Kitabı oku: «Hurra, wir dreh’n uns noch», sayfa 3
Doch stand die Antwort auf meine nur gedachte Frage schon auf besagtem Plakat. Zu meiner Überraschung gleich in mehreren Sprachen. Bu sinek yok, gefolgt von einer Zeile voll von kyrillischer Schriftzeichen, welche ich vor Jahren aus Gründen von Desinteresse ignorierte. Die dritte Zeile überstrich eine reich verzierte Borde, dessen letztes Drittel den in Klammern gefassten Sing Sang la la tatir innehielt. In der vierten, der vorletzten Zeile offenbarte man dann der ganzen, weiten und modernen Welt. Carpets can not fly! Und zu guter Letzt, nur für mich, so schien es, die schon erahnte Auflösung. Teppiche können nicht fliegen!
Wenn jetzt noch die Reihenfolge dieser internationalen Aufklärung Beachtung findet, wird man wohl wie ich, ein wenig säuerlich. Im eignen Land bin ich das Letzte, stellte ich fest.
Der mit Teppich Handel treibende und auch sonst unwissende Milchreisbubi hockte immer noch reglos auf seinem Haufen.
„Was ist mit dein deutsch? Das ist doch falsch“, zeigte ich auf seinen von Hand beschmierten Hinweis: „Fliegen nicht können, muss es richtig heißen.“
Und Tatsache, er löste sich von dem aufgestapelten Bodenbelag, indem er sich wie ein Zollstock auseinanderklappte. Und eh ich mich versah, wurde aus dem kleinen Jungen ein Großer.
Na gut, dachte ich: Da müssen ’se die Schokoladentafeln eben etwas größer machen. Und dieser große Junge quälte sich in meine Richtung.
„Was nicht ist korrekt?“
Ich zeigte auf seine Eigeninitiative und wiederholte: „Fliegen nicht können! Nicht, können nicht …“
„Danke, ja. Ich hab’s ja, danke.“ Er schien genervt. Gelangweilt, mit den Händen in den Taschen, verschwand er hinterm Weihnachtsbaum in Richtung Grips und kam bewaffnet mit ihrer zweistufigen Bockleiter zurück. Gripsy lugte neugierig hinterm Baum hervor. Und von links gratulierten mir die beiden Glaubenskrieger zu meiner doch erstaunlichen Überzeugungskraft. Sie hätten wohl schon mehrfach versucht, Abschregs Stammhalter die deutsche Sprache näherzubringen. Abschregs wer? Na nu gucke ma an. Der Appel fällt nicht tief in Tee, oder so ähnlich. Und siehe da, der Appel reparierte zum Gespött einheimischer Kaufhausbesucher und seiner Nachbarn zur Linken.
Ich selber musste mich dieser Nachbarn erwehren. Wollten sie mich doch für diese Wohltat, mit einer extra Portion Pommes unter einer eigens kreierten Spezialsoße belohnen. Doch noch bevor man mir, unter Beihilfe eines überlangen Käsemessers, die unterforderte Qualität dieses Pappschalen-Brechreizes anpries, konnte ich entkommen. Vorbei am Stand mit türkischem Honig, welcher sich eigenartigerweise zur Hälfte das Zelt mit einer Fischbrötchenkerkäuferin teilen musste, trennten mich nur noch, wie man von der Seite sehen konnte, die für Hochkant versteiften Europaletten, die die anhaltinische Welt bedeuten, von meiner eigenen Weissagung.
Doch kreuzte noch Ungemach, in Form einer Mutter mit zwei Kindern an den Händen, meinen Weg. Völlig Rücksichtslos ungeachtet meiner mir zustehenden Vorfahrt, wenn man so will, eroberten sie zielstrebig die Bühne. Holpernd und polternd erklommen sie den vierstufigen Aufstieg, nachdem der etwas größere Junge beinah noch einen zusammengeklebten Stapel Geschenkpakete, welcher unterhalb dieses Podestes platziert, umgerissen hätte, wo sie Abschreg, den Nikolaus, man möge sich erinnern, wahrlich überfielen.
„Na iss’ es denn?“, konnte ich mich grad so spontan aufregen. Es wollte nur nicht wirklich irgendeinen hier im Saale ernsthaft interessieren. Schon gar nicht diese Mutter, diese Schreckschraube, welche mit zwei großen Schritten (sportlichen Ehrgeiz vortäuschend) die Stufen der hölzernen Treppe erklomm, aber von mir nicht die geringste Notiz nahm.
