Kitabı oku: «Traumberuf Tänzer», sayfa 3

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»Die ganze Zeit in Bewegung sein« – Julek Kreutzer

»Ich habe immer Fernweh.« Fernweh nach anderen Orten, Leuten und Ausdrucksmöglichkeiten. Julek Kreutzer ist auf der Suche und möchte es auch bleiben. Ihr Tanzen hat ihr das bisher ermöglicht – Grund genug, es nun zur Profession zu machen.

Es ist ihre erste Tanzlehrerin, die Kreutzer auf diese Spur setzt und mit der sie bis heute in regelmäßigen Abständen durch die Welt tourt. Das vierjährige Mädchen, das unter Asthma leidet und sich so viel wie möglich bewegen soll, wird von seiner Mutter im Kindertanzkurs einer nahe gelegenen Schule für darstellende Künste angemeldet, in dem viel mit Bewegung gespielt und improvisiert wird. Die Kleine ist begeistert. Während zunächst noch das phantasiegeleitete Tanzen überwiegt, kommen über die Jahre auch technische Elemente aus dem Modern Dance und Ballett hinzu. Die Lehrerin lässt ihre Schüler häufig mit Partnern und in der Gruppe arbeiten. Ihre Klassen bieten einen offenen Raum: Kreutzer hat das Gefühl, jederzeit alles ausprobieren zu können, was ihr in den Sinn kommt.

Mit 13 Jahren begleitet sie ihre Lehrerin zu einem Tanzprojekt nach Toulouse. Es wird ein prägendes Erlebnis. »Alle anderen Teilnehmer waren Profis und viel älter als ich. Trotzdem haben sie mich als vollwertig behandelt: Ich stand auf der gleichen Stufe wie sie und tanzte mit ihnen auf einer Bühne. Das war eigentlich meine erste professionelle Arbeit.«

Nach dem Toulouse-Projekt wird der Tanz für Kreutzer immer wichtiger: Während sie vorher nur einmal in der Woche trainiert hat, nimmt sie jetzt öfter Unterricht. Ihre Lehrerin legt ihren Eltern nahe, das Mädchen auf eine staatliche Ballettschule zu schicken, da sie eine umfassende tanztechnische Vorausbildung für Jugendliche nur dort gewährleistet sieht. Die Eltern lehnen aber ab, und auch Kreutzer ist nicht überzeugt. Ballett findet sie einfach langweilig. So kommt es, dass sie bis heute nie länger am Stück intensiv Ballett trainiert hat, auch wenn man ihr dies immer wieder empfohlen hat, um eine handwerkliche Grundlage für ihren eigenen Tanz zu schaffen. »Ich weiß, das war dumm, denn man muss auch Dinge machen, die man nicht mag, um irgendwo hinzukommen. Aber ich habe mich immer dagegen gewehrt.«

Sie belegt lieber Kurse in modernem und zeitgenössischem Tanz bei Lehrern, die sie mag und die sie inspirieren und fördern. Ihr Hauptinteresse ist und bleibt die Improvisation. Weitere Tanztheaterprojekte mit ihrer ersten Lehrerin folgen, im Inland wie im Ausland. Nachdem sie in Kopenhagen mit Breakdancern zusammengearbeitet hat, nimmt sie zu Hause zusätzlich eine Zeit lang Hip-Hop-Unterricht.

Dann hat sie ihr Abitur in der Tasche und ihren Berufswunsch geformt: Tänzerin. Sie nimmt sich zunächst ein Jahr frei, um möglichst viel zu trainieren, und jobbt nachts in einer Bar, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als Praktikantin begleitet sie ihre Lehrerin bei einem Projekt nach Afrika. Außerdem bewirbt sie sich an allen renommierten Tanz(hoch)schulen mit modernem und zeitgenössischem Schwerpunkt für ein Studium, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, England, Belgien und den Niederlanden. Letztlich bietet ihr nur eine private Schule in Berlin einen Platz an. Kreutzer führt das unter anderem auf ihr technisches Niveau zurück: Da die meisten Aufnahmeprüfungen mit einem klassischen Balletttraining beginnen und häufig erst ganz am Ende – wenn überhaupt – improvisiert bzw. ein Solo gezeigt werden darf, ist sie in der Regel schnell aus dem Rennen.

