Kitabı oku: «Von kommenden Dingen», sayfa 2
Das Ziel
Das Ziel
[31] Die Weltbewegung, welche die Epoche unsrer Zeit emporgetragen hat, stammt, von der Erscheinungsseite betrachtet, aus zwei Grundereignissen, die eng zusammenhängen.
Eine Volksverdichtung ohne Beispiel hat den zivilisationsfähigen Teil des Erdbodens ergriffen; sie hat in ihrem schwellenden Drang die dünne Haut der Oberschichten zerrissen, die vormals den europäischen Völkern ihre Farbe liehen und ihr Aufkommen bändigten.
Die zehnfach übervölkerte Menschheit verlangte eine neue Ordnung der Wirtschaft und des Lebens zu ihrer Erhaltung und Versorgung; die Umschichtung der Völker lieferte in den entbundenen Kräften der alten Unterschichten die intellektuale Verfassung, die dem Werke gewachsen war.
Der Weg, den der umschaffende Wille der Menschheit durchlaufen mußte, war lang; abstraktes Denken, exakte Wissenschaft, Technik, Massenbewältigung und Organisation mußten geschaffen werden, ein Umsteuern der menschlichen Wünsche, Gedanken und Ziele wurde gefordert, neue Lebensführung, neue Kunst, neue Weltauffassung und neuer Glaube mußten entstehen, um die veränderte Ordnung erst zu gestalten, dann zu rechtfertigen.
[32] Diese Ordnung habe ich in dem Buch „Zur Kritik der Zeit“ abgeleitet und beschrieben; ich habe sie Mechanisierung genannt, um ihre Universalität auszusprechen und um die mechanische Zwangläufigkeit anzudeuten, die sie von allen früheren Ordnungen unterscheidet. Denn ihr Wesen, alles in allem betrachtet, besteht darin, daß die Menschheit, halb bewußt, halb unbewußt zu einer einzigen Zwangsorganisation verflochten, bitter kämpfend und dennoch solidarisch für ihr Leben und ihre Zukunft sorgt.
Früh hat man den Zusammenhang der neuzeitlichen Erscheinung empfunden, doch wagte man nicht, mit einem Blick das Gesamtphänomen zu umspannen. Deshalb hört man noch immer vom Kapitalismus als einer die ganze Zeiterscheinung umschreibenden Tatsache reden, obgleich er nichts weiter ist als die Projektion der Gesamtordnung auf einen Teil der Wirtschaft. Deshalb bildet es noch immer ein unermüdliches Spiel der Wissenschaft, die Zweige der Mechanisierung aufeinander zu beziehen und voneinander abzuleiten: Kapitalismus, Entdeckungen, Krieg, Calvinismus, Judentum, Luxus, Frauendienst werden in wechselnden Bindungen verflochten und zur Evolvente des Gangs der Erscheinung gemacht, wobei es niemand auffällt, daß beständig ein Wunder durch das andre erklärt wird, und niemand einfällt, nach der Urvariablen zu fragen, die unabhängig und auf sich selbst gestellt das bunte Wallen der Erscheinungen beschließt und gerne gestattet, daß man die Töchter betrachtet, ohne der Mutter zu gedenken. Diese Grundfunktion aber ist im tiefsten Erleben des menschlichen Stammes beschlossen; von außen er- [33] blickt stellt sie sich dar als Wachstum der Zahl und Wandlung der Art, innerlich betrachtet ist sie ein Glied in der Geistesevolution des Lebendigen.
Denn auf der Schöpfungsgrenze, auf der wir stehen, durchschreitet der Geist das Gebiet des zweckhaften Intellekts, der mit seinen Trieben, Furcht und Begierde, vom Urgeschöpf bis zum Urmenschen alles Leben beherrscht, und strebt zur Seele, dem zweckfreien, wunschlosen Reich der Transzendenz. Damit die Menschheit dieses Reich gewinne, muß sie alle Lebenskräfte zusammenraffen, sie muß die Kraft des Intellekts, die einzige, über die sie in Freiheit verfügt, nach Menge und Stärke aufs höchste spannen, sie muß sich zugleich die Unvollendung, die Sinnlosigkeit dieses gewaltigsten Sinnes der materiellen Welt vor Augen führen. Denn der eine der Wege, die zur Seele führen, geht durch den Intellekt; es ist der Weg der Bewußtheit und des Verzichts, der wahrhaft königliche Weg, der Weg Buddhas. Diese Aufgabe und Schickung aber spricht sich aus als eine Not, wie alle Menschheitsschulung. Als Not ist diese selbstgeschaffene die schwerste trotz Eiszeiten und Wildnissen, als Aufschwung ist sie der gewaltigste seit Ursprung des Planeten.