Doch dann, endlich Gaumenfreuden, die Zukunft vom Grill, der Bratwurststand. Ich kramte schon nach Kleingeld in meinen Taschen. Mit zwei fünfzig wollte sich der Bratwurstmann die Bratwurst aus Thüringer Landen honorieren lassen. Ich wollte mich über den kurzen Brühwurstknuppel, dem jegliche Verbindung zu Thüringen gekappt, nicht aufregen. Doch als man mir diesen Wurstkrüppel in ein Fladenbrot deponierte und dem ganzen noch einen extra großen Löffel voll von Tsatsiki beilegen wollte, musste ich doch einmal fragend meine Stimme erheben: „Was stellt das dar?“
„Türünker Bratwurst, Brot, Soße. Du hier sehen!“
„Die Wurst hat Thüringen nie gesehen. Eher tragt ihr hier die Thüringer Esskultur zu Grabe!“
„Esskultur, zu Grabe? Du weißt nicht was ist Esskultur, Anhalter du! Macht alles ihr in Büchse. Wurst in Büchse, Fleisch in Büchse, Soße …“
„Was geht mich das an? Ich bin Sachse!“
„Was, du Sachse? Wo machen du Wurst hin, hä?“
Auch wenn mir unsere guten alten Einweckgläser in den Sinn kamen, kam ich mir doch ein wenig verscheißert vor. Diese Triumpf wollte ich diesem türkisch-thüringer Bratwurstmann nicht gönnen und lenkte zurück zum aktuellen Wurstunfall: „Und was soll das mit dem Brot? Und wieso kein Brötchen? Und untersteh dich das Tatzschikiz-Zeugs da drauf zu manschen!“
„musst nicht nehmen Soße, ja. Nur wenn willst du. Und Brötchen hat Frau letzte junge. musst nicht nehmen Brot, nur wenn willst …“
„Wie? Junge Frau!“
„Da, die da!“, zeigte der Bratwurstmann hinter mich in Richtung Grabs Kreolenzelt, an welchem ich meinen Rundgang gestartet hatte. Und wen seh ich da mir zuwinken? Nicht einfach nur winken, nein! Sie musste mir mit einem halben Brötchen zwischen den Zähnen zuwinken. Natürlich war es nicht irgendein Brötchen. Es war das Letzte!
Sie ist das Letzte, diese moderne Zelthexe, welche gleich bei stand und blöd dazu grinste. Dazu rührte sie mit ihren Fingern in einer Dönertasche und kaute anscheinend die Bratwurst mit Soße. Zumindest verriet es ihr Kinn, von dem es klebrig zu Boden tropfte. Stand nicht auf einem ihrer selbstgeklöppelten Plakate: Der Erste wird dein Letzter sein! Ich wünsch ihr noch viele Weltuntergänge. Jeden Tag mindestens zwei. Zwei – und die in Form von Durchfall, haltlosem Durchfall. Ich gönn es ihr und dieser Grabs gleich mit. Signalisieren mir doch ihre zwei rot und grün lackierten Mittelfinger Verachtung auf Dauer.
So recht kann ich mich nicht beruhigen. Der Wille ist da, doch irgendwie … geht nicht. Und so gebe ich auffordernd kund: „Senf!“
„Wie, du meinen?“
„Senf, ich nehm dann Senf!“
„Senf, nein, kein Senf! Soße ja, Senf aber …“
„Ist gut nun, ich hab’s ja. Oder hältst du mich für …?“
„musst nicht nehmen Soße. Nur wenn …“
„… wenn willst du! Richtig! Aber ich will nicht, ich will dann ohne nehm!“
„Gut. Dann ohne du nehmen, gut.“
Der Handel um diese Wurstkatastrophe hatte ein Ende. Endlich! Mit zwei Zwei-Euro-Stücken wollt ich diese Thüringer-Bratwurst-Schändung eigentlich bezahlen und hör mich doch allen Ernstes: „Stimmt so!“, sagen.
„Danke, oh danke, danke.“
„Wie, was? Ich, äh … Ja, äh … na gerne doch.“ Es schien nicht mein Tag, so wie das lief.
„Und Weihnachten frohliche! Frohliche Weihnachten, du guter Mann, du!“
Guter Mann? Der will mich doch verscheißern! „Ja, ebenso frohliche Fest, Herr Bratwurstmann.“ Was sonst auch? Heißt es doch nicht umsonst – Frohlocken!
