Kitabı oku: «Nomade im Speck», sayfa 2
Cozze, Trippa, Pizza, Pizzo


SCHÖNHEIT UND GEFAHR sind Geschwister, und Italien ist ein schönes und gefährliches Land. Ich schaukelte auf meiner Luftmatratze auf den Wellen des Ligurischen Meeres, ein Kind und genau die klassische Wasserratte, die erst mit blauen Lippen und verschrumpelten Fingern ihr Lieblingselement verlässt, nur um eine Viertelstunde später wieder hineinzutauchen.
Der Campingurlaub in Ligurien erschien mir paradiesisch. Luft und Wasser waren so warm, dass man fast pausenlos im Meer sein konnte. Ich lernte schnorcheln und tauchen mit Schwimmflossen, sah Fische in Schwärmen, kleine Kraken und Seesterne. Fasziniert tauchte ich vor Felsenritzen herum, hatte Angst vor Muränen, über deren Gefährlichkeit viele Geschichten im Umlauf waren, war gleichzeitig von ihnen fasziniert und kaufte mir vom Taschengeld einen billigen Dreizack, um eine Muräne zu erlegen. Zum Glück bin ich nie einer begegnet.
Das Dahinplätschern auf der Luftmatratze endete abrupt. Eine heftige Welle warf mich auf den nächsten Felsen; ich traf ihn mit der Kinnspitze voran. Es war ein klassischer Knockout, ich ging einfach unter. Die kleine Narbe unter dem Kinn habe ich immer noch; beim Rasieren sehe ich sie, weil auf Narbengewebe kein Haar mehr wächst. Und dann denke ich immer an Italien, an Schönheit und Gefahr.
Als ich wieder zu mir kam, erschrak ich furchtbar. Alles um mich herum war voller schwarzer Haare. Ein Mann hielt mich in den Armen; niemals im Leben hatte ich so viele schwarze Haare an einem einzigen Menschen gesehen. Der Mann, der klein und rund war, redete in einer mir unbekannten Sprache auf mich ein. Er war über und über mit schwarzen Haaren bedeckt, nur sein Gesicht war glattrasiert und lächelte mich an. Er strich mir über den Kopf und sprach mir zu, ich verstand keins seiner Worte, wusste aber, dass jedes ein freundliches war.
Mit der herrlichen Luftmatratzen-Freibeuterei war es erst mal Essig; meine Eltern verdonnerten meinen zwei Jahre älteren Bruder dazu, auf mich aufzupassen, was keinem von uns im mindesten gefiel. So werden lebenslange Antipathien gestiftet. Nach einer Woche unter Aufsicht durfte ich wieder allein ins Wasser. Ich machte mich sogar nützlich und sammelte Miesmuscheln, die von meiner Mutter zubereitet wurden. Ich aß selber niemals etwas von dem weichen Gewabbel, als das es mir damals erschien, und als ich hörte, dass Miesmuscheln auf italienisch Cozze heißen, wusste ich, warum ich so gern verzichtete. Es gibt ein Lebensalter, in dem man so etwas komisch finden darf. Die von mir ungeliebten Kutteln heißen auf italienisch Trippa, und das reicht mir bis heute als Grund, sie fast übertrieben höflich dankend abzulehnen.
Das Wasser ist immer mein Lieblingselement geblieben; ich wurde sogar Rettungsschwimmer und lernte, wie man Ertrinkende vor dem Tod bewahrt. Bei der Abschlussprüfung zum Lebensretter fielen mir viele schwarze Haare ein, und als mir später überall selber solche wuchsen, was ich mit äußerstem ästhetischem Argwohn betrachtete, fügte ich mich irgendwann und dachte: Ja, so geht das. Da hat dir wohl jemand eine Fackel in die Hand gedrückt.
Auch die Kalauer mit dem Italienischen konnte ich mir nie abgewöhnen. Für manche muss man aber bezahlen. Pizza ist Pizza, Pizzo heißt Schutzgeld, und als ich in einem Restaurant in Palermo aus einer Dummejungenlaune heraus eine »Pizza Pizzo« bestellte, hatte ich das auf der Stelle zu bereuen. Die Augen des Kellners, die mir steinkohlefarben erschienen, bewiesen, dass auch die dunkelsten Augen kalt wie Gletschereis schimmern können. Oder waren sie grün, braun oder blau? Kontaktlinsen gibt es schließlich in allen Farben, und diese Vielfalt wurde erfunden für Leute, die Distanz halten wollen zu jedem, der ihnen in die Augen zu sehen versucht.
