Kitabı oku: «Lasst uns über Liebe reden», sayfa 2

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Vom Mädchen, das ein bisschen anders war
(Yuriko Natalie Hoshi, 1973–2013)

Was ist Glück? Was heißt: glücklich sein? Für jeden etwas anderes. Der eine ist glücklich über die teuren Geschenke, die er bekommt, zu Weihnachten etwa. Natalie Hoshi war glücklich beim Auspacken der Geschenke. Das Auspacken war ihr wichtiger als der Inhalt.

Das Glücklichsein, wenn man ganz große Karriere gemacht hat, ein stattliches Haus besitzt, kannte Natalie nicht. Sie war glücklich über ihre Arbeit als Hilfskraft im Landeskrankenhaus Salzburg, in der Abteilung für Physikalische Medizin und Rehabilitation. Die kleine Wohnung in der Lanserhofstraße in Maxglan, in der sie die letzten vier Jahre ganz allein gelebt hat, hat sie glücklich gemacht. Und zufrieden und auch stolz. Eigene Arbeit, eigene Wohnung. Ihr eigener Rhythmus, ihr eigenes, eigenständiges Leben. Man kann glücklich sein über einen Millionengewinn beim Glücksspiel. Oder glücklich sein, wenn einem die Patienten, für die man die Therapiebäder perfekt vorbereitet hat, Schokolade schenken, weil sie so zufrieden waren.

Natalie Hoshi muss oft glücklich gewesen sein. Es heißt, wenn man schnell unterwegs ist, beim sehr langen, kilometerweiten Laufen zum Beispiel, werden Glückshormone ausgeschüttet. Natalie Hoshi war in manchem langsamer als die anderen. Vielleicht war sie deshalb glücklicher, zufriedener? Oder anders glücklich, anders zufrieden.

Manche Menschen zeigen ihr Glücklichsein, indem sie alle und jeden umarmen und küssen. Natalie war, könnte man sagen, keine Welt-Umarmerin, aber sie war sehr glücklich, wenn Liam, ihr kleiner Neffe, grad 18 Monate alt, der Bub von Akemi, ihrer Schwester, und deren Mann Sven, die Ärmchen nach ihr ausstreckte, wenn er auf sie zutrippelte und sein Köpfchen in ihren Schoß legte. Liam war der, den sie, wenn er mit seinen Eltern zu Besuch war, umarmen und herzen konnte. Eine einzige Umarmung kann glücklicher machen als alle Freundschaftsküsse dieser Welt.

Ja, Nathalie Hoshi war oft glücklich über das, was wir im Hochmut, in unserer Gedankenlosigkeit, „Kleinigkeiten“ nennen. „Viele Menschen versäumen das kleine Glück, während sie auf das Große vergebens warten“, schreibt Pearl S. Buck, die Literaturnobelpreisträgerin, deren Tochter übrigens seit der Geburt an einer, damals nicht behandelbaren, Erbkrankheit litt.

Natalie Hoshi war eine Lehrmeisterin in Sachen Glück. Der Name Natalie hängt mit Weihnachten zusammen, das sie sehr gemocht hat. Er kommt vom Lateinischen „dies natalis“, also Tag der Geburt; übertragen: der Geburt Christi, Weihnachten. Natalie war sozusagen ein Weihnachtskind, mitten im Sommer geboren.

Als sie das Licht der Welt erblickte, in Tokio, hatte der Vater, Takashi Hoshi, ein weltweit gefragter Maschinenbau-Ingenieur, grad beruflich in Warschau zu tun. Und für das Baby war noch kein offizieller Name ausgesucht. Die Mama sagte Natalie zum Töchterchen. Die Japaner fanden diesen Namen wunderschön. Als der Vater von der Europa-Reise nach Tokio zurückkam, nannten sie bereits alle Verwandten und Familienfreunde Natalie. Dabei blieb es, bis heute.

