Kitabı oku: «Der neue Staat»

Yazı tipi:

Walther Rathenau

Der Neue Staat

Mit einem einleitendem Essay von Johannes Mateyka und Christiane Wetter

Impressum

ISBN 978-3-940621-96-2 (ePub)

ISBN 978-3-940621-97-9 (pdf)

Digitalisat basiert auf der Ausgabe von 1922 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:

Rathenau, Walther, Der neue Staat, Berlin 1922

Bearbeitung und einleitendes Essay von Johannes Mateyka und Christiane Wetter

Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant, zitierbar“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind. Die in eckigen Klammern gesetzten Zahlen markieren die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe; durch die Paginierung ist auch die digitale Version über die Referenz zur gedruckten Ausgabe zitierbar.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitendes Essay: Walther Rathenau, wirtschaftspolitischer Vordenker und Rebell

Der neue Staat

Arbeit

Einleitendes Essay: Walther Rathenau, wirtschaftspolitischer Vordenker und Rebell.

Von Johannes Mateyka und Christiane Wetter

Walther Rathenau wurde am 29. September 1867 in Berlin als ältester Sohn des Großindustriellen sowie AEG-Gründers Emil Rathenau und dessen Frau Mathilde geboren. Nach Abschluss seiner Schulzeit studierte er von 1886 bis 1889 in Straßburg und Berlin Philosophie, Physik und Chemie, anschließend in München Maschinenbau (1889/1890). Sein Versuch, sich von seinem Vater und dessen Berufsfeld zu emanzipieren, indem er Laufbahnen in der Kunst bzw. der Diplomatie einschlug, misslang. Seine angestrebte Ausbildung beim Militär scheiterte aufgrund seiner jüdischen Konfession. Die Einsicht, dass, obwohl er einer der reichsten Männer des Deutschen Reiches war und seine Familie großen Anteil an der Industrialisierung des Landes hatte, er aufgrund seines jüdischen Glaubens immer als ein Bürger zweiter Klasse angesehen werden würde, prägte ihn tief. Dies schlug sich in seinem Drang zur ständigen Übererfüllung sämtlicher Ansprüche an ihn nieder, sowie einer bedingungslosen Assimilation und seiner Schrift „Höre, Israel!“, einer polemischen Schrift gegen das moderne Judentum (einiger seiner Thesen revidierte er jedoch im Nachhinein).1

Nach seinen gescheiterten Versuchen, ein anderes Berufsfeld als der Vater zu finden, stieg Rathenau 1893 in die AEG ein, wurde 1912 Vorsitzender des Aufsichtsrats und der engste Berater seines Vaters, nach dessen Tod er aufgrund von Widerständen innerhalb der AEG zwar nicht die Nachfolge antreten konnte, aber „Präsident der AEG“ wurde. Parallel zu seinen Tätigkeiten in der AEG war er Mitglied in zahlreichen Vorständen anderer Firmen und wurde so zu einem der wichtigsten Industriellen des Deutschen Reiches.

Rathenaus Thesen in „Der neue Staat“ stellten eine radikale Wandlung im Vergleich zu seinen Positionen im Krieg dar. War Rathenau noch vor Kriegsbeginn aus wirtschaftlichen Gründen ein entschiedener Gegner des Krieges gewesen, stellte er sich doch sofort nach Ausbruch des Krieges seinem Land zur Verfügung, hoffend, diesmal nicht aufgrund seines Judentums benachteiligt zu werden.

Von 1914 bis 1915 war er mit dem Aufbau und der Leitung der Kriegsrohstoffabteilung betraut. Dadurch trug er maßgeblich dazu bei, dass das Deutsche Reich die Probleme der Rohstoffversorgung, die durch die britische Seeblockade entstanden, zum Teil überwinden und so den Krieg fortsetzen konnte.

Er war ein Verehrer und Unterstützer Ludendorffs, dem er mit Eingaben und Anregungen zum Kriegsverlauf sogar bis an die Ostfront folgte.2 Er machte sich außerdem dafür stark, belgische Arbeiter zwangsweise in der Produktion des Reiches einzusetzen. Dies war ein völkerrechtswidriger Vorgang und einer seiner größten Fehler, der dazu führte, dass Belgien kurzzeitig überlegte, seine Auslieferung zu verlangen.

