Kitabı oku: «Allmächd, scho widder a Mord!»

Yazı tipi:

WERNER ROSENZWEIG

Allmächd, scho widder a Mord!

Zwölf Kriminalgeschichten aus

Ober-, Mittel- und Unterfranken

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de abrufbar.

Handlung und Personen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und unbeabsichtigt.

Titelfoto:

Stationsbildnis auf dem früheren Kreuzweg zur katholischen Wallfahrtskirche Maria im Weinberg, oberhalb des Weinortes Volkach

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Lektorat: Barbara Lösel, www.wortvergnügen.de

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

COVER

TITEL

IMPRESSUM

Frankenmen Sen Very Cool

Vorwort

Nachtgiger – Nürnberg

Häbbi Nju Jiehr – Erlangen

Foosenachd – Veitshöchheim

Fastenzeit – Bamberg

Walberlafest – Forchheim

Meistertrunk – Rothenburg ob der Tauber

Geldwäsche – Miltenberg

Biogas – Röttenbach

Götterdämmerung – Bayreuth

Weinlese – Würzburg

Höttehött – Iphofen

Frischfleisch – Fürth

NACHWORT

WEITERE BÜCHER

Frankenmen Sen Very Cool
(Text: Werner Rosenzweig)
(Melodie: Steirermen San Very Good von Stoakogler Trio)

(www.youtube.com/watch?v=Prüf1vbojG8)

♫ München auf der Wiesn, do lässt der Bayer grüßn,

Die saufn dort ihr Bier und glauben, es wär a Zier.

Da frag iech miech, was soll das, die Brüh aus diesem Stahlfass,

Erscht wennst am Bier aus Franken leckst, dann waßd a, was gut schmeckt.

♫ Frankenmen sen very cool, very very cool und beautiful

Wie der Loddar mit seim Gwaaf und des Bimbala vo Laaf.

Frankenmen sen very cool, very very cool und beautiful,

Madla schau dir alle an, dann willst an Frankenmann.

♫ Frankenmen sen very best, very very best als all der Rest,

Is ka Frach sen even higher als a gschdörter Oberbayer.

Frankenmen sen very best, very very best als all der Rest,

Bayern, Friesn, Hanseaten, kenna uns net schaden.

♫ ja die Hanseaten, auf die brauchst du net wartn,

Die findns Leben schee, dort droben an der See.

Die Franken-Qualitäten, die sen dort net vertreten,

Die gibt es net im Friesenland, dees is allseits bekannt.

♫ Frankenmen sen very cool, very very cool und beautiful,

Wie der Loddar mit seim Gwaaf und des Bimbala vo Laaf.

Frankenmen sen very cool, very very cool und beautiful,

Madla schau dir alle an, dann willst an Frankenmann

♫ Drum Madla gib schee acht, wenn dich sua Preiß anlacht,

Du freindli diech bedanken,

Und dann nimmst du halt an Franken

♫ Frankenmen sen very best, very very best als all der Rest,

Is ka Frach sen even higher als a gschdörter Oberbayer.

Frankenmen sen very best, very very best als all der Rest,

Bayern, Friesn, Hanseaten, kenna uns net schaden.

♫ Frankenmen sen very nice, very very nice, und net der Preiß,

Sexy, höflich und recht gscheit, die Madli des arch gfreit.

Frankenmen sen very nice, very very nice, und net der Preiß

Wohnst in Bamberch, Nemberch, Ferth, dann waßd du, was sich ghert.

♫ Frankenmen sen very cool, very very cool und beautiful,

Wie der Loddar mit seim Gwaaf und des Bimbala vo Laaf.

Frankenmen sen very cool, very very cool und beautiful,

Madla schau dir alle an, dann nimmst an Frankenmann.

Vorwort

„Franken“, rief der Sitzungspräsident, Bernd Händel, am ersten Februar 2013 in die Menge der sechshundert närrischen Gäste.

„Helau!“, tönte es lautstark zurück.

„Veitshöchheim!“

„Helau!“

„Franken!“

„Helau!“

Dann betraten Volker Heißmann und Martin Rassau, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Barack Obama verkleidet, die Bühne der Mainfrankensäle in Veitshöchheim.

„Einmalig“, schwärmten die Medien, „kein langweiliges Tatää, Tatää. Veitshöchheim läuft den sogenannten Faschingshochburgen am Rhein den Rang ab“.

