Kitabı oku: «Mord auf der Messe», sayfa 3

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Der Kaiser in seinem holländischen Exil, wohin er kurz vor Kriegsende getürmt war … Daraus musste sich doch was machen lassen. Katzmann schaute noch einmal auf die Liste, rechnete.

«Guck mal, Eugen. Du machst eine Überschrift: Die Rentenempfänger der Republik – und dann schreibst du die empörendsten Fakten auf …» Katzmann zögerte kurz, rechnete im Kopf weiter und sagte dann: « 1640 Goldmark täglich für den gesunden Deserteur in Doorn – 27 Goldpfennig für den dreißigprozentigen Kriegsverletzten. Das ist der Einstieg, und dann wird man auch neugierig auf die Liste.»

«Und du meinst, den Aufruf und die Theorie mache ich hernach?»

Die Theorie könnte vermutlich ganz wegfallen, dachte Katzmann, nickte aber artig.

«Ist das nicht ein wenig zu plakativ, Genosse Konrad?»

«Mit welchen Mitteln kämpft der Feind, Eugen?»

Leistner schrieb, rauchte und nickte. «Da sagst du eine Wahrheit, Genosse Konrad.» Er schrieb den von Katzmann vorgeschlagenen Satz auf einen Zettel. «Gut, so machen wir es.»

«Dann kann ich mich in den nächsten Tagen auf der Messe umschauen … und mich ein bisschen nach der Blei-Bande umhören.» Katzmann sah, wie Leistner paffte, und merkte, wie der zu murmeln begann, als er anfügte: «Über die Blei-Bande würde ich auch ein paar Zeilen für die morgige Ausgabe schreiben.»

Leistner guckte kurz auf, als wolle er sagen: Du immer mit deinen Kriminalfällen! Dann hielt er das Blatt mit den ersten Worten des morgigen Aufmachers hoch und nickte.

Das Bureau von Herfried Rinke wirkte wie aus einem Museum geklaut. Die Möbel – vom Sekretär über die stoffbezogenen Stühle bis zum Holztisch – schienen mit der Wucht des Neobarock auf dem Teppich mit den goldenen Verzierungen zu lasten.

Heinz Eggebrecht hatte einen kleinen Spaziergang durch die Stadt gemacht, nun würde der Cognac in seinem Glas ihn schon nicht umhauen. Den Schnaps hatte Rinke auf den Tisch gestellt und sich dann für einen Augenblick entschuldigt. Der künstlerische Leiter des Krystall-Palastes stand am Regal neben seinem Schreibtisch und blätterte in einem Buch mit Ledereinband. Wie er vor dem Regal auf die Seiten blickte, erinnerte Rinke an einen Dirigenten, der vor dem Auftritt noch einmal seine Noten studierte. Er trug einen Smoking, der seine hagere Figur unterstrich. Die Haare sahen aus, als sei Rinke direkt nach dem Bad in einen Tornado geraten. Die grauen Strähnen würden sicher bis auf das Revers des Smokings fallen, stünden sie nicht in alle Richtungen vom Kopf ab.

«Wann, sagten Sie, wollen Sie den Termin mit Madame La Belle haben?»

«Wenn es nach mir ginge, so bald wie möglich.» Eggebrecht setzte den Cognacschwenker an und trank einen Schluck. Der Schnaps floss die Kehle hinunter wie warmes Öl. Es kam ihm vor, als schalte sein Gehirn einen Gang herunter. Die ganze Welt schien hinter einem Schleier zu verschwinden – ein gutes Gefühl. Eggebrecht beschloss, diesen Alkoholpegel für den Rest des Tages beizubehalten. Schließlich war Sonntag und somit eigentlich ein freier Tag.

«Hm …» Rinke blätterte in dem Buch, kam zum Tisch und setzte sich. Er blätterte noch eine Seite weiter. «Dienstagvormittag wäre ein guter Zeitpunkt … Da ist keine Probe, und auch sonst stehen keine Termine für Madame an.»

Übermorgen. Eggebrecht überlegte. Einerseits schien ihm das nur mit großzügiger Auslegung unter «so bald wie möglich» zu fallen, andererseits hatte er sich bei seinen Eltern für die ganze Woche eingenistet, und die Messe wollte auch photographiert werden. Und da waren auch noch Katzmann und die Sache mit der Blei-Bande … «Dienstagvormittag würde mir auch passen. Wo könnte ich die Aufnahme machen?»

«Am Dienstag könnten Sie zwischen elf und zwölf Uhr den Varietésaal nutzen.» Rinke trank einen Schluck Cognac. Er beugte dabei den Kopf nach hinten, seine Haarpracht erinnerte an die Borsten eines überdimensionalen Putzgerätes.

