Kitabı oku: «Quentin Durward»
Walter Scott
Quentin Durward
Scratch Verlag
klassik
e-book 106
Erscheinungstermin: 01.12.2021
© Scratch Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Igor Shaganov
Vertrieb: neobooks
Walter Scott
Quentin Durward
Erstes Kapitel.
Im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts ereigneten sich alle jene Ereignisse, die das Königreich Frankreich in den Besitz jener starken Macht brachte, die jahrhundertelang für die übrigen europäischen Staaten zu einem Eifersuchtsobjekt werden sollte. Vor dem Beginn dieses Zeitabschnitts war Frankreich in langen Kriegen mit England verwickelt. Selbiges hatte einen Teil der schönsten Provinzen Frankreichs an sich gerissen. Es bedurfte äußerster Anstrengung seitens des Königs und dessen Untertanen, das, was ihm noch gehörte, zu erhalten. Es drohte für Frankreich auch eine andere Gefahr. Durch die Erfolge der Engländer übermütig geworden, hielten sich die Fürsten, die im Besitz der großen Kronlehen waren, namentlich die Herzöge von Burgund und der Bretagne, nicht mehr an ihre Lehnsverträge. Sie scheuten nicht davor zurück, die Waffen gegen ihren Lehnsherrn, den König von Frankreich, zu erheben, sobald ihnen irgendein Anlass oder eine Gelegenheit dazu geboten wurde. In Friedenszeiten führten sie in ihren Provinzen ein völlig unumschränktes Regiment. Das Haus Burgund mit dem schönsten und reichsten Teil von Flandern besaß eine so bedeutende Macht, dass es der Königskrone Frankreichs weder an Reichtum noch an Streitkräften unterlegen war. Den großen Vasallen eiferten die kleinen nach; ein jeder von ihnen versuchte, sich Macht und Unabhängigkeit zu verschaffen. Dabei scheuten sie weder vor der schlimmsten Gewalttätigkeit und Grausamkeit zurück. So wurde in der Auvergne ein Verzeichnis mit über 300 Adeligen aufgestellt, die sich der Blutschande, des Raubes und Mordes, schuldig gemacht hatten.
Zu allem Überfluss kam hinzu, dass das Königreich Frankreich durch die langwierigen Kriege mit England wirtschaftlich am Boden lag. Im Land versammelte sich der Abschaum aller Länder dieser wilden Zeit. Viele der verwegenen Abenteurer bildeten Banden und plünderten in Stadt und Land. Sie boten ihre Schwerter und Manneskraft demjenigen an, der am besten bezahlte. Andererseits führten sie ihre Kriege auf eigene Faust, wenn sie keinen gut zahlenden Auftraggeber fanden. Dabei bemächtigten sie sich der Burgen und Festungen, benützten sie als Schlupfwinkel, nahmen Reiche gefangen, um Lösegeld zu erpressen, und plünderten die Ortschaften, die noch einigermaßen wohlhabend waren, vollständig aus.
Trotz dieser Schrecken und ohne die geringste Rücksicht auf das im Lande herrschende Elend trieben gerade die Angehörigen des niedrigen Adels einen unerhörten Luxus, der kaum von demjenigen der Fürsten des Landes übertroffen werden konnte. Ihre Dienerschaft vergeudete auf unverschämte Weise das dem Volke abgepresste Gut. Der galante Umgang der beiden Geschlechter sorgte jedoch nicht dafür, dass es dem Volk besser ging. Die romantischen Gepflogenheiten gingen wohl eher auf die gute alte Ritterzeit zurück; trotzdem machte sich eine grenzenlose Zügellosigkeit bemerkbar, die alle Moral geradezu ins Gesicht schlug. Vom reinen Geist ehrbarer Zuneigung und fromme Übungen, die die Gesetze des Rittertums einforderten, kannte man längst nicht mehr, wenn auch die Sprache der fahrenden Ritter noch immer im Gebrauch war. Desgleichen die Ordensregeln noch nicht abgeschafft galten. Turniere wurden noch immer abgehalten, und die damit verbundenen Lustbarkeiten zogen eine Menge von Abenteurern nach Frankreich, und keiner von ihnen unterließ es, seinen kecken Mut durch Handlungen zu beweisen, die ihm sein Heimatland nicht erlaubte.
