Kitabı oku: «Das Leben der Wanderhuren»
Walter Brendel
Das Leben der Wanderhuren
Eine Betrachtung über Huren und Mätressen und die Haltung der Kirche
Impressum
Texte: © Copyright by Walter Brendel
Umschlag: © Copyright by Walter Brendel
Verlag:
Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag
Gunter Pirntke
Mühlsdorfer Weg 25
01257 Dresden
gunter.50@gmx.net
Inhalt
Impressum
Einleitung
Leben im Mittelalter
Frauen im Mittelalter
Bäuerinnen
Städterinnen und berufstätige Frauen
Kleidung der Frauen
Zwischen Körperpflege und Prostitution in der Badestube
Sexualität im Mittelalter
Die Prostitution im Mittelalter
Beruf: Hure
Die Soldatendirnen
Die Prostitution in Badehäusern
Die freie städtische Prostitution
Die Wanderhuren
Prostitution und Kirche
Definition zur Prostitution
Der Arbeitsplatz der Huren
Die Frauenhäuser
Huren und Mätressen
Zusammenfassung
Quellen
Einleitung
Es handelt sich hier um keinen Roman, es ist auch keiner neuer Teil aus dem Romanzyklus der Wanderhure von Iny Lorentz. Aber dieser Roman ist die literarische Vorlage, denn wir wollen hier die historischen Hintergründe aufzeigen, welche das Leben der Wanderhure im Mittelalter ausmachte.
Gab es denn wirklich Wanderhuren oder sind sie ein Produkt der literarischen Freiheit des Autorenehepaars des Wanderhuren-Zyklusses? Um es vorwegzunehmen, es gab sie, denn die Huren sind so alt, wie die Sexualität selbst. Nicht umsonst spricht man vom „Ältesten Gewerbe“. Die Huren selbst wurden natürlich auch wieder in Kategorien aufgeteilt, wobei die der Wanderhuren einen relativ hohen Anteil hatten. Vom „willigen Mägden“ die zuerst dem Hausherrn und dann den heranwachsenden Söhnen die Freuden der Liebe nahe brachten und die nicht selten als Wanderhuren endeten, über frustrierte Ehefrauen (die es auch heute noch gibt und die ordentlichen Hausfrauen-Sex versprechen) bis hin zur gehobenen Mätresse reicht die Palette.
Bei einem Hamburger Prozess des Jahres 1483 unterschied man drei Kategorien des Hurentums: Straßen-, Mühlen- und Bäderprostitution. (Die Mühlen z.B. waren im Mittelalter die heimlichen Orte, die erotische Abenteuer versprachen.)
Hurentum bzw. Prostitution ist in praktisch in jeder Kultur zu finden. Die gesellschaftliche Bewertung der Prostitution ist von kulturellen, ethischen und religiösen Werten abhängig und unterliegt einem starken Wandel.
Schon im Altertum, so zum Beispiel in Babylon und bei den Phöniziern in Tyros, existierte vor mehr als 3000 Jahren die so genannte Tempelprostitution.
Frauen vollzogen dort sexuelle Handlungen gegen „Geschenke“ an den Tempel oder Opfergaben für die Gottheit. Dies stand jedoch immer in einem kultischen Zusammen-hang und galt als den Göttern wohlgefällig. Im Gilgamesch-Epos 6. Tafel Verse 5 bis 79 sieht Albert Schott eine Kritik an den Auswüchsen der kultischen Prostitution.
Die Prostitution in der Antike unterscheidet sich trotz vieler Gemeinsamkeiten von der Prostitution in anderen Epochen. Im antiken Griechenland ist besonders die Einteilung in eine Unterschichtenprostitution und eine in der heutigen Wissenschaft recht umstrittene Oberschichtenprostitution von Hetären zu erkennen. Für Rom indes ist auffällig, dass es so gut wie keine hochpreisige Prostitution gab. Anders als viele an-dere Kulturen lehnten weder Griechen noch Römer männliche Prostitution ab, auch wenn sie nicht immer gern gesehen war. Prostituierte waren besonders häufig Sklaven, Sklavinnen und Freigelassene. Für das antike Griechenland ist vor allem die Situation in Athen relativ gut überliefert, sonst ist die Quellenlage recht dürftig. In römischer Zeit ist vor allem die frühe Kaiserzeit umfangreich durch historische Quellen zu rekonstruieren.
