Kitabı oku: «Blüten gucken auf Malle», sayfa 2
2 - Krankenhaus
Der Mann, der im Flughafen das Schild „Ulla Wokkel“ in die Luft hielt, war ihr völlig fremd.
Als sie auf ihn zuging, versuchte sie angestrengt, irgendeine Ähnlichkeit mit dem Kind Manuel zu entdecken.
Vergeblich.
Allenfalls die kurzen weißen Stehhaare erinnerten entfernt an den weißblonden Mecki-Schnitt des Jungen. Sie hatte einen ganz normalen Fünfziger vor sich, von der Perle im linken Ohr und der extravaganten Hornbrille abgesehen.
„Manuel?“
Er nickte. „Herzlich willkommen, Ulla.“
Er umarmte sie kurz und schien keinerlei Zweifel an ihrer Identität zu hegen. Wahrscheinlich hatte Mama die Familienbilder herumgezeigt.
„Schade, dass wir uns unter diesen traurigen Umständen wiedersehen müssen.“
Sie schaute ihn genauer an.
Seine Gesichtszüge fielen sehr regelmäßig aus, fast hübsch. Auch seine hochgewachsene Figur erinnerte mehr an seine Mutter als an den kleinen, rundlichen Onkel Ed mit seinem großzügigen Bauch.
Er blickte sie unsicher an.
Ihre Frage nach Mamas Zustand schnitt er ab. „Komm, ich fahr dich sofort hin.“
Erst als Manuel einen Schritt zur Seite trat, erblickte sie den rosa Buggy. Ein kleines Mädchen, ebenfalls in Rosa, mit aschblonden Locken, nuckelte am Daumen und schlief.
„Deine Enkelin?“, fragte Ulla, froh einen gemeinsamen Gesprächsstoff zu entdecken.
„Nein, meine Tochter.“ Manuel reagierte kurz angebunden.
Ulla verkniff sich einen Kommentar und hastete hinter Manuel her, der mit langen Schritten vorauseilte.
Die Fahrt verlief einsilbig.
Fragen nach Mama überhörte Manuel und konzentrierte sich stark auf den – eigentlich sehr geringen – Autobahnverkehr.
Im schwachen Schein des Halbmondes versuchte Ulla, die Strecke wiederzuerkennen.
Immerhin war sie schon zweimal auf Mallorca gewesen; einmal mit KH allein und einmal mit ihm, Eni und Domi – als Geschenk zu Enis dreißigstem Geburtstag, die nicht den Bremer Rathausplatz als Unverheiratete fegen wollte – zur Schadenfreude ihrer Freunde und Bekannten.
Es fiel Ulla schwer, Bekanntes zu entdecken. Entweder hatte sich vieles verändert oder in der Dunkelheit wirkte die Gegend anders.
Einmal stoppte Manuel auf dem Seitenstreifen, um drei Fahrzeuge der Guardia Civil passieren zu lassen, die sich mit Blaulicht und Sirenen ihren Weg bahnten.
„Ein Unfall“, mutmaßte Ulla.
„Hmm. Vielleicht. Vielleicht haben sie auch den Vermissten gefunden.“ Eher widerwillig gab Manuel diese Information preis.
„Ein Vermisster? Seit wann?“
„Seit vorgestern. Psst.“
Manuel legte den Finger an den Mund. Mit einer Kopfbewegung nach hinten deutete er an, dass sie die Kleine nicht aufwecken sollte.
„Ich wusste gar nicht, dass du verheiratet bist“, flüsterte Ulla, um das Gespräch nicht schon wieder stocken zu lassen.
„Bin ich auch nicht“, sein Mund formte die Worte fast geräuschlos.
„Bitte sei jetzt still. Ich bin froh, dass die Kleine endlich schläft.“
Seufzend fügte sich Ulla in das Schweigen.
Glücklicherweise hatte sie sofort nach der Landung KH erreicht, der offensichtlich schon am Telefon gelauert hatte.
„Schön, dass du dich meldest, Liebes!“
Es hatte gutgetan, seine Stimme und seine Erleichterung zu hören.
Er hatte bereits ihre Schwester Ingrid, ihre Kinder Eni und Björn und auch seine eigene Schwester Hilde informiert.