Zu meinem Glück war ich nicht allein ins Lokal gegangen. Einer meiner beiden befreundeten Essgenossen, dem die atmosphärische Störung nicht entgangen war, spielte sofort in Speisekartenitalienisch den Clown, stand auf, ging mit dem Kellner zur Vitrine, in der frisch gefangene Fische und andere Meerestiere lagen, gestikulierte, lächelte, rabulierte und ramenterte freundlich auf ihn ein, und, darum ging es, bestellte nichts von dem Zeug für Touristen. So glättete er die Wogen des rabiaten Sizilianismus, und ich erhielt Gelegenheit, einen Seeigel auszulöffeln. Dass ich mir später die Rechnung schnappte und beglich, versteht sich von selbst.
Seeigel hatte ich vorher noch nicht gegessen, aber dann fiel mir wieder ein, wie ich als Junge im Ligurischen Meer in einen dieser Stachelpanzer getreten war. Als die abgebrochenen Spitzen aus einem Kinderfuß herauseiterten, war das mit Schmerzen verbunden.
Italien ist schön und gefährlich.
Wo die kleinen Sachsen wachsen


»DIE WERDEN IMMO BLÖYDO! Jeyden Toch werden die blöydo!« Der Chemnitzer Taxifahrer schimpft wie ein ganzer Schwarm Feuerrohrspatzen. Am Bahnhof bin ich eingestiegen, nur zwanzig Meter weiter muss er zum ersten Mal auf die Bremse treten, weil ein Rudel Fußgänger ungeachtet des Kraftverkehrs auf die Fahrbahn tapert und sie langsam, sehr langsam überquert.
»Seyhen Sie – so blöyde sind die! Die rommeln hier rümm wie die Koppudden!«
»Rommeln« hat nichts mit dem von vielen Deutschen noch immer als »Wüstenfuchs« und angeblicher Widerstandsmann verehrten Generalfeldmarschall Erwin Rommel zu tun, sondern meint, dass die Passanten rammeln wie die Kaputten; rammeln bezeichnet in diesem Fall eine nicht näher definierte Fortbewegungsweise.
»Wissense, wöhär dös kömmt, dass die olle blöyde sind?«, fragt mich der Fahrer. Er ist klein und weißhaarig, seine Augen funkeln. Das wisse ich nicht, gebe ich ermunternd zurück, und er erklärt es mir. »Dos kömmt vom Eynkoufen! Die koufen olle den gonzen Daach eyn!« Dass ein dem hemmungslosen Konsum gewidmetes Leben in die geistige und soziale Verelendung und Verwahrlosung führt, leuchtet mir ein. Aber ist denn ausgerechnet Chemnitz, das in der DDR Karl-Marx-Stadt hieß, ein Konsumknotenpunkt? Offenbar ja. Der Taxifahrer berichtet von einem »Eynkoufszentrüm« im Osten der Stadt, einem im Süden, einem im Westen und einem im Norden. Diese »gewalldichen Läyden« würden von der Bevölkerung »reyhum obgegrost«, und wenn man »olle dursch« habe, gehe es wieder von vorne los.
Er nörgelt und zetert und salpetert weiter vor sich hin; meine Laune könnte nicht besser sein. Seit ein paar Jahren lebe ich auch in Sachsen, in Leipzig, eine knappe Zugstunde von Chemnitz entfernt, und jetzt wird mir ganz heimelig von dem nöligen Singsang. Die sächsische Mundart ist häufig Gegenstand allzu billigen Spottes, obwohl die alten Bundesdeutschen, die ihre Gratiswitze darüber machen, nicht einmal die beträchtlichen Unterschiede zwischen dem Leipziger, dem Dresdner und dem Chemnitzer Sächsisch kennen. Als ich von Berlin nach Leipzig zog, fragte mich ein Kollege: »Leipzig – kann man da leben?« Der Ausdruck in seinem Gesicht sagte mir, dass er die Frage ernst meinte. »Nein«, gab ich zurück. »Auf gar keinen Fall. Leben kann man nur in Berlin oder in den Käffern, aus denen die Berliner stammen.«
Selbstbescheidung in Fragen des Humors ist mir unverständlich; wer etwas treffen will, muss sein Ziel doch kennen. Allein in Leipzig, sagen Dialektforscher, würden mindestens 17 Regiolekte gesprochen; manche zählen sogar 29 Leipziger Lokalolekte. Jedenfalls kann das Leipziger Sächsisch sehr herzig sein, und schöne Wörter hat es auch. Ein wackeliger Tisch ist nicht wackelig, sondern lawede, und das ist gut zu wissen in den laweden Zeiten, in denen wir leben beziehungsweise durchs Leben rammeln.