Einmaligkeit, das ist es, was die fränkische Region auszeichnet. In jeder Beziehung: Preis-Leistungs-Verhältnis, wirtschaftliche Stärke, niedrige Arbeitslosenquote, liebliche Landschaften, Kulturreichtum, fränkische Spezialitäten, nette Menschen, einzigartige Sprache (oberfränkisch, mittelfränkisch, unterfränkisch, tauberfränkisch, nordwestfränkisch, nordostfränkisch, mainfränkisch, weinfränkisch, bierfränkisch, schnapsfränkisch …), sind nur ein paar wenige Stichworte, welche für das Fränkische so zutreffend sind.

Einmalig erfolgreich sind auch die fränkischen Ermittler und Kommissare, denn Franken ist blutrot gefärbt. Nicht dass wir Franken eine erhöhte Neigung zur Kriminalität oder gar zu Mordgelüsten hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Franken sind friedvolle, harmoniesuchende Menschen.

Doch es gibt viele Zugezogene: Bayern, Preußen und echte Ausländer, die glauben, ihren Hang zur Kriminalität in unserem romantischen Landstrich ausleben zu können. Auch wenn wir Franken als sehr tolerant bekannt sind, gefallen lassen wir uns auch nicht alles, schon gar nicht von Bayern und Preußen. Unsere Ermittler und Kommissare gehen mit Raffinesse und Bauernschläue ans Werk. Anwendung von Gewalt hassen sie dabei wie die Pest, was dem angeborenen Naturell der Franken sowieso entspricht. Der Ausspruch „Es werd scho widder wern, mid der Frau Kern. Mid der Frau Horn is aa widder worn“, deutet zudem darauf hin, dass sich die Franken bei ihrer Arbeit ungern hetzen lassen. Gründlichkeit geht vor. Wehe, jemand stört diesen gut funktionierenden Regelkreislauf. Dann kann er etwas erleben. Dann kann er sich auf etwas gefasst machen, denn unsere fränkischen Kommissare, Mörderjäger und Ermittler sen very cool.

Nachtgiger – Nürnberg

„A su a Scheißwedder, ned Fleisch ned Fisch. Warm is ned, kald is aa ned, und heid gehd der Chrisdkindlesmargd o. In drei Wochn hammer Weihnachdn, und um viera is finsder. Der Summer is mer lieber!“ Gunda Gierbich schimpfte wie ein Rohrspatz. „Mei gehd mier dees Wedder aufn Geisd. Den ganzn Dooch ka Sunna. Gerda, waßd du, wu der Raphael scho widder schdeggd? Der Lauser werd si doch ned scho widder ausn Haus gschlichn ham? Der Greizdunnerwedder-Hundsgrübbl! Irgendwann schloochin su ins Kreiz nei, dass nern sei Ausreißerei vergehd!“

Gunda Gierbich, die im Erlanger Ortsteil Frauenaurach geborene Fränkin, saß in ihrem zwanzig Quadratmeter großen Ankleidezimmer und lackierte sich ihre Krallen feuerrot. Sie stand etwas unter Zeitdruck und sah auf ihre diamantbesetzte Rolex. In einer Stunde, um achtzehn Uhr, hatte sie im Nürnberger Sheraton einen Termin mit ihren Freundinnen Yvonne, Doris, Thea und Gerlinde. Ihr monatlicher Galaabend stand mal wieder an, und sie musste mit ihrem Porsche Cayenne noch in die Innenstadt fahren.

„Iech hab gmaant, der Raphael is bei Iehna, gnädiche Frau“, rief Gerda Wunderlich, Köchin, Putzfrau und Kindermädchen zugleich, aus dem Erdgeschoss die Treppe hoch.

„Bei mier? Was solln der Fregger bei mier? Schau amol draußn nach, obsdn findsd!“