„Alle sind entsetzt und drücken ganz fest die Daumen. Sie wünschen uns viel Kraft. Ich soll sie sofort anrufen, wenn ich etwas Neues weiß.“
Ja, wenn!
Ulla sehnte den Moment des Wiedersehens mit Mama herbei und fürchtete sich gleichzeitig schrecklich davor.
Wie lange es wohl noch dauern würde? Wo waren sie überhaupt?
Manuel fuhr schnell auf kurviger Nebenstrecke zwischen Steinzäunen und Obstplantagen, die wenig Orientierung zuließen.
Aber sie hatte den Eindruck, dass er viel zu früh von der MA-13 abgebogen war.
Unmöglich konnten sie jetzt schon in Port d’Alcudia sein.
Vor sich sah sie im schwachen Mondlicht massive Felsen, bizarr gezackt.
Das war doch die Tramuntana, nicht das Meer!
Ein Straßenschild, das sie im Vorbeifliegen entzifferte, bestätigte ihre Vermutung: Sóller 13 km.
„Stopp, Manuel, stopp!“
Ihre harte Ansage weckte die Kleine; sie fing an zu weinen.
„Shh, mein Schatz, es ist alles gut. Schlaf schön weiter.“ Er nahm die rechte Hand vom Steuer und versuchte, das Bein seiner Tochter im Kindersitz hinter sich zu tätscheln. „Nimm’s Däumchen!“
Das Weinen verstummte.
Manuel blickte Ulla vorwurfsvoll an. „Es ist wirklich alles gut. Wir sind gleich da. Deine Mutter liegt im Hospital Joan March. Hinter Palmanyola.“
***
Auf den restlichen Kilometern presste sie so viel wie möglich aus Manuel heraus.
So viel er wusste, waren ETA und Mama heute Morgen zum „Blütengucken“ gefahren. Zwischen Santa Maria del Cami und Bunyola würden die vielen Mandelbäumchen gerade ihre volle Pracht entfalten, hatte es in der mallorquinischen Presse geheißen.
Irgendwo in dieser Gegend musste es wohl geschehen sein. Mama war in einem Gebüsch verschwunden, um einem dringenden Bedürfnis nachzugehen, hatte wohl dabei das Gleichgewicht verloren und war gestürzt. Auf den Kopf.
„Wer hat sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht?“ Ulla wollte Genaueres wissen.
Manuel seufzte.
Seine Mutter hatte ihn angerufen. Er hatte die beiden eine halbe Stunde später auf einer Nebenstrecke entdeckt und Mama wurde ins Krankenhaus gefahren.
„Und deine Mutter, was ist mit der?“
Er sah sie seltsam an, schüttelte den Kopf und blickte starr auf die Straße.
Ulla beschlich ein ungutes Gefühl.
„Was ist los, Manuel? – Bitte, sag mir alles“, bat Ulla aufgeregt.
Da fing das Kind wieder an zu weinen.
Dieses Mal wurde es nicht von seinem Vater getröstet. Der fuhr robotermäßig die letzten Kurven des Berges hinauf und hielt dann vor einem großen weißen Gebäude.
„Wir sind da.“
***
Ihre Mutter sah entsetzlich aus: weißbandagierter Kopf, Schläuche aus der Nase, je ein Schlauch im linken Handrücken und in der rechten Armbeuge. Abschürfungen in der rechten Gesichtshälfte und auf der rechten Hand. Sie war leichenblass und atmete kaum. Ihre Augen waren geschlossen.
„Mama!“ Ulla beugte sich vorsichtig über sie und küsste sie zart auf eine freie Stelle im Gesicht.
„Mama, hörst du mich?“
Keine Reaktion. Ulla strich sanft über ihre rechte Hand.
„Ich soll dich herzlich grüßen. Von KH. Und Ingrid und Eni und Björn. Und natürlich von Domi.“
Bildete sie es sich ein oder bewegte ihre Mutter wirklich ihre Augenlider?
„Mama“, sagte sie beschwörend, „alle wünschen dir gute Besserung. Du sollst ganz schnell gesund werden. Hörst du? Gesund!“
„Das ist genug!“
Eine Ärztin mit müden Augen stoppte Ulla.