Nur fällt mir die Frage ein, wieso nicht Frühliches? Diesem Grillmeister aus anatolischen Landen müsste doch so ein Einfaches „ü“ problemlos über die Lüppen schwüppen? Es kann natürlich aber auch sein, dass es ihm selber albern vorkäme, wolle er mit seinen Grillwurstkuriositäten frühlück…
„Ho, ho, ho!“, riss mich der Nikolaus aus meinen Gedanken. Nanu, den Keks verließ es wohl an Wirkung? Hat sich Rocco in seinem Mischungsverhältnis vertan? Zu viel Teig, zu wenig Kräuter? Oder verscherbelte Rastarocco doch vom aller Feinsten? Wenn das mal gut geht, Rocco! Kennt sich doch der gemeine Osmane aus mit Mohn und Gras und edlen Kräutern!
Ein zweites „Ho, ho, ho“ verriet Begeisterung. Abschreg lobte ein kleines Mädel, welches von ihrem Bruder an der Hand gehalten und von ihrer Mutter, der Schreckschraube, lautstark in den Himmel gehoben wurde. Sie könne wohl eine weihnachtliche Weise performen, dass dem Nikolaus die Spucke weg bliebe. Die Kleine selber wusste nicht, wie ihr geschah. Alles was sie in dem Moment konnte, war ängstlich den Kopf einziehen. Ihr Bruder, welcher ungefähr zwei Jahr älter, schob sie fies grinsend zum Mikrofon. Auch wenn das Mädel quengelte und versuchte, sich dieser Tortur zu entziehen, pries ihrer beider Mutter das Kind als nächsten deutschen Superstar: „Wenn schon nicht mehr in diesem, dann vielleicht im nächsten Jahr …“
„… Tausend bestimmt!“ Der Bratwurstmann sprach laut aus, was ich leise dachte. Was Abschreg dazu veranlasste, durch seinen künstlichen Gesichtspullover mit der Mutter liebäugelnd, streng um Ruhe zu bitten. Und schon setzte die Kleine, welche auf den Namen Lena reagierte, an. Nur als nächster Superstar nicht einfach so. Das Kind performte, wie von der Mutter versprochen, ihre festliche Weisheit. Performte! Kein Mensch scheint in der heutigen Zeit noch ein Lied zu singen oder gar ein Gedicht aufzusagen. Man performt! Was für ein neudeutscher Unsinn!
Zu meinem Erstaunen erhob Lena ihre beiden Hände, als wollte sie nicht nur das kleine Kleinkindkettenkarussell segnen, überflog ihr ernster Blick die Anwesenden. Und dann endlich, Lena setzte an: „Lieber, guter Weihnachtsmann! Schau mich …“
Ich muss das jetzt nicht vervollständigen. Doch wie sie diese traditionelle deutsch-weihnachtliche Belästigung schmetternd unters Volk brachte, möchte ich fast meinen, war beängstigend! Mit vollem Körpereinsatz … (ja, ich gab mich geschlagen) … performte sie diesen festlichen Hörsturz. So, wie diese kleine Lena diesen Vierzeiler hier zum Besten gab, genau so könnte ich mir Katharina Thalbach vorstellen Schillers Taucher zu zelebrieren. Das fiel mir bei weitem leichter, als dem Mädel hier auch nur eines meiner Ohren zu schenken. Das hätte was! Aber das? Das geht ja mal gar nicht! Auf Lob und warme Worte hoffend, starrte die Mutter den Nikolaus an. Doch kein Bravo, kein Applaus, kein gar Nix wollte Abschreg über seine Lippen kommen. Eher wich er nach hinten zu einer, auf einer Staffelei stehenden Tafel, von wo er dann doch noch, erkennbar genervt, kundtat: „Ja, danke! Ganz schön war das schon, ja.“
Er schien seinem Namen alle Ehre zu machen. Als Gesamtprodukt schien die Summe aus Kind und Vortrag abschreckend auf Abschreg zu wirken. Dazu machte er noch zwei Schritt zur Tafel, nahm ein Stück Kreide und machte einen Strich hinter einer Vielzahl von schon aufgekreideten Zaunsfeldern, um knurrig seine Enttäuschung nicht nur der Lena zu offenbaren: „Du bist schon Nummer sechsundsechzig für mich! Aber…“, schüttelte er ungläubig seinen Kopf, das es beinah seine Mitra verschob, „… keine Sprachfehler du haben! Das gut, ja? Du erste ohne stottern heute, ja! Dafür ich dir eine Überraschung … eine besondere Überraschung will ich dir schenken! Gleich lassen ich Bombe platzen!“ Dazu griff er Spannung verbreitend in das Inlett seines schweren Mantels. Mit großen Augen verfolgten die drei und ein paar neugierige Passanten, Bratwurstmann und mich inbegriffen, Abschregs Treiben wie Groupies direkt am Bühnenrand. Dann endlich, jetzt drehte er richtig auf: „Oh, ich kann schon fühlen. Gleich ich haben Überraschung! Oh ja! Oh wie ich fühle.“
Ich weiß ja nun nicht, mit was diese Mutter von diesem zukünftigen Superstar gerechnet hatte, was Abschreg, dieser Nikolaus da so fühlte. Völlig außer sich klatschte sie beinah apathisch, ihre dem Anschein nach geistesabwesende Tochter lockend, in die Hände. Der zukünftige Superstar hätte sich doch bitte gefälligst zu freuen, wenn der Nikolaus sich schon so mühte! Doch wie er die Überraschung, die Bombe, aus seinem Mantel zog, zog sich der Mutter Gesicht derart nach innen, das ihre aufgespachtelte Gesichtsstraffung akut drohte zu splittern.