Geboren wird Natalie Hoshi an einem Glückstag. Der 7.7. ist ein ganz besonderer Tag in Japan. Ein Festtag. Da wird Jahr für Jahr das Tanabata-Fest gefeiert. Kinder, die an diesem Tag zur Welt kommen, werden Glückskinder genannt. Das hat mit einer schönen Legende, der Sternenlegende zu tun. Der Geschichte der Prinzessin Orihime, Tochter des Himmelsgottes, die eine fleißige Weberin ist. Vor lauter Arbeiten ist es ihr nicht möglich, einen Mann an ihrer Seite zu finden. Da schickt ihr der Vater den Rinderhirten Hikoboshi und vermählt die beiden. Orihime und Hikoboshi entflammen sofort in großer Liebe. Ja, sie lieben einander so sehr, dass sie darüber vollkommen die Arbeit vergessen. Der Vater, der Himmelsgott, bekommt keine von seiner Tochter gemachten Kleider mehr. Und die Rinder seines Schwiegersohnes werden krank. Da erzürnt der Gott und verbannt mit seinen magischen Kräften den Hirten auf die andere Seite der Milchstraße. Und nur einmal im Jahr dürfen hinfort die Liebenden einander begegnen, an Tanabata, am 7. Juli, an dem der Legende nach die Sterne Altair und Wega sich am Nachthimmel treffen.

An diesem Tag werden in Japan poetische Wünsche auf bunte Papierstreifen geschrieben und an Bambusstangen befestigt, in der Hoffnung, dass sie in Erfüllung gehen.

Natalie Hoshi ist an einem Tanabata-Tag geboren, als erstes Kind von Takashi und Annemarie Hoshi. Die Mutter stammt aus Ostpreußen, der Vater aus Japan. Sie lernen einander in Düsseldorf kennen, bei der Arbeit. Der Maschinenbau-Ingenieur muss, für die japanische Firma Mitsui, später dann für Sony, oft seinen Wohnort, seine Lebensadresse wechseln. Geheiratet wird in Düsseldorf, aber dann geht es für vier Jahre nach Tokio. Und jetzt gehört also Natalie zu ihnen.

Bald führt die Lebensreise zurück nach Düsseldorf, wo zwei Jahre nach Natalie das zweite Mädchen, Akemi, das Licht der Welt erblickt. Dann Wien für zehn Jahre, schließlich Salzburg. Die kleine Familie Hoshi ist immer dort daheim, wo der Vater zu arbeiten hat.

In Wien lebt man in Mauer, im 23. Bezirk. Ganz in der Nähe befindet sich der Waldorfkindergarten. Hier fühlt sich Natalie wohl, findet Freunde, ist bei den Spielen und Späßen mit dabei. Sie ist kleiner als die anderen Kinder, aber das macht nichts. Sie ist ein bisschen langsamer. Das macht nichts. In Wien, auch dann in der Waldorfschule, ist das kein Problem. Natalie erlernt ein Instrument – die Leier. Die kleine Schwester, Akemi, spielt Geige.

Ach, Weihnachten ist immer so schön. Erst die Geige, dann die Leier. Das Weihnachtsevangelium, von der Mama gelesen, der Christbaum. Das Auspacken der Geschenke. Die Wiener Jahre sind eine unbeschwerte Zeit. In der Schule eine tolle Lehrerin, fröhliche, nette Mitschüler. In der Freizeit alles, was Spaß macht: Schwimmen, Radfahren, im Winter Skifahren. Mit der Schwester im Garten herumtollen. Ein bisschen langsamer, aber darauf kommt es nicht an. Niemandem.

In Salzburg, so scheint es, kommt es darauf an. Keine so aufmerksame Lehrerin mehr, keine so fröhlichen, netten Mitschüler. Oder nur wenige. Nur weil sie, die Natalie, ein bisschen anders ist, ein bisschen langsamer? In Salzburg gibt es eine Diagnose für dieses Anderssein. Die lautet „Turner-Syndrom“, eine Chromosomen-Besonderheit. Damit wird man geboren. Jedes 2.500-ste Mädchen wird damit geboren. Auch wenn man an Tanabata zur Welt gekommen ist.

Jetzt ist das Mädchen 13 und es heißt: Mit diesem Syndrom kann man gut leben. Ein bisschen was ist anders, manche Entwicklung stellt sich zeitverzögert ein. Darauf kommt es nicht an. Vielen schon. Vor allem Mitschülerinnen und Mitschülern, die grad mitten in der Pubertät stecken, mit allem, was dazugehört.

