Kitabı oku: «Nacktgespräche», sayfa 3

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Der Seelenfresser

So richtig polternde Orkane haben nichts Herzerfrischendes, auch nicht in der weiblichen Namensversion. Doch wenn sie sich zusätzlich noch voyeuristisch offenbaren, sind sie nicht einmal jugendfrei. Der Wirbelstürmin Friederike ist das zuzuschreiben. Sie zeigt sich auf ihrem Rückzug zwar deutlich milder gestimmt, hatte jedoch seit gestern Nachmittag bis tief in die Nacht hinein wie eine unterbezahlte, frustrierte und auch noch voyeuristische Domina gewütet. Dabei muss man sie deshalb nicht mal schief angucken. Denn nach üblicher psychischer Diagnose liegt eine tiefgreifende Störung weder beim zeitweiligen Voyeurismus zur sexuellen Ersatzbefriedigung noch bei einer Dominanzlust mit Peitschenecho zugrunde. Alles ein ganzes Stück normal bei der Orkanin.

Tina, sie führt öfter mal unseren Hund aus, erlebte die Bestie hautnah. Das erzählt mir heute Vormittag die Nachbarstochter Hanna, beide in der gleichen Mädelsclique. Obwohl vertraulich mitgeteilt, das Versprechen sogar mit großem Ehrenwort besiegelt, rotierte die Story schnell quer durch Hannas gesamte Adressliste, reichlich Likes und Emojis als Antworten. Die Orkanin soll gewaltsam in das bettmäßige Rumgemache von Tina und ihrem Freund Max eingebrochen sein.

„Wie das?“

Hanna ließ mich mit ihrer Schilderung im Stil einer Trash-Reporterin die Geschichte ziemlich detailliert nacherleben. Demnach hatte eine angriffslustige Böe ein beträchtliches Loch in das Dach der Mansardenwohnung des Pärchens gerissen und sich mit brünstiger Fratze in Tinas Bett breit gemacht. Es schickte peitschenden Regen hinterher, scheuchte Mobiliar, Flatscreen und Klamotten durch den Raum. Alles in Bruchteilen von Sekunden, ganz knapp vor dem orgastischen Lustfinale. Präzise in dem Moment, in dem Menschen üblicherweise einen ekstatischen Sturm mit 10.000 Volt quer durch ihren Körper spüren wollen: Panische Katastrophenängste statt ein Herzliches Willkommen in der G-Zone.

Wobei ich zugeben muss: Mein Kopfkino tanzte sich schnell in eine gemeine Schadenfreude hinein, ohne sich mit schlechtem Gewissen aufzuhalten. Mal ehrlich, wer grinst nicht auch gerne mal in dem Moment mitleidslos in sich hinein, wenn jemand auf obskure Weise Pech hat? Mitleid stammeln und sich die Fingernägel in die geballte Hand pressen, um zu passenden Gesichtszügen zu kommen. Musste ich aber gar nicht, weil Hanna nicht die bedauernswerte Betroffene war und sich mein inneres Grinsen zu einem lauten Brüller entfalten konnte.

„Dabei war das Vorspiel noch ganz harmlos“, witzelte sie. „Pass auf, jetzt wird es erst richtig krass, pass auf.“

Und ja, was sie dann erzählte, deckte sich mit unser aller Lebenserfahrung. Nämlich, dass eine noch so beschissene Situation immer noch viel Luft nach oben hat, um noch beschissener werden.

Arme Tina, armer Max. Denn der erzwungene Verzicht auf den finalen Orgasmus wäre in dem Augenblick nicht ihr vordringlichstes Problem gewesen. Sondern es war die Shades of Grey-Spielerei, in der sie sich gerade befanden. Das allererste Mal probiert, grandios lusterweiternd empfunden, doch genau dadurch schnappte die Falle zu: Einer von beiden war mit Handschellen festgebunden. Fluchtunfähig und die schnaubende Domina Friederike vor Augen. Inmitten ihres windigen Getöses und weiter unten berstender Dachbretter musste ganz schnell der kleine rettende Schlüssel gefunden werden. Der war sicherheitshalber mit einem Metallring am Griff einer Lederpeitsche befestigt, doch wo in dem plötzlichen Durcheinander dieses Spielzeug jetzt schnell finden?

