Kitabı oku: «Allmächd, scho widder a Mord!», sayfa 4
„Wir wünschen dir eine gute Reise. Mach’s gut, mein Freund!“
„Ja, mach’s gut, oder auch nicht.“
Der Killer mit der Narbe holte zu einer blitzschnellen Bewegung aus. Ein stechender, heißer Schmerz durchfuhr Minggangs linke Brusthälfte. Dann traf ihn ein zweiter, mitten im Hals. Er spürte, wie sein Herzschlag das Blut in gleichmäßigen Fontänen pulsierend aus seiner Halsschlagader presste. Es fühlte sich warm an auf seiner Haut, und es roch zartbitter nach Eisen. Dann begannen seine Knie zu zittern, und es umfing ihn finstere Nacht.
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Der Anruf kam morgens um halb drei. Kommissar Wiesenstetter lag im Tiefschlaf und träumte von rostigen Nägeln, undichten Fahrradschläuchen, gekotzten Weißwürsten, roten China-Böllern und davon, dass Jens Hagenkötter seine Iris Siebenstiel in einem Heuschober pimperte, während sie mit ihm telefonierte.
„Scheff, iech drau mers gor ned soogn. Do hoggd a doder Kienees auf seim Fohrrood am Rodn Bladz, vorm Siemens-Hochhaus.“ … „Na, iech bin in kann Heuschober, und LSD habbi aa ned gnumma.“ … „Na, der Kienees aa ned. Der is derschochn worn.“ … „Na, der Hagnködder is aa ned in der Näh.“
Die Szene wirkte grotesk. Die Hochleistungsstrahler der Erlanger Kripo leuchteten jedes Detail gestochen scharf aus. Zhou Minggang saß auf seinem Fahrrad. Seine Arme waren mit Stricken an den schmächtigen Ahornhochstämmen festgebunden, die vor dem Bürogebäude gepflanzt waren. Das weiße Hemd war über und über mit seinem Blut besudelt, welches sich unter dem Fahrrad in einer dunklen Lache gesammelt hatte. Der Unterkiefer stand weit offen, als wollte Zhou Minggang erzählen, wer ihn so zugerichtet hatte. Aber selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, noch etwas zu sagen, er hätte sowieso kein Wort hervorgebracht. Er hatte keine Zunge mehr. Die steckte tief in seiner Kehle.
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Ignatz Wiesenstetter war fix und fertig, als er abends daheim ankam. Sein Sohn Benjamin kam ihm im Schlafanzug entgegen.
„Babbi, Mao Dzedong had auf deine Hausschuh gschissn. Tanja had gsachd: ‚Dees soll der Alde selber wegwischn, sen ja seine Hausschuh. Hädders ned daher gschdelld, hädd der Daggl ned draufghaggd‘.“
„Wo is Tanja, Benni?“
„Weg! Waß ned, wohie.”
Dann bereitete der Kommissar seinem Sohn die erste warme Mahlzeit an diesem Tag. Spaghetti Bolognese. Als er Benni ins Bett gebracht hatte, setzte er sich in die Küche, schenkte sich ein Kitzmann Edelpils ein und atmete erst einmal tief durch. Er nahm einen kräftigen Schluck und holte sich ein Blatt Papier aus der Küchenschublade. Verdammt, wo war sein wertvoller Montblanc-Kugelschreiber? Der lag immer hier, gleich neben dem Papierstoß. Tanja!? Hatte sie sich den Kugelschreiber schon wieder ausgeliehen und nicht zurückgebracht? Missmutig dackelte er in Tanjas Zimmer hoch. Dort sah es aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Widerwillig ignorierte er die Unordnung und machte sich auf die Suche nach seinem Montblanc. Er konnte ihn nirgends entdecken. Mit schlechtem Gewissen öffnete er eine Schreibtischschublade. Er wollte nicht in Tanjas Sachen herumstöbern. Dann stutzte er. Dieses kleine Fläschchen hatte er vor Kurzem schon einmal gesehen. Dann fiel es ihm wieder ein. Es war im Sideboard der toten Kathie Schreiber. Es war das Fläschchen, in dem sich das LSD befand. Seine Tochter hatte ebenfalls LSD zuhause. Kein Zweifel. Die beiden Glasbehälter sahen haargenau identisch aus. Das gab Zoff. Dieses Mal gab es keine Ausreden mehr. Dieses Mal wollte er eindeutige Antworten.
