszuschließen. Merkwürdig bleibt auch, warum Alma, die dazu Gelegenheit gehabt hätte, den Brief, dessen Handschrift sie erkannt haben musste, nicht aus der Post des ahnungslosen Ehemannes entfernt hatte.
Nach der Entdeckung forderte Alma von Gropius Vorschläge zu ihrer Rettung. Die Situation sei für sie ganz fatal. Da das Verhältnis quasi durch Zufall herausgekommen sei und nicht durch ein offenes Geständnis ihrerseits, habe ihr Mann nun jedes Vertrauen in sie verloren. Er müsse ihr sofort schreiben, dürfe aber auf keinen Fall nach Toblach kommen. Sehnsüchtig erwarte sie seinen Brief.
Erhoffte sich Alma wirklich Rettung von Gropius, von dem sie inzwischen wissen musste, dass er trotz seiner exklusiven Kurortwahl noch nicht in gesicherten materiellen Verhältnissen lebte und der anspruchsvollen Geliebten außer seinem Herz nur wenig zu bieten hatte? Oder wollte sie nur andeuten, dass sie das Verhältnis zwar gerne fortsetzen würde, vorerst aber bei Mahler bleiben müsse, da keine Rettung in Sicht war?
Gropius könnte geahnt haben, dass der weltgewandten und statusbewussten Alma ein heimliches Dreiecksverhältnis nicht unlieb gewesen wäre, und vielleicht war die falsche Adressierung des Briefes der Versuch, eine Klärung der für ihn unbefriedigenden Situation herbeizuführen, denn nach der Entdeckung bedrängte er Alma, er wolle Mahler von Mann zu Mann gegenübertreten. »Dein Brief macht mir grausige Angst um Euch. Keine Tragödie! Ich werde irrsinnig, wenn Du mich nicht rufst, ich will mich selbst vor Euch rechtfertigen und das Rätsel lösen zu helfen.«9
Welches Rätsel Gropius lösen und welche Tragödie er verhindern wollte, ausgerechnet er, der Verursacher des ganzen Dramas, können wir nur vermuten. Das Rätsel plötzlicher Liebe? Die Tragödie endgültiger Trennung? Was wir aber wissen, ist, dass Gropius, entgegen Almas Wunsch, sofort nach Toblach reiste und sich so auffällig unauffällig verhielt, dass Mahler nichts anderes übrig blieb, als den jungen Mann zu empfangen. Als alter Husar setzte Gropius nun auf kühnen Sturmangriff und forderte Mahler auf, sich von seiner jungen Frau zu trennen, damit er selbst sie heiraten könne. Mahler antwortete nicht, sondern stellte Alma vor die Wahl, ihn zu verlassen oder bei ihm zu bleiben unter der Bedingung, die Beziehung zu Gropius abzubrechen. Alma blieb, und Gropius reiste ab.
Vorher aber schrieb er Mahler noch einen merkwürdigen, etwas aufdringlich-anbiedernden Brief: »Wir hatten uns leider eben ja nur so wenig zu sagen – es schmerzt mich, dass ich Ihnen nur wehe tun kann. Lassen Sie mich Ihnen wenigstens noch danken für die Noblesse, mit der Sie mir entgegenkamen, und Ihnen ein letztes Mal die Hand drücken.«10
Gropius darf man wohl zu den Männern zählen, zu deren Liebesbedingungen, wie Freud konstatiert, notwendig die des »geschädigten Dritten« gehört. Dieser Typ Mann werde niemals ein Weib zum Liebesobjekt wählen, welches noch frei sei, sondern nur eines, auf das ein anderer Mann »Eigentumsrechte« geltend machen könne. Diese eigentümlich bestimmte Objektwahl entspringe der infantilen Fixierung der Zärtlichkeit auf die Mutter und stelle einen der Ausgänge aus dieser Fixierung dar. Die späteren Liebesobjekte würden zu »Muttersurrogaten« und ihre Ehemänner wie der Vater, dem einst die Mutter gehörte, zu Rivalen, die es, wenn auch mit gebotenem Respekt, zu besiegen gelte.