„Tataah! Die Überraschung für kleine Lena! Bittescheen!“
Kann es sein, dass Türken, vielleicht auch Kurden oder der Osmane schlechthin, im Besitz von seltsamem Humor? Falls das so, sollte man den einheimischen Ureinwohner aufklärende Worte zukommen lassen. Zumindest hätte es uns allen besser getan, wär diese Familie davon in Kenntnis gesetzt worden. War die Kleine doch echt überrascht, wie sie nach dem bunten Umschlag griff, welchen Abschreg ihr reichte. „… D…da… Danke“, fing sie dann doch noch das Stottern an.
„Was ist das?“, riss Mutter das Papier an sich und zog eine Art von Urkunde ins Licht. „Ein Gutschein?“, konnte sie ihre Enttäuschung nicht unterdrücken.
„Nicht irgendein Gutschein, Frau. Ein Besondere!“
„Ein Besonderer? Was soll der Quatsch?“, begehrte sie lautstark auf. Woraufhin die Lena sich meldete: „Mama, nicht schreien, bitte!“
„Ich schrei ja gar nicht“, wedelte sie mit neuneurologischem Knacks und dem Gutschein in der Luft. Dass sie nah der Hysterie schrie: „Für’n Dönerstand?!“ Mehr Feststellung als Frage, musste sie, auf eine vielleicht doch erhoffte Antwort, diese sich selber geben. Abschreg selber übermannte die Neugier: „Na, wie ist schön? Wie sich freut kleine Lena da?“
Was die kleine Lena veranlasste, lauthals loszuheulen.
„He, was nicht richtig? Was nicht ist korrekt, hä?“
„Wie, was nicht korrekt? Das woll’n wir nicht, du Knusperkopp. Wir woll’n das da!“ Lenas Bruder hatte seinen Auftritt, den Mutter so einfach nicht stoppen konnte oder im ersten Moment auch nicht wollte. Doch als der Bengel: „Dich machsch kaputt!“, rief, erkannte sie ihre Pflicht und korrigierte Justin, so dessen Name, von der Bühne. Justin reagierte prompt: „Komm glei!“
„Nein, sofort Justin!“
„Erst wenn ich was aus dem Sack hab! Ich will was aus dein Sack, Nik!“, grölte er Abschreg an, das dieser zur Seite und noch weiter nach hinten wich. „Eh man, hörst du mich nicht, du Weihnachtsmann du? Ich will was aus deinem Sack!“
Justin, seines Zeichens minderbemittelt, schnallte natürlich nicht, dass dieser Sack nur Deko. So war es ihm egal und er pochte auf den Inhalt. Er fuchtelte mit seinen dürren Armen in der Luft, dass der Mikrofonständer dem ersten Schlag schon erlag und zu Boden stürzte. Dazu stapfte der Bengel mit dem Fuß auf, das es nur so aus den Boxen schepperte. Die Mutter, die mit ihrem verkannten Superstar schon unterhalb der Bretter die die Welt bedeuten, versuchte noch einmal ihr Glück: „Komm Justin, lass ihn in Ruhe. Wir wollen besser mal gehen!“
„Ich geh nicht ohne den Sack!“
Oha, jetzt wollte er den ganzen Sack. Schon stand er wieder vor Abschreg, welcher abwehrend den Justin zur Ordnung rufen wollte. Da holte der doch allen Ernstes dieser mit seinem Schnürstiefel beschuhtem Fuß aus und wollte dem Nikolaus mit voller Wucht gegen das Schienbein treten. Doch machte Abschreg noch einen Schritt nach hinten. Es ging auch nur noch einer, denn da stand schon der alte Sessel. Und so wurde dieser Rücktritt sein letzter. Er fiel in den Ohrensessel mit so viel Schwung, dass dieser nicht nur nach hinten kippte, nein, denn dadurch, dass er schon gefährlich weit an der Kante stand, stürzte der Nikolaus mit seinem alten Ohrensessel von der Bühne in den bestimmt einen Meter tiefen Abgrund. Unschön ist, wenn man, wie in dem Fall der Nikolaus, sich noch das Kabel vom Mikro um Fuß gefitzt hat, sodass es ungewollt dem Untergang überlassen und als Gesamtpaket, Mikro plus Ständer, mit in die Tiefen dieses Dilemmas gerissen wurde. Und so konnte ein jeder, und nicht nur im weihnachtlichem Atrium, das letzte Wort von Abschreg dem neuanhaltinischen Nikolaus hören: „Pislik!“
