Kitabı oku: «Er schenkt mir ein weites Herz»
Ursula Theresa Dippel
Er schenkt mir ein weites Herz
Impulse aus der Benediktsregel
Vier-Türme-Verlag
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Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2021
ISBN 978-3-7365-0357-1
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2021
ISBN 978-3-7365-0380-9
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr
Gestaltung: Dr. Matthias E. Gahr
Umschlagmotiv: Cobalt/Adobe Stock
www.vier-tuerme-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Prolog • Orientiert an einem geheimnisvollen Buch
1 • Höre
2 • Bevor du beginnst, bete, Er möge es vollenden
3 • Lauft, solange ihr das Leben habt
4 • Jetzt
5 • Eine Schule des Herrn
6 • Fliehe nicht vom Weg des Heils
7 • Ein weites Herz
8 • Gemeinschaft
9 • Einsamkeit
10 • Ordnung
11 • Der Abt
12 • Kein Ansehen der Person
13 • Gespür für den rechten Augenblick
14 • Der Eigenart vieler dienen
15 • Armut?
16 • Gott offenbart oft einem Jüngeren, was das Bessere ist
17 • Tu alles mit Rat, dann brauchst du nach der Tat nichts zu bereuen
18 • Das Fasten lieben
19 • Sich dem Treiben der Welt entziehen
20 • Den Zorn nicht zur Tat werden lassen
21 • Von der Liebe nicht lassen
22 • Nicht Murren
23 • Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben
24 • Das eigene Tun und Lassen jederzeit überwachen
25 • Dass Gott an jedem Ort auf mich schaut
26 • Und sich von allem Bösen künftig bessern
27 • Was sie sagen, das tut, was sie tun, das tut nicht
28 • Nicht heilig genannt werden wollen, bevor man es ist
29 • Die Älteren ehren, die Jüngeren lieben
30 • Und an Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln
31 • Gehorsam
32 • Gott liebt einen fröhlichen Geber
33 • Demut
34 • Er rede nur, wenn er gefragt wird
35 • Den Weisen erkennt man an den wenigen Worten
36 • Stundengebet
37 • So, dass Herz und Stimme in Einklang sind
38 • Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken
39 • Unterschiedliche Maßstäbe
40 • Alles behandeln wie heiliges Altargerät
41 • Wenigstens ein gutes Wort
42 • Ein gutes Wort
43 • Damit im Hause Gottes niemand traurig wird
44 • Alles sei allen gemeinsam
45 • Jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte
46 • Jeder soll Hilfe erhalten
47 • Die Tischdiener sollen zuerst essen
48 • O Gott, komm mir zu Hilfe!
49 • Nur, wenn er die Hörer erbaut
50 • Schweigen
51 • Müßiggang ist der Feind der Seele – Hektik aber auch
52 • Lesen und Lernen
53 • Zu bestimmten Zeiten
54 • Von ihrer Hände Arbeit
55 • Gastfreundschaft
56 • Alle Fremden aufnehmen wie Christus
57 • Das Auftreten der Reichen verschafft sich ja von selbst Beachtung
58 • Das Kleid darf nicht zu kurz sein
59 • Damit in allem Gott verherrlicht werde
60 • Die Bereitschaft, Widerwärtiges zu ertragen
61 • Beständigkeit
62 • Entscheidung
63 • Ehelosigkeit?
64 • Wandel
65 • Vielleicht hat es der Herr gerade deshalb geschickt
66 • Den Fehler hassen, den Bruder lieben
67 • Das rechte Maß
68 • Unmögliche Aufträge
69 • Den Bruder nicht verteidigen
70 • Mit Leidenschaft
71 • Der Liebe Christi nichts vorziehen
72 • Er führe uns gemeinsam zum ewigen Leben
73 • Einfache Regel als Anfang
Meinem Lehrer Fidelis Ruppert OSB und der Gemeinschaft, die ihn dazu gemacht hat.
Prolog • Orientiert an einem geheimnisvollen Buch
Die Regel des heiligen Benedikt
ist ein unerschöpfliches Buch. Das haben Quellentexte so an sich. Noch nach 1500 Jahren erscheint das Wasser, das aus dieser Quelle strömt, immer gleich, und doch schmeckt es immer wieder so frisch und neu, als hätte noch nie jemand daraus getrunken. Immer wieder wird diese Quelle neu entdeckt. Immer wieder stoßen Menschen plötzlich und unvermittelt im Dickicht des Lebenswaldes auf dieses Werk und erkennen auf Anhieb, dass es das ist, was sie gesucht haben. Sie kommen rasch auf den Geschmack. Und manche kommen nie wieder davon los.
