Kitabı oku: «Elfenzeit 2: Schattendrache», sayfa 6
Schnell brachten sie die wenigen Bäume und Büsche hinter sich, die sie von der freien Fläche zwischen Quell und Ruhehütte trennten. Als sie die Gestalt im dunklen Kapuzenmantel sahen, die einen Körper in ihren Armen hielt, wollte David vorstürmen, doch die Esoteriker waren schneller.
Die Menschen hatten den Getreuen inzwischen entdeckt. Sie konnten aber weder den mit Leidensmiene dahinter am Boden liegenden Kau, noch den eben auf der anderen Seite aus dem Wald herbeieilenden Spriggans sehen, denn beide waren für Sterbliche ebenso unsichtbar wie Grog und Pirx.
»He, du!«, rief ein bärtiger Mann mit einem Schwert und trat einen Schritt vor die restliche Gruppe. »Lass das Mädchen los!«
Er hielt die Klinge in seiner Hand auf eine Art, als wisse er, wie man damit umging. Rian sah zugleich, dass das Band, das mit dem Wasser zwischen den Menschen gewoben worden war, anscheinend noch an Stärke gewonnen hatte. Es war eindeutig mit Elfenmagie durchtränkt, und so gab sie Grog innerlich mit seiner Vermutung recht – durch ihre Gegenwart und Davids Hilfe beim Wasserschöpfen war etwas auf diese Menschen übergesprungen, das ihnen half, sich gegenseitig zu stärken und zu schützen. Die Kraft war dabei vervielfacht worden.
Mehrere hielten Dolche in der Hand, dunkle zweischneidige Klingen, und sie wirkten, als wären sie bereit, sie einzusetzen. Rian hatte Zweifel, ob sie unter normalen Umständen so gehandelt hätten.
Der Getreue musterte die Versammlung der Sterblichen eingehend. Auch er schien all das zu bemerken, was Rian aufgefallen war, und entweder sah er eine echte Gefahr darin, oder er wollte es nicht darauf ankommen lassen.
Mit einer Kopfbewegung hielt er den Spriggans auf, der sich gerade neben ihm zu einem reißzahnbewehrten Ungeheuer aufzublasen begann, und nickte dann dem Mann mit dem Schwert zu.
»Wie Sie wünschen«, sagte er in einer Stimme, die unter anderen Umständen angenehm und sympathisch gewirkt hätte.
Im nächsten Moment öffnete er die Arme, und Ninas Körper sackte herab und schlug auf dem Weg auf. Aus derselben Bewegung heraus warf er den versammelten Menschen eine Kraftwelle entgegen, die sie zurücktaumeln ließ und kurzzeitig das Band zwischen ihnen zum Wabern brachte.
David spannte sich an, um den Getreuen anzuspringen, doch im nächsten Moment hob der vorderste Mann in der Menschengruppe das Schwert und schwang es zwei Mal herum. Es war, als würde er damit den imaginären Sturm abschneiden.
»Er flieht«, zischte David.
Der Getreue war einige Schritte zurückgetreten, und nun wandte er sich um und eilte davon, gefolgt von seinen Helfern. Menschen und Elfen sahen ihm unschlüssig hinterher, um sich dann nahezu zeitgleich zu dem auf dem Boden liegenden Körper in Bewegung zu setzen.
Obwohl sein Weg weiter war als der der Menschen, erreichte David Nina zuerst. Er ließ sich neben ihr auf die Knie fallen und hob ihren Kopf in seinen Schoß, während die Sterblichen sich in einem Halbkreis um beide sammelten und unsicher auf sie hinuntersahen.
»Nina. Nina, wach auf«, rief David leise mehrfach, tätschelte ihre Wangen und rieb ihre Hände. Als Rian ihn erreichte, sah er zu ihr auf. »Sie lebt, aber sie ist eiskalt.«
»Wir haben Decken oben, und heißen Tee«, sagte die kleine blonde Frau. »Karin, Melanie, kommt mit, wir holen die Sachen.«
»Wir sollten sie ins Krankenhaus bringen«, meinte der Schwertträger. Ihm schien erst jetzt bewusst zu werden, dass er die Waffe noch immer in der Hand hielt, und ließ sie ächzend sinken. »Ich dachte, das Ding könne man gar nicht führen«, murmelte er mit einem verwirrten Blick darauf.
David stand auf und hob Nina auf seine Arme. »Wir werden sie ins Krankenhaus bringen«, erklärte er.