Der fünfjährige Lauser, Hundsgrübbl und Fregger war tatsächlich mal wieder entwischt. Dazu lag die Villa der Gierbichs aber auch zu verlockend direkt inmitten in der Natur, direkt am Rand von Großgründlach. Der älteste und nördlichste Ortsteil Nürnbergs, direkt an die Stadtgebiete Fürth und Erlangen angrenzend, nahe der Einflugschneise des Nürnberger Flughafens, zählt knapp fünftausend Einwohner. Dort, wo die Erlenhainstraße Dorf auswärts einen scharfen Rechtsknick macht, um kurz darauf vor offenen Feldern zu enden, liegt die moderne Villa der Gierbichs auf einem zweieinhalbtausend Quadratmeter großen Grundstück, eingerahmt von hohen Thuja-Hecken. In unmittelbarer Nähe fließt die Gründlach der Regnitz zu, und ungefähr dreihundert Meter dem Bachlauf folgend, stößt man auf einen kleinen Kastenwald, hinter dem der Mühlweiher liegt und fast bis zur Kleingründlacher Straße reicht. Eine reizvolle Gegend für einen Fünfjährigen um Indianerledz zu spielen. Viel reizvoller als auf dem eigenen Grundstück, welches im Sommer fast nur aus gepflegten Blumenbeeten und Rosenrabatten bestand und auf dem ein unkrautfreier englischer Kurzrasen angesät war, den man sowieso nicht betreten durfte. Die zehn Zimmer, drei Bäder, Bibliothek, Schwimmhalle, Krafttrainingsraum, Sauna und Kellerbar durfte Raphael nur unter Aufsicht erkunden. Einzig und allein sein Kinderzimmer, welches vor langweiligem Spielzeug überquoll, war sein Reich. Draußen am Bach, wo in der warmen Jahreszeit die Frösche hüpfen, und im Wald, wo hinter jedem Baum die feigen Indianer lauern, war es viel interessanter. Die konnte er mit seiner lärmenden und blinkenden Maschinenpistole wenigstens reihenweise niedermähen. Zumindest in seiner kindlichen Gedankenwelt.

„R-a-p-h-a-e-l, R-a-p-h-a-e-l“, hörte er Gerda rufen, „es is scho dungl, dei Mama had gsachd, du sollsd ham kumma.“ Er stand hinter einem dicken Stamm, seine Maschinenpistole im Anschlag, und er hatte Gerda ganz deutlich im Fadenkreuz seines Zielfernrohrs. Die feige Sioux-Squaw, die draußen auf dem freien Feld ihre Hände zu einem Trichter geformt an den Mund hielt und seinen Namen rief. Den falschen Namen dazu! Wusste sie denn nicht, dass er sich, hier draußen in der Wildnis, Buffalo Bill nannte? Das musste bestraft werden. Er zielte nochmals genau, dann eröffnete er knatternd das Feuer.

„Wie oft hab iech dier scho gsachd, dass du ned allaa do naus gehn sollsd?“, schimpfte ihn seine Mutter wenig später und zeigte mit ihren roten Teufelskrallen auf ihn. Ihr Gesicht erinnerte ihn an einen Sioux-Häuptling auf Kriegspfad. Es war bunt bemalt. „Vor allem wenns scho finsder is. Wenn du do ned ham kummsd, dann huld di numal der Nachtgiger. Wennsd ned hersd, dann frissder di eines Doochs nu auf. Do wersd schaua.“

„Mama, wie schaudn der aus, der Nachtgiger?“, wollte der Pimpf wissen.

„Firchderlich! Groß isser. Viel gresser als der Babba. A ganz dungle Gschdald mid an großn, rodn, schbidzin Schnabl. Damid zerhaggder di beesn Kinner, die ned auf iehre Eldern hern. Große Augn hadder, su groß wie a Subbndeller, damider in der Nachd was sichd. Und an seim Körber hadder Schubbn wie a Fisch. Der kann nämli a schwimma, mussd wissen. So, und edz gehsd in die Kichn und issd was. Die Gerda hadder Fischschdäbchen und Bommes gmachd. Danach gehsd ins Bad, ziehgsd dein Schlafanzuch o und budzd der dei Zäh. Um achda gehsd ins Bedd. Hasd mi verschdandn? Die Mama muss numol in die Schdadd, abber die Gerda is ja do.“

„Wu issn der Babba?“

„Der is nu in Frankfurt, auf der Ärwerd. Vor neina is der ned daham.“

„Warum mussn der Babba immer suviel in Frankfurt ärwern?“

„Der muss Geld verdiena, damid mier dier all die schena Schbielsachn kaafn kenna.“

