Kitabı oku: «Melody - Das Erwachen», sayfa 2
Kapitel 4
Der Gesang von Vögeln, reichlich Sonnenschein und Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee, der ihr in die Nase stieg, weckten Melody am nächsten Morgen. Sie erinnerte sich an das Angebot und an Ryan, der es ihr unterbreitet hatte und gab dem Drang nach, sich unter ihrer Decke zu verkriechen. Auch als es an ihre Tür klopfte, kam sie nicht aus ihrer wohligen Höhle hervor. »Komm' rein!«, rief sie dem Besucher von dort einfach zu.
Im Türspalt zeigte sich Jessicas fröhlich lächelndes Gesicht. »Guten Morgen! … Ist es auch sicher, wenn ich eintrete?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
Melody lächelte unter der Decke und schob sie langsam um ein kleines Stück zurück. »Es ist so sicher, wie es sicher ist«, murmelte sie vielsagend. Dann warf sie die Decke zurück, schob ihre Beine über die Bettkante und setzte sich. Sie stand auf und streckte sich gähnend mit hochgereckten Armen.
Sie begannen den Tag oft mit einem morgendlichen Gespräch und diskutierten über die Aufführung des Vorabends, bis hin zu den Mätzchen die Jessicas jüngere Geschwister wieder einmal angestellt hatten.
Im letzten halben Jahr hatte Melody die Russo-Familie so sehr ins Herz geschlossen, als wäre sie ihre eigene – und ihre Beziehung zu Jessica war mehr zu der einer älteren Schwester und besten Freundin geworden als alles andere. Schon langen schockten Melodys Narben weder Jessica noch deren Familie, wenngleich es für diese am Anfang nicht leicht gewesen war, immerzu auf die verfärbten und entstellten Bereiche zu starren.
Inzwischen wollte Jessica wegen des Schmerzes, den Melody erlebt und der Ungerechtigkeit, die sie erfahren hatte, nur noch weinen. Immer wieder hatte sie ihre neue Freundin zu überzeugen versucht, dass die Narben bei weitem nicht so schlimm waren wie diese glaubte.
»Jetzt sag' nur nicht, ich hätte schon wieder verschlafen. Hab' ich?«, fragte Melody, ihr zuzwinkernd.
»Nein! Na ja, … vielleicht ein ganz klein wenig«, schmunzelte Jessica. »Aber du kennst ja Mom. Sie hat für dich im Ofen etwas warmgehalten.« Sie warf sich auf Melodys Bett und seufzte einmal tief.
Auf dem Weg ins Bad blieb Melody stehen und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Wie mir scheint hat sich zumindest eine von uns beiden letzte Nacht gut unterhalten. Oder hab' ich mich in all den bedeutungsvollen Blicken getäuscht, die du mit Noah laufend ausgetauscht hast?«, erkundigte sie sich neugierig. »Ich war mir sicher, die Anziehung zwischen euch beiden jedes Mal körperlich zu spüren, wenn ich gut einen Yard von euch entfernt war.«
Jessica rollte sich zur Seite und stützte ihren Kopf auf ihre Hand. »Du meine Güte«, stöhnte sie. »Glaubst du, dass es auch anderen aufgefallen ist? Du weißt, wie ich es hasse, wenn sie sich das Maul zerreißen.«
»Da mach' dir mal keine Sorgen«, meinte Melody mit einem frechen Grinsen. »Und Noah kann damit gut umgehen, ganz gleich, was man ihm an Dreck vor die Füße wirft … Und was deine Frage anbetrifft: Oh ja, die Leute haben gestern Abend deutlich bemerkt, dass zwischen euch was vorgeht … Aber ist es dir nicht eigentlich völlig egal, was andere über dich denken?«
Jessica ließ sich wieder auf den Rücken fallen. »Ist es ja auch … Aber Noah interessiert mich wirklich … Ich weiß nicht, aber es könnte echt sein, dass ich mich in ihn verliebt habe … Ich will halt kleinen Klatsch über ihn, mich oder uns.«
Melody konnte das sanfte Lachen nicht unterdrücken, welches ihr zwischen den schmunzelnden Lippen entwich. »Aber Jessica, du bist im Show-Geschäft … Da wird es immer irgendwelchen Klatsch über diesen oder jenen geben. So beschissen das auch ist, du wirst daran nichts ändern können. Alles was du dagegen tun kannst ist, dir eine dicke Haut zuzulegen und dir selbst treu zu bleiben ... Komm, jetzt erzähl' mir mal, was ich am Ende auf der Party verpasst habe!« Durch die halb geschlossene Badezimmertür vernahm sie Jessicas Stimme, die ihr berichtete, wer zu tief ins Glas gesehen, sich überfressen und zu viel gequatscht hatte – vor allem aber darüber, wer mit wem anschließend nach Hause gegangen ist.