Das hatte dann wohl ein Jeder verstanden, selbst Justin. Leicht verdattert wegen Abschregs vorzeitigem Bühnenende, den Sack vergessend, schlich er von der Bühne seiner besorgten Mutter hinterher. „Kannst du nicht einmal hören, wenn ich dich rufe? Was da hätte passieren können! Zur Strafe isst du meinen Döner mit!“
„Wie, du willst die Döner holen?“ Angewidert verdrehte er seine Augen. Doch war Mutter der Meinung: „Einem geschenkten Gaul, guckt man nicht ins Maul! Und jetzt gib Ruhe, Justin!“
Wer da nun wessen Döner nicht essen tat wollen tun, wollte mich nicht mehr interessieren. Ich drehte ab und sah noch einmal in diese weihnachtliche Runde. Gripsy und Rastarocco ablaudierten noch wie verrückt. Dazu zeigte mir Gripsy ihre Daumen, welche mir, auch wenn nicht unbedingt die größten, als echte Siegertypen entgegen strahlten. Grabs hatte noch immer denselben Krampf an Händen. Dafür signalisierten mir zwei Finger an der Rechten des Mediums mit den Kalkresten am Pendel: Man sieht sich!
Na wie schön, hab ich wohl ein wenig Eindruck hinterlassen.
Die beiden Dönertürken halfen derweil Abschreg aus den Katakomben, direkt wieder ans Licht. Waren sie doch gleich geeilt, um die Blamage so gering wie möglich zu halten. Dann saßen sie alle drei am Bühnenrand, baumelten mit den Beinen und schienen über den Sinn eines Weihnachtsmarktes zu sinnieren. Auch Abschregs Milchbubi hatte mir und den Nachbarn zum Spaß seinen grammatikalischen Fehlschlag mit Hilfe von übertapeziertem Klopapier und Fettstift korrigiert.
Jetzt stand da zwischen all den internationalen Schriften in roten Lettern:
– Teppich-Fliegen nicht können fliegen –
Dass dieser nicht tut nachzudenken! Doch darüber sollen sich andere mit Abschregs Setzling streiten. Setzling, kann man ja so sagen, sitzt der Junge doch schon wieder auf seinem Stapel Abtreter wie auf ’nem Abtritt. (Wenn jetzt einer hier nicht weiter weiß? – Wortspiel! Eine Stelle wo man kann einem kurzen Gelächter frönen. Falls wer für solches anfällig ist.)
SO ODER SO ODER SO
(Gern wär ein mancher nun kein Beamter,
dann fänd’ er folgend Zeilen interessanter.)
Mittlerweile war es fast drei, wie ich diesem eurasischen Weihnachtsmarkt en miniature den Rücken kehrte. So lang wollte ich gar nicht bleiben. Nur mal schnell sehen, was mich findet und weiter, weil es doch so gut lief an dem Tag. Doch sahen das die Studenten wohl ein wenig anders. Mit der Kunst mich zu bequatschen, um sich selbst, zu dieser für Studenten sehr frühen Zeit, der langen Weile zu entziehen, verbrachte ich mehr Zeit, als ich mir selber eingeräumt hatte. Wobei, keine vertane Zeit. Eher ein Spaß beiderseits, von Gripsy mal abgesehen, auf Augenhöhe dem rapid nahenden Weltuntergang mit zukunftsorientiertem Geschenkever- und -einkauf entschieden entgegen zu wirken. Doch nun war gut und ich startete zufrieden mit dieser im Fladenbrot versteckten Bratwurst bewaffnet in Richtung Parkplatz. Hätte ich diese Thüringer Beleidigung doch beinah vergessen, bei dem weihnachtlich performten Spektakel. Spektakel?! Wohl doch eher Unsinn!
