Kitabı oku: «Maxillia»
Veronique Larsen
Maxillia
Finstere Visionen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
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Impressum neobooks
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„Ich glaubte Schicksal wäre ein anderes Wort für Zufall, welches die formenden Einschnitte des Lebens beschreibt. Doch das, was geschehen ist, lässt mich zweifeln und alles, was ich glaubte zu wissen, in Frage stellen. Denn wenn das Leben nur eine Aneinanderkettung von Zufällen wäre, die am Ende eine Geschichte formen, so würden sich Schicksale doch nicht so sehr mit denen anderer verweben und mit ihren Fäden Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit verbinden. Ist das Leben vielleicht doch ein vorbestimmter Ablauf, den man nur wenig beeinflussen kann? Steht die eigene Geschichte, schon bevor man sie durchlebt hat, irgendwo auf dem Blatt eines Mächtigen geschrieben? Kann es sein, dass jemand in der Vergangenheit schon wissen konnte, was der Schleier der Zukunft vor einem verbirgt?“
Maxillia von Rebien
Finstere Visionen
Helle Strahlen fielen bündelweise durch das dichte Laub der Bäume, als Maxillia den schmalen Weg durch den Wald ging, den sie an jedem Tag entlangeilte. Schließlich hatte sie nicht viel Zeit, um dem tristen Alltag in der Burg zu entfliehen und aus der Rolle der Prinzessin heraus zu kommen. Sie hatte lediglich drei Stunden am Tag, die ihr zwischen den langweiligen Unterrichten und dem Training, bei dem sie sich regelmäßig blamierte, blieben. In dieser Zeit traf sie sich heimlich mit ihrer besten und einzigen Freundin an einem Ort, an dem sie sein konnte, wie sie war und nicht so, wie sie sein musste. Es gab strenge Regeln in der Burg, die ihr vieles verboten und sie in ein Verhalten zwängten, das wirklich nicht ihrem Naturell entsprach. Wenn sie dagegen verstieß, drohten ihr strenge Strafen, die durch Gesetze und Erlasse geregelt waren. Selbst ihrer Mutter, der Königin der Großelfen und des Bündnisses zwischen den Elfenvölkern und den Zwergen, gefielen die meisten dieser Regeln nicht, an die sich die Königsfamilie eigentlich halten musste. Jedoch waren sie beinahe wie eine Pflicht, aufgelegt von den am Bündnis beteiligten Königreiche, damit dieses Bündnis überhaupt bestehen konnte. Eine dieser Regeln war auch, dass die Königsfamilie die Burg nicht ohne Begleitung von Wachen und Dienern verlassen durfte, da sie möglicherweise von irgendwem angegriffen werden könnten und so Schutz benötigen. Allerdings berücksichtigten diese Regeln nicht, dass es eventuell schwierig wäre, als einziges Kind des Palastes, Freunde zu finden und nicht an Einsamkeit zu verzweifeln. Daher schlich Maxillia sich heimlich jeden Tag aus der Burg über einen Weg, den sie vor einigen Jahren entdeckt hatte, als sie noch mehr Freizeit hatte und sie ihre Nachmittage nicht mit dem Training ihrer Zauberkünste vergeuden musste. Damals entdeckte sie einen wunderschönen Ort, von dem niemand etwas zu wissen schien, abgesehen von der einen Nymphe, der sie an einem dieser Tage begegnet war. Sie freundeten sich an und trafen sich seither so oft es ging und so oft sie aus ihren täglichen Abläufen entfliehen konnten. Denn auch der gleichaltrigen Nymphe Seraphina gefiel ihr Leben nicht so richtig, das sie in den Sümpfen mit ihrem Volk führte. Dieses schottete sich nämlich komplett von der Außenwelt ab und hegte so gut wie zu keinem anderen Volk Kontakt. Wenn sie auch in den Ländereien der Großelfen lebten, waren sie doch ein eigenständiges Volk, das nicht der Befehlshabe Maxillias Mutter, Königin Isabella, unterstand. Dazu verließen sie das Gebiet der Sümpfe nur äußerst selten, so dass ihre Existenz mittlerweile beinahe zur Legende geworden war. So war Maxillia wohl eine der Wenigen, die mit einer von ihnen in Verbindung stand. Sie trafen sich immer an dem einen besonderen Ort, zu dem der schmale