*
Wenngleich Melody ihrer Freundin zuhörte, wanderten ihre Gedanken zum gestrigen Abend in Ryans Wohnung zurück. Sie erinnerte sich daran, wie sie kaum, dass sie durch die Haustür eingetreten war, ihre überteuerte und mit reichlich Strasssteinen besetzte Handtasche auf das Polster des Sofas geworfen hatte, ehe sie sich ihm zudrehte und ihrer Wut freien Lauf ließ. »Wer zum Teufel glauben die beiden zu sein?!«
Sie hatte sich von seiner ausgestreckten Hand losgerissen und war emotional aufgeladen in das andere Ende des großen Salons gewandert, bevor sie sich ihm wieder ruckartig zugewandt hatte. »Denken die ernsthaft, ich würde meine eigenen Ambitionen über Bord werfen, um ihnen dann entgegenzurennen und ihr Angebot anzunehmen?! … Mein Gott, was glauben die denn? Soll das vielleicht bedeuten, dass sie endlich bereuen, wie sie mich vor Jahren behandelt haben? … Pah! Wer daran glaubt, muss völlig bescheuert sein! Ha …!« Sie legte eine Pause ein und nahm Ryan ein Glas Wein ab, als sie an ihm ein weiteres Mal vorbeikam. »Nun gut, … wie auch immer … Meine Antwort lautet: Nein. Schlicht und simpel: Nein! Besser jetzt als nie!«
Sie hatte sich auf das Ende des perfekt zum wollweißen Sofa passenden Ottomanen gesetzt und ihm, als er sich auf den Hocker neben ihr niederließ, das Glas entgegengestreckt, als Zeichen es noch einmal aufzufüllen. »Danke!«, hatte sie gemurmelt, ehe sie wieder aufgesprungen war, um den Pfad durch den Raum aufs Neue abzuschreiten. »Wenn die sich wirklich um mich gesorgt hätten, dann hätten sie sich gemeldet, angerufen … Ach, was rede ich denn nur … Sie hätten im Krankenhaus nach mir gesehen … oder mich besucht, während ich mich von einer dieser unzähligen Operationen erholte.« Sie schüttelte den Kopf. »Oh nein, das mache ich nicht! … Außerdem hab' ich eh schon reichlich andere Verpflichtungen und Projekte.« Als sie wieder zu ihm kam, hatte er sie sanft, aber mit Nachdruck, auf den Ottomanen gezogen.
Sie hatte so dagesessen, dass ihre Beine zwischen die seinen glitten und ihre Unterarme so auf ihre Oberschenkel aufgestützt, dass sich ihr Dekolleté gefährlich aus dem Ausschnitt drückte. Sie hatte bemerkt, dass es seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen war und direkt weitergesprochen: »Außerdem dürfen wir deinen Film nicht vergessen, den wir schon seit fast zwei Jahren planen. Und dann sind da noch die Drehbücher, die auf meinem ersten und zweiten Buch basieren. Jetzt, wo sie endlich fertig sind, bin ich sicher, dass bald mit der Produktion begonnen werden kann … Im Übrigen bat mich Edward Gleeson erst kürzlich, ein anderes Stück zu lesen, von dem er sicher ist, dass es ausgezeichnet zu mir passt …«
Sie erinnerte sich, dass ihre Stimme verstummt war, als sie ihren Kopf anhob, um ihm in die Augen zu sehen – und auch daran, dass er ihr das Glas abgenommen hatte und wie ihre Hände in seinen größeren, stärkeren verschwunden waren.
