Kitabı oku: «Die Verdammte vom Ikenwald», sayfa 2

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Fieber

Theresia trank gierig meine Milch. Wilm und Annamaria – die so flink wie möglich ihre Männer versorgt hatte und zu uns zurückgekehrt war - legten sie abwechselnd an, weil ich noch zu schwach war, um sie zu halten. Um ehrlich zu sein, wurde ich immer schwächer, während meine Tochter an Kraft gewann. Es war, als sauge sie mit der Milch die Lebenskraft aus mir heraus.

Dann kam das Fieber und ich drehte jedes Mal den Kopf weg, wenn Annamaria mir energisch einen Löffel Suppe an die Lippen hielt. Irgendwann forderte Annamaria Wilm auf, den Pfarrer zu wecken – es war wieder Nacht. Ich sah den zärtlichen Blick, den sie meinem vollkommen aufgelösten Mann schenkte. Ein Blick, der ihre Züge zum Strahlen brachte und sie hübsch aussehen ließ, wie ich sie nie gesehen hatte. Wilm gehorchte unter Schluchzern, weshalb ich glaubte, träumen zu müssen. Das konnte nicht mein starker, immer fröhlicher Mann sein!

„Ich bringe Theresia in den Nebenraum“, sagte Annamaria zu mir oder zu sich selbst. Als sie die Tür hinter sich schloss, wallte Panik in mir auf.

‚Sie will meine Tochter stehlen! ‘ Durchschoss es mich. ‚Sie hat keine eigenen Kinder und nun nimmt sie meins! Nur deshalb hat sie mir beigestanden! ‘

Alle Kräfte mobilisierend kämpfte ich mich fieberheiß aus dem Bett. Mein Körper fühlte sich an, als werde er auseinandergerissen und dann drehte sich das Zimmer um mich herum wie ein Kreisel und mein Kopf schlug hart auf dem festgestampften Boden auf.

Wieder umfing mich Schwärze.

 

Langsam, Stück für Stück, kriechen die Nebelschwaden meine Knöchel hinauf, schlingen sich um die Waden, die Kniescheiben… Ich kann mich keinen Schritt mehr rühren. Meine Schreie verhallen. Die Zeit zu kämpfen ist verstrichen, ich ergebe mich der Umarmung des Nebels als schwämme ich in einem warmen See.

 

Ein weiteres Mal schwebte mein Geist an der Decke unseres Schlafzimmers und erneut sah ich die blasse Schlummernde am Boden liegen. Wunderschön. Einem Glorienschein gleich umwallten die langen, dunklen Locken ihr makellos weißes Gesicht. Die Arme lagen locker ausgestreckt und das weiße, züchtige Nachtgewand ließ sie wie einen gefallenen Engel wirken. Nur die dunkelrote Blutlache, die den hellen Stoff dunkel gefärbt hatte, störte das schöne Bild. Oder machte sie das Schauspiel erst perfekt? Schwarz wie Ebenholz, weiß wie Schnee und rot wie Blut …

Annamaria kam ohne den Säugling in den Raum gestürzt und brach klagend und schluchzend über meinem Leichnam zusammen. Ja, ich war tot. Das wusste ich sofort, aber es war zu unwirklich für mich. Viel mehr überraschte mich, wie sehr Annamaria ihre Selbstbeherrschung verlor. Kurz darauf betraten Wilm und der Pfarrer das Zimmer und was dann geschah, verschwamm vor meinen Augen. Wilms Trauer war zu groß, als dass ich sie greifen konnte.

Das heftige Weinen meiner Theresia holte mich in die angrenzende Küche. Ich wollte zu ihr eilen, sie in die Arme nehmen und beruhigen, doch ich bestand nur aus Luft. Annamaria war es, die mein Kind beruhigte. Eine Welle von Hass überflutete mich. Meine beste Freundin stahl mein Kind! Und meinen Mann wollte sie noch dazu!