Wer ist der Mensch, der von einer Torheit der Natur zu berichten wüßte? Die Mechanisierung aber ist Schicksal der Menschheit, somit Werk der Natur; sie ist nicht Eigensinn und Irrtum eines einzelnen noch einer Gruppe; niemand kann sich ihr entziehen, denn sie ist aus Urgesetzen verhängt. Deshalb ist es kleinliche Zagheit, das Vergangene zu suchen, die Epoche zu schmähen und zu verleugnen. Als Evolution und Naturwerk gebührt [34] ihr Ehrfurcht, als Not Feindschaft. Dem Feinde ziemt uns ins Auge zu blicken, seine Stärke zu ermessen, seine Schwäche zu erspähen, um ihn nach Schicksals Willen zu schlagen.
Mechanisierung als Not aber ist entwaffnet, sobald ihr heimlicher Sinn offenbart ist. Mechanisierung als Form des materiellen Lebens hingegen wird der Menschheit dienen müssen, solange nicht die Volkszahl auf die Norm der vorchristlichen Jahrtausende zurückgesunken ist. Drei ihrer Funktionen allein genügen, um ihr die Herrschaft über das materielle Erdentreiben zu sichern: die Arbeitsteilung, die Bewältigung der Massen und der Kräfte. Kein ernster Vorschlag wird verlangen, kein ernstes Urteil wird vermuten, daß die Menschheit freiwillig auf die Beherrschung der Natur verzichte, um in falscher Naivität ein kärglich beschränktes Dasein, ein völliges Vergessen alles Wissens, einen künstlichen Urzustand sich zu bereiten. Ganz töricht aber ist die Meinung jener großstadtmüden Einsiedler, die mit einem guten Buch, einfachem Hausrat und einer Laute sich in die Einsamkeit schöner Gebirge begeben und wähnen, der Mechanisierung entronnen zu sein, wo nicht gar sie gebrochen zu haben. Denn Mechanisierung als Praxis ist unteilbar; wer einen Teil will, der will das Ganze. Damit eine Axt käuflich sei, müssen Tausende in den Tiefen der Erde schürfen, damit ein Blatt Papier entstehe, müssen Waldungen im Rachen der Maschinen zerkaut werden, damit eine Postkarte bestellt werde, müssen die Schienenwege der Erde unter dem Donner der Lokomotiven erzittern. Betrug wider Willen und unbewußte Ausbeutung ist es, eine Mechanisierung mit Aus- [35] wahl gelten zu lassen; mögen jene Arkadienschäfer den letzten gesponnenen Faden, das letzte gezüchtete Saatkorn und die letzte Münze von sich abtun: sie werden auf der Erde kaum einen Fußbreit zum Schauplatz für erklügelte Robinsonaden finden.
Denn das Wesen der Mechanisierung schließt Universalität ein; sie ist die Zusammenfassung der Welt zu einer unbewußten Zwangsassoziation, zu einer lückenlosen Gemeinschaft der Produktion und Wirtschaft. Da sie aus sich selbst erwachsen, nicht durch bewußten Willen auferlegt ist, da keine Satzung Arbeit und Verteilung regelt, sondern ein allgemeiner Notwille, so erscheint die ungeheure Arbeitsgemeinschaft dem einzelnen nicht als Solidarität, sondern als Kampf. Solidarität ist sie, insofern das Geschlecht sich durch planvolles Wirken erhält und jeder sich auf den Arm des andern stützt, Kampf ist sie, insofern der einzelne nur so viel Anteil an Arbeit und Genuß erhält, als er erringt und erzwingt. In dieser brutalen Regellosigkeit des Triebartigen und Unbewußten der mechanistischen Organisation liegt, dies sei hier zum erstenmal betont und im künftigen ausgeführt, der eigentlich nothafte Kern ihres Folgewesens; die Welterscheinung selbst, soweit sie auf der Gemeinschaft des Kampfes um und gegen die Naturmächte beruht, ist weder gut noch böse, sondern schlechthin notwendig, weil Alle vereint mehr leisten als Einer, und weil Sammlung und Organisation die Bestimmung aller zum Leben geordneten Kräfte ist. Gleichviel in welcher planetarischen Heimat, wird jeder hinlänglich verdichteten und geistig zulänglichen Menschheitsform eine der Mechanisierung entsprechende Kollektiverscheinung er- [36] wachsen; von der seelischen Stärke dieser Menschheit aber hängt es ab, ob sie sich dem dunklen Willen unterwirft, oder ob sie den Zwang meistert.