„Iech will ka Schbielsachn!“

„Ruhich edz! Edz gehsd in die Kichn und issd was!“

In einem der Frankfurter Bankenhochhäuser saß Gerd Gierbich immer noch in einer Geschäftskonferenz. Erst in circa zwei Stunden würde er in seinen 750er BMW steigen und wie jeden Freitag auf der Autobahn nach Großgründlach jagen. Als Mitglied des dreiköpfigen Vorstands (der Name der Bank tut hier nichts zur Sache) war eine Fünfzig-Stunden-Woche für ihn ganz normal, er führte sowieso eine Wochenendehe. Seine hübsche Frau Gunda war neunzehn Jahre jünger als er, dafür aber einen Kopf größer. Aus Franken bekommt er Gunda nicht weg, das war ihm von Anfang an klar. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als seiner Familie dort ein angemessenes Zuhause zu bieten. Das fiel ihm nicht allzu schwer. Obwohl seine Bank seit Jahren tiefe Verluste einfuhr, genehmigte er sich – gemeinsam mit seinen beiden Vorstandskollegen – alljährlich hohe Bonizahlungen. Siebenstellige Beträge waren da keine Ausnahme. Die Aktionäre murrten zwar regelmäßig, und die Öffentlichkeit jaulte auch von Zeit zu Zeit auf, aber noch flossen die jährlichen Millionenbeträge. Der glatzköpfige, untersetzte Fünfziger liebte seinen Sohn Raphael über alles und erfüllte ihm fast jeden Wunsch. Dass er von seiner jungen Frau während der Woche von Bett und Tisch getrennt war, fiel ihm dahingegen nicht so schwer. Es gab da ja noch Lizzy, die rassige, vollbusige Mexikanerin. Die Frau mit dem anrüchigen, nuttenhaften Flair, besonders wenn sie ihre rote Unterwäsche und die halterlosen Netzstrümpfe trug. Sie wohnte gleich in der Nähe seines Frankfurter Appartements, am Holzhausenpark.

Am Montagnachmittag, um sechzehn Uhr, schlüpfte Raphael Gierbich schon wieder unter dem lockeren Maschendrahtzaun hinter der mächtigen Thuja-Hecke hindurch. Seine ratternde und funkelnde Maschinenpistole hatte er auf den Rücken geschnallt. Die brauchte er ja, wenn er wieder Indianer jagen wollte. An den Nachtgiger verschwendete er nicht den geringsten Gedanken. Er rannte den kleinen Bachlauf entlang und konnte es kaum erwarten, bis er hinter den Lärchenstämmen in Deckung gehen konnte. Dann nahm er sein Spielzeuggewehr von der Schulter, rammte sich den Gewehrkolben in seine rechte Schulter und sah durch sein Zielfernrohr. Kein einziger Indianer war zu sehen. Die Abenddämmerung brach herein, und plötzlich fiel ihm der Nachtgiger ein. Der sollte ruhig kommen. Seine Maschinenpistole war geladen. Dann sah er ihn. Eine schwarze Gestalt, mit einer schwarzen Maske kam im Wald direkt auf ihn zu. Raphael sprang hinter seinem Stamm hervor und riss seine Maschinenpistole hoch. Die fing das Leuchten, Blinken und Rattern an. „Halt stehen bleiben!“, rief der kleine Pimpf, „sunsd gibds was auf die Nuss. Bisd du der Nachtgiger?“

Der schwarze Maskenmann blieb stehen und hob die Hände. „Na, der binni ned. Iech hab ja a kan Schnabl ned. Iech bin der Nachtgiger-Jächer. Iech will den Nachtgiger fanga, damid der dene klane Kinner ka Angsd mehr machen kou.“

„Warum hasd du dann a schwarze Maskn?“

„Dees is mei Darnanzuuch, damid miech der Nachtgiger in der Nachd ned sichd. Abber iech hab edz eigendlich ka Zeit, iech muss nach Reutles nieber, do soller si nämli grod rumdreibn, der Nachtgiger mid sein schbidzin Schnabl.“

Raphael Gierbich machte große Augen. Er glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Der schwarz gekleidete Mann machte Jagd auf das grässliche Monster.

„Hasd du aa a Bisdoln odder a Gwehr?“

„No fraali, sunsd wär dees doch viel zu gfährlich.“ Mit diesen Worten zog der Nachtgiger-Jäger eine schwarze, matt glänzende Pistole aus seinem Hosengürtel. Raphael war tief beeindruckt. „Derfi aa mied?“, wollte der Junge wissen, „iech hab aa a Gwehr. A Maschienabisdoln!“

„No fraali derfsd du aa mied, du musd mi doch underschdüdzn und dees Monsder bewachn, wenn iech die Bolizei hul.“ Kumm, mier nehma mei Audo, und foahrn nieber nach Reutles. Dees gehd viel schneller.“ Der vermummte Nachtgiger-Jäger nahm Raphael an der Hand, und beide marschierten zu einem schwarzen VW Golf, der auf einem grasbewachsenen Weg im kleinen Wäldchen stand. Der kleine Junge kroch aufgeregt auf die Rückbank, und der Schwarzgekleidete ließ den Motor an und legte den ersten Gang ein. Dann setzte sich der Wagen mit ausgeschalteten Scheinwerfern langsam in Bewegung.