„Mehr ist nicht gut für Ihre Mutter. Bitte verstehen Sie das!“ Ihre Aussage erfolgte in fast akzentfreiem Deutsch.
„Kann ich an ihrem Bett sitzenbleiben?“
Das Nein kam prompt und entschieden.
„Sie muss zurück auf die Intensivstation. Dorthin können Sie sie nicht begleiten. Machen Sie sich keine Sorgen. Ihre Mutter ist zäh. Sie wird es überleben.“
Ulla meinte, eine Bewegung im Gesicht ihrer Mutter wahrzunehmen.
Sie küsste sie erneut.
„Mach’s gut, Mama. Ich bin morgen früh wieder da.“
***
Auf der Weiterfahrt zum Hotel vermied Manuel jegliches Gespräch.
Eine Zeit lang fuhr er auf Nebenstraßen.
Als sie das Geheul einer Motorrad-Staffel hörten, bog er in einen Hof und stellte das Licht ab.
Ullas Verwunderung veranlasste ihn zu einer Erklärung: „Wegen der Kleinen. Sie hat Angst vor Krach.“
Mehr war ihm während der gesamten Fahrt nicht zu entlocken. Er lieferte sie im Hotel ab. „Ich fahr dich morgen ins Krankenhaus. Um 9.00 Uhr hier am Eingang! Ciao.“
Als er den blauen Golf auf dem Hotelparkplatz wendete, bemerkte Ulla im Schein der vielen Lampen tiefe Schrammen über die gesamte linke Autoseite vom Vorderrad bis zum Hinterrad. Eine dicke Beule verunstaltete die Fahrertür, der linke Scheinwerfer schien nur noch lose in seiner Fassung zu hängen. Und der linke hintere Kotflügel war tief eingedellt.
Sie starrte ihm nach, wurde aber vom Nachtportier aus ihren Gedanken gerissen.
„Bitte, Señora, Ihre Unterlagen und Ihr Schlüssel. Falls Sie noch eine Kleinigkeit essen wollen, die Bar ist bis 2.00 Uhr geöffnet. Viel Spaß in unserem Hotel.“
***
Trotz allem erfreute sich Ulla am Blick vom Balkon auf den dunkel leuchtenden Pool, an den mondbeschienenen Palmen und natürlich am blass glänzenden Meer.
Vor allem genoss sie aber das Telefongespräch mit KH.
Ihre Erleichterung übertrug sich auf ihn, er wurde deutlich ruhiger.
„Übermorgen haben wir uns ja wieder, Kallilein! Und weißt du, was das Beste ist?“
„Nein, was?“
„Als die Ärztin sagte Ihre Mutter ist zäh, hat Mama gelächelt!“
Sie spürte durch die Leitung, dass auch KH erleichtert schmunzelte.
„Typisch Mama“, sagte er, „sie ist nicht tot zu kriegen.“
3 - Neuigkeiten
Beim Frühstück schmeckte ihr der frischgepresste Orangensaft am besten. Ulla füllte sich ein zweites Glas ein, trug es zu ihrem Platz zurück und beobachtete dabei unauffällig ihre Umgebung.
Mehrheitlich ältere Paare zu zweit oder zu viert; einige Singles vereinzelt an Zweiertischen; viele Sportler, vermutlich Fahrradfahrer – männlich und weiblich, gemeinsam an großen separaten Teamtischen, außerhalb des Speiseraums in der Bar. Dort lieferte ein Fernsehgerät ununterbrochen Bilder von der Winterolympiade in Sotchi.
Ulla las die Schilder der Gruppen.
„Racing Team Wales – Sky Team – Racing Team GB. Hmm, seit wann gehört Wales nicht mehr zu Großbritannien?”
Sie würde KH fragen müssen, ob sie etwas verpasst hatte.
Intensiv widmete sie sich ihrer frischen Ananas, der rosa Grapefruit, den Käsewürfeln und dem frischen Brot.
Nur nicht aufschauen, sonst würde wieder eine einsame, auf mondän getrimmte Alte versuchen, sie in ein Gespräch verwickeln wie gestern Abend an der Bar.