Alma blieb zwar bei Mahler – der sich in seiner Angst, sie zu verlieren, für die Lieder, die sie vor der Ehe komponiert hatte, zu interessieren begann und sie zu publizieren versprach –, gab den jungen Liebhaber aber nicht auf. Weitere Briefe gingen postlagernd oder über Almas Mutter Anna Moll hin und her. Alma sehnte sich nach dem dauernden Besitz des Geliebten. Er müsse wissen, dass sie ihn liebe, dass er ihr einziger Gedanke bei Tag und bei Nacht sei und sie für die Zukunft nichts anderes wünsche, als sein zu werden und zu bleiben. Doch verlange sie danach, zu erfahren, wie er sich eine gemeinsame Zukunft vorstelle, wie er seine Karriere vorantreiben und ihr Zusammenleben einrichten wolle, wenn sie sich einmal für ihn entscheiden würde. »Ach – wenn ich daran denke – mein Walter, dass ich Deine starke Liebe für mein ganzes Leben nicht mehr haben sollte! Ach Du – hilf mir – ich weiß nicht, was ich tun soll – wozu ich das Recht habe.«11
Doch Gropius wusste keinen Rat. Noch war er nicht mehr als ein Talent. Noch hatte er wenig Aufträge. Noch sah er keine Möglichkeit, genug Geld zu verdienen, um Alma befriedigende Vorschläge machen zu können. Vielmehr erhoffte er von ihr tatkräftige Hilfe bei der Überwindung der vor ihm liegenden beruflichen und finanziellen Hindernisse. Er werde jetzt jeden Groschen sparen, so schrieb er der Geliebten, dritter Klasse fahren und viel zu Fuß gehen. Dies alles sei ihm gleichgültig. Er wolle die vor ihm sich auftürmenden Berge überklettern, denn er habe keine Lust, sich zu Boden drücken zu lassen, und sie solle ihm dabei helfen.
Wie er sich diese Hilfe vorstellte, deutete er einige Zeit später an. Zunächst bat er sie um Rat, wie mit der Idee der Gründung einer Hausbaugesellschaft zu verfahren sei. Er habe naiverweise Behrens seine Ideen einst ausgeplaudert und nun, da dieser sie aufgegriffen, stehe er vor der Frage, ob er diesem seine eigenen Absichten in der Sache überhaupt mitteilen müsse. Er habe eigentlich nicht mehr den Wunsch, große Rücksichten auf Behrens zu nehmen. Dann kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen. Er frage sich, ob nicht vielleicht Wien, wo eine große Wohnungsnot herrsche, der geeignete Ort zur Verwirklichung seiner Ideen sei. Jedenfalls wolle er mit aller Macht diesen Weg beschreiten, um eine lebensfähige und ideell wertvolle Position zu erringen. Er brauche dazu einen zweiten jungen Mann, einen Kaufmann aus guter Familie, der Takt besitze, der Idee verständnisvoll gegenüberstehe und eigenes Kapital riskieren könne.
Alma versprach, über den ausgedehnten Bekannten- und Freundeskreis ihres Stiefvaters Carl Moll in Wien nach einem solchen Mann suchen zu lassen. Die Suche blieb jedoch bereits in den Anfängen stecken, da Alma bald das Interesse an dieser ihr fernliegenden Angelegenheit verlor. Stattdessen bat sie Gropius um Vorschläge hinsichtlich der Planung eines Landhauses auf dem Semmering, das sie bei einem ortsansässigen Baumeister in Auftrag gegeben hatte. Sie wünsche einige Details nach seinem Entwurf in ihrem späteren Haus.