Es begab sich zu dieser Zeit, das Ludwig XI. den wankenden Thron Frankreichs bestieg. Er war ein König, dessen Charakter im Grunde genommen schlecht war jedoch gerade dadurch das Zeug besaß, das im Land herrschende Unglück zu bekämpfen. Von dieser romantische Tapferkeit, oder dem aus ihr entspringenden Stolz, der für die Ehre zu fechten bereit war, wenn der Nutzen schon längst eingeheimst war, hatte Ludwig keine Ahnung. Dennoch war er kühn genug, jeden nur irgendwie nützlichen Zweck in der Politik mit Zähigkeit zu erfassen und zu verfolgen. Er war ein Mann der ruhigen Überlegungen, der kalten Berechnung, des klugen Besinnens, immer auf seinen Vorteil bedacht und niemals geneigt, dem Stolz und der Leidenschaft, wenn sie mit seinem Vorteil kollidierten, ein Opfer zu bringen. Er verstand es bestens, zu beherrschen und seine wirklichen Gedanken vor allen, mit denen er in Berührung trat, auf das peinlichste Verborgen zu halten. Das Wort, das ein Fürst, der sich nicht zu verstellen verstünde, nicht zu herrschen verstünde, und „dass er selbst seine Kappe, wenn er denken müsse, sie sei hinter seine Geheimnisse gekommen, vom Kopfe reißen und ins Feuer schmeißen würde“, konnte er nicht oft genug betonen. Zu keiner Zeit hat ein Mensch gelebt, der die Schwächen seiner Mitmenschen so auszunutzen verstand, wie König Ludwig, und dabei doch zu vermeiden, dass es irgend den Anschein hatte, als ob er sich andern gegenüber, auch denen, die ihm Nachsicht schenkten, in Vorteil zu setzen suche.
Ludwig XI. war von Natur aus rachsüchtig und grausam. Und zwar so stark, dass es ihm eine besondere Freude machte, der Vollstreckung eines von ihm befohlenen Todesurteils beizuwohnen. Es reizte ihn doch kein Rachegefühl, weil in seinem Herzen kein Funke von Mitleid wohnte, keinem Menschen Schonung zu gewähren, wenn ihn er mit Sicherheit verdammen konnte. In der Regel fiel er über seine Beute erst her, wenn er sie fest in seinen Klauen hielt, und wenn er sicher war, dass sich diese nicht durch irgendeinem Zufall befreien konnte. Er verstand es meisterhaft, jede seiner Beweggründe so sorgfältig zu verbergen, dass im Allgemeinen die Welt erst durch den Erfolg erfuhr, welchen Zweck er verfolgte. Wenn ihm darum ging, den Günstling oder Minister eines fürstlichen Nebenbuhlers für sich zu gewinnen, kannte seine Verschwendung keine Grenzen. Wohl war er ein Freund von Zügellosigkeit, aber weder Weib noch Jagd, so sehr er für beides entflammt war, vermochten ihn jemals von den Staatsgeschäften fernzuhalten. Er besaß eine Menschenkenntnis von erschreckender Tiefe, war stolz und hochmütig und hatte doch niemals Bedenken, Menschen aus den untersten Ständen emporzuheben und mit den wichtigsten Ämtern zu bekleiden. Geschickt traf er seine Wahl, so dass er sich kaum ein einziges Mal in seinem Leben in den Eigenschaften, die er ihnen beimaß, irrte. Die Ansichten, die in den verschiedenen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft seines Königreiches herrschten, interessierten ihn nicht.