Die Menschen sahen ihn skeptisch an, doch die rothaarige Frau nickte. »Ihr scheint ja Freunde von ihr zu sein. Was hat sie denn hier allein gemacht, und wer war der Kerl?«
Rian trat vor. Sie lächelte die Menschen gewinnend an. »Wir wissen selbst nichts. Nina war beim Auto geblieben, während wir losgezogen sind. Sie wollte dann wohl doch zu uns, und unterwegs hat der miese Kerl sie angegriffen.«
Der Mann starrte Rian an und fuhr sich dann mit einer Hand über das Gesicht. »Heute ist wirklich eine seltsame Nacht«, meinte er. Er schüttelte den Kopf und sah dann etwas hilflos zu den anderen Menschen.
Rian bemerkte, wie das Band zwischen ihnen langsam zerfiel, als habe die Anstrengung gegen den Getreuen es ausgetrocknet. Aus den krafterfüllten zusammengeschlossenen Menschen wurden plötzlich wieder einzelne Wesen ohne Verbindung, die sich blinzelnd und verunsichert gegenseitig ansahen. Vermutlich würden sie sich morgen nur noch an die Hälfte der Ereignisse dieser Nacht erinnern.
Die drei Frauen, die zur Hütte hinaufgegangen waren, kehrten zurück, zwei von ihnen beladen mit Wolldecken, die dritte mit einer Thermoskanne in der Hand.
»Danke«, sagte Rian und lächelte die Frauen warm an, während sie die Kanne entgegennahm. Die anderen halfen David, die bewusstlose Nina in die Decken einzuwickeln, ehe er sie wieder auf die Arme nahm.
»Und jetzt macht, so schnell ihr könnt«, meinte die Frau, für die David das Wasser geschöpft hatte. »Und möge die Göttin euch schützen!«
»Euch auch«, antwortete Rian und hob kurz die Hand, während David bereits mit langen Schritten loslief, gefolgt von dem niedergeschlagen wirkenden Grog und dem erschöpft hinterherstolpernden Pirx. »Welche Göttin auch immer ihr meint.«
»Rhiannon ist die Schutzpatronin unseres Kreises«, antwortete die Blonde und lächelte breit. »Stark, liebevoll und geduldig wie ein Pferd.«
Rian blinzelte kurz, dann nickte sie nur und eilte ihrem Bruder nach.
Rian trat das Gaspedal vollständig durch und raste rücksichtslos durch Kurven und über gerade Strecken. Wenn andere Autos auf ihrer Seite vor ihr auftauchten, blendete sie meist nur kurz auf, ehe sie an ihnen vorbeischoss. Sie musste nicht sehen, ob jemand entgegenkam, um es zu wissen, und das verschaffte ihr in diesem Moment einen unschätzbaren Vorteil.
Immer wieder wanderte ihr Blick im Rückspiegel zu David, der seitlich auf der Rückbank saß und Ninas Kopf auf seinem Schoß hielt. Er wirkte blass und starrte durch das gegenüberliegende Seitenfenster hinaus.
»Langsam wird es zur Gewohnheit, dass du deine Lebensenergie mit Menschenfrauen teilst«, stellte Rian fest.
Erneut schlingerte sie um eine Kurve und trat dann hart aufs Bremspedal, als sie ein Ortsschild vor sich auftauchen sah. Unwillig knurrte der im hinteren Fußraum hingekauerte Grog auf, als Ninas Körper gegen ihn rutschte. Pirx hatte sich schon beim Einsteigen neben ihm zusammengerollt, und Rian vermutete, dass der Pixie sich mit seinen Stacheln in der Fußmatte verankert hatte und schlief.
»Keine Gewohnheit, auf die ich großen Wert lege«, antwortete David in abwesend wirkendem Tonfall.
Rian kramte ohne hinzusehen in ihrer Tasche und zog die Karte von Worms heraus. Sie reichte sie nach hinten.
»Mach dich nützlich und finde heraus, wo ich langfahren muss. Das hier ist Heppenheim, und wenn ich mich richtig erinnere, sind wir bald da.«
Grogs haariger brauner Arm tauchte hinter Rians Rückenlehne auf und griff nach der Karte.
»Das mache besser ich«, brummte er. »David ist mit den Gedanken woanders.«
Erneut warf Rian einen besorgten Blick in den Rückspiegel. Es stimmte, David wirkte in stärkerem Maße abwesend, als dadurch zu erklären war, dass er mit seiner Energie gegen die Kälte in Ninas Körper ankämpfte. Aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber zu wundern.
