Kitabı oku: «Blutiges Erbe in Dresden», sayfa 4

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»Da beide Hautstücke weder am Tatort in der Königstraße noch hier in der Rechtsmedizin gefunden wurden, können wir davon ausgehen, dass sie der Täter in beiden Fällen mitgenommen hat.« Er streifte seine dünnen Gummihandschuhe ab. »Guido Brunner war ein organisch völlig gesunder Mann und hätte noch gut und gerne weitere zwanzig Jahren leben können.«

Maria und Hellwig Dreiblum verließen das Gelände der Universitätsklinik. Sie fuhr aber nicht zum Präsidium zurück, sondern lenkte den Wagen in die entgegengesetzte Richtung. Als sie die Goetheallee erreichten, fuhr sie rechts ran. Fragend sah ihr Assistent sie an.

»Wir machen einen hübschen kleinen Spaziergang. Das bringt Ihren Kreislauf wieder in Schwung«, sagte Maria.

Peinlich berührt sah er zur Seite.

»Machen Sie sich nichts draus. Sie sind nicht der Erste, dem das passiert. Auf geht’s!«

Sie überquerten das Käthe-Kollwitz-Ufer und liefen einen Trampelpfad entlang, der sie zum Radweg an der Elbe führte.

Ohne Hellwig Dreiblum zu fragen, nahm Maria Kurs aufs Blaue Wunder, das sich über die Elbe spannte und die Ortsteile Blasewitz und Loschwitz verband. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, bis Maria das Wort ergriff.

»Mal abgesehen davon, dass Sie für einen kurzen Moment abwesend waren, welchen Eindruck haben Sie gewonnen?«

»Dass ich nicht so schnell wieder an einer Obduktion teilnehmen möchte. Und schon gar nicht an zweien nacheinander.« Er grinste sie an.

»Wir wollen doch nicht hoffen, dass wir demnächst wieder eine Leiche haben. Schon Ihretwegen nicht. Jetzt mal im Ernst, wie denken Sie über die Hautstücke, die beiden Opfern an der gleichen Stelle entfernt wurden?«

»Das bedeutet für mich, dass beide Morde zusammenhängen. Denn beide Opfer haben etwas im Nacken gehabt, von dem der Täter nicht wollte, dass es gesehen wird.«

»Weiter!«

»Es könnte sich um ein Tattoo gehandelt haben. Beide Opfer haben sich die gleiche Tätowierung stechen lassen.«

»Beide Männer waren über sechzig. Soweit ich informiert bin, ist das doch eher bei jüngeren Leuten en vogue.« Sie sah ihn von der Seite an. »Haben Sie eigentlich auch eins, Hellwig?«

Überrascht sah er sie an und nickte.

»Auf dem Oberarm.«

»Das ist eine durchaus übliche Stelle für ein Tattoo«, sinnierte Maria. »Genauso wie auf Händen, Beinen, Brust und Rücken. Arschgeweih ist ja aus der Mode, wenn ich richtig orientiert bin, oder?«

Hellwig Dreiblum nickte. »Einige haben auch eins im Gesicht, aber das ist eher selten. Punks oder so.«

»Und im Nacken?«

»Ja, auch.«

»Würden Sie unsere Mordopfer als typische Tattooträger bezeichnen?«

»Was ist denn ein typischer Tattooträger?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.

»Können Sie sich vorstellen, dass der Syndikus einer ehrenwerten Stiftung ein Tattoo trägt? Oder unser Ministerpräsident? Oder vielleicht Ihr Vater?«

Hellwig Dreiblum lachte verlegen auf. Siehste, natürlich nicht, dachte Maria und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie hatten noch gut anderthalb Stunden Zeit bis zu ihrem Termin mit Notar Dr. Hübscher.

»Aber bei diesem Molberg, da kann ich es mir durchaus vorstellen.«

»Wieso?«

»Als Kunsthändler ist man vielleicht nicht so konservativ. Man bewegt sich in anderen Kreisen.«

»Möglich, aber er ist studierter Kunsthistoriker, Hellwig. Also eher Wissenschaftler als Künstler.«

»Gut, dann ist es eher unwahrscheinlich, war ja auch nur so ein Gedanke.«

»Egal, nur immer raus damit. Sonst kommen wir nicht weiter, aber wir sind sowieso gleich da.«

»Wo, da?«

»Am Schillergarten. Wir essen eine Brezel und trinken ein Bier.«

»Aber … aber wir sind doch im Dienst und wir wollen doch gleich noch …«

»Ich habe einen Scherz gemacht. Wir trinken einen Kaffee. Die Brezeln sind aber erlaubt. Ich lade Sie ein. Kommen Sie.«