„Sie erinnern mich an eine Urlaubs-Bekanntschaft. Sind Sie schon länger hier? Ich komme aus Sachsen-Anhalt und Sie?“
***
Letzte Nacht hatte Ulla schlecht geschlafen.
Sie traute ihrer eigenen Interpretation nicht, Mama habe gelächelt.
„Du redest dir das schön, es geht ihr schlecht. Es ist ernst, todernst. Mach dich auf den Abschied gefasst. Sie ist 85!“
Doch dann setzte sich eine andere innere Stimme energisch durch: „Was willst du eigentlich? Du kennst doch deine Mutter! Was hätte sie im umgekehrten Fall gemacht? Wenn sie das Lächeln nicht gesehen hätte – sie hätte es erfunden!“
Ja, das stimmte, das passte zu Mamas unerschöpflichen Optimismus.
Mit dem festen Vorsatz, ab sofort diese Haltung ihrer Mutter zu übernehmen, schlief Ulla tief bis zum frühen Morgen.
***
Gerade deshalb wollte sie sich jetzt ihr Frühstück nicht durch irgendeine missmutige Alte verderben lassen.
Aber ein Blick in den Garten war unverfänglich. Sie erfreute sich am blauen Himmel, den Sonnenstrahlen auf Pool und Meer, den sich sanft wiegenden Palmen und den blühenden Alpenveilchen.
Eine plötzliche Bewegung ließ sie aufschrecken. Die beiden Gärtner stoppten abrupt ihre Arbeit und starrten direkt durch die Fenster in den Frühstücksraum.
Ulla folgte ihren Blicken.
Guardia Civil und Policia Local!
Zwei von ihnen gingen zielstrebig auf eine Sportlergruppe zu; vier andere verteilten sich im Raum.
Sie spürte einen Ellbogen in ihrem Rücken.
„Der vermisste Fahrradfahrer!“, zischte es hinter ihr.
Langsam drehte sie sich um. Sie hasste es, vertraulich angestoßen zu werden.
„Was, bitte?“, fragte sie langsam von oben herab in bester KH-Manier.
Sie blickte in das entzückte Gesicht der gestrigen Bar-Bekanntschaft, die plötzlich eine deutlich verjüngte Körperhaltung und eine freudige Miene zeigte.
„Seit Samstag! Der Fahrradfahrer!“
Die pechschwarz gefärbte Frau stand unvermittelt auf, zog sich das Tiger-T-Shirt glatt über die Rundungen an Hüfte und Bauch, schnappte mit ihren rot lackierten Fingern einen Teller und stieß unter dem Vorwand, sich neuen Essens-Nachschub zu besorgen, direkt mit dem jungen Vertreter der Policia Local zusammen.
„Perdon! – Entschuldigung, bitte“, sagte sie mit dem Versuch eines koketten Lächelns, „vielleicht kann ich weiterhelfen?“
***
Als Ulla den Frühstücksraum verließ, wartete Onkel Ed am Bartresen auf sie.
Er schüttelte gerade ein Tütchen Zucker in seinen Espresso, als er Ullas fassungslosen Blick bemerkte.
Er rutschte vom Barhocker – für seine Körperfülle sehr agil, fand Ulla – und kam auf sie zu.
„Ulla? Ich bin …“
„Elmar!“, unterbrach sie ihn. „Entschuldigung, Elmar, ich … ich war etwas verwirrt. Ich dachte, Onkel Ed …“
Er grinste verschmitzt. „Ja, ich weiß, dass ich meinem Vater sehr ähnlich sehe.“
Nun konnte sie zurücklächeln.
„Nicht direkt, die grünen Augen hast du von deiner Mutter.“
Irgendwie war er ihr sofort sympathisch – ganz im Gegensatz zu seinem Bruder. Vielleicht lag es daran, dass er einen Kopf kleiner war als sie und seine notdürftig kaschierte Glatze am Hinterkopf ihr Mitleid erweckte. Vielleicht hatte er aber einfach nur Onkel Eds Charme geerbt. Den setzte er jedenfalls sofort ein.
„Komm, setz dich zu mir. Lass mich eben meinen Espresso austrinken, dann fahren wir los. Möchtest du auch eine Kleinigkeit, vielleicht ein Glas Sekt?“
Natürlich mochte sie Sekt, aber nicht vor dem Besuch ihrer todkranken Mutter.