Mein Bewusstsein versank in Schwärze. Als ich wieder auf die Erde hinabsehen konnte, befand ich mich nicht mehr in unserem Haus, sondern oben am Waldrand, nicht weit entfernt von der Stelle, wo ich dem Fremden begegnet war.

Ich sah einen Sarg, geschnitzt von Wilm – seine Arbeit erkenne ich immer und überall – und dieser Sarg befand sich in einer Grube. Wer beerdigt denn einen Menschen am Waldrand? Der Friedhof lag an der entgegengesetzten Seite des Dorfes. Nur Räuber und Diebe wurden hier draußen beigesetzt und das kam so selten vor, dass ich nur vom Hörensagen wusste, dass es so war.

Zudem hatten Verbrecher keine Trauergesellschaft und an der Grube standen zumindest vier oder fünf Menschen. Mein Mann Wilm und Annamaria mit ihrem Bruder. Ihre Neffen schaufelten Erde auf den Sarg. Die alte Hedwig ließ den Rosenkranz durch ihre Finger gleiten und betete. Von einem Pfarrer keine Spur. Was hätte er auch am Grab eines Verdammten zu suchen?

Ohne Vorwarnung brach Wilm an der Grabstätte zusammen und grub die Hände in die Erde. Er weinte und schrie: „Magda! Magda!“

Warum nur rief er meinen Namen?

Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wolle er sich in das tiefe, schwarze Loch stürzen, bis Annamarias großer, korpulenter Onkel ihn zurückriss, Annamaria ihn fest mit den Armen umfing und er sich an ihrer Schulter ausweinte.

Da begriff ich, wer in dem Sarg lag. Ich war verdammt, verflucht. Ohne den Segen der Kirche wurde ich wie ein Mörder in ungeweihter Erde verscharrt. Gott helfe mir!

 

Der Nebel zieht mir in Mund und Nase und in die Öffnungen der Ohren. Sein würgender Griff umschließt mich und ich werde von grauen Wolken einverleibt. Eine gewaltige Hitze umfängt meinen Geist und verbrennt mich zu Staub. Ich bin im Fegefeuer …

 

Unter Räubern

Dunkle Erde. Unter meinen Zehenspitzen lag schwarzer Boden, kalt und fest. Die spinnwebrigen Finger des Nebels zogen sich hinter und über meinem Kopf zusammen und auf allen Vieren krabbelte ich auf die Umrisse zu, die vor meinen Augen entstanden: knorrige Wurzeln, bedeckt mit trockenem gelbem Moos. Faltige Blätter in verblichenem Grün bedeckten spärlich den graslosen Boden. Waldboden. Ich befand mich im Wald.

Erschöpft ließ ich mich fallen, die Wange auf ein Ahornblatt gedrückt, und atmete schwer und stockend. Obwohl ich nicht einmal ahnen konnte, wo ich war, ließ mich die Erleichterung schwach werden. Ich war dem blicklosen, zeitlosen Kerker des Brodems entkommen. Ich konnte sehen und was ich sah, war schön. Bäume im Herbstlaub, Pilze, Schachtelhalme, Erdbeersträuche, die bereits abgeerntet waren.

Irgendwann hob ich den Kopf und zog mit zwei Fingern das Blatt von der Stelle in meinem Gesicht, wo es sich festgeklebt hatte. Hatte ich geschlafen? Munter fühlte ich mich nicht, immer noch bleiern und erschöpft, wie aus langer Krankheit kaum genesen. Entschlossen kämpfte ich mich auf die Füße. Mein Kopf war so leer.

Gedankenfetzen schossen zusammenhanglos durch meinen Kopf: Tod, Theresia, Wilm, Annamaria, verflucht, begraben …

Nichts konnte ich greifen, aber mein Körper tat das einzig Menschliche: er beförderte mich weiter, auf der Suche nach einem sicheren warmen Ort, weg von der Kälte in meinem Nacken, auf der Hut vor gefährlichen Tieren, die vielleicht im Unterholz auf mich lauerten.