Die Regel des heiligen Benedikt
hat einen gewissen Suchtfaktor. Sucht hat mit Suchen zu tun. Man kann süchtig werden nach der Suche. Dieses Buch ist das Lebenswerk eines einzelnen Menschen, der sein Leben lang auf der Suche blieb. Viele versuchten und versuchen ihm darin zu folgen. Es kann eine unwiderstehliche Versuchung sein. Manche versuchen sich auch dabei und kommen vom rechten Weg ab. Trotzdem. Aus dem Lebenswerk des Einzelnen sind viele Lebenswerke anderer geworden. Für einen war es Lebenswerk, das Buch zu verfassen, für andere ist es Lebenswerk, es zu deuten und zu verstehen. Kaum ein Buch der Welt wurde mit so viel Leben erfüllt wie dieses. Kaum eines hat so viele Lebensformen erzeugt. Kaum eines ist dabei so geheimnisvoll und unnahbar geblieben.
Die Regel des heiligen Benedikt
gehört zu den meistgelesenen Büchern der Welt, wenngleich nicht wirklich zu den Bestsellern. Sie wird tagtäglich gelesen und immer wieder, das aber vorwiegend von immer denselben – jenen Menschen, die sie bereits für sich entdeckt haben und sie trotzdem immer wieder neu als Lebensquelle anzapfen. Von einer Breitenwirkung kann man deshalb leider nicht reden, wohl aber von einer Tiefenwirkung bei denen, die sich ihr aussetzen.
Die Regel des heiligen Benedikt
hat die Kraft, die Welt zu verändern. Unaufhaltsam verändert sie die Welt ihres Lesers, wenn er bereit ist, sie nicht nur als Stoff wissenschaftlicher Reflexion zu benutzen.
Zur Regel des heiligen Benedikt
existieren unzählige Kommentare. Deshalb war ich wenig euphorisch, als ich angefragt wurde, etwas zur Regel Benedikts zu schreiben. Zumal derjenige, der es anregte, einer von denen ist, die sie mindestens dreisprachig auswendig können, so ziemlich jeden einschlägigen Kommentar bereits gelesen haben und seit über einem halben Jahrhundert sehr konkret danach leben. Was kann ich dem noch hinzufügen? Außerdem bin ich keine Wissenschaftlerin, lediglich eine praktizierende Benediktineroblatin, die aus reiner Verliebtheit an dieser Regel hängt. Mein Kommentar könnte allein deshalb schon nicht mit anderen konkurrieren. Aber die Anfrage ließ mich nicht los. Denn einen Blickwinkel kennt er nicht so gut: den eines Menschen, der nicht im Kloster danach lebt.
Es war nicht leicht, einen Anfang zu finden. Als mich einmal ein Mönch fragte, was an meinem Leben benediktinisch wäre und wo die Regel darin vorkomme, musste ich ein Weilchen nachdenken. Dann blieb mir nur die Antwort: »Es gibt eigentlich nichts, was nichts damit zu tun hat.« Damit ist alles gesagt. Auch, dass es unmöglich bleibt, einen erschöpfenden Kommentar über ein unerschöpfliches Werk zu schreiben. Also musste eine Auswahl getroffen werden.
Sie fiel schließlich auf die symbolische Zahl 73. Benedikt hat seine Regel in 73 Kapitel unterteilt. Jedes davon bietet auf seine Art Orientierung, und über alle ließen sich ganze Bücher verfassen. Diese würden aber nie fertig werden, denn auch das Nie-fertig-Werden gehört dazu. Außerdem sind nicht alle Kapitel für ein benediktinisches Leben außerhalb von Klostermauern gleich wichtig.
Was aber ist wirklich wichtig?
Es sind Stichworte. Sie alle stammen aus dieser Regel und tauchen nahezu täglich in meinem Leben auf. An ihnen orientiere ich mich immer wieder. Deshalb möchte ich über sie erzählen.
Textgrundlage der folgenden Betrachtungen: Die Regel des heiligen Benedikt, Beuroner Kunstverlag 16. Auflage 1992; lateinische Zitate: Die Benediktsregel Lateinisch/Deutsch, Reclams Universal-Bibliothek 2009.
1 • Höre
» RB, Prolog 1
Hören ist das erste Wort. Benediktinisches Urgestein. Fundamental. Alles andere kommt danach.