«Wo melde ich mich am Dienstag?»

«Sie kommen am besten hier ins Bureau, Herr Eggebrecht. Meine Sekretärin wird sich dann um alles kümmern.»

Sekretärinnen waren immer gut. Eggebrecht hatte in Berlin gelernt, dass Termine am zuverlässigsten eingehalten wurden, wenn eine Tippse sich darum kümmerte. Für Vereinbarungen, die er mit wuschelhaarigen künstlerischen Leitern traf, galt das erfahrungsgemäß in besonderem Maße.

«Kommen Sie, ich stelle Ihnen Fräulein Schneider vor.» Eggebrecht trank seinen Cognac aus und stellte den Schwenker auf den Tisch. Auf dem klobigen Möbel wirkte das Glas wie eine Daunenfeder auf einem Ziegelstein. Er stand auf und folgte Rinke zum Vorzimmer.

Fräulein Schneider und ihre Stupsnase waren ihm schon beim Hereinkommen aufgefallen. Die Tippse trug einen Bubikopf, wie ihn die Mode gerade vorschrieb. Unter dem braunen Pony sausten zwei grasgrüne Augen zwischen den Wimpern hin und her.

«Fräulein Schneider, Herr Eggebrecht wird am Dienstagvormittag kommen, um Madame La Belle abzulichten. Sie werden ihn in den Varietésaal begleiten.»

Fräulein Schneider nickte und zwinkerte Eggebrecht zu, als wolle sie sich mit ihm zur Begehung von kleineren Straftaten verabreden. Oder bildete er sich das nur ein? Eine Welle von Wärme wanderte seinen Hals hinauf.

Rinke verabschiedete sich, verschwand in seinem Bureau und ließ Eggebrecht mit Fräulein Schneider allein.

«Wann darf ich Sie am Dienstag erwarten?»

Am liebsten hätte Eggebrecht gesagt: Wann immer Sie zwinkern, werde ich da sein! Aber erstens traute er sich das nicht, und zweitens wäre es natürlich ein völlig unangemessenes Verhalten. Eggebrecht überlegte kurz, wie viele Liebesbeziehungen entstehen könnten, würden sich die Menschen öfters unangemessen verhalten … Er sagte: «Ich würde kurz vor elf zu Ihnen kommen. Dann könnten Sie mir den Saal und vor allem die Lichtschalter zeigen, bevor Madame La Belle Zeit hat.»

«Ganz ausgezeichnet.» Fräulein Schneider lächelte bei den Worten, als könne sie den Termin kaum erwarten.

Eggebrecht hatte das Gefühl, in seinem Kopf würde etwas schmelzen.

«Sagen Sie, Herr Eggebrecht, Sie waren doch gestern Abend im Konzert von Frau La Belle.»

Das klang nicht wie eine Frage, aber Eggebrechts weiche Birne nickte.

«Und Sie waren mit Herrn Katzmann da.»

Schon wieder keine Frage. Der Kopf nickte weiter, allerdings wurde der Brei im Innern etwas härter.

«Sehen Sie Herrn Katzmann öfters?»

«Hm.» Dieses Gespräch nahm keinen guten Weg, dachte Eggebrecht und fragte: «Kennen Sie ihn gut?»

«Nun ja …» Fräulein Schneider guckte zur Decke. Offenbar dachte sie nach, jedenfalls sah sie hinreißend aus. Sie sagte: «Ich habe viel von ihm gehört. Meine beste Freundin … stand ihm einmal … sehr nahe.»

Stötzenau saß schon in den Bacchusstuben, als Katzmann im Krystall-Palast ankam. Der Reporter zog seine Uhr aus der Tasche – nein, es war kurz vor zehn und er pünktlich. Stötzenau hatte in der Redaktion angerufen und den Termin zu nachtschlafender Zeit vorgeschlagen. Er könne ihm eine interessante Person vorstellen, einen Mann, der eventuell etwas über die Blei-Bande wüsste.

«Guten Abend, Herr Katzmann. Nehmen Sie einen Wein, der Meißner hier ist vorzüglich.»

«Gern», sagte Katzmann, obwohl ihm die bürgerlichen Rituale mit zunehmendem Alter immer mehr auf die Nerven gingen, besonders am späten Abend. Er könnte jetzt gut im Bett liegen, anstatt mit einem Mann, der ihm nicht besonders sympathisch war, Belanglosigkeiten über regionale Weine auszutauschen.