Es war halb zwei Uhr morgens, als Tanja den Schlüssel vorsichtig und leise in das Türschloss steckte. Ihr Vater brauchte nicht zu wissen, wann sie nach Hause kam. Geräuschlos öffnete sie die Haustür und trat in Socken in den dunklen Flur. Gerade wollte sie den Fuß auf die erste Stufe der Treppe nach oben stellen, als der Deckenstrahler hell aufleuchtete. Ihr Vater stand mit ernster Miene im Türrahmen zum Wohnzimmer. „Baba, edz hasd mi abber gscheid erschreggd. Bisd narrisch, um dera Zeid!“
Ignatz Wiesenstetter sprach kein Wort, packte sein Töchterchen unsanft am Oberarm und schleifte sie ins Wohnzimmer.
„Ka Word mehr“, drohte er mit finsterem Gesicht, „sonsd verlier iech mei Beherrschung.“ Er hielt ihr die kleine Flasche direkt unter die Nase. „Ieberleech dier gud, was du edz sagsd! Wuher kummd dees Fläschla? Vo wem hasd du dees grichd, und was is do drin?“
„He Alder, hasd du in meine Sachn rumgschdöberd? Dees haldi ja im Kubf ned aus! Seid wann gehdn diech o, was iech …“ Weiter kam sie nicht. Ihr Vater hieb mit der flachen Hand knallend auf den Couchtisch.
„Schnauze, Dochder!“, befahl er ihr. „Edz red iech! In dera Flaschn is LSD. Genau deesselbe Zeich is daffier verandwordlich, dass in der Silvesdernachd drei Menschn gschdorbn sen.” Tanja hatte ihren Vater noch nie so aufgebracht erlebt und so entschlossen. Sie schaltete einen Gang zurück.
„Baba, dees Fläschla gherd mier gor ned. Dees gherd der Marlies. Die had miech bloß gfraachd, ob iech dees fier sie aufhebn däd. Ihr Mudder schdöberd doch immer in iehre Sachn rum. Dees schdimmd. Iech schwörs. Dees is die Woahrheid. Die Marlies had dees Fläschla vo su an kieneesischn Dyb im E-Werg kaffd. Der had zu iehr gsachd, dass dees des besde LSD is, des jemals aufn Margd kumma is.“
„Lüch mi ned o!“
„Iech lüch ned. Desmol ned. Iech hab sugoar die Marlies mid meim Händy fodografierd, wies dees LSD vo dem Kieneesn kaffd had.“
„Du hasd die Marlies dabei fodografierd? Is do auf der Aufnahm der Kienees aa zu erkenna?“
„Iech glaab scho!“
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Iris Siebenstiel besuchte das Moutai mehrere Male am Tag und befragte die anwesenden Gäste, ob sie dem Lokal zufälligerweise auch am Silvesterabend einen Besuch abgestattet hatten. Am fünften Januar landete sie endlich einen Treffer. „Iech selber woar an dem Dooch zwoar ned do, abber mei Sohn. Mei Richard, mid seiner Fraa missns wissen“, berichtete die 80-jährige Juliane Körber. „Mei Richard had mer derzähld, dass mer do so gud essn kann. Drumm sen mier heid aa do. Gell Gredl? Woarsd dabei, wieers derzähld had.“
Gretl Paulich, Juliane Körbers beste Freundin und hochgradig dement, bestätigte die Aussage: „Ja und gud hads gschmeggd dees Schäuferla, hadder gsachd, der Richard. Budderwaach woars. Wemmer mid der Gabl hieghudzd is, is scho vo allaans runder gfalln, dees Fleisch. Bloß die Soß woar kald und dees Graud aa. Des näxde Mol gehmer zum Kieneesn.“
„Geh zu Gredl, was erzählsd edz widder fier an Schmarrn. Verwechselsd die Kidzmann-Schdubn midn Kieneesn. Mei Freindin herd nemmer so gud und vergissd immer alles“, entschuldigte sich Juliane Körber bei Iris Siebenstiel. „Is dees ned a Jammer, dass mer den Besidzer vo dera Wirdschafd do umbrachd had? Do herd si doch alles auf! In was fier aner Zeid leben mier denn?“