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Alma und Gropius trafen sich weiter heimlich und schrieben einander in der Zwischenzeit leidenschaftliche Briefe. Alma in großer, schwungvoller Handschrift und lila Tinte an Gropius: »Wann wird die Zeit kommen, wo Du nackt an meinem Leib liegst, wo uns nichts trennen kann – als höchstens der Schlaf?«12 Gropius an Alma: »Mein Lebensglück, zum ersten Mal saß ich wieder über meine Denkmalsarbeit versunken – da kam Dein Brief! Auf den Knien bin ich vor Dir gelegen, Du Wahrheit, und habe dankerfüllt zu Dir aufgeschaut … Was wir zusammen erleben, ist das allergrößte, höchste, was Menschenseelen begegnen kann.«13
Als Alma ihren Ehemann zu den Proben für die Uraufführung der Siebten Symphonie Anfang September nach München begleitete, bat sie Gropius, zum Rendezvous ins Regina-Palast-Hotel am Maximiliansplatz zu kommen. Als Alma wenige Wochen später mit Mahler nach New York reisen wollte, wo dieser wie jedes Jahr die New Yorker Philharmoniker dirigieren sollte, fuhr sie auf getrenntem Weg nach Bremen, wo der Luxusdampfer Kaiser Wilhelm II. zur Abfahrt bereit stand, und bestellte Gropius nach München, um mit ihm weiter nach Paris zu fahren, wo sie, wie sie Mahler gegenüber vorgab, Freunde besuchen wollte. Sie reise, so schrieb sie Gropius, Freitag den 14. Oktober um 11.55 Uhr vormittags mit dem Orientexpress von München ab. Ihr Coupée-Bett habe die Nummer 13, im zweiten Waggon. Es wäre gut, das Billett auf den Namen »Walter Grote« aus Berlin ausstellen zu lassen, für den Fall, dass Mahler, der zwei Tage später fahre, sich die Liste zeigen lasse.
Alma blühte sichtbar auf, was Mahler nicht verborgen blieb. Sie sehe, teilte er der Schwiegermutter aus New York erfreut mit, täglich jünger aus. Da er nichts von der fortgesetzten Untreue wusste, sah er den Grund allein darin, dass Alma das Komponieren wieder aufgenommen hatte. Fleißig sei sie und habe ein paar neue reizende Lieder gemacht, die von einem großen kompositorischen Fortschritt zeugten.
Während Alma in New York weilte, reiste Gropius nach Wien, um ihre Mutter für sich zu gewinnen. Es gelang ihm so sehr, dass er Anna Moll brieflich dafür danken konnte, ihn liebevoll wie eine Mutter behandelt zu haben. Anna Moll, die ihren ersten Mann und Almas Vater, Emil Schindler, mehrfach betrogen und viel Erfahrung in Sachen ehelicher Heimlichkeiten hatte, tröstete Gropius und riet ihm zur Geduld. Man könne jetzt gar nichts tun, man müsse alles dem Lauf der Dinge überlassen. Sie glaube fest, dass ihre Liebe alles überdauern werde. Sie habe Vertrauen in ihn und sei überzeugt, dass er alles tun werde, ihr Kind nicht noch unglücklicher zu machen.
Alma und Gropius folgten dem Rat und ließen sich Zeit, auch wenn sie sich vom geduldigen Abwarten Unterschiedliches erhofften. Alma wünschte, dass Gropius bald so »selbststehend« in der Welt sein würde, dass er sie zu sich rufen könne, denn sie war nicht bereit, in kleinere als die gewohnten Verhältnisse mit großem Haushalt, Dienstmädchen und Gouvernante zu wechseln, und erwartete Erfolg. »Je mehr Du bist und leistest, desto mehr wirst Du mir sein!!«14
Gropius hoffte, dass Alma sich doch noch bedingungslos für ihn entscheiden und ihm helfen würde, seine Potentiale zu entwickeln, alles an Großem aus ihm herauszuholen, was in ihm lag. Es gäre, so ließ er die Geliebte wissen, gewaltig in ihm.