Gerda Wunderlich und Gunda Gierbich hielten schwere Stablampen in den Händen. Sie riefen und suchten Raphael bis tief in die Nacht hinein. Vergeblich. Um elf Uhr wählten sie entnervt die Telefonnummer der Nürnberger Polizei. Heulend und aufgeregt schluchzte Gunda Gierbich in die Sprechmuschel: „Mei Bu, mei Raphael is schburlos verschwundn. Mier hamna scho ieberall gsuchd.“

„Langsam, langsam gude Fraa“, antwortete eine tiefe honorige Stimme aus dem Hörer, „erschd Mal der Reihe nach. Wie haßn Sie, und wo wohna Sie? Und dann erzählns mer in aller Ruh und der Reiha nach, was bassierd is.“

Es dauerte, bis der Beamte begriff, was Sache war. „Edz versuchns Mal, ganz ruhich zu bleibn. Mier schiggn jemand bei Iehna vorbei.“

Fünf Minuten später wählte die Mutter des abgängigen Raphael die Telefonnummer ihres Mannes in Frankfurt.

Gerd Gierbich war gerade mit Lizzy der feurigen Mexikanerin beschäftigt und schälte deren Brüste aus dem transparenten, roten BH, Cup Wassermelone. Das penetrante Klingeln des Telefons ging ihm gewaltig auf den Sack. Geistesabwesend und heftig atmend meldete er sich schließlich doch. „Gerd … aaah … Gierbich … mmmmh!“

„Gerd iech bins, die Gunda. Was machsdn du grod? Is alles okay mid dier?“

„Ja, ich habe soeben die Möpse, … ich meine …“

„Was machsd du?“

„Die Möpse, ich zähle gerade Möpse. Ich bin gerade am Geldzählen.“

„Ach so! Gerd, was ganz Schlimms is bassierd. Der Raphael is verschwundn.“

„Was heißt verschwunden? Der müsste doch längst im Bett sein!“

„Ebn ned. Der is einfach abghaud und nemmer ham kumma. Iech hab grod die Bolizei ogrufn. Die missdn jedn Augenbligg do sei. Iech waß ned, wassi machen soll! … Gerd, bisd du nu am Delefon?“

„Ja, ich habe nur schnell nachgedacht. Ich setze mich sofort in den Wagen und komme.“

„Ja Gerd, bidde bidde kum schnell ham!“

„Ruf mich auf meinem Mobiltelefon an, wenn es etwas Neues gibt“, wies Gerd Gierbich seine Frau an. Dann war die Leitung stumm.

In einem alten Haus im Nürnberger Stadtteil Rehhof, ganz in der Nähe des Bahnhofgebäudes, saßen vier finstere Gestalten und stritten sich über die Formulierung eines Erpresserbriefes. Der kleine Raphael Gierbich rutschte auf dem schmutzigen Holzfußboden herum und spielte mit den Indianerund Cowboy-Figuren, welche ihm die vier Männer in einer großen Schachtel hingestellt hatten.

„Vier Milliona“, rief einer der Männer zum dritten Mal beharrlich.

„Su viel Geld had der ned“, wandte ein anderer ein. „Bis der dees beschaffd had, dauerd dees viel zu lang.“

„An Bfeifndeggl, dees gehd ganz schnell. Der is doch im Vorschdand vo dera Bank.“

„Herd auf zu schdreidn“, ergriff nun ein Dritter das Wort, „erschd solldn mier wissen, was mier ieberhabs schreiben wolln.“

„Also, iech fang amol o“, entschied der Vierte im Bund und griff sich ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber.

Erbresserbrief

Wenn Sie iehrn Sohn widder ham wolln, dann gild:

FINGER WEG VO DER BOLIZEI!

Mier wolln ……………….. Milliona Euro. Kann Cent mehr, abber aa

kann Cent wenicher.

Beschaffn Sie sich des Geld bis zum Freidooch in dera Wochn. Am

Freidooch um sechsa rufn mier Sie o und sogn Iehna was zu dou is.

Haldn Sie sich genau an unsre Anweisunga, sunst ……!

Iehrn Sohn geht’s gud. Der schbield grod Kauboi und Indjaner.

Mier ieberwachn jedn Iehrer Schridde und mergn, wenn Sie die Bolizei eischaldn. Lassn Sie sich dees gsachd sei.