Julek Kreutzer fängt ihr Studium an der privaten Schule an, bricht es aber nach einem halben Jahr ab. Sie ist mit der Qualität des Unterrichts unzufrieden und hat das Gefühl, nicht das zu lernen, was sie braucht. Außerdem stimmt die Chemie zwischen ihr und der Hauptdozentin nicht. Sie beginnt sich zu fragen, ob sie nicht auch ohne Studium in freien Projekten tanzen und nebenbei in selbst zusammengestellten Kursen weitertrainieren kann. »Ich dachte mir: Du hast so viele Bewerbungen für Schulen geschrieben, schreib doch einfach mal Bewerbungen für Auditions, als professionelle Tänzerin. Mach es doch einfach. Und ich habe ein paar Bewerbungen rausgeschickt, wurde aber nie zu den Auditions eingeladen. Es kam immer wieder die Antwort: ›Sorry, du hast keinen Abschluss‹, nach dem Motto: Du bist kein Profi.« Daraufhin beschließt sie, eine zweite Aufnahmerunde an den Schulen zu drehen, um erst einmal einen Abschluss zu machen und sich damit bewerben zu können.

Bei der zweiten Prüfungstour fühlt Kreutzer sich schon sicherer, da sie die Situation und die Anforderungen besser einschätzen kann. Sie bewirbt sich bei den vier Schulen, an denen sie sich im Vorjahr am wohlsten gefühlt hat, und dazu bei zweien, die sie noch nicht kennt. Die sind zuerst dran: »Bei der einen standen wir zu Hundert im Saal, haben unsere Nummern verteilt bekommen und wurden einfach so abgefertigt: Nein, nein, nein, nein. Was die als Improvisation rausgegeben haben, war zum Teil lächerlich. Nach vorne laufen, auf acht Zeiten völlig frei improvisieren, wieder abgehen. Was kannst du denn da zeigen außer Bein-hinters-Ohr? Die Mädchen sind alle laufstegmäßig nach vorne gewackelt … das war nicht meine Vorstellung von Tanz. Ich kam mir ziemlich verloren vor.« Auch die zweite Schule ist nicht ihr Ding: zu technisch – sie fliegt sofort raus.

Bei den Schulen, die Kreutzer schon kennt, läuft es besser als im Vorjahr. An der, die sie schließlich aufnimmt, passen die Prüfung und die Leute am besten zu ihr. »Ich hab mich einfach so wohl gefühlt. Es waren auch ganz andere Umstände als bei den beiden Schulen vorher: Du hast zum Beispiel keine Nummer bekommen.« Es wird sehr viel in der Gruppe gearbeitet, viel improvisiert, und schließlich darf jeder ein dreiminütiges, vorbereitetes Solo zeigen. »Mein Vorteil war, dass ich mir bei meinem Solo total sicher war. Ich hatte es während unseres Afrika-Projektes entwickelt und dort schon auf der Bühne gezeigt. Das hatte einen Hintergrund, das machte Sinn.«

Auch wenn sie sich an dieser Schule, an der sie demnächst ihr Studium beginnt, voraussichtlich wohlfühlen wird und ihren Interessen nachgehen kann, überfallen sie hin und wieder Zweifel, ob es die richtige Wahl ist, weil der Schwerpunkt hier, im Gegensatz zu anderen Schulen, nicht auf den klassischen Tanztechniken liegt. »Vielleicht verbaue ich mir damit den Weg in bestimmte Kompanien und an bestimmte Theater. Aber andererseits: Das hat mir Spaß gemacht, das ist die Schule, die mich genommen hat. Mal sehen, was daraus wird. Ich werde mir aus der Schule das rausnehmen, was ich brauche. Und wenn mir das noch nicht reicht, suche ich mir außerhalb zusätzliche Trainingsmöglichkeiten.«

