Kitabı oku: «Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen», sayfa 2

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DER FUSSBALLFAN

Die Fußballbegeisterung ist ein Jugendleiden, das einen ein Leben lang begleitet.3

Bologna, die Rot-Blaue

Pasolinis Leidenschaft für den Fußball nahm in Bologna, seiner Geburtsstadt ihren Anfang; die Familie war mit ihm, er war noch ein Kind, weggezogen und erst als er die Oberschule besuchte, war sie wieder nach Bologna zurückgekehrt. Fußballspielen wurde für ihn zur alltäglichen Gewohnheit. Als Gymnasiast und später als Student bolzte er zusammen mit seinen Altersgenossen unermüdlich auf den Wiesen von Caprara jenseits der Stadtmauern im Nordwesten – ein lärmendes Durcheinander, das sich erst bei einsetzender Dunkelheit auflöste. Diese Nachmittage wird er später als die schönsten seines Lebens bezeichnen: So unbeschwert wie damals ist sein Leben vermutlich nie mehr gewesen. Von 1937 an besuchte er das Liceo Galvani, dann die Geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Bologna, war endlich für einige Zeit sesshaft, nachdem er mehrmals innerhalb Norditaliens hatte umziehen müssen. In jener Zeit entwickelte er seine Leidenschaft für den Fußball mit all seinen Facetten. An erster Stelle stand das eigene Spiel, ein Hobby, dem er auch in seinen reiferen Lebensjahren in Rom frönte. In der Hauptstadt der Emilia-Romagna wurde er darüber hinaus zum begeisterten Anhänger des FC Bologna, dem er voller Leidenschaft ohne Brüche und Pausen sein Leben lang treu blieb. Der Bologna Football Club erlebte damals seine Glanzzeit, und Pasolini wurde zum eingefleischten Fan.

Diesem Thema der Fußball-Leidenschaft widmete er sich 1969 in seiner Il Caos (Das Chaos) betitelten Kolumne in der Wochenzeitung Tempo: »Ich bin Bologna-Fan. Nicht so sehr, weil ich aus Bologna gebürtig bin, vielmehr, weil ich (nach langen, legendären, eines Heldenepos würdigen Aufenthalten in der Poebene) mit vierzehn dorthin zurückgekehrt bin und mit dem Fußballspielen begonnen habe.«4 Einige Jahre später äußert er sich in einem Interview mit Giulio Crosti für Paese Sera auf ähnliche Weise: »Der Geburtsort hat keine Bedeutung, er ist nicht maßgeblich dafür, ob man ein Fußballbegeisterter, ein Fan wird. Ausschlaggebend ist, wann und wo man selbst die ersten Bolzversuche unternommen hat. Die Fußballbegeisterung ist ein Jugendleiden, das einen ein Leben lang begleitet.«5

Die enge Bindung an einen bestimmten Fußballverein auf den Schauplatz zurückzuführen, an dem man zum ersten Mal gebolzt hat, mag ungewöhnlich erscheinen. Pasolini hätte problemlos beteuern können, dass er Bologna-Fan sei, weil es sich eben um seine Geburtsstadt handele, aber nein: Er hielt Bologna die Treue, weil er dort seine Fußball-Initiation gehabt hatte.

An dieser Aussage können wir bereits erkennen, was Fußball für Pasolini bedeutete. Spieler-und Fan-Sein gehörten für ihn untrennbar zusammen, was dazu führte, dass sich die Spiele, denen er im Stadion beiwohnte, auch in den Spielen im Freundeskreis widerspiegelten. Der Fußball war für Pasolini, wie bei einem Kind, ein Spiel ohne Grenzen, bei dem man selbst in die Rolle der sonntäglich bewunderten Helden schlüpft, und gleichzeitig ein von Profis ausgeübter Sport, dem man mit ebenso grenzenloser Begeisterung folgen kann, ohne deshalb als unpolitisch angeprangert zu werden.

Das rot-blaue Trikot, das er anlässlich der offiziellen Spiele oder solcher im Freundeskreis trug, wie auch die Spieler des FC Bologna als seine Vorbilder, diese Details sind es, die Pasolinis Beziehung zum Fußball ausmachten. Besonders häufig griff er auf den »Übersteiger à la Biavati« zurück, eine Technik, in der er sich sein Leben lang versuchte.