Auf unserm Gestirn hat die Mechanisierung einen großen Teil ihrer Aufgabe erfüllt. Unter der Form der Zivilisation hat sie eine äußere Verständigung angebahnt, die Möglichkeit eines leidlich reibungslosen Zusammenlebens und organischen Aufbaues geschaffen. Unter der Form der Produktions- und Verkehrsgestaltung hat sie Ernährung, Kleidung und Behausung der vervielfältigten, ständig wachsenden Erdbevölkerung gesichert, indem sie die Fundstellen des Erdkreises öffnete, Zentralisierung der Verarbeitung, Dezentralisierung des Vertriebes lehrte. Unter der Form des Kapitalismus hat sie ermöglicht, die Arbeitsleistung der Menschheit nach Bedarf zu sammeln und auf geordnete, einheitliche Ziele zu lenken. Als staatliche und bürgerliche Organisation hat sie versucht, jeden Gruppenwillen zum Ausdruck zu bringen und dem Gesamtbewußtsein vernehmlich zu machen. Unter der Form der Publizistik leitet sie jeden Eindruck, den das Gesamtwesen empfängt, zum Wahrnehmungszentrum der Gemeinschaft. Unter der Form der Politik versucht sie die Umgrenzung der Nationalität und die Arbeitsteilung zwischen den Nationen zu erwirken. Unter der Form der Wissenschaft erstrebt sie ein Gemeinschaftsforschen des Erdgeistes, unter der Form der Technik setzt sie das Wissen um in Kampfbereitschaft gegen die Naturkraft.
Kein Gebiet der Erde ist unerschließbar, keine materielle Aufgabe undurchführbar, jedes Erdengut ist erschwinglich, kein Gedanke bleibt verheim- [37] licht, jedes Unternehmen kann Prüfung und Verwirklichung fordern; die Menschheit ist, soweit materielles Schaffen reicht, zu einem fast vollendeten Organismus erwachsen, der mit Sinnen, Nervensträngen, Denkorganen, Blutumlauf und Tastwerkzeugen den Ball umspannt, seine Kruste lockert und seine Kräfte aufsaugt.
Vom Organischen zum Ungegliederten führt kein Entwicklungsweg. Andre Organisierungsformen als die der Mechanisierung sind denkbar; dennoch werden auch sie stets ihrem materiellen Sinne gemäß einen materiellen Aufbau bilden, der Menschenkräfte sammelt, um Naturkräfte zu bezwingen, dennoch werden auch sie stets dem Leben die gleiche Gefahr und Bedrängung bieten, sofern die Kräfte der Seele sich ihrer nicht bemächtigen.
Noch ist es entschuldbar, daß die Welt an ihrem ersten Einheitswerke sich berauscht, ja daß sie das materiell Erbaute als für den Geist bewohnbar erachtet, daß sie ihr Denken und Erkennen, Fühlen und Wollen in den Dienst der selbstgeschaffenen Ordnung stellt. Und dennoch, obwohl das Gebäude den Gipfelpunkt noch längst nicht erreicht hat, regt sich das Gewissen. Zunächst freilich im grob mechanischen Sinne: die Enterbten bäumen sich auf; sie wollen diese sinnlich-mechanische Ordnung vernichten, um eine andre sinnlich-mechanische Ordnung an ihre Stelle zu setzen, die ihnen gerechter dünkt und mehr verspricht. Doch auch die Bevorzugten fühlen sich bedrückt. Sie fühlen den Verfall ästhetischer und sittlicher Werte, sie möchten die alten Zeiten herbeiholen und sind bereit, von der unteilbaren Mechanisierung so viel zu opfern, als ihnen zusammenhanglos erscheint, so [38] viel, als ihre Interessen und Bequemlichkeiten nicht betrifft. Vor allem aber dämmert ein Bewußtsein, daß Unrecht im Spiel ist. Daß keiner, auch der Glücklichste nicht, von innerem Abbruch verschont bleibt, daß ein Höheres als das Verlorene in Gefahr ist. Noch webt das Geplänkel um Außenwerke, weil das Gesamtwesen und die Gesamtmacht der Mechanisierung nicht erkannt und nicht verstanden ist; Fragen der Weltanschauung, des Kapitalismus, des Elends, der Technik werden außer Zusammenhang mit dem Zentralproblem erörtert. Eine Orientierung besteht nicht; Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Kultur, Gleichgewicht, Politik, Interesse, Tradition, Nationalität, Ästhetik werden abwechselnd zur Achse gewählt. Hier pocht das schlechte Gewissen der Zeit und ihre innere Sorge; wir haben die Mechanisierung nach ihren ordnenden Kräften befragt, nun soll sie über ihre geheim waltenden Zersetzungen Rede stehen.