Es ist ein Befehl, mit dem das große Werk beginnt. Keine Erklärung, keine tiefsinnige Abhandlung. Es geht sofort los. Mit einem Wort steht man mittendrin, nicht erst mit einem Satz. Es ist kürzer als ein Sprung ins kalte Wasser. Und es gibt die Richtung vor. Im Prolog steht das Vorwort zu allem. Im Anfang war das Wort. Benedikt nennt es: Höre!
In unserer Zeit von Twitter, Blog, millionenfacher Datenkopie und effizientesten Druckmethoden wird wohl mehr geschrieben als gelesen. In einer Welt von Entertainment, politischen Debatten und Nachrichtenkanälen hat Erfolg, wer gut reden, nicht aber, wer gut zuhören kann. In manch einem Leben existieren schon keine natürlichen Zuhörer mehr. Und wer davon krank wird, den schickt man zu bezahlten Fachleuten, damit er überhaupt erlebt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: dass man einander zuhört und sich aufmerksam mit den Problemen seiner Mitmenschen befasst.
Der monastische Mensch soll zuallererst ein zuhörender Mensch sein, ein aufmerksamer, ein wacher. Einer, der noch in der Nacht den Anruf Gottes vernimmt und sagt: »Hier bin ich« (vgl. Gen 46,2).
2 • Bevor du beginnst, bete, Er möge es vollenden
» RB, Prolog 4: Wenn du etwas Gutes beginnst, bestürme ihn beharrlich im Gebet, er möge es vollenden.
»Wenn du etwas Gutes beginnst ...« Was ist gut und was nicht? Ist Gebet nur etwas für »Gutmenschen«, für die mit den besten Absichten? »Das Gegenteil von gut ist gut gemeint«, mahnt ein Sprichwort. Woher weiß ich, dass mein Vorhaben wirklich gut ist und nicht nur gut gemeint?
Benedikt traut seinen Schülern zu, das eine vom anderen unterscheiden zu können. Ob ein Vorhaben wirklich gut ist, muss im Vorfeld geprüft werden. Gottes Segen liegt auf dem wirklich Guten, das nur gut Gemeinte verwirft er. Vor dem »Ich habe es doch nur gut gemeint« lag die Enttäuschung, dass die Absicht ins Leere ging, die Zuwendung von dem vermeintlich Begünstigten nicht angenommen wurde, ja oft sogar eine unerwartete schroffe Zurückweisung anstelle eines erwarteten Dankes. Solche Erlebnisse können sehr entmutigend sein und verhindern manchmal weitere gute Taten, die der Welt dann fehlen.
Das Gebet kann nicht zwingend, gleichsam magisch verhindern, dass man auch in bester Absicht am Ende etwas falsch macht. Aber es kann das Gespür dafür schulen, ob ein Vorhaben nur der eigenen Selbstbestätigung dient oder tatsächlich auch der Lebenswirklichkeit des anderen.
Das Gebet selbst prüft auch, ob es dem Beter mit diesem Vorhaben tief und langfristig ernst ist oder doch eher nur eine rasche, nette Idee aus der oberflächlichen Schatulle. Wenn sich Gott damit beschäftigen soll, der ja die höchste denkbare Autorität im Leben eines gläubigen Menschen ist, muss es das Projekt schon wert sein, ihm damit auf den Wecker zu gehen. Die Beharrlichkeit des Beters selbst ist also die eigentliche Prüfung. Wer die Beharrlichkeit des Betens für sein Vorhaben nicht aufbringt, wird auch keine Vollendung seiner guten Absicht erleben.
3 • Lauft, solange ihr das Leben habt
» RB, Prolog 13 nach Joh 12,35: Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt, damit die Schatten des Todes euch nicht überwältigen.
Zeit ist begrenzt, immer und überall. »Was du tun willst, das tue bald«, sagt Jesus zu Judas, als der ihn verraten will. Das gilt aber auch für weniger dramatische Situationen, von denen kein tödlicher Ausgang zu erwarten ist.
Unter Terminkalenderbesitzern hat sich der Begriff vom »Zeitfenster« eingebürgert. Jeder geht damit um, aber was bedeutet er eigentlich? Dass da ein fester, unverschiebbarer Rahmen ist, in den die angefragte Aktivität passt? Dass sich das Fenster auch wieder schließen kann, wenn andere Anfragen kommen? Dass der Besitzer dieses Fensters es willkürlich schließen kann, wenn es ihm nicht mehr passt? Dass wir nur noch eine Lebensfassade haben, durchsetzt mit mehr oder weniger großen Löchern? Oder dass es einen willkommenen Blick nach draußen gewährt, der uns mit anderen in Kontakt bringt, die sonst unbeachtet vorbeilaufen?