Aber kein Mensch bleibt sich immer vollständig gleich, und so bestanden auch in der Natur dieses klugen und gewandten Herrschers von Frankreich Widersprüche. Aus seiner Eigenschaft des falschesten und verlogensten aller Menschen ergaben sich die größten Irrtümer seines Lebens, und zwar insofern als er in die Ehre und Rechtlichkeit derjenigen, mit denen er in Beziehung stand, zu schnell Vertrauen in sie setzte, sobald ihm daran gelegen war, sie zu überlisten. Im Allgemeinen dagegen war er eifersüchtig und argwöhnisch, wie nur je ein Tyrann es sein kann. Um die Schilderungen des fluchwürdigen Charakters dieses Herrschers von Frankreich zu vervollständigen, der sich unter den rohen, ritterlichen Monarchen seines Zeitalters als der Tierbändiger hervortat, der die Gewalt über die Bestien nur durch alle Mittel scharfer Dressur in die Hände bekommen hat, unter denen Hunger und Prügel nicht die gelindesten sind, und der, um von ihnen nicht zerrissen zu werden, vor keinem Mittel, das ihm seine Gewalt erhält, zurückschrecken darf, müssen wir noch zwei weiterer Eigenschaften gedenken, die er andern Herrschern voraushatte. Da war sein hochgradiger Aberglauben, der sein Gemüt der tröstenden Segnungen der Religion fast vollständig verschloss, und sein Hang zu geheimen Ausschweifungen und zu Zerstreuungen gemeiner Natur. Durch diesen klugen oder wenigstens schlauen, aber in seinem Charakter so unaufrichtigen Machthaber, setzte der über Staaten wie über Individuen waltende Himmel das große französische Volk wieder in den Besitz der Vorteile einer geordneten Regierung. Diese war vor seiner Thronbesteigung der Regierung abhandengekommen. Dabei bestieg er den Thron unter ungünstigen Vorzeichen; denn er hatte in seinem bisherigen Leben wenig Talent und Tüchtigkeit gezeigt, frönte aber sehr wohl dem lasterhaften Leben. Seine erste Gemahlin, Margarete von Schottland, wurde durch einen von ihm eingesetzten Gerichtshof zum Tode verurteilt. Ohne Ludwigs XI Anklage wäre keinem Beisitzer dieses Tribunals eingefallen, auch nur ein einziges schlimmes Wort gegen diese liebenswürdigste und aufs schändlichste misshandelte Fürstin zu äußern. Als Sohn war er undankbar und aufrührerisch gegen den eigenen Vater. Er stand sogar kurz davor ihn zu entmachten, um dadurch früher die Herrschaft an sich zu reißen. Es kam schließlich zwischen dem Vater und ihm zu einem Krieg. Für sein erstes Fehlverhalten wurde er in die Dauphiné verbannt, um des Letzteren willen sogar des Landes verwiesen. Damals flüchtete er zum Herzog von Burgund und dieser nahm ihn so lange als dessen Gast auf, bis ihm des Vaters Tod die Rückkehr nach England wieder gestattet hatte. Kaum den Thron bestiegen, schlossen sich die Vasallen Frankreichs, mit dem Herzog von Burgund an der Spitze, zu einem Bund gegen ihn zusammen. Mit einem großen Heer rückten sie gegen Paris an und stürzten das französische Königreich an den Rand des Verderbens. Ludwig machte bei der Schlacht vor den Wällen von Paris, bei Montl'héry, kein glückliches Geschick und bewies nur einen geringen Grad von persönlicher Tapferkeit. Immerhin blieb der Ausgang unentschieden. Wie es aber in solchen Fällen die Regel zu sein pflegt, dass dem klügeren der beiden Streiter, wenn auch nicht der Ruhm, so doch die Frucht in den Schoß fällt. Mit seinen Intrigen verstand es Ludwig meisterhaft, Eifersucht zwischen seinen Widersachern zu erwecken. Dadurch erhielt er die Oberhand über sie. Dabei traf es sich günstig für ihn, dass in England der lange Streit zwischen den beiden Rosen entbrannte und ihn von der „englischen Gefahr“ befreite, die bis dahin Frankreich bedrohte. Schon bald begann er, das Reich erneut zu einen, auf der einen Seite durch Güte und Geld, auf der anderen Seite durch Krieg und Gewalt. Die Räubereien der Freischaren, die Plackereien des Adels konnte er freilich nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten, aber es gelang ihm, sie erheblich einzuschränken. Gleichzeitig stärkte er seinen Vasallen gegenüber das königliche Ansehen durch unentwegte Wahrung und Mehrung der Interessen der Königskrone.