I. Mechanisierung ist eine materielle Ordnung; aus materiellem Willen mit materiellen Mitteln geschaffen, verleiht sie dem irdischen Handeln eine Richtungskomponente ins Ungeistige. Niemand kann dieser Richtkraft gänzlich sich entziehen, im mechanistischen Sinne bleibt auch der höchst vergeistigte Mensch ein wirtschaftendes Subjekt, das, um zu leben, besitzen oder erwerben muß. Die Welt ist zur Händlerin und Schaffnerin geworden, und jeder trägt den Einschlag und die Färbung der Zeit. Wie müssen Jahrhunderte des Denkzwanges auf den gepreßten Menschengeist wirken! Die Ära der Arbeitsteilung verlangt Spezialisierung; bewegt sich der Geist in den ähnlich bleibenden Normen und Praktiken seines Sondergebietes, erscheint ihm [39] zugleich, durch tausendfältiges Botschaftswesen das Nebelpanorama des unbarmherzig wechselnden Weltgeschehens, so dünkt ihm leicht das Kleine groß, das Große klein; der Eindruck verflacht, leichtfertiges, verantwortungsloses Urteil wird begünstigt. Bewunderung und Wunder erstirbt vor dem Schrei der Neuheit und Sensation; von allem bleibt der schäbigste Vergleich: Zahl und Maß; das Denken wird dimensional. Gilt von den Dingen die Abmessung, so gilt vom Handeln der Erfolg; er betäubt das sittliche Gefühl, so wie Messen und Wägen das Qualitätsgefühl verblödet. Vom raschen Urteil nährt sich der Erfolg; Irrtum und Täuschung kostet; der Sinn wird skeptisch. Er will nicht in die Dinge, sondern hinter die Dinge, Menschen und Mächte dringen, er verliert Scheu und Scham. Wissen ist Macht, heißt es, Zeit ist Geld; so geht Wissen erkenntnislos, Zeit freudlos verloren. Die Dinge selbst, vernachlässigt und verachtet, bieten keine Freude mehr, denn sie sind Mittel geworden. Mittel ist alles, Ding, Mensch, Natur, Gott; hinter ihnen steht gespenstisch und irreal das Ding-an-sich des Strebens: der Zweck. Der nie erreichte, nie erreichbare, nie erkannte: ein trüber Vorstellungskomplex von Sicherheit, Leben, Besitz, Ehre und Macht, von dem je so viel erlischt, als erreicht ist, ein Nebelbild, das beim Tode so fernsteht wie beim ersten Anstieg. Ihm drohend gegenüber erhebt sich, realer und tausendfach überschätzt, das Furchtbild der Not. Von diesen Phantomen gezogen und getrieben, irrt der Mensch vom Irrealen hinweg zum Irrealen hin; das nennt er leben, wirken und schaffen, das vererbt er als Fluch und Segen denen, die er liebt.
[40] Dieser Zustand des mechanisierten Geistes aber ist nichts andres als der zum Großstadttaumel aufgepeitschte Urzustand der niedern Rassen, das Furcht- und Zweckwesen derer, die in ihrem Aufschwung das Zeitalter geschaffen haben. Mehr als ein Atavismus: ein Niedersinken aller, die den Trank genießen, in die Tiefe der Dunklen, die ihn brauten. So sind sie auf dem Zenit der Zivilisation verdammt, das Leben, die Stimmung, die Angst und die Freuden zu erleben, die ihre Vorderen den Sklaven gönnten.
Diese Stimmung aber ist Streben und Verblendung. Streben, dem kein Ziel genügt und das doch so irrational ist, daß es zuletzt die Arbeit zum Selbstzweck macht, und so erdgebannt, daß es alles, was gleißt, vom Wege aufliest und, mit der toten Fracht der Mittel belastet, sich zum Grabe schleppt; Verblendung, der keine Tatsache real genug, kein Wissen zu nebensächlich ist, und die doch jede Vertiefung scheut, die Welt entfleischt und entgeistert, den sterblichen Sinn ertötet und den unsterblichen verschmäht.