Die Siegermannschaft, vor der die Welt erzittert

Pasolini hatte das Glück, den FC Bologna auf dem Gipfel seines Erfolgs zu erleben: Die goldenen Zeiten des Vereins fielen mit seinen Bologneser Schul- und Studienjahren zusammen. So konnte er jenes Team aus nächster Nähe verfolgen, das als »Siegermannschaft, vor der die Welt erzittert« in die Geschichte eingehen sollte. Jahrzehnte später erinnert er sich folgendermaßen daran: »Damals stand der FC Bologna im Zenit: Das war der FC Bologna von Biavati und Sansone, Reguzzoni und Andreolo (der König des Spielfelds), von Marchese, Fedullo und Pagotto. Ich habe nie etwas Schöneres gesehen als die Doppelpässe zwischen Biavati und Sansone (Pascutti war Reguzzoni nun schon ein wenig voraus). Was für Sonntage im Stadion von Bologna!«6

Zwischen 1932 und 1941 gewannen die Rot-Blauen viermal die italienische Meisterschaft und zweimal den Mitropa-Pokal, womit sie in Italien die Spitzenreiter Juventus und Ambrosiana-Inter und auf europäischer Ebene die Führung der österreichischen und ungarischen Mannschaften herausforderten. Der FC Bologna erkämpfte sich außerdem eine Hauptrolle bei einem wichtigen Ereignis in der Geschichte des europäischen Fußballs: 1937 kehrte die Mannschaft siegreich vom internationalen Fußballturnier anlässlich der Weltausstellung in Paris zurück, der erste offizielle Wettstreit, bei dem ein englisches Team, der FC Chelsea, gegen Mannschaften vom europäischen Festland angetreten war. Im Olympiastadion von Colombes7 schlug die Mannschaft aus der Emilia-Romagna die Londoner mit 4:1 und sicherte sich so den Pokal.

Zurück in Bologna wurde sie auf dem Bahnhofsvorplatz von einer begeisterten Menge empfangen. Der Kritiker Massimo Raffaeli berichtet von einer Anekdote, die Paolo Volponi, Schriftsteller und enger Freund Pasolinis, häufig zum Besten gab – Volponi stammte aus Urbino, war aber ebenfalls Bologna-Fan: In den Fünfzigerjahren entdeckten er, Pasolini und Roberto Roversi während einer Redaktionssitzung der Zeitschrift Officina8, dass sie am Morgen des 7. Juni 1937 alle drei die Schule geschwänzt hatten, um am Bahnhof ihre Helden zu feiern.9

Neben dem Pariser Pokal konnte der junge Pasolini während seiner Schul- und Studienzeit insgesamt drei italienische Meistertitel feiern. Und als wäre dem nicht genug, gewann Italien 1938 auch noch den zweiten Weltmeistertitel seiner Geschichte. Drei Spieler des FC Bologna wurden im azurblauen Trikot zu Weltmeistern gekürt: Amedeo Biavati, Michele Andreolo und Carlo Ceresoli. Einem anderen Bologna-Spieler, Angelo Schiavio, war es zu verdanken, dass die Trophäe auch im Jahr 1934 an Italien ging: Im Spiel gegen die Tschechoslowakei hatte er mit einem Tor in der Nachspielzeit für den Triumph der italienischen Nationalmannschaft gesorgt. Ganz nüchtern betrachtet – es war schwer, in jenen Jahren in Bologna zu leben und einer solchen Mannschaft nicht zu verfallen.

