Kitabı oku: «Karibik ohne Kannibalen», sayfa 2

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JAMAIKA

Merkwürdig, dass wir nichts an Meeresgetier zu sehen bekamen. Ringsum nur Wasser, manchmal über siebentausend Meter tief. Wasser, Wasser, soweit die Blicke reichen. Diese dummen Überblicke, zwangsläufig so oberflächlich, weil das Wasser, so durchsichtig es ist, uns eine unvorstellbar vielgestaltige Welt vorenthält. Nichts für uns. Als Landwesen sind wir an den äußersten Rand dieser Welt gedrängt. Nur einmal waren ein paar Delphine zu sehen, die eine Weile neben uns her schwammen und uns mit Luftsprüngen zu begrüßen schienen. Und vorgestern war der Tag der Fliegenden Fische. Ganze Schwärme dieser kleinen silbrigen Segler spritzten plötzlich schräg aus dem Wasser, segelten ein paar Sekunden lang dicht über den Wellen dahin und ließen sich von dem nächsten hohen Wellenkamm verschlucken.

Dann war da noch dieser winzige Goldfisch, mutterseelenallein in einem kleinen verdreckten Aquarium, das schief auf einem Brettchen hing. In der primitiven Kneipe in Kingston auf Jamaika. Wir waren am Morgen im Nordwesten der Insel gelandet, in Montego Bay, an der sogenannten Millionärsriviera der Insel. Das Schiff fuhr ohne uns um die Westküste herum zur Hauptstadt Kingston im Südosten. Mit unseren Koffern, mit all unserer Habe. Sollten wir alles erst am Abend wiedersehen, wenn wir quer über die Insel nach Kingston gekommen wären, egal wie. Aber wir konnten unbesorgt sein. Um das Wie kümmerten sich die Einheimischen. Und wie. Noch nicht ganz runter vom Fallreep, wurde man schon angeschrien: »Taxi!«, »Taxi!«, »Taxi!«

Das Gezerre und Gezeter wollte überhaupt kein Ende nehmen. Und mich begrüßten sie mit Fidel-Rufen, weil ich einen Vollbart wie Fidel Castro trug. Amerikanische Straßenkreuzer und VW-Busse zu Dutzenden. Dabei hatten die meisten Passagiere vorgeplante Autobustouren gebucht. Es ging nur noch um die paar Abenteurer, die es wagten, als Individualisten Jamaika zu durchqueren. Für fünfzehn US-Dollar pro Person. Nach einer halben Stunde Herumstehen und Fotografieren und Überlegen waren wir nur noch zehn Dollar pro Kopf wert.

Endlich auf meinem Sitz in einem der Kleinbusse, überkam mich ein Gefühl der Beruhigung und der Geborgenheit. Unser schwarzer Fahrer steckte in einem persilweißen, ordentlich gebügelten Oberhemd: Am Innenspiegel seines Wagens baumelte ein Rosenkranz mit silbernem Kruzifix. Zudem wurde der Spiegel halb verdeckt von einem fast schon geschmackvollen Spruchband, auf dem in Englisch zu lesen war: »Gott, ich werde heute sehr geschäftig sein; es kann sein, dass ich Dich darüber vergesse, aber vergiss Du mich bitte nicht.«

Unser Fahrer schien sich dieser Absprache mit seinem Gott sicher zu sein. Wir fuhren nicht über die Insel, wir überflogen sie. Mit 50 bis 60 Meilen pro Stunde auf holprigen Straßen, die fast nur aus Kurven bestanden. Kein Auto, das sich nicht einholen und überholen ließ, das war der Ehrgeiz unseres Fahrers. Dazu ließ er seine Autofanfare eifriger ertönen, als es ein Postkutscher mit seinem Posthorn selbst bei bester Gesundheit geschafft hätte. Die Melodie seiner Hupe, der Anfang vom River-Kwai-Marsch, wird mich bis an mein Lebensende an Jamaika erinnern. An Sitze und Griffe geklammert wie festgeschweißt, stoben wir über die Insel. Der Fahrer fuhr nach der Devise: Ich habe immer Vorfahrt. Dabei entwickelte er einen nicht nur rabiaten, sondern auch intelligenten Fahrstil. Jede noch so geringe Chance wahrnehmend, über durchgezogene Linien taktvoll hinwegsehend, sein Horn mal wie einen Kriegsruf, mal als Triumphgeheul ertönen lassend. Aber wir fuhren nicht nur. Man brauchte dem Mann überhaupt keine Anweisungen zu geben. Er wusste, was wir brauchten: eine kleine Badepause, ein gutes Essen, genügend Zeit zum Einkaufen. War alles schon fest eingeplant. Er raste zielstrebig hin zum Hilton-Hotel in Ocho Rios, lud uns aus in der Hotelzufahrt und parkte seinen VW-Bus zwischen den Stingrays und Chevys auf dem Hotelparkplatz.