Iris Siebenstiel befragte Richard Körber, und der bestätigte, dass er den Streit zwischen zwei chinesischen Gästen und dem Inhaber des Restaurants mitbekommen habe. „Der eine der beiden hatte eine auffällige, rote Narbe auf der linken Backe“, berichtete er. Als die Polizistin ihm das Foto von Tanjas Mobiltelefon zeigte, rief Richard Körber ganz enthusiastisch aus: „Das sind die beiden! Die waren am Silvesterabend hier.“
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Jens Hagenkötter, der Bulle aus dem Rauschgiftdezernat, war mit seinen Leuten in der Szene unterwegs gewesen. Bei einem V-Mann wurde er ebenfalls fündig. „Dees mid der Narbn is der Messer-Liu“, bestätigte er dem Beamten, als er auf den Fotoabzug blickte. „Der is do bei uns in Erlang ganz nei im Gschäfd. Kummd aus Honkong. Der hinder ihm schdehd, is sei Kumbl, der Blabber-Wang. Der haßd su, weil er dem Messer-Liu immer alles nachblabberd. Die zwaa verkaafn an neia Schdoff. LSD. Dredn bloß bei greßere Veranschdaldunga auf, wu a Haufn junge Leid sen. Morgn habbi gherd, sollns widder im E-Werg sei. Do schbieln die Broken Frondjiers. A Hardrogg Bänd.“
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Karl Lagerfeld saß mit seinen Beamten erneut im Besprechungszimmer des Polizeipräsidiums. Es war der Dreikönigstag, der 6. Januar 2013. Jens Hagenkötter war schon wieder fünf Minuten überfällig gewesen. „Iech bin schdolz auf eich“, erklärte der Polizeipräsident, „iehr habd den Fall in Rekordzeid gelösd. Edz brauch mer die Verbrecher bloß nu im E-Werg fesdnehma. Iech erwarde eire Vorschläch, wie mier vorgehn. Hagnködder?“
Der Mann aus Oegenbostel räusperte sich. „Also ich schlage vor, wir erwarten sie mit einem großen Aufgebot, wenn sie das E-Werk betreten wollen, und verhaften sie an Ort und Stelle.“
Ignatz Wiesenstetter sah Karl Lagerfeld mit großen Augen zweifelnd an und tippte sich mit seinem rechten Zeigefinger mehrmals an die Stirn.
„Dees kennas vergessn, Hagnködder“, lehnte der Polizeipräsident den Vorschlag ab. „Die Gauner riechn die Bolizei zeha Kilomeder gechern Wind. Ignadz was maansd du?“
„Iech däd vorschlagn, mier haldn uns vom E-Werg fern und lassn die Gängsder unbehellichd nei in die warme Schdubn. Schbäder, su umma halba elfa rum, ruggn mier o und sichern alle Ausgäng ab. Dann brauch mer bloß nu zu wardn, bis vo selber rauskumma.“
„Bisd aa ned gscheider, Ignadz“, ließ sich Karl Lagerfeld vernehmen, „wenn mier uns mid großer Mannschafd vor dem E-Werg aufschdelln, ja dees schbrichd si doch aa drinna rum. Am End nehma die dord drinna nu Geisln und verlanga a Fluchdaudo. Nix gibds. Mier missn ieberraschend, hard und blidzschnell zuschloogn. Wie im Kinno. Drum gehd die Iris Siebnschdiel mid dem Bruno Drobfschdein als Liebesbaar gedarnd in dees E-Werg. Zum Danzn kwasi. Do drinna schaud iehr eich um“, richtete er seine Worte an die beiden Auserwählten, „ob die Däder ieberhabds do drinna sen. Mergd eich, ohne Uniform. Am besdn iehr ziehchd eich a Dieschördla o. Wenns drinna sen, gehd aaner vo eich aufs Gloo und rufd miech an. Iech schigg dann dees Sondereinsadzkommando nei. Die sen selbsdverschdändlich aa gedarnd. Als Schdammdischbrieder, und ham schwarze Huusn und rode Hemmerder o, mid der Aufschrifd Alde Schdinger. Su mach mers“, bestimmte der Polizeipräsident. Der Plan stand.