»Hey …! Du hast jetzt bereits ein Dutzend Mal deutlich Nein gesagt, seit ich dir von der Sache erzählt habe«, hatte er gesagt und ihr sanft die Finger gedrückt. »Wen versuchst du eigentlich damit zu überzeugen? Bei mir kannst du dir das sparen … Du weißt doch ganz genau, dass ich auf deiner Seite stehe, ganz gleich wie du dich entscheidest. Und obwohl das gerade nicht der richtige Zeitpunkt ist, um es zur Sprache zu bringen: Ich liebe dich, Melody! … Nein, nein, … sag' noch nichts …« Er hatte ihr zwei Finger auf die Lippen gelegt, als sie ihm ins Wort fallen wollte. »Ich bin schon seit Jahren in dich verliebt, und nichts, was du sagst oder tust, wird meine Gefühle für dich ändern, hörst du? … Du musst nur etwas sagen und ich bringe dich gleich Morgen nach Kalifornien zurück … Und wir vergessen, dass Maisie das Thema überhaupt jemals angesprochen hat. Okay?«
Sie dachte daran, wie sie ihm in seine himmelblauen Augen gestarrt hatte, und daran, dass keine Schatten und Stürme das Bild auch nur im Geringsten trübten. Er war der beste Freund, den sie seit langem hatte. Oh nein, Ryan, du bist der beste Freund, den ich jemals hatte. Wieviel Lächeln und Lachen haben wir bereits miteinander geteilt.
Da waren auch Zeiten gewesen, in denen sie kurz davor war, ihn zu fragen, ob er nicht an mehr als nur Freundschaft interessiert war. Aber dann hatte sie sich eingestehen müssen, dass es immer Zeiten waren, in denen die Einsamkeit für sie schier unerträglich geworden war und sich deshalb danach sehnte, jemand neben sich zu haben, wenn einer ihrer Albträume sie mal wieder aus dem Schlaf riss.
Oft hatte sie sich gefragt, warum sie diese tiefblauen Augen derart verfolgten, die es immer wieder schafften mit ihrer samtigen Weichheit bis in ihr tiefstes Inneres vorzudringen und sie zu erregen.
*
Melody dachte nicht mehr über den gestrigen Abend mit Ryan nach und war überrascht, als sie feststellte, dass sie so in ihre Gedanken vertieft gewesen war, dass sie sogar in der Bewegung innegehalten hatte, als sie sich die Haare bürstete. Sie wandte sich vom Spiegel ab und setzte sich auf die geschlossenen Toilettenbrille. Plötzlich erinnerte sie sich blitzschlagartig an einen anderen Vorfall, an dem Ryan beteiligt war.
Er lag bereits einige Monate zurück. Es war bevor sie nach New York flog, um mit den Proben für ihr aktuelles Stück zu beginnen, als sie mit ihm in seinem Pool in Kalifornien war. Das Telefon hatte geklingelt und er war aus dem Becken gestiegen, um das Gespräch anzunehmen. Jetzt wo sie sich daran erinnerte, kam es ihr vor, als hätte sie es aus irgendeinem Grund tief in ihrem Unterbewusstsein vergraben. Während er außerhalb des Pools mit jemandem telefonierte, war ihr Blick unbewusst über seine gebräunte, breite Brust, seinen flachen Bauch, die festen Pobacken und schließlich über die sehr betörende Wölbung seiner nassen Badehose gehuscht. Und sie erinnerte sich daran, dass sie ihn und diese Stelle nicht nur einmal gemustert hatte. In der Tat hatte sie ihre Augen immer wieder über seine muskulöse Brust hinabgleiten lassen. Als er schließlich zum Pool zurückgekehrt war, hatte sie ihn zu einem kindlichen Wasserspiel herausgefordert.
Sie war schockiert, als ihr bewusst wurde, dass sie selbst dieses ›unschuldige‹ Spiel begonnen hatte. Sie dachte daran, wie eifrig ihre Hände nach Wegen gesucht hatten ihn zu berühren und sie das Spiel auf eine Weise erregte, wie sie es schon lange nicht mehr gefühlt hatte, bis sie es schließlich beendete.
Dann drangen auch wieder Jessicas Worte an ihre Ohren, die gerade über etwas oder jemanden sprach. Immer noch verwirrten sie ihre unerwarteten Erinnerungen und war geschockt, über die Intensität ihrer Gefühle. Die gleichen Gefühle, die sich gestern Abend nach der Party in seiner Wohnung, so nahe bei ihm sitzend, ihrer bemächtigt hatten. Sie erinnerte sich daran, dass sie diese Empfindung veranlasst hatte, ihre Augen zu senken und auf ihre gefalteten Hände zu blicken. Und in diesem Augenblick kehrten ihre Gedanken zum gestrigen Abend zurück.