Gehorsam eilten wir an den Hotelstrand. Ein paar schwarze Strandaufseher saßen im Schatten eines Kiosks. Offensichtlich amüsierten sie sich über meinen schwarzen Bart. Ich ging zu ihnen und erklärte ihnen den Zweck dieses fülligen Kopfputzes: In Deutschland, sagte ich, sei es immer sehr kalt, daher brauche man einen solchen Gesichtsschutz. Das mache den Unterschied zu Jamaika, wo es immer heiß ist, weswegen die Schwarzen immer nur ein paar einzelne Barthaare haben. Die Burschen staunten mich an und bogen sich vor Lachen. Ich hatte neue Freunde gewonnen. So konnten wir, ohne besorgt nach den Strandwachen schielen zu müssen, nach Herzenslust im Hilton-Wasser schwimmen und im Hilton-Sand herumtoben, uns vom Hilton-Sprungturm in den Hilton-Swimmingpool fallen lassen. Ein Vergnügen, das eigentlich für Millionäre und Spesenritter reserviert war.

Und anschließend durften wir sogar, ohne eine HiltonMark ausgegeben zu haben, ungerupft von dannen ziehen. Wir hatten unseren Fahrer dazu überredet, uns ein anderes Restaurant zu zeigen. Nicht so amerikanisch, lieber typisch jamaikanisch.

Das hatte dem Fahrer gefallen. Dafür brach er aus seiner Programmierung aus. Das heißt, er hatte wohl auch an anderen Stellen seine Leute, die ihm Provisionen zahlten. Jedenfalls hielt er noch zweimal an und lud uns aus. Beim ersten Mal gab es einen schönen Wasserfall, den wir betrachten durften oder sollten. Der 133 Meter hohe Dunns River Fall, den wir sogar ein Stückchen hinaufklettern konnten. Beim zweiten Halt war es eine alte, über und über efeubewachsene Kirche, die wir bestaunen durften, dazu Christoph Kolumbus, der als Denkmal vor der Kirche Wache hielt.

Kolumbus war auf seiner zweiten Reise, im Jahre 1594, auf Jamaika gelandet, wenn auch nicht da, wo jetzt sein Denkmal stand. Die Stelle, an der er zuerst jamaikanischen Boden betreten hatte, die Discovery Bay, hatten wir schon am frühen Vormittag kurz besichtigt. Sehr kurz, denn es war dort nichts zu sehen, als eine kleine Bucht. Die hatte der Entdecker Santa Gloria genannt. An Einfällen für schöne Namen hatte er ja keinen Mangel. Damit spätere Besucher etwas zu knipsen haben, hat man irgendwann ein paar Requisiten aufgestellt: Maschinen, deren Funktion uns rätselhaft blieb, Gedenksteine für Familien, die uns nichts bedeuteten, ein Kanönchen sowie ein Wasserrad, beide so putzig wie funktionslos. An die rund 60 000 Arawaks, die einst auf dieser Insel gelebt hatten, erinnerte nichts, obwohl es in diese Bucht gepasst hätte. Unter dem ersten spanischen Gouverneur, Juan de Esquivel, der im Jahre 1509 die Kolonisation der Insel begonnen hatte, wurden die Arawaks als von der gütigen Vorsehung geschenkte Sklaven betrachtet. Nach etwa fünfzig Jahren harter Arbeit für die spanischen Herren waren sie so gut wie ausgestorben.

Erst beim dritten Stopp nach dem Hilton-Strandhotel empfing uns ein gemütliches kleines Restaurant. Da wurde uns, draußen unter Palmstrohdächern, Landestypisches geboten: Krabben und Hummer. Und dazu Rumpunsch als eiskaltes Erfrischungsgetränk. Was für ein Unterschied zu dem heißen Tee mit Rum, der uns die heimischen Winter überleben half. Der Rum machte uns erst richtig klar, wie weit wir uns von zuhause wegbewegt hatten.