Schweigend rasten sie weiter durch die Nacht, bis sie Worms erreichten. Hier krabbelte Grog an einer Ampel auf den Beifahrersitz. Rian half ihm, sich notdürftig anzuschnallen, und er dirigierte sie dann anhand der Karte zu einem auf der anderen Seite des Stadtkerns gelegenen Krankenhaus. Rian fuhr ununterbrochen hupend und aufblendend bis vor die Tür, und als David ausstieg und Nina aus dem Wagen hob, kam ihnen bereits jemand vom Klinikpersonal entgegengerannt. Sie wurden direkt in ein Behandlungszimmer dirigiert, wo David Nina auf einer Untersuchungsliege ablegte. Dann scheuchte eine Schwester die beiden aus dem Raum und zur Aufnahme, während ein Arzt begann, Nina zu untersuchen.
Am Empfang gaben sie Ninas Daten an, die sie dem Ausweis aus ihrer Handtasche entnehmen konnten, hinterließen ihre Namen und den ihres Hotels. Dann schickte die Schwester sie ins Wartezimmer.
Etwas später kam der Arzt, der Nina untersucht hatte, zu ihnen. Er blieb vor ihnen stehen, strich sich sein kurzgeschnittenes dunkelblondes Haar zurück und musterte die Geschwister mit einem etwas ratlos wirkenden Blick seiner braunen Augen.
»Wie geht es Nina?«, fragte Rian sofort.
»Den Umständen entsprechend gut, wie man so sagt«, antwortete der Mann. »Was eigentlich ein Wunder ist, denn sie ist dermaßen unterkühlt, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Als wäre sie stundenlang in einem Gefrierhaus gewesen. Dennoch hat sie Glück gehabt, es wird keine bleibenden Schäden geben.« Er musterte Rian und David scharf. »Wie konnte das passieren?«
»Um ehrlich zu sein, wir wissen es nicht«, antwortete Rian. »Wir haben sie so gefunden, im Wald, nahe bei einem Bach. Wir sind Freunde von ihr, und wir haben gemeinsam einen Ausflug in den Odenwald gemacht. Sie war eigentlich im Auto geblieben, als mein Bruder und ich einen langen Spaziergang unternahmen. Als wir zurückgingen, fanden wir sie plötzlich am Weg.«
Der Arzt kniff etwas die Augen zusammen. »Wir werden sie gründlich untersuchen, um herauszufinden, was passiert ist. Sie müssen verstehen, dass wir die Polizei hinzuziehen werden, falls sich ein Verdacht auf eine Straftat ergibt.«
»Sicher.« Rian nickte.
»Die Schwester sagt, Sie haben eine Adresse im Hotel angegeben, und Sie klingen nicht, als wären Sie von hier. Darf ich Ihre Ausweise sehen?«
Rian nickte und zog zwei der Zettel aus ihrer Tasche, auf denen Nina Notizen für sie gemacht hatte. Sie strich kurz darüber.
»Wir sind David und Rian Bonet«, sagte sie. »Wir kommen aus Frankreich, aus Paris. Die Adresse auf den Ausweisen stimmt.«
Der Arzt musterte die Zettel kurz und nickte dann. Er glaubte, völlig normale französische Ausweise in der Hand zu halten.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Kopien mache?«
»Nein, das ist schon in Ordnung.«
Der Arzt verschwand, kam nach einer Weile wieder und gab Rian die Zettel zurück.
»So. Ich denke, Sie beiden sollten jetzt in Ihr Hotel zurückgehen. Frau Eberts ist bei uns in guten Händen, und zumindest Ihr Bruder sieht so aus, als könne er selbst ein wenig Ruhe vertragen.«
Rian erhob sich und gab ihm lächelnd die Hand. »Ich danke Ihnen, Doktor …«
»Haag. Tilmann Haag.«
»Dankeschön, Doktor Haag. Geben Sie uns Bescheid, wenn Nina aufwacht?«
»Natürlich.« Er nahm Rians Hand und drückte sie einmal fest. »Und kommen Sie zu den Besuchszeiten wieder vorbei.«
Rian nickte, David stand ebenfalls auf. Schweigend verließen die Geschwister das Krankenhaus und gingen zum Auto.