Stötzenau schenkte Katzmann ein, dabei sagte er: «Ein ausgezeichneter Jahrgang. Besonders die Fruchtnote im Abgang … So einen Tropfen muss man getrunken haben.»

Die Fruchtnote im Abgang, solche Sachen hatte sein Vater auch immer palavert. Katzmann erinnerte sich an Gespräche, bei denen er zum Schein darauf eingegangen war und von erdhafter Note und schattigem Nachtrag redete, bis sein Vater merkte, dass er veralbert wurde. Den Vater machte das stets wütend. Humor war nicht die Stärke des Großbürgertums.

Jetzt wollte Katzmann keinen Ärger, sondern Informationen, also trank er und nickte. Der Wein schmeckte ihm, wenigstens das. Er versuchte, die Vorrede zu beenden, und fragte: «Vielleicht können Sie mich etwas vorbereiten. Wen erwarten wir denn?»

«Oh, das hatte ich am Telephon gar nicht erwähnt?» Stötzenau trank einen Augenblick, wohl um die Spannung zu steigern.

«Siegbert Wulpius wird uns gleich die Ehre erweisen.»

Wulpius, den Namen hatte Katzmann schon einmal gehört – aber wo? Sicher in der Redaktion, das Ressort fiel ihm nicht ein …

«Siggi, so nennen ihn seine Freunde, weiß alles über Leipzigs …», Stötzenau suchte nach einem Wort, schien keines zu finden, «… Leben. Wenn Sie wissen, was ich meine …»

Nein, Katzmann wusste nicht, was Stötzenau ihm sagen wollte. Die Unterwelt? Die Kriminellen? Nun, das musste er selbst herausfinden. Also nickte er und fragte: «Wie kommt Herr Wulpius zu seinen Kenntnissen?»

«Siggi ist sehr umtriebig. Er macht vielfältige … Geschäfte.» Stötzenau schien nachzudenken, wie er das konkretisieren konnte. Er wurde erlöst. «Ah, da kommt er.»

Vom Eingang der Bacchusstuben schleppte sich ein Mann heran. Katzmann schätzte ihn auf 160 Zentimeter hoch und 160 Kilogramm schwer. Von weitem sah es aus, als würde ein Mühlstein im Anzug durch die Gaststube walzen. Offenbar nahm der Mann schneller zu, als sein Schneider Anzüge fertigen konnte. Der Zweireiher kam nicht von der Stange, glänzte wie frisch aus der Werkstatt, warf aber in der Bauchgegend horizontale Falten.

«Siggi, schön, dass du kommen konntest!» Stötzenau wies mit der Hand zu Katzmann. «Das ist der Reporter, den ich am Fernsprecher erwähnt habe. Katzmann, Konrad Katzmann. Von der Leipziger Volkszeitung.»

Wulpius wuchtete sich auf den Stuhl, wobei er kaum an Höhe abnahm. Er bekam Wein und sagte: «Ah, der Meißner. Sehr gut, Theo.» Dann drehte er sich zu Katzmann und erklärte: «Mir gehören ein paar Weinberge in der Gegend. Ich komme leider nur noch selten hin, aber meine Winzer leisten ganze Arbeit. Finden Sie nicht?»

Schon wieder Weingespräche! «In der Tat ein guter Wein», sagte Katzmann.

«Ah, der Dialekt. Sie kommen aus der Dresdner Ecke. Da ist das bei Ihnen sicher ein Hauswein. Oder trinkt man in Ihren Kreisen andere Getränke?»

Der Bürgerdünkel. Katzmann erlebte das als LVZ Redakteur so oft, dass er sich nicht mal mehr darüber ärgerte. «Nein, nein, ich trinke gerne Wein. Und ja, in meinem Elternhaus stehen Weine vom Elbufer hoch im Kurs.»

Wulpuis nickte und trank noch einen Schluck.

«Siggi, Herr Katzmann hat mich heute Morgen nach der Blei-Bande gefragt …»

«Ja, ja, während der Messe passieren die verrücktesten Sachen in der Stadt. Meine Oma sagte immer: Messezeit ist Kanaillenzeit. Alle werden plötzlich aktiv …»

Katzmann lag die Frage auf der Zunge, welche Aktivitäten Wulpius umtreiben. Aber der schien in Plauderlaune, da wollte er nicht unterbrechen.

«Der gute Theo macht seine Mark mit der Messe, ich habe ein wenig Geld in die Konzertreihe der guten Bernadette La Belle gesteckt … Haben Sie sie schon gesehen?»

«Ja, gerade gestern. Unsere Kulturredaktion wird auch einen Artikel schreiben.»