Dann ging sie auch schon wieder weiter, die rasende Fahrt. Es huschte alles nur so an uns vorbei. Es war so viel, was vor unseren eifrig bewegten Augen ablief, dass überhaupt nichts zu sehen war. Doch auf einmal rollten wir in eine fast städtisch wirkende Siedlung ein. Straßenzüge mit festen Steinhäusern um uns herum. Ein riesiges Plakat zeigte mir eine hochschwangere Schwarze: Werbung für Empfängnisverhütung per Pille. Kaum zu glauben, die Anti-Baby-Pille im Busch. Wir waren in der früheren Inselhauptstadt Spanish Town angekommen. Fotostopp auf dem Platz vor der ehemaligen Residenz der Vertreter des spanischen Königs. Säulengänge und ein schmuckes Portal, vergammelte Pracht aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, genau so deplaziert wirkend wie die Werbung für die Pille. Da musste man sich erst von dem Reiseführer in der Hand darauf hinweisen lassen, dass wir im Zentrum der einstigen Hauptstadt der Insel Jamaika standen. Zur Zeit der Spanier, und auch noch unter der anschließenden Herrschaft der britischen Gouverneure, war Spanish Town eine quirlige Metropole, jetzt präsentierte sich uns nur noch ein verschlafenes Landstädtchen, in dem die Arbeiter der umliegenden Bananenplantagen wohnten.

Nach anderthalb Jahrhunderten spanischer Herrschaft hatten die Engländer im Jahre 1655 in einem Handstreich die damalige Inselhauptstadt Spanish Town und damit die ganze Insel in ihre Gewalt gebracht. Sie organisierten in kurzer Zeit eine florierende Kolonie, die so wertvoll war, dass sie viele begehrliche Angreifer anlockte. Doch die Briten wussten sich gegen die französischen und spanischen Flotten zu wehren. Und sogar für die Bekämpfung des Piratenunwesens, wie in vielen anderen Meeren die permanente Gefahr für Inselbewohner, hatten sie ein Rezept, ein typisch britisches. Henry Morgan war der Anführer der Piraten, die in dem Städtchen Port Royal an der weiten Bucht, an der heute Kingston liegt, ihr Hauptquartier hatten. Die Britische Krone ernannte den Räuberhauptmann einfach zum Ritter und Leutnant-Gouverneur von Jamaika, also zum Oberaufseher. Das Spiel gefiel Henry Morgan. Er verbot die Piraterie und knüpfte eine Menge seiner ehemaligen Kumpane auf. Der Rest der unermesslich reichen und kraftstrotzenden Piratenherrlichkeit ging dann bei dem verhee- renden Erdbeben von 1692 zugrunde, das Port Royal auslöschte. Nach dieser Naturkatastrophe bauten die Engländer sich in der Nähe eine neue Inselhauptstadt, die sie Kingston nannten. Deren günstige Lage an einem weiten Naturhafen war ausschlaggebend für den Abschied von Spanish Town als Hauptstadt. Kingston, die neue Stadt am Fuße der Blauen Berge, eine Metropole mit einer halben Million Einwohnern, durfte sich inzwischen die größte englischsprachige Stadt in der Karibik nennen.

Jamaika war als der absolute Höhepunkt der Reise angekündigt worden. Eigentlich recht ungeschickt, den Höhepunkt am Anfang der Tour zu servieren. Mein Tischnachbar konnte der Jamaika-Durchquerung jedenfalls schon einen Superlativ verleihen:

»Die schrecklichste Autofahrt meines Lebens«, seufzte er. Auch er hatte die Fahrt in einem Taxi gemacht.

»Eine Raserei, eine Hetzjagd. Der Fahrer war ein Wilder, wie er im Buche steht. Der Kerl hat mit seinem Wagen an dem einen Tag mehr Delikte begangen, als er in zwanzig Jahren absitzen könnte. Er war nicht einmal zu halten, als er einen anderen Wagen kräftig gerammt hat. Ohne Aufenthalt weiter, rücksichtslos. Ich bin völlig bedient.«

Mein Tischnachbar auf dem Schiff war ein älterer Herr, Inhaber eines Unternehmens für Schuhimport/-export in Bremen, mit dem ich wenig gemeinsamen Gesprächsstoff hatte. Bücher zu schreiben hielt er für bloßen Zeitvertreib. Den Schuh zog ich mir nicht an. Wir beiden Ehepaare mussten aufgrund höherer Fügung immer zusammen an unserem Vierertisch sitzen. So kriegten meine Frau und ich beim späten Abendessen zu hören, wie es ihm und seiner Frau ergangen war:

»Rechts Wald und links Wald, und immer mal wieder Ausblicke über die hügelige Landschaft. Sehr schön. Aber eine Kurve nach der anderen, dass man schwindelig wurde. Dabei wollte ich mir das näher ansehen, die Hütte am Straßenrand, so schön strohgedeckt. Vorbei. Dann wieder so ein Anblick, Negerkinder drum herum, die aussahen, wie aus dem Märchenbuch geklaut. Wieder vorbei. Alles so herrlich ursprünglich, endlich der Blick durchs Schlüsselloch in die andere Welt, in eine echte Welt. Als wieder einige Hütten am Straßenrand auftauchten, haben wir dem Fahrer befohlen anzuhalten. Ein malerisches Bild war das: Offene Feuer, über denen Maiskolben geröstet wurden. Aber dann entpuppte sich die Idylle als Wirtshaus im Spessart. Der Mais-Mensch bestand darauf, seine Maiskolben zu verkaufen. Der Mann war nicht abzuschütteln. Dabei mag ich gar keinen Mais. Ich denke noch an das nasse Maisbrot nach dem Krieg. Und als ich von einem Negerknaben ein Foto machen wollte, stellte sich die dralle Negermami mit energischem Protest vor ihn und forderte Bezahlung. Die Frau hatte feste Preise: 20 Cents pro Foto. Als ich dem Kleinen 15 Cents in das Händchen gab, mehr Münzen hatte ich gerade nicht, lehnte die Mutter ab. Ich musste mir Geld leihen, um das naturverbundene einfache Leben fotografieren zu dürfen. Als wir dann wieder einstiegen, sah ich noch, wie die Frau dem Jungen das Geld mit Gewalt abringen musste. Der Kleine machte ein großes Geschrei und lief heulend in den Wald. Dabei hielt gerade ein weiterer Touristenbus an. Diese Verzweiflung der rabiaten Mutter, jetzt ohne ihren Lockvogel. Das habe ich ihr gegönnt.«

»Diese Blumenpracht«, schwärmte die Frau des Schuhmannes, »stellen Sie sich das vor: Unmengen von Weihnachtssternen. Unser Weihnachtsstern in dem Delfter Topf steht noch daheim auf dem Couchtisch. Ich hoffe, unsere Haushälterin gibt ihm regelmäßig Wasser. Aber hier waren ganze Hecken von Weihnachtssternen zu sehen. Im Vorbeifahren. Lange rote Hecken. Wie gern hätte ich mal die Nase hineingesteckt. Aber immer vorbei.«

Am frühen Nachmittag im Hafenviertel von Kingston angekommen und mit einem Aufatmen aus dem Wagen gekrochen, wurde jedem mit einem Blick klar, welchen Zweck die wilde Jagd hatte. Alle Busse und Taxis spuckten ihre Touristen vor einer riesigen Halle aus. Und diese Halle war vollgepackt mit Souvenirs. Ein Stand neben dem anderen, immer das Gleiche: Korbarbeiten, Holzgeschnitztes, Postkarten, Ketten, Hüte, Armreifen, Rumbakugeln und Trommeln. In jeder Koje saß eine dicke Mami und versuchte sich in Überredungskünsten. Weil das Schiff noch nicht im Hafen angekommen war, mussten die Durchgerüttelten fast vier Stunden lang den Kopf schütteln oder Dollars hinblättern. Kaum eine Möglichkeit, sich diesem Superangebot zu entziehen. Die Stadt Kingston lag weit weg, mit dem Taxi wäre das ein Aufwand von umgerechnet 25 Mark hin und 25 Mark zurück gewesen. Verzichtet. Aber außer dieser großen Halle, dem Crafts Market, gab es dort am Hafen nichts. Bloß noch die schäbige kleine Kneipe mit dem einsamen Goldfisch in seinem schiefhängenden Glaskasten, halb verdeckt hinter einem riesigen Ventilator in der Ecke.