Als Elmar ihre Vorbehalte spürte, kippte er schnell seinen Espresso, legte einen Fünf-Euro-Schein auf den Tresen und führte sie zu einem roten BMW-Cabrio.
Ulla schmunzelte: „Vor mehr als fünfzig Jahren hat dein Vater mit einem weißen Opel-Kadett-Cabrio unser ganzes Dorf in Aufruhr versetzt! Die Dorfjungs haben eines Nachts dieses schöne Auto auf einem Holzstapel aufgebockt! – Weißt du das noch?“
Nein, er wusste es nicht mehr, er war damals einfach zu klein.
Sie stieg ein und nahm sich fest vor, sich nicht von Elmars Charme vereinnahmen zu lassen. Denn Mamas Warnung aus ihrer Teenager-Zeit fiel ihr ein: „Bei netten Männern musst du vorsichtig sein, Ulla!“ Und es gab immerhin viele ungeklärte Fragen.
Sie beschloss, mit leichter Konversation zu beginnen und lobte das schicke Cabrio. Dann erkundigte sie sich vorsichtig nach Manuel und seiner süßen Tochter.
„Ja“, sagte Elmar, „Veronica ist die Freude der gesamten Familie.“
Geht doch, dachte Ulla, wenigstens ein Fakt ist klar: Veronica.
Was als nächstes?
Sie wollte Manuels zerbeultem Auto auf den Grund gehen.
„Ist Manuel krank? Er wollte mich eigentlich abholen.“
„Nein, nein“, Elmar schaltete den BMW einen Gang höher, „sein Auto muss in die Werkstatt.“
„Inspektion?“, fragte Ulla unschuldig, „oder Reparatur? Ich glaub, ich hab’ ein paar Kratzer gesehen.“
„Natürlich Reparatur!“ Elmar schmunzelte. „Wenn Elfi ein Auto fährt …“ Seine Stimme versandete.
Ulla war erstaunt. „Wer ist Elfi?“
Elmar warf ihr einen empörten Blick zu, als ob sie gefragt hätte, was der Mond sei.
„Elfi ist unsere Mutter. Abkürzung von Elvira.“
Ja, das klang logisch.
„Aber warum? Warum nicht einfach Mama oder Mutti? Und seit wann?“, Ulla konnte sich immer noch nicht den Sinn der Kurzform erklären.
Elmar überlegte kurz.
„Warum? Wahrscheinlich, weil sie eitel ist. Und seit wann? Sicher spätestens, als sie sich für fünfzig ausgab und es nicht passte, wenn vierzigjährige Söhne sie mit Mama anredeten.“
Auch Elmars amüsiertes Lachen erinnerte sie an Onkel Ed, der die Eigentümlichkeiten seiner Frau immer mit Humor getragen hatte.
Das ermutigte sie, weiter zu fragen und Elmar gab bereitwillig Auskunft.
Nein, ETA lebte vorrangig in Bad Godesberg – dem damaligen Familienheim mit Ehemann Ed – nicht auf Mallorca. Auch Elmar selbst hatte seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland.
„Ich hab’ in Düsseldorf einen Anteil an einem Restaurant; und meine Frau und meine zwei Töchter freuen sich immer, wenn ich nach Hause komme.“
Ja richtig, Jenny hatte ihre Ferien-Sprachschule in Cala Millor beibehalten. Sie wollte diese nur im nicht-profitablen Mallorca-Winter durch ein Senioren-Wohnheim ergänzen.
Aber als Ulla sich an das heikle Thema herantastete und fragte, wie es ETA derzeit ginge, wich er mit einem achselzuckenden „Keine Ahnung“ aus.
Doch nun begann er seine Fragerunde.
„Wie geht es Karl-Heinz? Wann wird er hier sein?“
Sie war irritiert. „Wem? Wie geht es wem? Meinst du KH?“
Als Elmar nickte, lächelte sie.
„Wenn du es dir nicht mit KH verderben willst, nenn ihn nie Karl-Heinz. Er heißt Karl-Heinrich. Aber der Name ist viel zu altmodisch. Also nur KH – Ka-Ha. Wie im Alphabet. Punkt.“
Elmar grinste. „Na, dann wird er sich ja gut mit Elfi verstehen!“
***
Die Kabel aus Mamas Nase waren entfernt. Sie sah ein bisschen weniger blass aus und atmete ruhiger. Auf Ullas Kuss reagierte sie mit einem deutlichen Augenflattern.