Die Freuden sind die der Kinder, Sklaven und niedern Frauen: Besitz, der glänzt und Neid schafft, Unterhaltung und Sinnenrausch. Die Besitzfreude steigert sich zum irrsinnigen Warenhunger, der sich selbst vertausendfacht, indem Übersättigung und Mode alljährlich die Schatzkammern entwerten und leeren müssen, um sie mit neuem Unrat und Tand zu füllen. Tief erniedrigend und entwürdigend sind die Freuden der Großstadt und der Gesellschaft, die in unbewußter Ironie sich die bessere nennt. Verläßt ein denkender Mensch und Menschenfreund die Stätten, an denen dieses Volk sich [41] vergnügt oder, wie es mit dem gemeinsten Wort vulgärer Sprache es bezeichnet, sich amüsiert; verläßt er diese Orte, ohne auch nur einen Augenblick an der Zukunft der Menschheit zu zweifeln, so hat er die stärkste Prüfung seiner Weltzuversicht überstanden. Rausch, Lust und Verbrechen strömt aus Giften und Reizmitteln, die an Aufwand das Dreifache fordern von dem, was die Welt für alle Aufgaben ihrer Kultur zusammenträgt.
2. Mechanisierung ist Zwangsorganisation, deshalb verkümmert sie die menschliche Freiheit.
Der einzelne findet das Maß seiner Arbeit und Muße nicht mehr im Bedürfnis seines Lebens, sondern in einer Norm, die außer ihm steht, der Konkurrenz. Es genügt nicht, daß er nach dem Ausmaß seiner Kräfte und Wünsche schafft, er wird geschätzt nach dem, was der andre, die andren schaffen; halbe oder langsame Arbeit ist wertlos, sie gilt nicht besser als Müßiggang. Die Weltarbeit vom Feldherrn bis zum Postboten, vom Tagelöhner bis zum Finanzmann steht unter dem Druck des Akkord- und Rekordsystems; von jedem wird so viel verlangt, als der andre leistet. Der alte Handwerker ergänzte sein Schaffen durch Liebe und Verschönerung; die Mechanisierung produziert unter dem Sinnbild der Submission: ein Minimum an Güte und Menge wird vorgeschrieben, der geringste Preis ist recht, und Liebe wird nicht bezahlt. Die Grenze der Anspannung bietet der Kampf der Gruppen, aufwärts bis dem der Nationen, und auch der entscheidet sich nach objektiven Kräftesummen, ohne Einfluß des einzelnen.
Selbst in der Richtung und Fassung seiner Werktätigkeit ist der Mensch nicht frei. Mag er zur [42] Einseitigkeit oder zur Vielfältigkeit bestimmt sein die mechanistische Ordnung benutzt ihn zur Spezialisierung. Willig fügt sich das Geschlecht dem Zwang, es erzeugt den geborenen Handelsreisende und Schullehrer, wie es den geborenen Betriebsingenieur und Insektenforscher erzeugt; noch mehr es liefert die Typen in der Zahl und Auswahl, wie Bedürfnis und Überfüllung sie vorschreibt. Rückfall wird bestraft; entsteht noch dann und wann ein Mensch vom alten Schlage der Krieger, Abenteurer, Handwerker, Propheten, so wird er aus der gemeinsamen Anstalt ausgeschlossen und verfemt oder zum niedersten undifferenzierten Dienst entwürdigt.
Der Zwang geht weiter. Auch die Selbstverantwortung wird dem Menschen genommen. Denn das organisatorische Wesen der Mechanisierung beruhigt sich nicht, bevor jeder ihrer Teile, jede ihrer Summen wiederum zum Organismus geworden ist; in gleicher Lückenlosigkeit, wie jedes noch so kleine und noch so große Element der lebenden Natur sich als Organon darstellt. Genossenschaften, Vereinigungen, Firmen, Gesellschaften, Verbände, Bureaukratie, berufliche, staatliche, kirchliche Organisationen binden und trennen die Menschheit in unübersehbarer Verflechtung; niemand ist für sich, jeder ist unterworfen, andern verantwortlich. Dieser Zustand, erhebend in der Großartigkeit der Konzeption und in der naturgewaltigen Tröstlichkeit eines nicht mehr menschengeschaffenen Schicksals, wird zum öden Dienst in jenen gewaltigen, unbewußt dämmernden Regionen, in denen nicht selbstbewußte Verantwortung, sondern unterworfenes Interesse waltete. Auch der zünftige [43] Handwerker war abhängig, doch nicht im gleichen Sinne wie der Angestellte des Warenhauses; seine Gebundenheit war sichtbar, eindeutig und dennoch von innerer Freiheit erfüllt. Ein Blendwerk äußerer Freiheit bedeckt die mechanistische Bindung: der Unzufriedene kann Rücksicht auf Form verlangen, auftrumpfen, die Arbeit niederlegen, wegziehen, auswandern: und doch befindet er sich nach Wochen bei veränderten Namen, Personen und Ortschaften im gleichen Verhältnis. Die Anonymität der Unfreiheit vollbringt durch ihren Zauber, was den alten Despotien und Oligarchien mit ihren Häschern und Spähern nicht gelang: die Abhängigkeit zu verewigen.