Im Alten Testament wird Prostitution sowohl als kultische als auch als Erwerbsprostitution erwähnt, zum Beispiel Spr 6,26 EU. Die Prostitutionsverbote Lev 19,29 EU und Dtn 23,18 EU beziehen sich nur auf kultische Prostitution. Es wird als naheliegend angesehen, dass ein Witwer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nimmt. Dies wird von Tamar, der Schwiegertochter Judas', ausgenutzt, die sich prostituiert, damit Juda die ihr vorenthaltene Leviratsehe an ihr vollzieht (Gen 38,12–30 EU).
Der dabei gezeugte Sohn Perez und seine Mutter Tamar werden im Neuen Testament als Vorfahren Jesu in seinem Stammbaum genannt (Mt 1,3 EU). Neben Tamar findet sich mit Rahab noch eine weitere Frau im Stammbaum Jesu, die üblicherweise als Prostituierte gedeutet wird (Jos 2 EU; Mt 1,5 EU).
Mann und griechische Hetäre vor dem Geschlechtsverkehr; Rotfigurige Oinochoe des Schuwalow-Malers, um 430/420 v. Chr.
Im Neuen Testament wird berichtet, dass Jesus mit Prostituierten sowie mit allen gesellschaftlichen Außenseitern einen respektvollen Umgang pflegte (Lk 7,36–50 EU). In den Paulusbriefen wird Prostitution verworfen (1 Kor 6,15f EU).
Die Aufstellung kann man beliebig fortsetzen, aber unser historischer Zeitrahmen ist ja das Mittelalter, wo auch Marie Schärer - Protagonistin des Buches „Die Wanderhure“ angesiedelt war.
Leben im Mittelalter
Die Epoche unseres Buches ist geprägt vom Spätmittelalter: Das Spätmittelalter, etwa 1250 bis 1500 wird durch Bürgertum, die allmählich aufkeimende Wissenschaft und dem Ausbruch etlicher Seuchen, wie etwa der Pest, gekennzeichnet.
Auch die Gesellschaft kann grob in drei Stände unterteilt werden. Zu Oberst standen der Feudaladel über den Bürgern der Städte und dem Klerus. Auf der untersten Stufe kamen schließlich die Kaufleute und Bauern. Einen gesonderten Status galt den „Unehrliche“ wie Henker, Huren, Abdecker oder Totengräber, die von der Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen wurden.
Die Erfindung des Buchdrucks, der schwindende Einfluss der Kirche und die Entdeckung des amerikanischen Kontinentes durch Columbus läuteten das Ende des Mittelalters und mit der Renaissance, den Beginn der Neuzeit ein.
Um 1300 breitete sich Hungersnöte und Seuchen wie die große Hungersnot 1315–1317 und der Schwarze Tod 1347–1353 aus und reduzierten die Bevölkerung auf etwa die Hälfte. Soziale Erhebungen und Bürgerkriege führten in Frankreich und England zu schweren Volksaufständen (Jacquerie und Peasants’ Revolt), und zwischen diesen beiden Staaten brach der Hundertjährige Krieg aus. Die Einheit der Kirche wurde durch das Große Schisma erschüttert. Am Ende der Kreuzzüge (1095–1291) war das Byzantinische Reich zu einer unbedeutenden Regionalmacht herabgesunken, der Islam herrschte nach seiner Expansion über das Gebiet von Spanien bis Zentralasien. Der 200 Jahre dauernde Konflikt hatte die Kriegsführung und auch die Gesellschaft verändert. Die Verlierer jener Ära waren vor allem die Lehnsherren und das Rittertum. Doch auch Papsttum und Kaisertum mussten Autorität einbüßen.
Die Gesamtheit dieser Ereignisse wird oft auch Krise des Spätmittelalters genannt, wenngleich dieses Modell inzwischen umstritten ist.