Ob sie später mit reinem Tanz arbeiten oder eher in den Performance-Bereich gehen wird, weiß sie jetzt noch nicht. Zunächst möchte sie mit verschiedenen Bewegungsstilen und Medien experimentieren. Dabei geht es ihr nicht darum, bestimmten Formen, Körperbildern und ästhetischen Idealen gerecht zu werden, sondern um das Spiel mit ihnen. Die Schule, die sie jetzt besuchen wird, unterstützt ihr Tanzverständnis: »Ich bin nicht daran interessiert, einfach nur zu tanzen, sondern ich glaube, dass es die Kunstart ist, in der du alles verbinden kannst. Ich habe auch viel mit Literatur gemacht, habe versucht, Text und Tanz zusammenzubringen; das finde ich zum Beispiel spannend.« Zwar will sie erst einmal primär als Tänzerin auf der Bühne stehen, doch trennt sie das Tanzen nicht vom Choreographieren, davon, eigene Ideen zu realisieren.

Kreutzer blickt auf zwei ziemlich stressige Jahre zurück: »Immer nur bewerben, immer ein Praktikum finden, um einen Status zu haben, viel Projektarbeit mit meiner alten Lehrerin, auch viel Arbeit mit Jugendlichen, außerdem die ganzen Nebenjobs. Ich hatte nicht das Gefühl, voranzukommen. Das hat unglaublich viel Kraft gefressen, alles war total unsicher. Jetzt habe ich endlich das Gefühl, dass es vorangeht.«

Ihre Nebenjobs wird sie vorerst weitermachen, und die sind ihren Tanzambitionen nicht nur finanziell förderlich: Wenn sie etwa abends bei Tanzveranstaltungen an der Bar steht, trifft sie häufig Leute aus der Szene. Viele Jobs werden ihr von Bekannten vermittelt – Networking. Auch die Profi-Laien-Projekte möchte sie, soweit es das Studium erlaubt, gerne nebenbei weiterverfolgen: Sie findet, dass beide Gruppen viel von den Ideen und Bewegungen der anderen profitieren können. Und sie mag es, aus der Blackbox des Theaters herauszukommen und in der realen Welt zu proben und zu spielen.

Ihre Vision für die Zukunft: »Ich möchte viele ganz unterschiedliche Leute treffen und mich mit ihnen austauschen, viel arbeiten, immer wieder neue Sachen entdecken und vor allem weit weg, raus aus der Stadt. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich für diesen Beruf entschieden habe: Du kannst das machen, was dir Spaß macht, kannst aber gleichzeitig ständig unterwegs sein. Ich will einfach die ganze Zeit in Bewegung sein und das Gefühl haben, voranzukommen. On the road. Weltweit.«

»Unbedingt selbstkritisch bleiben« – Ramon A. John

Erst jetzt, während seines ersten Engagements bei einer mittelgroßen, zeitgenössischen Stadttheater-Kompanie, bekommt Ramon A. John eine konkrete Idee von der Richtung, in die er gehen möchte. »Momentan, da ich jeden Tag trainiere und probe, finde ich langsam heraus, was mich wirklich interessiert. Ich glaube, man braucht dafür genau das: einen Job oder ein Praktikum, in dem man diesen Alltag austesten kann. Dann sieht man andere Choreographen, Stücke, Arten zu arbeiten, das Kompanie-Leben und merkt, ob das passt oder nicht.« Dann muss er vorher wohl instinktiv den richtigen Weg gegangen sein. Und ihm ist klar, dass der hier nicht endet und er weiterhin offen und beweglich bleiben muss, um beruflich zu überleben.

Mit dem Tanzen fängt John in der örtlichen Schautanzgruppe an, zu der ihn seine Mutter mit acht Jahren mitnimmt. Er fährt zu Turnieren, geht mit auf Titeljagd. Schnell möchte er auch aus eigenem Antrieb weitermachen. Mit der Gruppe vertanzt er Filme, Geschichten und Musicals in modernem Showtanzstil und Jazz, sehr darstellerisch, sehr effektgeladen. Mit 13 startet er in der Solosparte und spezialisiert sich auf Nummern zu Musical-Themen.