«Vortrefflich.» Wulpius spülte die Worte mit einem Schluck Wein hinunter, so dass etwas unklar wurde, ob er den anstehenden LVZ Beitrag oder sein Getränk meinte. «Darf ich fragen, was Sie mit der Blei-Bande zu tun haben? Die Arbeiterpresse hat für gewöhnlich andere Sorgen …»

«Nun, mein Chefredakteur sagt immer, man solle das Große und Ganze betrachten. Da ist die Blei-Bande sicher von minderer Bedeutung. Ich interessiere mich dennoch für sie. Ich habe gestern eine Botschaft von einem Doktor Blei erhalten.»

«Gestern?» Wulpius zog eine Augenbraue nach oben.

«Spät am Abend.»

«Dann geht das alles wieder los …» Der dicke Mann schien im Polster zu versinken.

«Was geht wieder los, Herr Wulpius?»

«Herr Katzmann … Ich weiß nicht, was die Botschaft beinhaltete, aber ich kann Ihnen nur den dringenden Rat geben, etwaige Anweisungen auf das Genaueste zu befolgen.» Wulpius sprach leise weiter. «Und die Polizei würde ich an Ihrer Stelle nicht mit Einzelheiten behelligen.»

DREI
Montag, 1. März 1926

DIE AUGEN DES MANNES werfen Schatten bis unter die Nase. Hat der seit Wochen nicht geschlafen, oder ist das nur das ungünstige Licht des Scheinwerfers? Aber eigentlich kann mir auch egal sein, ob der Kerl nachts schläft, solange er ordentliche Arbeit abliefert.

Ich frage: «Wie läuft die Verteilung?» Hach, wie schön meine Stimme über die Verstärkeranlage klingt! Am liebsten würde ich gleich weitersprechen. Aber langsam. Erst mal will ich etwas hören.

«Alle Verteiler sind versorgt. Die ersten Posten sind schon vertrieben worden. Bislang höre ich keine Klagen.»

Das wäre ja auch noch schöner, wenn es jetzt schon Gemurre geben würde! Und außerdem sollte der Ober seinen posthumen Beitrag zum Betriebsfrieden leisten. Da fällt mir ein, dass ich heute diese Leipziger Volkszeitung lesen muss.

«Wenn es ein Problem geben könnte, dann vielleicht mit der Anzahl der Verteiler. Mir scheint, es könnte zu viel Ware für unsere Leute sein.»

Ich gucke den Mann an. Will der mir erzählen, wie ich den Laden zu führen habe? Seine Augen sind weit geöffnet, dadurch fallen die Schatten noch tiefer. Er macht sich wohl auch Sorgen, dass er zu weit gegangen ist. Und dazu hat er allen Grund. Ich sag lieber erst mal nichts.

«Ich meine … es ist nichts unmöglich … Natürlich werden alle tun, was sie können … aber …»

Der jammert herum, als wolle er gleich zu seiner Mutter flüchten. Ich rufe: «Also was?» Oh, wie das klingt! Der Kerl zuckt zusammen. Wenn der sich noch kleiner macht, verschwindet er im Stuhl.

«Ähm … nichts … nur …»

Wie der Mann jetzt auch fortfährt, er macht alles nur noch schlimmer. Das weiß der auch. Wie der sich windet!

«Ich meine … es war nur so eine Beobachtung … Die Produktion läuft einfach sehr gut …»

Da hat er doch ein rettendes Ufer gefunden. Gar nicht so dumm, der Kerl. Sucht das Positive. Gute Leute habe ich!

Und nun schweigt er. Das würde ich an seiner Stelle auch tun. Aber vielleicht stimmt es, und wir haben zu viel von dem Zeug hergestellt. Ich werde nachher in der Produktion vorbeischauen und mir ein Bild machen. Dann kann ich immer noch überlegen, wo ich weiteres Personal herbekomme. Damit muss ich den armen Kerl nicht belasten. Der zittert wie Espenlaub. Obwohl – zittert Espenlaub so sehr?

Ich sage: «Also gut, die Verteilung läuft. Gibt es etwas Neues von unseren wackeren Journalisten?»

Er traut sich wieder zu atmen. Schwitzt der vor Anstrengung, oder kommen die Schweißperlen vom Scheinwerfer? Er zögert. Überlegt der, was er sagen soll, oder will er etwas verschweigen?

Ich frage: «Also?»

«Ähm … Die beiden schnüffeln rum. Die sind … überall …» Journalistenpack! Muss seine Nase in jeden Misthaufen stecken. Aber das wusste ich schon. Nur «überall» ist mir zu unkonkret. Ich frage: «Wo?»