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Messer-Liu und Plapper-Wang beobachteten mit höchster Konzentration die zuckenden Leiber, welche sich zu From the gradle to the grave im Rhythmus der Musik auf der Tanzfläche bewegten. Sie hatten sich heute schick gemacht und trugen dunkle Boss-Anzüge. Tanja Wiesenstetter stand auf der anderen Seite der Tanzfläche. Sie hatte die beiden Dealer trotz ihrer schicken Outfits sofort wiedererkannt. Dann sah sie zum Eingang. War das nicht Iris Siebenstiel, die da die Treppe herunterkam? Mit Freund? Beide trugen pinkfarbene T-Shirts und musterten auffällig die Besucher des E-Werks. Als sie sich umdrehten, las Tanja den weißen Schriftzug auf den Rücken der beiden:
Die POZILEI
Dein Freund und Helfer
Die beiden Chinesen zogen sich dezent und unauffällig in Richtung Toiletten zurück. Während Tanja sich in eine Ecke verkroch und auf ihrem Mobiltelefon die Dienstnummer ihres Vaters eingab, verließen Iris Siebenstiel und Bruno Tropfstein das E-Werk wieder. Das Freizeichen ertönte, dann die Stimme ihres Vaters: „Tanja, wu schdeggsdn du scho widder?“
„Im E-Werg, Babba. Grod is die Iris Siebenschdiel mid iehrm Laver do rei kumma. Die ham si a weng umgschaud, und dann sens widder naus ganga. Babba, die zwaa Kieneesn, die der Marlies dees Elesdee verkaffd ham, sen aa do.“
„Wos sagsd du, die sen aa do drinna? Die Iris is grod rauskumma und had gsachd, dass die Gängsder ned gsehgn had. Um Himmls Willn, Tanja, verschdegg diech. Mier kumma gleich nei, midn Sondereinsadzkommando. Gleich bfeifn die Kugln.“
„Verschdeggn“ kam für Tanja überhaupt nicht in Frage. Sie griff in ihre Tasche und nahm den kleinen Behälter fest in ihre rechte Hand. Dann machte sie sich auf den Weg in Richtung Toiletten. Sie war innerlich total aufgewühlt. Messer-Liu und Plapper-Wang standen lässig an die Wand gelehnt. Tanja ging direkt auf die beiden zu. „Ei wond du bai Ellesdie“, richtete sie ihre Worte an Messer Liu. Der sah sie prüfend von oben herab an.
„Do you have money?“, wollte er wissen.
„Yes, money”, wiederholte Plapper-Wang.
„No“, antwortete Tanja, „badd Bebber-Sbräi!“ Blitzschnell riss sie ihre rechte Hand hoch und betätigte den Sprühknopf. Beide Chinesen erhielten eine volle Ladung mitten ins Gesicht. Sie husteten, spotzten und rieben sich schmerzvoll ihre Augen, als eine wilde Horde schwarz-rot Gekleideter, vom Stammtisch Alde Schdinger über sie herfiel.
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Der Herr des Hauses erschien an der Haustür. Er hatte sich eine rosarote Schürze umgebunden. In seiner Linken hielt er ein Geschirrtuch. Seine Rechte steckte in einem gelben Gummihandschuh.
„Ignadz mei Waggerla, bisd fleißich? Iech bin zurügg. Edz sen eire boar ruhichn Dooch aa scho widder vorbei. Gell, werd nix los gwesn sei bei eich? Habder eich wenigsdens verdroogn und aa a bissla ausgruhd? Dees kanni vo mier ned grod soogn. Ned amol ausschlafn habbi kenna. Jedn Dooch su frieh aufschdeh und naus auf die Bisdn, in den kaldn Schnee. No, do wiensch iech eich nu nachdrächlich a Häbbi Nju Jiehr. Neigrudschd seider beschdimmd alle rechd gmiedlich, deng iech mier.“ Mit diesen Worten drückte Katharina Wiesenstetter ihrem Mann links und rechts einen dicken Schmatz auf die Wangen.
Foosenachd – Veitshöchheim
Veitshöchheim lag unter einer dichten Regenwolkendecke, welche der Wind von Würzburg herübertrieb. Die Temperaturen erreichten knappe zehn Grad plus, an diesem 24. Dezember 2012. Viel zu warm für die Jahreszeit. Selbst der ruhig dahinfließende Main, dessen Wasser im Sommer silbrig glitzert, sah bedrohlich dunkel aus. Vor zwei Wochen lag noch Schnee in den Straßen und Gassen des kleinen Ortes, und die Temperaturen lagen bei frostigen minus zehn Grad. Es war bitterkalt und schon weihnachtlich weiß. Dann kam das Tauwetter aus Nordwesten, welches heftigen Regen mit sich brachte. Nichts war‘s mit einer weißen Weihnacht. Die Straßen waren nahezu menschenleer. Die meisten der knapp zehntausend Einwohner bereiteten sich auf den Heiligen Abend vor, auf die Bescherung im Familienkreis, auf ein gutes Weihnachtsessen oder auf die Wiederholung der Buddenbrooks, welche heute Abend im ersten Programm der ARD lief. Viele kleine Kinder besuchten mit ihren Eltern gerade die Kindergottesdienste und fieberten gedanklich den Geschenken entgegen, welche das Christkind bringen würde. Armes Christkind, bei diesem Wetter vom Himmel herab zu fliegen, war auch keine leichte Aufgabe.