Schon bald interessiert John die darstellende Kunst auch als Beruf. Nachdem er mit einer Showtanzkollegin in eine Ballettstunde hineingeschnuppert und ihm diese Art zu tanzen auf Anhieb zugesagt hat, trainiert er zusätzlich ein Jahr lang Ballett, bis er sich mit 17, kurz vor Abschluss der allgemeinbildenden Schule, an verschiedenen staatlichen Tanzhochschulen bewirbt.

Zwei Ballettakademien bieten ihm einen Platz an. Doch gefällt es ihm dort nicht; er spürt, dass das nicht das Richtige ist, auch wenn er den Grund zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst fassen kann. Bei einer weiteren, sehr technisch, aber stark zeitgenössisch ausgerichteten Hochschule mag er die dort vertretene Ästhetik auf Anhieb: Er hat sich Videos der Choreographen, die mit der Schule in Verbindung stehen, angeschaut, ist begeistert und will so etwas unbedingt auch ausprobieren. Glücklicherweise wird er angenommen.

Ramon A. John hat starken Konkurrenzdruck unter den Studierenden erwartet – und ist positiv überrascht. Die Gruppe ist klein, man arbeitet viel zusammen und es herrscht eine familiäre Atmosphäre, die auch die Dozenten einschließt. »Ich habe von Schulen gehört, die viel mehr auf Konkurrenz setzen, indem die Schüler in verschiedene Levels eingeteilt werden oder die Klassen zunächst relativ groß sind und dann nach dem ersten Jahr noch einmal um die Hälfte verkleinert werden. Ich glaube, das wäre nichts für mich gewesen, ich glaube, ich habe die sehr persönliche Förderung hier gebraucht.« Außerdem gefällt ihm die Vielfalt des Angebots. Zwar hat er mit tanzpraktischem Unterricht in den verschiedensten Techniken – vom klassischen und neoklassischen Ballett über modernen Tanz bis hin zu Release, Kontaktimprovisation und Improvisation – gerechnet, nicht aber mit dem umfangreichen theoretischen Angebot. »Das war eine sehr kreative Ausbildung, auch für den Kopf, was wichtig ist für einen Tänzer.«

Zu den Highlights der Ausbildung zählt er auch das Repertoire, das die Studierenden bei den drei Aufführungen pro Jahr tanzen dürfen und das sie zum Teil mit den Choreographen oder ihren Assistenten persönlich einstudieren. »Diese tollen Stücke, die zur Tanzgeschichte dazugehören. Weil wir nicht so viele waren, bekam jeder mal die Chance, solistisch zu performen, sodass er wirklich zum Künstler ausgebildet wurde. Man macht auf der Bühne mit diesen herausfordernden Stücken die Erfahrung, dass man sich durchkämpfen muss. So ist es ja später im Job auch. Und darauf war ich schon vorbereitet.«

Generell war diese Ausbildung für ihn genau das Richtige, meint John heute. Das hätte auch viel mit Glück und den passenden Lehrern zu tun gehabt. »Die ersten zwei Jahre waren schwierig für mich wegen einer bestimmten Lehrerin, deren Unterricht mich nicht immer so weit gebracht hat, weil ihre Lehrmethoden mich mit meinen 17 Jahren nicht motiviert haben. Im dritten Jahr bekamen wir eine neue Lehrerin, die war komplett anders. Ihre Art zu arbeiten und zu korrigieren war sehr gut für mich. Und wenn ich das drei Jahre lang gehabt hätte, wäre ich jetzt wahrscheinlich ein anderer Tänzer.«