Und nun geschah das Unglaubliche. Der erst 50-jährige Mahler erkrankte und starb am 18. Mai 1911. Alma und Gropius trafen sich wieder im August in Wien, doch es wurde kein glückliches Wiedersehen. Als Alma gestand, dass sie Mahler in den letzten Tagen seines Lebens wieder ganz als Frau getröstet habe, reagierte Gropius verständnislos. Er fühle sich in seiner Ehre gekränkt, schrieb er Alma aus dem Hotel Kummer, es sträubten sich ihm die Haare, wenn er an das Entsetzliche denke. »Ich hasse es für Dich und mich, und ich weiß mit aller Bestimmtheit, dass ich für Jahre Dir treu bleiben muss. Aber diese Verdammnis ist nicht das schlimmste für mich, sondern dass mir die Begeisterung, der Glaube an mich selbst genommen ist … Der einzige Trost, an den ich mich zu klammern suche, ist der, dass ich zwei herrliche Menschen wie Euch in ihrem Leben weitergebracht habe.«15
Enttäuscht, dass Alma nicht dem Ideal der ausschließlich ihn liebenden Gefährtin entsprach, das er in ihr gesucht hatte, und beschämt von ihrer »Untreue« ging Gropius auf Distanz. Ein Treffen Ende September in Berlin sagte er ab.
Als sich zu dem Liebesschmerz und der narzisstischen Kränkung noch körperliche Schwäche und Zahnschmerzen gesellten, begab sich Gropius erneut ins Sanatorium, diesmal direkt in die von Heinrich Lahmann im Kurort Weißer Hirsch bei Dresden gegründete physiatrische Heilanstalt. Es wurde nach dem frühen Tod des Arztes von der Familie weitergeführt und erfreute sich eines weltweiten Rufes. Jährlich pilgerten etwa 7000 wohlhabende Patienten, darunter prominente Künstler, schwerreiche Industrielle, alte Adelige und hohe Militärs, an den Ort der Heilung, wo Holzhacken im Hof, Sonnenbäder auf der Dachterrasse und reizarme vegetarische Kost auf ihre von allzu viel Wohlleben gezeichneten Körper warteten.
Ohne sein eigentliches Leiden zu erwähnen, meldete Gropius der Mutter: Es gehe ihm ganz gut, aber er merke, wie matt er sei und wie nötig er eine Ausspannung habe. Er mache recht einsame Spaziergänge im herrlichen Waldpark, auf denen er sich selbst innerlich näher komme. Sie solle doch Adolf Meyer, der sich im Atelier ganz alleine herumschlage, einmal zu Tisch bitten, er wolle ihn sich etwas freundschaftlich erhalten.
Nach seiner Rückkehr suchte Alma Gropius in Berlin auf, doch das Treffen verlief unglücklich. Sie mochte weder die Stadt noch die Mutter, noch war es ihr gelungen, den jungen Geliebten wieder für sich zu gewinnen.
Auch das neue Jahr brachte keine Annäherung. Auf Almas briefliche Anfragen, warum er sich so gar nicht mehr melde und wann er denn wieder einmal nach Wien komme, antwortete Gropius nicht. Erst nach langer Zeit schickte er ein vorerst letztes Lebenszeichen: »Es kann nicht wie früher sein, und alles ist von Grund auf anders geworden. Kann man denn unerhörte Empfindungen der Gemeinschaft willkürlich in freundschaftliche abwandeln?? Würden Dir diese Tasten klingen, wenn ich sie anschlüge? Nein –; und es ist wenig Zeit verflossen seit den Tagen schmerzlichster Erkenntnis. Was später kommt, weiß ich nicht, es hängt nicht von mir ab. Es wirkt ja alles durcheinander … vielleicht, dass eine glückliche Stunde Dich vorbeibringt.«16
Während Gropius an seiner Enttäuschung laborierte und doch noch auf eine wundersame Wendung hoffte, war die 34-jährige Alma bereits mit dem sechs Jahre jüngeren Oskar Kokoschka liiert, den sie im Hause ihres Stiefvaters Carl Moll kennengelernt hatte. Gropius erfuhr von der neuen Beziehung erst, als das ausdrucksvolle Doppelbildnis, das Kokoschka von sich und Alma gemalt hatte, im März 1913 auf der Ausstellung der Berliner Sezession gezeigt wurde. Völlig verbittert schrieb er ein allerletztes Mal. Während er sich Mahler wohl kraft seiner Jugend überlegen fühlte, trat er gegen Kokoschka nicht in den Ring.