Andererseits war das 14. Jahrhundert auch eine Zeit des künstlerischen und wissenschaftlichen Fortschritts. Die Wiederentdeckung der Texte des alten Griechenlands und Roms führten zu dem, was die Zeitgenossen Renaissance nannten, zur „Wiedergeburt“ des antiken Geisteslebens und seiner Rezeption. Diese Entwicklung hatte schon mit dem Kontakt zu den Arabern während der Kreuzzüge begonnen und sie beschleunigte sich mit der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich, vor der viele byzantinische Gelehrte in den Westen, insbesondere nach Italien, flohen. Die Erfindung des Buchdrucks hatte enormen Einfluss auf die europäische Gesellschaft. Sie erleichterte die Verbreitung des Geschriebenen und demokratisierte das Lernen, eine wichtige Voraussetzung für die spätere protestantische Kirchenrefomation. Der Aufstieg des Osmanischen Reiches bis zum Fall Konstantinopels 1453, der Hauptstadt des Byzantinischen Reiches im selben Jahr, in dem auch der Hundertjährige Krieg endete, hatte die Verkehrswege nach Osten abgeschnitten, doch Kolumbus’ Entdeckung Amerikas 1492 und Vasco da Gamas Umsegelung des afrikanischen Kontinents 1498 öffneten neue Handelsrouten und stärkten Macht und Wirtschaftskraft der europäischen Nationen. Die Gewinner waren Händler und Handwerker, Bankiers und Ratsherren, die im Schutz der Städte ein zunehmend freies, von weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten unabhängigeres Leben führen konnten. Epochale Ereignisse waren schließlich auch der Beginn der Reformation (1517) und der Deutsche Bauernkrieg (1525/26).
All diese Entwicklungen zusammengenommen erlauben es, für die Jahrzehnte um 1500 vom Ende des Mittelalters und vom Beginn der Neuzeit zu sprechen. Dabei ist anzumerken, dass diese Einteilung immer etwas willkürlich bleibt, da das antike Wissen niemals ganz aus der europäischen Gesellschaft verschwunden war, sondern es gab vielmehr seit der klassischen Antike eine gewisse Kontinuität. Zudem bestan-den erhebliche regionale Unterschiede. So ziehen es einige Historiker, speziell in Italien vor, nicht vom Spätmittelalter zu sprechen, sondern die Renaissance des 14./15. Jahrhunderts als direkten Übergang zur Neuzeit anzusehen.
Am 18. Mai 1291 nahmen moslemische Armeen Akkon, die letzte christliche Festung im Heiligen Land, ein. Dieses Ereignis bedeutete nur noch formal das Ende der Kreuzzüge. Schon lange zuvor hatte sich die Lage des „Abendlandes“ verändert. Die Kreuzzüge schufen die Voraussetzung für kulturelle und wirtschaftliche Kontakte mit Byzanz und den weiter östlich gelegenen islamischen Gebieten. Byzanz war der Marktplatz, auf dem es praktisch alles gab, und Europa lernte neue Handelswaren kennen, Seidenstoffe, Gewürze, Obst und Spiegel aus Glas. Die meisten Güter waren nur für die reichen Europäer erschwinglich, doch mit dem Handel und Transport ließ sich Geld verdienen. Die neu erwachte Geldwirtschaft war noch jung, in Oberitalien entstanden die ersten banche, die Stuben der italienischen Geldwechsler und Kre-ditverleiher, schließlich die großen Handelskompanien – Gesellschaften, die internationalen Handel und Produktion im großen Stil finanzierten, und dafür vom Staat oftmals besondere Privilegien und Monopole erhielten.
Die größten Finanziers bezahlten sogar die Kriege der Herrschenden. Familien wie die deutschen Fugger, die italienischen Medici und die de la Poles in England erreichten enorme politische und wirtschaftliche Macht.
Doch die Wirtschaft konnte nicht allein auf den Importen beruhen, es entstand auch reger Export nach Osten: Europäische Händler schickten Schiffsladungen mit Wollstoffen, Korn, Flachs, Wein, Salz, Holz und Fellen in den Orient. Die Tatsache, dass das Mittelmeer von islamischer Vorherrschaft (und damit verbundenen Zollforderungen) befreit war, förderte den Drang der Europäer, trotz geringer Erfahrung Handelsflotten aufzubauen. Vor allem Genua und Venedig verdankten ihren Aufstieg dem blühenden Ost-West-Handel. Neue Fertigungsmethoden verbreiteten sich, vor allem bei Stoffen, Geweben und Metallen.