Der Weg führte mich in eine neue Existenz, wie ich sie mir niemals hätte ausmalen können …

 

Zwischen den glühenden Holzscheiten des nächtlichen Lagerfeuers züngelten zwei winzige Flammen dunkelrot in die Höhe und schienen die Gestalt eines Fingers anzunehmen, der auf einen Punkt hinter seinem Rücken wies. Niemand außer ihm, Veith, schien dieses Zeichen zu bemerken. Ruhig wandte er sich um und da sah er sie. Zwischen den Bäumen stand eine Frau und an ihren nackten Füßen und den weißen Fingern hing noch der Dimensionsnebel wie Spinnweben. Das pechschwarze Haar, struppig und ungekämmt, war von einem grauen Schleier bedeckt.

„Och nee, nicht schon wieder Eine“, rief Eber entnervt aus. Der fettleibige Mann, der zu Lebzeiten ein Metzger gewesen war, hatte die Frau ebenfalls entdeckt. „Wieder so ´ne Kindsmörderin.“

Der Schluss, sie für eine Kindsmörderin zu halten, lag nahe, da sie ein langes Nachthemd trug, das von ihrem Schoss abwärts mit Unmengen von Blut getränkt war. Aber Veith sah, wie sich die hellblauen Augen bei diesen Worten entsetzt weiteten.

„Schickt sie zur Schlucht, wo sie hingehört“, schrie Irmer, ein hitzköpfiger Dieb, vor dem die Bande sich besser hütete. Auch traute Veith Irmer durchaus zu, dass er einen zweiten Blick auf die Frau werfen und ihre Schönheit erkennen könnte. Diese Erkenntnis nötigte Veith, nun schleunigst zu handeln. Langsam richtete er sich auf, während ein anderer Räuber sich einmischte:

„Geben wir ihr gleich einen Gnadenschuss, dann hat sie es hinter sich. Wer einen Säugling tötet, hat keine zweite Chance verdient.“

Zwei oder drei der anderen Männer stimmten nickend zu. Aber Veith näherte sich ruhigen Schrittes der verschreckten Frau. Als sie ihm ins Gesicht sah, wurde sie noch eine Spur blasser und wich ein paar Schritte zurück, um dann aber aus Angst vor dem Nebel, der noch immer seine Klauen nach ihr ausstreckte, stehen zu bleiben.

Eine hässliche Grimasse überzog Veiths Gesicht. Ja, sein Anblick verängstigte sie, aber das Grauen, das hinter ihr lag, war schlimmer. Veith war sich seiner Erscheinung bewusst. Das zerstörte linke Auge, die wulstigen Narben, die sich von der Stirn bis zum Mundwinkel zogen und die v-förmigen Brandmale auf den Wangen, waren ein Zeugnis der Zerstörung, dem sich selbst die härtesten Männer kaum zu stellen wagten. Das zu Borsten abgeschorene Haar bot dem Ganzen noch einen passenden Rahmen und Veith bemühte sich auch nicht, seine Hässlichkeit mit einer Augenklappe oder einem Tuch abzumildern.

Mit einer ruckartigen Bewegung griff er ihre Hand und zerrte sie hinter sich her zum Lagerfeuer auf der Mitte der Lichtung.

„Ich beanspruche sie für mich“, tönte er in den Wald hinein.

Selbst sein einziger Vertrauter, der alte Helge, legte nun seine Wildschweinhaxe beiseite und warf einen erstaunten Blick auf den Neuankömmling in dem weißen Gewand.

„Senke den Blick“, zischte Veith ihr zu, weil er nicht wollte, dass die Männer zu viel von ihr sahen. Einen Moment machte es den Anschein, als wolle sie sich gewaltsam von ihm losreißen, doch dann schien sie irgendwie in sich zusammenzusacken und sich zu fügen.

„Du?“ Irmer schien erstaunt. „Was willst du mit dem Weib? Gibt doch Huren genug in der Schlucht. Muss es eine Mörderin sein?“

„Wir sind doch alle Mörder“, antwortete Veith leichtfertig.