Alma aber, die immer wieder an Kokoschka, der besitzergreifend auf Heirat bestand, zweifelte, war nicht bereit, den fernen Geliebten freizugeben, und versuchte, den Briefwechsel wieder aufleben zu lassen. Er möge doch sehen, lockte sie im Februar 1912, was er aus den nicht sehr gelungenen Plänen für das Landhaus machen könne. Sie werde vielleicht Kokoschka heiraten, drohte sie im Juli 1913. »Mit Dir aber bleibe ich durch alle Ewigkeit verbunden. Schreibe mir, ob Du lebst – und ob dieses Leben des Lebens wert ist.«17
Je mehr Kokoschka Alma drängte, auch nachdem sie gegen seinen Willen sein Kind abgetrieben hatte, einzig für ihn da zu sein, desto fremder wurde er ihr. Je häufiger er Alma Oberflächlichkeit und innere Leere vorwarf, desto inniger pflegte sie sich an Gropius zu erinnern, der, wie sie sicher zu wissen glaubte, noch immer in Berlin ihrer harrte. Während Kokoschka, der nichts von Almas Avancen gegenüber dem früheren Liebhaber, ja nicht einmal von dessen Existenz wusste, nach wie vor Hochzeitspläne schmiedete, schrieb Alma werbende Briefe nach Berlin. Sie fühle sich einsam und wolle ihn unbedingt wiedersehen. »Willst Du meine Freundschaft – so hast Du sie. Ich habe den größten Wunsch, mit Dir zu sprechen. Dein Bild ist lieb und rein in mir – und Menschen, die so Seltsames und Schönes miteinander erlebt haben, dürfen sich nicht verlieren. Komm – wenn Du Zeit und Freude dran hast – komm her. Es ist keine Resignation, die mich all dies schreiben lässt, sondern erhellter, neugeklärter Blick.«18
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Die deutsche Kriegserklärung an Russland am 1. August 1914 und die folgende Generalmobilmachung verhinderten ein erneutes Zusammentreffen. Gropius, der als Vizefeldwebel von den Husaren abgegangen war, wurde sofort eingezogen. Die Führung des kleinen Büros überließ er dem getreuen Adolf Meyer. Keiner ahnte – denn jeder rechnete mit einem schnellen Sieg –, dass es ein Abschied für vier lange Jahre sein sollte. Ein Telegramm an die Mutter, die sich noch im Sommerhaus am Timmendorfer Strand aufhielt, zeugt von einer gewissen Vorfreude auf das kriegerische Ereignis, das den eintönigen Alltag so abenteuerlich zu unterbrechen versprach: »Heute Abend Abmarsch Frankreich, beste Stimmung. Tausend Grüße.«19
Die Stimmung blieb noch eine Weile gehoben, auch wenn die vorrückenden Truppen auf unerwartet heftigen Widerstand der Belgier stießen, deren Gebiet sie völkerrechtswidrig überrannten. Es herrschte herrliches Sommerwetter, die Gesundheit des nicht mehr ganz jungen Kriegers war gut, besser jedenfalls als in den Jahren zuvor. Stolz konnte er der Mutter von seiner Kraft und seinem Können berichten. Es sei doch eigentümlich, wie man sich noch gar nicht recht kenne. Er habe geglaubt, dass es mit seinen militärischen Fähigkeiten nicht weit her sei, nun aber stecke er die meisten glatt in die Tasche. Sie wisse, dass das keine Prahlerei sei, aber es falle ihm eben auf, wie wenige so ganz einfach und gerade ihre Pflicht täten. Von seinen gewagten Patrouillen sprächen nicht nur das Regiment, sondern auch der Divisionsgeneral. Stimmung und Gesundheit seien weiterhin gut: »Keine Hämorrhoiden, keine Erkältung, kein Durchfall, während die meisten anderen nach den unsäglichen Strapazen liegen blieben und in die Lazarette mussten.«20
Doch nicht lange, so wünschte sich Gropius trotz Beförderung zum Leutnant und Verleihung des Eisernen Kreuzes, dass der Krieg bald zu Ende ginge. Der Höllenlärm der Geschütze, die schrecklichen Schreie der Verwundeten und Sterbenden raubten ihm den Schlaf und versetzten seine Nerven in dauernde Unruhe. Noch hatte der Berliner Apotheker Maximilian Negwer das Ohropax nicht erfunden. Die seelische Erschütterung infolge der vielen grauenvollen Szenen, die er miterlebte, brachten Gropius schließlich so herunter, dass auch er im Januar 1915 in ein Feldlazarett verlegt werden musste. Der Arzt berichtete der Mutter, ihr Sohn leide an Schlaflosigkeit, die durch Nervosität hervorgerufen sei. Die Ursache hierfür scheine in dem anstrengenden Dienst sowie in einem durch das Detonieren einer Granate in unmittelbarer Nähe veranlassten Schock zu liegen. Es sei zwar schon besser geworden und werde keine langfristigen Spuren hinterlassen – eine Voraussage, die nicht zutreffen sollte –, doch an eine Rückkehr an die Front sei momentan nicht zu denken.