Sie passierten das Restaurant Villa Marie, gingen unter der Brücke hindurch und stiegen die Stufen zum Schillergarten hoch, in dem viele Gäste saßen, um nach den sintflutartigen Regengüssen der vergangenen Tage das milde Frühlingswetter zu genießen. Sie fanden einen freien Tisch. Maria drückte ihrem Begleiter einen Zehner in die Hand und schickte ihn los, um Kaffee und Brezeln zu holen. Sie genoss derweil den Blick auf die gegenüberliegende Elbseite. Plötzlich verspürte sie Lust, nach dem kleinen Imbiss das Blaue Wunder zu überqueren und in Loschwitz’ alten Gassen umherzuschlendern, vielleicht ein Eis in der Waffel zu kaufen und sich dabei einzureden, dass heute kein normaler Arbeitstag sei.

Hellwig Dreiblum kam mit Brezeln und Kaffee zurück und setzte sich, die Sonne direkt im Gesicht, ihr gegenüber.

»Warum setzen Sie sich nicht neben mich? Von hier aus haben Sie einen viel schöneren Blick auf die andere Seite!«

Wie ein altes Ehepaar saßen sie nebeneinander, bissen von ihren Brezeln ab und schlürften den heißen Kaffee.

»Schön da drüben«, sagte er kauend und trank einen Schluck. »Da müsste man ein Haus haben.«

»Dream on. In welcher Gehaltsstufe sind Sie? A9?«

»Man wird ja wohl noch träumen dürfen«, entgegnete der frischgebackene Polizeikommissar.

»Es reicht doch, wenn man sich ab und zu hierher oder an einen anderen Platz setzen und das Schöne einfach nur betrachten kann. Wir haben einen tollen Beruf, Hellwig, das entschädigt für so manches. Sie stehen gerade am Anfang, haben Ihr Studium abgeschlossen und zumindest ein sicheres Einkommen. Außerdem sind Sie höchstens fünfundzwanzig. Habe ich recht?«

»Fast, ich bin schon achtundzwanzig. Hab mich aber ganz gut gehalten, finde ich.«

»Vor allen Dingen haben Sie Ihre lächerliche Aufmachung, Entschuldigung, dass ich das so sage, verändert. Sie sehen so viel respektabler aus. Wie ein richtiger Mann.«

Hellwig Dreiblum lächelte unsicher. So ganz kam er mit Marias Humor noch immer nicht zurecht.

»Nächste Woche kommt unser neuer Kollege. Hauptkommissar Laschkow. Sportlich und dynamisch, aber vor allen Dingen ehrgeizig, so wie ich gehört habe«, sagte sie gedehnt.

»Hoffentlich verstehen Sie sich so gut mit ihm wie mit Gerd Wechter.«

Es war ihm ohne böse Absicht herausgerutscht, das wusste Maria. Dennoch hatte sie den Stich gespürt. Würde das nie aufhören? Nein, natürlich nicht, es war nun ein Teil ihres Lebens. So etwas hörte nicht auf. Es würde weniger schmerzhaft werden mit der Zeit, aber nie verschwinden.

»Ich … Entschuldigung, das war blöd von mir.«

»Alles fein«, beruhigte sie ihn, »Trinken Sie aus. Wir haben noch eine Dreiviertelstunde. Wir gehen übers Blaue Wunder auf die andere Seite. Dort gibt es ein kleines Geschäft mit handgefertigten Seifen und allerlei Schnickschnack. Ich brauche noch ein kleines Geschenk.«

Erleichtert stand Hellwig Dreiblum auf und trug die Becher zurück.

Am Ende der Brücke gingen sie die Treppe hinab, liefen am Körnergarten vorbei und bogen nach wenigen Metern links ab. Ein Gewirr aus schmalen verwinkelten Gassen und romantischen Häuserfassaden, gesäumt von Cafés und kleinen Restaurants, empfing sie. Maria wurde in dem winzigen Laden am Körnerplatz fündig, kaufte neben der Seife noch drei handgezogene Kerzen aus Bienenwachs und ließ alles als Geschenk verpacken. Hellwig hatte sich draußen auf eine Bank gesetzt und aß ein Eis.