Solch’ Kinder gehör’n für klares Hirn vierzehn Tage in die Kühlkammer. Jetzt nicht unbedingt den ganzen langen Tag, doch zwischen runter vom Topp und erster Flasche, das wär schon mal ein Neuanfang. Falls dann noch, dank eines Ventilators, eine frische Brise bei sieben Grad durch die Ohren pfeift, dann, so will ich meinen, werden auch solche Gören, vorausgesetzt Mama geht vor, Besserung finden. So beiße ich zufrieden mit mir und meiner Idee in die Wurst, nachdem ich sie aus dieser Brotteigtasche mehr weniger als mehr gefingert hatte.
Wenn man in so ’nem Fladenbrot den verkümmert halbherzigen (wenn man bitte die Betonung auf halb… beachte) Thüringer Bratwurstverrecker rumkullern sieht, werden Erinnerungen wach. Und das nicht nur bei Vätern wie mir, möchte ich wetten. Zumindest noch bei all jenen, welche auf Grund von Nachwuchs selbst in den Genuss des Wechselns der vom Setzling geadelten Windel gekommen. Verloren in den Tiefen des Materials, dunstete der von Muttern hoch gelobte Erfolg seiner Bestimmung entgegen.
– Dem Badeofen!
Nanu, was ist das denn? Die schmeckt ja gar nicht mal so gut. Und wie heiß die noch ist. Sind bestimmt zwanzig Minuten vergangen seit dem Erwerb. Wer hätte das gedacht, dass so ein Fladenbrot eine derart gute Figur als Isolierkübel abgibt. Nur, irgendetwas stimmt nicht mit dieser Thüringer. Als wär der Metzger am Schweinestall vorbeigerauscht. Was soll das nur für eine Mischung sein? „Ist das so ’ne Wurst vom Herrn Türünker?“
„Was, hä … ich?“
„Ob die vom Herrn Türünker ist, die Bratwurst, die, die Sie da essen?“
„Ach, äh Türünker?“ Wieso quatscht der Typ mich wegen diesem Verrecker von einer Bratwurst an? „Oh, äh ja. Die ist von dem, … dem Herrn Türünkens da!“
„Und?“ Die Frau, vielleicht seine Frau, die bei ihm im Arm hing, strahlte mich hoffend auf eine positive Antwort an.
„Und, und was? … Ach äh, ja!“ Ich war ein wenig perplex, der Tatsache, dass dieser Herr aus fremden Landen seine eigene Bratwurst nicht nur kreierte, sondern auch gleich noch unters Volk brachte. „Ja, die ist ganz gut so“, log ich, so gut wie’s ging.
„Ganz gut, so? Was heißen: Ganz gut so?“, wollte doch diese moderne (kein Kopftuch) Aische wissen. „Und wieso haben Sie keine Soße? Die ist doch das Beste! Mein Bruder machen beste Wurst mit bester Soße auf ganzen Markt!“
Dem war ich nicht gewillt zu widersprechen, hatte er doch den einzigen Stand mit traditionell-weihnachtlichem Grillgut, von der Soße mal abgesehen. Das mir jetzt noch zu allem Überfluss seine Schwester über den Weg laufen musste. Na toll, danke! „Ich nehm nie Soße, ich ess’ immer ohne. Schon immer!“, versuchte ich mich diesem Dilemma zu entziehen und bemerkte, wie in meinem Rücken eilends wer ins Freie hastete.
„Nehmen Sie noch Soße nach! Kommen Sie, bitte! Ist besser, Sie mir glauben, bitte!“
„Vielleicht beim nächsten mal. Ich muss weiter, bin schon spät dran!“, rettete ich mich in die übergroße Drehtür, wo mir als Nachruf im Rücken: „Lanet Yabancilar!“, nacheilte.
Egal was ist, immer nett und höflich diese Türken. Die Welt sieht eben anders, wenn man sich selber ein Bild machen kann. Und so verwundert es mich auch nicht, dass man mich, ob ich komme oder gehe, immer mit derselben Grußformel beglückt.
Wie ich ins Freie trete, bläst mir ein rauer Nordostwind entgegen. Der Himmel schien sich an diesem Nachmittag dank dicker tief hängender Wolken bei Zeiten verdunkeln zu wollen. Doch rettete weihnachtliches Lichtspiel, welches die gesamte Kulisse in ein festliches Gewand tauchte, zu welcher passend ein Elch, wenn Hirsch Heinrich nicht gar selbst, melodisch röhrte. Hirsch Heinrich? Noch nicht einmal Schnapsnasen Rudolf. Welch ein Irrtum dem ich da erlegen.
Das zur Carmen dekorierte Medium hing über einem Abfallkorb und telefonierte wichtig mit Ulf. Wenn ich es recht verstand, tauschte man sich über die ein- oder anderen unnötigen Rezepturen von Soße aus. Es hörte sich an, als wär Elch Ulf in einer spontanen Wachstumsphase, so wie es aus dieser blechernen Mülltrommel hallte. Wie kann man auch Soße essen, die aussieht wie Butter ranzig, aus welcher einen ein halbes Dutzend grün geschwollener, blinder Augen einen flehend anstarrten?