Kein Mensch außerhalb der unterfränkischen Gemeinde nahm derzeit Notiz von Veitshöchheim. Dies würde erst wieder am 1. Februar 2013 der Fall sein, wenn in den Mainfrankensälen die alljährliche Faschings-Prunksitzung des Fastnacht-Verbandes Franken e.V. stattfand. Dann kamen sie wieder alle nach Unterfranken, die Politikpromis aus der verhassten bayerischen Landeshauptstadt, allen voran dieser ständig lächelnde Ministerpräsident, der beim Sprechen die Zähne nicht auseinander bekam, seinen schlagzeilengeilen Finanzminister im Schlepptau. Die zwei Fuzzis der CSU verband miteinander mehr Hassliebe als politische Gemeinsamkeiten. Was meinte Horsti doch gleich wieder über seinen Schatten: „Ein vom Ehrgeiz zerfressener, charakterloser Wichtigtuer“. Doch dann vertrugen sie sich doch wieder und liebten sich, als wäre nichts gewesen. Dennoch, insgeheim war dem Horsti seine Ilse-Maus schon lieber. Aber auch die Roten, Gelben und Grünen stürzten sich am ersten Februar wieder in bunte Faschingskostüme, um den Millionen Zuschauern an den Fernsehgeräten zu zeigen, welch hohes Maß an Humor sie aufbringen konnten, wenn es denn sein musste. Anpassen, schön Wetter machen, war angesagt in diesem wichtigen Wahljahr. Immer schön lächeln. Dreihundert Eintrittskarten blieben den sogenannten Promis vorbehalten. Die restlichen dreihundert wurden im Losverfahren unter den mehr als zehntausend Interessenten vergeben, die auch gerne an der Prunksitzung teilgenommen hätten. Wer bei Fastnacht in Franken in Veitshöchheim dabei ist, ist „in“. Die fränkische Veranstaltung ist der Höhepunkt des Faschings in ganz Bayern. Wie das dem bayerischen Ministerpräsidenten, wie auch seinem Herausforderer von der SPD stank. Leider konnten sie es öffentlich nicht zugeben. Jedes Jahr mussten sie sich diese beißenden fränkischen Sticheleien und Seitenhiebe gefallen lassen. Sehr zur stillen Schadenfreude des aus Hersbruck stammenden, früheren Landesvaters, den sie nur kurz in Amt und Würde gelitten hatten, bevor sie ihre politischen Intrigen schürten.
Die Vorbereitungen liefen bereits seit Monaten, aber die fränkischen Narren mussten sich noch etwas gedulden. Noch war es nicht soweit. Erst in einem Monat und sieben Tagen würde der langjährige Sitzungspräsident die Prunksitzung eröffnen. Dann wirbelten wieder Deutschlands beste Funkenmariechen und Faschingsgarden über die Bühne, und Waltraud und Mariechen durften dem dankbaren Publikum ihre neuesten Gags vorspielen. Am 1. Februar 2013 würde Veitshöchheim wieder einmal einen Fernsehabend lang der Nabel des bayerischen Faschings sein. Nicht München.
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Viele tausend Kilometer vom mainfränkischen Veitshöchheim entfernt, im pakistanischen Peshawar, sprach man ebenfalls über die kleine unterfränkische Gemeinde. Auch hier planten Experten für die am 1. Februar stattfindende Prunksitzung. Sie trafen sich im Innern eines halbverfallenen, kleinen Hauses, in einer engen, schmutzigen Gasse, mitten im Stadtkern von Peshawar. Die Gesprächspartner hießen allerdings nicht Volker Heißmann und Martin Rassau. Nicht Pierre Ruby mit seiner Amanda, auch nicht Michl Müller. Die Vertreter der Altneihauser Feierwehrkapelln waren auch nicht anwesend, sondern nur die Mitglieder einer islamistischen Terrorzelle der Al-Qaida.
„Salam alaikum, meine gläubigen Brüder. Allahu Akbar!“, begrüßte Abu Hassan Akbar, der Leiter der Gruppe, die vier anderen.
„Wa alaikum as salaam, Abu“, grüssten Mueselim Ansari, Shakir Yakisan, Ibrahim al-Assad und Yousaf Khan zurück. „Gott ist groß. Es gibt nur einen Gott!“
Die fünf Tadschiken aus Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans im Südwesten des Alai-Gebirges, kannten sich seit Kindesbeinen an, und waren vor fünf Monaten gemeinsam in die Dienste von Al-Qaida getreten. Sie waren gläubige Moslems und hatten ihre Herzen dem Dschihad, dem heiligen Krieg gegen die Ungläubigen, verschrieben. Die letzten Wochen hatten sie in einem Ausbildungslager im Swat-Tal verbracht und waren im Umgang mit Kalaschnikows, Pistolen, Sprengstoff, dem Legen von Landminen und dem Bombenbau geschult worden. Nun saßen sie in dem alten Haus, im Zentrum Peshawars, der Hauptstadt der nordwestlichen Grenzprovinz zu Afghanistan, Khybar Pakhtunkhwa. Sie steckten die Köpfe zusammen, um die letzten Schritte für ihren ersten Auslandseinsatz zu planen.