Bei Natalie ist die Pubertät nicht ausgebrochen. Jetzt reden die anderen von ach so wichtigen Dingen, die ihr nicht vertraut sind. Mopedfahren, Tanzen, heiße Partys, Flirten. Da kann, da will sie nicht mitreden, nicht mitmachen. Um die Kleine, die Langsame kümmern sich nur einige aus der Klasse. Die Schule bringt sie trotzdem bis zum Abschluss hinter sich. Die Familie kümmert sich umso mehr. Die Mutter, die Schwester, die ihre Natalie im Haus in Parsch beschützen, behüten, umsorgen.

Das Mädchen hat vieles, was andere nicht haben. Natalie ist äußerst gewissenhaft, vergisst nie etwas. Wenn man ihr sagt: „Weck mich um viertel nach sechs in der Früh“, weckt sie einen um viertel nach sechs in der Früh. Sie merkt sich alle Daten, alle Geburtstage. Man kann sich auf sie voll und ganz verlassen. Sie ist pünktlich, manchmal – nicht immer zur Freude der anderen, ihrer Schwester zum Beispiel – über-überpünktlich.

Nach der Schule die Familien-Überlegungen, welchen Beruf Natalie ergreifen könnte: Was kann sie machen? Wo wird sie akzeptiert? Was will sie selbst? „Weiß ich nicht“, sagt sie auf die letzte Frage. Die Mutter schickt sie auf berufsorientierte Jugendseminare in Deutschland. Massage wäre eine Möglichkeit, vor allem, als eine Ausbildnerin meint: „Die Natalie hat schöne, energiestarke Hände.“ Sie lässt sich in diversen Massagetechniken ausbilden, auch in Shiatsu-Therapie, massiert eine Zeit lang im Bekanntenkreis. Aber, auch das ein Symptom ihrer Erkrankung, sie scheut Körperkontakt, Berührungen sind ihr nie wirklich angenehm. Umarmungen auch nicht.

Natalie Hoshi werden 50 Prozent Behinderung attestiert. Da schafft Prof. DDr. Anton Wicker, der Primararzt auf der Uni-Klinik für Physiotherapie und Rehabilitation am Landeskrankenhaus, für sie eine eigene Arbeitsstelle. Als Hilfskraft, zuständig für die Bäder, auch für die Magnetresonanztherapie. Außerdem ist sie die verlässlichste Post-Vermittlerin, die sich denken lässt. Jetzt hat sie ihre fixen Aufgaben, ihren exakten Arbeitsrhythmus. Acht Jahre lang ist sie auf ihrer Station glücklich und zufrieden. Mit dem Job, mit den liebenswürdigen Mitarbeiterinnen, mit dem Essen in der Spitalskantine.

Akemi, die Schwester, ist mit 18 von daheim ausgezogen, ist nach Linz gegangen, um – nach der Waldorfschule in Salzburg – dort die Matura zu machen, und schließlich nach Amerika, um Psychologie und Kriminalistik zu studieren und auf diesen Gebieten den Bachelor und das Master-Diplom zu erwerben. Seit 2004 lebt sie mit ihrem Mann Sven in Malaysia.

2004 stirbt der Vater, Takashi Hoshi. Die Mama und die Natalie sind und bleiben unzertrennlich, ganz aufeinander abgestimmt. Im Jahr nach Vaters Tod bekommt Natalie ihren Arbeitsplatz. Und schließlich, 2009, ihre eigene Wohnung. Und kommt prima mit allem zurecht. Das große Glücklichsein, die ganz große Zufriedenheit. Eigene Arbeit, eigene Wohnung, eigener Lebensrhythmus.

Am Vormittag wird im Krankenhaus gearbeitet, zu Mittag in der Kantine gespeist. Am Nachmittag gibt es fixe Termine: Tee zubereiten, Duschen, Wäschewaschen im Keller. Alles in ihrem Tempo, gründlich und genau geplant. Und dann, wichtig, um Punkt 18 Uhr im Ersten Deutschen Fernsehen die Vorabendserie Verbotene Liebe. Bitte ja nicht anrufen um diese Zeit! Seit 1995 gibt es diese Daily Soap, Woche für Woche, von Montag bis Freitag. Sehr viele Folgen wird Natalie Hoshi nicht versäumt haben.