„Na Mädel, willkommen im Fegefeuer,“ Waldo lachte rau. „Dass du mit so ̓ner Fratze für deine Sünden büßen musst, haste dir sicher nich‘ mal ausmalen können, was?“

Alle Männer grölten einstimmig und Veith nutzte die Ablenkung, um sie mit sich zur Hütte zu schleppen.

„Der hat‘s aber eilig“, hörte er noch jemanden johlen.

 

Ich hatte nicht die Kraft, mich in der kleinen Holzbaracke umzusehen, in die mich das grässliche Ungeheuer gebracht hatte. Mir fehlte jegliche Erinnerung, wie ich hergekommen war und was aus mir geworden war. War ich denn nicht tot?

Aber alles in diesem Wald schien so wirklich. So grauenvoll wirklich. Eine Bande von mindestens einem Dutzend Räubern hatte ich auf der Lichtung gesehen und sie hatten gegessen und getrunken und die Beute ihres letzten Überfalls untereinander aufgeteilt.

„Wo bin ich?“, hauchte ich, den Blick zur Wand gewandt, die aus Holzlatten bestand und kahl war, bis auf einen Haken, an dem ein Gürtel und eine Peitsche hingen.

„In meiner Hütte“, antwortete der entstellte Mann mit einer tiefen, rauen Stimme, die sehr einnehmend klang, jetzt, wo der Befehlston fehlte. „Ich bin Veith, der Hauptmann dieser Bande.“

„Nein … wo … wo bin ich?“

„Im Ikenwald, an der Grenze zum Tal“, antwortete er.

Nun drehte ich mich doch um und starrte ihn an, um gleich wieder den Blick zu senken.

„Aber …“

Zwar war mir die Lichtung und der eine oder andere Baum bekannt vorgekommen, aber ich konnte nicht im Ikenwald sein, nur zwei Meilen von Wilm und Theresia entfernt. Es war Herbst und gestern oder vorgestern … Jedenfalls als ich … gestorben … war, war Mai gewesen.

Der Mann, Veith, machte eine Handbewegung und hielt mir plötzlich einen hölzernen, mit Wein gefüllten Becher und ein Stück schwarzen Pumpernickels hin.

Woher hatte er das Brot genommen?

In diesem Moment knurrte mein Magen und ich griff zögernd zu.

„Es ist Herbst“, murmelte ich kauend.

„Ist es das?“, fragte Veith. „Das Wetter und die Jahreszeiten sind hier so unbeständig. Ich achte gar nicht mehr darauf.“

„Ich … ich war tot.“

„Nein“, widersprach er. „Du bist tot. Und ich bin es auch.“

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

„Wo bin ich?“, wiederholte ich.

Veith zuckte die Achseln. „Keiner weiß das so ganz genau. Ein Ort der Verdammten, von einem Zaun aus Nebel umgeben. - Wie heißt du, oder möchtest du dir einen neuen Namen geben?“

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Magda.“

„Mehr brauche ich nicht zu wissen.“ Er kam auf mich zu und umfasste mit festem Griff mein Kinn. Tief sah er mir in die Augen und ich fixierte sein gesundes Auge, das blaugrau schimmerte, wach und intelligent. Er machte eine Handbewegung und ich spürte, wie sich mein verknotetes Haar entwirrte, wie sich die Locken seidig um meine Schultern legten. Das verschmutzte Nachthemd war fort und ich spürte die kühle Luft auf meinem nackten Körper. Zitternd bemühte ich mich um Haltung. Was war das für ein Mensch? War er ein Mensch, ein Zauberer, oder ein Dämon?

„Du bist sehr schön“, hauchte er an meiner Wange. „Und du bist mein.“

Er drehte mich um, so dass ich mit dem Rücken zu ihm stand, und umfasste fest meine Hüften.