Ludwig in ständiger Furcht und Gefahr, weil es ihm nicht gelang, den Bund der Thronräuber zu vernichten. Noch eine weit schlimmere Gefahr für ihn war jedoch die in ständig wachsende Macht des Herzogs von Burgund. Das Haus Burgund zählte zu den mächtigsten Fürstenhäusern Europas, und trotz seines Vasallenverhältnisses zu Frankreich, diesem an Rang kaum unterlegen. Der burgundische Herzog hieß damals Karl mit dem Beinamen der Kühne oder besser Verwegene, denn sein Mut wurde durch seine Tollkühnheit noch übertroffen. Sein ausgemachtes Ziel war es, seinen Herzogshut mit einer Königskrone zu tauschen. Sein Charakter stand zu dem Ludwigs des Elften im schroffsten Gegensatz. Ludwig war ruhig und bedacht, ließ sich nie auf ein verzweifeltes Unternehmen ein, gab aber auch niemals eins auf, dass langfristig Aussicht auf Erfolg zeigte. Herzog Karl hingegen stürzte sich in Gefahren, weil er Gefahren liebte, und bot Hindernissen Trotz, weil er Hindernisse verachtete. Ludwig opferte seiner Leidenschaft niemals sein Interesse, Karl dagegen ließ seiner Leidenschaft ohne Rücksicht auf jedes Interesse freien Lauf. Die beiden Männer waren eng miteinander verwandt. Zudem hatte Ludwig, als er vom Vater des Landes verwiesen wurde, bei Karls Vater in der Dauphiné jahrelang Zuflucht und Obdach gesucht und gefunden. Ludwig erhielt von Karls Vater wie von ihm selbst Unterstützung und Beistand aller Art. Trotzdem wollten beide Männer nichts voneinander wissen, sondern verachteten und hassten sich. Auf Ludwigs Gesinnung gegen Karl war seine Habsucht von nicht geringem Einfluss, denn er missgönnte seinem Vetter die reichen Besitzungen seiner Herzogskrone, die strenge Disziplin, die unter den kriegerischen Bewohnern der burgundischen Lande herrschte, hielt ihn in ständiger Furcht. Gleichzeitig neidete er ihm die recht zahlreiche Bevölkerung. Ludwig verstand es nur allzu gut zu ermessen, was ihm von diesem allezeit kampflustigen und kampfsüchtigen Burgundervolk für Gefahren drohten, wenn er sich mit dem unbändigen Herzog vollständig verfeindete. Darum war er eben zu dem Entschluss gekommen, den entgegenkommenden Schritt zu tun, den er getan hatte, indem er den Weg nach dessen Besitzungen nahm, unter Wahrnehmung des Waffenstillstandes, der um das Jahr 1468, zu einer Zeit, als ihre Fehden den höchsten Gipfel erreicht hatten, gerade eingetreten war. Und das ist die Zeit, zu welcher auch unsere Erzählung einsetzt.
Zweites Kapitel.
Es war an einem wunderschönen Sommermorgen. Die Sonne hatte ihre sengende Kraft noch nicht gewonnen. Noch kühlte der Tau die Luft und füllte sie an mit süßem Duft. Da näherte sich ein Jüngling von Nordosten her der Furt eines Baches, der sich unweit des Schlosses Duplessis in den Cher ergießt. Von weiten Wäldern umringt, ragen die düstern Baulichkeiten des Schlosses hoch über die Gipfel der hohen Bäume.
Am andern Bachufer standen zwei Männer, in eine Unterhaltung vertieft, die sich hin und wieder nach dem Wanderer drüben umsahen. Da das Ufer, auf dem sie standen, erheblich höher lag als das andere, konnten sie ihn schon aus der Ferne beobachten. Er mochte etwa neunzehn Jahre alt sein, aber dass er nicht aus der Gegend, auch nicht aus Frankreich stammte, verriet sein Äußeres auf den ersten Blick. Er trug einen kurzen, grauen Rock und ebensolche Hoseer. Das deutete mehr auf niederländische Mode als auf französische, hingegen war die spitz zulaufende blaue Mütze mit dem Stechpalmenzweige weder in Frankreich noch in den Niederlanden, sondern nur in Schottland heimisch. Er war ein recht schmucker Bursche und von hübscher Figur. Auf dem Rücken trug er ein Ranzen, der ein paar Habseligkeiten zu enthalten schien, über der linken Faust trug er einen Falknerhandschuh, obgleich kein Falke drauf saß, und in der rechten einen derben Jagdstock. Über seiner linken Schulter hing eine gestickte Schärpe, an der wieder eine kleine Tasche hing, von scharlachrotem Samt, wie sie damals gern von den Falknern getragen wurde, um das Futter für diese immer hungrigen Vögel bei sich zu führen, hin und wieder wohl auch andere Dinge, wie sie zu dem damals in schönster Blüte befindlichen Sport gebraucht wurden. Über die Schärpe fiel von der andern Schulter herab ein Bandelier, in dem ein Jagdmesser steckte. Statt der damals üblichen Jagdstiefel trug er leichte Halbstiefel aus halbgegerbtem Leder.