Ich hätte vor Vergnügen trommeln können. Hatte ich doch eine kleine Bambustrommel an der Hand hängen. Der Tribut, den ich beim Warten auf unser Schiff gezahlt hatte. Ein langer Schwarzer war mir schon in der Halle mehrmals begegnet. Und jedes Mal hatte er mir etwas von seinen Waren verkaufen wollen. Dass ich keine der Halsketten aus Obstkernen brauchte, die er bündelweise um den Hals hängen hatte, sah er schnell ein. Aber die kleine Trommel, mit der er auf sich aufmerksam machte, schien ihm so recht für mich gemacht. Ich konnte noch so oft und wortreich gestehen, dass ich nicht trommeln könne und wolle, alles vergebens. Der Mann war auch überfordert mit meinen Hinweisen auf den modernen Wohnungsbau mit seinen dünnen Wänden und nervösen Nachbarn. Es gelang mir, den Mann immer wieder stehen zu lassen und mich in einen anderen Menschenklumpen hinein zu verdrücken. Aber dann, draußen auf dem Weg zu der Kaschemme, ging er wieder an meiner Seite. Und trommelte. Wie ein guter Kamerad, im Gleichschritt mit mir. Da habe ich ihm die Trommel abgekauft, um endlich meine Ruhe zu haben. Er strahlte und erklärte mich zu seinem Freund. Und mir schien, er hat ohne jede Erläuterung verstanden, wieso ich etwas kaufte, wofür ich keine Verwendung hatte. So selbstverständlich und stolz nahm er die Dollarscheine entgegen, offensichtlich als Anerkennung für ihn und für die rund 90 Prozent der Bevölkerung Jamaikas. Fast alle wie er Abkömmlinge der afrikanischen Negersklaven. Abkömmlinge auch der weißen Herrscher, denn die spanischen und britischen Herren haben mit ihrer Zuneigung zu den schwarzen Sklavinnen so nebenbei für eine vielfältige Blutsmischung gesorgt, ganz abgesehen von den Beimischungen, die auf das Konto eingewanderter Nordamerikaner und Chinesen und Inder gehen.

Auf dem Weg zu unserem Schiff, das endlich angekommen war und das Fallreep heruntergelassen hatte, konnte ich meine Trommel einem kleinen schwarzen Jungen schenken, der mitlief. Diese glücklichen Augen. Hoffentlich war das für ihn der Start zu einer blendenden Karriere als Jazzmusiker.

An dem Abend musste ich mich in einer der beiden Bordbibliotheken, die in getrennten Räumen waren, weiter mit den Schwarzen beschäftigen. Ich brauchte unbedingt die Information, dass im Jahre 1834 auf Jamaika die Sklaverei offiziell beendet wurde – und vier Jahre später tatsächlich. Den Hinweis fand ich in der Deutschen Bibliothek. Da konnte ich aufatmen. Ich las: Viele der befreiten Sklaven verließen die Plantagen und zogen sich in die Berge zurück. So mancher Zuckerrohr- und Kaffeepflanzer ging damals pleite, weil er keine Arbeitskräfte mehr hatte. Doch hat sich in der Folgezeit gezeigt, dass es auch ohne Sklaverei ging, nämlich mit Kontraktarbeitern. Jamaika wurde zum Großexporteur für Bananen, Zucker und Rum. Nicht zu vergessen Bauxit, das rote Gold Jamaikas, das bei der Herstellung von Aluminium unverzichtbar ist.

Jamaika war mehr als 300 Jahre britische Kolonie, ehe es im Jahre 1962 seine Selbständigkeit erhielt. Also erst vor neun Jahren, staunte ich. Ein Land, das die westafrikanische und spanische Kultur mit der britischen vermischte. Aus vielen Völkern erwuchs ein Volk, so wenig ursprünglich zu dieser Insel gehörend wie die meisten Pflanzen, die wir heute bestaunen können. Das Zuckerrohr brachten die Spanier auf die Insel. Der Kakao stammt aus Zentralamerika. Aus der Südsee holten die Engländer die Kokosnuss, die Banane und den Brotfruchtbaum. Aus Indien kamen Ingwer und Zitronen.

Und auch Kaffee und Tabak waren Fremdlinge auf dieser Insel. Nur der Jamaikapfeffer war schon vor den Eroberern hier. »Dahin, wo der Pfeffer wächst«, so heißt bei uns zuhause eine Verwünschung. Wenn die daheim wüssten, dass es hier traumhaft schöne Strände gibt, mehr als zweitausend Meter hohe Berge und über zweihundert verschiedene Orchideenarten …

Die vierte Reise des Kolumbus nach Westindien war die abenteuerlichste. Mit vier Karavellen und 150 Leuten war er vom 11. Mai 1502 bis zum 7. November 1504 unterwegs. Sein Brief an die Katholischen Könige, den er im Juli 1503 in Jamaika geschrieben hat, zeigt, dass dieses karibische Paradies auch die Hölle sein kann:

»Achtundachtzig Tage hindurch hatte der schreckliche Sturm nicht von mir gelassen, man sah keine Sonne und keine Sterne auf dem Meer. Die Schiffe leckten, die Segel zerrissen, die Anker und Winden gingen verloren, dazu Taue und viel Proviant; die Mannschaft krankte, alle waren zerknirscht, viele taten ein Gelübde, später ins Kloster zu gehen; keiner war, der nicht Opfer zu bringen und Wallfahrten zu machen gelobt hätte. Viele Male hatten sie gegenseitig ihre Sünden gebeichtet. Viele Stürme hat man gesehen, aber keinen, der so lange währte und solche Schrecknis brachte.«

CURAÇAO

Am Mittag im Hafen von Willemstad auf Curaçao, der größten Insel der Niederländischen Antillen. Die Stadt umarmte uns mit einer lähmenden Hitze. Kein Wunder, dass die meisten Passagiere zunächst in ihren Kabinen blieben, vermutlich mit voll aufgedrehten Klimaanlagen.