Ulla hatte den Eindruck, dass Mamas Mund sich bewegte.
„Mein Kind …“
„Ja, Mama, ich bin hier und alle anderen sind in Gedanken fest bei dir!“
Ulla versuchte, sicher und zuversichtlich zu klingen.
Der junge, zugewandte Doktor sprach genau wie die Ärztin gestern Abend gut Deutsch.
Elmar fand dies überhaupt nicht überraschend, schließlich studierten viele spanische Mediziner in Deutschland oder absolvierten dort ein Praktikum.
Daher brauchte er nicht zu übersetzen und er konnte sich eine kleine Erfrischung gönnen.
Ulla sprach also allein mit dem Arzt.
Er war überzeugt, dass Mama gute Chancen zur Genesung hatte.
„Wie tief ist sie denn gefallen?“ Ulla wollte Genaueres zu dem Unfall wissen.
„Wieso gefallen?“, fragte er erstaunt zurück, als ob er sie nicht richtig verstanden hätte.
Ulla erläuterte geduldig in langsamem Deutsch: „Sie ist doch beim … beim Pipimachen abgerutscht und verunglückt.“
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Nein, wir gehen von einem Autounfall aus.“
Ulla starrte ihn entgeistert an. „Autounfall, wieso denn Autounfall?“
„Ich denke, sie ist ausgerutscht und einen Abhang hinunter gestürzt …!?“
Der junge Doktor seufzte und schien zu überlegen.
Dann hob er vorsichtig die Bettdecke und zeigte Ulla einen dicken Bluterguss an der Innenseite von Mamas linker Wade.
„Diese Verletzung kann von einer Stoßstange herrühren. Ein heftiger Schlag gegen die Wade; sie hat ihr Gleichgewicht verloren und ist durch die Luft geschleudert worden. Wahrscheinlich ist sie mit ihrem Kopf auf einem Felsbrocken oder einem anderen harten Gegenstand aufgeschlagen.“
Als er Ullas ungläubigen Blick sah, verteidigte er sich: „Bei einem tiefen Fall hätte sie viel mehr Abschürfungen am ganzen Körper haben müssen und wahrscheinlich auch innere Verletzungen.“
Ulla war fassungslos.
Ihre Sprachlosigkeit tat dem jungen Arzt leid. „Das ist jedenfalls unsere Theorie: Autounfall. Vielleicht sollten Sie die Polizei einschalten?“, schlug er fragend vor, als er sich erhob.
***
Als sie Schritte auf dem Krankenhausflur hörte, brach sie abrupt die Kurzwahl ab und ließ ihr Handy schnell und unauffällig in ihrer Jackentasche verschwinden. Sie musste KH später informieren.
Jetzt hieß es erst einmal, klaren Kopf zu bewahren.
Sie küsste Mama zum Abschied, deren Gesicht einen zufriedenen Ausdruck zeigte.
Elmar öffnete die Tür und kam auf Zehenspitzen näher. „Tante Lilo, was machst du denn für Geschichten? Wir alle wünschen dir gute Besserung.“
Bildete Ulla es sich ein oder zeigte sich wirklich die steile Unmutsfalte über Mamas Nase, wie immer, wenn Mama sich ärgerte?
Am Empfang fragte sie nach persönlichen Gegenständen ihrer Mutter. Der freundliche Portier schaute in seinen Büchern nach.
Ihre Mutter war als Notfall eingeliefert worden.
Bewusstlos.
Nur was sie am Körper trug, war registriert worden.
Falls Ulla es wünschte, konnte sie die Kleidung sofort mitnehmen. Die beiden übereinander getragenen Eheringe waren an Mamas rechtem Ringfinger verblieben, weil sie bei der medizinischen Behandlung nicht störten.
Nein, es gab keine weiteren Gegenstände. Keine Handtasche. Keinen Rucksack. Kein Handy. Keinen Hotelschlüssel.
Nada de nada. Überhaupt nichts.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.