Eine Fernbeziehung

Im November 1945 beschloss Pasolini das Studium an der Universität seiner Geburtsstadt mit einer Arbeit über den Dichter Giovanni Pascoli. Er kehrte jedoch nicht mehr dauerhaft nach Bologna zurück, sondern blieb in Versuta im Friaul, wenige Kilometer von Casarsa della Delizia, dem Heimatort seiner Mutter entfernt, und widmete sich dort voller Eifer seiner Arbeit und auch politischen und kulturellen Aktivitäten. Im Februar desselben Jahres hatte er die Academiuta di lenga furlana (Akademie der friaulischen Sprache), einen produktiven Kreis von Mundartdichtern, gegründet. Wenige Tage zuvor war in Porzûs, jenseits des Flusses Tagliamento, sein jüngerer Bruder Guido zusammen mit weiteren sechzehn Partisanen der Osoppo-Brigade von kommunistischen Partisanen ermordet worden. Die schreckliche Nachricht erreichte die Familie jedoch erst im Mai. 1947 erhielt Pasolini eine Anstellung als Italienischlehrer an der Mittelschule von Valvasone, wo er bis 1949 unterrichtete. In jenem Jahr begann der Spießrutenlauf, der ihn schließlich dazu brachte, die Region für immer zu verlassen. Eine Anklage wegen Verführung Minderjähriger und obszöner Handlungen in der Öffentlichkeit – wegen Letzterem wurde er erstinstanzlich verurteilt, im Berufungsverfahren jedoch freigesprochen – führte dazu, dass er auf bösartige Weise öffentlich an den Pranger gestellt wurde, ein Zustand, der sein Leben lang andauern sollte.

Aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, aus dem Schuldienst entlassen, mit dem Vater bis aufs Blut zerstritten, von der öffentlichen Meinung niedergemacht: Das Leben im Friaul war für Pasolini unerträglich geworden. Im Winter des Jahres 1949 beschloss er, aus diesem Albtraum auszubrechen: Er wagte einen radikalen Schnitt und zog vom Land in die Stadt, vom Norden in den Süden, vom vertrauten Umfeld ins Unbekannte. Seine Reise nach Rom gemeinsam mit der Mutter Susanna war eine veritable Flucht, einer Romanhandlung würdig, wie er selbst schreibt.

Die ersten Jahre in der Hauptstadt brachten ein Gemisch aus Entbehrungen und Lebensfülle mit sich. Pasolini kam zunächst an der Piazza Costaguti unter, im ehemaligen jüdischen Ghetto, wo seine Mutter als Hausangestellte bei einer wohlhabenden Familie arbeitete, während er sich mit journalistischen und literarischen Texten über Wasser hielt. Doch das Leben ohne feste Arbeit war belastend. Dank der Vermittlung von Vittorio Clemente, seines Zeichens Mundartdichter aus den Abruzzen, erhielt Pasolini eine Stelle als Lehrer an der privaten Mittelschule »Francesco Petrarca« in Ciampino. Lauscht man den Erinnerungen der wenigen Schüler, die das Privileg genossen, in den Jahren 1951 bis 1953 von ihm unterrichtet zu werden, so zeigt sich, dass der Fußball ein zentraler Bestandteil seiner pädagogischen Methode war. Für seine Klasse war es ganz selbstverständlich, sich während der Unterrichtszeit auf die Wiesen an der Via Appia Antica zu begeben und dort Fußballpartien im Schatten der Aquädukte, auf den noch brachliegenden Grünflächen an den Rändern der Stadt zu organisieren. Die Wettkämpfe zwischen »Versetzten« und »Nachprüflingen«, zwischen »Langen« und »Kurzen« oder anderen originellen improvisierten Teams fanden auf diesen bukolischen Spielfeldern statt, oder auf dem Fußballplatz des kirchlichen Jugendzentrums im Einzugsbereich. Doch da war nicht nur der Fußball. Der Regisseur und Schriftsteller Enzo Lavagnini berichtet, dass die Schüler im Vorfeld der olympischen Spiele 1952 eine Olympiade in Miniaturform auf die Beine stellten: Sie maßen sich etwa im Kugelstoßen mit Pflastersteinen und im Speerwurf mit Rohren, die sie auf Baustellen gesammelt hatten.10