«Nun … auf der Messe. Sie sind gestern in der Untergrundmessehalle herumgeschlichen. Dann haben sie die Bureaus unsicher gemacht … Und abends saßen sie erneut im Krystall-Palast …» Das klingt nach fleißigen Schmierfinken. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Ich dachte immer, die hocken mit ihren Notizblöcken in Kaffeehäusern und warten auf eine Eingebung. Wahrscheinlich ist das bei der Arbeiterpresse anders. Da steht hinter jedem Schreiberling bestimmt immer ein Sozi und schwingt eine Rede. Und damit er nicht hinhören muss, produziert der arme Redakteur unablässig irgendwelche Texte.

Ich frage: «Und was wollen die bei ihrer Schnüffelei herausfinden?»

«Das weiß ich auch nicht so genau … Auf jeden Fall … scheuchen sie alle auf … Fragen immer nach der Blei-Bande …»

So, so, einfach Unruhe stiften. Auch eine Taktik. Können die gefährlich werden?

«Die Jungs fragen, ob man denen vielleicht eine kleine Überraschung bereiten kann. Damit die ruhiger werden …»

Gar nicht so übel, diese Idee. Ich könnte meinen Männern ein bisschen Spaß gönnen, das würde für gute Stimmung sorgen. Aber ob das reichen würde, das Genörgel zu verhindern, wenn tatsächlich pro Nase mehr Ware verteilt werden müsste? Sicher nicht auf Dauer. Da ist es doch besser, meine Leute werden von außen ein bisschen gepiesackt. Und die beiden Schmierfinken kann ich später immer noch zum Abschuss freigeben. Wenn ich sie nicht mehr brauche.

«Vorläufig lassen wir die beiden in Ruhe. Einfach Klappe halten, wenn die was fragen!»

Der Mann nickt. Hat der sich an meine Stimme gewöhnt? Das wäre aber schade. Da muss ich wohl etwas lauter sprechen. «Und!»

Ja, das klappt. Jetzt zuckt er wieder.

«Wir behalten die beiden natürlich im Auge!»

«Wo finde ich Herrn Katzmann?» Die Stimme von Oberkommissar Bölke schallte durch die Redaktion.

Katzmann kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ging dem Polizisten zur Bureautür entgegen.

«Ah, Herr Katzmann! Ich suche Sie.»

«Ich bin hier, wie Sie sehen. Guten Morgen, Herr Oberkommissar!»

«Guten Morgen! Darf ich hereinkommen?» Bölke stellte seine Frage, während er sich an Katzmann vorbei ins Bureau zwängte.

«Aber bitte doch», entgegnete Katzmann. «Wollen Sie den Stuhl da am Schreibtisch nehmen?»

«Danke.» Bölke griff nach dem Stuhl, ein schlichtes Holzmodell. Katzmann machte sich Sorgen, ob das gute Stück das Gewicht des Polizisten tragen würde. Das Holz ächzte, doch das Möbelstück hielt.

«Ganz schön zeitig unterwegs, die sächsische Beamtenschaft!» Katzmann wusste, dass Bölke bei seiner Tätigkeit eine beinahe preußische Hartnäckigkeit an den Tag legte und nie auf die Uhr schaute, wenn er in Mordsachen ermittelte. Inzwischen kannte er Bölke aber gut genug, um das Gespräch mit einer flapsigen Bemerkung eröffnen zu können.

«Ja, meine Leute werden sicher froh sein, dass ich außer Haus bin und sie sich ihrem Bureauschlaf widmen können.» Bölke zwinkerte. «Immerhin, bei der Arbeiterpresse sind ja auch schon ein paar Leute auf den Beinen.»

«Es ist Messezeit. Da sind die Redakteure das ganze Wochenende unterwegs.» Katzmann setzte sich. «Aber Sie haben recht. Wenn die Revolution von Zeitungsjournalisten ausgehen soll, dürfen wir sie nicht an einem Montagmorgen beginnen. Das werden wir in unsere Erwägungen einbeziehen.»

Bölke schmunzelte einen Augenblick und wurde dann ernst.

«Herr Katzmann, haben Sie gestern … gearbeitet?»

«Sie meinen, ob ich mich nach der Blei-Bande erkundigt habe?»

Bei der Erwähnung des Namens zuckten Bölkes Wimpern. Dann nickte er.

«Ja, ich bin mit Heinz … Sie wissen schon, mit Eggebrecht … ein bisschen über die Messe geschlendert. Und abends habe ich einen Herrn namens Wulpius kennengelernt.»