Doch Rathenau trat nicht nur auf der politischen Bühne in Erscheinung, sondern legte als Autor zahlreicher Artikel, Bücher, Briefe usw. seine Meinung zu aktuellen gesellschaftlichen Ereignissen dar. Walther Rathenaus Werk „Der neue Staat“ folgte auf sein Hauptwerk, „Von kommenden Dingen“ (1917) und steht in einer Reihe von Schriften, die er nach Ende des Ersten Weltkrieges herausbrachte, so z.B. „Die neue Wirtschaft“ (1918) und „Autonome Wirtschaft“ (1919).

In „Der neue Staat“ befasst sich Rathenau mit der Neuordnung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen nach dem verlorenen Krieg, der das alte Reich zerstört hatte und eine Neuordnung der politischen und sozialen Verhältnisse unumgänglich machte. Nach der Abdankung des Kaisers und der Abschaffung der Monarchie, die die Deutschen in eine tiefe Krise gestürzt hatte, herrschte keine Klarheit über die zukünftige Staatsform. Die Demokratie, wie sie entstand, war keine Zwangsläufigkeit. Rathenau griff diese Debatte über die richtige Staatsform nach dem Ersten Weltkrieg auf und lieferte seine eigenen Gedanken dazu.

Im ersten Kapitel, analysiert Rathenau die Entwicklung der Nationalstaaten. Diese Entwicklung sieht er durch den Imperialstaat als abgeschlossen an. Er beurteilt kritisch die Lage des Deutschen Reiches, kritisiert die neue Verfassung als einen Kompromiss und beurteilt die Politik im Allgemeinen schlecht.

Rathenau skizzierte nun seine Vorstellungen vom „neuen Staat“, den er als zentralistisches Gebilde mit vielen Fachparlamenten sieht, so z.B. im Bereich der Wirtschaft ein Wirtschaftsparlament, im Bereich des Verkehrswesens ein Verkehrsparlament, usw. Alle diese Parlamente unterstehen in Rathenaus Vorstellung einem zentralen Parlament, dem politischen Parlament. Hierbei griff Rathenau stark auf die Erfahrungen, die er in der Kriegsrohstoffabteilung mit der Wirtschaft gemacht hatte, zurück. Er plante sein im Krieg entwickeltes Modell der wirtschaftlichen Umstellung auf die Friedenszeit zu übertragen. Dieses Konzept sah vor, das Allgemeinwohl über die private Profitgier zu stellen. Rathenau plante eine zentral gelenkte Wirtschaft, in der existenzielle Fragen durch eine übergeordnete Ebene entschieden wurden. Diese Entwürfe Rathenaus wurden von den führenden Industriellen seiner Zeit missbilligt, da sie darin, nicht zu Unrecht, eine Verschiebung des Eigentumsbegriffes zu ihren Ungunsten sahen.

Deutlicher wird Rathenau im zweiten Kapitel „Arbeit“, in dem er ein Zukunftsszenario einer kommunistischen Diktatur entwirft, die bemerkenswert viele Parallelen zu dem tatsächlichen späteren Regime Russlands aufweist. Er setzt sich aber auch kritisch mit der 1918 erfolgten Revolution auseinander und beklagt, dass das deutsche Volk um den Sozialismus betrogen wurde. Eine für einen Großindustriellen unglaubliche Feststellung:

„Marx hatte recht: Nur die Diktatur des Proletariats konnte es schaffen, sie war der Kern des Sozialismus. Um die Diktatur, um den Sozialismus hat man uns betrogen. Was übrigbleibt, ist eine Bürgerrepublik, mit Herren von sozialistischer Vergangenheit an der Spitze.“3

Können diese Zeilen von einem der größten Industriellen der damaligen Zeit stammen? Rathenau wurde seine neue Haltung nicht abgenommen, da er sich noch kurz vor Ende des Krieges für eine Levée en masse aussprach, um Friedensverhandlungen aus einer stärkeren Position führen zu können.4