versteckte Weg führte, auf dem Maxillia gerade entlangeilte. Der Weg führte nur ein kurzes Stück in den Wald hinein, da man schon bald die Sümpfe erreichte, die ein kaum wegsames Gelände bildeten und der Tod an jeder Ecke lauerte, wenn man sich dort nicht richtig gut auskannte. Für die Nymphen war es kaum ein Problem sich dort zurecht zu finden und den tückischen Stellen auszuweichen. Doch den Elfen würden sie nur den Tod bringen. Maxillia hatte schon oft gehört, dass Elfen in die Sümpfe gegangen waren, um herauszufinden wie die Nymphen lebten und nie zurückgekehrt waren. Aber Maxillia hatte ja nicht vor in die Sümpfe zu gehen, sondern an ihren angestammten Platz, der für sie in gewisser Weise ein kleines bisschen Freiheit bedeutete. Endlich hatte sie auch dieses Mal die kleine Lichtung erreicht, die sie vor langer Zeit entdeckt hatte. Sie lag in einem dicht bewachsenen Teil des Waldes und war von keiner Seite her richtig einzusehen. Selbst von dem Weg aus sah man sie nicht, bis man sich zwischen den Zweigen zweier Bäume hindurch quetschte, die den Eindruck erweckten, dass es hinter ihnen gar nicht weiter ging. Doch hinter diesen Ästen lag die Lichtung, dessen Großteil ein Tümpel einnahm. Der Rest der Lichtung war bewachsen mit hohen Gräsern und Moosflechten, die sich sogar an die Rinde der Bäume und an die karge Oberfläche der Steine krallten. Ein leicht modriger Geruch lag in der Luft, der für solch dichte Wälder typisch war und den Maxillia jedes Mal erneut genoss. Es zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen, wenn sie die klare Waldluft in ihre Lungen sog und wusste, dass hier niemand sie als Prinzessin bezeichnen und wie ein rohes Ei behandeln würde. Denn hier war sie Max. Die jugendliche Rothaarige, die gerne lachte und alles ihrer Freundin anvertraute, wie es auch alle anderen normalen Mädchen in ihrem Alter taten. Normal sein. Das war es was sie wollte. Das war es, nach dem sie sich so sehr sehnte. Doch dies war ihr seit ihrer Geburt verwehrt, da sie ja ausgerechnet als eine Prinzessin und dazu noch als Thronerbin auf die Welt kommen musste. Manchmal wäre sie sogar lieber als Tochter einer Bauernfamilie geboren worden, mit vielen Geschwistern und allen Problemen und allen Sorgen, die sich aus der Situation der Ärmlichkeit ergaben. Manchmal überlegte sie einfach zu verschwinden, zu fliehen und irgendwo ein neues Leben anzufangen. Jedoch hielt sie die Liebe zu ihren Eltern auf, die die Einzigen im Schloss waren, die sie einigermaßen normal behandelten. Eigentlich konnte sie sich kaum bessere Eltern vorstellen, da sie stets für sie da waren und unheimlich liebevoll mit ihr umgingen, auch wenn Maxillias Vater Don manchmal ein ziemlicher Sturkopf war. Allerdings änderte dies nichts an der Tatsache, dass Dinge von Maxillia erwartet wurden, für die sie sich nicht bereit und fähig genug fühlte. Seufzend blinzelte sie der Sonne entgegen und schob die vielen Gedanken beiseite, die in ihrem Kopf herumgeisterten. Schließlich hatte sie nun ihre Pause von dem Prinzessin-sein und wollte dies auch genießen und sich nicht zu sehr den Kopf über die vielen Dinge zerbrechen, die sie als negativ empfand. Lächelnd zupfte sie also einen Grashalm ab und stapfte durch das hohe Gras, zu dem alten knorrigen Baum herüber, dessen Krone tief über dem trüben Wasser des Tümpels hing. Der dicke Stamm bog sich stark und sah aus, als hätte er sich beim Wachsen um seine eigene Achse gedreht. Er musste uralt sein und schon vieles auf der Lichtung erlebt haben. Zumindest ließen dies die vielen Kerben, verwachsenen Ritzungen und Astlöcher vermuten, die den Stamm zierten. Auch die tiefen Kerben, die fast wie eine Treppe den Stamm hinaufführten, erzählten förmlich Geschichten über längst vergangene Zeiten. Einen kurzen Blick ließ Maxillia nochmal über die Lichtung und den Tümpel schweifen, sowie über den modrigen Steg, der auf das kleine