Die Nachfrage wurde angekurbelt durch die Entstehung von spezialisierten Märkten und Messen. Die Lehnsherren sorgten für einen reibungslosen Ablauf dieser Veranstaltungen, sie bewahrten den Marktfrieden und erhielten Einnahmen aus Zöllen und Handelssteuern. Besonders bekannt waren zu jener Zeit die großen „Jahrmärkte“ in der französischen Champagne. Händler aus ganz Europa und dem Nahen Osten zogen von Ort zu Ort, kauften und verkauften und schufen ein Handelsnetz bis nach Schottland und Skandinavien. Indem sich die Händler vereinigten, um ihre Waren in größeren Handelszügen sicherer durch die Lande zu transportieren, bekamen sie auch mehr Einfluss, z. B. wenn es darum ging, billigere Wegezölle zu vereinbaren. Die mächtigste Gemeinschaft von Handelspartnern, die von ähnlichen Interessen geleitet waren, stellte die Hanse dar.
Die 1254 gegründete Vereinigung norddeutscher Kaufleute baute an Ost- und Nordsee ein regelrechtes Imperium unter den Augen verschiedener lokaler Herrscher auf und erkämpfte sich diesen gegenüber Eigenständigkeit und Macht – falls nötig mit Waffengewalt.
Im 15. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Champagne-Messen für den Nord-Süd-Handel ab. Stattdessen wurde der Seeweg zwischen Flandern und Italien bevorzugt. Ferner begannen mehr und mehr englische Wollhändler, zum Schaden der holländischen Tuchmanufakturen statt Wolle Kleidung zu exportieren. Entscheidend war auch die Behinderung des Handels mit der Levante durch den Wechsel vom byzantinischen zum Osmanischen Reich. Alternative Handelswege mussten eröffnet werden – um die Südspitze Afrikas herum nach Indien und über den Atlantik nach Amerika.
Diese Veränderungen förderten auch die Gründung und das Wachstum der Städte. Vom Niedergang des römischen Imperiums bis etwa ins Jahr 1000 waren in Europa kaum neue Stadtgründungen zu verzeichnen. Mit dem Aufblühen der Handelsbeziehungen folgten auch bald das Erfordernis neuer Handelsplätze und die Gründung neuer Städte an den Handels- und Transportwegen. Von etwa 1100 bis 1250 verzehnfachte sich die Zahl der Stadtrechte in Europa, eine Entwicklung, die sich im Spätmittelalter zunächst fortsetzte, dann aber durch die demographische Katastrophe infolge der Großen Pest unterbrochen wurde. Städte wie Innsbruck, Frankfurt, Hamburg, Brügge, Gent und Oxford nahmen erst jetzt einen Aufschwung.
Eine kleine Stadt zählte meist rund 2.500 Einwohner, eine bedeutende Stadt rund 20.000.
Heutige Millionenstädte wie London und Genua brachten es auf 50.000 Einwohner. Die größten Metropolen mit etwa 100.000 Einwohnern waren Paris, Venedig und Mailand. „Stadtluft macht frei“ war das Motto der Zeit. Unzählige Unfreie, Leibeigene und verarmte Bauern zogen in die Städte, eine rege Bautätigkeit unterstützte die Entwicklung. Die Städte entwickelten ein politisches Bewusstsein, sie machten sich frei von Adel und Kirche, erhoben eigene Zölle und Steuern und begründeten eine eigene Rechtsprechung. In Nord- und Mittelitalien entstanden die ersten Kommunalverwaltungen und wurden rasch in ganz Europa imitiert. In den Städten entwickelten sich auch Handwerker- und Händlerzünfte, die entscheidenden Einfluss auf das Wirtschaftsleben gewannen.
Im frühen und hohen Mittelalter war elementare Bildung, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, nur einem kleinen Kreis von Menschen zugänglich. Die breite Masse des Volkes, selbst der Adel, besaß kaum oder nur sehr geringe Bildung. Lediglich in den Klosterschulen war es möglich, sich Bildung anzueignen, doch nur für jene, die bereit waren, sich dem Dienst im Orden zu verpflichten. Ab etwa dem Jahr 1000 entstanden, parallel zum Aufblühen der Städte, sogenannte Kathedralschulen. Sie bildeten auch Adels- und Bürgersöhne, ja sogar Leibeigene aus, ohne sie dem Ordensleben zu unterwerfen. Die Kathedralschulen, die sich besonders stark in Frankreich ent-wickelten, beschränkten den Unterrichtsstoff auf die sieben „freien Künste“, deren Erlernen schon im alten Rom für freie Bürger charakteristisch war, das Trivium (Grammatik, Logik, Rhetorik) und das Quadrivium (Arithmetik, Astronomie, Ge-ometrie, Musik). Gelesen wurden nur wenige anerkannte Schriftsteller der Spätantike und des frühen Mittelalters wie Boëthius, Cassiodor oder Isidor von Sevilla.