Dann machten sie sich auf den Rückweg. Sie mussten sich sputen, nachdem Maria mit der Ladeninhaberin ins Plaudern gekommen war. Sie hatte nämlich ein kleines Bild entdeckt, von dem sie glaubte, dass es gut in ihr Wohnzimmer passen würde. Sie beschloss, noch einmal wiederzukommen, um festzustellen, ob es ihr dann immer noch so gut gefiel.

Pünktlich, halb drei, erreichten sie das Notariat in der Hohen Straße im Bayrischen Viertel hinter dem Hauptbahnhof. Das Entree war beeindruckend: Ein Empfangstisch aus dunklem Holz, der Maria an die Rezeption eines Fünf-Sterne-Hotels erinnerte, erstreckte sich über die gesamte Länge des Raumes. Dahinter saß eine Sekretärin, zwei weitere Mitarbeiterinnen liefen geschäftig umher. Ständig wurden Türen geöffnet, Angestellte durchquerten die Empfangshalle und wurden wieder verschluckt. Maria meldete ihren Termin an und wenige Augenblicke später wurden sie in das Büro des Notars geführt.

Dr. Hübscher empfing sie mit einem offenen Lächeln und bat sie, Platz zu nehmen. Dann forderte er über die Sprechanlage die Unterlagen an. Diese Zeit reichte Maria, um ihn eingehender zu betrachten. Die modische Brille und das dunkelblonde, kurz geschnittene Haar ließen ihn ein wenig jungenhaft aussehen, obwohl er schätzungsweise Mitte vierzig war. Seine gesamte Erscheinung strahlte Kompetenz und Souveränität aus. Die Tür öffnet sich und eine Angestellte brachte die gewünschte Akte.

»Natürlich habe ich vom schrecklichen Ableben von Herrn Molberg erfahren«, eröffnete er das Gespräch. »Schließlich geht es ja seit mehreren Tagen durch die Presse. Sie wollen, wenn ich richtig informiert bin, Einzelheiten zu seinem Testament wissen?«

Fragend sah er sie über seinen Brillenrand hinweg an.

»Ja, das wäre sehr hilfreich. Insbesondere möchten wir wissen, ob er es kurz vor seinem Tod noch geändert hat.«

Der Notar schüttelte den Kopf und schlug den Aktendeckel auf. Hellwig Dreiblum zückte sein Notizbüchlein.

»Nein. Das Testament wurde im November 2002 aufgesetzt, seitdem wurde nichts angepasst.«

»Wer sind denn der oder die Erben?«

»Alleinerbe ist sein Sohn, Alexander Molberg. Es gibt allerdings noch zwei sogenannte Legate. Demnach muss Alexander Molberg der langjährigen Haushälterin seines Vaters zehntausend Euro und einer Stiftung in Würzburg einhunderttausend Euro übereignen. Moment, ich schaue gleich mal nach, wie die Stiftung heißt …«

»Nein, nicht nötig im Moment. Lassen Sie uns später dazu kommen«, unterbrach Maria ihn. »Das Allermeiste bekommt also sein Sohn, Alexander. Wie hoch schätzen Sie den Gesamtwert des Vermögens, Dr. Hübscher?«

Der Notar schloss die Akte wieder und legte die Stirn in Falten.

»So genau kann ich das auf die Schnelle nicht sagen, aber ich nehme an, er beläuft sich auf mindestens eineinhalb Millionen Euro, vielleicht auch mehr. Allein die Villa in der Goetheallee ist mit Sicherheit mehr als eine Million wert. Unbelastet, keine Hypothek eingetragen.«

Maria nickte. »Wussten Sie, dass Herr Molberg schwerkrank war und nur noch kurze Zeit zu leben gehabt hatte?«

Dr. Hübscher sah sie entgeistert an und schüttelte dann langsam den Kopf.

»Nein, das wusste ich nicht.« Er wirkte sichtlich erschüttert.

»Haben Sie mit Herrn Molberg privat verkehrt?«

»Nein, das wäre zu viel gesagt. Wir haben zwar im gleichen Club Golf gespielt. Doch der Kontakt beschränkte sich auf den üblichen Small Talk und Gespräche über den Sport. Allerdings, jetzt wo Sie die Erkrankung erwähnt haben, fällt mir ein, dass er sich in letzter Zeit im Club nicht mehr hat blicken lassen. Jetzt wird mir klar, warum.« Er seufzte. »Eine schreckliche Sache. Haben Sie denn schon eine heiße Spur?«

»Wir stehen noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Aber ich habe noch eine Frage, da Sie das Golfspiel erwähnt haben. War es üblich, nach dem Spielen zu duschen?«