Gewässer führte, bevor sie den dünnen Ast, der auf Augenhöhe herausragte, ergriff und sich daran hochzog. Mit dem Fuß erreichte sie so die Erste der Kerben, die einst tief in das Holz geschlagen worden waren. Geschickt kletterte sie den Rest des Stammes hinauf in die dichte Krone hinein, in der ein altes Floß regelrecht eingewachsen war. -Völlig unerklärlich, wie es dort hingekommen war. Auf den alten Brettern, die gänzlich von dem Blattwerk umhüllt waren, wartete auch schon Seraphina. „Hallo Max“, lächelte diese fröhlich und sprach mit ihrer sanften und klaren Stimme. „Na? Wie war dein Tag bisher?“, begrüßte Maxillia ihre einzige Freundin mit einer herzlichen Umarmung, bevor sie sich neben sie setzte. Vorsichtig lehnte sie sich gegen einen dicken Ast, der fast senkrecht nach oben ragte. „Wie immer“, seufzte Seraphina und lehnte sich ebenso gegen einen Ast, der hinter ihr gen Himmel wuchs. „Nichts Besonderes also?“, hakte Maxillia nochmal nach, die die Antwort eigentlich schon kannte. „Nein. Wir haben wieder Kräuterkunde gehabt und Salben hergestellt. Also nichts Besonderes. Und bei dir?“, entgegnete sie und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr hellblondes Haar war mit grünen Strähnen durchzogen und teils zu dünnen Zöpfen geflochten, in denen kleine Blüten steckten. Es glänzte herrlich seiden, genauso wie ihre grüne Haut, selbst in dem spärlichen Licht, dass das dichte Blattwerk hindurch ließ. Ihre großen, grünen, mandelförmigen Augen schienen immer vor Freundlichkeit zu strahlen und spiegelten so ihren Charakter wider. „Bei mir auch nicht. Alles beim Alten“, gähnte Maxillia und streckte ihre Glieder, die von dem vielen steifen Sitzen im Unterricht ganz angespannt waren. „Schade. Sonst hätten wir mal über etwas neues quatschen können“, lachte Seraphina und schaute nach oben, als würde sie durch die grünen Blätter in den wolkenlosen Himmel blicken können. „Ja, da hast du Recht. Es ist schon lange nichts Interessantes mehr passiert“, seufzte Max und schaute ebenso nach oben in das Dach aus Blättern, das sich wie eine Höhle über sie beugte. „Und was machen wir heute?“, fragte Seraphina mit hochgezogenen Augenbrauen und warf Max einen kurzen Blick zu. „Ich weiß es nicht“, entgegnete diese, der ebenso wie Seraphina die Ideen ausgegangen waren. „Hätten wir mehr Zeit, würden mir da so einige Sachen einfallen, die wir mal wieder machen müssten. Aber die haben wir ja nicht, seitdem deine Trainingseinheiten verlängert wurden“, seufzte die Nymphe erneut, die genauso traurig darüber zu sein schien, wie es Maxillia war. „Ach Phina. Ich würde so gerne mal wieder ein paar Ausflüge mit dir machen. Ich vermisse das“, gestand Maxillia und rieb sich die Augen, die beinahe türkis funkelten. „Ja, ich auch“, seufzte Seraphina ein wenig wehmütig und zupfte eines der Blätter neben ihr ab. „Es tut mir leid, dass wir wegen mir nichts richtig unternehmen können“, entschuldigte sich Maxillia und senkte den Kopf. „Wieso entschuldigst du dich? Du kannst doch nichts dafür“, wunderte sich Seraphina. „Na doch. Irgendwie schon. Schließlich müsste ich wahrscheinlich weniger trainieren, wenn ich das besser auf die Reihe bekommen würde und nicht so unfähig wäre“, erklärte Maxillia ihre Meinung über ihre Schuld. „Dafür kannst du doch nichts. Ich meine, warum musst du überhaupt zaubern können? Du wirst es wohl fast nie brauchen als Königin. Oder hat deine Mutter je einen Zauber gebraucht, außer um dich zu trainieren?