Mit den Kreuzzügen bekam das christliche Abendland Kontakt zur Geisteswelt des Islams. Viele bildungshungrige Europäer lernten arabische Mathematik, Astronomie, Medizin und Philosophie kennen, in den Bibliotheken des Orients lasen sie erstmals die griechischen Klassiker wie Aristoteles (im Mittelalter sehr häufig „der Philosoph“ genannt) im Originaltext. Auch über den islamisch besetzten Teil Spaniens kamen viele Impulse besonders nach Frankreich. Das damals vorbildliche Ausbildungssystem der islamischen Welt wurde bereitwillig aufgenommen. Die Regelungen und Lehrpläne der europäischen Kloster- und Kathedralschulen taten sich mit der Integration der neuen Inhalte schwer.
Obwohl Anfang des 12. Jahrhunderts Petrus Abaelardus als einer der Vorreiter dieser Entwicklung noch kirchlicher Verfolgung besonders durch Bernhard von Clairvaux ausgesetzt war, ließ sich die Entstehung von freien Universitäten nicht mehr verhindern. Mit dem Wachstum der erfolgreichen Handelsmetropolen entstanden ab der Mitte des 13. Jahrhunderts auch die Universitäten: Bologna, Padua, Paris, Orléans, Montpellier, Cambridge und Oxford, um nur einige Gründungen dieser Zeit zu nennen. Schon bald gehörte es für eine reiche Stadt zum guten Ton, bekannte Gelehrte und viele Studenten in ihren Mauern zu beherbergen.
Die frühen Universitäten des Spätmittelalters besaßen keine festen Gebäude oder Vorlesungsräume. Je nach Situation nutzte man öffentliche Räume für Vorlesungen: In Italien waren es oft die Stadtplätze, in Frankreich Kreuzgänge in Kirchen und in England fanden die Vorlesungen nicht selten an Straßenecken statt.
Erst später mieteten erfolgreiche Lehrer, die von ihren Studenten direkt je Vorlesung bezahlt wurden, Räumlichkeiten für ihre Vorlesungen.
Und bald gab es schon die ersten Studentenunruhen: Auch wenn eine Universität der Stolz einer Stadt war, gab es doch häufig Streitigkeiten mit den in Bünden organisierten Studenten wegen zu hoher Preise für Kost und Logis und Kritik wegen zu viel Schmutz auf den Straßen oder betrügerischer Gastwirte. In Paris gingen die Auseinandersetzungen im Jahr 1229 so weit, dass die Universität nach dem gewaltsamen Tod mehrerer Studenten mit Umsiedlung in eine andere Stadt drohte. Papst Gregor IX. erließ daraufhin eine Bulle, die die Eigenständigkeit der Universität von Paris garantierte. Fortan konnten zunehmend selbst die mächtigen Bürgerschaften den Universitäten keine Vorschriften mehr machen.
Der Philosoph Wilhelm von Ockham, bekannt durch das Prinzip von Ockhams Rasiermesser, und der Nominalismus leiteten das Ende stark theoretischer scholastischer Debatten ein und machten den Weg für empirische und experimentelle Wissenschaft frei. Ockham zufolge sollte sich die Philosophie nur mit Dingen beschäftigen, über die echtes Wissen erreicht werden kann (Prinzip der Sparsamkeit, engl. parsimony). Mittelalterliche Vorläufer der experimentellen Forschung kann man bereits in der Wiederentdeckung des Aristoteles und im Werk Roger Bacons sehen. Besonders kritisch äußert sich über die Scholastiker Nikolaus von Kues. Aus prinzipiellen Gründen wendet er sich auch gegen eine Zentralstellung der Erde und nimmt in diesem Punkt das heliozentrische Weltbild des Nikolaus Kopernikus vorweg.
Kurz vor und nach dem Fall Konstantinopels strömten auch verstärkt byzantinische Gelehrte nach Europa (z.B. Basilius Bessarion), wie auch bereits vorher byzantinische Kodizes nach Europa gelangt waren (etwa durch Giovanni Aurispa).