Ihre Schwester Akemi schaut sich in der Ferne, in Malaysia, viele Folgen im Internet an, damit sie Bescheid weiß, wenn Natalie sie am Telefon fragt, was sie von dieser oder jener Liebesverwicklung in der Verbotenen Liebe hält. Zu ihrem 40. Geburtstag, heuer am Tanabata-Tag, hat Akemi für ihr Schwesterherz eigenhändig unterschriebene Autogrammkarten der wichtigsten Darsteller dieser Lieblingsserie per Post bei der ARD besorgt. Was für ein kleiner, großer Liebesbeweis!

Der 40. Geburtstag. Ein festliches Essen mit ein paar Freunden und der Familie natürlich beim Schützenwirt in St. Jakob. Geburtstage hat sie sehr gemocht. Und Geschenke vor allem, weil man sie auspacken konnte.

Was Natalie Hoshi noch gern gehabt hat? Schwimmen, eine richtige Wasserratte ist sie gewesen. Was für ein gutes Gefühl, wenn der Körper im See, im Meer schwerelos wird. In Griechenland, in Jugoslawien, in der Türkei, am Wallersee, im Schwimmbad.

Reisen war schön. Immer mit der Familie. Zur Akemi nach Amerika, nach Asien. Viermal war sie bei ihr in Malaysia. Ist nach Thailand, Kambodscha, Indonesien, Singapur mitgeflogen. Das hat sie toll gefunden, aber es hat sie auch immer belastet. Weil dadurch ihre Alltagsroutine durcheinandergekommen ist. Was tun wir am Abend? Was geschieht morgen? In einer Stunde? Ungewissheit hat Natalie sehr verunsichern können. Dann hat Akemi sie wieder beruhigt. Bei ihr war sie in sicheren Händen. Behütet, beschützt.

Ein Schokoladen-Fan ist sie gewesen. Die Süßigkeiten im Café Schatz hat sie nicht verachtet; überhaupt das Essen, wichtig! Als Kind am liebsten: Schnitzel, Schnitzel, Schnitzel. Jeansröcke hat sie gerne getragen. Niemals Hosen. Ihre bevorzugte Kleiderfarbe: blau. Eine Orchidee, die ihr die Schwester einmal schenkte, hat sie durch viele Winter gebracht. „Akemi, deine Orchidee blüht immer noch!“

Malkurse bei Karin Unterburger, einer Maltherapeutin, hat sie besucht und dabei erstaunliche Bilder geschaffen. Bilder in zarten Farben, mit einer duftigen, berührend positiven Ausstrahlung. Manchmal musste man sie ein bisschen anschubsen, aber dann hat sie mit Freude weitergemalt. Der Mutter hat sie manches Bild überlassen, aber nur für einige Zeit, als Leihgabe. Natalie Hoshi war stolz auf ihre Werke.

Einmal, da war sie 23, 24 Jahre alt, hat sie begonnen, für Udo Jürgens zu schwärmen und hat sich alle CDs von ihm gekauft. Ein jahrelanges Schwärmen ist daraus geworden.

Und später für den Schauspieler und Fernseh-Conférencier Alfons Haider. Sogar seine Biografie hat sie gelesen, als eines der wenigen Bücher in ihrem Leben. Man nennt ihn den Küsserkönig, weil er so charmant und formvollendet allen Damen die Hand küsst. Im Fernsehen hat sie ihn bewundert, einmal sogar live im Salzburger Landestheater, das ist grad einmal ein Jahr her, im Stück Butterbrot von Gabriel Barylli. Der Onkel Heinz hat sie oft zum Lachen gebracht, auch wenn er sie ein bisschen auf die Schaufel genommen hat.

Liam, ihr kleiner Neffe, war der wärmste Sonnenstrahl in den letzten 18 Monaten. Wenn er ihr die Ärmchen entgegengestreckt, seinen Kopf in ihren Schoß gelegt hat, wenn sie ihn hochgehoben hat. Von ihm hat Natalie gelernt, dass man manchmal Rücksicht nehmen muss. „Wir müssen es so machen, wie es für den Liam richtig ist!“ Sie hat auch gelernt, auf die Mama Rücksicht zu nehmen, als ihr klar geworden ist, dass selbst die Mama nicht unverwundbar ist, die Mama, die ihr immer ganz, ganz nahe war und auch jetzt noch ist.

Von der Natalie, sagt Akemi, die wunderbare Schwester, hat man lernen können, dass man die Welt nicht immer durch seine eigenen Augen beurteilen kann, sondern offen sein muss für andere Betrachtungsweisen. Natalie lebte, so Akemi, in ihrer eigenen Welt, die nicht für alle zugänglich war und die andere Werte hatte. „Entschleunigen“ konnte man von ihr lernen. Selbst einmal langsamer werden.