»Wie meinen Sie das, ich verstehe nicht ganz.«

»Also, ich bin keine Golfexpertin und kenne es nur aus dem Fernsehen. Soweit ich mitbekommen habe, rennt man da nicht hin und her, sondern läuft eher gemessenen Schrittes über den Rasen. Kommt man da ins Schwitzen, sodass man nach dem Spielen duschen muss?«

»Das wird unterschiedlich gehandhabt, je nachdem, wie warm es ist. Und ja, man kommt auch beim Golfen ins Schwitzen. Aber wieso fragen Sie mich das?«

Maria warf einen Seitenblick auf Hellwig Dreiblum, der aufgehört hatte zu schreiben und den Notar aufmerksam ansah.

»Ist Ihnen beim Duschen oder in der Umkleidekabine eine Tätowierung im Nacken Ihres Klienten aufgefallen?«

»Ein Tätowierung?« Verblüfft schaute der Notar sie an. »Bernhard Molberg soll ein Tattoo gehabt haben? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Im Nacken, sagen Sie?« Wieder schüttelte er den Kopf. »Nein, tut mir leid. Mir ist nichts aufgefallen, weder im Nacken noch an einer anderen Stelle.«

»Das war es auch schon, Herr Dr. Hübscher.« Maria stand auf. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe. Sie haben uns sehr geholfen.«

»Wenn ich irgendetwas tun kann, lassen Sie es mich bitte wissen. Niemand hat es verdient, auf so grausame Weise aus dem Leben gerissen zu werden. Ich hoffe, Sie finden den Täter schnell.«

»Alles mitgeschrieben?« Maria und Hellwig Dreiblum saßen schon wieder im Auto und fuhren zurück zum Präsidium. Ihr Assistent nickte artig.

»Wir laden Alexander Molberg noch einmal vor. Er muss doch wissen, ob sein Vater eine Tätowierung hatte.«

»Können wir nicht jetzt gleich zum Geschäft auf die Königstraße fahren?« Fragend sah der junge Kommissar sie an.

»Gute Idee, das machen wir.«

Nach zwanzig Minuten hatten sie die Königstraße erreicht. Sie stiegen aus und Maria fixierte das etwa dreihundert Meter entfernte Antiquitätengeschäft. Sie fragte sich, ob Alexander Molberg den Laden schon wieder geöffnet hatte, gerade drei Tage, nachdem er seinen Vater hier ermordet aufgefunden hatte. Aber sie hatten Glück. Alexander Molberg unterhielt sich gerade mit einem älteren Kunden und strich dabei liebevoll über das glatte, glänzende Nussbaumholz eines Kabinettschrankes. Er sah auf, als die Kommissare den Laden betraten. Sein geschäftsmäßiges Lächeln gefror. Er entschuldigte sich bei dem Mann und kam zu ihnen.

»Guten Tag, Herr Molberg. Wir haben noch einige Fragen an Sie. Wenn es möglich wäre, gleich hier, sonst müssten wir Sie extra noch einmal ins Präsidium bitten.«

»Gehen Sie doch einfach nach hinten ins Büro. Den Weg kennen Sie ja. Ich bin gleich bei Ihnen.«

Sie gingen an Molberg und dem Kunden vorbei nach hinten. Etwas unschlüssig standen sie herum, setzten sich aber schließlich doch, Maria auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und Hellwig Dreiblum auf den davor. Vor ihr lag ein aufgeschlagener Katalog mit Kunstgegenständen. Sie studierte die astronomisch hohen Preise, die unter den Kurzbeschreibungen der Objekte zu finden waren.

»Möchten Sie eine Kommode aus Kirschholz kaufen? Ist von 1878 und kostet nur schlappe viertausendsechshundert Euro.«

»Das ist ja ein richtiges Schnäppchen! Wenn ich meine Couchgarnitur von IKEA abbezahlt habe, werde ich darüber nachdenken.«

»Oder hier, der Silberleuchter, Barock, dreizehntausendfünfhundert Euro.«

»Würde sich sehr gut zu meinen Drucken an der Wand machen.«

Sie kicherten beide und Maria blätterte weiter in dem Hochglanzkatalog. Sie fand es erstaunlich, wie viel Geld manche Leute für ein antikes Stück auszugeben bereit waren. Auch wenn sie den Wunsch nachempfinden konnte, etwas Besonderes und Einmaliges zu besitzen.

Alexander Molberg erschien in der Tür und blieb dort abwartend stehen.

Maria und Hellwig Dreiblum standen auf.