Die meisten technischen Errungenschaften des 14. und 15. Jahrhunderts waren nicht europäischen Ursprungs, sondern stammten aus China oder Arabien. Die umwälzende Wirkung folgte nicht aus den Erfindungen selbst, sondern aus ihrer Verwendung. Schießpulver war den Chinesen schon lange bekannt gewesen, doch erst die Europäer erkannten sein militärisches Potenzial und konnten es zur neuzeitlichen Kolonialisierung und Weltbeherrschung nutzen. In diesem Zu-sammenhang sind auch die Fortschritte der Navigation wesentlich. Kompass, Astrolabium und Sextant erlaubten gemeinsam mit weiterentwickeltem Schiffbau das Bereisen der Weltmeere. Gutenbergs Druckerpresse machte nicht nur die protestantische Reformation möglich, sondern trug auch zur Verbreitung des Wissens bei und damit zu einer Gesellschaft mit mehr Lesekundigen.
Um 1300–1350 ging die Mittelalterliche Warmzeit in die folgende Kleine Eiszeit über. Das kältere Klima reduzierte die Ernten; Hungersnot, Seuchen und Bürgerkriege folgten. Die wichtigsten Ereignisse waren die Große Hungersnot 1315–1317, der Schwarze Tod, und der Hundertjährige Krieg. Als die Bevölkerung Europas auf die Hälfte abnahm, wurde reichlich Land für die Überlebenden verfügbar, und in der Konsequenz wurde die Arbeit teurer. Versuche der Landbesitzer, die Löhne gesetzlich zu begrenzen – wie mit dem englischen Statute of Labourers 1351, waren zum Scheitern verdammt. Es war praktisch das Ende der Leibeigenschaft im größten Teil Europas. In Osteuropa andererseits gab es nur wenige große Städte mit einem lebendigen Bürgertum, um den Großgrundbesitzern Paroli zu bieten. Daher gelang es diesen dort, die Landbevölkerung in noch stärkere Unterdrückung zu zwingen.
Die in Teilen, aber keineswegs insgesamt herrschende apokalyptische Stimmung führte vielfach zum Wunsch der direkten Gotteserfahrung. Das Bibelstudium vermittelte den Menschen das Bild der einfachen Lebensweise Jesu Christi und der Apostel, ein Vorbild, dem die existierende Kirche nicht gerecht wurde, gerade weil das Papsttum seit 1309 in Avignon (Avignonesisches Papsttum) residierte und sich immer mehr von den Menschen entfernte. Hinzu kam das abendländische Schisma von 1378, welches erst durch den Konziliarismus beendet werden konnte (Konzil von Konstanz). Infolge der Glaubenskrise entstanden vermehrt Bettelorden und apostolische Gemeinden, die sich dem einfachen Leben widmen wollten. Viele davon wurden von der Kirche wegen Ketzerei verfolgt, so beispielsweise die Waldenser, Katharer oder die Brüder und Schwestern des freien Geistes. Im Spätmittelalter traten in ganz Europa aus ähnlichen Gründen Judenverfolgungen auf, viele Juden wanderten nach Ostmitteleuropa aus.
Seit dem frühen 14. Jahrhundert gelangte das Papsttum zunehmend unter den Einfluss der französischen Krone, bis hin zur Verlagerung seines Sitzes nach Avignon 1309. Als der Papst 1377 beschloss, nach Rom zurückzukehren, wurden in Avignon und Rom unterschiedliche Päpste gewählt, mit dem Resultat des sog. Abendländischen Schismas (1378–1417). Die Kirchenspaltung war eine ebenso politische wie religiöse Angelegenheit; während England den römischen Papst un-terstützte, stellten sich seine Kriegsgegner Frankreich und Schottland hinter den Papst in Avignon.
Auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) wurde das Papsttum wieder in Rom vereinigt.
Obgleich die Einheit der Westkirche danach noch hundert Jahre andauerte und obgleich der Heilige Stuhl einen größeren Reichtum aufhäufte als jemals zuvor, hatte das Große Schisma doch irreparablen Schaden verursacht. Die inneren Konflikte der Kirche förderten den Antiklerikalismus bei Herrschern und Beherrschten und die Teilung ermöglichte Reformbewegungen mit schließlich einschneidenden Verän-derungen.