„Viele Menschen versäumen das kleine Glück, während sie auf das Große vergebens warten.“ Natalie Hoshi war, weil sie ein bisschen anders war, eine Lehrmeisterin für die anderen. Eine Lehrmeisterin in Sachen kleines, großes Glück und Zufriedenheit.

Dem himmlischen Stern hinterdrein
(Richard Mühl, 1947–2012)

„Deine Wangalan“ heißt die kleine Melodie, die du sehr gemocht hast, Richard. Tobi Reiser, der Jüngere, hat sie komponiert, das Reiser-Ensemble hat sie gespielt. Wir waren Hirten beim Salzburger Adventsingen, lang ist es her. Tobi Reiser, Karl Heinrich Waggerl, das war unsere Bubenzeit, Hirtenstock und Filzhut, der Andachtsjodler und der Stern, dem wir andächtig Jahr für Jahr gefolgt sind, auf dem Weg zum Stall von Bethlehem, auch wenn wir längst gewusst haben, dass der Stern bloß ein heller Scheinwerfer hoch droben im Beleuchterhimmel in der Aula oder im Festspielhaus gewesen ist.

Wer einmal Hirte war, der bleibt ein Hirte, dem Herzen nach, sein Leben lang. Du hast oft von dieser Zeit geplaudert, Richard, bist später gerne zu den Treffen der ehemaligen Hiatabuam und Hirtensänger gekommen. Wenn du aufgetaucht bist, nicht nur beim Hirtentreffen, ich glaube, das hast du immer und in jeder geselligen Runde so gemacht, hast du zuallererst jedem erzählt, wie lang du mit der Anni verheiratet bist. Und im nächsten Satz, dass du deinen erstgeborenen Sohn, den Richard, 1994 durch einen tragischen Unfall verloren hast. Das waren die ersten Sätze. Dann alles andere.

In der Nacht vor deinem so überraschenden Tod heute vor einer Woche, hast du mit der Nachtschwester im „Wehrle“ ein bisschen geshakert, kavaliersmäßig, und hast ihr dein ganzes Leben erzählt. Der erste Satz war wohl der: „45 Jahre bin ich mit der Anni verheiratet!“ Und der zweite: „Seit 18 Jahren ist mein erster Bub, der Richard, tot.“

Du warst so stolz und so verwundbar zugleich. Kein Diplomat, weiß Gott nicht. Wie einseitig wäre das Leben, wenn es nur diplomatische Menschen gäbe! Die zu allem Ja und Amen sagen. Du bist immer den geraden Weg gegangen, und der führt manchmal mit dem Kopf durch die Wand. Du bist einer mit Ecken und Kanten gewesen, da eckt man hin und wieder an. Das ist halt so.

Du hast oft einfach die Wahrheit gesagt, gradheraus – das verträgt nicht ein jeder. Das Wichtigste: Du hast Handschlagqualität besessen, auf dich hat man sich hundertprozentig verlassen können, ob als Versicherungs-Kunde oder als Freund. Du hast geholfen, wo es was zu helfen gab, ohne Zögern und ohne auf die Uhr zu schauen. Warst einfach da – zur richtigen Zeit. Du mit deiner rauen Schale und diesem großen butterweichen Herzen!

Der Anfang, der Einstieg ins Leben, war nicht gerade leicht. Die Jahre vor deiner Geburt: Der Vater im Krieg, die Mutter mit zwei Mädchen, der Judith und der Helga, deinen älteren Schwestern, auf der Flucht vor den Russen – irgendwohin in den Westen. In der Unterfischach-Mühle bei Köstendorf sind sie angekommen, haben beim Bauern wohnen und mitarbeiten dürfen. Gott sei Dank ist auch der Vater unversehrt aus dem Krieg zurückgekehrt. Und dann hast du das Licht der Welt erblickt, Ritschi – am 24. Februar 1947.