Es ist jedoch falsch, wenn man Rathenau auf eine Haltung festlegen will. Zeitlebens suchte er Bestätigung und fand allzu oft nur Ablehnung und Anfeindungen vor. Rathenau bleibt ein schwer zu fassender Mensch, seine homoerotische Beziehung zu seinem Freund Wilhelm Schwaner5, der zu den „Deutsch-Völkischen“ gehörte, beweist nur wieder einmal die Vielschichtigkeit der Person Rathenau. Walther Rathenau meinte seine sozialethischen und wirtschaftspolitischen Aussagen ernst, er schrieb als Großbürger und stellte das Gesamtinteresse des Volkes über sein eigenes. Doch auch mit „Der neue Staat“ setzte sich Rathenau erneut zwischen alle Stühle. Die Industriellen taten sein Werk bald „[…] als gemeingefährliche Infragestellung der hergebrachten auf Eigentum basierenden Sozial- und Wirtschaftsordnung“ ab.6

So blieb Rathenau zunächst politisch isoliert, was ihn jedoch nicht davon abhielt, weiterhin publizistisch und kommentierend tätig zu sein. 1920 wurde Rathenau von Joseph Wirth, dem damaligen Reichsfinanzminister und einem Bewunderer seiner Schriften, in die zweite Sozialisierungskommission berufen, sein politisches Comeback. Wirth, nunmehr Kanzler, überredete Rathenau 1921 auch dazu, seinem Kabinett als Wiederaufbauminister beizutreten. In dieser Funktion handelte Rathenau mit den Franzosen das Wiesbadener Abkommen aus, welches günstigere Reparationsbedingungen für das Deutsches Reich vorsah. Allerdings scheiterte die Durchführung an der Krise in Oberschlesien.

Wirth war es auch, der Rathenau als Außenminister vorschlug. Dieses Amt nahm Rathenau nur nach großem Widerstand an, da er wusste, wie seine politischen Gegner auf einen Industriellen und Juden als Außenminister reagieren würden, der für die Reparationszahlungen verantwortlich war. Trotz aller Widerstände wurde Rathenau Anfang 1922 Außenminister und musste mit einem ihm teilweise feindlich gegenüberstehenden Ministerium arbeiten, während Unbekannte die Wände des Ministeriums mit Parolen gegen die „Judensau“ beschmierten.7

Trotz oder gerade wegen der enormen Widerstände und Schwierigkeiten wurde die erste und zugleich letzte Bewährungsprobe des Außenministers mit Bravour gemeistert. Bei der Konferenz in Genua/ Rapallo gelang Rathenau sein politisches Meisterstück. Er schloss mit der russischen Delegation den Vertrag von Rapallo ab, der die beiden Geächteten der internationalen Politik von den Westmächten unabhängiger machte. Obwohl der Vertrag in Deutschland weitgehend begrüßt wurde, sollte er einer der Gründe für das Attentat auf Walther Rathenau sein, denn die extreme Rechte missbilligte das Vertragswerk, da man nun mit den verhassten Kommunisten kooperierte.

Rathenau, der 1919 durch eine Verleumdung Ludendorffs zur Personifizierung der Dolchstoßlegende geworden8 und aufgrund seiner jüdischen Abstammung bei den Rechten verhasst war, wurde zur Symbolfigur der Erfüllungspolitik, obwohl gerade der Vertrag von Rapallo genau diese Politik unterlief. Die aufgeheizte Stimmung gegen Rathenau schlug sich auch in dem bekannten antisemitischen Stammtischlied nieder, indem es hieß:

„Knallen die Gewehre – tak, tak, tak

Aufs schwarze und aufs rote Pack.

Auch Rathenau, der Walther,

Erreicht kein hohes Alter,

Knallt ab den Walther Rathenau,

Die gottverdammte Judensau!“9

Walther Rathenau wurde am 24. Juni 1922 in Berlin in seinem Wagen erschossen, mit seiner Person starb einer der reichsten und wichtigsten Industriellen seiner Zeit, ein Mann mit hohem politischem Einfluss, ein Idealist, Visionär und Patriot.