Dank seines Lehrergehalts konnte Pasolini eine einfache Wohnung in der Via Tagliere im Viertel Ponte Mammolo mieten, am äußersten Stadtrand im Nordosten. Von dort aus musste er vier Straßenbahnen nehmen, um zur Schule in Ciampino im Süden Roms zu gelangen. Es waren schwierige Jahre, denn an die Stelle des christlich-ländlichen Idylls im Friaul traten nun die rauen Sitten und Mühen der »afrikanischen« Metropole: »Das Leben ist grausam in Rom, und wer nicht hart ist, nicht zäh und zum Kampf entschlossen, der kann hier nicht überleben. Es kommt mir vor wie ein Traum, dass ich früher Tage, Wochen, ganze Monate nur für mich hatte, ohne andere Verpflichtungen als ein Fußballspiel oder einen Tanz auf der Kirchweih.«11

Und doch wurden die prekäre wirtschaftliche Situation und die Alltagsmühen wettgemacht durch erste Schritte im kulturellen Leben der Hauptstadt: Die Genugtuung über die veröffentlichten Erzählungen und Artikel verband sich mit der Begeisterung über die städtische Peripherie, die Pasolini auf menschlicher, sozialer und sprachlicher Ebene für sich entdeckte.

Von den Gedichten, die im ersten Jahr in Rom entstanden sind, beschwört besonders eines Pasolinis wehmütige Erinnerungen an die Sonntage im Stadio Littoriale in Bologna (das heute Stadio Renato Dall’Ara heißt): »Und ich weiß, wie klar der Hügel / von San Luca sich im Oktober über dem Meer / aus Köpfen erhebt, welches das Rund des Stadions bedeckt.«12 In der Hauptstadt frönte Pasolini nämlich weiterhin seiner großen Liebe zum FC Bologna, wie es vor allem seinen zahlreichen Briefen an Freunde und Kollegen zu entnehmen ist. Im Jahr 1954, Pasolini wohnte nun schon im Viertel Monteverde, schrieb er vor der Begegnung zwischen Inter und FC Bologna an den Dichter Vittorio Sereni, bekennender Inter-Fan: »Zu guter Letzt lasse ich dich wissen, dass mein Herz, wie auch das verfettete von Volponi, am Sonntag in Mailand schlägt: Und beide werden sie bis an den Rand der Thrombose klopfen. Und ich bedauere, dass unsere Freude eure Niederlage bedeuten wird …«13

Und nach dem Spiel, das unentschieden endete, da der FC Bologna in einer Aufholjagd noch zwei Tore schoss, schrieb Sereni zurück: »So wie Severinus Boethius dem sterbenden Theoderich erschien, habe ich gestern im Zenit über San Siro die Erscheinung deines Grinsens und das gönnerhafte Lächeln dieses Fuchses von Volponi erkannt.«14

Pasolini hat, das steht fest, den FC Bologna wenn auch nicht regelmäßig, so doch mehrmals beim Auswärtsspiel im römischen Olympiastadion angefeuert. Daran erinnert sich auch Franco Citti: »Nur ein einziges Mal habe ich ihn wirklich stinksauer gesehen. Das war, als wir zum Match AS Roma – Bologna ins Olympiastadion gegangen sind und sein Verein 4:1 verloren hat.«15 Obwohl Pasolini damals schon seit über zehn Jahren in Rom lebte und wahrlich anderes im Kopf hatte, konnte er über ein Spielergebnis seines geliebten FC Bologna noch immer in Rage geraten. Im Übrigen schilderte er 1973, im bereits genannten Interview mit Giulio Crosti seine Leiden als Fan folgendermaßen: »Damals, als ich in Bologna lebte, litt ich mit meiner Herzensmannschaft und auch heute leide ich noch fürchterlich. […] Sich gedulden zu müssen, ist aufwühlend, eine Zerreißprobe. Später, nach dem Spiel, ist es etwas anderes; man resigniert angesichts des Ausgangs oder man jubelt.«16