„Wer von beiden zappelte denn hilflos am Bettgestell?“

Hätte auch Hanna allzu gerne gewusst, diese Frage ist jedoch trotz der ansonsten sehr freimütig preisgegebenen Details zumindest bis zum Zeitpunkt unseres Telefonats offen geblieben. Dafür erzählte sie von einem zusätzlichen Schwierigkeitsgrad bei der Suche, zwei Hausbewohner von der Etage darunter hämmerten wild an der Wohnungstür. Aufgeschreckt durch den Krach des berstenden Dachs und hineinbrechender Dachziegel waren sie in Aufruhr und wollten wissen, was passiert sei. Lautes Rufen, immer kräftigere Faustschläge gegen die Tür, jammerndes Kreischen auf der anderen Seite als Antwort.

Endlich, das SM-Spielzeug mit dem Schlüsselchen wäre schließlich doch gefunden worden. Tina soll dann ebenso splitternackt wie ihr Freund zur Tür gerannt sein, hätte sie aufgerissen und wäre dann von wilden Angstlauten begleitet ins Treppenhaus und dann nach unten geflüchtet. Eine Mitbewohnerin soll sie anschließend versorgt haben, die Feuerwehr wäre gekommen, das Pärchen ausquartiert, Inventar in Sicherheit gebracht.

Wer sich die Sexutensilien unter den Nagel gerissen habe, sofern sie überhaupt noch auffindbar waren? Darauf wusste Hanna keine Antwort, aus irgendwelchen Gründen betrete ich mit dieser Frage im Kopf die Sauna. Und dort ist Friederike sofort wieder präsent.

Vielleicht liegt es an den Resten an Angstgefühlen, die das noch nicht ganz abgezogene Sturmtief ausgelöst haben, dass sich heute so unzählig viele höheren Alters in die Sauna gezwängt haben. Nackt eng aneinander gekuschelt, nur wenige Zentimeter Schamdistanz zwischen einander. Solche Stoßzeiten gibt es immer wieder nachmittags an Sonntagen, doch heute ist Mittwoch.

Beim Eintreten schwallen mir Gesprächsfetzen entgegen. Dass wegen des Sturms Züge unterwegs stoppen und stundenlang auf freier Strecke stehen bleiben mussten, Autos auf überfluteten Straßen wegschwammen, Häuser abgedeckt wurden, Friederike erzählt sich in vielen Variationen. Windgeschwindigkeiten von über zweihundert Stundenkilometern sollen es gewesen sein. Klingt nach Ausnahmezustand, einige dichten noch ein bisschen an persönlicher Besorgnis oben drauf, so dramatisch hätten sie es noch nie erlebt. Viele nicken.

Dabei hat die Natur selbstverständlich nicht erst durch Friederike so gewütet, doch die meisten Menschen sind gerade in einer erregten Gefühlsverfassung. Gegenseitiges Bestätigen von Meinungssätzen und zustimmendes Kopfnicken schafft Verbundenheit, solange keiner auffällig aus der Reihe tanzt. Ich ahne in dem Moment nicht, dass heute noch kräftig getanzt werden wird.

„Gut, wer einen SUV hat“, greift einer von den oberen Sitzbänken das vorher wohl schon intensiver diskutierte Thema der weggeschwemmten Autos noch einmal auf. Klobiges, schweres Material könne sich eher gegen flutenden Wasserdruck wehren.

Niemand geht darauf ein, er nimmt einen neuen Anlauf, betont effekthaschend für Unterhaltungsbedürftige.

„Seniorenunterstützungsvehikel.“

Das plakative Wort fällt auf, tatsächlich recken sich mehrere in seine Richtung. Mit seinem langweilig zu einem Strich geformten Mund mit sich kaum bewegenden Lippen gelingt es ihm trotzdem nicht, Witzigkeit zu erzeugen. Wenigstens die gerade erlangte Aufmerksamkeitschance ein bisschen nutzen.