„Nein!“ Voller Grauen wurde mir klar, was er mit mir vorhatte. Unwillig wollte ich mich von ihm befreien, doch seine Finger bohrten sich schmerzhaft in mein Fleisch und er zischte: „Ich muss dir mein Zeichen aufdrücken, sonst bist du Freiwild.“

„Bitte, bitte, tu das nicht! Ich bin verheiratet! Ich …“

„Du bist keine Lebende mehr, alle irdischen Bindungen sind von dir abgefallen“, erklärte er mir hart und schob von hinten sein Glied in meine Scheide.

„Ich will dich lieben und ehren, in guten wie in schlechten Tagen, in gesunden wie in kranken, bis das der Tod uns scheidet“, knurrte er an meinem Rücken. Dieser Mann beging ein Sakrileg. Er verhöhnte das Sakrament der Ehe.

In meiner Haltung musste ich seinen Anblick zwar nicht ertragen, aber ich kam mir auch vor wie eine läufige Hündin, die von einem Straßenköter gedeckt wird. Schluchzend ließ ich ihn gewähren. Er verletzte mich nicht, schien auch keine besondere Lust zu empfinden bei dem, was er mir antat, aber die Scham über meinen Ehebruch brannte sich in meine Seele. Denn egal, was er sagte, ich fühlte mich als Wilms Gattin.

 

Unversehens war es vorbei und er ließ von mir ab. Ich starrte auf den Rücken meiner juckenden, linken Hand, mit der ich mich auf einem kleinen Holztischchen abgestützt hatte: ein riesiges, tintenblaues V prangte auf der Haut. Mit der Rechten berührte ich die Hautstelle, die nicht erhaben war, sondern nur verfärbt. Ich rubbelte und leckte, aber das Mal blieb.

„Solange du unter meinem Schutz stehst, wird mein Zeichen bleiben“, sagte Veith zu meinem Entsetzen und goss sich selbst Wein ein.

„Schutz?“, echote ich verständnislos.

Er berührte kurz mein Handgelenk, leicht, einem Windhauch gleich und mein Körper begann von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln zu jucken. Nur ein paar Sekunden, aber danach fühlte ich mich anders und fremd.

„Sieh‘ in den Spiegel“, befahl er und zeigte auf einen riesigen, ovalen Spiegel in einer Zimmerecke. War der schon eben dort gewesen? Ich hatte ihn nicht bemerkt, dabei war er so prächtig, dass niemand ihn übersehen konnte. So prächtig, als hätten die Räuber ihn einem wahren König gestohlen. Mit Ornamenten verziert und vergoldet, in die geschnörkelten Blütenkelche waren Edelsteine eingelassen. Er war dermaßen protzig, dass jeder ordentliche Bürger sich geschämt hätte, ihn zu besitzen. Mein Spiegelbild in der Scheibe jedoch zog nun zu meinem Schrecken meine Aufmerksamkeit auf sich.

Das war nicht ich. Vielmehr: die Person sah mir nicht ähnlich, trotzdem wusste ich, dass ich sie war. Ein kleines Weib mit einem unauffälligen Gesicht, das sowohl einem Burschen als auch einer Magd hätte gehören können. Die Nase größer und breiter als meine eigene, die Augen nicht so lang bewimpert und nicht strahlendblau, sondern graubraun, die Lippen gerader und schmaler, die Poren der Haut nicht so fein.

Eingerahmt wurde dieses wenig einnehmende Äußere von kurzem, mattem Haar über einem kräftigen, nicht geschwungenen Hals. Mein Schwanenhals! Wo war er? Meine Schultern wirkten eckiger, der Busen war kaum vorhanden, die Taille breiter, die Hüften schmaler. Nahezu jede Kurve an meinem Körper, den Wilm so geliebt hatte, war verschwunden.

„Was hast du mit mir gemacht?“ Mit flammendem Blick schoss ich auf ihn zu. „Ich bin hässlich!“

„Eitelkeit …“, Veith grinste hämisch. „Hat diese Todsünde dich hierhergebracht? – Mach dir keine Sorgen. Hässlich sieht anders aus.“ Er wies vage auf seine leere Augenhöhle, deren Anblick mir Übelkeit bereitete.