Das Attentat auf Rathenau war aber auch ein Anschlag auf die Politik der Annäherung gegenüber den ehemaligen Kriegsgegnern. Diese Politik, und das ist rückblickend eine von Rathenaus größten Leistungen, rettete die junge Republik vor dem finanziellen Bankrott und brachte sie wieder auf die Bühne der internationalen Politik. Das Ansehen, welches Rathenaus Wirken dem Deutsches Reich einbrachte, hätte wohl noch lange vorgehalten, hätten es die Deutschen durch ihre Taten in 30er und 40er Jahren nicht zunichte gemacht.

Der neue Staat

von Walther Rathenau

Der neue Staat

1.

Der Augenblick, nirgends so gefürchtet wie in Deutschland, ist gekommen, wo Not uns zwingt, in das Gegebene und Historische einzugreifen, um Nichtgewesenes zu schaffen. Reich und Staaten sind hin und sollen erstehen.

Nun zeigt sich auf einmal, weil der Moment groß und außerzeitlich ist, so vieles in seinem wahren Licht, was teils verschleiert, teils aus Übergewohnheit unsichtbar geworden war; wovon wir die Wirkung sahen, zu träge, nach den Ursachen zu forschen.

Nun zeigt sich, warum die Gelehrsamkeit im Historizismus entschlief, nicht müde wurde, nach alten Methoden das langsam Entstandene, vorgeblich Natur- und Gottgewollte zu preisen und die bewusste, konstruktive Vernunft zu schmähen. Warum? Weil vorbildloses Bauen nicht in unserem Wesen liegt, die wir gewohnt sind, Formen zu übernehmen, abzuwandeln, mit Inhalt zu füllen, nicht Formen zu schaffen.

Nun zeigt sich, warum die Verfassungen des Reiches und der Staaten, warum die Verwaltungen und Hierarchien verschraubte und verwickelte Gebilde waren, in langsamer Fahrt, bei gutem Wetter brauchbar, bei scharfer Beanspruchung störrisch, in der Kunstfahrt versagend.

Warum? Weil Partikularismus nur zu einem Drittel war, was er sein sollte: Selbstgefühl und Eigenart des [7] Stammes. Zu zwei Drittel war er, als was er auftrat: stiller Bruderhass, Bequemlichkeit zum Hergebrachten und Personenfrage.

Nun zeigt sich, warum es möglich war, dass wir mindestens ein Jahrhundert zu lange die Insel des Feudalismus blieben.

Warum? Weil etwas daran war, an dem, was in vertraulichen Augenblicken die Feudalherren aussprachen: die Kruste des Militarismus gab uns Halt. Unsere Waffe ist weich; Nun, da die Kruste angestochen ist, fließt die Waffe aus, breit und formlos. Schon sind die nationalen Eigenschaften, das Selbstbewusstsein, die Sicherheit, selbst das Ehrgefühl nicht mehr Kenntlich, wir ähneln sarmatischen Gemenge. Das Plasma sträubt sich, kristallinisch zu werden, Härte, Widerstand, Richtung zu gewinnen. Ohne Festigkeit aber besteht keine Form.

2.

Wäre es anders: Wären wir in gemütvoller Gegensätzlichkeit dennoch einheitlichen Geistes, wären wir Form schaffend, durch Eigenart und Festigkeit der Substanz Form erzwingend, so wäre der Augenblick der Selbsterzeugung gewaltig.

Angemessen deutschen Geisterkräften und deutschem Willen zur Vertiefung entstünde ein Gebilde der Freiheit, ein sichtbarer Leib des Volksgeistes, als Vollendung des Vergangenen, als Gussform des Künftigen: eine selbstgeschaffene, selbstschöpferische deutsche Verfassung. So entstand England, so Amerika, so Frankreich, nach deren Bildern die großen Staaten der Erde geschaffen und umgeschaffen sind.