Vor der Fahrt nach Chemnitz besuchte ich den Leipziger Stadtteil, in dem ich wohne: Gohlis. Im Rosental, einem Park, in dem man im Sommer prima herumlümmeln, lesen und den joggenden Kniepatienten von morgen zusehen kann, wurde der sächsische Schriftsteller Karl May von Zivilpolizisten nach erheblicher Rangelei verhaftet. May, der Erfinder von Helden wie Old Shatterhand, Winnetou und Kara Ben Nemsi, von tragisch sterbenden Indianern wie Klekih-petra oder Winnetous Schwester Nscho-tschi, von Halunken wie dem Schut und dem Mübarek, war, bevor er der Groschenromanbotschafter Sachsens wurde, ein veritabler Hochstapler. Bei einem der im 19. Jahrhundert berühmten »Pelzjuden« am Brühl im Zentrum Leipzigs hatte May sich als Bediensteter eines Adligen ausgegeben, zwei Pelze in Auftrag gegeben und sie, ohne zu bezahlen, später an sich genommen; der Kürschner rief die Polizei, und im Rosental wurde May geschnappt. Die Rauchwaren – das ist keine Bezeichnung für Tabak, sondern für Pelze – wurden ihm abgenommen, er selbst landete wie so oft hinter Gittern, wo er sich ein großes Heroenleben zusammenschrieb.
Seine Hauptfiguren waren nicht nur Deutsche, sondern eben unbedingt Sachsen, denn May, geboren in Hohenstein-Ernstthal, schickte sich selbst, den Mangelsachsen, auf Reisen um die Welt und stattete ihn mit allem aus, was er vermisste und entbehrte: wunderbare Gefährten, beste Waffen, märchenhafte Fähigkeiten, Wildbret in Hülle und Fülle und Goldnuggets im Überfluss. Mays Alter Ego, der Hobble-Frank, ist klein und schmächtig, wie der unterernährt und in Not aufgewachsene May es war, doch macht er sein Handicap mit List und Schläue wett.
»Siebzisch Prözent Rentno hoben wo hio«, mault der Chemnitzer Droschkenfahrer, »und die rommeln olle mit nöynundreyßisch Ko Em Ho dursch die Stodt!« Ich hätte nicht gedacht, dass ich den 1912 in Sachsen gestorbenen Karl May einmal persönlich treffen würde, aber dann geschah es doch noch, in Chemnitz.
Im Auge des Rehs


»WIR ZIEHEN IN DIE FERNE, mit Butterbrot und Speck, und einer matsch’gen Birne, die nimmt uns keiner weg …« Mit diesem Ausflugslied meiner Großmutter auf den Lippen hirschelte ich durch den beginnenden Herbst. Die Welt leuchtete, Kastanien prasselten aus den Bäumen, und wie immer ließ der Anblick der mahagonifarben schimmernden archaischen Glückskugeln mein Herz hüpfen wie ein Kind, das in Gummistiefeln selbstvergessen durch frische Pfützen pladdert.
So viele man auch aufsammelt, betrachtet, berührt, befummelt und sich knetend durch die Hände gleiten lässt: es gibt keine zwei Kastanien, die einander ganz gleichen, da ist immer ein ganz Eigenes in Form, Größe, Maserung und Farbenspiel. Und so wie es wahr ist, dass weibliche Brüste die »Halbkugeln einer bessern Welt« sind, wie Schiller schwärmte, so handelt es sich bei Kastanien um die ganzen Kugeln einer mannigfach glücklichen Welt. Anfangs schien es mir schier unbegreiflich, dass man diese appetitlichen Bollern und Knubbel nicht auch essen kann. Doch die Rosskastanie, das musste ich nach einigen Versuchen feststellen, ist für den menschlichen Verzehr nicht geeignet. Sie schmeckt einfach nicht, und hartnäckig widersetzt sie sich allen Zubereitungsversuchen. Aber man muss ja auch nicht alles aufessen, was man liebt.