Bereits vor Wochen hatte der Leiter ihrer Terrorzelle, Al-Turabi, ihr Ziel ausgesucht: Veitshöchheim, ein kleines deutsches Städtchen, in der Nähe von Würzburg. „Unser Anschlag auf den Bahnhof in Bonn war ein Fehlschlag“, hatte Al-Turabi ihnen erklärt. „Wir hatten Stümper am Werk, schlecht ausgebildete Leute. Sie konnten die Bombe zwar in Position bringen, doch sie zündete nicht. Sie setzten zu schwache Batterien ein. Pfuscharbeit! Nun sind die deutsche Polizei und die deutschen Geheimdienste glockenwach. Wir müssen dieses Mal außerordentlich vorsichtig agieren.“
„Was ist unser Ziel, Bruder Turabi“, wollte Abu Hassan Akbar begierig wissen, „was unsere Aufgabe?“
„Langsam, langsam, Bruder Abu. Allah wird uns in unserem Kampf gegen die Ungläubigen führen. Ich komme gleich auf eure Aufgabe zu sprechen, doch zunächst lasst uns Gott anrufen und ihn um seinen Beistand im Kampf gegen alle Nichtgläubigen bitten.“
Al-Turabi hatte ihnen nach ihrem Gebet die Aufgabe bis ins kleinste Detail erläutert. Das war vor zwei Wochen gewesen. Nun saßen sie zusammen und besprachen zum letzten Mal ihre Aufgabenteilung. Sie würden sich nach diesem Treffen erst in Veitshöchheim wieder sehen. Mueselim Ansari und Ibrahim al-Assad planten, mit der KLM über Bahrain in Amsterdam einzureisen. Yousaf Khan und Shakir Yakisan würden nahezu zeitgleich die italienische Route nehmen. Abu Hassan Akbar aber, ihr Anführer eilte ihnen zwei Wochen voraus. Seine erste Aufgabe war es, die angestoßene Arbeit, welche die deutschen Sympathisanten und Helfer bereits eingeleitet hatten, zu überprüfen und alles Nötige für den großen Bäng vorzubereiten. Die Schläfer in Deutschland waren von Al-Turabi persönlich mobilisiert worden. Die fünf Terroristen waren angewiesen worden, keine Telefonate nach Europa zu führen. Der CIA, der britische MI6 und der deutsche BND saßen auf Zypern und hörten alle Telefongespräche ab. Eine Pleite wie in Bonn würde es nicht mehr geben. Wie schlau von Al-Turabi, für den Anschlag einen Ort auszuwählen, an dem Fröhlichkeit und Ausgelassenheit vorherrschten. Die Aufmerksamkeit der staatlichen Polizeiorgane und die Sicherheitsmaßnahmen würden zwangsweise darunter leiden. Das machte die Sache leichter. Über installierte Kameras, wie am Bahnhof in Bonn, machten sie sich dieses Mal keine Sorgen. An dem Tag, an dem sie zuschlugen, würden sie maskiert sein, wie die meisten Besucher dieser seltsamen Veranstaltung. Komische Leute, diese Deutschen, ziehen sich bunte Kostüme an, tanzen und singen dabei und trinken dazu in rauen Mengen Alkohol. Ungläubige Bastarde! Inklusive der Darsteller, Organisatoren und sonstiger Hilfskräfte würden sich knapp achthundert Menschen in dem Gebäude aufhalten, wenn die Halle mit lautem Getöse zusammenkrachte. Auch der Führer dieser bayerischen christlichen Partei war wieder da. Tod den Ungläubigen! Das Fernsehen berichtete live aus dem Inneren der Halle. Millionen von Fernsehzuschauern saßen dann im ganzen Land an den Bildschirmen und konnten zusehen, wie die detonierenden Bomben die Stahlträger, Betonwände und das Dach zum Einsturz brachten. Umherfliegende Glassplitter, Metallteile und Betonbrocken würden Schrecken, Angst und Tod mit sich bringen. Eine Inszenierung besser als 9/11. Zwar mit weniger Toten, aber umso medienwirksamer inszeniert. Abu Hassan Akbar träumte von der Berühmtheit, die er und seine moslemischen Brüder mit dieser Tat erlangen würden. Zum wiederholten Male vertiefte er sich in die Baupläne der Mainfrankensäle, um die sie alle fünf herumsaßen. Eigentlich taten sie ein gutes Werk. Sie halfen den Deutschen eine Menge Geld einzusparen. Am 18. Februar sollte mit der Sanierung und Erweiterung des Gebäudes begonnen werden. Mehr als dreizehn Millionen Euro sollten dafür ausgegeben werden. Die Deutschen konnten sich dieses Geld sparen. Am Abend des 1. Februars würde es die Mainfrankensäle nicht mehr geben, sondern nur noch Schutt und Asche mit vielen Toten. Sie mussten die Sprengsätze nur an den richtigen Stellen platzieren.