Es müsste etwas wie … Senf? Nein, wohl eher irgendwas anderes. Senf geht hier gar nicht, stelle ich fest. Auch wenn das eine Bratwurst ist. Aber Senf, dachte ich mir, als ich auf der eigenwilligen Masse herumkaute, fiel flach. Viel Wurst war’s ja nicht, sodass ich den kurzen Moment, den Carmen nach Luft schnappte, nutzte, um das leere Fladenbrot mit einem gezielten Korbwurf im Abfallkorb zu versenken. Unschön wenn dann so ’nem Mülleimer der Einsatz abhanden gekommen. Doch so vertränt die Augen des Mediums waren, konnte sie nicht sehen, was ich sah. Als höflicher Mensch konnte ich nicht anders und wies auf das Desaster hin: „Es troppt auf deine Treter!“
„Waaa’s?“, röhrte sie lauthals mit leicht geneigtem Kopf in meine Richtung.
„Dir suppt’s auf deine Schuhe, Carmen!“
„Ieeech … hääärgch … heeß’nich … Caaa arr män!“
Ihr Timbre hatte was von ungeschliffenem Rollsplitt und ihre wettertechnisch Unnutz ausstrahlenden, Bordeaux gefärbten Pumps erinnerten an die Schneekoppe zwischen den Mainzelmännchen. Es schien hoffnungslos, dieses moderne Medium zu Gunsten ihrer Schuhe zum Rücktritt zu bewegen. Mit den Händen abgestützt an der Wand hinter dem Korb, dem nach vorn geneigten Kopf über dem Korb und den Füßen unter dem Korb, seihte sie die nun körperwarme Soße durch den Korb, direkt auf ihre Schuhe. Wenn sie schon nicht auf meine warnenden Worte hörte, dann vielleicht auf eine Reaktion über ihre Fähigkeiten als Medium. Und so machte ich einen Schritt weit in ihre Richtung, neigte mich auf fast gleiche Ohrenhöhe und stach in die Wunde: „Das hätt’ste aber schon kommen sehn müssen! Oder war das noch nicht dran, in eurer Hexenschule?“
„Leck miuaaach ääwäch … Äwäägs. Ieeeeh, so ’ne Schää … ißää!“
„Siehste, jetzt hast du’s. Spät, aber, … aber naja. Na dann, ein Frohes noch und rutsch … Ach so, mit Zukunft ist ja nicht so bei dir“, grinse ich sie frech an. „Dann würd ich mal sagen: Rutsch nicht aus in deiner Soße!“
Während der fünf Minuten, in denen ich der doch nicht Carmen, beistand, umging uns das nun schon stetig anwachsende Fußvolk im gebührenden Abstand. Nicht wenige hinterließen ungefragt einen Kommentar, O-Ton: „Die sind ja jetzt schon voll wie Hacke!“ Anbei Geistesgrößen, welche zudem noch bemerkten: „Und blau sind se auch!“ Um sich da nicht mit einreihen zu müssen in die blaue Reihe der Hackevollen, drängen diese unwissenden Anhaltiner und Anhaltinerinnen dann doch eher zur Flucht.
In, über den Daumen gepeilt, etwa einer Stunde, sollte ich auf dem heimatlichen Gehöft einfahren. Ich müsste halt nur mal langsam losfahren. Sitzen tu ich ja nun schon im Auto. Schlüssel rein und rum und ab die Fuhre. Dank der Einbahnstraßenregelung auf diesem Parkplatz musste ich einmal eine große Runde fahren, welche mich in Sichtweite des Eingangs an führte. Na sieh mal einer an – anhaltinisches Recycling, kam mir der Gedanke. Eine kniehohe ungebürstete Mischung aus Bello und Struppi ergötzte sich am Geseihden. Hier machte heut jeder seinen Schnitt. So setzte ich zufrieden mit mir und reich an Beute meine Fahrt gen Heimat fort.
Ich hatte richtig gute Laune, mit diesen Unikaten aus Silber, eingearbeiteten Diamanten und Brillanten im Gepäck. Oder waren es doch eher Simulanten im gläsernen Schafspelz, so wie die Zahnspange strahlte? Bestimmt war die meine nicht vorhandene Fachkenntnis nicht zu übersehen. Aber, mir Hoffnung unterbreitend, wenn meine beiden der Schwindel dem ich erlegen nicht auffiele, dann wär ja alles gut. Und wenn’s schief geht, kann ich immer noch auf die Majanesen hoffen. Kann ja gut möglich sein, dass diese sich um eine Woche vertan haben. Vielleicht fehlte einst eine Murmel im Abakus? Und wer kann schon mit Sicherheit sagen, ob die dazumal all ihre Murmeln beisammen hatten.