Willemstad war für mich ein schönes Beispiel dafür, wie es dazu kommt, dass die Touristen bei einem Landausflug nichts Wesentliches zu sehen kriegen. Der Hafen war bloß eine halbe Stunde Fußweg vom Stadtzentrum entfernt. Doch wo die Passagiere von Bord gehen durften, mitten zwischen riesigen Öltanks, Lagerhäusern und Schuppen, da standen nur zwei Schritte von der Gangway entfernt die schwarzen Taxifahrer neben ihren amerikanischen Chromkutschen und schrien die verschreckten Ankömmlinge an. Die kamen gar nicht dazu, festen Boden unten den Füßen zu spüren nach der erlebten Seestärke 5 der Anreise. Schon saßen sie in den Taxis oder im großen Bus und sausten davon. Schnell durch die malerischen Vorstadtgassen hindurch zur Hauptgeschäftsstraße entführt. Drei US-Dollar das Taxi, recht preiswert. Doch fiel einem dann ein, dass man nach Kaufkraft den Dollar in etwa der Deutschen Mark gleichsetzen müsste. Dabei hatte man daheim beim Geldumtausch für einen Dollar 3,65 DM gezahlt. Vor allem musste man den Curaçao-Likör, aus bitteren Pomeranzenschalen hergestellt, kaufen. Dabei konnte man sich die lästige Umrechnerei in Niederländische Antillengulden sparen. Der US-Dollar galt im Amerikanischen Mittelmeer, wie man die Karibik gern nannte, einfach überall. Die offizielle Währung von Curaçao, der Antillengulden, war genau die Hälfte wert.

Beim Versuch, neben dem Likör etwas für Curaçao Typisches zu kaufen, verriet mir ein Verkäufer, dass alles, was in den wohlgefüllten Souvenirläden feilgeboten wurde, aus Hongkong oder Japan stamme, aus den USA oder den Niederlanden.

»Auf Curaçao«, sagte er voller Stolz, »hat kein Mensch Zeit für kunstgewerbliche Arbeiten. Hier ist man mit dem Ölgeschäft rund um die Uhr voll ausgelastet.«

Ich habe dann darauf verzichtet, nach Erdöl als Souvenir zu suchen, habe auch nicht nach Erinnerungen an den Sklavenmarkt gefahndet, einstmals der größte Umschlagplatz der Ware Mensch für die Karibik und Südamerika. Das ganze buntbeschilderte Einkaufsviertel mit all den vielen Engländern und Deutschen – die beiden Frachten waren gerade angekommen – konnte mir nichts bieten. Ich habe den schreienden Taxifahrern die kalte Schulter gezeigt und mich zu Fuß auf den Weg zurück zum Schiff gemacht, wobei die Schulter allerdings sehr heiß wurde.

So kriegte ich doch noch das Beste von Curaçao mit, nämlich die schönen Altstadtviertel mit ihren niedrigen Steinhäusern, dicht aneinandergeschmiegt und in leuchtenden Pastellfarben grüßend, eines rot, eines gelb, eines grün und das nächste blau. Jede Gasse ein herrlich buntes Bild. Und erst einmal die Menschen. Ein Gemenge aus vielen Völkerschaften. Braun in allen Schattierungen, in stattlichem Wuchs, schlank und stolz. Bezaubernd schöne Mädchen und Frauen, drahtige Männer. Und keine Touristen. Kaum jemand von unserem Schiff hat sich diesen Spaziergang zugemutet. Es gab ja keine Empfehlung für dieses nicht kommerzielle Vergnügen, durch eine wunderschöne Völkerschau hindurchzugehen, unangefochten, nicht zum Kaufen aufgefordert, nein, kaum beachtet. Mitten in einer Weltstadtbevölkerung, die mit sich selbst genug hatte, sogar in der Vorstadt. Dabei waren das sämtlich richtige Holländer. Sie freuten sich, wenn ich sie grüßte und antworteten mit einem tiefen und breiten »Daag«. Mit diesem Urlaut, den ich schnell aufgeschnappt und mir angeeignet hatte, bin ich durch Willemstad gewandelt wie auf einer Wolke, und glaubte in Alt-Amsterdam gelandet zu sein.