Ein greifbares Zeichen von Pasolinis »Fernbeziehung« ist im Elternhaus seiner Mutter in Casarsa della Delizia, einem alten Bauernhaus, zu sehen, wo sich heute ein nach ihm benanntes Studienzentrum befindet: Die Wände des Zimmers, das Pier Paolo und sein Bruder bewohnt haben, sind rundum rot-blau gestreift. Wie Angela Felice, Direktorin des Studienzentrums, berichtet, hatten die Bombardements im Jahr 1944 zur Folge, dass das Haus mitsamt dem übrigen Dorf verwaiste. Nach dem Krieg wohnten dort Pasolinis Tanten, später stand es aufs Neue leer. Als dann die Region Friaul die Immobilie erwarb und restaurierte, kamen unter einigen Schichten Putz wieder die Farben des FC Bologna zum Vorschein: Vermutlich hatten ebenjene Tanten den Raum auf diese originelle Art und Weise streichen lassen, um Pasolini bei einem seiner Besuche im Dorf damit eine Überraschung zu bereiten.


Das ehemalige Jungenzimmer in der Casa Colussi, dem Haus der Mutter und heutigem Sitz des Centro di Studi Pier Paolo Pasolini.

© Centro Studi Pier Paolo Pasolini

Gastmahl der Liebe

Im Jahr 1964, Pasolini lebte nun schon seit vierzehn Jahren in Rom, gewann der FC Bologna seinen siebten und letzten Meistertitel. Ein Erfolg, den Pasolini aus der Ferne miterlebte, war er doch mit den Dreharbeiten von Il Vangelo secondo Matteo (Das 1. Evangelium – Matthäus) und anderen Buch- und Filmprojekten beschäftigt. Obwohl mehr als zwanzig Jahre vergangen waren, seit der FC Bologna den Meistertitel errungen hatte, gab es doch noch eine Gemeinsamkeit mit der »Siegermannschaft« aus Pasolinis Jugend: und zwar den Präsidenten. Der allseits beliebte Renato Dall’Ara, nach dem dann 1983 das Stadion von Bologna benannt wurde, lenkte nach wie vor die Geschicke des Clubs. Vier Tage vor dem Entscheidungskampf, bei dem zum ersten und letzten Mal in der Geschichte des italienischen Fußballs zwei genau gleichauf liegende Mannschaften um den Meistertitel kämpfen sollten, starb er an einem Herzinfarkt, als er sich gerade am Sitz der Profiliga aufhielt.

Zu Beginn jener unvergesslichen Fußballsaison, im Herbst des Jahres 1963, gelang es Pasolini, sich einen Traum zu erfüllen: Er konnte eine Begegnung mit den Spielern des FC Bologna organisieren, um sie zu interviewen. Die Gespräche wurden für den Dokumentarfilm Comizi d’amore (Gastmahl der Liebe), eine Reportage über das Verhältnis der Italiener zur Sexualität, mit der Filmkamera aufgezeichnet. Schauplatz dieser besonderen Zusammenkunft war das Sportzentrum neben dem Stadion, wo der FC Bologna trainierte. Pasolini hatte dort bereits zwei Tage zur Vorbereitung der Aufnahmen verbracht. Vor der Kamera wirken die Spieler ziemlich verlegen angesichts der unverblümten, allzu direkten Fragen des Regisseurs, der sie, in seiner Begeisterung über diese Begegnung, damit regelrecht bestürmt, aber nur recht einsilbige Antworten erhält.

Hören Sie, Pavinato, ist der Gedanke an das Sexualleben für Sie mit angenehmen Gefühlen verbunden oder beunruhigt Sie das?

Angenehm ist richtig, ohne Zweifel.

Sie fühlen sich also frei. Sie kommen aus Venezien, wenn ich nicht irre. Das ist ja im Allgemeinen eine sehr katholische Gegend. Denken Sie nicht, dass die Menschen dort von ihrer katholischen Erziehung beeinflusst sind?

Ich glaube nicht.

Und Sie, Bulgarelli?

Wir sind alle zum Katechismus gegangen und haben mitgemacht bei den Dingen in der Kirche und in der Gemeinde, also gibt es bei jedem von uns diesen Druck im Hintergrund.

Hören wir einen Torjäger, Pascutti: Fühlen Sie sich ebenso frei wie Pavinato, wenn es um gewagte Unternehmungen geht?

Ohne Frage.

Sehen Sie, ich meine frei nicht nur im Sinne, dass Sie ins Bett gehen können, mit wem es Ihnen gefällt, sondern auch in einem intellektuellen Sinne, in Ihrem Urteil über die anderen.