„SUV-Fahrer sind stählerne Ichs.“

Nicht besser, ihm egal. Ihm geht es nicht um kreative Bemerkungen, sondern nur darum, einfach ein bisschen den Ton anzugeben. Zu dumm, dass diese platte Typisierung schon vor Jahren ihre beste Zeit hinter sich hatte, sich aber offenbar nicht beerdigen lässt und sich noch bis in die letzten Ecken der bildungskritischen Spezies vorgräbt. Er meint die Fahrer und ebenso die Mamataxi-Fahrerinnen, die sich in erhöhter Sitzposition durch viel Blech um den Körper herum sicherer fühlen und mutiger das Gaspedal durchtreten. Sagt man, nimmt man je nach Standpunkt genauso wahr, ist vielleicht so, trotzdem so intelligenzfrei wie der nächste Witzversuch von ihm.

„Weicheier in Ritterrüstung.“

Klingt nach Freigeist, riecht nach Dorf.

Nicht nur deshalb entsteht ein Bruch, die eben noch angeheiterte Stimmung hat ihren Gegner gefunden. Von jemandem, dem äußerlich betrachtet niemand Casting-Ambitionen für den neuen James Bond unterstellen würde, der stattdessen jedoch vor grünem Selbstbewusstsein strotzt.

„So viel Auto hat Gott nicht gewollt und braucht kein Mensch, das lässt sich nachweisen“, quäkt er in einem Sound, der nie in den Genuss einer Stimmgabel gekommen ist. Dazu ein Blick wie seicht wellendes Wasser, entspannt und beruhigend. Ihm wäre zuzutrauen, beim Schlafwandeln die grünen Zahlen aus der letzten Umweltschutzschulung herunterzubeten. Notfalls so ausführlich, bis jemand die weiße Flagge hisst oder ihn böse Tweets aus seinem Weltverbesserungstraum aufwecken.

Seine Art erinnert mich an Ulf, einen Sitznachbarn während einer Zugfahrt nach München, der mich mit seiner Begeisterung für das Meditieren bis knapp vor meinen Verlust letzter Reste an Freundlichkeit missionieren wollte.

In jedem Fall wirft Ulf-zwo berechtigterweise die Frage auf, warum wir uns nicht darüber unterhalten, wie viel Kilogramm Auto pro Mensch wirtschaftlich und ökologisch und sozial oder auch noch ethisch angemessen seien. Sofern seine Äußerung überhaupt auf Interesse stoßen sollte.

Noch nie darüber nachgedacht, die sich dahinter verbergende Idee klingt jedoch sympathisch. Plötzlich drängelt sich auch der SUV-Bemeckerer mit einer ersten sinnvollen Bemerkung auf, vielleicht auch nur, um noch ein bisschen mehr zu zündeln.

„Jeder erwachsene Mensch sollte nur eine bestimmte Literzahl Kraftstoff im Jahr nutzen dürfen“, schlägt er sich auf die Seite des Öko-Vertreters, direkt mit einer persönlichen Begründung versehen.

„Zu viele Kalorien machen dick, zu viel Sprit in der Luft tötet das Hirn, macht Krebs und andere schlimme Sachen.“

„Richtig, richtig“, jubelt Ulf-zwo in der ihm eigenen Tonlage.

Doch sofort schallt es zurück, Gegner formieren sich.

„Das ahne ich doch schon länger, wir sollen eine Öko-Diktatur kriegen. Das Wort höre ich jetzt immer öfter und alle verschränken dazu die Arme.“ Diesen Widerspruch geifert jemand in die Runde, dessen Empörung maximal authentisch klingt und seinem Blick auf die Welt und seiner persönlichen Geschichte entspringt.