Mitten durch die Stadt war unser 20 000-Tonnen-Schiff am Vormittag in den Hafen eingefahren. Wir hatten gesehen: Weiter hinten war eine hohe Brücke über den Flaschenhals des Hafens erst im Bau. Der gesamte Verkehr der Halbe-Halbe-Stadt Willemstad ging immer noch über die Königin-Emma-Brücke. Eine Pontonbrücke, die jedes Mal ein besonderes Schauspiel bietet, wenn sich ein Schiff nähert. Die Brücke wird zur Seite geschwenkt, und der Stadtverkehr ruht. Das geht so bis zu zwanzig Mal am Tag, erfuhr ich.

Diese malerische Doppelinsel hat sich von dem Wohnsitz der Caiquetios-Indianer zu einem der wichtigsten Ölhäfen der Welt entwickelt. Die Indianer waren von demselben Stamm wie die an der Nordküste Venezuelas, die ja nur vierzig Meilen entfernt war. Der erste Weiße, der die Insel Curaçao betreten hatte, war ausnahmsweise nicht Kolumbus, sondern Amerigo Vespucci. Das war im Jahre 1499. Ein Kurzbesuch nur. Erst 28 Jahre später begannen die Spanier mit der Besiedlung der Insel und der Versklavung der Indianer. Als die spanischen Herren gut hundert Jahre später, nämlich im Jahre 1634, von den Holländern vertrieben wurden, hatten gerade noch 75 Indianer überlebt. Zehn Jahre später kam Peter Stuyvesant aus New Amsterdam als Gouverneur auf die Insel. Nach einer Kriegsverletzung soll ihm hier ein Bein amputiert worden sein, das irgendwo begraben wurde. Ich habe darauf verzichtet, das prominente Bein-Grab zu suchen. Ohnehin brachte Peter Stuyvesant nicht den Duft der großen weiten Welt mit. Den lernte er erst hier auf der Insel kennen, weil die noch lebenden letzten Indianer eifrige Tabakraucher waren. So richtig weltoffen wurde das Leben auf Curaçao erst, als die Juden kamen. Die waren vor den fanatischen christlichen Verfolgern in Spanien und Portugal geflohen und hatten bei den Holländern freundliche Aufnahme gefunden. Die Juden brachten der Insel dann einen ersten wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung.

Als ich durch die Straßen von Willemstad schlenderte und in die Gesichter der Passanten schaute, glaubte ich, die halbe Welt auf diesem Eiland versammelt zu finden. Nicht nur als Touristen, sondern als Einwohner. Dieses Völkchen Kunterbunt hat das Erdöl angeschwemmt. Dabei waren die Holländer ursprünglich nur am Salz interessiert. Das brauchten sie in Massen zur Kühlung ihrer Fischtransporte. Daneben nahmen sie aber auch gern die finanziellen Segnungen des bereits gut eingeführten Sklavenhandels wahr. Und sie beteiligten sich auch an den üblichen Überfällen auf spanische Schatzschiffe. Doch das ganz große Geschäft war das alles noch nicht. Das begann erst, als im Jahre 1914 in Venezuela am Maracaibo-See riesige Erdölvorräte entdeckt und angezapft wurden. Daraufhin baute die Firma Shell die der südamerikani- schen Küste vorgelagerte Insel Curaçao zu einem gewaltigen Ölstützpunkt aus, wo das Venezuela-Öl verarbeitet und gebunkert wurde. Von Arbeitern, die aus über fünfzig Ländern herbeigeströmt waren. Weil hier Farbige aus ganz Süd- und Mittelamerika die besten Einkommensmöglichkeiten fanden. Kein Wunder, dass sich auf dieser Insel auch eine neue Sprache entwickelt hat, das Papiamento. Eine Umgangssprache, die viele Bestandteile aus dem Holländischen und Spanischen, dem Portugiesischen, Englischen, Französischen und aus diversen westafrikanischen Sprachen enthält, angereichert mit »Okay« und ähnlichen Amerikanismen. Das heißt, wenn die Menschen auf Curaçao den Mund aufmachen, dann kriegt man die typische Weltoffenheit von Curaçao zu hören. Damit ist Curaçao im Kleinen das, was die gesamte Karibik im Großen ist, nämlich ein modernes Babylon: Von Insel zu Insel eine andere offizielle Sprache, dort Spanisch, dort Amerikanisch, da Englisch, da Französisch und hier Holländisch neben allerlei Mischmasch.