Der Einzelzwang aber ist ein geringes Übel, verglichen mit der Massenerscheinung, die ihn überdeckt. Die Mechanisierung als Massenorganisation bedarf der Menschenkraft nicht einzeln, sondern in Strömen. Die Pyramidenmannschaft der Pharaonen genügt nicht, um den Tagesbedarf eines Landes auch nur an Werkzeugen zu decken; die Heeresmacht Napoleons reicht nicht zu für die Besatzung eines Bergwerksbezirks. Völkerschaften müssen bereitstehen, um sich zu wechselnden Heeresströmen beständig neu zu ordnen, millionenfache Maschinenpferde verlangen millionenfaches Zentaurenvolk. Nicht innere Notwendigkeit des Mechanisierungsprinzips, sondern bequem gebilligte Begleitumstände der Entwicklung haben die an sich unvermeidliche Arbeitsteilung zwischen geistiger und körperlicher Leistung zur ewigen und erblichen gemacht und so in jedem zivilisierten Lande zwei Völker geschaffen, die blutsverwandt und dennoch ewig getrennt, im gleichen Verhältnis [44] wie ehedem die stammesfremden Ober- und Unterschichten, einander gegenüberstehen. Beide sondert und beherrscht der Zwang. Ohne Verlust bürgerlichen Ranges und Bewußtseins, ohne Verzicht auf gewohnten Umgang, Güter des Genusses und der Kultur steigt kein Oberer hinab, ohne den Zufall eines Anfangbesitzes an Kapital oder Ausbildung dringt kein Unterer hinauf. Dieser Zufall aber ist, abgesehen vom Falle der Auswanderung, so unverhältnismäßig selten, daß unter Tausenden von Angestellten, die durch den Gesichtskreis unsrer Unternehmer schreiten, sich kaum der Sohn eines echten Proletariers findet.
Von unerhörter Härte ist dieser Trennungszwang für das zweite Volk. Helotie, Leibeigenschaft, Hörigkeit waren auf Landwirtschaft gegründete Abhängigkeiten. Die Arbeit, härter und unlohnender als die der Freien, war doch von gleicher Art; es war der schön bewegte Kreis des Landlebens, wenn auch unter Aufsicht und elende Kürzung des Ertrages gezwängt. Die Arbeit des Proletariers genießt zwar jene lockende Anonymität der Abhängigkeit; er erhält nicht Befehle, sondern Anweisungen, er folgt nicht dem Herrn, sondern dem Vorgesetzten; er dient nicht, sondern übernimmt eine freie Verpflichtung; seine menschlichen Rechte sind die gleichen wie die des Gegenkontrahenten; er hat die Freiheit, Ort und Stellung zu wechseln; die Macht, die über ihm steht, ist nicht persönlich: erscheint sie in der Form eines einzelnen Arbeitgebers oder einer Firma, so ist es in Wahrheit die bürgerliche Gesellschaft. Dennoch verläuft sein Leben, wie er es auch innerhalb dieser Scheinfreiheit gestalte, in generationenlanger Öde und [45] Gleichförmigkeit, über und unter Tage. Wer ein paar Monate lang bei ungeistiger Verrichtung von 7 bis 12 und von I bis 6 das Zeichen einer Pfeife herangesehnt hat, ahnt, welche Selbstverleugnung ein Leben der entseelten Arbeit fordert; niemals wieder wird er versuchen, durch kirchliche oder profane Überredung dieses Leben an sich als ein zufriedenstellendes zu rechtfertigen, und jeden Versuch, es zu mildern, als Begehrlichkeit verschreien. Wer aber ermißt, daß dies Leben nicht endet, daß der Sterbende die Reihe seiner Kinder und Kindeskinder unrettbar dem gleichen Schicksal überliefert sieht, den ergreift die Schuld und Angst des Gewissens. Unsre Zeit ruft nach Staatshilfe, wenn ein Droschkenpferd mißhandelt wird, aber sie findet es selbstverständlich und angemessen, daß ein Volk durch Jahrhunderte seinem Brudervolk frönt, und entrüstet sich, wenn diese Menschen sich weigern, ihren Stimmzettel zur Erhaltung des bestehenden Zustandes abzugeben. Das flache Dogma des Sozialismus ist ein Produkt dieser bürgerlichen Gesinnung; tiefste Notwendigkeit und funkelndes Paradox ist es zugleich, daß dieses Dogma zur stärksten Stütze von Thron, Altar und Bürgertum werden mußte: indem es nämlich mit dem Gespenst der Expropriation den Liberalismus schreckte, so daß er alles freie und eigene Denken fahren ließ und hinter den erhaltenden Mächten Schutz suchte.