“, stellte Seraphina Maxillias Lehrplan in Frage. „Nein, nicht wirklich“, dachte Max nach. „Wenn Zauberer wenigstens heilen könnten, dann hätte das Ganze einen Nutzen. Aber Zauberer sind keine Heiler. Und um eine Kerze anzuzünden, kannst du auch einen Diener bitten dies zu tun“, grinste Phina breit. „Ja. Aber wenn ein Krieg kommen sollte, muss man fähig sein zu kämpfen“, widersprach Maxillia ihrer Freundin ein wenig. „Das musst du doch auch nicht wirklich. Schließlich ist das die Aufgabe der Soldaten. Ich wüsste nicht, was eine Königin auf dem Schlachtfeld zu suchen hat. Abgesehen von strategischer Planung“, argumentierte die Nymphe weiter. „Irgendwie hast du Recht. Aber meine Mutter wird wohl kaum aufgeben mich zu trainieren, auch wenn das gute Argumente sind“, lächelte Maxillia betrübt und warf ihrer Freundin einen skeptischen Blick zu. „Das stimmt. Aber gib dir daran nicht die Schuld. Schließlich ist es deine Mutter, die dich zwingt, das zu lernen, auch wenn du das einfach nicht kannst“, versuchte Seraphina Maxillia etwas in Schutz zu nehmen. „Ja. Ich verstehe eigentlich auch gar nicht, wieso sie mich in dem Punkt so quält. Bei den meisten anderen Dingen ist sie nicht so streng. Eigentlich ist sie nur bezüglich meiner Ausbildung so hinterher“, zog Max ihre Augenbrauen hoch und zupfte am Saum ihres Hosenbeins herum. „Hast du sie nie gefragt?“, wollte Seraphina wissen. „Doch, schon. Aber sie hat immer nur gesagt, dass ich das als Königin später können muss“, antwortete Max. „Vielleicht ist es ja auch nur, damit ich den Respekt der anderen Könige habe, dass sie mir dann auch folgen und das Bündnis bestehen bleibt. Ich denke, dass meine Mutter viel in das Bündnis investiert“, ergänzte Max nachdenklich. „Vielleicht hat sie aber auch Angst, dass ein Diener es verweigert dir die besagte Kerze anzuzünden und du dann im Dunkeln sitzen musst“, scherzte Phina lachend, die den ernsten Alltag auch für eine gewisse Zeit vergessen wollte. Max stieg darauf ein und scherzte ebenso. Doch wie es so war, wenn man Spaß hatte, verflog die Zeit, sodass Maxillias Pause beinahe schon vorbei war. So musste sie sich also wieder auf den Weg zurück in die Burg machen. Seufzend standen die beiden Mädchen auf und kletterten den Stamm nacheinander herunter in das hohe Gras, das die Lichtung überwucherte. „Na dann bis morgen“, verabschiedete Maxillia sich mit einer Umarmung ihrer Freundin. „Bis morgen“, lächelte Seraphina und ging um den Tümpel herum, weiter in den Wald hinein. Etwas wehmütig schaute Max nochmal über die Lichtung und ließ ihren Blick den Baum hinauf wandern, der sicher schon für viele ein hervorragendes Versteck gewesen war. Nun musste sie aber wieder zurück. Zurück in die Burg und in die Rolle der Prinzessin. Ein widerwilliges Gefühl zupfte an ihrem Gemüt und ließ ihre Laune wieder sinken. Wieso sie? Wieso nur musste sie als Prinzessin geboren worden sein und den Thron ihrer Mutter erben müssen? Hätte sie doch wenigstens noch Geschwister, die diese Aufgabe übernehmen könnten, wenn sie sich weigerte. Doch leider war sie ein Einzelkind und somit verpflichtet den Thron ihrer Mutter zu erben. Seufzend wandte Max sich ab und lief rüber zu den Ästen, die wie eine kleine Tür die Lichtung von dem Pfad trennten. Dieser würde sie wieder aus dem Wald hinausführen, in ihren trübsinnigen Alltag zurück. Vorsichtig bog sie die Äste zur Seite und trat auf den kleinen Weg, der deutlich dunkler war als die Lichtung. Er wirkte so unheimlich, wenn man zwischen den Bäumen hindurchschaute, die dicht beieinanderstanden und ihre Äste ineinanderschlangen. Es hatte den Anschein als würde man in die Unendlichkeit sehen, die sich düster in dem Wald verbarg und darauf lauerte einen zu verschlingen. Mit pochendem Herzen eilte Maxillia den schmalen Pfad entlang, den man kaum als einen solchen erkannte. Links und rechts erstreckten sich die Baumreihen und Büsche, als sie geschickt wie ein Reh über die Wurzeln huschte und sich immer weiter von der Lichtung entfernte, sich entfernte von der Freiheit. Zumindest fühlte es sich so an, als sie aus dem Wald heraustrat und die Burg vor ihr erschien. In ihrer vollen Pracht thronte sie auf den Wällen mit ihren dicken Mauern und vielen Türmen, die sich in den Himmel reckten. Beeindruckend war es schon, wenn man unten am Fuß der Wälle stand und zu ihr