Der Bursche war noch nicht völlig ausgewachsen, aber schon recht groß und stattlich. Sein munterer Schritt verriet, dass ihm das Wandern mehr ein Genuss denn ein Verdruss war. Seine Gesichtsfarbe wies einen bräunlichen Teint auf, die Folge von langem Aufenthalt in der frischen Luft, war aber nichtsdestoweniger schön. Seine Züge waren frei und offen und gefällig, wenn auch nicht streng regelmäßig. Zwischen den von einem munteren Lächeln leicht geöffneten Lippen traten zwei Reihen blendend weißer Zähne zum Vorschein, und aus seinem hellblauen Auge, das einen eigentümlich zu Herzen gehenden Blick hatte, sprach frohe Laune, leichter Sinn und rasche Entschlossenheit.
Die beiden Männer auf dem andern Ufer hatten ihn, wie bereits erwähnt, längst gesehen. Als er aber, flink wie ein Reh, das zur Quelle eilt, die Uferkante zum Wasser hinunter sprang, stieß der jüngere von ihnen den andern an und meinte: „Das ist unser Mann! Der Zigeuner! Wenn er sich's entschließt, durch die Furt zu waten, so ist er verloren, denn das Wasser ist hoch, und die Furt unpassierbar“.
„Dahinter mag er nur von selbst kommen“ erwiderte der ältere; „wer weiß, ob wir auf diese Weise nicht einen Strick sparen.“
„Ich richte mich bloß nach seiner blauen Mütze in der Taxierung seiner Person“, erwiderte der andere; „denn sein Gesicht kann ich nicht sehen. Aber, aufgepasst! er ruft uns, wahrscheinlich will er wissen, ob das Wasser tief ist oder nicht.“
„Es geht im Leben nichts über die eigne Erfahrung“, sagte der andere; „mag er's doch probieren, wie's im Bache aussieht.“
Der Jüngling zauderte nicht lange, sondern zog sich die Stiefel von den Füßen und ging in das Wasser hinein. Es verdross ihn augenscheinlich, dass er von den beiden Männern keine Antwort erhielt. Da rief ihm der ältere derselben zu, er möge sich in acht nehmen, mit dem Bache sei nicht zu spaßen, raunte aber gleich darauf seinem Begleiter die weiteren Worte zu: „Mon Dieu! Du hast Dich schon wieder geirrt. Der junge Mensch ist nicht unser schwatzhafter Zigeuner.“ Die Warnung kam indessen zu spät an die Ohren des Jünglings, oder er hatte sie überhaupt nicht vernommen, weil er schon mitten in der rauschenden Strömung war, in welcher ein minder couragierter und des Schwimmens nicht in dem vorzüglichen Maße wie er bewanderter Mensch sicher umgekommen wäre, denn der Bach hatte nicht allein eine sehr starke Strömung, sondern auch Wirbel und Untiefen.
„Bei unserer heiligen Anna!“ meinte der ältere der beiden Männer wieder, „das ist ein strammer Junge! Lauf, Gevatter, und mach Deine Sünde wieder gut, indem Du ihm nach besten Kräften beistehst. Gehört er doch zu Deinem Kaliber, von dem das Wasser, wie es in dem alten Sprichwort heißt, nichts wissen will, weil es ihm zu leicht ist.“
Wirklich schwamm auch der Jüngling so leicht und flott, dass er trotz der Gewalt, die die Strömung an dieser Stelle hatte, ziemlich genau an dem üblichen Landungsplatze das Ufer erreichte.
Mittlerweile eilte der jüngere der beiden Männer zum Ufer hinunter, um dem Schwimmer Beistand zu leisten, während der ältere langsamen Schrittes hinterher folgte, unterwegs zu sich murmelnd: „Hm, ich hab's doch gewusst, dass der Kerl nicht ersäuft. Meiner Seel! Er ist schon am Ufer und greift nach seinem Stock. Wenn ich mich nicht beeile, so ist er imstande, mir den Freund zu verprügeln, für den einzigen Liebesdienst, den ich ihm zeit meines Lebens einem Mitmenschen habe erweisen sehen.“
Zu solcher Befürchtung war nun freilich einiger Grund vorhanden, denn der kräftige Jüngling drang auf den hilfreichen Samariter mit der zornigen Rede ein: „Du unhöflicher Hund! Warum gibst Du keine Antwort, wenn Dich ein Mensch manierlich fragt, ob der Bach passierbar ist oder nicht? Der Teufel soll mir die Suppe versalzen, wenn ich Dich nicht Mores lehre, wie Du Dich künftig anständigen Menschen gegenüber zu verhalten hast!“ Dabei schwang er den Stock in seiner Faust, dass er sich wie ein Windmühlenflügel im Kreise drehte. Der andere aber griff, als er sich solchermaßen bedroht sah, zum Schwerte, denn er gehörte zu jenem Schlag Menschen, der lieber handelt, als viele Worte zu machen. Da trat der ältere, der auch der Höhersituierte zu sein schien, hinzu und hieß ihn sich ruhig verhalten; dann wandte er sich zu dem Jüngling, schalt ihn einen unvorsichtigen, voreiligen Menschen, sich in einen so sehr geschwollenen Bach zu wagen und mit dem Manne, der ihm zu Hilfe geeilt sei, mir nichts dir nichts Händel anzufangen.