Im Anschluss an den Lazarettaufenthalt erhielt Gropius zur weiteren Genesung noch einige Wochen Heimaturlaub, die er bei der Mutter in Berlin verbrachte. Dort erreichte ihn ein Silvestergruß der kriegsbegeisterten Alma. Sie wünsche, dass er heil aus der gewiss siegreichen Schlacht zurückkehren und dass bald die Zeit kommen werde, in der sie ihn dahin führen dürfe, wo er mit seinen Schritten ihr den Boden abgemessen habe. Sie drücke seine Hände.
Gropius brach nun sein langes Schweigen und berichtete Alma von seinen Leiden und seiner Genesung. Unverzüglich reiste sie nach Berlin, wo es ihr auf das Schönste gelang, wie sie dem Tagebuch anvertraute, ihre Absicht in die Tat umzusetzen, sich diesen bürgerlichen Musensohn wieder beizubiegen. »Tage wurden weinend verfragt … Nächte weinend beantwortet. Walter Gropius kommt über meine Bindung mit Oskar Kokoschka nicht hinweg … Ich brachte ihn auf die Bahn, dort übermannte ihn aber die Liebe derart, dass er mich kurzerhand in den schon abgefahrenen Zug zog und ich nun wohl oder übel mit nach Hannover fahren musste. Ohne Nachthemd, ohne die geringsten Bequemlichkeiten und Hilfsmittel wurde ich so, ziemlich gewaltsam, die Beute dieses Mannes. Ich muss sagen, es gefiel mir nicht übel.«21
Gegen Kokoschka, der sich auf ihr Drängen freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte, zeigte sich Alma nun ganz und gar abweisend. Er war ihr abhanden gekommen. Er war ihr ein »unersehnt Fremder« geworden, dessen Leben sie nicht mehr interessierte. Sie hatte vorgegeben, in Berlin ihrer Leiden wegen einen berühmten Arzt aufsuchen zu müssen, was Kokoschka ihr nicht so ganz glaubte, auch wenn er den eigentlichen Grund nicht erriet. Ahnungsvoll klagte er: »Du ziehst nur Dein ganzes Leben lang die Anderen an Deine Brust und mich lässt Du verkommen … Du hast mich vergessen, wie Du nach Berlin gefahren bist, durch irgendeine arglistige Ohrenbläserei gegen mich wieder einen passablen Grund gefunden, fortzufahren, zu vergessen, mich zu vergessen, der Welt wieder zu gehören.«22
Als Alma zwei Wochen später nach Wien zurückkehrte, war sie sich allerdings nicht mehr so sicher, dass Gropius als Geliebter und Ehemann ihrem Anspruch auf genialisches Künstlertum genügen könnte. Auch dieser Mensch sei nur ein Mensch, und ach, sie ertrage Menschen schlecht, sei vielmehr voll Sucht nach einem Hinauf. Sie war und blieb unentschlossen, trotz aller Beteuerungen, Gropius zu lieben und für immer seine Frau werden zu wollen. Der Mann, mit dem sie sich verband, musste zu den Auserwählten gehören, was bei Gropius noch keineswegs abzusehen war, und so schwankte sie, beständig nur in ihrer Unbeständigkeit, zwischen heißer Sehnsucht und kühler Distanz, zwischen Schwärmerei und nüchterner Betrachtung hin und her. Nie wusste sie für längere Zeit, ob sie einen Mann noch liebte oder ihn bereits hasste, ob es Liebe, Flirt oder Zeitvertreib war.