empor sah, wie sie ihren Schatten über die Stadt Lubea warf. Vorsichtig schaute sie an der Schutzmauer in beiden Richtungen entlang, die die Burg und die Stadt schützend umrahmte, ob die Luft rein war und keine Wache sie entdecken würde. Erst als sie sicher war, dass niemand in der Nähe war, eilte sie geduckt zu den schmalen Treppen rüber, die steil über die Wälle hinauf zu der dicken Schutzmauer führte. Unauffällig und klein war die Tür am Ende der vielen Stufen und führte in den hinteren Hof der Burg, der mehr für die militärischen Zwecke genutzt wurde. Vorsichtig quetschte Max sich durch den schmalen Spalt, den sie die Tür geöffnet hatte und schob die dichte Efeuranke beiseite, die die Tür von innen verbarg. Quietschend bewegten sich die alten Scharniere, als sie die Tür hinter sich wieder verschloss und den Efeu davor drapierte. Scheu schaute sie sich noch einmal um, eh sie im Schatten der Mauer zur Hintertür huschte, die in die Eingangshalle der Burg führte. Einen kurzen Moment hielt sie inne, als sie diese erreicht hatte und lauschte, ob sie das Klappern einer Rüstung vernehmen konnte, welches verraten würde, ob eine der Wachen sich gerade dort aufhielt. Doch es blieb alles still, sodass sie die Tür öffnete und hineinschlüpfte. Die weißen Wände ließen den Raum erstrahlen und der Steinboden war von den Mägden so blank geputzt, dass sich die Bilder der vorigen Königspaare, die die Wände zierten, sich darin spiegelten. Auf steinernen Säulen waren große Vasen aufgestellt, die wie gewohnt mit kunstvollen Blumenarrangements gefüllt waren, deren süßlicher Duft den Raum erfüllte. So leise sie konnte, schlich sie sich um das Geländer der breiten Treppe herum und eilte diese empor auf die Galerie, die um die Eingangshalle führte. Auf leisen Sohlen stahl sie sich durch eine der vielen Türen, die auf den schmalen Flur führte, von dem die Treppen in den Ostflügel abgingen, wo Maxillia ihre Gemächer hatte. Dort musste sie hin, ohne dass jemand sie entdecken würde. An einem jeden Tag schlich Max diesen Weg entlang, der so viele Gefahren barg, entdeckt zu werden und Bestrafungen zu erhalten. Doch war es die süße Freiheit, die sie lockte, dies auf sich zu nehmen und die Risiken einzugehen. Mehr noch wollte sie aber um jeden Preis die Treffen mit ihrer besten und einzigen Freundin wahrnehmen. Ohne sie wäre ihr Leben nämlich noch einsamer, als es ohnehin schon war und noch deutlich weniger schön. Es kam ihr aber auch zugute, dass selten jemand über die Flure lief, da die Diener in den verschiedenen Räumen arbeiteten und die Wachen sich meist im Außenbereich aufhielten. Daher hatte es selten Situationen gegeben, in denen es knapp wurde und sie beinahe erwischt worden wäre. Am gefährlichsten war eigentlich nur das Stück des Weges, der über die Wälle, den Hof und durch die Eingangshalle führte. Doch da Maxillia mittlerweile sehr geübt darin war sich unauffällig zu bewegen, wurde sie die vielen Jahren noch nicht entdeckt, die sie sich schon aus der Burg schlich. Es waren mittlerweile sechs Jahre, in denen sie sich beinahe jeden Tag auf den Weg zu der kleinen Lichtung machte. Zuerst sollte es nur ein einmaliger Ausbruch gewesen sein, eine kleine Ungehorsamkeit, die sie sich an ihrem zehnten Geburtstag leistete, als ihr klar wurde, was es bedeutete die Thronfolgerin zu sein. Denn an diesem Tag begann der Unterricht, der sie auf das Amt vorbereiten sollte, das sie wohl in weiter Zukunft einmal erben würde. Zwar wurde sie zuvor auch schon unterrichten, aber doch deutlich lockerer und lustiger als seit jenem Tag. Nun quälte ihre Mutter sie mit langweiliger Politik und solch trockenem Stoff, dass es beinahe schon staubte. Da war es dieser wunderschöne, ja, schon verwunschene Ort, der ihr Halt gab und für sie Freiheit bedeutete. Versonnen lächelte sie vor sich hin, wenn sie an ihn dachte, den einzigen Platz, an dem sie einfach nur Max sein konnte.