Im zweiten Studienjahr springt er in einer Produktion des Jahrgangs über ihm ein. Das ist sein erster Kontakt mit der regelmäßig kooperierenden Gastchoreographin, deren Stil und Stücke ihm gut gefallen. Im Jahr darauf kommt sie wieder, um mit seinem Jahrgang eine Choreographie einzustudieren – und ist begeistert von der Entwicklung, die er dank seiner neuen Lehrerin durchgemacht hat. Sie bietet ihm für die folgende Spielzeit einen Praktikantenvertrag in ihrer Kompanie an. John muss noch alleine zu einem Vortanzen kommen, das klassische Kompanie-Training mitmachen, eine kurze Variation aus einem Stück lernen und präsentieren. Die Choreographin, die inzwischen erfahren hat, dass John die Schule schon verlassen darf, und eine zusätzliche Geldquelle aufgetan hat, kann ihm daraufhin sogar einen Teilspielzeitvertrag als festes Ensemblemitglied anbieten. John meint, er habe viel Glück gehabt. »So ein Berufseinstieg ist wohl eher für Männer typisch. Es gibt einfach nicht so viele, die werden stärker gesucht.«

Der Übergang vom Studium in den Berufsalltag bringt für John einige Veränderungen mit sich, mit denen er erst einmal umzugehen lernen muss. So empfindet er es zum Beispiel als schwierig, seinen Körper in Form zu halten ohne den Drill, den er aus dem Studium gewohnt ist. »In der Kompanie wird natürlich Training angeboten, aber da steht kein Lehrer mehr neben einem, der ›Mehr!‹ ruft. Ich habe diesen Antrieb zum Glück immer noch selbst, und ich habe auch die Stimmen von meinen Lehrern im Kopf, was mir hilft. Aber es ist natürlich eine Verlockung, diese Disziplin im Training schleifen zu lassen. Und das kann dann ganz schnell dazu führen, dass die technische Basis, die man für unsere Stücke braucht, nicht mehr da ist.« Da die Kompanie sehr viele Aufführungen pro Jahr hat, braucht er extrem viel Kraft und Kondition – die ihm noch fehlen. Daher geht er seit Neuestem zusätzlich zweimal die Woche ins Fitnessstudio.

Und noch einen großen Unterschied sieht er zum Studium: »Es ist nicht mehr so vielfältig. Es ist jetzt immer der Stil unserer Choreographin, jeden Tag. Und dafür muss man schon bereit sein, ansonsten kann man das nicht lange machen. Da muss man schon genau die richtige Gruppe gefunden haben, genau den richtigen Ort.«

Das hat John offenbar, jedenfalls für den Moment. In der Kompanie mit ihren 17 Tänzerinnen und Tänzern gibt es keine offizielle Hierarchie; alle haben ähnliche Aufgabenfelder. Im Gegensatz zu vielen anderen Ensembles bekommen die neuen Mitglieder auch Gelegenheit, das Repertoire mit den Ballettmeistern in Einzelproben einzustudieren. All dies empfindet John als sehr angenehm und es ist in seinen Augen mitverantwortlich für die gute Arbeitsatmosphäre. Der Arbeitstag – dienstags bis samstags – dauert von 10:00 bis 18:00 Uhr; wenn Vorstellungen sind, enden die Proben schon um 16:00 Uhr. Und jeden Tag gibt es eine Stunde Mittagspause, das ist, wie John gehört hat, durchaus nicht die Regel: In anderen Kompanien wird teilweise lange durchgearbeitet, sodass nur Zeit zum Essen bleibt, wenn man gerade nicht gebraucht wird.

Struktur und Arbeitsweise seines Ensembles hält John für relativ typisch für moderne bzw. zeitgenössische Tanzkompanien. Zwar fordert ihre Choreographin durchaus tanztechnische Virtuosität, doch gibt es gleichzeitig einen starken Tanztheatereinfluss: Es wird viel gesprochen und gesungen, und an der Stückentwicklung sind die Tänzer häufig in Form von Improvisationen beteiligt. Außerdem wird das eigene Choreographieren der Ensemblemitglieder unterstützt: Ein Tanzabend der Spielzeit ist dafür reserviert. Auch John entdeckte dabei plötzlich seine Lust am Stückekreieren, obwohl die Eigenarbeiten in der Schule nicht unbedingt sein Fall waren.