Hochachdungsvoll

Der Nachtgiger

Rehhof, den …………

„Ferdich“, rief der Autor des Erpresserbriefes stolz. „Was maandn iehr? Bassd dees?“

Die drei anderen Entführer gruppierten sich um den am Tisch Sitzenden und studierten den Text. „Iech maan, ‚Hochachtungsvoll‘ miss mer ned grod schreiben. Klingd dees ned zu schdeif? Iech wär für ‚Dschüss, bis zum näxdn Freidooch‘.

„Du schreibsd do immer ‚mier‘: ‚… um sechsa rufn mier Sie o‘, ‚Mier ieberwachn jedn Iehrer Schridde …‘. Muss dees under dem Bliggwingl einer korreggdn Rechdschreibung ned ‚wier‘ haßn?“, monierte ein anderer der Gangster.

Dann meldete sich auch noch der dritte der Verbrecher: „Also sicher bin iech mier ned. Schreibd mer edz Rehof odder Rehhof? Mid an odder mid zwaa ha?“

„Mid zwaa“, rief der kleine Raphael vom Fußboden, dessen Kanoniere gerade die Wigwams des Indianerdorfes von Sitting Bull unter Feuer nahmen. „Mei Dande Erika wohnd in Rehhof. Die sachd immer ‚A Reh dees had vier Baa, und Rehhof had zwa ha‘. Abber Rehhof däd iech fei ned in den Brief neischreibn“, setzte der kleine Schlaumeier seine Rede fort. Die vier Gangster sahen ihn mit erwartungsvollen Blicken an.

„Sunsd waß doch die Bolizei gleich, wo sie nach eich suchn muss, und iech kann nemmer mid die Figurn schbieln, wenns mi befreia.“

Am vierten Dezember, um die Mittagszeit, brachte die Deutsche Post den Gierbichs den Brief der Entführer. Der Wortlaut wich eine Kleinigkeit vom ersten Entwurf ab:

Vier Millionen Euro, und keine Polizei!

In kleinen Scheinen, ohne fortlaufende Nummernserie.

Weitere Anweisungen folgen am Freitag

Unterschrieben war der Brief mit Nachtgiger.

„Der Nachtgiger“, heulte Gunda Gierbich auf. „Edz hadder si mein Bubm dadsächli ghuld. Mein armer Raphael.“

„Wollen, beziehungsweise können Sie das Geld bis zum Freitag beschaffen?“, richtete Kommissar Nero Hammer das Wort an Gerd Gierbich?

Der saß mit hängenden Schultern auf dem Couchsofa im Wohnzimmer. „Das ist kein Problem, nur wie geht es dann weiter? Sie haben doch selbst gelesen: keine Polizei! Ich will meinen Sohn auf jeden Fall unversehrt zurück haben, o h n e sein Leben zu gefährden.“

„Keine Sorge“, versuchte Kommissar Hammer den Vater von Raphael zu beschwichtigen. „Angeblich folgen am Freitag weitere Anweisungen. Wie die aussehen, wissen wir noch nicht. Ob die wieder per Brief kommen oder telefonisch, wissen wir ebenfalls nicht. Also müssen wir uns, soweit es geht, auf jedwede Möglichkeit einstellen. Vor allem müssen wir versuchen, Zeit zu gewinnen. In der Zwischenzeit hören wir uns in der Szene um.“

„Ich scheiß auf Ihre Szene, Herr Kommissar, und warum wir Zeit gewinnen müssen, kann ich auch nicht nachvollziehen. Egal, ob ein weiterer Brief oder ein Anruf kommt, ich mach mich mit dem Geld sofort auf die Socken, falls dies gefordert wird, und ich möchte nicht, dass auch nur ein Polizist daran denkt, mir zu folgen.“

„Darüber müssen wir nochmals reden, Herr Gierbich. Ich verstehe Ihre Sorgen, das können Sie mir glauben. Natürlich stehen die Sicherheit und das Leben Ihres Sohnes im Vordergrund, aber wir dürfen auch nicht vergessen, den Tätern das Handwerk zu legen. Sollten sie erfolgreich sein, ohne dass wir sie schnappen, werden sie es wieder tun, und ein anderes Elternpaar wird sich fragen, warum Sie so egoistisch gehandelt haben. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ihr Mobiltelefon werden wir sowieso abhören. Außerdem möchten wir Sie gerne verwanzen und an Ihrem Wagen einen Peilsender anbringen, wenn es soweit ist. Seien Sie unbesorgt, wir werden uns nicht blicken lassen, auch wenn wir ständig in Ihrer Nähe sein werden.“

„Und was machen Sie, wenn es sich um mehrere Täter handelt?“, wollte Gerd Gierbich mit Zweifeln in den Augen wissen. Seine Frau Gunda und Gerda Wunderlich, die beide dem Dialog zugehört hatten, brachen in ein lautes Gejammer aus.