Ist es uns verhängt und beschieden, als letzte in später [8] Zeit uns neu zu verkörpern: so muss nicht der Geist alter Jahrhunderte und fremder Völker unser Bild bestimmen, sondern deutsches Geisteswesen und vorschauendes Erschaffen einer neuen deutschen Epoche, die zugleich Weltepoche sein soll.

Die fünzigjährige Weltmacht des zweiten deutschen Kaisertums ist dahin und wird sich niemals erneuern. Was sich als deutsches Wesen aufspielte, woran nach der Biertischflegelei seiner Vertreter die Welt genesen sollte: Kommiss und Assessorismus, philisterhafte, gehässige Kraftmeierei von Junkern, Fabrikanten, Oberlehrern und Kanzlisten, dieses undeutsche Unwesen hat sich selbst vernichtet, zugleich jedoch die Weltherrschaft den Angelsachsen ausgeliefert, die sie auf eine Zeitspanne – so lange Weltherrschaft noch möglich ist – verwalten werden, nach einfachen Regeln, ohne grob-absichtliche Ungerechtigkeit, mit politischem Verständnis, ohne menschliches Begreifen.

Dem Volke aber steht es zu, das wahrhaft deutsche Wesen zu verwirklichen, das unantastbar, von äußerer Macht und Geltung unabhängig ist: dies Wesen, das sich gründet auf Sachlichkeit und Persönlichkeit, auf Vielfalt und Gemeinschaft, auf Spekulation und Wirklichkeit, auf Logik und Gefühl; es vor allem andern zu verkörpern im Staatsbau.

Eine Verfassung müsste entstehen, der man es von weitem ansieht, das sie deutsch ist, die das Gegebene nicht umschmeichelt, sondern mit neuem Sinn erfüllt, die, nicht einfach zwar – das kann sie nicht sein, denn wir sind nicht einfach, - doch nicht als Kompromiss, sondern als lebendiges Organ jedem Gliede seine eigentümliche Wirkung anweist, die in Stuttgart so verständlich, so [9] selbstverständlich wie in Königsberg, den Geist des Landes aufnimmt, die vor allem einer neuen Zeit zur Heimat wird, einer Zeit der Gleichheit aller Stände und Schichten.

Es ist vollkommen wahr was die Revolutionäre sagen: Die deutsche Revolution ist nicht erfüllt, sie hat noch nicht einmal angefangen. Erfüllt wird sie nicht von heute auf morgen; erfüllt wird sie nicht durch Bolschewisten und Spartakisten, sondern durch eine Reihe von Volksschöpfungen, deren erste die soziale und demokratische Verfassung sein soll, die dann freilich eine Verfassung sein muss, wie sie weder in imperialen noch plutokratischen noch rentenbürgerlichen noch ackerbürgerlichen Staaten besteht. Sondern eine Verfassung deutscher Zukunft.

Gleichviel, welches Stück man auf Goethes erneuter Bühne einstudiert, den Schwur der Eidgenossen, den polnischen Reichstag oder den Jahrmarkt von Plundersweilern: In diesem endgötterten Raume, unter dem Druck von Spa und Trier, im Kreise behäbiger Jakobiner und Bürgergeneräle wird der deutsche Staat nicht geboren. Was entsteht, mag es den deutschen Reklamebedarf auf der Ausstellung in Chicago ähneln oder Bismarcks Dynastenkaserne, es wird, um noch einmal in der Sprache der „großen Zeit“ zu reden, Ersatz und Behelf.

Umso besser; wir haben Zeit. Was gebaut wird, wächst aus der Tiefe. Die Tiefe zu lockern, dient der Zweifel. Wir wollen Zweifel anlegen an bestehende Begriffe, vor allem des Staates, und wollen von dem reden, was der Bürger Utopie nennt, und was von allem das Realste ist, vom Vernünftigen. Dann werden wir Raum schaffen für Fundamente, aus denen spät, niemals zu spät, ein künftiger Bau erwachsen kann. [10]

3.