«Oh, Sie haben Siegbert getroffen! Was hat er denn erzählt?»

«Wozu wollen Sie das wissen?»

Bölke lehnte sich auf dem Stuhl zurück, bis das Ächzen im Holz bedenklich wurde. «Kommen Sie, Katzmann, ich bin Polizeibeamter. Ich stelle Fragen. Ich muss Fragen stellen. Das ist mein Beruf.»

«Ich bin froh, Herr Oberkommissar, dass wir etwas gefunden haben, das uns verbindet. Obwohl wir in verschiedenen Funktionen an diesem Fall arbeiten, tun wir das Gleiche: Wir stellen Fragen.»

Bölke stöhnte, hatte offenbar keine Zeit mehr für Späße.

«Mann, Katzmann, das sind keine Verbündete von Ihnen, das sind Verbrecher! Die wollen keine bessere Welt.»

Das Gefühl hatte Katzmann auch seit zwei Tagen, er sah allerdings keinen Grund, Bölke nicht noch ein bisschen zu ärgern.

«Die Bande findet sich zur Messe ein, zur großen Show der Kapitalisten …»

«Die haben einen Ober getötet. Meinen Sie, der hatte Kapital, Katzmann?»

«Sie haben ja recht.»

«Und wie ich recht habe!» Bölke geriet in Rage. Das hatte Katzmann nicht gewollt. Denn wenn der Oberkommissar einmal in Fahrt war, konnte ihn keiner so schnell stoppen. «Die kennen keine Klassen. Die kennen nur zwei Sorten von Menschen: Die einen sind nützlich für ihre Ziele und die anderen nicht. Und die zweite Sorte hat ein kurzes Leben. Soll ich Ihnen sagen, zu welcher Gruppe ein Sozi-Reporter gehört, der ihnen hinterherschnüffelt?» Bölke machte eine Pause.

Was sollte Katzmann dazu sagen? Predigten, die mit Fragen endeten, kannte er von seinem Vater, von Leistner, von Parteitagen. Da gab es nur eine Strategie: warten, bis es aufhört.

Bölke fuhr fort: «Also, Herr Katzmann, vielleicht können Sie jetzt mit den Albereien aufhören und mir helfen. Mir helfen, Ihr Leben zu verlängern und das Ihres Freundes.»

Katzmann nickte. Seit zwei Tagen versuchten seine Gesprächspartner in einem fort, eine Gefahr an die Wand zu malen. Dabei war gar nichts passiert – vom Fund eines Zettels mit einer seltsamen Mitteilung mal abgesehen.

Bölke sagte: «Also … Herr Wulpius …»

«Hat eigentlich gar nichts gesagt. Außer, dass ich machen soll, was Doktor Blei sagt. Dabei klang er … besorgt.»

«Erscheint heute ein Artikel über den Mord in der LVZ.»

«Was Kurzes.»

«Erwähnen Sie den Inhalt des Zettels, der bei der Leiche steckte und den ich Ihnen gezeigt habe?»

«In der gebotenen Kürze.»

«Gut. Haben Sie morgen etwas Platz im Blatt?»

Katzmann guckte Bölke an. Alle wollten plötzlich in seine Artikel hineinreden, die Verbrecher, die Polizei. Wenn Leistner vom Journalismus als Waffe im Kampf um Gerechtigkeit faselte, hörte er immer weg. Nun bekamen die Worte des Chefredakteurs eine neue Bedeutung. Dabei hatte Katzmann absolut keine Lust, seine Unversehrtheit in den Dienst der sächsischen Polizei zu stellen.

«Ich möchte nur, dass Sie die Wahrheit schreiben.»

Die sächsische Polizei als Hüter des Guten. Was war hier los?

«Bitte warnen Sie Ihre Leser vor der Falschgeldschwemme zur Messezeit. In der Innenstadt ist es schwer, einen echten Zwanzig-Reichsmark-Schein zu finden. Von den Fuffzigern rede ich noch gar nicht. Da können Sie mich auch gerne zitieren.»

«Kommen Sie herein, Genosse.» Leistner schien die letzten Jahre damit verbracht zu haben, mit der Wand seines Bureaus zu verschmelzen. Gesicht, Bart und Haare zeigten dasselbe Grau wie die Strickjacke und die Mauer. Wenn der Kampf für die Rechte der Arbeiter von der Schreibstube aus zu diesem Antlitz führte, wollte Eggebrecht lieber weiter im Freien arbeiten.

Leistner wies auf einen Stuhl und stopfte sich die Pfeife. «Ich habe gehört, Sie sind in Berlin ein bekannter Photograph geworden.»