»Wollen Sie sich vielleicht setzen?«, fragte Maria ihn und sah sich suchend nach einer dritten Sitzgelegenheit um. Aber Molberg schüttelte den Kopf. Offensichtlich wollte er sie so schnell wie möglich wieder loswerden.

»Die Obduktion Ihres Vaters hat heute Morgen stattgefunden, wie Sie wissen. Der Leichnam wurde freigegeben. Sie können die Beerdigung arrangieren.«

Jetzt setzte sich Molberg doch auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, von dem Hellwig Dreiblum sich erhoben hatte.

»Die Obduktion hat unter anderem ergeben, dass Ihrem Vater im Nacken ein Stück Haut herausgeschnitten wurde. Wir fragen uns, warum der Mörder das gemacht hat. Vielleicht, um eine Tätowierung verschwinden zu lassen?«

»Ich bitte Sie! Mein Vater hatte keine Tätowierung. Zumindest habe ich nie eine gesehen. Das wäre mir mit Sicherheit aufgefallen.«

Maria warf ihrem Kollegen einen vielsagenden Blick zu. Wäre ja auch zu schön gewesen.

»Herr Molberg, wie Sie vielleicht den Medien entnommen haben, ist kürzlich ein weiterer Mord geschehen. Diesem Opfer wurde an der gleichen Stelle ein Stück aus der Nackenhaut herausgeschnitten.«

»Dann besteht doch eindeutig ein Zusammenhang zwischen den Morden?!«, rief Molberg und schaute von einem zum anderen. »Wenn es keine Tätowierung war, die der Mörder herausgeschnitten hat, dann vielleicht eine Art Trophäe, die er mitnehmen wollte?« Fragend sah er sie an. »Das hört man doch immer wieder, dass Mörder irgendetwas von ihren Opfern an sich nehmen.«

»Auch wir gehen davon aus, dass eine Verbindung zwischen beiden Verbrechen besteht. Wir wissen nur noch nicht, welche«, entgegnete Maria. »Wir werden den Mörder Ihres Vaters finden, Herr Molberg, seien Sie versichert.«

Er nickte schwach, so als würde er den Worten der Kommissarin keinen Glauben schenken.

»Wie weit sind Sie denn mit der Inventarliste? Haben Sie festgestellt, ob etwas fehlt?«

»Ich bin noch nicht ganz durch, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass nichts gestohlen wurde. Ich denke, in zwei Tagen habe ich alles durchgearbeitet.«

»Also kein Tattoo«, stellte Hellwig Dreiblum fest, als sie wieder draußen auf der Straße standen und zum Auto gingen. Maria blieb stehen und sah ihn direkt an.

»Es gibt drei Möglichkeiten. Erstens: Es gibt kein Tattoo. Zweitens: Sein Sohn hat es nie gesehen. Und drittens: …«

»… er hat gelogen.«

Kapitel 7

Zurück im Präsidium, stellte Maria fest, dass ein Bericht des Kriminaltechnischen Instituts eingetroffen war. Die Analyse der Gegenstände aus dem Hotelzimmer, in dem Guido Brunner sich eingemietet hatte, hatte keine Auffälligkeiten ergeben. Seine Garderobe und die Toilettenartikel wiesen keinerlei Besonderheit auf. In seiner Geldbörse hatten sich mehrere Kreditkarten unterschiedlicher Schweizer Kreditinstitute und einhundertfünfzig Euro in Scheinen und Münzgeld befunden. Die Auswertung der Daten, Kontakte und Anrufe von seinem iPhone musste sie noch veranlassen. Sollte der Mobilfunkanbieter in der Schweiz sitzen, würde sie Staatsanwalt Schmücke bitten, eine Anfrage über das zuständige Konsulat zu stellen. Auch die Umfeld-Ermittlungen in der Schweiz konnte die Dresdner Mordkommission nicht selbst durchführen. Aber sie würde die Kollegen in Zürich auf dem Wege der Rechtshilfe um Unterstützung bitten.

Heute war erst Montag. Es würde einige Tage dauern, bis diese Ergebnisse eintrudeln würden.

Gegen fünf rief sie ihre Mitarbeiter zu einer Besprechung zusammen. Sie teilte ihnen die Ergebnisse der Obduktionen mit und informierte sie über das Gespräch mit dem Notar. Ebenso darüber, dass sie Alexander Molberg in dessen Geschäft zu dem mutmaßlichen Tattoo seines Vaters vernommen hatten. Noch lagen keine Erkenntnisse vor, wer in der Nacht von Samstag auf Sonntag in das Rechtsmedizinische Institut eingebrochen war und das Tattoo, oder um was auch immer es sich handelte, im Nacken der Leiche von Guido Brunner mit einem Messer entfernt hatte.