Richard Mühl, genauso wie der Vater. Dein Vater war gelernter Tischler und später ist er Finanzbeamter geworden. Aber vor allem war er so geschickt mit den Händen, beim Bauen, beim Basteln, ach bei allem. Wie tatkräftig hat er später beim Umbau eurer so sehr geliebten Hütte am Fuß des Schlenken mitgearbeitet! Er hat dir früh beigebracht, dass ein richtiger Bub immer ein Taschenmesser, eine Schnur und Streichhölzer bei sich tragen muss. Das hast du als richtiger Bub befolgt und später an deine beiden Buben weitergegeben. Beim Bauern von der Unterfischach-Mühle bist du am liebsten mit dem Traktor herumgefahren. Aber dann seid ihr mit Kind und Kegel in die Stadt gezogen, Salzburg, Nonntaler Hauptstraße – die ganze Familie auf engstem Raum. Platz ist in der kleinsten Hütte. Und dann ist noch der Bernhard, der kleine Bruder, zur Welt gekommen.

Eure Mutter, Leopoldine Mühl, hat sich einen Namen gemacht als engagierte Funktionärin bei den ÖVP-Frauen. Du hast ja später auch, ihrem Vorbild folgend, viel Zeit und Energie in die Partei-Mitarbeit bei der Ortsgruppe Parsch gesteckt.

Du, Ritschi, hast die Volksschule in Nonntal besucht, bist beim Sternsingen als einer der Heiligen Drei Könige vor lauter Übermut in den Almkanal gefallen, aber dir ist nichts passiert und man hat dir statt dem nassen Heiligen-Gewand Klamotten aus der Altkleidersammlung der Pfarre angezogen, dass du dir keinen Schnupfen holst. Du hast im Nonntaler Kirchenchor mitgesungen, warst Handballspieler, Hirte beim Adventsingen und Ministrant.

Lasst uns über die Liebe reden. Dass Ehen im Himmel geschlossen werden, ist ein allseits bekannter Satz. Aber dass sich zwei junge Menschen in der Kirche ineinander verschauen, so sehr, dass sie später einmal heiraten, das kommt nicht so oft vor. Du warst also Ministrant im Nonntal, Richard, fromm und spitzbübisch zugleich. Grad einmal fünf Jahre jung, als du damit angefangen hast. Und später dann, als ihr Ministranten alt genug dafür wart, habt ihr, deine Kollegen und du, leidenschaftlich gern mit dem Herrn Pfarrer tarockiert, wenn er nicht grad im Brevier gelesen hat.

Wo Ministranten sind, da sind meistens auch die Jungscharmädchen nicht weit. Eines dieser Mädchen, sie ist noch in die Hauptschule gegangen wie du, hat Anni geheißen, die Anni vom Hinterholzerkai. Jedes der Mädels hat sich einen Ministranten ausgesucht, rein platonisch, nur so zum Anhimmeln. Sie, die Anni, hat dich erkoren, den schlanken, ranken Ministranten Richard, blond und blauäugig … obwohl sie eigentlich von einem Schwarzhaarigen mit braunen Augen geträumt hätte. Egal – es war ja ohnehin eine Liebe ohne Worte, aber eine mit Herzklopfen. Deinetwegen ist sie mit dem Rad jedes Mal in die Frühmesse gefahren, weil du so fromm ministriert und so spitzbübisch gelächelt hast. Ach, diese wunderbare erste Verliebtheit!

Dann haben sich eure Wege getrennt. Die Anni vom Hinterholzerkai hat eine Bürokaufmannslehre gemacht, du hast eine Zeit lang die LBA besucht, die Lehrerbildungsanstalt. Einer deiner Lehrer war Hans Katschthaler, der spätere Landeshauptmann, der jetzt drei Wochen vor dir gestorben ist. Dein Musiklehrer in der LBA wollte unbedingt, dass du ein Instrument erlernst, weil du so musikalisch warst. Orgel zum Beispiel. Bei euch daheim hätte es eine Harfe für dich zum Spielen gegeben. Aber das war nicht in deinem Lebensplan vorgesehen. Singen – gern. Und laut! Dein ganzes Leben lang. Hunderte Wander-, Berg-, Volks- und Wienerlieder. Die Kirchenlieder sowieso. Fehlerfrei und textsicher. Aber kein Instrument.

Und auch die LBA hast du vorzeitig wieder verlassen. Lieber zum Bundesheer, hast du gedacht, für eine Weile.

Dann habt ihr euch wiedergefunden, die Anni und du. Am 24. Februar 1965, an deinem 18. Geburtstag. Bei einem Fest beim Römerwirt in Nonntal, gleich gegenüber von eurem Wohnhaus.