Am Freitag kam ein weiterer Brief, der wie der erste in Erlangen aufgegeben war. Die heimlichen Ermittlungen der Polizei in der Szene brachten nichts. ‚Entweder es handelt sich um Amateure oder um Ausländer, die neu im Geschäft sind‘, waren die Vermutungen der Kripo. Dass Amateure am Werk waren, nun diese Annahme ließ der Wortlaut des Briefes nicht zu:

Fahren Sie um neunzehn Uhr zum Flughafen und halten Sie sich am Telefon zur Verfügung! Packen Sie das Geld in eine Aldi-Plastiktüte.

Nachtgiger

„Raffiniert“, merkte Kommissar Nero Hammer an, „auf diese Weise können wir keinen Koffer präparieren.“ Gunda und Gerda heulten auf.

Pünktlich um neunzehn Uhr startete Gerd Gierbich in seinem 750er BMW in der Erlenhainstraße. Sein Weg führte ihn zunächst in die Schweinfurter Straße, bevor er auf der Würzburger Straße weiterfuhr, um wenig später auf die B4 in Richtung Nürnberg abzubiegen. Der BMW nahm den Weg durch Boxdorf, hielt die 70-km/h-Geschwindigkeitsbegrenzung ein, als es an Buch vorbei ging, und folgte weiterhin der B4 bis zur Kreuzung Bamberger-/Marienbergstraße. Hier bog er links ab. Nun ging es ein Stück kerzengeradeaus, bis der Wagen wieder links in die Flughafenstraße einfuhr. Im Verkehrskreisel am Bucher Landgraben piepste Gerd Gierbichs iPhone und kündigte den Eingang einer SMS an. Wenig später stellte er den BMW in einer Parkbucht am Flughafen ab und las die Nachricht:

Verlassen Sie Ihr Fahrzeug und begeben Sie sich unmittelbar zur Rolltreppe der U-Bahnstation. Davor steht ein junger Mann mit Nikolausmaske. Diesem händigen Sie Ihr Mobiltelefon aus. Sie bekommen von ihm ein neues. Schalten Sie es nicht aus. Sie werden nur noch über das neue Handy kontaktiert. Fahren Sie mit der U-Bahn bis Nürnberg Hauptbahnhof und warten Sie auf weitere Anweisungen. Ach ja, vergessen Sie die Aldi-Tüte nicht.

Gerd Gierbich fluchte, und seine Hoffnungen in die polizeilichen Fähigkeiten schwanden schnell dahin. Als er unten am Bahnsteig ankam, fuhr gerade einer der zweiteiligen Frankenpfeile in die Station ein. Gierbich bestieg den U-Bahnzug und die Türen schlossen sich automatisch. Die Fahrt bis zum Hauptbahnhof dauerte gerade mal zehn Minuten. Er stellte sich erneut auf die Rolltreppe, dieses Mal nach oben, als das neue Mobiltelefon vibrierte. Eine weitere SMS.

Begeben Sie sich in der Haupthalle des Hauptbahnhofs in das Obergeschoss und suchen Sie die öffentlichen Toiletten auf. Ein junger Mann mit roter Nikolausmütze wird Ihnen einen Rucksack übergeben. Darin befindet sich eine schwarze Pudelmütze, ein Adidas-Trainingsanzug sowie eine Winterjacke in Ihrer Größe. Wechseln Sie die Kleidung und stecken Sie Ihre Klamotten in den Rucksack. Übergeben Sie dann den Rucksack dem Mann mit der Nikolausmütze. Nachdem sich dieser überzeugt hat, dass Sie nicht verkabelt sind, erhalten Sie von ihm ein neues Mobiltelefon. Geben Sie ihm Ihr altes. Laufen Sie zu Fuß zum Christkindlesmarkt und warten Sie dort in der Nähe des Schönen Brunnens auf weitere Nachrichten. Nachtgiger