Die Fahrt zurück zum Hotel verlief bis auf den kurzen Bericht an Grog und Pirx über Ninas Zustand in völliger Stille. Sie ließen das Auto vor der Tür stehen. Rian ging mit den Feenkobolden direkt nach oben, während David einen Abstecher zur Bar machte. Rian warf sich seufzend auf die Couch, schaltete den Fernseher an und wenig später wieder aus, und starrte dann Pirx und Grog an, die auf dem anderen Sofa saßen und Trübsal bliesen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.
Grog hob die Schultern und schüttelte den Kopf. In diesem Moment kam David. Er hielt mehrere Flaschen in den Händen, schob die Tür hinter sich mit dem Fuß zu und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann kam er in den Raum hinein und stellte die Flaschen auf dem Couchtisch ab. Grog sprang auf und holte Gläser aus dem Schrank neben der Minibar, dankbar dafür, etwas zu tun zu haben.
»Einen Brunnen haben wir noch auf der Liste«, sagte Rian und beobachtete David dabei, wie er eine Flasche öffnete und den goldbraunen Inhalt in ein Glas halbhoch einschenkte. »Wir sollten ihn morgen anschauen.«
David lachte auf, ließ sich neben Rian auf die Couch fallen und nahm sein Glas.
»Sechs so genannte Siegfriedbrunnen haben wir angeschaut, und an keinem haben wir auch nur den kleinsten Hinweis auf den Quell des Lebens gefunden. Es ist uns lediglich gelungen, fast dem Getreuen und seinen Helfern über die Füße zu stolpern, und dabei eine unschuldige Menschenfrau in Gefahr zu bringen, die nicht die leiseste Ahnung davon hat, worum es geht.«
»Ich hatte dich gewarnt«, sagte Rian und griff nach einer Flasche mit Schokoladenlikör. »Obwohl es mir in diesem Fall lieber gewesen wäre, nicht Recht zu haben.«
David stürzte den Inhalt seines Glases herunter, lehnte sich dann in die Couch zurück und schloss die Augen.
»Wir werden nie nach Hause zurückgelangen«, flüsterte er. »Es ist vorbei.«
»Nein!«, fauchte Rian. »So schnell gebe ich nicht auf. Ich fahre morgen zu diesem letzten Brunnen, mit dir oder ohne dich, und wenn ich dort nichts herausfinden sollte, suche ich so lange weiter, bis ich auf Hinweise stoße. Und Pirx und Grog werden mir helfen!«
Ihre beiden Freunde nickten heftig, und Pirx schenkte Rian ein vorsichtiges Lächeln.
»Macht ihr doch, was ihr wollt«, sagte David und drehte den Kopf zur Seite. »Aber lasst mich in Ruhe damit.«
»Wie kannst du dich nur so hängen lassen? Du bist eine Schande für unser königliches Geblüt!«, erregte Rian sich. »Du hast weniger Mumm in dir als die Menschen, die uns geholfen haben! Diese Feiernden, Nina, Robert und Nadja – sie kneifen nicht gleich den Schwanz ein, wenn es mal Schwierigkeiten gibt! Und dabei haben sie mit unseren Problemen nicht das Geringste zu tun!«
Davids Kopf ruckte hoch, und er funkelte seine Schwester an. »Halt einfach den Mund, ja? Halt den Mund und lass mich in Ruhe.« Er stand auf, nahm zwei Flaschen, ging in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Verwirrt starrte Rian ihm hinterher. »So habe ich ihn noch nie erlebt«, sagte sie mit einem ratlosen Kopfschütteln. »Was ich von ihm fühle, ist unglaublich verwirrend. Nina wird sich doch wieder erholen.«
Grog räusperte sich. »Ich denke, da steckt mehr dahinter«, meinte er.
Rian trank einen Schluck und senkte dann den Kopf. »Glaubst du denn noch daran, dass wir etwas finden werden, Grog?«
Der Grogoch wiegte den Kopf und hob die Hände. »Wenn nicht hier, dann anderswo. Einfach weil wir etwas finden müssen. Darum glaube ich daran.«
Rian nickte nachdenklich. »So ist es. Und weil ich lieber irgendetwas tu als gar nichts, werde ich nicht aufhören, nach Hinweisen zu suchen. Wie sagen die Menschen so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.« Sie schwenkte den Likör im Glas und trank dann aus.
*
Fanmórs Gesicht hatte erneut eine Röte angenommen, die den Kopf des Riesen größer erscheinen ließ, als er ohnehin schon war. Dennoch ließ er außer einem tiefen Atemzug, der die Halle durchströmte und an allen Gewändern zerrte, keine weiteren Anzeichen seines Zorns hervortreten.