Der politische Staat in seiner höchsten Form des Imperialstaates hat im Kriege seine große, seine letzte Zeit gehabt. Für uns ist der Imperialismus beendet, bei den andern überschreitet er seinen Höhenpunkt. Der Völkerbund nimmt einen Teil der kriegerischen Souveränität hinweg, die soziale Umwälzung der Welt tut das übrige. Die Souveränität wird im Laufe dieses Jahrhunderts zum Kollektivbegriff.

Dann ist eine tausendjährige Bewegung beendet: Der rein politische Staatsbegriff hat seine einzigartige, nie bezweifelte Suprematie im Aufbau der Nation eingebüßt, es ist Raum für neue Gebilde.

Auch der Einzelmensch war zuerst ein Geschöpf der reinen Verteidigung, dann des Erwerbs, zuletzt der Sitte und Kultur. Kaum in bewegten Zeiten denkt heute der Mensch an Selbstverteidigung, er wirkt für die innere und äußere Gestaltung seines Lebens.

Der Staat hat so früh, vor so viel Jahrtausenden, begonnen, das ganze Willensleben der Nation zu umfassen, dass wir – gleichwohl ob Verwandtschaft, Gesellschaft, Religion, Verteidigung seiner zeugenden Kräfte waren – uns nur das universale Gebilde vorzustellen vermögen, und kaum die Paradoxie empfinden, dass alle seine Fakultäten der Politik untergeordnet sind.

Es sollte uns stutzig machen die unermessliche Vielfalt der Verwaltungskörper, Genossenschaften, Verbände, Vereine und Gesellschaften, deren Netz sich täglich mit neuen Fäden verdichtet, so dass keiner von uns mehr sagen kann, wie viele Bindungen in ihm sich verknüpfen. Manche dieser Bindungen, die das bürgerliche, örtliche, berufliche, erwerbliche, gesellige, geistige und religiöse Leben [11] durchadern, führen zum Zentrum des politischen Staates zurück, viele bilden ein losgelöstes, von wechselnden Sonderungen und Gemeinschaften bestimmtes Gewebe.

In Zeiten schwacher und zersplitterter Staatsgewalt mag es geschehen, dass zentrale Funktionen, Rechtspflege, örtliche Verwaltung und Verteidigung, Verkehrswesen sich absplittern und auf Sondervereinigungen übergehen. Im organischen Staatsaufbau dagegen werden die Bindungen sich mehren, die vom Staatskörper ausstrahlen und die Staaten-im-Staat zu zentralisieren trachten.

In einem politischen Staatsmittelpunkt laufen alle Nervenfäden zusammen. Dieser Mittelpunkt, gleichviel ob monarchisch oder republikanisch, demokratisch oder plutokratisch oder feudal: dieser Mittelpunkt ist noch immer der unveränderte Ort, der festgehalten wurde aus der Epoche der politischen Politik, des vorherrschenden Kriegs-, Verteidigungs- und Machtwesens.

Nicht das ich glaubte, in Zukunft werden diese rein politischen Dinge aufhören. Sie werden bestehen neben andern, und auch der letzte aller Kriege ist noch nicht gewesen. Doch sie werden ihre Vorherrschaft verlieren: nein, sie haben sie schon verloren.

Auch die alten Staaten betrieben Verwaltung, Justiz, Wirtschafts-, Religions- und Kulturpolitik, und es wäre ungerecht zu sagen, dass sie diese Werke im Nebenamt betrieben. Wohl aber gleichsam im Ausblick zu einem Höheren: zur äußeren Herrlichkeit und Macht der Nation, zumal wenn sie sich monarchisch verkörperten; der Staat verwaltete sich als Selbstzweck.

Und während er dies zu tun glaubte, musste er mit ärgerlichem Staunen wahrnehmen, dass seine herrschaftlichste Wirkung, die äußere Politik, sich mehr und mehr, [12] ja schließlich ganz in den Dienst einer unpolitischen Funktion stellte, der Wirtschaft; Verwaltung, Erziehung und Religion, die der Staat – eingestanden oder unwissentlich – auf sich genommen hatte um seiner Herrlichkeit willen, wurden unmerklich zu Mitteln des Kampfes, in reaktionären Staaten gegen das Volk, in revolutionären Staaten gegen die Herrenklasse.

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