Als sich der Jüngling so derb von einem weit älteren Manne derart zur Rede stellen hörte, brachte er auf der Stelle seinen Knotenstock in Ruhe und sagte, es solle ihm sehr leid sein, wenn er sich in ihnen geirrt hätte. Es käme ihm aber ganz so vor, als wenn sie ihn, statt ihn rechtzeitig zu warnen, hätten in der Gefahr umkommen lassen wollen, was doch unter Christen kein Brauch sei ...
„Lieber Junge“, sagte darauf der ältere der beiden Männer, „nach eurer Rede und eurem Aussehen zu schließen, stammt Er nicht aus unserem Land. Da wär's doch am Platz, Er rechnet damit, dass wir Ihn nicht so schnell verstehen können, wie Er spricht.“
„Na, lassen wir's gut sein, mein Herr“, sagte darauf der Jüngling, „ich sehe es auf ein bisschen Paddeln im Wasser nicht gerade an, und will's auch nicht weiter anrechnen, dass Euch wohl ein Teil von der Schuld mit trifft. Aber dafür müsst Ihr mir einen Ort zeigen, wo ich meine Sachen trocknen kann, denn ich habe kein zweites Jacke, sondern bloß das, was ich auf dem Leibe trage. Auch muss ich darauf sehen, dass das noch eine Weile hält.“
„Na, für was für Leute hält Er uns denn?“, fragte der ältere auf die Zumutung hin.
„Nun, für ehrsame Bürgersleute“, erwiderte der Jüngling, „und darin irre ich mich wohl auch nicht, oder?“, setzte er hinzu, als wenn ihm plötzlich eine andere Meinung käme, „seid Ihr etwa ein Geldwechsler oder Getreidehändler und Euer Kamerad ein Schlächter oder Viehhändler?“
„Halb und halb hat Er's erraten, was wir sind, mein Sohn“, versetzte der ältere lächelnd, „meine Arbeit besteht allerdings darin, so viel Geld zu wechseln, wie sich irgend auftreiben lässt, und meines Kameraden Beruf steht in einiger Verwandtschaft zu dem eines Schlächters. Was nun Sein Anliegen betrifft, Ihm einen Ort zu zeigen, wo Er seine Kleidung trocknen kann, so wollen wir zusehen, was sich tun lässt. Aber da muss ich doch zuerst wissen, wessen Geistes Kind Er ist, denn in der jetzigen Zeit hat's nicht gerade Mangel auf den Landstraßen an Wandervolk, bei dem alles andere eher zu finden und zu vermuten ist, als Ehrlichkeit und Gottesfurcht.“
Der junge Mann maß den Mann, der diese Worte an ihn gerichtet hatte, mit einem scharfen, durchdringenden Blick, dann sah er, aber weniger scharf, auf den andern Mann hinüber, wie wenn er sich seinerseits nicht recht klar darüber sei, ob sie selbst seines Vertrauens würdig seien, und er kam dabei zu folgendem Schluss: der ältere der beiden, der der besser Gekleidete war und auch in Aussehen und Haltung dem andern sichtlich überlegen war, zeigte ganz den Habitus eines Kaufmanns oder Krämers jener Zeit. Seine Jacke und seine Hose waren von der gleichen, dunklen Farbe, aber schon recht abgetragen, woraus der Schotte weiter folgerte, der Mann müsse entweder sehr reich und knickrig oder sehr arm sein. Wahrscheinlich sei das Erstere der Fall. Der Umstand, dass ihm die Sachen eher zu eng als zu weit, und vor allem die Hosen eher zu kurz als zu lang waren, bestärkte ihn hierin, denn sich so zu tragen, galt damals nicht einmal unter dem Bürgerstand für anständig, denn es wurden allgemein weite, lange Röcke getragen, zumeist solche, die bis über die Knie herunterfielen.