„Mein Vater hatte den Adolf, im Osten diktierte uns die SED und jetzt gibt’s bald von der Öko-Stasi eins auf die Fresse, wenn wer mal seine Milchtüten in einem Plastikbeutel nach Hause trägt.“ Pause, seine Gesichtsfarbe nimmt zu. „Wann hört’s mal endlich auf mit dem Schreien nach Sachen, die dann doch wieder in schlimmen Verhältnissen enden?“

Eine Hitzewelle ergreift ihn, die Gesichtshaut verfärbt sich rötlich, röchelnde Stimme, sein Blick tanzt einen ungelenken Beat. Unversehens wird er mit seinen Worten selbst zur Zielscheibe.

Zuerst von Ulf-zwo. Jetzt spürt er endlich den richtigen Moment für ein richtig fetziges Plädoyer. Ob auf eigenem Mist gewachsen oder die Resteverwertung von Indoktrinationen eines Öko-Workshops, das lässt sich nicht klar erkennen. Noch vor der ersten Silbe streckt er zur Vorbereitung seinen Oberkörper kerzengerade hoch, die Schultern nach hinten gedrückt, Kinn hoch, Besserwisserfalten auf der Stirn.

„Wir haben Gesetze für den Tierschutz, Datenschutz, Arbeitsschutz, auch den Kleinanlegerschutz und was weiß ich sonst noch alles, DIN-Normen für fast alles in unserem Leben. Ohne ausdrückliche Zustimmung eines Amtes darf man noch nicht mal in einem Abwasserkanal schwimmen, wir haben ein gesetzlich total geregeltes Leben. Nur ein richtiges Sonst-gehen-wir-alle-am-Arsch-Schutzgesetz mit klaren Regelungen für unseren tollen Erdball kriegen wir nicht zusammen hin. Es gibt immer nur ein paar symbolische Häppchen.“

Sein Atem vibriert gefährlich, überschlägt sich zeitweise, der Kopf schwingt wild mit. Er hat sich in Rage gesprochen, ähnlich dem gegen eine mögliche Öko-Diktatur rebellierenden Mann, und schreit nach neuen Paragraphen.

„In unserer Verkehrsordnung ist geregelt, wie millimetergenau die Größe der Parkscheiben sein darf, welche Farbe sie haben muss, für jedes denkbare Falschverhalten gibt es ein Strafe. Mindestens genauso detailliert und genauso scharf geahndet stelle ich mir eine Planetenschutzordnung vor. Was der Verkehr braucht, das braucht unser Planet umso mehr. Es muss alle Bereiche klimagerecht regeln, die für unsere Naturwelt wichtig sind.“

Er hat einen Lauf. Beifall, von mir und auch einer Dame und zwei Herren um mich herum. Der Diktaturbefürchter opponiert dagegen, wenig verwunderlich.

„Und man sammelt Punkte in Flensburg und kriegt so richtig einen drauf, wenn zu viele Punkte entstanden sind? Überall Kameras, damit Öko-Politessen ständig beobachten, was man in die Mülltonne stopft?“ Er stemmt beide Hände in die schwitznassen Hüften. „Vergiss es! So fängt es an und dann nehmen sie dir wieder jedes Stückchen Freiheit.“

Aber jemand, der sich in letzter Zeit hier häufiger sehen lässt, stellt sich sofort als weißer Ritter an die Seite von Ulf-zwo. Kaliber bärtiger Unterschrank, der allein durch seine überschaubare Körperstatur Gefahr läuft, als Veganer abgestempelt zu werden.

„Du redest krassen Angstquatsch! Unseren Kindern rennt die Zeit weg, da hilft alles, was weniger Dreck in der Luft produziert und die Kartoffeln im Acker nicht vergiftet. Natürlich geht Veränderung nicht ohne Schmerzen, natürlich können gesetzliche Verbrauchslimitierungen dazu gehören, über so einen Gedanken lässt sich zumindest diskutieren. Da kann total viel dazu gehören, was uns, ob wir wollen oder nicht, zu total CO2-schlanken Menschen machen wird und machen muss.“

Klare Kante! Doch auf welcher Seite steht er tatsächlich? „Auf vollen Straßen sind martialische PS-Kisten genauso langsam wie mein qualmender alter Ford“, outet er sich im nächsten Atemzug als inkonsequenter Benutzer einer Dreckschleuder.