Na ja, ich fühle mich in beiderlei Hinsicht frei, ohne Frage.

Und Sie, Negri?

Bei mir ist alles in Ordnung. Ich verschwende keinen Gedanken an diese Dinge.

Ein zäher Charakter also. Und Sie, Furlanis, denken Sie, dass diese Zurückhaltung, die man Ihnen abverlangt, nur physiologische oder auch moralische Gründe hat?

Physiologische.

Meinen Sie nicht eher, man fordert von Ihnen, Ihre Bedürfnisse zu unterdrücken, damit Sie dann auf dem Platz aggressiver sind?

Selbstverständlich.17

Wie sehr er sich auch über die Gelegenheit freute, Pasolini war von den Interviews enttäuscht. Seine Bekanntheit und die Natur seiner Fragen schüchterten die Spieler ein, und ihre Antworten fielen nicht so aus, wie er es sich erwartet hatte. Nur einer ließ sich wirklich auf die Sache ein, und zwar Giacomo Bulgarelli, der ohne Heuchelei den kulturellen Hintergrund der Italiener zur Sprache brachte: die katholische Erziehung, von der die sexuelle Orientierung und die Gewohnheiten im Land nach wie vor, in jenen Jahren sogar mehr denn je, beschränkt und behindert wurden.

Bulgarelli kam später auf jenes Interview zurück: »Wir lebten damals in einer sexualfeindlichen Welt. Ich erinnere mich, dass alle Reißaus nahmen vor diesem etwas anstößigen Mikrofon: Keiner hatte Lust, offen zu sprechen.«18

Zwei Fußball-Legenden

Bulgarelli und Pasolini waren einander von den Sechzigerjahren an bis zum Tod des Regisseurs in gegenseitiger Wertschätzung verbunden. Und es kommt nicht von ungefähr, dass der Fußballer, damals gerade 23 Jahre alt, vor Pasolinis so unbequemen wie hartnäckigen Fragen als Einziger nicht gekniffen hat. Bulgarelli berichtete später davon, wie Pasolini zur Vorbereitung des Interviews an mehreren Tagen zum Training gekommen war und im Anschluss mit den Spielern zu Abend gegessen hatte. Und der Regisseur wollte ausschließlich über Fußball sprechen: »Ich wollte protestieren, mich interessierten auch andere Dinge. Er aber riss alle Gespräche an sich, wollte alles über das Umfeld wissen, in dem wir lebten.«19

Pasolini entwickelte für den jungen Mannschaftskapitän eine Bewunderung, die der eines Kindes für seinen Lieblingschampion in nichts nachstand: Sergio Citti berichtet in scherzhaftem Ton davon, dass er beim ersten Zusammentreffen »wirkte, als hätte er den Heiland in Person gesehen«.20 Und diese Wertschätzung bezog sich nicht nur auf den Sport, denn der Regisseur bemühte sich auch – jedoch vergeblich –, Bulgarelli für einige Szenen in I racconti di Canterbury (Pasolinis tolldreiste Geschichten) zu verpflichten.

Bulgarelli rief in Pasolini also kindliche Begeisterung wach, und daher ist es nur legitim, hier auch an den eigentlichen Helden seiner Kindheit zu erinnern: an Amedeo Biavati, legendärer Rechtsaußen, der in ihm jene tiefe, zur Nachahmung anspornende Leidenschaft weckte, wie sie für Heranwachsende typisch ist. Während seiner Schul- und Studienzeit konnte Pasolini Biavatis Leistungen im Trikot der Rot-Blauen erleben: Wie auch Bulgarelli (den er schon als Junge entdeckte und förderte) stammt der Rechtsaußen aus Bologna; in die Geschichte des italienischen Fußballs ist er seines »Übersteigers« wegen eingegangen, den er vielleicht nicht erfunden, aber mit Sicherheit doch als einer der Ersten und auf besonders meisterhafte Art eingesetzt hat. Dieser besondere Trick, der nach Gianni Brera darin besteht, »das Dribbling mit dem rechten Fuß zu beginnen, der gestreckt ist, dann zurückgehalten und so scheinheilig wie geschmeidig wieder eingesetzt wird, wenn der Gegner längst mit dem linken Fuß rechnet«21, zog Pasolini während der unvergessenen Nachmittage im Stadion in seinen Bann. Von den Wiesen in Bologna über die Plätze der römischen Vorstadt bis zu den Stadien, in denen er für wohltätige Zwecke zusammen mit Schauspielern und Fußballprofis kickte, das virtuose Dribbling sollte immer eines von Pasolinis Markenzeichen bleiben.