Ich war schon etwa dreißig Jahre alt, als etwas Schreckliches geschah. Der Eiserne Vorhang hatte sich geöffnet, und aus den dunkelsten Tiefen des Ostens kam die Rosskastanienminiermotte massenhaft in den Westen geflogen und fraß gnadenlos alles nieder. Ich nannte sie allerdings Minimiermotte, weil sie ja den Bestand der Kastanien minimiert. Die Minier- und Minimiermotte ist für die Kastanie das, was der rumänische Exportschlagersänger Peter Maffay für das menschliche Trommelfell und seine Kollegin Herta Müller für die Literatur ist: ein langsamer, zäher Tod.
Doch die Kastanie, auch das muss man an ihr loben, lässt sich nicht so leicht niederringen wie ein Kulturbetrieb. Sie blieb, der Miniermotte und den Prozessionsspannern des medial ausgerufenen Katastrophismus zum Trotz, bestehen und erfreut zuverlässig jene, die sie ganz begreifen.
All dies wuschelte mir im Kopf herum, als ich durch den Wald stapfte. Ich fand die abgefallene Geweihstange eines Rehbocks, und mit dem erhobenen Gefühl eines erfolgreichen Steinpilz- oder sonstwie Schatzsuchers schob ich mir das etwa dreißig Zentimeter lange Unikat aus Bockshorn in den Gürtel. Und erinnerte mich daran, wie wir als Kinder die Kastanien, die wir zu unserem großen Bedauern ja nicht selber essen konnten, eimerweise gesammelt und an die pelzigen Bewohner eines nah gelegenen Rehgeheges verfüttert hatten.
Hier schloss sich der Nahrungskreislauf: Der Mensch verzichtet einsichtsvoll auf das Verspeisen der Kastanie und gibt sie dem Reh zu fressen, zu dem die Kastanie auch farblich sehr gut passt. Der Schimmer im Auge des Rehs und das Leuchten der Kastanienkugel sind einander verwandt. Während der Mensch das Reh mit der dargebotenen Kastanie erfreut, sieht er schon fröhlich der Eigensättigung entgegen. Das Reh kaut und verdaut ihm die Kastanie, die sich ihm als Nahrungsmittel verweigert, ahnungslos vor. Wenn er schon die Kastanie nicht haben kann, futtert er eben das Reh, dessen Fleisch seinen Wohlgeschmack auf Kastanienbasis erwarb.
Ich trat aus dem Wald und wanderte zur Herberge meines Vertrauens, dem Gasthaus von Freund Vincent, einem Mann der Musen und einem Meister der Kochkünste. Just als ich das Lokal erreichte, wurden zwei Rehe zum Kücheneingang gebracht. Sie sahen aus, als wären sie eben noch durch den Wald oder über die Wiese gesprungen. Jäger hatten sie geliefert, und nun trugen jeweils zwei Köche ein Reh zur Küche hinein.
Einer der Köche, ein mir sehr naher Blutsverwandter und Frischling von damals zweiundzwanzig Jahren, erlernte bei Vincent das Handwerk des Kochens. Ich freute mich schon auf alles, was er und seine Kochkolleginnen und Kochkollegen unter Anleitung ihres Meisters aus den beiden Rehen machen würden, die, das stand für mich fest, nicht umsonst gestorben waren. Man würde die Tiere aus der Jacke nehmen, und später würden respektvolle Rehverzehrer den inneren Zusammenhang zwischen Reh und Kastanie feststellen können.
Der mir nicht unbekannte junge Mann trat aus der Tür, schlank, hochgewachsen und sehr schmuck in seiner weißen Arbeitskluft. Er hatte noch nie ein totes Reh gesehen, jetzt sah er gleich zwei. Die Blässe seines Teints legte Zeugnis ab davon, dass ihn die Rehe, die wirkten, als ob sie bloß schliefen, nicht kaltließen.
Gemeinsam mit dem Küchenchef trug er ein Reh zur Küche. Das Auge des Rehs spiegelte sich im Auge meines jungen Verwandten, und ich sah, dass es gut war.