»Es lässt sich sehr gut mit meiner Gerechtigkeit vereinbaren, einen Verbrecher seine Strafe zur Gänze erleiden zu lassen«, sagte er mit zusammengekniffenen Augen. »Bandorchu hat sich ihr Schicksal erwählt, als sie ihren Aufstand begann, und sie wusste, was sie erwartete. Was geschehen ist, ist unabänderlich. So ist das Gesetz, und so ist unsere Welt. Selbst wenn ich dem irgendwelche Bedeutung beimessen würde, ob sie sich geändert hat, und selbst wenn ich sie, aus welchen Gründen auch immer, von dort zurückholen wollte: Es gibt für die Verbannten keine Rückkehr aus dem Schattenland. Jedes Tor dorthin ist für sie nur in eine Richtung zu durchschreiten. Und damit ist diese Frage ein für alle Mal geklärt.«
Alebin starrte hinauf in Fanmórs Gesicht. Ein eisiger Schauer überlief seinen Rücken.
»Ihr habt Gwynbaen ohne jede Möglichkeit der Rückkehr verbannt? Auf alle Zeiten? Das kann ich nicht glauben. Nicht einmal ein mächtiger Uralter wie Ihr sollte die Rückkehr ermöglichen können?«
Fanmór machte eine wegwischende Handbewegung. »Ich habe Bandorchu verbannt, nicht Gwynbaen, und die Strafe ist angemessen. Wäre sie noch Gwynbaen gewesen, wäre all das nicht geschehen, und wir stünden vielleicht jetzt nicht vor diesen neuen Schwierigkeiten.«
Der Herrscher beugte sich vor, die Hände auf die Armlehnen seines Sessels gestützt und funkelte Alebin an. »Und das ist das Ende dieses Gesprächs, Alebin, und wenn dir dein Leben und deine Gesundheit lieb sind, rate ich dir, mir so lange fern zu bleiben, bis du entweder einsiehst, welchen Unsinn du vor mir geredet hast, oder bereit bist, dich wie jeder gute Elf meines Reiches meinem Willen zu beugen, selbst wenn meine Handlungen nicht deine Zustimmung finden. Und jetzt – geh mir aus den Augen, ehe ich mich vergesse!« Fanmór ballte seine Hände zu Fäusten, während er die letzten Worte hervorstieß.
Hastig stand Alebin auf und raffte sein Gewand um sich. Mehr stolpernd als gehend trat er einige Schritte zurück, dann fuhr er ohne eine letzte Verbeugung herum und floh aus dem Saal. Hinter ihm setzte in den Reihen der Höflinge hämisches Flüstern und Wispern ein.
Meidling, hörte er sie sagen. Meidling, Meidling, Meidling.
4.
Das Leben eines Toten
Am nächsten Morgen fuhr Rian als Erstes zum Krankenhaus. Die Schwester am Empfang teilte ihr mit, dass Nina noch auf der Intensivstation sei und nicht besucht werden könne. Sie sei aber stabil. Rian fragte nach Doktor Haag, doch dessen Schicht hatte noch nicht begonnen, und der im Moment zuständige Arzt hatte keine Zeit, mit ihr zu reden.
Unverrichteter Dinge kehrte die Elfe ins Hotel zurück, um Grog und Pirx abzuholen. David ließ sich nicht blicken. Anhand der detailgenauen Karte der Region fanden die drei in Heppenheim mühelos den Siegfriedbrunnen. Wie von Rian nicht anders erwartet, war aber auch an diesem Brunnen nichts Besonderes, außer dass er gemeinsam mit den umgebenden Bäumen eine unerwartet romantische und friedliche Ecke zwischen großen Gewerbehallen und Hochhäusern darstellte. Im Gegensatz zu allen anderen Brunnen, die sie besucht hatten, war in diesem nicht einmal Wasser. Stattdessen hatten Leute trotz des Abdeckgitters Müll hineingeworfen, und feuchtes altes Laub moderte darin vor sich hin.
Rian hatte keine Lust, ins Hotel zurückzukehren. Andererseits fehlte ihr jede Idee, wie es nun weitergehen sollte, und zum Nachdenken brauchte sie eine andere Umgebung. Also fuhr sie erneut in den Odenwald, stellte an einem Wanderparkplatz das Auto ab und ging den nächstbesten Waldweg hinunter. Grog und Pirx folgten ihr wie Schatten, offensichtlich besorgt, aber dennoch still, was insbesondere für Pirx verwunderlich war.