Der Gesichtsausdruck des Mannes war weder einnehmend noch abstoßend. Die groben Züge, wie die eingefallenen Wangen und tiefliegenden Augen deuteten auf einen gewissen Grad von Pfiffigkeit und Humor, die dem Jüngling nicht eben unsympathisch waren. Die Augen waren von dichten, schwarzen Brauen überschattet und hatten einen gebieterischen Ausdruck, der in gewissem Maß unheimlich wirkte. Die tief über die Stirn hereingezogene Pelzmütze verringerte durch den Schatten, der auf die Augen fiel, diesen Eindruck nicht, sondern erhöhte ihn. Soviel stand fest, dass der junge Wanderer den Blick dieses Auges mit der unscheinbaren Kleidung, die der Mann trug, nicht recht zusammenreimen konnte. Was ihm weiter auffiel, war, dass die Pelzmütze, die der Mann trug, nicht, wie es sonst bei besser situierten Leuten Mode war, mit Gold oder Silber geputzt, sondern nur mit geringen Bleibildern behangen war, die Jungfrau Maria darstellend, wie sie von armem Pilgervolk aus Loretto mit heimgebracht wurden.
Der Kamerad dieses wunderlichen Alten war ein kräftiger Mann mittleer Größe, der wohl zehn Jahre jünger sein mochte als der andere. Er hielt das Gesicht immer der Erde zugewandt, mit einem Lächeln, das nichts Gutes bedeutete, aber er zeigte dieses Lächeln dem Anschein nach immer nur dann, wenn er seinem Kameraden auf gewisse heimliche Zeichen zu antworten hatte, die von Zeit zu Zeit zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Dieser andere Mann trug ein Schwert und einen Dolch. Der Jüngling bemerkte auch, dass er unter seinem einfachen Oberkleid ein Panzerhemd aus metallenen Ringen trug, und diese weitere Wahrnehmung bestärkte den Jüngling in der Meinung, einen Schlächter oder Viehhändler in dem Manne vor sich zu sehen, denn wegen der Unsicherheit, die damals auf den Landstraßen herrschte, wurden solche Panzerhemden auch gern von Leuten getragen, die viel auf der Landstraße sein mussten und auch immer viel Geld bei sich führten.
Nachdem er mit seinen Betrachtungen zu diesem Ergebnis gelangte, wozu er freilich ein wenig Zeit benötigte, erwiderte er auf die zuletzt an ihn gerichteten Worte des älteren der beiden Männer: „Es ist mir zwar nicht bekannt, an wen ich das Wort zu richten die Ehre habe“, diese höfliche Wendung verstärkte er durch eine leichte Verneigung, „das hat aber weiter nichts auf sich. Ich bin Schotte und komme, nach dem in unserm Land heimischen Brauch, nach Frankreich herüber in der Absicht, hier mein Glück zu suchen, oder, was anderes dafür zu finden, je nachdem.“
„Beim Ewigen! Das ist eine recht manierliche Sitte“, erwiderte hierauf der ältere Mann wieder, „Ihr scheint mir ein braver Junge, und obendrein gerade in dem Alter, in welchem der Mensch sein Glück machen kann, nicht bloß bei Männern, sondern auch bei Weibern. Wie denkt Ihr darüber? Ich bin Kaufmann und brauche einen Burschen, der mir bei meinen Geschäften zur Hand geht. Mir kommt's bloß so vor, als ob Ihr die Nase ein bisschen zu hoch trügt, um Euch zu solchen mechanischen Plackereien herzugeben.“
„Mein Herr“, antwortete darauf der junge Schotte, „wenn Ihr Euer Anerbieten im Ernst macht, was mir indessen noch ein wenig zweifelhaft ist, so bin ich Euch dafür zu recht großem Dank verpflichtet. Ich fürchte nur, Ihr werdet mich nicht so recht brauchen können?“
„Ich möchte freilich wetten, dass Er sich besser drauf verstehst, den Bogen zu spannen, als mit einem Ballen Ware im Lande herumzulaufen; auch dürfte Er die Feder schwerlich so gut zu führen wissen, wie Dolch oder Schwert ... stimmt's, was ich sage?“
„Mein Herr“, erwiderte der Jüngling, „ich bin allerdings Bogenschütze von Stande, aber ich habe auch eine Zeitlang in einem Kloster gelebt, und dort haben mich die frommen Väter im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet, und ich soll, wie sie mir oft gesagt haben, der schlechteste unter ihren Schülern gerade nicht gewesen sein.“