„Niemand wird von nun an den Kopf nach dir verdrehen. Zu deinem eigenen Schutz.“

„Schutz?“, wiederholte ich abermals, diesmal schnaubend vor Wut.

„Deine süße Larve und dein schwingender Apfelarsch würden mich nur in Schwierigkeiten bringen und dich noch dazu. In diesen vier Wänden“, er machte eine raumumfassende Geste, „wirst du so sein, wie du dich selbst als Lebende sahst, aber da draußen“, er nickte zur Tür hin, „wirst du keine Blicke auf dich ziehen. Es reicht schon, dass du eine Frau bist.“

Er machte eine Fingerbewegung und wieder juckte alles. Dann sah ich im Spiegel mich selbst. Wunderschön, mit perfekten Zügen und Rundungen, glänzend gelocktem Haar und in meinem weißen Nachthemd, das nun blütenrein und unbefleckt war. Nur das V auf meiner Haut blieb.

Er musste mir nicht befehlen, mich auf der zweiten Pritsche hinzulegen und zu schlafen. Freiwillig rollte ich mich auf dem Strohsack zusammen und schluchzte vor mich hin.

Alles hatte ich verloren: mein Leben, meine Freiheit, meine Schönheit. Wie sehr ich litt. Wie erbarmungslos Gott mich bestrafte! Warum ich? Warum ich? Warum ich?

Ich war die Buhle eines Räubers geworden. Eine Verdammte des Fegefeuers!

 

Der erste Morgen

Im Morgengrauen erwachte ich mit steifen Gliedern. Selbst in meinem unruhigen Schlaf hatte ich mich krampfhaft bemüht, so nah wie möglich an der Wand und weit weg von Veiths Kopf zu liegen. Die beiden Pritschen waren im L an der linken und an der hinteren Wand aufgestellt, so dass sich die Kopfteile im neunzig Grad Winkel berührten.

Trotz meines Widerwillens zog mich der Schädel meines Mitbewohners magisch an. Das streichholzkurze Haar war kräftig und dicht und hatte im trüben Licht des Morgens einen Farbton, der irgendwo zwischen dunkelblond und hellbraun pendelte. Der Mann schlief auf der Seite, das Gesicht zur Wand, und ich sah den kräftigen Nacken und darunter eine der breiten Schultern.

Nachdem ich eine Weile in der Ecke gekauert und auf den gleichmäßigen Rhythmus seines Atems gehorcht hatte, begann mein Verstand sich zu regen. Wieso atmete Veith? Wieso schliefen wir? Wieso aßen wir Brot und tranken Wein?

Wir waren doch tot! Das wusste ich und das hatte er gesagt. Bruchstücke meines Todeskampfs, verschwommene Erinnerungen an meine Beisetzung in der ungeweihten Erde schwirrten durch meine Gedanken.

Und doch hockte ich mit diesem Verbrecher in einer armseligen Hütte und fühlte mich lebendig. Mein Magen knurrte bereits wieder vor Hunger und im Unterleib spürte ich den heftigen Druck einer vollen Blase, die nach Erleichterung schrie. Mich im Raum umsehend, schien er über Nacht gewachsen zu sein. Neben meiner Bettstatt entdeckte ich eine große, hölzerne Brauttruhe, die mir am Abend zuvor nicht aufgefallen war und dahinter befand sich eine schmale Tür.

Leise schlüpfte ich aus dem Bett und weckte Veith dabei nicht. Ein Lederriemen, der über einen fingerdicken Nagel in der Wand gestülpt war, diente als Riegel. Vorsichtig öffnete ich die Tür und entdeckte einen winzigen Raum, der als Abort diente. Erleichterung durchflutete mich und während mein Urin in der Erde versickerte, wunderte ich mich erneut, wie eine Tote sich so über das Vorhandensein einer Latrine freuen konnte. In der Truhe fand ich ein schlichtes Kleid mit einer festen Schürze, das so gut saß, als hätte ich es nach meinem eigenen Maß geschneidert. Welches arme, beraubte Mädchen wohl nun dieses gute Stück entbehren musste?