«Die Illustrierten drucken meine Arbeiten. Ich kann nicht klagen.»

«In aller Welt unterwegs, wie man so hört …»

«In der Tat, für ein paar Aufträge war ich im Ausland. Aber die meisten Photographien habe ich in Berlin aufgenommen.» Eggebrecht spürte den Reflex, hier bei seiner alten Lehrstelle bescheiden aufzutreten, und fragte sich, woher das kam. Leistner hatte früher dann und wann den Redaktionspapa heraushängen lassen, nun spielte er den netten Opa. Das war nichts, wovon Eggebrecht sich um den Finger wickeln lassen wollte. Eigentlich …

«Und nun sind Sie wegen Fräulein La Belle nach Leipzig gekommen?» Opa Leistner zog an der Pfeife und paffte Kringel in die Luft.

«Nun … es gibt viele Gründe, mal wieder in die Heimat zu kommen. Aber Geld bekomme ich für Photographien von Bernadette La Belle und von der Messe.»

«Ach ja, die Messe. Die glitzernde Welt des Kapitalismus.» Leistner stützte sein Kinn auf die pfeifenlose Hand. Nun sah es aus, als sei der Arm mit dem Kopf verwachsen.

«Sie meinen, für die LVZ ist die Messe kein Thema?»

«O doch, wir begleiten diese Veranstaltung kritisch und mit der angebrachten Distanz.»

Eggebrecht überlegte, was der Chefredakteur ihm damit sagen wollte. «Sie … finden die Messe nicht gut?»

«Hier geht es nicht um Geschmack, Genosse. Der Kapitalist versucht, den größtmöglichen Profit aus seiner Produktion zu schlagen. Und das immer auf Kosten der Werktätigen.»

Leistner richtete sich auf und begann offenbar, eine Parteitagsrede aus dem Hinterkopf zu zaubern. Eggebrecht hatte vergessen, welche Vorträge in der Redaktion gehalten wurden, wenn es um das Grundsätzliche ging. Dann griffen die engagierten Genossen auf ihre Bausteine zurück, aus denen sie in beliebiger Abfolge eine Ansprache zusammensetzen konnten: die Entfremdung der Produktion und der Waren vom Proletariat, die Unerreichbarkeit der Waren für die arbeitende Bevölkerung. Leistner verwendete viele Worte, die auf «ung» und «keit» endeten. Eggebrecht wusste nicht, ob der Vortrag tatsächlich ihm galt oder ob der Chefredakteur einfach aus Gewohnheit dieses Zeug redete.

Er entgegnete: «Die Berliner Illustrierten haben Photographien von der Messe bestellt. Dann werde ich welche liefern. Das ist mein Beruf.»

«Ja, die bürgerliche Presse. Korrumpiert die besten Leute mit Honoraren … Da können wir einfach nicht mithalten.»

Ach was, dachte Eggebrecht, zählte man als Photograph nicht zu den Werktätigen? Oder gehörte das Zahlen guter Honorare zu den perfiden Ausbeutungsmethoden der Kapitalisten?

«Eigentlich geht es bei den Aufnahmen vor allem um neue Technik. Große Maschinen. Um die Zukunft», sagte Eggebrecht.

Leistner paffte einen Kringel. «Technischer Fortschritt ist immer ein Thema für uns – zumindest, wenn er die Arbeits- und Lebensbedingungen der werktätigen Massen verbessern hilft.»

Hier ging nichts ohne Floskeln. Eggebrecht unterdrückte ein Stöhnen. Als er in Leistners Bureau gekommen war, hatte er dem Chefredakteur ein paar Photographien von der Messe zum Sonderpreis anbieten wollen. Aber wozu sollte er seine Kraft vergeuden? Leistner lebte in einer anderen Welt, sprach eine andere Sprache. Eigentlich blieb für Eggebrecht nur noch die Frage, ob er das bei seiner Ausbildung vor sechs Jahren nicht bemerkt hatte – oder ob sich die Welt veränderte und nur der Mann mit seiner Strickjacke, seiner Pfeife, seinem Bart jede Art von Entwicklung ignorierte.

«Du hast vielleicht bemerkt, Genosse, dass auch wir mit der Zeit gehen.» Leistner betonte die Worte, als sei «mit der Zeit gehen» etwas Anstößiges, zumindest aber weit unter seiner Würde.

«Wir veröffentlichen wöchentlich eine Beilage mit dem Titel Volk und Zeit. Mit Photographien.»

«Konrad hat mir davon erzählt …» Eggebrecht war nicht ganz sicher, was Leistner mit diesem Hinweis bezweckte. Sollte er das als Einladung betrachten? Einen Preis nennen? Lieber erst mal abwarten!