Kommissar Nero Hammer und sein Team, welche ihre Kommandozentrale im Wohnzimmer der Gierbichs eingerichtet hatten, bekamen langsam ein Problem. Auf einem Bildschirm, welcher den aktuellen Standort des 750er BMWs anzeigte, blinkte im regelmäßigen Rhythmus ein rotes Lämpchen, welches besagte, dass das Fahrzeug am Flughafen Nürnberg stand. Die Ortung von Gerd Gierbichs Mobiltelefon hatten sie bereits vor einer viertel Stunde verloren. Ein weiteres rotes Signal blinkte auf einem anderen Bildschirm. Gerd Gierbich befand sich in der U-Bahn und stieg soeben am Hauptbahnhof aus. Er bewegte sich in Richtung Haupthalle. „Nachtgiger drei, Nachtgiger drei, fahren Sie sofort zum Hauptbahnhof“ sprach Nero Hammer aufgeregt in sein Mikro. „Weitere Anweisungen abwarten.“

„Nachtgiger drei verstanden, zum Hauptbahnhof“, knisterte es klar und deutlich aus dem Lautsprecher auf dem Couchtisch.

Der Streifenwagen Nachtgiger drei, welcher sich gerade am Plärrer befand, beschleunigte und steuerte auf den Hauptbahnhof zu.

„Der Gierbich ist immer noch im Bahnhofsgebäude“, meldete der Kommissar an Nachtgiger drei, zwei, und vier. „Nachtgiger eins, schicken Sie Beamte in Zivil an die Ausgänge des Bahnhofs.“

„Nachtgiger eins, verstanden. Kollegen sind unterwegs.“

Sieben Minuten später sah der Kriminalkommissar wie sich das blinkende Licht wieder in Richtung Bahnsteige bewegte. Auf dem Bahnsteig Nummer zwei verweilte es drei Minuten, dann entfernte es sich mit zunehmender Geschwindigkeit in Richtung Osten.

„Achtung, Achtung, Durchsage an Nachtgiger eins bis vier, der Gierbich befindet sich in der S-Bahn der Linie 1 und entfernt sich in Richtung Hartmannshof. Nachtgiger eins bis vier folgen Sie dem Zug und warten Sie auf weitere Weisungen.“ Kommissar Hammer war guter Dinge, dass sie dem oder den Entführern näher kamen. Gott sei Dank konnte er den Banker überzeugen, sich verkabeln zu lassen. Das Fahrgeräusch des Zuges war deutlich zu hören. Dann erreichte ihn ein Telefonanruf. „Chef, wir haben das iPhone von dem Gierbich in einem Abfalleimer am Flughafen gefunden. Es ist abgeschaltet.“

„Scheiße“, war der einzige Kommentar von Nero Hammer. Dann wandte er sich wieder dem sich bewegenden roten Signal auf dem Bildschirm zu.

Während Gerd Gierbich, in blauem Adidas-Trainingsanzug und schwarzer Winterjacke, eine prall gefüllte Aldi-Plastiktüte in der Hand, am Schönen Brunnen auf sein neues Mobiltelefon starrte und auf die nächste Nachricht wartete, stieg ein junger Mann, mit einer Nikolausmütze auf dem Kopf, am S-Bahnhof Lauf, links der Pegnitz, aus dem Zug. Auf seinem Rücken trug er einen gut gefüllten Rucksack. Dann bestieg er ein Herrenfahrrad, welches in einem Fahrradständer des Bahnhofs abgestellt war, schwang sich, nachdem er den Dynamo eingeschaltet hatte, in den Sattel, und radelte los. Er nahm die kurze Julienstraße, um den Drahtesel kurz darauf in die Weigmannstraße zu lenken. Er fuhr Richtung Altdorfer Straße weiter und hielt auf der Brücke der Johannisstraße mitten über der Pegnitz an. Links rauschte die Strömung des Flusses, dessen Wasser über ein kleines Wehr floss. Rechts verlor sich der Wohnturm des Wenzelschlosses, der ehemaligen Kaiserresidenz, die auf einer Insel in der Pegnitz erbaut wurde, in der Dunkelheit. Der junge Mann stieg vom Fahrrad ab, nahm seinen Rucksack vom Rücken und sah sich um. Kein Mensch war zu sehen. Er wartete ab, bis ein Pkw, der aus der Gegenrichtung die Brücke befuhr, wieder verschwunden war. Dann nahm er den Rucksack in die Hände und schleuderte ihn in die finstere Nacht. Sekunden später war ein schwaches Aufklatschen zu hören, welches vom Fließgeräusch des Flusses nahezu übertönt wurde. Der junge Mann wendete sein Fahrrad und verschwand strampelnd in der Siebenkeesstraße. Wenig später stand er wieder an der S-Bahnstation und wartete auf den nächsten Zug, zurück in Richtung Nürnberg.