Giulio Nascimbeni beschreibt ein Treffen mit Pasolini im Oktober 1975, bei einem Abendessen auf der Frankfurter Buchmesse, wenige Tage vor der tragischen Nacht am Idroscalo, dem Wasserflughafen in Ostia. So wichtig diese Buchbranchen-Veranstaltung auch sein mochte, Pasolini war gelangweilt und wollte lieber über Fußball sprechen: »Den Übersteiger à la Biavati beherrsche ich immer noch. Erinnern Sie sich an Biavati?«22 Seine Begeisterung für den FC Bologna war so groß, dass ihm auch die anderen Tischnachbarn »staunend lauschten. Der Dichter, der Autor der Freibeuterschriften listete Nachrichten aus der Welt des Sports einschließlich der Spielergebnisse auf, als handelte es sich um den Abschlussbericht eines Jahrbuchs. Es war, als sähe er auf einem imaginären Bildschirm Spieler mit viel Brillantine im Haar vorbeiziehen, weiße Tücher um die verschwitzte Stirn geknotet, und hochfliegende Fallrückzieher, ein völlig erschöpftes Knäuel im Schlamm der letzten Minuten …«. Es folgt eine weitere außergewöhnliche Momentaufnahme aus Frankfurt: »Als er seinen Redefluss unterbrach, erzählte ich ihm, dass ich für meinen Sohn eine komplette Fußballgarnitur gekauft hatte, im Geschäft einer deutschen Firma, die inzwischen mit ihrer Sportbekleidung weltbekannt ist. Er fragte mich sofort nach der Adresse. Dann überlegte er es sich anders: ›Begleiten Sie mich morgen früh? Am Nachmittag reise ich ab, und ich würde gern für meine Mannschaft Kleidung kaufen.‹ Und so machten wir es. Pasolini stromerte fasziniert zwischen den Verkaufstischen herum. […] Angesichts seiner Statur wählte er für sich selbst die kleinsten Größen. Der ›Übersteiger‹ à la Biavati würde beim nächsten Mal mit Sicherheit im neuen Trikot zum Einsatz kommen.«

Noch eine weitere Episode zeugt von Pasolinis tiefer Bewunderung für Biavati. Im Frühjahr 1975, während der Dreharbeiten zu Salò o le 120 giornate di Sodoma (Die 120 Tage von Sodom), gelang es dem Regisseur, gegen ein Team anzutreten, das sich aus früheren Stars des FC Bologna zusammensetzte, vor allem aus den Siegern der italienischen Meisterschaft von 1964. Das Spiel fand im Velodrom von Bologna statt und wurde durch Paolo Ferraris Fotos verewigt, die Pasolini dabei zeigen, wie er sich gerade in der Umkleide einen Kniestrumpf anzieht oder zu Spielbeginn mit Marino Perani, dem Kapitän der gegnerischen Mannschaft, auf dem Platz steht. Sein Team trat im traditionellen rot-blau gestreiften Trikot an, die Gegner trugen das neuere weiße Trikot mit dem diagonal verlaufenden zweifarbigen Streifen. Neben Perani spielten auch Carlo Furlanis, Paride Tumburus, Ezio Pascutti und Romano Fogli. Bulgarelli fehlte, aber an seiner statt nahm für ein paar Minuten, als Vertreter der Vorläufer-Generation, Biavati teil. Nach dem Spiel suchte Pasolini ihn in der Umkleide auf und bat ihn um ein Autogramm: Soweit bekannt, war Pasolini nur dieses einzige Mal an einem Autogramm interessiert.

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