„Hier steigen wir voraussichtlich ein!“ Abu Hassan Akbar deutete auf den Küchenbereich der Mainfrankensäle, gleich neben dem Restaurant.
Am Abend des 26. Dezembers bestieg Abu Hassan Akbar mit gefälschtem Pass unter dem verhassten Namen David Morgenstern die PIA von Karatschi nach Dubai. Der Quaid-E-Azam International Airport lag im Dunst der naheliegenden pakistanischen Hauptstadt. In Dubai hatte er nach zwei Stunden Aufenthalt direkten Anschluss nach Wien Schwechat, wo er tags darauf von dem Deutschen Salafisten Max Schneider abgeholt wurde. Sie bestiegen den Mietwagen, einen VW Passat, und machten sich auf den Weg in das kleine unterfränkische Städtchen Zell am Main. Max Schneider, ehemaliger Unteroffizier bei den Pionieren der Deutschen Bundeswehr, hatte alle Beschaffungen, die ihm von Al-Turabi aufgetragen worden waren, längst erledigt. Im Keller des kleinen Anwesens im Dr.-Bolza-Ring, mit Blick auf den Main, welches er bereits im Oktober angemietet hatte, lagerten Zünder, Nitromethan, Natriumchlorat, Ammoniumnitrat und sonstige nette Zutaten, welche zum Bau hochexplosiver Sprengsätze hervorragende Dienste erwiesen.
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Es war ein trüber Tag in Veitshöchheim, keine Sonne. Der Wind blies leicht aus Westen, und es sollte bald wieder kälter werden. Bitterkalt. Zwei Rentner standen mit hochgestellten Mantelkrägen im Rokokogarten, den die Würzburger Fürstbischöfe im achtzehnten Jahrhundert anlegen ließen, und unterhielten sich angeregt.
„Bist in Werzburch gewast?“
„Jo.“
„Wos host dann do gmecht, boor Schü gekefft, odder dich frisier gelosst?“
„Näi, i hob mi foto loss grafier.“
Ihre beiden Dackel beschnupperten sich unterdessen und schienen ebenfalls Gefallen aneinander gefunden zu haben.
Abu Hassan Akbar hatte die Kapuze seines Anoraks tief in das Gesicht gezogen, als er an den beiden Alten vorbei trottete. Das Wetter war ideal für seine Mission. Er war von dem nahen Zell trotz Wind und Regen mit dem Fahrrad herübergekommen und wollte sich das Objekt des geplanten Terroranschlags, die Mainfrankensäle, von der Nähe aus ansehen. Bis auf die beiden Rentner war keine Menschenseele unterwegs, an diesem 7. Januar 2013. Er näherte sich dem Gebäude von Westen, lief am Schloss vorbei, setzte seinen Weg, nachdem er den Rokokogarten verlassen hatte, in der Oberen Maingasse fort und bog dann zur Mainlände nach links ab. Er sah eine Weile auf die dunkeltrübe Wasseroberfläche des Flusses, auf der sich kleine, vom Wind getriebene Wellen kräuselten. Ein tief im Wasser liegender Frachtkahn näherte sich tuckernd aus Richtung Würzburg. Nach einer Weile drehte sich der Terrorist um, und betrachtete aus einiger Entfernung den Treppenaufgang zu den Mainfrankensälen. Noch ahnten die Besucher der Prunksitzung nicht, dass sie in Kürze die Treppe des Todes beschreiten würden, einen Weg ohne Wiederkehr. Abu Hassan Akbar setzte seinen Weg fort, um näher an das Objekt heranzukommen. Langsamen Schrittes schwenkte er in die Parkstraße ein und lief von dort auf die Mainfrankensäle zu. Nur wenige Autos standen auf den Besucherparkplätzen. Der Al-Qaida-Mann schritt die Stufen der Treppe empor und stand wenige Augenblicke später auf der breiten Terrasse. Das Restaurant war von innen dezent beleuchtet. Vereinzelt saßen Gäste an den Tischen. Er schloss die Augen und stellte sich den Grundriss des Objekts vor: Hinter dem fünfundsiebzig Quadratmeter großem Speiselokal zog sich die langgestreckte Küche hin. Davor lagen die Garderobe und eine kleine Bar. Beide waren vom Foyer aus erreichbar. Die Besucher mussten direkt an der Bar vorbei, wenn sie in den Mittleren Saal wollten. Doch am 1. Februar würde die Trennwand