Immer tiefer führte der Weg in den hier von Nadelbäumen beherrschten Wald. Rian sog die kühle nebelschwangere Luft in sich hinein und blieb schließlich stehen. Nach einem suchenden Rundumblick ging sie zu einem Baumstumpf und setzte sich darauf. Ihr Blick wanderte zwischen den Bäumen hindurch ins Nichts. Grog hockte abwartend vor ihr auf dem Waldweg, während Pirx hinter ihr mit lautem Rascheln durch das alte Laub huschte.
»So ist die Lage«, fing Rian an, »wir sind einer kalten Spur gefolgt. Das heißt aber nicht, dass es von Anfang an verkehrt war, hierher zu kommen. Vielleicht haben wir nur unsere Suche falsch angepackt.«
Sie sah Grog an, und der nickte langsam, ohne den Eindruck zu erwecken, dass er verstanden hatte, was sie meinte. Sie seufzte kurz und spielte mit ihrem langen Strassohrring.
»Wir haben uns auf das Motiv des Bildes konzentriert«, erklärte sie. »Ich frage mich langsam, ob das richtig war. Immerhin war es die Magie auf dem Bild, die uns zuerst darauf aufmerksam machte, und nicht das, was es zeigte. Vielleicht hätten wir eher darüber nachdenken sollen, wer diese Magie gewirkt hat, und wann, und warum?«
»Wäre zumindest ein neuer Ansatz, der sinnvoll erscheint«, antwortete Grog.
Rian nickte eifrig. »Es ist doch so: Wir haben gestern gesehen, dass diese Quellen Menschen anziehen, die sich mit Magie beschäftigen. Deshalb wäre der Quell der Unsterblichkeit längst entdeckt worden, so gerne David auch annimmt, alle Sterblichen wären in dieser Beziehung blind und dumm. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen, die so sind wie Nadja, also Grenzgänger oder eben diejenigen, die sich intensiv damit beschäftigen und empfänglich für Magie sind, das Geheimnis aufdecken könnten. Um die Spur wieder aufzunehmen, sollten wir daher jetzt zum Ursprung des Bildes gehen. Wer hat es gemalt? Wie kam die Magie hinein?«
Rian sprang auf und wanderte vor dem Baumstumpf auf und ab. »Ich erinnere mich, dass in der Louvre-Broschüre stand, die Wanderausstellung sei hier in Deutschland zusammengestellt worden«, führte sie ihre Gedanken fort. »Wir könnten in dem Museum, wo Nina arbeitet, nachfragen, ob sie darin involviert waren.« Sie blieb stehen und seufzte. »Alle Informationen über das Bild sind in meiner Tasche. Und die liegt im Zug.«
»Vielleicht kann man sie ja wiederbekommen?«, schlug Grog vor. »An der Endstation werden sie bestimmt alles eingesammelt haben, was liegengeblieben ist.«
Rian nickte. »Du hast Recht. Ich werde mich im Hotel erkundigen, was man in so einem Fall macht. Pirx, komm her, wir fahren zurück!«
Der Pixie stapfte heran, die Arme voller Eicheln und Esskastanien. »Hat jemand von euch Hunger?«
Rian sah ihn an und lachte. »Das sieht lecker aus. Nimm es mit.«
Sie fuhren zurück nach Worms, und Rian hielt am Nibelungenmuseum an. Sie erfuhr, dass man in der Klinik angerufen habe. Nina war erwacht, aber ein Besuch kam noch nicht in Frage.
Als Nächstes fragte Rian wegen der Wanderausstellung nach, doch die Angestellten schüttelten nur die Köpfe. Die gesamte Ausstellung sei von einem Privatmann in Eigenregie erstellt worden. Die Auswahl und Darstellung der Exponate zeuge zwar von einer gewissen Sachkenntnis, aber dennoch schienen die Leute der Nibelungengesellschaft nicht rückhaltlos begeistert davon zu sein, da das Thema ihrer Meinung nach in der Ausstellung zu reißerisch und medienorientiert selektiert worden wäre.
»Ich denke, jetzt kommen wir der Sache näher«, sagte die Elfe unterwegs zu ihren Begleitern. »Wir müssen den Privatmann ausfindig machen, er kann uns mehr über das Bild sagen.«
Zurück im Hotel, bat Rian um Unterstützung wegen des verlorenen Gepäcks, und der Rezeptionist versprach, sich darum zu kümmern.