Kamen die Indianer vom Festland auf die Insel Curaçao, hinterher auch noch das Erdöl, dann war es nur konsequent, dass unser Schiff nun auf das Festland zusteuerte. Aber bis wir im Hafen von Caracas anlegten, blieb noch genügend Zeit, mir meine Mitreisenden genauer anzusehen.

Da waren wahre Wodkaheroen an Bord. Spät nachts, wenn die braven Reisebürger in ihren Kojen lagen, hockten sie noch in der Neptun-Bar zusammen. Oder auch in der Ukraine-Bar. Und sie tranken immer noch einen. Da wurde geschluckt wie in der ersten Stunde nach der Entlassung aus der Trinkerheilanstalt. Ganz der Verlockung der Minipreise hingegeben. Wer konnte da noch widerstehen? Zumal bei der einmaligen Chance, ohne Angst vor Polizeikontrollen und dem Verlust des Führerscheins sich volllaufen zu lassen. Der Heimweg war ja nicht lang und auf den breiten teppichbelegten Treppen vom obersten bis hinab zum untersten Deck notfalls auch auf allen Vieren zu schaffen. Im Krebsgang. Auf jedem Treppenabsatz stand ein Mädchen vom Personal in Habachtstellung, das bereit war, einem die Tür aufzuhalten.

Fünf Bars hatte unser Schiff. Mir schien fast, die 20 000 Tonnen, von denen voller Stolz die Rede war, seien mit Alkoholika gefüllt. Die Ukraine-Bar auf dem Obersten Deck war nachts so lange geöffnet, wie Gäste kamen. So eine fast zwanzig Meter lange Theke von Steuerbord bis Backbord auf dem obersten Deck war übrigens eine blendende Idee im Sinne der Verkaufsförderung. Dort oben waren natürlich die unvermeidlichen Schwankungen des Schiffs am stärksten. An der Theke standen die durstigen Touristen oft in drei Reihen hintereinander. Ein egalisierendes Gedränge, gegen drei Uhr morgens eine einzige Verbrüderungsorgie. Das lange breite Brett der Theke stand voller Gläser und Flaschen. Da gefiel es dem Genossen Taras Shevchenko, sich einmal etwas heftiger nach Backbord zu verneigen, und mit einem Rutsch waren sämtliche Flaschen und Gläser abgeräumt, begleitet von lautem Klirren und einem gemeinsamen Aufschrei, halb erschrocken, halb belustigt. Ein Serviermädchen nahm dann den Schrubber, der in der Ecke stand, und schob die Scherben unter dem Stuhl in der Ecke zusammen. Es wurde neu bestellt und neu bezahlt und fröhlich gezecht und weiter geredet. Bis unser Schiff es sich einfallen ließ, eine schnelle Verneigung nach Steuerbord vorzuführen, so dass wieder alles futsch war. Auch rechts stand ein Stuhl in der Ecke, unter dem der Scherbenhaufen wuchs. Bei den Preisen war das Wetttrinken mit den Wellen ein köstliches Spiel: 60 Pfennige die Flasche deutsches oder dänisches Bier, 90 Pfennige ein französischer oder armenischer Cognac.

Ich fand das Publikum recht gut gemischt. Von acht bis 82 Jahren reichte das Alter, von billiger Kirmesaufmachung bis zum Nerzjäckchen und der weißen Smokingjacke. Zum Abendessen waren für Herren Jackett und Krawatte vorgeschrieben. Das fand ich erstaunlich für eine Neckermann-Reise. Doch schon am dritten Abend verstieß einer der Herren gegen die Vorschrift. Bald fehlten immer mehr Jacken und Krawatten, und es herrschte eine angenehm lockere Atmosphäre. Was den Vorteil hatte, dass niemand großen Aufwand zeigen konnte. Jetzt hieß das ungeschriebene Gesetz: Bieder, bürgerlich, sportlich leger. Immerhin war die relative Armut der Reisenden abgestuft bis hin zum eigenen Haus auf Teneriffa und der Schuhimportfirma mit 150 Millionen Jahresumsatz, die mein 82-jähriger Tischnachbar besaß. Er und seine Frau lebten also auf entschieden größerem Fuß als ich und meine Frau, was uns aber nicht störte. Wir fanden die Zusammensetzung der Reisegesellschaft sehr angenehm.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
151 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783945961629
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