Banditen an Frijoles


MEINE SÜSSE UND ICH SASSEN in einer Cantina irgendwo in der mexikanischen Pampa; auf dem Tisch standen Kaffee, Tortillas, Frijoles, also Bohnen und eine rote und eine grüne Chili-Salsa, alles in kleinen Tonschüsseln serviert. Ich musste an den ewig hungrigen Averell Dalton denken, der im »Lucky Luke«-Comic »Tortillas für die Daltons«, gezeichnet von Morris und getextet von René Goscinny, dem Genie der unsterblichen oder doch wenigstens für ein ganzes Leben unvergesslichen Formulierung, begeistert knurpsend eines dieser Tongefäße vertilgt und seinen Gastgeber, einen mexikanischen Desperado fragt: »Wie nennt sich die köstliche Kruste hier um die Frijoles?« Worauf der Mexikaner ungerührt antwortet: »Die nennt sich Tonschüsselchen, Amigo.«
Wir waren in Mexiko-Stadt aufgebrochen und hatten vier Wochen Zeit, das Land zu durchstreifen und zu erkunden. So hatten wir es schon im Jahr zuvor gehalten und Acapulco gesehen; beim Baden im Pazifik flogen die Pelikane nur knapp über unsere Köpfe hinweg, um sich dann ins Meer zu stürzen, Fische zu fangen und zu verschlucken, deren Schwanzflossen noch aus dem großen Hautsack unter ihrem Schnabel herausschauten. Frischer kann man Fisch nicht essen, dachte ich, wenn auch entschieden neidlos angesichts der Vorstellung, einen ganzen lebenden Fisch den Speiseschlauch hinabzuschlingen.
Ich hatte, als uns einmal das Wasser auszugehen drohte, eine Pulqueria von innen gesehen, wo Pulque ausgeschenkt wird, alkoholisch vergorener Kaktussaft, aber auch andere Getränke mit ordentlichem Umdrehungsfaktor; obwohl nur des Speisekartenspanischen mächtig, musste ich ohne sprachkundige Begleitung in die Pulqueria, weil Frauen dort keinen Einlass finden, sah schlafende, betrunkene und trinkende Mexikaner am Tresen, vor den man eine dicke Schicht Sägespäne gestreut hatte, damit sich die Trinker den Weg zum Abtritt sparen konnten.
An einem verwunschen wirkenden klaren See hatte ich hinter einem Wasserfall eine große Höhle entdeckt und mich, nur mit einer Badehose bekleidet, heimlich einer Gruppe von gut ausgerüsteten Höhlenforschern angeschlossen, die tief in den Berg eindrangen; nach zirka einhundert Metern wurde mir aber unheimlich zumute und regelrecht Angst und Bange; ich kehrte alleine um, ohne Licht. Es waren die längsten hundert Meter meines Lebens, und als ich, unendlich glücklich über mein Entronnensein, wieder durch den Wasserfall ins Freie trat, bekam ich von meiner Süßen – zack! – erstmal eine gefenstert. »Spinnst du eigentlich, du Vollidiot?«, fauchte sie mich an; sie hatte ja Recht.
Später sahen wir am selben See zwei mexikanische Familien kampieren; die Männer hoben eine tiefe Grube aus, warfen Feuerholz hinein, zündeten es an, rollten ein riesiges Tongefäß heran, das sie aufs Feuer stellten und mit frischem Wasser aus dem See befüllten. Dann wurde jede Menge Gemüse hineingeworfen, Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten, Chili, Wurzeln und vieles, das mir unbekannt war, alles kam ungeschält in den gewaltigen Humpen, händeweise wurden Salz und Gewürze in die Suppe geworfen, und zum Schluss versenkte man eine Ziege, die bereits entfellt worden war, tief in den Sud. Dann wurde der Erdlochherd mit mehren dicken Pappen abgedeckt; den Rest der Arbeit erledigte die verstreichende Zeit.
Da wir neugierig und fasziniert zugesehen hatten, wurden wir, als das Essen nach einigen Stunden durchgegart war, von den freundlichen Mexikanern eingeladen, doch einfach mitzuhalten, und so löffelten wir eine aromatische Brühe und aßen das zarteste und köstlichste Ziegenfleisch, an das ich mich erinnern kann.
Wir hatten Friedhöfe besucht und gesehen, wie die Familien der Verstorbenen diese nochmals höchst lebendig feierten, mit deren Lieblingsspeisen, -getränken und -liedern, die von Mariachi-Musikern gespielt wurden. Wir hatten den blitzartigen, übergangslosen Wechsel von Tag und Nacht erlebt und im Hafen von Santa Cruz bei einem gigantischen Feuerwerk, das von dort vor Anker liegenden Marineschiffen gezündet wurde, Silvester gefeiert. Jetzt, ein Jahr später, wollten wir den Jahreswechsel bei Freunden im Chiapas begehen und nahmen auf dem Weg dorthin in der eingangs erwähnten Cantina Platz und etwas zu uns.