»Ich wünschte bei Gott, du hättest mir das bereits vor einer Woche gestanden … Schon ein Tag hätte einen Unterschied gemacht!« Behutsam, aber beharrlich, hatte sie sich aus seinen Händen befreit und war aufgestanden. Sie war zur Fensterfront hinübergegangen, die des Nachts ein so beeindruckendes Bild auf Manhattan ermöglichte. »Jetzt von dir zu hören, dass du mich beschützen würdest, zeigt mir, dass ich mich endlich meinen Dämonen stellen muss. Ich kann einfach nicht mein restliches Leben vor ihnen davonlaufen …« Sie seufzte hörbar. »Ich bin bereits viel zu lange geflüchtet … viel zu lange!«
Wieder kehrte sie aus ihrer Gedankenwelt in die Realität zurück und wurde sich erneut ihrer lieben Freundin bewusst. »Ich werde mich meiner Familie stellen! … Ich muss einfach wissen, ob sie mich wirklich verlassen haben, oder ob es stimmt, was einer meiner schlauen Ärzte meinte, ich sie so weit von mir geschoben habe und diejenige war, die ablehnte, um mich gar nicht erst der Gefahr auszusetzen, von ihnen gar nicht erst abgelehnt zu werden. Vielleicht habe ich das Feuer ja tatsächlich nur dazu benutzt, meiner Familie zum ersten Mal im Leben zu entkommen.«
*
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Jessicas Stimme sie vom Schlafzimmer aus rief. »Es tut mir leid, Jessica. Was hast du gesagt?«
»Ich habe nur nach deinen Plänen für den heutigen Tag gefragt. Bist du mit Mr. Sutherland verabredet?«
Lachend kam sie aus dem Bad. »Weißt du eigentlich, dass du das unglaubliche Talent besitzt, die harmlosesten Worte so zusammenzusetzen, dass sie alles andere als das klingen?!« Sie warf ihr Handtuch auf ihre kichernde Freundin, die noch immer auf dem Bett lag.
»Nun, ich muss zugeben, dein Mr. Sutherland ist wirklich nett und für sein Alter ein Bild von einem Mann, Melody.« Jessicas Zusatz ›für sein Alter ein Bild von einem Mann‹ führte zu einer altmodischen Kissenschlacht, die das Eingreifen ihrer Mutter erforderlich machte, um die Dinge nicht völlig entgleisen zu lassen und wieder in halbwegs normale Bahnen zu lenken.
***
Kapitel 5
Vierundzwanzig Stunden später betrat Melody in Begleitung ihrer Agentin Maisie Swanbeck das Gebäude, in dem die ›A Sunny Place‹-Show gedreht wurde. Als sie durch die Korridore schritt, die seit ihrem letzten Besuch zwar gleichgeblieben waren, bemerkte sie all die kleinen Änderungen, die man an den Büros und im Atelier vorgenommen hatte, um sie moderner, vor allem aber auf dem neuesten Stand zu halten.
Sie erinnerte sich an die Sitzungsräume, Hallen, Ateliers und anderen Räume, in denen sie schon als Kind gespielt hatte. Die heutige Besprechung würde im großen Konferenzraum im zweiten Stock stattfinden. Er war der imposanteste der insgesamt drei Besprechungszimmer, mit riesigen Glasfenstern, die einen Blick auf das Hauptstudio boten, in dem zumeist gedreht wurde. Sie war nur noch wenige Yards von dessen Tür entfernt, als diese plötzlich aufschwang.
Melody erblickte ihren Vater in einem grauen, dreiteiligen Anzug, nur wenig älter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sein früher einmal blauschwarzes Haar war silbriggrau geworden und sein Gesicht zeigte genau die Art Charakter, der ihn für die weiblichen Zuschauer der Show so anziehend machte. Er war noch immer sehr attraktiv, und sie vermutete, dass er regelmäßig im Fitness-Studio auf einer anderen Etage des Gebäudes trainierte. Sie registrierte das Zögern in seinen tiefbraunen Augen, so als wäre er sich nicht ganz sicher, was er ihr, seiner eigenen Tochter in diesem Augenblick sagen sollte.
»Hallo, Dad, gut siehst du aus«, übernahm sie daher die ersten Worte, wobei sie ihre eigenen Gefühle herunterschluckte und ihm die rechte Hand entgegenstreckte. Sie fühlte sich durch die Unentschlossenheit und das Zögern in seinem Blick bestätigt, bevor er es durch ein sanftes Lächeln überdecken konnte und die von ihr angebotene Hand nahm.