Mit Kokoschka jedenfalls schien sie abgeschlossen zu haben. Als sie von seiner schweren Verletzung – Kopfschuss und Bajonettstich in die Lunge – bei einem Einsatz in der Ukraine erfuhr, zeigte sie wenig Mitgefühl. Sie holte aus seinem Atelier, zu dem sie den Schlüssel besaß, die Briefe, die sie ihm geschrieben, und die Skizzen, die er von ihr gemacht hatte. An seine Verwundung, schrieb sie Gropius, glaube sie nicht, sie glaube diesem Menschen überhaupt nicht mehr.
Als Gropius allerdings wagte, sich kritisch über Kokoschka zu äußern, reagierte sie, wie das Tagebuch zeigt, heftig und arrogant: »Heute habe ich von W. G. einen direkten, bösen Brief bekommen. Ich war tief erregt – und tief erschrocken – aber immer mehr fühle ich, dass dieser Mensch nicht mein Leben bedeutet. Seine Eifersucht auf O. K. ist grenzenlos! So viel arische Rücksichtslosigkeit könnte sich höchstens in meiner Nähe mit Magie paaren, um ertragen werden zu können; aber gepaart mit Philistertum entbehrt sie jeglicher Begründung. O. K. darf rücksichtslos sein. Dieser Mensch nicht, dieser kleine gewöhnliche Mensch! Auf die Knie vor mir, wenn ich bitten darf!«23
Alma fühlte sich über die »gewöhnlichen Menschen« erhaben. Nicht nur war sie die Tochter eines mit Preisen und Auszeichnungen geehrten Malers und Witwe eines bedeutenden Komponisten und Dirigenten, sondern selbst eine begabte Künstlerin mit höchsten Ambitionen. Schon als 19-Jährige hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut: »Ich möchte eine große Tat tun. Möchte eine wirklich gute Oper komponieren, was bei Frauen wohl noch nie der Fall war. Ja, das möchte ich.«24
Und wirklich hätte aus Alma einiges werden können. Sie hatte zwar nie regelmäßig eine Schule besucht, war aber, musikalisch begabt, schon früh im Klavierspiel unterrichtet worden. Als junge Frau nahm sie gegen den Willen von Mutter und Stiefvater Stunden in Kompositionslehre bei Alexander von Zemlinsky. Zemlinsky glaubte an ihr Talent, zumindest für das Liederkomponieren, das, wie er meinte, für gewöhnlich »das Feld der Weiber« sei, musste aber bald feststellen, dass es ihr an Ernst und Ausdauer fehlte. Obwohl er in sie verliebt war, sparte er nicht mit Kritik. Entweder sie komponiere oder sie gehe in Gesellschaften, eines von beiden. Sie solle aber lieber das wählen, was ihr näher liege: in Gesellschaften zu gehen.
Zemlinsky sollte Recht behalten. Es gelangen Alma zwar einige bemerkenswerte Liedkompositionen nach Gedichten von Novalis, Rilke und Dehmel von, wie es in Fachkreisen heißt, emotionaler Intensität, doch es fehlte ihr an unbedingter Hingabe, ohne die in der Kunst nichts zu erreichen ist. Das mag sie selbst gefühlt und daher gehofft haben, dass der um sie werbende Mahler als Ehemann ein väterlicher Mentor werden und ihre kompositorischen Ambitionen unterstützen würde. Als Mahler aber vor der Eheschließung von ihr forderte, zukünftig auf eigene Arbeiten zu verzichten, da ein komponierendes Ehepaar eine zu lächerliche Angelegenheit sei, gab sie ohne Widerspruch nach – nicht ohne Mahler später vorzuwerfen, ihr Talent schändlich unterdrückt zu haben.