Leistner guckte wie ein Großvater, der es gewohnt war, sich in Geduld zu üben. Der Chefredakteur paffte und nickte dabei.

Eggebrecht sah keinen Grund, darauf einzugehen. Wenn Opa Leistner ihm etwas Gutes tun wollte, dann bitte sehr nicht mit dieser gönnerhaften Attitüde.

«Wie viele Photographien fertigst du bei so einem Termin für gewöhnlich, Genosse?»

«Das hängt vom Motiv ab. Aber im Zweifel lieber eine zu viel als eine zu wenig.»

«Würdest du uns gegebenenfalls Bilder zum Abdruck anbieten?»

Leistner hatte gefragt. Eggebrecht fühlte sich, als habe er gerade einen Wettlauf gewonnen. «Aber natürlich. Gerne.»

«Sprich die Motive am besten mit Genosse Konrad ab!» Leistner legte die Hand mit der Pfeife auf den Tisch. «Aber lass dich nicht in diese Mordsache hineinziehen!»

Katzmann klopfte an Herfried Rinkes Bureautür. Von drinnen forderte ihn eine Frau mit einer hellen Stimme zum Hereinkommen auf. Er drückte die Klinke und war erstaunt, dass die Tür keine Geräusche von sich gab – mit den Stuckverzierungen auf dem Eichenholz wirkte sie so schwer, dass Katzmann mit einem Quietschen gerechnet hatte.

Im Vorzimmer schien, genau wie die Tür, alles aus Eiche gefertigt: die Regale, die Fensterrahmen, der Sekretär, der Kleiderständer mit dem Stockhalter. Die Tippse kam ihm entgegen, in dieser Einrichtung sah sie besonders zart aus. Sie trug eine Bubikopffrisur und ein dunkles Kleid – vielleicht, um zwischen den Künstlern im Krystall-Palast nicht aufzufallen.

Katzmann übergab dem Fräulein Mantel und Hut und stellte sich als Reporter der Leipziger Volkszeitung vor, der einen Termin bei Rinke habe.

Die Tippse hängte den Mantel seitlich an den Kleiderständer.

So blieb nicht nur der barock verzierte Gehstockhalter sichtbar, der ganze Kleiderständer machte den Eindruck, als sei das Bureau auf zahlreiche weitere Gäste vorbereitet. Dann drehte sich der Bubikopf zu ihm. «Ja, Herr Konrad Katzmann, mir ist bekannt, wo sie arbeiten.»

Er überlegte, woher das Fräulein ihn kennen könnte … Wo hatte er die kleine Nase unter den grünen Augen mit den riesigen Wimpern schon gesehen? Nein, ihm fiel nichts ein. Dabei wäre die junge Dame ihm sicher in Erinnerung geblieben, hübsch wie sie war.

«Tja, woher kenne ich Sie? Das fragen Sie sich, Herr Katzmann.»

Er bemerkte, dass er das Fräulein in einer Art musterte, die auf sie sicherlich wie ein Anstarren wirkte. Immerhin schien die Tippse ihm das nicht zu verübeln. Sie lächelte, er auch. Er sagte: «Vielleicht können Sie mir auf die Sprünge helfen, Frau …»

«Schneider, Fräulein. Mich kennen Sie noch nicht, aber meine beste Freundin … Der standen Sie einmal sehr nahe.»

Beste Freundin … Katzmann kramte erneut in seinem Kopf. Welche der Liebschaften der letzten Jahre passte zu Fräulein Schneider? Er fühlte sich nicht wie ein Gigolo, aber auf ein paar Damenbekanntschaften konnte er schon zurückblicken. Nicht übertrieben viele … Er wusste um seine Wirkung auf Frauen, um seine Attraktivität. Dennoch kam es natürlich vor, dass eine Auserwählte seine Gefühle nicht teilte. Auch wer alle haben könnte, bekam noch lange nicht jede … Meist scheiterten seine Verhältnisse an dem unterschiedlichen Grad der eingebrachten Liebe. Entweder wurde er mit Zuneigung derart überschüttet, dass er kaum atmen konnte, oder aber er fühlte sein Engagement an einer Stelle ins Leere gehen, an der er noch auf etwas mehr hoffte. Wenn er nachdachte, fiel ihm auf, dass meist er die Notbremse zog. Und manchmal dachte er mit Wehmut an eine der Frauen zurück – manchmal. Aber diese Gedanken führten vom Bubikopf und dieser ominösen besten Freundin weg.

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22 aralık 2023
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9783955520540
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