Langsam ließ Owen Tyrrell die Hand seiner jüngsten Tochter los.
Dann folgte sie seinem starren Blick, der auf ihre nun gefalteten Hände gerichtet war, die von weichen Wildlederhandschuhen bedeckt waren, die in Farbe und Material perfekt zu dem jägergrünen Zweiteiler passten, der ihre Figur umschmeichelte und glänzend zur Geltung brachte. Sie hatte ihn sich vor einiger Zeit von einem Designer in Italien maßschneidern lassen, was bekanntermaßen nicht gerade preiswert war.
»Du siehst wunderbar aus, Melody«, murmelte er halblaut. »Ich freue mich sehr, dass du unser Angebot angenommen hast …« Er stockte ungeschickt in seinen Worten und konnte den Ausdruck der Erleichterung nicht verbergen, als er sanft zur Seite geschoben wurde und seine achtundvierzigjährige Frau die Situation übernahm.
Melody hielt ihre kühle Fassade aufrecht, bis ihre Mutter sie herzlich umarmte.
»Melody, ich weiß, dass in der Vergangenheit viele Fehler begangen wurden, und ich kann nur hoffen, ja beten, dass du diese Fehler verzeihen kannst, Melody«, flüsterte Michelle ihr leise zu, während sie sie an sich gedrückt hielt. »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir wieder eine Familie werden können.« Sie machte eine Pause und strich ihr sanft über die Wange. »Bitte glaub' mir das. Selbst wenn du Nein sagst und uns nicht helfen magst, möchte ich den Kontakt zu dir nicht verlieren.« Dann trat sie zwei Schritte zurück und sagte mit lauterer Stimme. »Hallo, Melody! Hübsch siehst du aus.« Sie lächelte. »Ich kann da tatsächlich noch immer etwas von der kalifornischen Sonne in deinem Gesicht erkennen. Ich hoffe, dass du die Monate in New York genossen hast.«
Melody sah, wie Michelle sich ihrer Agentin zuwandte und dieser zur Begrüßung die Hand anbot.
»Es ist schön, Sie wiederzusehen, Maisie. Ich verstehe, dass Sie in den letzten Jahren zum Jetsetter geworden sind ... Stimmt es, dass Sie inzwischen zahlreiche Kunden an beiden Küsten und sogar in Europa haben?«
»Ja, Michelle, das stimmt«, erwiderte Maisie. »Und das verdanke ich alles Melody. Sie hat mich auf ihrem Zug des Erfolgs und Ruhm mitgezogen. Dank ihr habe ich gerade Rafail Esposito und Gabriela Romano unter Vertrag nehmen können.« Sie lächelte Melody an, als sie die beiden am schnellsten, aufstrebenden Stars der europäischen Filmindustrie erwähnte. »Melody hat sie mir vorgestellt und von den beiden erfahren, dass sie nach jemandem Ausschau halten, der ihnen hilft, ihre Karriere in den Staaten und Europa zu managen.«
»Da kann man nur hoffen, dass sie dich nicht feuern, wenn du ihre stürmische Affäre beendest, die sie gerade ausleben, Maisie!«, bemerkte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Melody und Maisie drehten sich um und sahen Leslie auf sich zukommen.
Leslie Tyrrell hatte das attraktive Aussehen seines Vaters, aber es schien, als hätte er nichts von seiner Boshaftigkeit verloren, die sich erst nach seiner Heirat entwickelt hatte.
Melody präsentierte ihrem Bruder ihre überlegenen schauspielerischen Fähigkeiten und lachte fröhlich, als sie Maisie freundschaftlich einen Arm um die Hüfte legte und für sie Partei ergriff. »Oh, es gibt keinen Grund, sich um Maisie zu sorgen, Leslie! Sie kann es sich mittlerweile leisten reihenweise Leute abzulehnen, weil sie so gut ausgelastet ist … Und nur, um dich in ein kleines Geheimnis einzuweihen …« Sie zog ihre Agentin noch enger an sich und lächelte verschwörerisch. »Sie hat sie mit dem Vertrag derart geknebelt, dass Rafail und Gabriela nicht in der Lage sein werden, sich zu trennen.« Sie legte eine theatralische Pause ein, ehe sie eine Information aufdeckte, für die viele Journalisten getötet hätten. »Nur falls du es nicht weißt: Die beiden sind seit fast zehn Jahren verheiratet und haben mehrere niedliche Kinder adoptiert. Ich habe letztes Jahr einige Wochen auf ihrem Weingut in Frankreich verbracht und trotz vier Kindern und einer Vielzahl an Hunden und Katzen, war es der friedlichste Urlaub, den ich seit Jahren hatte.«
Leslie lächelte schmal, als seine Frau Geena, die immer noch extrem schlank und anmutig war, sich ihnen anschloss. Ihr langes, dunkelbraunes Haar war am Hinterkopf zu einem schicken französischen Zopf hochgesteckt.