Der herrschenden Volksschicht ist der mechanistische Trennungszwang keine Not, doch eine Gefahr. Es scheint ein Naturgesetz, daß jeder Organismus, der vom natürlichen Lebenskampfe auch nur um ein weniges entlastet wird, zunächst zwar üppig gedeiht, dann erschlafft und eingeht. [46] Die Völkeropfer dieser Schicksalsfolge wurden ehedem von Eroberern abgelöst und in wiedererzeugende Berührung mit dem Boden gebracht. Eroberer birgt der Behälter der Erde nicht mehr eine bloße Umwälzung der Schichten würde das Spiel mit vertauschten Rollen, nicht mit erfrischten Kräften, erneuern und kläglich beenden. Zu der Entlastung von leiblicher Arbeit tritt die Geschlechterfolge intellektualer Anspannung, die unsre Großstädte geistig und physisch entfruchtet und der Dämpfung des westlichen Volks Wachstums vorarbeitet.
Überblickt man die Erscheinung der zwangsweisen Schichtung, die wir dem rastlosen Streben der Mechanisierung nach Organisation und Arbeitsteilung zuschreiben, so ergibt sich abermals, daß die Bewegung zum Empfindungs- und Bewegungskreise ihrer dunklen Urerzeuger zurückgekehrt ist. Sie hat den Urständ der Sklaverei nicht verschmerzt und trotz Abendland, Christentum und Zivilisation verstanden, ein Hörigkeitsverhältnis über die Völker zu breiten, das ohne gesetzlichen Zwang, ohne sichtbare Herrengewalt, durch den bloßen Ablauf scheinbar freier Wirtschaftsvorgänge gesichert, eine zwar anonyme und verschiebbare, doch unzerbrechliche und erbliche Abhängigkeit von Schicht zu Schicht verbürgt.
3. Mechanisierung ist nicht aus freier und bewußter Vereinbarung, aus dem ethisch geläuterten Willen der Menschen entstanden, sondern unabsichtlich, ja unbemerkt aus den Bevölkerungsgesetzen der Welt erwachsen; trotz ihres höchst rationalen und kasuistischen Aufbaues ist sie ein unwillkürlicher Prozeß, ein dumpfer Naturvorgang. Un- [47] ethisch auf dem Gleichgewicht der Kräfte, auf Kampf und Selbsthilfe beruhend, wie etwa der Urzustand im Lebensgleichgewicht eines Waldes, verbreitet sie eine Weltstimmung, die, rückwärts gewandt über die frühe Arbeit des Christentums, über die politische und theokratische Ethik der Mittelmeerkultur hinweggreifend, unter der Deckung und Maske der Zivilisation abermals auf primitive Menschheitszustände hinstrebt. Denn diese Stimmung ist Kampf und Feindschaft.
Das menschliche Herz schlägt zu warm, es ist zu bedürftig der Anlehnung und Liebe, als daß der Haß als offne, weltverzehrende Flamme ausschlagen dürfte; doch je härter und spröder das Geschlecht, das der Mechanisierung erliegt, desto tückischer nagt der innere Brand im knirschenden Getriebe.