Dabei hätten sich Alma zur Ehe mit Mahler durchaus Alternativen geboten. Sie zählte zu den Schönheiten Wiens und hatte die Wahl zwischen vielen Verehrern. Zudem war das künstlerische Milieu, in dem sie sich bewegte, für unkonventionelle Lebensentwürfe, auch von Frauen, durchaus offen. Doch Alma schien nicht so recht an die eigenen Fähigkeiten, an weibliche Kreativität überhaupt, zu glauben und zog es vor, einen bereits arrivierten Mann zu heiraten, der ihr als Direktor der Wiener Hofoper ein gutes Einkommen und einen hohen gesellschaftlichen Status verschaffte. Sie trat mit dieser Entscheidung in die Fußstapfen ihrer Mutter, die zwar eine Gesangsausbildung am Wiener Konservatorium absolviert, nach der Heirat den Beruf aber aufgegeben hatte.
Das Verhältnis zwischen Alma und Gropius blieb der Mutter in Berlin nicht verborgen. Sie sei, so schrieb sie dem Sohn, über seine Wahl zwar nicht glücklich, respektiere sie aber. Was sie allerdings verletze, sei, dass er sie nicht eingeweiht habe. »Hier geht stark das Gerücht, Du würdest Dich gleich nach dem Krieg verheiraten. Warum verschweigst Du mir das, mein Walter, wenn es wahr ist? Zweifelst Du an meinem Verständnis, oder fürchtest Du, mich zu sehr zu erregen? Sei versichert, dass beides nicht nötig ist, und dass ich ganz glücklich und zufrieden bin, wenn Du es bist … Glaube mir, dass ich mir alle Mühe geben werde, mit Deinen Augen zu sehen, die ja doch helle genug sind und sich auch hoffentlich hierin nicht täuschen.«25
Doch Manon Gropius konnte sich mit Alma nicht abfinden. Die freizügige, leidenschaftliche Wienerin war und blieb der nüchternen, disziplinierten Preußin fremd. Es falle ihr unendlich schwer, schrieb sie dem Sohn, die Geliebte mit seinen Augen zu sehen. Vielleicht müsse sie Alma erst einmal besser kennenlernen, momentan jedenfalls könne sie sich mit seiner Wahl nicht einverstanden erklären. Nach einem Besuch der beiden gestand sie: Die mit ihm und Frau Mahler durchlebten und durchkämpften Tage seien wie ein Sturmwind über sie hinweggebraust und hätten sie gebeugt und völlig erschöpft zurückgelassen.
Die Antwort des Sohnes war schonungslos und wirkt, als hätte sich so einiges an Ärger über die mit Liebe und Fürsorge verbundene Strenge und Dominanz der Mutter über die Jahre angesammelt. Der geistige Abstand, der sie, so schrieb er, trenne, sei vielleicht doch zu groß, um überwunden werden zu können. Im Gegensatz zu ihr, die stehen geblieben und versteinert sei, sei er rapide vorwärtsgeschritten, habe ein neues Selbstvertrauen gewonnen und werde seinen eigenen Vorstellungen gegen jeden Widerstand nachleben. Wenn sie an seinem Glück zukünftig teilnehmen wolle, müsse sie über ihren Schatten springen und Alma einen versöhnlichen Brief schreiben.
Die Mutter tat, wie ihr geheißen. Sie wollte wohl die gestörte Mutter-Sohn-Beziehung wieder festigen und den Sohn, der an der Moselfront kämpfte, nicht durch familiäre Differenzen zusätzlich belasten. Sie wusste wie nur wenige von seinen gefährlichen Einsätzen und den vielen Toten, die ihn umgaben und die es wie ein Wunder erscheinen ließen, dass er selbst noch unverletzt geblieben war. Erstaunt hatte Gropius der Mutter einmal geschrieben: »Wir können nicht dankbar genug sein für das Glück, das über mir waltete. Die Kugeln haben mich in diesem Kriege nun schon vollständig umschrieben: eine in die Pelzmütze, eine in die Stiefelsohle, eine rechts, eine links durch den Mantel – und die schauerliche Granate.«26
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