»Wir müssen noch die Haushälterin befragen«, sagte sie zum Schluss. »Vielleicht weiß sie etwas und kann uns Auskunft über die letzten Tage vor Molbergs Tod geben.«

Nachdem sie bis um Viertel vor sieben über dem notwendigen Papierkram gesessen hatte, fuhr sie nach Hause zu ihrer Wohnung, die im achten Stock eines Blocks in der Stübelallee lag. Sie machte sich eine Kleinigkeit zu essen und setzte sich mit einem Teller mit belegten Broten und einer großen Tasse Tee vor den Fernseher. Geistesabwesend kauend schaute sie auf das TV-Bild, dann glitt ihr Blick zu der Stelle neben der Couch, an der sie das Bild aus dem Geschäft vom Körnerplatz aufhängen wollte. Ihr kamen Zweifel. Vielleicht doch lieber ein größeres nehmen, zum Beispiel das, das über dem Sideboard hing? Nach einem heftigen Streit mit Nihat hatte sie im vergangenen Jahr voller Wut ihre Kaffeetasse an die Wand geworfen. Später hatte sie versucht, die Kaffeespritzer mit weißer Farbe zu übertünchen. Zwar waren so die braunen Flecken verschwunden, dafür hoben sich aber nun helle Tupfer deutlich von der vergilbten Tapete ab.

Schnell riss Maria ihren Blick los. Bloß nicht daran denken! Sie versuchte sich auf die Moderatorin der Vorabendsendung zu konzentrieren, aber sie sah nur den rot geschminkten Mund, der hanebüchenen Blödsinn über einen B-Promi absonderte, der zum fünften Mal heiraten wollte. Sie stellte den Fernseher aus. Was sie jetzt brauchte, war ein schöner langer Spaziergang! Der würde ihr auch dabei helfen, die schon wieder aufkeimende Lust auf eine Zigarette zu unterdrücken. Schnell schob sie sich das letzte Stück Brot in den Mund und griff noch kauend nach ihrer Jacke.

Der Verkehr auf der Stübelallee rauschte an ihr vorbei, während sie ein Stück die Straße entlanglief. Sie überquerte die Fahrbahnen, die durch eine etwa zwanzig Meter breite Grünfläche getrennt waren, und betrat den Großen Garten über die Fürstenallee. Sofort umfing sie die ruhige und entspannende Atmosphäre. Schon bald war der Lärm der Straße nicht mehr zu hören. Tief sog sie die frische Luft in ihre Lungen, während sie mit weit ausholenden Schritten auf das Palais inmitten des Parks zuging. Eine Gruppe junger Leute hatte sich dort auf der rechten der beiden Steintreppen niedergelassen und hörte Rap-Musik, deren wummernde Bässe aus einem Booster bis zu Maria herüberdrangen. Zusammen mit süßlichen Rauchschwaden, die sich zu einem regelrechten Nebel verdichteten. Rap meets Barock. Sollte ich …? Nein, entschied sie, und ging an dem zugedröhnten Haufen vorbei. Sollten sie ihren Spaß haben.

Maria folgte den verschlungenen Wegen durch Wäldchen und über große Wiesen, die den Park wie ein Adernetz durchzogen. Ihr Weg führte sie zur Jungen Garde. Dort war sie letzten Sommer mit Nihat auf einem Konzert gewesen … Nein, schnell wegwischen diese Gedanken. Zügig umrundete sie die Freilichtbühne. Und je weiter sie sich von ihr und den aufkeimenden Erinnerungen entfernte, desto deutlicher nahm sie die Geräusche der Natur wahr: Das leichte Rauschen der Bäume und das Abendgezwitscher der Vögel wirkten beruhigend.