Als Rian, Grog und Pirx in die Suite zurückkehrten, fanden sie die typische Unordnung vor, die David schon in Paris immer erzeugt hatte, wenn er sich nicht aufraffen konnte, die Wohnung zu verlassen. Die Tür zu seinem Zimmer war geschlossen, doch Rian spürte, dass er dort war. Während Grog sich unterstützt von Pirx ans Aufräumen machte, warf Rian die Tür zum Zimmer ihres Bruders auf, zog die halb heruntergelassene Jalousie hoch, um das letzte Licht des Abends hereinzulassen, und ignorierte das unwillige Stöhnen Davids, der im Morgenmantel auf dem Bett lag. Sie setzte sich neben ihn und erzählte ihm von ihrem Plan.
David legte sich das Kissen über den Kopf. »Komm wieder, wenn du etwas wirklich Neues hast«, kam es dumpf darunter hervor. »Bis dahin lass mich in Ruhe.«
»Nina ist wieder wach.«
Rian sah am Heben und Senken seines Brustkorbs, dass David seufzte. Er schob das Kissen beiseite, drehte sich jedoch nicht zu ihr um. »Ich weiß. Dein Doktor Haag hat angerufen. Er hofft übrigens, dass wir – und ich betone wir – Nina bald besuchen kommen. Von Polizei und so hat er kein Wort mehr gesagt.«
Das Telefon klingelte im Nebenraum, und Rian ging hinüber und nahm ab. Der Rezeptionist teilte ihr mit, dass die von ihr beschriebenen Taschen als Fundsachen registriert worden waren und zum Wormser Bahnhof geschickt würden. Rian dankte ihm und legte auf.
Hinter sich hörte sie, wie die Jalousie in Davids Zimmer herunterratterte und die Tür zugeschoben wurde.
Den nächsten Tag verbrachte David vor dem Fernseher, was man wohl als Verbesserung betrachten musste. Rian fragte sich, ob tatsächlich, wie Grog behauptet hatte, mehr dahinter steckte als nur sein ewiges Heimweh und der Pessimismus, dass er so gar keine Energie mehr aufbrachte. Immerhin ging er an diesem Abend mit ihr hinunter in das Restaurant und schlug dem Barmann ein paar neue Rezepte vor. Schnell bekamen die Gäste mit, dass etwas Besonderes geboten wurde, und wenig später hatte sich eine Traube an der Bar gebildet. David blühte sichtlich auf, und Rian war es zufrieden, in ihrer Ecke zu sitzen und Pläne zu schmieden.
Rian schlug begeistert die Hände zusammen, als sie das Bahnhofsgebäude sah. »Schaut mal, das kommt mir vor wie eine Mischung aus dem Dom und einem Schlösschen«, stellte sie fest. »Alles sehr – wie nennen sie es? – mittelalterlich.«
Grog musterte das Gebäude und nickte. »Das hier vorn sieht aus wie eine Kapelle aus der Zeit, als sie noch bauten wie die Römer«, meinte er und deutete auf den ihnen am nächsten liegenden Teil des Bauwerks. Der Eingang war unter einem Spitzgiebel gelegen und von Säulen und Rundbögen eingefasst. Darüber war ein Relief in den Stein gearbeitet. Auch die schmalen Fenster hatten zum Teil Rundbögen. Auf der Spitze des Walmdaches prangte eine Krone, und das Relief zeigte keine religiöse Szene, sondern einen Herrscher mit seinem Hofstaat.
»Scheint, als hätte der Erbauer dieses Abschnittes eher einem König als seinem Gott huldigen wollen«, meinte Rian und las das Schild über dem Eingang.
Grog deutete auf den Mittelteil des Gebäudes. »Das sieht vertraut aus, mit dem Treppenturm und dem Fachwerküberbau. Schau, unten haben sie auch die Fenster mit den runden Bögen drin.« Er klang fast ein wenig wehmütig.
»Da hinten ist der Eingang zum Hauptgebäude.« Rian zeigte auf den letzten Gebäudeabschnitt. Er war im Gegensatz zu den anderen Teilen vollständig aus Sandstein gebaut, und unter einem Spitzgiebeldach wies die Front einen hohen portalartigen Rundbogen auf, der vollständig verglast war. Unter einer riesigen Uhr war ein modernes Vordach angebaut, unter dem mehrere Stufen zu einer Reihe Schiebetüren hinaufführten.
Innen war kaum mehr ein Unterschied zu jeder anderen Bahnhofsvorhalle zu erkennen. Ticketautomaten standen in der Mitte, Backwaren und Zeitschriften wurden verkauft, und hinten waren Infoschalter.