„Guten Morgen, Magda“, begrüßte Veith mich bei der Rückkehr in den Wohnraum. Ich war gerade dabei, meinen geflochtenen Zopf zu einer Schnecke aufzurollen, wie ich es gewohnt war.

„Deine Kleidung hast du also schon gefunden. Ich will dir alles Weitere zeigen.“

„Warte, bitte“, unterbrach ich ihn. „Ich kann keine Haube finden.“

Ein leichtes Schnauben entwich seiner Kehle. „Es gibt keine Haube. Die steht nur einem ehrbaren Eheweib zu, keiner Räuberkebse.“

Heiße Scham flammte in meine Wangen. Erinnerungen an die vergangene Nacht kamen hoch.

Er führte mich vor die Hütte, wo er über eine kleine Pumpe Wasser in einen Bottich pumpte. Danach zog er sich das Leinenhemd über den Kopf. Furchtbare Narben bedeckten seinen Rücken von den Schultern bis zu den Hüften. Vor Schreck entfuhr mir ein Laut, den er zu überhören schien, während er sich Gesicht und Hals mit dem klaren Wasser wusch. Ein zweifingerdicker roter Wulst umgab wie ein Joch sowohl seinen Halsansatz, als auch beide Armansätze. Offensichtlich war er gefoltert worden. Ob in dieser Welt oder zu Lebzeiten wusste ich natürlich nicht, aber es erschütterte mich, wie brutal Menschen zueinander sein konnten.

In den folgenden Minuten erklärte er mir meine Aufgaben, die in etwa der Beschäftigung einer Magd entsprachen. Wütende Empörung kochte in mir hoch.

„Was glaubst du, wer ich bin?“

„Finden wir es heraus“, leiser Spott umgab seine Mundwinkel, als er mit einer Geste über den Hof wies. Weißer Nebel waberte vom Wald über den spärlichen Rasen, der zu dem festgestampften Boden des Hofs führte. Die unausgesprochene Drohung war nur zu verständlich.

Das Gefühl der Angst, das meine Schultern durchzuckte, drohte meine Entschlossenheit zu übermannen. Doch andererseits, was hielt mich in der Hütte des Räuberhauptmanns?

Mit langen Schritten überquerte ich den Hof und ließ die vier anderen Hütten links liegen. Meine Haut kribbelte und von einem Moment auf den anderen hing das Kleid wie ein unförmiger Sack an mir. Vorsichtig berührte ich die raue Haut meiner Wangen und meine knubbelige Nase. Meine Finger fuhren zitternd durch das zerzauste Haar, das mir gerade noch bis zum Kinn reichte.

 

Ich war verhext! Dieser Dämon hatte mich verflucht! Ich musste den Pfarrer aufsuchen und mir die Beichte abnehmen lassen, den Teufel austreiben lassen … Aber das ging ja nicht … Hier war ich nicht in meinem Wald und unten im Tal war nicht mein Dorf … nicht mein Haus … nicht mein Kind …

Mein Kind, mein Kind, meine Theresia! Ich musste zu ihr. Sie musste gestillt werden. Ohne mich würde sie verhungern. Ich musste zu ihr. Sofort!

Ohne zu überlegen, drehte ich mich um und rannte den Weg entlang, der mich immer nach dem Feuerholzsammeln nach Hause geführt hatte. Schneller, immer schneller und direkt in den Nebel hinein.

Eine harte Hand riss mich brutal zurück. Ich geriet ins Straucheln.

„Verdammt noch mal! Ich bin nicht dein Kindermädchen!“ Veiths tiefe Stimme donnerte mir entgegen. „Wenn du in den Nebel läufst, kommst du nicht wieder hinaus.“

Wild riss ich an meinen Armen, die er an den Handgelenken umklammerte.