Sie konnte den Sommer schon spüren, ihn riechen. Bald würde er mit aller Macht den Frühling ablösen. Sie konnte gar nicht sagen, welche Jahreszeit sie lieber mochte. Den Frühling, der alles zum Leben erweckte, das zarte Grün aus den Knospen trieb und sie sanft mit lauen Winden und dem frischen Duft des Grases umspielte, das noch nicht unter der sengenden Hitze der unbarmherzigen Sommersonne litt? Oder den Sommer? Die Biergartenzeit! Das bedeutete Essen im Freien, nächtliche Bummel durch die Alt- oder durch die quirlige Neustadt. Aber wer sagte denn, dass sie sich überhaupt entscheiden musste? Jede Jahreszeit verwandelte Dresden aufs Neue und verlieh der Stadt ein anderes Gesicht. Im Winter, wenn doch mal wieder so viel Schnee gefallen war, dass der Verkehr fast zum Erliegen kam, verwandelte sie sich in eine glitzernde Wunderwelt. Auf den Weihnachtsmärkten sorgte die weiße Pracht für die richtige Atmosphäre, während klirrende Kälte und heißer Glühwein die Wangen der Menschen rosig färbten. Auch der Herbst, der langsame Tod der Sommerfarben, hatte seinen eigenen Reiz. Dann tauchte die tiefstehende Sonne die Stadt an der Elbe in ein warmes, goldenes Licht und trieb an besonders schönen Tagen Einheimische und Touristen in Strömen in die Cafés und Restaurants, wo sie sich in den letzten wärmenden Strahlen für den langen, kalten Winter rüsteten.

Maria spürte, wie der ganze Ballast eines anstrengenden Arbeitstages von ihr abfiel. Sie fühlte sich im Einklang mit sich selbst. Keine schmerzenden Erinnerungen, keine bohrenden Fragen, die die jüngsten Fälle betrafen. Plötzlich schoss ein schwarzes Eichhörnchen aus einem Gebüsch rechts vor ihr. Mitten auf dem Weg stellte es sich putzig auf die Hinterbeine und sah Maria an, die ebenfalls stehengeblieben war, um das Tier nicht zu erschrecken. Für einige Sekunden standen sie sich bewegungslos gegenüber und betrachteten sich, dann war der Bann gebrochen und das Eichhörnchen flitzte nach links und einen Baumstamm hinauf.

Lächelnd sah sie ihm für einen Moment nach und ging dann weiter. Nach gut einer halben Stunde erreichte sie die Torwirtschaft. Sie setzte sich an einen der Tische im Freien und bestellte sich eine Weißweinschorle. Schon nach dem ersten Schluck musste sie wieder an eine Zigarette denken, nicht zuletzt deshalb, weil vom Nebentisch würziger Tabakrauch zu ihr herüberwehte. Wäre eine Kleinigkeit, eine zu schnorren. Doch sie unterdrückte den Impuls, trank zügig aus, bezahlte und machte sich auf den Heimweg. Zuhause angekommen, mittlerweile war es fast halb zehn, ging sie sofort unter die Dusche, zog sich einen Bademantel über und wollte es sich im Wohnzimmer gemütlich machen.

Auf dem Tisch lag ihr Handy, das sie bewusst nicht mitgenommen hatte. Es blinkte. Während ihrer Abwesenheit hatte jemand versucht, sie anzurufen. Sie griff danach, aktivierte den Bildschirm und checkte den Anruf. Eine ihr unbekannte Nummer. Sie tippte darauf. Nach dem dritten Freizeichen erklang eine männliche Stimme:

»Sie finden einen Hinweis an der Windschutzscheibe Ihres Autos.«

»Hallo? Wer sind Sie?«

Keine Antwort.

»Was für einen Hinweis meinen Sie?« Nichts, der Teilnehmer antwortete nicht. Die Verbindung war unterbrochen. Sie wählte die Nummer noch einmal. Jetzt ertönte die automatische Ansage »Diese Nummer ist nicht vergeben«. Verblüfft starrte sie auf das Handy, als könne es ihre Frage beantworten. Schnell zog sie sich etwas über und fuhr mit dem Aufzug bis in die Tiefgarage. Schon von Weitem konnte sie erkennen, dass etwas Weißes unter dem Scheibenwischer klemmte. Vorsichtig schaute sie sich um, aber niemand außer ihr und einer jungen Frau, die mehrere Einkaufstüten aus ihrem Kofferraum lud, war zu sehen. Was natürlich nicht bedeutete, dass sich nicht jemand hinter einem Auto versteckt halten konnte. Jetzt ärgerte sie sich über ihre Nachlässigkeit, die Dienstwaffe nicht mitgenommen zu haben. Beim Näherkommen sah sie, dass es sich um ein zusammengefaltetes Blatt Papier handelte. Sie zog es hervor und öffnete es. Ein Zettel fiel heraus und segelte zu Boden. Maria bückte sich und hob ihn auf. Verwirrt betrachtete sie den krakeligen Namenszug in blauer Tinte.