Bevor überhaupt jemandem sein Widerspruch auffällt oder jemand willens ist, ihn zu hinterfragen, sehen wir uns mit einem nächsten Witzbeitrag konfrontiert. Der bisher spaßfreie Ulf-zwo platziert in der Hoffnung auf Erheiterung etwas in die Hitze hinein, angeblich irgendwo im Netz gelesen.

„SUVs sind so überflüssig wie die Nüsse des Papstes.“

Und ich sage mir: Auch Soßenbinder sind geschmacklos.

Ganz offensichtlich hat ihn plötzlich die Lust am Mitwitzeln erfasst. Sein Problem scheint nur zu sein, dass ihm niemand das Witzeln richtig beigebracht hat. Jemand anders kann es nicht besser, aber wenigstens gehässiger.

„Wurden bei dir die Grenzwerte für feinstaubbelastete Gedanken überschritten?“

Der Gegenwind verunsichert, es ist dem Gesicht von Ulf-zwo anzusehen. Ein anderer Nackter springt für ihn in die Bresche, er möchte das sinnfreie Geplaudere unbedingt noch ein bisschen aufrechterhalten. Seine haarfreie Haut erscheint glatt wie ein Gletscher, beträchtlich mit körpereigenen Fettreserven ausgestattet, seine Gene hatten einen schlechten Tag, viel Greta Thunberg steckt in ihm auch nicht drin.

„Grün setzt sich aus Gelb und Blau zusammen.“ Sein angeheiterter Blick wandert von rechts nach links.

„Was sagt uns das?“

Vereinzeltes Mienen- und Schulterzucken, keine Antwort.

„Kommt, wer mal ein bisschen mit Farben herumgespielt hat, der weiß das.“

Erwartungsvoll hoppelnder Oberkörper und seine Augen grinsen umarmend, wie man es häufig bei vollleibigeren Menschen sieht. Er löst sein Farbenrätsel selbst auf.

„Die FDP läuft gelb herum, die AfD blau. Was kommt heraus, wenn man beide Farben mischt? Genau, grün ist’s! Folglich sind die Grünen nach der Farbenlehre eine heimliche Kreuzung aus FDP und AfD.“

Das motiviert zum Lachen, genauso zum Nachahmen.

„Sogar unser Furzen tut angeblich dem Klima weh, müssen wir bald Korken verteilen“, sagt ein Mann, der eigentlich einen viel zu schüchternen Eindruck für Äußerungen in fremden Gruppen macht.

So langsam formiert sich in den Feuchtgebieten meines Sportstudios der Klimaschutzverweigererpöbel, Gesichter können sehr viel erzählen. Entlarvend offen, alles weist auf das Krankheitsbild der Intelligenz-Gezeiten hin: Ständiger Wechsel zwischen Ebbe und Landunter im Hirn. Nur, warum dürfen solche Menschen sogar einen Führerschein haben?

„Wenn wirklich was Schlimmes passiert, kriegen unsere Ingenieure das schon wieder hin. Dann liegen uns alle zu Füßen, überall kaufen sie Technik von uns, deutsche Ingenieure sind Granaten.“ Die Welt des Farblehrenspezialisten braucht keine Bezüge zur Realität.

Mein Nachbar stupst mich mit seinem schweißtriefenden Arm an, schüttelt in kurzen, schnellen Bewegungen den Kopf. Wir sollten uns laut empören, unterlassen es jedoch, wie man es so oft macht, wenn es notwendig wäre, Position zu beziehen.

„Für neue Hamstersorten mit gekreuztem Vogelschnabel und lassoförmigen Schwanzpirouetten, die angeblich einer gesichtet haben will, bleiben Straßenprojekte jahrelang liegen. Haben die noch alle Wellensittiche im Käfig?“

Der Mann mit der gletscherglatten Haut gibt weiter Gas. Jetzt muss auch alles raus, wie beim Schlussverkauf.