Rian ging dorthin, und ein freundlicher Mitarbeiter führte sie zur Gepäckaufbewahrungsstelle. Dort musste sie sich ausweisen, wofür sie erneut einen von Ninas Notizzetteln nutzte, und bekam dann ohne weitere Umstände die beiden Taschen ausgehändigt. Anschließend zog sie sich auf eine Sitzbank zurück, um die Broschüre hervorzuziehen. Grog setzte sich neben sie, während Pirx durch die Bahnhofshalle streunte.
»Hier«, sagte Rian schließlich, schlug die Broschüre um und deutete auf ein Foto des Gemäldes, das Nadja und Robert sich im Louvre angesehen hatten. »Das ist das Bild. Hier steht, es wurde entdeckt, als die Überreste einer inzwischen mit einer Kirche überbauten merowingischen Königspfalz, was immer das auch heißen mag, untersucht wurden. Oh, schau, die liegt in der Nähe von Worms!« Rian sah auf und lächelte Grog an. »Wir haben eine neue Spur.«
Grog kratzte sich am Bauch und schaute etwas skeptisch. »Wenn ich daran denke, wie kompliziert es allein war, diese Brunnen ausfindig zu machen, wäre ich mir da nicht so sicher.«
»Ach was, sei nicht so ein Miesepeter. Los geht’s!«
Grog sah sich um. »Wo ist nur Pirx wieder?«, brummelte er, stand mit einem kleinen Hüpfer auf und ging Richtung Bahnhofshalle. Rian nahm die Taschen und folgte Grog, der schon hinter den Türen verschwunden war. Als sie die Bahnhofshalle erreichte, sah sie ihn vor einem Plakat stehen, das Werbung für Vergnügungsfahrten auf dem Rhein machte, und steuerte zu ihm.
»Siehst du Pirx irgendwo?«, fragte sie ihn leise, während sie harmlos herumschaute. Es waren zwar nur wenige Menschen hier, doch sie wollte nicht unbedingt als jemand auffallen, der Selbstgespräche führte.
Grog antwortete nicht, sondern deutete kopfschüttelnd auf die Werbung. »Das kann nicht sein. Der ist tot«, flüsterte er.
Rian schaute auf das Plakat. Sie las den Werbetext, der Ausflüge zu verschiedenen touristischen Zielen, Rundfahrten sowie Nachtfahrten bewarb, und ließ ihren Blick dann über die Bilder schweifen, die ein Ausflugsschiff in verschiedenen lieblichen Landschaften und vor reizvollen Stadtkulissen zeigten.
»Was meinst du?«
Grog trat näher an das Plakat heran und zeigte auf die rechte untere Ecke. Dort war das Foto eines Mannes mit schwarzem Lockenhaar und einem sympathischen Lächeln zu sehen, der mit seinem Arm einladend auf das hinter ihm liegende Schiff wies. »Entdecken Sie die Schätze des Rheins mit Reginald Albrechts Rheinschifffahrt«, las Rian den Begleittext vor. Erneut musterte sie das Bild. »Reginald Albrecht?«
In diesem Moment tauchte Pirx neben ihr auf, in einer Hand ein klebriges Backwerk, das er nur aus der Auslage des Bäckers stibitzt haben konnte. Er zupfte an Rians Rock, hielt ihr das süße Stückchen einladend entgegen und sah dann ebenfalls auf das Foto, auf das immer noch Grogs Finger zeigte. Er riss die Augen auf.
»He, ist der nicht tot?«, sagte er. »Das ist doch einer der Drachenbrüder, oder, Grog?«
»Was redest du da?«, stieß Rian konsterniert hervor.
Der Grogoch nickte langsam. »Ja, Pirx. Der hier starb als Letzter. Zumindest dachten wir alle bis jetzt, er sei tot. Das da«, er tippte auf das Foto, »ist zweifelsohne Regin, den die Menschen wegen seiner Herkunft Alberich, den Zwerg, den Schwarzalben, nannten!«
»Willst du diesen Reginald Albrecht wirklich aufsuchen?«, fragte David, nachdem er über alles in Kenntnis gesetzt worden war.
Rian ließ sich neben ihn auf die Couch fallen und nahm eine Praline aus der Schachtel auf dem Tisch. »Er ist unsere beste Spur. Ein Elf, der seinen Tod nur vorgetäuscht hat und sich seither in der Menschenwelt versteckt. Der weiß einiges, darauf wette ich.«