zwischen Mittlerem und Kleinem Saal geöffnet sein, so dass den Besuchern sechshundertsiebenundachtzig Quadratmeter zur Verfügung standen, die höhenverstellbare Bühne nicht eingerechnet. Rechterhand, im Anschluss an das Foyer, lag der Konferenzraum mit einer Grundfläche von einhundertfünfundzwanzig Quadratmetern. Dieser Raum interessierte ihn weniger. Seine Aufmerksamkeit galt den Sälen, der Bühne und dem Bar-Küchenbereich. Hier würden sich die meisten Menschen aufhalten. Dann rief er sich die Gegebenheiten des Untergeschosses ins Gedächtnis zurück, welches hauptsächlich aus Technikräumen bestand. Er überlegte. Seine Gruppe hatte zwei Optionen, die Bomben wirksam zu platzieren: entweder im oberen Bereich, zum Beispiel unter der Bühne und zur Küche hin, oder im unteren Stockwerk. Letzteres setzte allerdings voraus, dass die Bomben eine solche Sprengkraft entwickeln, dass das gesamte Gebäude in Sekunden vollständig in sich zusammenbricht und die Besucher unter sich begräbt. Beide Varianten hatten Vor- und Nachteile. Im ersteren Fall wären die Gäste direkt der Wirkung der Sprengsätze ausgeliefert, was ein blutiges Schlachtfeld zur Folge hätte, überall zerfetzte Leiber. Andererseits ist es schwierig und mit einem hohen Risiko verbunden, die Bomben unbeobachtet zu platzieren. Im Geist beschloss er, die Sprengsätze im Untergeschoss zur Detonation zu bringen. Zwei Bomben mit einer hohen Sprengkraft, der Sprengsatz aus einer Mischung von Ammoniumnitrat und Nitromethan, ließen die Mainfrankensäle in Schutt und Asche versinken. Das ließe sich machen. Er dachte an seine Ausbildung im Swat-Tal und erinnerte sich an die Bilder vom zerstörten, neunstöckigen Murrah Federal Building, in Oklahoma City. Eine Bombe aus Ammoniumnitrat, gemischt mit Nitromethan, hatte damals, am 19. April 1995 einhundertachtundsechzig Menschen getötet. Das Bürogebäude wurde völlig zerstört. Doch Abu Hassan Akbar wollte mehr über die Mainfrankensäle erfahren. Er wollte nicht nur die Pläne des Gebäudes studieren, er wollte das Objekt selbst kennenlernen, bevor er und seine Leute den Tod ins Haus brachten. Er hatte beschlossen, die Räume aufzusuchen, in denen die Ungläubigen von seinen Bomben zerrissen wurden. Allahu Akbar! Morgen, kurz vor neunzehn Uhr, ergab sich die Möglichkeit dazu. Er hatte die Eintrittskarte für den Vortrag über China bereits in seiner Tasche.
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Abu Hassan Akbar war pünktlich. Zehn Minuten vor neunzehn Uhr betrat er das Foyer der Mainfrankensäle. Der Vortrag über China fand großen Anklang. Circa fünfzig Leute standen vor der Abendkasse. Er setzte sich in die hinterste Reihe. Nach dreißig Minuten verließ er den abgedunkelten Raum. Die Herrentoiletten befanden sich im Untergeschoss. Er war allein, niemand störte ihn. Als er die Toiletten wieder verließ, sah er die Tür mit der Aufschrift „Zugang nur für Personal“. Darunter stand in Englisch „Staff Only“. Er drückte die Türklinke. Die Tür war unverschlossen. Nach zehn Minuten kehrte er zurück und trat wieder aus der Tür. Er war höchst zufrieden. Er wusste nun genau, welche Bomben er bauen würde und wo er und seine Leute sie platzieren würden. Die ganze Angelegenheit war kinderleicht. Ihm war eine glänzende Idee gekommen. Niemand würde die Sprengsätze entdecken, selbst wenn er mit der Nase direkt davor stünde. Der Terrorist nahm sich vor, drei Sprengsätze zu bauen. Die örtlichen Gegebenheiten luden regelrecht dazu ein. Er sah die Mainfrankensäle bereits wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Morgen musste er Max Schneider nochmals auf Einkaufstour schicken. Außerdem musste er einen Pkw organisieren, mit einer ganz bestimmten Werbeaufschrift.