„Die mit dem tollen Gutmenschgetue kaufen doch nur Bio-Sachen, damit sie das auf Instagram toll posten können.“

Gut abgelenkt, so lässt sich jedes wabbelige Rückgrat begründen. Ob seine Frau häufig wunderbaren Sex hat, nur halt nicht mit ihm? Darüber sollte er mal nachdenken.

„Wer keine Socken selbst strickt, gilt als Verächter unseres Planeten. Leute, so platt wird gedacht. Achtet mal auf ihre selbstlose Verzweiflungsmiene.“ Er schaut dabei dem Klimamoralisten frontal ins Gesicht. Und recht hat er in diesem einen Fall, solche Ökogesten werden gerne als moralisch verkleidete Waffen eingesetzt.

Dann eine kleine Kehrtwende.

„Vielleicht möchte uns Friederike mit ihrem Sturm etwas mitteilen?“

Eine Frau, unterste Bank, sagt das. Nach meiner Alterseinschätzung stammt sie aus einer Zeit, als Facebook noch Poesie-Album genannt wurde. Ein hübsches reifes Gesicht, viel Natürlichkeit, ihr Körper drückt viel Erleben aus, ohne dass er zu künstlichen Umbauten greifen musste.

Sie hat sich kurz aufrecht gestellt, um ihren Satz in die Gesichter aller anderen sprechen zu können. Jedoch zu zaghaft, ihrer Äußerung fehlt die Temperatur, beim Niedersetzen macht ihr üppiger Busen einen kurzen Kniefall. Und ihr Aufstehen hat etwas von einer Streberin in der Schule, doch Strebermenschen gewinnen schwer Freunde, nicht verwunderlich, dass sie auch in der Sauna keine Rose bekommt.

Stattdessen zieht der Mann mit dem Hinweis auf die klimaschädlichen Blähungen wieder die Konzentration auf sich. Ihn hat aus einem für mich unerklärbaren Grund ein Kicher-Flash erfasst, den er nicht stoppen kann oder nicht will.

„Furzen im Wald ist klimaneutral“, prustet er heraus, ohne dass mir gerade der Zusammenhang schlüssig wird. „In einem Pups stecken ungefähr zehn Prozent Kohlendioxid, da wünsche ich euch guten Appetit, ihr Pflanzen.“

Solch ein Verhalten lässt sich bei schamhaften Menschen beobachten, die bei offensichtlichen Verstößen gegen Konventionsregeln ein vorpubertäres Dauerlachen mit integrierter Selbstbejubelung erzeugen. Dreimal lauter als erforderlich, die Stimmlippen tanzen dann eine Zeitlang Samba, während die Leute drum herum zwischen ehrlichem Mitleid und noch ehrlicherem Fremdschämen schwanken. Hier nicht anders.

Wie in der Logik unsinniger Träume beschleicht mich der Gedanke, hinter dem Lautlacher könnte sich ein Skandinavisch-Professor verbergen, eventuell ein Sprachmensch fürs Finnische. Jemand, bei dem sich schon in der Kindheit wegen seiner verkopften Art auffälliges Verhalten zeigte und der nie auf den Gedanken gekommen wäre, als Traumberuf Lokführer oder Promoter für Männerdessous auszusuchen. Zu ihm könnte die verschrobene finnische Kasus-Grammatik mit ihren fünfzehn Fällen passen. Das Deutsche gibt sich mit gerade einem Viertel zufrieden. Wie selbstbefriedigend fühlt es sich für ihn wohl an, laut und wiederholend vor dem Spiegel zu deklinieren?

Dass ich mit meinen Vermutungen tendenziell auf dem richtigen Weg bin, welchen Ursprungs meine Ahnung auch immer sein mag, zeigt seine nächste Bemerkung. Ein interessanter, wenngleich unaufgeforderter Lernbeitrag von ihm für uns, direkt nach seiner wortfreien Lacheinlage.

„Die finnische Übersetzung für Sturmtief ist kaum aussprechbar, Myrsky lautet es“, sagt er und blickt beifallerwartend in die Runde.