Du hast einen Nebenbuhler, den die Anni ohnehin unbedingt loswerden wollte, unmissverständlich in die Schranken gewiesen. „Hoppla, jetzt komm ich!“ Und die Sache war gelöst. Ihr habt getanzt, du und die Anni, und ihr seid beisammen geblieben, für immer.

Was für ein guter Tänzer du gewesen bist! Wenn die Anni mit ihren Bürokolleginnen unterwegs war, dann hast du auch mit denen getanzt, Kavalier, der du warst. Kein Ball, kein Fest, bei dem ihr nicht bis zum letzten Walzer getanzt habt. Als dich, später dann, das Knie im Stich gelassen hat, habt ihr zumindest in der Silvesternacht auf der „Hütt’n“ zu lauter Musik den Donauwalzer getanzt, die Feuerwerkssterne am Nachthimmel. Ihr zwei, im schönsten Walzerschritt. Da hättest du am liebsten die ganze Welt umarmt!

„Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen“, hat Augustinus geschrieben. Die Engel, da droben oder da drüben, wo auch immer sich der Himmel befindet, werden sich reißen um einen Tanz mit dir. Und du, Gentleman der alten Schule, wirst ihnen keinen Tanz verweigern.

Du hast ihnen ja längst und stolz erzählt: „45 Jahre war ich mit der Anni verheiratet!“ Vom Richard, dem Erstgeborenen, musst du nichts erzählen. Der ist ja längst bei dir. Ihr habt euch umarmt. „Alles ist gut.“ Und heute Nacht werdet ihr eine spontane Fahrt durch das Sternenmeer unternehmen, wie du, Ritschi, mit ihm früher das eine oder andere Mal, einfach so, spontan, mitten in der Nacht runter in den Süden ans Meer gedüst bist.

Im Jänner 1967 habt ihr in der Kirche Herrnau geheiratet, du und die Anni. Vier Monate später, die Liebe hat ihre eigene Zeitrechnung, ist der Richard zur Welt gekommen. Ihr habt in Obertrum gewohnt, dann in der Josefiau – und 1970 seid ihr Parscher geworden und geblieben, im Haus gegenüber der Parscher Kirche.

Die Anni hat beim ORF zu arbeiten begonnen. Du, Richard, hast verschiedenes ausprobiert in deinem Berufsleben: Hypo, dann Verkaufsförderer bei einer Getränkefirma. Und neben der Arbeit, sprich: in der Nacht, hast du, fleißig wie du warst, bei der Firma Albus die riesigen Busse gewaschen und gesäubert, damit mehr Geld ins Haus kommt. Bald seid ihr ja zu viert gewesen. 1973 ist euch der zweite Sohn, der Christian, geboren worden.

Ein fürsorglicher Vater bist du gewesen, sagt der Christian. Immer da, wenn man dich gebraucht hat. Du hast den beiden „Türen geöffnet“ und warst an ihrer Seite – das ist das Wichtigste, ob man sich immer ganz einig ist oder nicht.

Als der Richard und der Christian beim SAK Fußball gespielt haben, bist du selbstverständlich bei jedem Spiel dabei gewesen. Du warst ein richtiger Spielervater, hast alles in die Hand genommen, hast deine Buben unterstützt und angespornt.

Wenn der Richard auf Jungscharlager gefahren ist, bist du mitgefahren, als väterlicher Betreuer für alle. Du hast junge Menschen so gut motivieren können, Richard! Wenn der Christian ins Pfadfinderlager gezogen ist, bist du natürlich ebenfalls mitgekommen, hast organisiert, was zu organisieren war; und wenn noch Kochgeschirr gefehlt hat, hast du halt beim Bundesheer welches besorgt. Später dann, als der Christian in Graz studiert hat, hast du für ihn oft vorgekocht, hast ihm in der Kühltasche allerlei Köstliches und Nahrhaftes mitgegeben, damit der Bub, der Student, nicht verhungern muss.