„Ich muss zu meiner Theresia! Ich hätte sie fast vergessen …“ Meine Worte prallten an ihm ab und er lockerte seinen Griff nicht ein wenig. Mit voller Kraft sprang ich vor und biss ihm in die Schulter. Ein ohrenbetäubendes Gebrüll war seine Antwort und seine Finger drückten fest auf meine Kehle. Dann war alles schwarz.

 

Ein starker Druck lag auf meinem Hals, als ich mich regte. Meine Sicht war verschwommen, auf nichts konnte sich mein Blick fixieren. Langsam bewegte ich den Kopf.

Der Druck von Veiths groben Fingern hatte eine schmerzende Stelle an meinem Hals hinterlassen und ich berührte sie vorsichtig.

„Du hast einen blauen Fleck da“, hörte ich eine fremde Stimme.

Mein Blick glitt zu den mächtigen Baumkronen über mir, dann sah ich mich um.

„Ich bin Helge“, begrüßte mich ein älterer Mann freundlich, „bleib liegen.“

„Wir sind im Wald“, stellte ich matt fest. Der Mann, der neben mir hockte, war kräftig und unrasiert. Silberne Stoppeln bedeckten seine Wangen bis kurz unter den lustig funkelnden, braunen Augen.

„Wer ist Er?“ Ich benutzte die halbförmliche Anrede, die sich für Menschen schickte, die nicht adlig waren, von denen man aber auch nicht wusste, ob sie rangniedriger waren als man selbst.

„Helge“, er tätschelte ohne Berührungsängste meine Hand. „Und wie heißt du?“

Zögernd strich ich meine Röcke glatt. Das Mädchen, das er sehen konnte, war nicht ich. Es war die Räuberkebse.

„Ich bin Lenchen“, murmelte ich mit gesenktem Blick. Es war mir nicht mehr recht, mit diesem Gesicht Magda genannt zu werden.

„Du hast sicher Fragen, Lenchen?“, Helge grinste.

„Zu viele, um sie zu stellen.“

Helge lachte.

„Fangen wir so an. Wir befinden uns im Ikenwald. Und ich bin hier seit 1525 …“

Als ich hochfuhr, redete er hastig weiter. „Manche sind schon seit 1299 da, andere kamen erst vor kurzem, also 1722 oder 1723 …“

Jetzt konnte ich nicht mehr an mich halten und unterbrach ihn: „1723? Ich bin 1720 gestorben und ich bin erst seit einer Woche tot.“

Nachsichtig lächelnd sagte Helge: „Zeit ist nur eine Illusion. Ein Tag kann eine Woche sein oder zehn Tage oder ein Monat. Der Letzte, der aus dem Nebel kam, sagte, er sei im Winter 1722 erfroren und das war am Tag, bevor du zu uns gestolpert bist. – Jetzt hör mir zu: Die Toten, die am und im Wald den Tod fanden, oder deren Knochen in diesem Areal begraben liegen, kämpfen sich durch den Nebel in unsere Welt. Wir führen unser menschliches Leben innerhalb dieser Grenzen fort. Aber von dem Nebel halten wir uns fern.“ Er sah mich direkt an. „Der Nebel ist tabu!“

„Ich muss nach meiner Tochter sehen.“

„Für dich gibt es keinen Weg zurück. Zudem sind mittlerweile drei oder vier Jahre vergangen. Sie braucht deinen Beistand nicht mehr.“

„Ein Kind braucht immer den Beistand der Mutter, egal, wie alt es ist,“ empörte ich mich. „Es muss einen Weg zu den Lebenden geben.“

Helge schüttelte traurig den Kopf. „Wir sind hier. Für eine Weile, bis unser Weg uns weiterführt.“

Aber ich hörte nicht mehr zu, sondern rappelte mich hoch und lief davon. Mein Weg führte zur Schlucht hinab, was nicht gerade gut war.

 

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