„Sapperment! Das trifft sich ja vorzüglich“, rief der scheinbare Kaufmann, »Er ist ja das richtige Wunderkind.“
„Ach, lasst den Spaß beiseite!“, erwiderte der Jüngling, der über die Scherze seines neuen Bekannten nicht sonderlich erfreut war, „sagt mir lieber, wo ich meine Jacke und meine Hose trocknen kann, denn ich habe keine sonderliche Lust, noch lange pitschnass hier zu stehen und müßige Antwort auf müßige Frage zu geben.“
Darüber stimmte der Kaufherr ein noch lauteres Lachen an wie bisher ... „Sapperment! Das Sprichwort: Stolz wie ein Schotte, lügt doch nicht, aber kommt nur, junger Freund! Ich halte was auf das Land, aus dem Er stammt; denn ich habe eine Zeitlang auch mit Schottland Geschäfte gemacht. Ein recht braver Menschenschlag, dieses Gebirgsvolk! Komm mit uns ins Dorf hinunter, und wenn's Ihm recht ist, so will ich Dir dort ein Glas Branntwein und ein Frühstück geben lassen als Entschädigung für das kalte Wasser, in das Er hat tauchen müssen. Aber, Sapperment! Was tut denn der Jagdhandschuh auf Seiner linken Faust? Weiß Er nicht, dass in den königlichen Gehegen alle Jagd verboten ist?“
„Das hab ich schon erfahren von einem hundsföttischen Försterknecht des burgundischen Herzogs“, erwiderte der Jüngling, „ich hab meinen Falken, den ich von Schottland mit herübergebracht, und mit dem ich mir recht große Ehre einzulegen dachte, in der Gegend von Peronne bloß auf einen Reiher steigen lassen, und sans façon schießt mir dieser freche Wicht meinen schönen Falken mit einem Pfeil weg!“
„Und wie hast Er sich da verhalten?“, erwiderte der Kaufmann.
„Tüchtig verprügelt hab ich den Kerl“, rief der Jüngling, „und zwar so, dass ihm wohl eine Weile Hören und Sehen vergehen wird ... aber totgeschlagen hab ich ihn nicht, denn sein Blut wollte ich nicht des Galgens wegen auf mein Gewissen laden.“
„Weiß Er auch, dass ihn der Burgunder an die erste beste Haselstaude hätte aufknüpfen lassen, wenn Er ihm in die Hände gefallen wär?“
„Er soll ja mit solchen Sachen genau so flink sein, wie der König von Frankreich. Aber ich hab den Jägersknecht unweit von Péronne verhauen und war flink über die Grenze, als seine Mannen sich sehen ließen, und hab sie von dort aus mitsamt ihrem Herzog weidlich ausgelacht“. Nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Wäre der Burgunder Herr übrigens nicht gar so flink mit seinen Drohungen gewesen, so hätte es mir wohl geschehen können, mich um einen Dienst bei ihm zu bewerben.“
„Na, vermissen wird er einen solchen Paladin wie ihn ganz gewiss ungern“, erwiderte der Kaufmann mit einem Seitenblick auf seinen Kameraden, „besonders wenn der Waffenstillstand aufgekündigt werden sollte!“ Während dieser wieder sein seltenes Lächeln zeigte, bloß vielleicht noch düsterer als vorher, rückte der junge Schotte die Mütze über sein rechtes Auge wie jemand, dem es nicht recht ist, dass über ihn gespottet wird, und erwiderte mit fester Stimme: „Ich möchte den beiden Herren, besonders aber Euch als dem älteren und mithin auch wohl klügeren, ein für alle Mal sagen, dass es mir nicht eben klug zu sein scheint, auch wohl nicht recht anständig, sich auf meine Kosten einen billigen Spaß zu machen. Mir liegt an solcher Unterhaltungsweise überhaupt nicht viel. Hab ich einen Tadel verdient, so nehme ich ihn gern hin, besonders von einem Manne, der älter ist; auch wohl, wenn er nicht gerade beleidigt, einen Spaß; aber mich als Jungen behandelt zu sehen, das gefällt mir nicht, denn ich fühle mich schließlich doch eben Manns genug, es mit Euch beiden aufzunehmen, falls es einem oder beiden von Euch belieben sollte, mich herauszufordern.“