Ich bin überrascht und freue mich über mein richtiges Raten, er kann tatsächlich Finnisch. Und recht hat er, das Wort klingt tatsächlich sehr ungelenk, etwas nach zu viel Restalkohol in der Stimme. Für ihn genau der richtige Impuls, die nächste Selbstbelachung zu initiieren, dabei produzieren seine Stimmbänder in der letzten Silbe noch mal Klänge eines übertönenden Feuerwerks. Doch Entwarnung, keine Funktionsstörung seiner Stimmbänder, es ist lediglich der Sprachklang seiner Fröhlichkeit.

Sie mag auch schuld daran sein, dass niemand auf seinen Lachzug aufspringen will. Dafür schwingt sich ein tiefer sitzender Mann mit haarlosem Schädel durch ein paar lustig gemeinte Bemerkungen zum karnevalistischen Lokführer auf. Schweiß rinnt in kräftigen Bahnen an seinem Körper herunter, viele braune Sprösslinge zieren seine Schultern.

„Irgendwie macht es die Natur doch auch gut für uns, oder?“

Fröhlich herausgestampfte Worte, begleitet von krümeligen Körperbewegungen. Genetisch offenbar mit dem Finnisch-Professor verwandt, lacht er trotz des allgemeinen Unverständnisses noch vor seinen ersten Witzsilben los. Ein Wiehern mit Atemnotsymptomen, seine Achseln wippen dabei hoch und runter. Körperschweiß spritzt unkontrollierter herum, trifft die Dame links von ihm. Mit demonstrativem Ausdruck wischt sie sich übers Gesicht, kein Laut einer Entschuldigung von ihm. Seine fragmentarische und deshalb rätselhafte Aussage bleibt ohne Reaktion, er antwortet sich selbst.

„Als Jüngerer kaufst du dir ein Haus auf einem Hügel, und wenn du in Frührente gehst, hat dir der Klimawandel einen Strand vor die Tür beschert. Mal ehrlich, ist das keine perfekte Lebensplanung?“

Ein kurzer Lachnachzünder, dann breit gezogene Mundwinkel, er amüsiert sich über den Klimawandel. Ich spüre einen feuchten Stupser meines Sitznachbarn und sehe sein Kopfschütteln mit streng hochgezogenen Augenbrauen. Er meint Menschen, deren Eltern sie auf einem Wühltisch in die Hand bekommen haben und gegen ihren Willen mitnehmen mussten. Mir gefällt meine in diesem Moment sehr angenehm warm empfundene Arroganz, sie findet auch noch eine andere bösartige Erklärung für ihn: In der Gutenachtgeschichte verwechselte er Rotkäppchen mit dem Terminator, seine frühkindliche Prägungsphase war deshalb zu einem Schotterweg geworden.

Das fröhliche Reihum der dosierten Spaßintelligenz durchbricht ein weiterer Ü50-Herr, vor ein paar Minuten erst in die Runde gestoßen.

Vor längerer Zeit habe er einen uralten Handkarren zu einem Fahrradanhänger umfunktioniert. Er stamme von seinem schon länger verstorbenen Opa, der ihn wiederum von dessen Vater geerbt habe. Also ein geschichtsstarkes Stück vom Urgroßopa, aufgemöbelt und für eine neue Verwendung klar gemacht. Da würden problemlos zwei Kästen Bier und drum herum noch ein paar andere Sachen hineinpassen. Das Gefährt wäre früher, als er noch zwanzig Jahre jünger war, auch bei Vatertagstouren im Einsatz gewesen.

Hat etwas von einer sentimentalen und für uns Zuhörer belanglosen Geschichte.

„Blöd nur, dass ich auf einem kleinen Berg wohne, der nächste Supermarkt liegt im Tal, rund zweihundert Höhenmeter tiefer. Deshalb kriege ich nie viele Sachen hochgestrampelt und darf immer nur so viel einkaufen wie meine Muskeln vertragen.“

Seine Worte spricht er so schnell, als wären Kommas und Satzpausen umweltschädlich. Eine andere Deutung: Sein Film im Kopf von der kräftezehrenden Beinarbeit beim Anstieg frisst ihm den Atem. Luft für ein bisschen eigenes Lachen bleibt ihm wenigstens noch.