Obwohl die Westkirche lange gegen häretische Bewegungen gekämpft hatte, entstanden im Spätmittelalter innerkirchliche Reformbestrebungen. Deren erste entwarf der Oxforder Professor John Wyclif in England. Wyclif sprach sich dafür aus, die Bibel als einzige Autorität in religiösen Fragen zu betrachten und lehnte Transsubstantiation, Zölibat und Ablässe ab. Er übersetzte auch die Bibel ins Englische. Obwohl sie einflussreiche Freunde in der englischen Aristokratie hatte, etwa John of Gaunt, wurde Wyclifs Partei, die Lollarden, letztendlich unterdrückt.
Die Lehren des böhmischen Priesters Jan Hus basierten mit wenigen Änderungen auf jenen von John Wyclif. Dennoch hatten seine Anhänger, die Hussiten, viel größere politische Auswirkungen als die Lollarden. Hus sammelte in Böhmen zahlreiche Anhänger und als er 1415 wegen Häresie verbrannt wurde, verursachte dies einen Volksaufstand. Die folgenden Hussitenkriege endeten zwar nicht mit der nationalen oder religiösen Unabhängigkeit Böhmens, aber Kirche und deutscher Einfluss wurden geschwächt.
Die Reformationszeit liegt genaugenommen nicht mehr im Spätmittelalter, doch sie beendete die Einheit der Westkirche, die eines der wichtigsten Merkmale des Mittelalters gewesen war.
Martin Luther, ein deutscher Mönch, löste die Reformation durch seine zahlreiche theologische Fragen betreffende Position aus.
Die gesellschaftliche Basis dieser Bewegung setzte sich aus Arbeitern, Studierenden und Jugendlichen zusammen, besonders seine Kritik von Ablasshandel und Bußwesen. Eine wichtige Station dabei war die Verteilung von 95 Thesen an seine dozierenden Kollegen (der Legende nach soll er sie auch an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben). Papst Leo X hatte 1514 für den Bau des neuen Petersdoms den Ablasshandel erneuert. Luther wurde vom Reichstag zu Worms (1521) aufgefordert, seine als Häresie verurteilten Ansichten zu widerrufen. Als er sich weigerte, belegte ihn Karl V. mit der Reichsacht. Unter dem Schutz Friedrichs des Wei-sen von Sachsen konnte er sich zurückziehen und unter anderem eine vollständige Neuübersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche anfertigen, die 1534 um eine Neuübersetzung des Alten Testaments ergänzt wurde.
Für viele weltliche Fürsten war die Reformation eine willkommene Gelegenheit, ihren Besitz und Einfluss zu vergrößern, auch das städtische Bürgertum und Bauern konnten von ihr profitieren. Gegen die Reformation wendete sich die katholische Gegenreformation. Europa war nun geteilt in den protestantischen Norden und den katholischen Süden, Grundlage der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts.
Die Menschen im Mittelalter hatten einen gänzlich anderen Umgang mit dem Tod als wir ihn heute kennen. Vom Zeitpunkt der Geburt an galt er als allgegenwärtig und unabwendbar. Entsprechend war auch die Lebenserwartung in jener Epoche sehr niedrig. Frauen starben aufgrund der erhöhten Risiken von Schwangerschaft und Geburt im Durchschnitt deutlich früher als Männer. Nur wenige wurden schlussend-lich tatsächlich vom Alter dahingerafft.
Ursachen für einen vorzeitigen Tod waren neben Unfällen oftmals Krankheiten wie Lepra, Malaria, Tuberkulose, Diphtherie und Cholera, die meist mit dem Tod endeten. Die sich im Spätmittelalter rasant ausbreitende Pest tat ihr übriges.
Zudem wurden Krankheiten und Gebrechen als von Gott gesandt angesehen und galten vielfach als Strafe für Sünden und Vergehen.
Das Wissen um Behandlung und Arznei beschränkte sich vor allem während des Frühmittelalters auf mehr oder minder wirkungsvolle Lebensmittel, Kräuter und Gebete. Hinzu kamen Behandlungen wie den allseits angewandten Aderlass und ähnliche obskure Methoden, die den Patient oft eher schwächten, denn zu seiner Genesung beitrugen.