Melody wusste, dass die beiden keine Kinder hatten und auch warum. Mehrfach hatte Geena erklärt, dass sie solange nur irgend möglich ihre Figur behalten wollte, damit sie weiter schauspielern und deutlich jünger aussehen konnte, als sie es tatsächlich war. Auch war es offensichtlich, dass ihr feines Seidenkleid niemals neugierigen und oft schmutzigen kleinen Händen standhalten würde. Sie spürte eine wohlige Wärme, als sie sich an ihre Freunde und deren Kinder erinnerte, die sie in ihren Herzen und ihrem Zuhause willkommen geheißen hatten. Und sie lächelte still in sich hinein, wenn sie daran dachte, wie sehr es ihr gefiel, wenn sie von den Kleinen mit ›Tante Melody‹ gerufen wurde. Wie aus dem Nichts kam in ihr der Gedanke auf, Ryan zu einem Besuch in Frankreich zu verleiten und seine Reaktion auf die vier Kinder zu beobachten.
»Wenn ich mich nicht irre, ist das ein Originaldesign von ›Valentino‹, nicht wahr?«, bemerkte Geena und riss Melody aus ihrer Träumerei.
Melody gewahrte den neidischen Blick in den Augen ihrer Schwägerin, den diese nicht unterdrücken konnte. ›Valentino‹ war so exklusiv, dass es sehr schwierig war, ihn überhaupt für sich zu gewinnen. Die alte Feindseligkeit ist also immer noch da, dachte Melody bei sich und erinnerte sich daran, wie Geena sie schon früher ohne Gnade gepiesackt hatte. Nein, Geena ist weder die Zeit noch die Mühe wert, entschied sie im Stillen. »Das stimmt, auch wenn es nicht wichtig ist, Geena!«, entgegnete sie. »Ich habe ihn getroffen, während ich an diesem Film zum Thema Aids arbeitete, wie die Krankheit das Leben vieler Menschen zerstört, ja selbst das des Umfelds, das nicht erkrankt ist. Einer seiner engen Mitarbeiter hatte das Buch dazu geschrieben, auf dem der Film basiert, und sie waren oft in dem Hospiz, wo wir einige Szenen abdrehten.« Sie wandte sich an Maisie, die ihn ebenfalls am Set getroffen hatte. »Ich habe ihn erst neulich besucht, und er hatte das Gefühl, dass es Matteo endlich etwas besser geht.« Sie lächelte ihre Freundin an. »Aber gut, genug davon … Glaubst du, wir könnten zur eigentlichen Angelegenheit zurückkommen?« Für einen kurzen Moment war sie geneigt zu erklären, dass sie im weiteren Verlauf des Tages noch andere Verpflichtungen hatte, auch wenn es nicht stimmte. Doch dann hielt sie sich zurück und beschloss, dass es an der Zeit war, das kindliche Benehmen abzulegen – ganz gleich was nun gesagt wurde oder wer es sagte.
»Natürlich, Melody, Liebes«, brachte sich ihre Mutter anmutig wie immer ein. »Du kennst ja alle anderen Anwesenden hier.«
Erst jetzt bemerkte Melody, dass ihre ältere Schwester Veronica und deren Ehemann Jeff Cronenberg bereits am Konferenztisch Platz genommen hatten. Neben den beiden saßen die Schwester ihres Vaters Becky und deren Mann, Richard Anderson, beidseits von ihren zwei anderen Brüdern, Robert und Georg, flankiert. Sie vermisste Cathrine, Roberts Frau, die als Autorin für die Show arbeitete.
Robert begegnete ihrem Blick. »Sie wollte hier sein, Melody, aber unsere beiden Kinder sind krank. Windpocken. Geht schon die ganze Woche.«
Unwillkürlich musste sie über den Ausdruck lachen, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete.