Bei „SPAR“ bist du Finanz- und Vermögensreferent gewesen, da hast du selbstständig wichtige Entscheidungen treffen müssen und hast dich dabei wohlgefühlt, zehn Jahre lang. Bis auch dieses Kapitel für dich abgeschlossen war. Bei der Wiener Städtischen hast du 20 Jahre lang gearbeitet als Kundenbetreuer. Ich weiß es selbst, wie gewissenhaft und ausdauernd du Menschen, die keine Ahnung vom Versicherungswesen haben, beraten und begleitet hast. Und wenn es gepasst hat, hat man ein paar nagelneue Witze dazu serviert bekommen. Du warst Bezirksinspektor, aber Titel waren für dich das Unwichtigste überhaupt. Zu deinen Aufgaben hat es auch gehört, in den Kasernen die jungen Grundwehrdiener über Versicherungen zu informieren. Das hat dir Freude gemacht. Junge Menschen hast du gemocht.

Du hast die Natur geliebt, Richard, und hast die Deinen mitgenommen, deine Familie und Annis Familie – in die Berge, auf den Hochkönig zum Beispiel. Urlaub auf den Almen! Als du selbst noch ein junger Mann warst, bist du mit deiner Schwester Helga mit dem Fahrrad über den Pass Lueg gestrampelt und dann seid ihr zu Fuß hinauf auf die Werfener Hütte gestiegen. Die Berge haben dich fasziniert.

Zur Bundesheerzeit hast du am Untersberg beim Seilbahnbau mitgeholfen und hast Ziegel geschleppt. Das karge Ziegelgeld ist nach den Anstrengungen meist fürs Durstlöschen draufgegangen.

Wo du glücklich warst? Beim Schwammerlsuchen in Hüttau! Auf Reisen, mit dem Auto nach Kroatien. Du, der Frühaufsteher, hast alle anderen zum Frühstück mit Obst und Gemüse versorgt, das du bei Sonnenaufgang gepflückt oder eingekauft hast. Die Kreuzfahrt durchs Mittelmeer, die Schiffsfahrt auf dem Rhein, die Reise zur Zitronenblüte in Nizza und Cannes. Wanderurlaube in Niederösterreich. Die Flugreisen nach Amerika, nach Florida … und einmal mit dem Wohnmobil von Los Angeles bis Las Vegas. Deinen 65. Geburtstag, heuer im Februar, habt ihr, die Anni und du, Richard, auf Mallorca gefeiert, als die Mandelbäume so wunderschön geblüht haben.

Über alle Maßen glücklich? Auf der „Hütt’n“! Seit 30 Jahren – in jeder freien Minute „auf der Hütt’n“! Am Fuße des Schlenken habt ihr einen Stadel umgebaut, habt jedes Brett händisch hinaufgeschleppt, und dein Vater hat dir geholfen beim Fenster-Einbauen. Die zweite Hütte, die in Adnet-Wimberg, ist schon gestanden, aber hübsch erweitert habt ihr sie, immer fest Hand angelegt. Und dann diese unvergesslichen Momente: In der Hütte sitzen, vor der Hütte sitzen, mit lieben Freunden die prachtvolle Aussicht genießen, den Sonnenuntergang.

Einfach glücklich sein. Reden, singen, erzählen … wie lange du und die Anni schon verheiratet seid zum Beispiel. Voller Genuss das Bier trinken und den Schweinsbraten verspeisen, den du eigenhändig am alten Bauernofen zubereitet hast … oder deine Kaspressknödel. Ein begnadeter Koch bist du gewesen. 25 Leberknödel auf einmal – eine Kleinigkeit. Koch und Genießer. Beim Kochen hast du dich so gut vom Arbeitsstress und vom Alltagsärger erholen können. Redselig warst du. Und leutselig. Selig mit Leuten rund um dich.

Deine Anni hast du überallhin begleitet, auch zu den Dreharbeiten fürs Klingende Österreich. Du warst stolz auf deine Familie, über das erste Schulzeugnis eurer Enkelin Stefanie, lauter Einser!, hast du dich sehr gefreut. Vor vier Wochen warst du noch auf der „Hütt’n“, ein bissl was herrichten, für später.

Am Schluss ist alles so schnell gegangen. Dass du alles erledigt hast, hast du der Anni gesagt, „wann i’ a Bankl reiß“. Das war deine Art: raue Schale, butterweiches Herz. Du hast viele Seiten des Lebens kennengelernt, nicht nur die strahlenden. Du hast verzweifelt und du hast so glücklich sein können, Ritschi, Hirtenbruder. Du hast dir den Himmel weiß Gott redlich verdient.

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