Es ist das einzige lautere Geräusch gerade, umgeben von gelangweiltem Schweigen. Niemand versteht sein Motiv, uns diese Geschichte zu erzählen. Einer drückt wenigstens einen lachähnlichen Kunstlaut heraus. Freundlich gemeint, aber billig.

Die neue Ruhe hält eine ganze Weile, ich denke an den Orkan, was er draußen zum Schluss noch anstellen mag.

Einzig die Streberin wird aktiv, sie meldet sich mit einem Gong auf unser Hirn.

„Nochmal, was ich eben sagte“, erinnert sie uns mit energischer Stimme, lauter und penetrierender in der Tonlage als eben. Meine frühere Lateinlehrerin klang auch so und hatte wie die Frau hier etwas von einer überengagierten Sympathiebremse.

„Vielleicht möchte uns Friederike mit ihrem Sturm etwas mitteilen?“

Ihr kreisender Kopf versucht sich an den Blicken der anderen festzumachen, findet aber niemanden, der sich ihrer erbarmt. Trotzdem buhlt sie weiter um Aufmerksamkeit. Ihr brennt auf der Seele uns erzählen zu müssen, dass in dem Sturm Menschen zu Tode gekommen wären und zukünftig noch mehr ihr Leben lassen müssten. Allein bis jetzt hätte dieser Orkan schon eine Milliarde Euro Schaden angerichtet, die Natur würde sich die Menschen zu ihrer Geisel machen.

Ja stimmt, aber wissen wir. Von einigen erntet sie wenigstens ein Achselzucken, ansonsten Stille. Bis der Mann mit dem umgebauten Handwagen an ihre Bemerkung anknüpft.

„Außerdem hat ein Orkan das Erinnerungsstück an meinen Opa und Urgroßopa zerstört.“

Ach, jetzt klärt sich der Sinn seiner Geschichte auf.

„Eine kräftige Böe, der Anhänger hat noch versucht, sich an einen Zaunpfahl zu krallen. Keine Chance, der Wind war stärker und drückte ihn tief den Hang hinunter.“

Kurze Atempause, er versucht, bereits nach außen getretene Tränen zurückzudrücken. Gelingt ihm nicht, der Lidschlag verteilt die Flüssigkeit wie ein Scheibenwischer über die gesamte Augenfläche, sie bekommen einen spiegelnden Glanz.

„Seine Reste lagen weit verstreut, die meisten Teile habe ich wiedergefunden, nur leider alles beschädigt, an Reparieren war nicht mehr zu denken.“ Er richtet seinen Blick zur Saunadecke hoch.

„Bestimmt hatte mein Opa oben im Himmel versucht, den Sturm davon abzuhalten, mir den Anhänger zu stehlen. Bestimmt hatte er das gemacht!“

Das mit viel Leben gefüllte Erinnerungsstück ist zu seinem Seelenfresser geworden. Eine Wolke voller Traurigkeit erfüllt unseren Schwitzraum. Sinnierend schüttelt er seinen Kopf, es sind nur leichte Bewegungen, die Augenfalten zeigen sich als tiefe Krater.

In dieser gemütsschwangeren Atmosphäre erhebt sich die natürlich hübsche Streberin, ein charismatisches Lächeln in ihren Augen tastet sich durch unsere Gesichter.

„Ich heiße übrigens Friederike.“

Mit zwei geheimnisvoll schwebenden Schritten wendet sie sich der Tür zu, drückt sie auf, verharrt kurz im Türrahmen und schickt ein Betroffenheitslächeln nach.

Ein leichter Windstoß durch die schnell zugezogene Tür, tragende Stille, für Sekunden bekommt die Sauna einen andächtigen Gottesdienstcharme. Bis der Finnisch-Professor mit feixenden Körperbewegungen reagiert, wie ein alternder Pampersrocker.

„Wow, Myrsky, echt? Ganz allein hast du den ganzen Wetterterror organisiert?“

Ohja, Alcatraz wurde bestimmt für Menschen wie ihn gebaut. Hoffnungslos viel Natur drum herum.

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