»Audrey Tautou.«

Nachdenklich und die Augen noch immer auf den französisch klingenden Namen gerichtet, ging sie zum Aufzug zurück. Plötzlich prallte sie gegen etwas und riss erschrocken den Kopf hoch. Ein Hund kläffte laut.

»Hoppla, die Frau Wagenried, ganz in Gedanken!«

Erleichtert erkannte sie den älteren Mann, der eine Etage unter ihr wohnte. Der Hund, bei dem man wegen des dichten Fells meist nicht genau feststellen konnte, wo hinten und vorne war, hatte aufgehört zu bellen und schnüffelte aufgeregt an ihrem Bein. Zumindest wusste sie jetzt, wo die Schnauze war.

»Oh, entschuldigen Sie vielmals, Herr Theiss, ich habe Sie gar nicht bemerkt.«

»Das wiederum habe ich nun bemerkt.« Er lachte gutmütig.

»Sagt Ihnen dieser Name etwas?«, fragte sie ihn, ohne weiter nachzudenken, und hielt ihm den Papierschnipsel unter die Nase. »Ganz spontan?«

»Spontan geht in meinem Alter gar nicht mehr. Da muss ich erst mal meine Brille aufsetzen.« Umständlich kramte er ein Etui hervor und setzte sich die Gläser auf die Nase. Mit vorgestrecktem Kinn und gerunzelten Brauen studierte er sorgfältig den Namen. Maria bereute schon, dass sie ihn überhaupt um diesen Gefallen gebeten hatte und stellte sich innerlich auf einen längeren Vortrag ein, denn Herr Theiss war Lehrer im Ruhestand. Aber zu ihrer Überraschung fasste er sich kurz.

»Ja, ich meine mich erinnern zu können, dass es sich um den Namen einer Sängerin handelt. Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.«

Hastig zog er den Hund zurück, der gerade dabei war, an einen Reifen zu pinkeln, und nickte zum Abschied.

Noch während Maria vom Aufzug in ihre Wohnung ging, rief sie Dess an und berichtete ihm von dem merkwürdigen Anruf und dem zusammengefalteten Briefchen.

»Was stand denn drauf?«

»Ein Name, französisch. Audrey Tautou. Sagt dir das was?«

»Hm, warte, irgendwie klingelt’s bei mir im Hinterkopf, aber mir fällt es gerade nicht ein. Ich google ihn schnell. Buchstabier mal bitte.«

Es vergingen nur einige Sekunden, bis Dess sagte:

»Das ist eine französische Schauspielerin, die neben Tom Hanks in Da Vinci Code – Sakrileg und die die Hauptrolle in Die fabelhafte Welt der Amélie gespielt hat.«

»Da Vinci Code? Sakrileg? Von diesem Code und dem Buch hast du mir doch erzählt, als wir letztes Jahr im Canadian über den Fall mit den Frauenleichen sprachen. Erinnerst du dich?«

»Natürlich erinnere ich mich. Hast du die Nummer des Anrufers schon überprüfen lassen?«

»Nein, das wollte ich gleich im Anschluss machen. Aber wird wahrscheinlich zu nichts führen. Der Anruf wurde mit Sicherheit von einem Prepaid-Mobiltelefon aus getätigt. Die kann man ganz anonym kaufen. Da mache ich mir nicht viel Hoffnung.«

Schweigen am anderen Ende.

»Dess, bist du noch da?«

»Ja, bin ich«, antwortete er. »Mir gefällt das nicht, Maria. Es sieht so aus, als würdest du schon wieder in etwas hineingezogen, das nicht kontrollierbar ist. Denk doch nur an die blutige Botschaft an deiner Tür!«

Ja, die Tür. Vor einem Jahr. Die Bilder von ihrer über und über mit Blut besudelten Eingangstür und den hunderten von Rosenblättern davor flammten in ihrer Erinnerung auf. Für einen Moment schloss sie die Augen, so als könne sie sie damit vertreiben.

»Maria?«

»Ja?«

»Möchtest du, dass ich vorbeikomme?«

Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.

»Weiß nicht.« Sie fuhr sich durchs Gesicht, um die alptraumhafte Szene endgültig zu verscheuchen.

»Ich könnte in einer halben Stunde bei dir sein.«

Und bleibst wahrscheinlich die ganze Nacht.

»Eigentlich wollte ich heute früh ins Bett. Bin ziemlich erledigt. Noch ein bisschen lesen und dann schlafen.«

»Kann ich dich mit einer entspannenden Rückenmassage überreden?«

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22 aralık 2023
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9783948916022
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