Zeit macht Druck, sobald sie in den Blick gerät. Und das tut sie heutzutage nahezu ständig. Alles muss auf die Minute passieren. So lange, bis man völlig ausgebremst wird. Dann bekommt die Zeit auf einmal ein anderes Gewicht. Und plötzlich zählt wieder das pure Leben oder das, was davon übrig ist, nachdem die Schatten des Todes schon danach gegriffen hatten.
4 • Jetzt
» RB, Prolog 43–44: Noch ist Zeit, noch sind wir in diesem Leib, noch lässt das Licht des Lebens uns Zeit, alles zu erfüllen. Jetzt müssen wir laufen und tun, was uns für die Ewigkeit nützt.
Für Benedikt existiert nur eine maßgebliche Zeit: die Gegenwart. Seine ganze Pädagogik zielt darauf ab, im aktuellen Moment, im Hier und Jetzt und am Ort, den die eigenen Füße gerade berühren, leben zu lernen, die Aufgabe dieses Augenblicks zu erfassen und ihr gerecht zu werden. Das Gestern ist vergangen, das Morgen noch nicht da. Wichtig ist das Heute. Auf das Heute können wir Einfluss nehmen. Dem Heute können wir uns stellen. Es geht um die Präsenz: darum, jetzt und hier da zu sein. Das schließt nicht aus, die Vergangenheit zu reflektieren und aus ihr zu lernen. Auch nicht, für die Zukunft Visionen zu entwickeln und ihnen entgegenzustreben. Auch das ist wichtig, weil es dem Leben im Hier und Jetzt eine Richtung gibt. Eine, aus der wir kommen, und eine, in die es uns treibt.
Vergangenheit und Zukunft gleichen den Balancierstangen auf dem Drahtseil. Mit ihnen läuft es sich auf dem schmalen Boden, der sich den Füßen bietet, etwas sicherer. Doch unsere Aufmerksamkeit gebührt allein dem Seil. Wer zu oft darüber nachdenkt, wie viel Fallhöhe ihn beim Absturz erwartet, verschwendet seine Energie.
Wir wollen doch ankommen. In (der) Ewigkeit. Der Weg dahin führt über die Gegenwart.
5 • Eine Schule des Herrn
» RB, Prolog 45: Wir wollen also eine Schule für den Dienst des Herrn einrichten.
Viele Themen, die Benedikt anspricht, viele Tipps, die er gibt, sind recht profaner Natur und auf jeden Fall nützlich, auch wenn man sie aus dem Kontext des Glaubens völlig herausschneiden würde. Doch wer im Kloster nur eine beliebige Lebensschule sieht, der sieht zu wenig.
In der Schule für den Dienst des Herrn ist jeden Tag Examen, jede Stunde Prüfung, jedes Wort ein Aufsatz, jede Zahl ein Rechenexempel, jeder Mensch Klassenkamerad, alles, was begegnet, potenziell Lehrer und Erzieher. »Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind« (RB 58,2 nach 1 Joh 4,1). Stündlich. Hier wird der Mensch von seinem Schöpfer zum Kader geschmiedet.
6 • Fliehe nicht vom Weg des Heils
» RB, Prolog 48: Lass dich nicht sofort von Angst verwirren und fliehe nicht vom Weg des Heils. Er kann am Anfang nicht anders sein als eng.
Wer fühlt sich schon gern wie neu geboren? Zerknittert und traumatisiert von der Enge im Geburtskanal, fremden Menschen ausgeliefert, die Augen verkniffen vom plötzlich grellen Licht, zitternd vor ungewohnter Kälte, wichtige Versorgungsadern werden einem abgeschnitten, in kürzester Zeit soll man lernen, wie es jetzt weitergeht. Eine einzige Katastrophe. Aber was wäre geworden, wenn man die Situation hätte vermeiden können? Nichts mehr, nur noch Tod und Trauer und sinnloser Schmerz derer, die übrig bleiben.
Schon von unserem ersten Heilsweg durften wir nicht fliehen. Und jede neue Lebensphase, die weiter in die Freiheit führt, gerät unwillkürlich zu einem Stück neuer Geburt. Heilswege können nicht anders sein als eng. Nur so führen sie in die Weite. Und manchmal bleibt uns in Sachen Wege keine Wahl.