Mexikanische Banditen gibt es nicht nur im Comic, und in echt sind sie auch gar nicht lustig. Meine Süße lächelte und stieß mir unter dem Tisch mit dem Fuß gegen mein Schienbein. Ich sah sie fragend an, sie sagte: »Lächle und hör zu.« Ich tat wie mir geheißen und machte mich auf etwas Ungutes gefasst. Es kam viel schlimmer.
»Die vier Typen am Nebentisch verstehen garantiert kein deutsch«, sagte die Süße, als erzähle sie eine lustige Geschichte. »Aber ich verstehe spanisch, wie du weißt«, fuhr sie demonstrativ grinsend fort. Das stimmte; als Lehrerin für Englisch und Theater an der deutschen Schule in Mexiko-Stadt musste sie auch die spanische Sprache beherrschen, und das tat sie weit mehr als rudimentär. »Also«, machte sie fröhlich weiter, »die vier Kerle haben es auf uns abgesehen. Gerade hörte ich, wie sie beschlossen, dich umzubringen, mich erst zu vergewaltigen, dann ebenfalls zu ermorden und die Leichen dann auszuplündern.«
Das Lächeln gefror mir auf dem Gesicht, aber es blieb ein Lächeln. Die Süße sah mich kaltblütig an. »Das ist kein doofer Spaß. Die meinen es ernst.« Ich riskierte einen verstohlenen Blick auf das Quartett nebenan: vier sehr junge, aber fies und verschlagen aussehende Männer – oder kam mir das nur so vor, weil ich ihre bösen Absichten kannte? Egal, nun galt nur noch die alte Leninsche Frage: Was tun? Ich war 24 und fühlte mich wie Billy the Kid und The Sundance Kid, nur hatte ich leider keine Revolver dabei.
»Ich gehe gleich raus und hole den Wagen direkt vor die Tür«, sagte die Süße heiteren Gesichts. »Du wartest ein bisschen, zahlst, und dann rennst du los und springst in die Karre, die Beifahrertür ist offen. Dann den Knopf runter und ab geht es.«
Toller Plan, dachte ich, hatte aber keinen besseren, und ich vertraute meiner Süßen, die ein bisschen älter und erfahrener als ich und auch eine exzellente und rasante Autofahrerin war. »Also gut«, sagte ich mit einem Gesichtsausdruck, der sorglos und unbekümmert wirken sollte. Sie gab mir einen Kuss und sagte, ostentativ auf die Tür weisend: »Ja, ich hole das mal schnell«, in der Hoffnung, mit dieser Geste die Gangster nasführen zu können. Sie ging, ich trank meinen Kaffee aus, stand auf, ging langsam zum Tresen, bat um die Rechnung und zahlte.
Dann sprang ich los, doch der größte der vier Gelegenheitsmörder auf Probe war schon hinter mir und versuchte, mich mit der Linken an der Schulter festzuhalten. In der Tür drehte ich mich um, sah in seiner rechten Hand ein Messer blinken, trat ihn mit voller Wucht dahin, wo es Männern gemeinhin am meisten wehtut, drehte mich wieder, hörte sein Stöhnen, sprang in den 25 Jahre alten dunkelgrünen VW Käfer, der mit laufendem Motor und geöffneter Beifahrertür bereitstand, schlug die Tür zu und drückte den Verriegelungsknopf herunter, während die Süße längst das Gaspedal durchgetreten hatte und wir Richtung Straße brausten.
Im Rückspiegel sah ich die Mordbuben in spe, sie konnten uns nichts mehr tun, ich kurbelte das Seitenfenster herunter und schrie triumphierend und tief erleichtert zugleich in die Nacht: »Leichtfüßig ist der Schnelle Hirsch!«; das oder etwas Ähnliches hatte ich einmal bei Karl May gelesen. Wir fuhren so schnell, wie es das kleine alte Auto hergab. Niemand verfolgte uns, wir waren entkommen, nach zwei Stunden Fahrt nahmen wir uns ein Zimmer in einem Motel, parkten den Wagen so, dass er von der Straße aus nicht zu sehen war, zogen im Dunklen die Vorhänge vor und schalteten erst dann ein Licht an – und sahen uns einigen Dutzend fast handtellergroßen Cucarachas gegenüber, furchteinflößend großen Kakerlaken, an denen dann wir unsererseits zu Mördern wurden, wobei es in diesem Fall kraft unserer Stiefelabsätze nicht beim Vorsatz blieb.
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