»Ich weiß, was sie durchmacht. Zwei von Gabrielas Kindern hatten sie, während ich bei ihnen war, und es war eine ziemlich lehrreiche Erfahrung für mich.«
»Denkst du, dass du vielleicht …«, setzte Robert mit einem Lächeln in seinen Augen und seiner Stimme an.
Über den Tisch hinweg ergriff sie die Hand ihres jüngeren Bruders. »Ich würde dir und Cathrine gerne helfen. Da die Vorstellungen in New York beendet sind habe ich ein wenig Zeit … Und ich habe entdeckt, wie sehr ich Kinder liebe, sogar kranke.«
»Das wundert mich nicht im Geringsten, da du dich ohnehin schon immer wie ein Kind verhalten hast«, meldete sich aus der schattigen Ecke des Zimmers darauf eine Stimme, die sie seit neun Jahren nicht mehr gehört hatte.
»Stuart, bitte ...«, mahnte Geena.
Als er in das Licht des Raumes trat, sah Melody ihren Ex-Verlobten – den Mann ihrer mädchenhaften Fantasien, der sie nach dem Feuer einfach sitzengelassen hatte, nachdem er wusste, welch hässliche Narben sie zurückbehalten würde. Oh ja, dachte sie bei sich, du hast alles: Aussehen, Talent und jetzt sogar Geld. Dein kohlschwarzes Haar, deine Größe und dein schlanker, durchtrainierter Körper haben ausgereicht, um dich zur Nummer eins zu machen. Ich bin überrascht, dass du so lange bei der Show geblieben bist. Immerhin ist es ein offenes Geheimnis, dass du dir eine Wunschliste für quasi jede andere Seifenoper schreiben kannst. Sie schmunzelte in sich hinein. Aber eines ist dir dann doch versagt geblieben: Der Erfolg in der Filmindustrie, den du so verzweifelt wolltest! Sie lächelte, als sie sich des einzigen Films erinnerte, den er je gedreht hatte. Sie war sich absolut sicher, dass die beiden, die damals zwei Reihen von ihr saßen, die einzigen waren, die das Stück am Premierentag im Kino ganz in der Nähe ihres Hauses überhaupt gesehen hatten.
Wenn sie ihn bereits vor fünfzehn Jahren, als er zum ersten Mal in der Show auftrat, für verheerend attraktiv gehalten hatte, so war das heute mehr denn je der Fall. Aber das Bemerkenswerte war, dass sie davon nichts spürte. Vielleicht sollte ich für all die jahrelangen Therapien doch dankbar sein, dachte sie, als Stuart in den Raum vortrat. In diesen hatte sie entdeckt, wer sie wirklich, wer ihre Freunde waren und wie grausam die Welt sein konnte.
Trotz ihrer Narben, der vielen Hauttransplantationen, der immensen Schmerzen und der Einsamkeit, erkannte sie, dass sie mit dem kleinen Mädchen, das sie vor dem Feuer gewesen war, nichts mehr gemein hatte – das kleine Mädchen war für immer verschwunden. Jetzt war sie stärker und selbstbewusster wie nie zuvor. Sie war erwachsen geworden, hatte ihre eigenen Freunde, ihren eigenen Erfolg und vielleicht würde sie eines Tages auch wieder lieben.