John hat jetzt ein paar Choreographen gefunden, mit denen er später gerne zusammenarbeiten würde. Noch weiß er allerdings nicht genau, wohin die berufliche Reise führen soll. »Nach dem Eindruck hier ist es schwierig für mich, etwas ebenso Gutes zu finden. Ich kann mir vorstellen, hier noch länger zu bleiben, falls man es mir anbietet. Ich habe mir allerdings auch vorgenommen, viel rumzukommen, solange ich noch jung bin, damit ich noch in viele Extreme gehen und innovative Gruppen kennenlernen kann. Deswegen will ich eigentlich nach Ende des Vertrags gehen, um nicht zu lange hier zu bleiben. Auch wenn es hier schön ist.«

Wichtig zur Bewältigung seines Berufsalltags ist für John momentan vor allem eins: »Man muss unbedingt selbstkritisch bleiben. An einem bestimmten Punkt bin ich immer gelangweilt von mir, und dann verändere ich etwas. Zum Beispiel meine Dynamik, die Bilder oder Emotionen, die ich als Antrieb verwende; oder ich richte mein Augenmerk beim Tanzen auf einen anderen Körperteil. Und das bringt mich immer voran, das hat mir geholfen, mich weiterzuentwickeln.«

II. Die Tanzausbildung
Standortbestimmung: Aktuelle Entwicklungen der Tanzausbildung

Wer die Besonderheiten und aktuellen Diskussionen der heutigen Tanzausbildungsszene in Deutschland verstehen will, für den lohnt sich ein Blick zurück auf die Situation vor 20 Jahren. 1992 erschien eine Studie mit dem Titel Tanzausbildung in Deutschland, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegeben worden war.1 Ausgangspunkt war die Frage nach den Gründen für die – im Vergleich zu den westeuropäischen Nachbarländern – schlechte Stellung des zeitgenössischen Tanzes in der Bundesrepublik. Zwar hatte sich neben den Ballettensembles der Stadt- und Staatstheater eine Szene aus freien und zum Teil auch festen zeitgenössischen Kompanien und Tanztheatern etabliert, doch existierte (bis auf wenige Ausnahmen an einzelnen Schulen) kein Ausbildungskonzept, das für den Beruf ›Tänzerin/Tänzer‹ in diesen Bereichen qualifizierte.

Das Ergebnis der Studie bestätigte den ersten Eindruck: In Deutschland herrschte eine strikte Trennung von Ballett und modernen Bewegungsformen, staatliche Fördermodelle waren fast ausschließlich auf den klassischen Tanz zugeschnitten. Choreographen und Kompanieleiter beklagten, dass die erlernten Fähigkeiten der jungen Tänzer häufig nicht mehr dem Bedarf entsprachen. Auf dem Berufsmarkt war mehr und mehr die Beherrschung unterschiedlicher Tanzstile und Ausdrucksweisen erforderlich, um auf die vielfältigen Vorstellungen und Arbeitsweisen der Choreographen reagieren zu können – ganz zu schweigen von dem Know-how, das nötig war, um in der freien Szene zu bestehen. Diese Einschätzung der Tanzmacher stand in auffallendem Gegensatz zu den Ansichten der Leiter der Tanzstudiengänge an den Hochschulen und Berufsfachschulen, die sich auch im Studienangebot widerspiegelten: Hier war man überwiegend der Meinung, dass die klassische Technik die einzig gültige Basis des Bühnentanzes sei, der das Repertoire an den Stadt- und Staatstheatern bestimme, wo klassische wie auch moderne Ballettkompanien vorherrschten. Alle anderen an den Schulen gelehrten Tanzformen wurden nur als Ergänzung des klassischen Balletts gesehen.