Aus Gründen des Umweltschutzes beschloss ich Bitterfeld zu meiden und das Weite über Delitzsch zu suchen. Ich kam nicht nur gut vom Parkplatz runter, ich kam auch sonst ganz gut voran. Und so erahnte ich, dank tief hängender Wolken, nach gar nicht allzu langer Zeit die Türme der Stadt.
Nur tat sich nun eine Problematik auf, welche ich beim Gedanken von Umweltfrevel hatte völlig außer Acht gelassen. Umfahr ich diese Stadt links rum, über Bad Düben? Man lief Gefahr, den einen oder den anderen Einoder Zuwanderer zu übersehen. Die laufen da wie’s gefällt. Halb auf der Straße bis ganz, links, rechts, selbst zu dritt nebenher. Natürlich auch hinterher. Nur was nutzt dies, wenn’s dunkelt? Diese Leute verschmelzen geradezu mit der Umgebung. Quasi zu praktischem Nichts.
Oder aber, ich entschied mich für die rechte Route. Extra erbaut und als Umgehung gepriesen. Im großen Bogen, als litt die Stadt auch heut noch schwer unter den Nachwehen von Pest und Cholera, umfuhr man die nicht mehr vorhandene Gefahr der Ansteckung trotz allem im Sicherheitsabstand von mehreren Kilometern. Das wär ja jetzt nicht einmal das Problem. Vielmehr befand sich die Problematik dieser Strecke wohl eher außerhalb, auf der gegenüberliegenden Seite dieser Stadt. Reich an Kurven, welche nicht gerade übersichtlich, versuchen es immer wieder verkannte Schumis, an den unmöglichsten Stellen zu überholen. Ich weiß nicht, warum das so. So ist es auf der Dübener Strecke jedenfalls nicht. Da ist auch nicht so viel Verkehr und somit bei weitem ruhiger. Und so tolle dunkeln tat es momentan ja nun auch nicht. Also, was wollte mir das sagen? Genau, ich werde über Düben fahren; schöner iss allemal!
Es gäbe ja noch die Variante Mittig. Nur, ob mein Auto diesem Straßenbelag schadfrei standhalten wollte? Katzenköppe in allen Formen und Größen. Und so alt! Die sind so alt, das man meinen möchte, Napoleon höchst selbst in seiner ganzen nicht stattgefundenen Größe (siehe Grips), hätte sie seiner Zeit schon abgesäuert. Wär schon schön, würde ich das Bodenblech da behalten wo es hingehört. Auch wenn fast geradlinig, geht es nur in eine Richtung. Was von Natur aus einfach wär, würde sich nicht immer wieder eine Baustelle finden, welche zum Kurswechsel animiert. Ob links, rechts oder sonst wohin. Es ist egal, es gibt nur rechts vor links abwechselnd mit Einbahnstraßen, welche, mit etwas Glück, nicht als Sackgasse enden. Was auf Autobahnen die Wanderbaustelle, ist in dieser Stadt die Wandersackgasse.
Wo ich gerade eben noch mit ’ner satten fast Dreißig (Hui) durchgebrettert bin, dass meine Kopfhaut mir meine Hutablage hätte tapeziert, stoppt im nächsten Moment ein Straßenarbeiter freundlich grüßend: „Hier ist für heute Schluss!“, meinen Transit. Es ist besser, man kommt dem nach. Erst recht, wenn besagter Straßenbelagsproduzent von einer stark vibrierenden Dampfwalze hinterhältig grinsend zu mir hernieder winken tut tun.
Und schon stand ich an der alles entscheidenden Kreuzung. Angeführt von einem LKW-Anhänger-Gespann, mit welchem der Bund seine Fahrschule absolvierte, hing als nächstes ein Traktor mit Schneidwerk, welchem ein Sattelzug mit dem dazugehörenden Mähdrescher folgte. Ein Transporter mit dem tiefsinnigen Logo Alf Trolls Kachelkiste (die Konkurrenz schläft nicht) eierte schon, seit dem ich den Parkplatz verlassen hatte, vor mir her und dann ich. Und seit Brehna, weil noch nicht genug, hing mir unheimlich ein Leichenwagen im Nacken. Das aber auch nur, weil ich diesen kurz zuvor überholte, nachdem er mir die Vorfahrt beschnitt.