Als sie seinen stürmischen blauen Augen begegnete, atmete sie tief ein, lächelte ihn an und fühlte sich ausgeglichen und stark. »Wie recht du doch hast, Stuart«, erwiderte sie kühl, wobei sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. »Ich war ein sehr verzogenes Kind, nicht wahr? Ganz die kleine Prinzessin, immer darauf aus, dass Dinge auf meine Art und Weise erledigt wurden oder gar nicht.« Sie wandte sich wieder ihren Eltern zu, denen die Fassungslosigkeit infolge dieses Zugeständnisses ins Gesicht geschrieben stand. »Ich beschuldige euch gar nicht, etwas falsch gemacht zu haben ... Es war einfach so, dass alle einen unheimlichen Wirbel um mich als Kind gemacht haben, dass ich einfach alles als mein Recht angesehen habe.« Melody spürte eine wohlige Wärme in ihrem Herzen, als sie die Worte laut aussprach. Es ist alles so wahr, dachte sie bei sich, und jetzt kann ich endlich die Vergangenheit hinter mir lassen. Sie ergriff die Hände ihrer Eltern. »Was geschehen ist, ist geschehen, und wir können es nicht mehr ändern. Alles was wir können, ist nach vorne zu schauen … in die Zukunft und abzuwarten, was passieren wird. Also machen wir uns an die Arbeit.«
*
Stuart beobachtete, wie Melody alle am Tisch Sitzenden manipulierte und nach ihrem Willen lenkte. Dabei stellte er ironisch fest, dass der einzige freie Platz genau gegenüber ihrem Vater lag, der am Kopfende des Tisches saß. Trotz allem, was sie vortrug, glaubte er ihr nicht ein einzelnes Wort. Schon im Vorfeld hatte er Nein gesagt und darauf aufmerksam gemacht, dass es falsch sei, sie dazu zu bewegen zurückzukommen. Er hatte darauf bestanden, dass sie auch einen anderen Weg finden könnten, um die sinkenden Einschaltquoten der Show wiederzubeleben und erklärt, dass es ein Fehler sei, ihr nachzulaufen, wo sie doch jetzt ›Everybody's Darling‹ beim Film und Theater war. Obwohl sie seit dem Verlassen der Show vor neun Jahren nicht mehr fürs Fernsehen gearbeitet hatte, gab es niemanden, der ihren Namen oder ihr Gesicht nicht kannte.
Als er vor fünfzehn Jahren seinen ersten Auftritt in der Show hatte, war sie eine Wucht gewesen. Er hatte schnell festgestellt, dass, wenn er mehr als nur ein x-beliebiger Schauspieler sein und nicht auf der Strecke bleiben wollte, in die Familie einheiraten musste. Aber da ihre ältere Schwester Veronica bereits verheiratet war, blieb ihm nur sie. Selbst jetzt, wo er seine Blicke über ihre glatten, fast perfekten Gesichtszüge huschen ließ, musste er sich eingestehen, dass sie noch immer eine Wucht war, obwohl ihre Kleidung all die Narben bedeckte, von denen er wusste, dass sie immer noch vorhanden waren.
Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte er von Melodys Ärzten recht anschaulich erfahren, wie die Narben aussehen würden und was ihm noch wichtiger war, was durch plastische Chirurgie rekonstruiert werden konnte und was nicht. Und obwohl ihn der Gedanke an die Narben auch heute noch abstieß, musste er zugeben, dass ihr Körper das Versprechen seiner Jugend erfüllt hatte.
Mit fünf Fuß sechs war Melody die kleinste im Raum, aber sie machte ihren Mangel an Größe mit einem fast perfekten Körper mehr als wett. Ihre langen, glänzendroten Haare fielen ihr wie ein Wasserfall fast bis zur Taille. Ihr Gesicht war als klassisch schön zu bezeichnen und ihre katzenhaften Augen deuteten in ihrer grüngoldenen Intensität und Form, auf ein tiefes unberührtes, leidenschaftliches Naturell hin. Im Gegensatz zu all den magersüchtigen Frauen ähnelte sie einem ›Peter Paul Rubens-Gemälde‹. Sie war eine prachtvolle Frau mit vollen Brüsten, schmaler Taille und göttlich abgerundeten, gebärfreudigen Hüften – eine Frau, der Gott alles geschenkt hatte, um sie zu einer liebreizenden Erscheinung zu machen.
Stuart spürte einen schmerzhaften Schlag in seinem Unterleib, als er feststellte, dass er sie immer noch begehrte. Für ihn repräsentierte sie so viele Dinge, und nicht nur seine ehemalige Verlobte. Sie war seine feste Verbindung zur Familie und zur Show gewesen. Und jetzt, wo sie ausgezeichnete Verbindungen in die Filmwelt hatte, wäre sie noch sehr viel wertvoller für ihn geworden. Auch ihre neuentdeckte Reife und das Selbstvertrauen, von dem sie nie etwas gezeigt hatte, als er sie zum letzten Mal sah, faszinierten ihn. Dennoch konnte er sich nicht helfen. Er traute ihr nicht und hätte sich nicht einmal darüber gewundert, wenn sie hier allen etwas vormachte. Vielleicht war sie noch immer wütend darüber, wie er und ihre Familie sie behandelt hatten und plante eine Art von Rachefeldzug.
»Setz' dich, Stuart, damit wir anfangen können!«, brachte ihn Owens Stimme mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. »Wir wollen Melodys Ideen hören.«