Des Weiteren war der Mensch Mittelalter beinahe schutzlos seiner Umwelt und der Natur ausgesetzt. So erlagen viele ihrer Armut und verhungerten, verdursteten oder erfroren im Winter. Einer Kurzgeschichte aus dem 13. Jahrhundert kann folgendes entnommen werden:
„Der Mensch ist ein Knecht des Todes ... da er dem Tod nicht entrinnen kann und weil dieser ihm alle Tage und alle Arbeit nimmt ... der Mensch ist ein Wanderer, ob er gerade schläft oder wach ist, ob er nun gerade isst oder trinkt, immer eilt er dem Tod entgegen ... der Mensch lebt mit sieben Gefährten, die ihn immer bedrängen. Diese Gefährten sind der Hunger und der Durst, es sind Hitze und Kälte und Müdigkeit und Krankheit und schließlich der Tod.“.
Durch das weitgehende Fehlen von medizinischem Wissen und entsprechenden Gerätschaften stellte sich der Tod oft elendiglich langsam und grausam ein. Ohne große Aussicht auf Heilung oder Besserung war das Volk ihm ausgeliefert. Die Religion stellte deshalb meist die einzige Stütze und verbliebene Hoffnung dar.
So war der Glaube an ein Leben nach dem Tod fest in den Köpfen eines jeden verankert. Im Himmel schließlich sollte alles Leiden, das der Mensch in seinem Leben hatte erdulden müssen, vergütet werden. Dies kam vor allem den Armen zugute, weshalb es unter den Reicheren des ausgehenden Mittelalters üblich war sich sein „Seelenheil“ durch das Erwerben eines Ablassbriefes zu erkaufen. Dieser Ablasshandel, der wohl vorwiegend dazu diente die Kasse der katholischen Kirche zu füllen, war insbesondere dem Reformator Martin Luther ein Dorn im Auge. 1567 hob schließlich Papst Pius V. alle Almosenablässe auf und verfügte drei Jahre darauf die Exkommunikation auf jeglichen weiteren Handel mit den umstrittenen Briefen.
Die Bildende Kunst erfuhr im Spätmittelalter eine enorme Weiterentwicklung. Im frühen 14. Jahrhundert entstanden die Werke Giottos als Vorläufer der Renaissance. In der Malerei spricht man von der nördlichen Renaissance mit Zentrum in den Niederen Landen und der italienischen Renaissance mit Florenz als Angelpunkt. Während die nördliche Kunst mehr auf Muster und Oberflächen gerichtet war, etwa die Gemälde des Jan van Eyck, erforschten italienische Maler auch Bereiche wie Anatomie und Geometrie. Die Entdeckung der Fluchtpunkt-Perspektive (Zentralprojektion), die Brunelleschi zugeschrieben wird, war ein wichtiger Schritt zu optisch realistischen Darstellungen. Die italienische Renaissance erreichte ihren Höhepunkt mit der Kunst Leonardo da Vincis, Michelangelos und Raffaels. Während die gotische Kathedrale in den nordeuropäischen Ländern sehr in Mode blieb, konnte sich dieser Baustil in Italien nie recht durchsetzen. Hier ließen sich die Architekten der Renaissance von klassischen Gebäuden inspirieren, das Meisterwerk dieser Zeit war Brunelleschis Dom Santa Maria del Fiore in Florenz.
Die wichtigste Entwicklung in der spätmittelalterlichen Literatur war der zunehmende Gebrauch der Volkssprachen gegenüber dem Latein. Beliebt waren Romane, die oft die Legende vom Heiligen Gral zum Thema hatten.
Der Autor, der vor allen anderen die neue Zeit ankündigte, war Dante Alighieri. Seine Göttliche Komödie, in italienischer Sprache geschrieben, beschreibt zwar eine mittelalterlich-religiöse Weltsicht, in der er auch verankert war, bedient sich aber dazu eines Stils, der auf antiken Vorbildern basiert. Andere Förderer des Italienischen waren Francesco Petrarca, dessen Canzoniere als erste moderne Gedichte gelten, und Giovanni Boccaccio mit seinem Decamerone. In England trug Geoffrey Chaucer mit seinen Canterbury Tales dazu bei, Englisch als Literatursprache zu etablieren. Wie Boccaccio beschäftigte sich Chaucer mehr mit dem alltäglichen Leben als mit religiösen oder mythologischen Themen. In Deutschland wurde schließlich Martin Luthers Übersetzung der Bibel zur Basis für die deutsche Schriftsprache.