Der staatliche Schulsektor hatte sich beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Ausbildung von Balletttänzern konzentriert, um die aufblühende Ballettlandschaft sowohl in West- als auch in Ostdeutschland mit Nachwuchs zu versorgen. Ursprünglich modern ausgerichtete Schulen wie die Palucca Schule in Dresden oder die Folkwangschule in Essen stärkten zeitweise ebenfalls den Ballettunterricht in ihren Curricula. Die Ballettschulen in Berlin und Leipzig wurden wieder in Betrieb genommen und ausgebaut. In der Bundesrepublik erreichte man den internationalen Standard in der Ausbildung des Ballettnachwuchses allerdings erst 1971 mit der Neugründung der John Cranko Schule, die direkt mit dem Stuttgarter Ensemble zusammenarbeitete; dieses hatte Ende der 60er-Jahre im Zuge des sogenannten Stuttgarter Ballettwunders als erste westdeutsche Kompanie internationales Renommee erlangt. Ende der 70er-Jahre kamen dann die von der Heinz-Bosl-Stiftung mitgetragene Akademie in München und die Ballettschule der Hamburgischen Staatsoper hinzu. All diese Schulen waren ebenso wie die später von den Kommunen und Ländern sukzessive eingerichteten Tanzstudiengänge an den Hochschulen darauf ausgerichtet, für das deutsche Stadttheatersystem mit seinen festen Häusern und Ensembles auszubilden – öffentliche Ausbildungsförderung für den öffentlich subventionierten Theaterbesuch. Der moderne Tanz bzw. Ausdruckstanz, der vor dem Krieg Deutschlands Aushängeschild gewesen und im Dritten Reich untergegangen war, ab den 1970er-Jahren in Form des Tanztheaters à la Pina Bausch aber wieder neue, international beachtete Früchte trug, konnte den staatlichen Schulsektor zunächst kaum beeinflussen. Anders sah es im privaten Bereich aus.

Zum Zeitpunkt der 1992er-Studie existierten neben den rund zehn Hochschulen bzw. Berufsfachschulen allein in der Bundesrepublik mehr als 1600 private Tanz- und Ballettstudios, von denen ca. 150 über das Freizeitangebot hinaus auch eine tänzerische Ausbildung anboten. Diese fingen viele Tanzstudierende auf, die ihre Interessen im Unterrichtsprogramm der staatlichen Schulen nicht vertreten sahen: Wer sich in Richtung moderner oder zeitgenössischer Tanz, Jazz, Show oder Musical ausbilden lassen wollte, wurde, wenn überhaupt, dann dort fündig.

Spätestens mit den Ergebnissen der Studie war klar, dass sich der Bedarf geändert hatte: Es musste nicht nur für das anderen Tanzrichtungen gegenüber offener gewordene Stadttheatersystem und einen wachsenden privaten Theatersektor ausgebildet werden, sondern auch für die freie Szene, die ab Mitte der 70er-Jahre entstanden war und neue Arbeits- und Förderstrukturen und damit auch einen eigenen Markt geschaffen hatte; die Schulen konnten sich nicht mehr damit begnügen, ihren Unterricht stilistisch ausschließlich auf die Kompanie, der sie angegliedert waren, zuzuschneiden. Auch die staatliche Ausbildung war gezwungen zu reagieren, wollte sie die Kluft zwischen ihrem Angebot und den geforderten beruflichen Fähigkeiten nicht noch mehr vergrößern.

Gleichzeitig mussten sich die Ausbildungsinstitutionen mit einer weiteren Entwicklung auf dem Berufsmarkt auseinandersetzen, die sich in den letzten 20 Jahren seit der Studie kontinuierlich fortgesetzt hat: mit den steigenden technischen Anforderungen, der verlangten immer größeren körperlichen Leistungsfähigkeit. Und zwar nicht nur an den Stadt- und Staatstheatern, sondern auch bei den freien Kompanien – unabhängig vom Tanzgenre (von Ausnahmen gerade im zeitgenössischen Bereich einmal abgesehen). Die Tendenz geht zum Sportiven: Es zählt das Höher-Schneller-Weiter, die Bewegungen sind akrobatischer geworden.

Was also haben diese Veränderungen des Marktes und des Berufsbildes ›Tänzerin/Tänzer‹ ausgelöst, was ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten in der Tanzausbildung in Bewegung gekommen? Im Folgenden werden fünf Entwicklungen skizziert, die die aktuellen Diskussionen der Ausbildungsszene nach wie vor stark bestimmen. Sie sind sicherlich noch nicht abgeschlossen, haben aber bereits einige Ausbildungsstätten zu Umstrukturierungen und neuen Angeboten bewogen, während andernorts außer Bekenntnissen auf Papier bislang kaum etwas geschehen ist.

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