Der frühere Mensch goß seine Kraft und Liebe in sein Werk; er war um des Dinges willen da; die Menschen standen abseits, er bedurfte ihrer zum seltnen Austausch, zum gemeinsamen Schutz oder zum Dienst. Im engen Kreise umgaben ihn die Seinen, die er hegte, im weitern die Genossen, denen er Treue hielt, in fernerem Abstand die Feinde, die er bekämpfte. Der neue Mensch lebt nicht um eines Dinges willen; er strebt nach dem neutralen Gut des Besitzes, nach dem unverkörperten Begriffe einer relativen, doch beliebig ausdehnbaren Machtsphäre; sein Lebensinhalt ist nicht die Sache, die zum Mittel herabsinkt, sondern die Laufbahn. Durch Menschenmauern hindurch muß sie gebrochen werden; wohin er blickt, wo immer er stehen möchte, steht ein andrer, der ist sein Feind. Um Bresche zu reißen, bedient er sich des [48] Genossen, der Gefolgschaft; nicht aus Liebe führt er sie, folgen sie ihm, sondern aus Interesse; jeder ist dem andern Mittel, das aufgegeben wird, wenn es nicht mehr dient. Dem Produzenten ist der Mitmensch Konkurrent, das ist Feind, Abnehmer, das ist Mittel; Lieferant, das ist Feind, Sozius, das ist Mittel. Wem er sich nähert, von dem will er etwas, wer sich ihm nähert, der will etwas von ihm, so sind beide auf der Hut, und ihre Stimmung ist feindliches Mißtrauen. Deshalb erscheint es jedem einerseits gefährlich, anderseits ungeziemend, im Fremden den Menschen zu wecken; es ist Herkommen, ihn wie Luft zu behandeln, bis die blöde Konvention der Namensnennung den landesüblichen Schutz eines kalten Respekts gesichert hat. Der menschenfreundliche Schwärmer, der sich über die Form hinwegsetzt, wird, wenn er nichts zu bieten hat, kühl abgetan; hat oder vermag er Begehrenswertes, so fühlt er bald zum Dank seines Vertrauens sich zum Mittel erniedrigt. Er teilt mit Recht das Schicksal derer, die einen Gesamtzustand statt durch Einwirkung auf Gesinnung und Gewissen durch Sonderexperimente beheben wollen. Deshalb klagen die Menschen so gern einander an und warnen sich wechselweise, rühmen sich ihrer schlechten Erfahrungen und erklären sich als Pessimisten der Menschenkunde. Sie wissen nicht, daß sie sich selbst verurteilen. Denn in der menschlichen Natur liegt diese Feindseligkeit und Niedrigkeit nicht, das Herz des Menschen ist zart wie seine nackte Haut, es ist der Rührung, dem Schmerz, der Neigung hingegeben. Was dies Herz verhärtet, ist die Angst; die Sklavenpeitsche der Mechanisierung, die niemals ruht, und deren Zischen. [49] Hunger, Verachtung, Entrechtung, Schmerz und Tod bedeutet. Freilich sind die Nöte an sich nicht furchtbar, sondern Wege des Heils; doch nur für den gläubigen Menschen; die Mechanisierung aber hat vorsorglich verstanden, um ein wenig Wissen und Zauberei ihm den Glauben abzukaufen.
Feindschaft von Mensch zu Mensch steigert sich zur Feindschaft von Gruppe zu Gruppe, Stamm zu Stamm, Volk zu Volk. Der Mensch ist zum Interessenten geworden; irgendeine kümmerliche Theorie hat ihm und seinesgleichen Abhilfe aller Bedrängnis versprochen, sie schließen sich zusammen, nennen's Partei oder Interessenvertretung, verallgemeinern ihre umgekehrten Beschwerden zu einem positiven Idealbegriff und entrüsten sich, daß der Widersacher, vom entgegengesetzten Interesse ausgehend, nicht zum gleichen Ideal gelangt. In dieser an Spielarten so ergiebigen Zeit ist nichts schwerer zu finden als ein Mensch, dessen Überzeugung und Ideal sich nicht mit seinen Interessen deckt; diese verzweifelte Erfahrung führt dazu, daß es ernste Denker gibt, die eine Weltanschauung, eine transzendente Überzeugung überhaupt nicht mehr als eine Form der Erkenntnis, als einen Abglanz des Ewigen dulden, sondern vielmehr darin nur eine Art von Charakter- und Interessenumsetzung, gewissermaßen eine Krankengeschichte, eine idiosynkratische Sonderlichkeit erblicken. Soweit geht das Vertrauen zur Positivität der Interessen, zur Alleinherrschaft des Intellekts, zur Erdgebundenheit des Gefühls.