Kitabı oku: «Om mani padme hum», sayfa 5

Yazı tipi:

5.
DER KAMPF UM DEN REISEPASS

»Der Generalgouverneur«, so lese ich in meinen Reiseaufzeichnungen über Tihwa, »ähnelt Li-hung-tschang. Er ist sehr schlau und energisch, doch lebt er nicht ohne Grund in ständiger Furcht vor Attentaten. Sein Jamen ist hermetisch abgeschlossen. Der rücksichtslose, in seiner Art zweifellos bedeutende Machtmensch ist weder in Peking noch hier bei der Bevölkerung beliebt.« –

Jetzt, etwa ein halbes Jahr nach meiner Heimkehr, erreicht mich die Nachricht, dass dieser Generalgouverneur oder Vizekönig in der Tat ermordet worden ist!

Ich will hier den Ereignissen vorgreifen und von seinem plötzlichen Tod berichten. Pater Veldman erzählte mir bei seinem vorübergehenden Aufenthalt in Europa, wie sich das Attentat auf den Generalgouverneur, den »Dudewin«, abgespielt haben soll. Gelegentlich eines Diners, das ihm zu Ehren gegeben wurde, fand er den Tod. Auch die katholischen Missionare waren geladen, durch amtliche Pflichten aber am Erscheinen verhindert. Unter den Ministern hatte sich eine Verschwörung gebildet mit dem Ziel, den Generalgouverneur bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Im Komplott soll auch mein Freund, der Fan Dao-tai, gewesen sein. Das Bankett war in vollem Gange. Die Dienerschaft hielt unter ihren Servietten geladene Revolver. Dem misstrauischen Generalgouverneur fiel die eigentümliche Haltung der Diener auf, und er entdeckte tatsächlich das Attentat vorzeitig. Sofort stand er auf und wollte hinaus, um seinen Mantel zu holen. Aber in demselben Augenblick knallten auch schon die Schüsse. Er stürzte blutüberströmt zu Boden. Der tapfere Chef seiner Leibgarde, der sich zwischen die Schützen und seinen Herrn gestellt hatte, fing die letzten Geschosse auf. Der Dudewin starb. Peking hatte nach Eintreffen der Nachricht den Fan Dao-tai sofort zum Nachfolger des toten Generalgouverneurs ernannt. Als sich Fan Dao-tai nun zum Jamen begab, um die Amtssiegel an sich zu nehmen, wurde er vom Sekretär des getöteten Generalgouverneurs gefangengesetzt. Das gleiche Schicksal fand seine Tochter. Der Sekretär riss die Herrschaft an sich, ließ zunächst sämtliche Beamten und Diener Fan Dao-tais hinrichten und endlich vor den Augen des Vaters auch dessen Tochter töten. Beide wurden zum »Ling-schi« verurteilt, d. h. sie wurden bei lebendigem Leib in 10 000 Stücke zerschnitten. Nur ein Beamter Fan Dao-tais blieb am Leben: Joseph, der Geheimpolizist, ein Katholik.

Mit eigentümlich gemischten Gefühlen muss ich an meinen Aufenthalt in Tihwa zurückdenken. Ich lernte ihn sehr gut kennen, diesen »Dudewin«, in angenehmer und auch in anderer Weise. Er war unbedingt eine höchst interessante Persönlichkeit, wie sie allerdings in solch mittelalterlichem Typus heute wohl nur noch im »Reich der Mitte« denkbar ist.

Inmitten eines herrlichen Parks mit hohen uralten Bäumen lag seine prächtige Sommervilla am schattigen Ufer des Flusses. Reich gefüllte Ställe, Dienerwohnungen, Garten, Lustboot: Nichts fehlte, was zum Besitz eines großen Herrn gehört. Schon bei Lebzeiten hatte er für ein ansehnliches Denkmal gesorgt. Die »dankbare« Kaufmannschaft der Provinz Sinkiang hatte es ihm errichtet, »in der Furcht des Herrn«.

Von Peking aus hatte man ihn mehr als einmal abgesetzt. Aber er pfiff auf die Dekrete der »Zentralregierung«. Er hatte die Macht und hielt sie fest!

Man sagte ihm, ich weiß nicht mit welchem Recht, Aussaugen der Bevölkerung und willkürliche Justiz gegen die Mohammedaner nach.

Im Jahr 1924, also zwei Jahre vor meiner Anwesenheit, soll er einen alten Dunganen4 mit Generalvollmacht nach Kaschgar gesandt haben, um den dortigen chinesischen Gouverneur, der ihm zu mächtig geworden war, zu ermorden. Der Dungane führte nach den Erzählungen den Auftrag auch aus. Zum Dank soll der Generalgouverneur den Mörder nach der Rückkehr eigenhändig niedergeschossen haben, und zwar bei einem ihm zu Ehren gegebenen Gastmahl. Außerdem habe der Machthaber das Vermögen, das der alte Dungane zusammengerafft hatte, konfisziert ...

Mir wurde bald nach meiner Ankunft mitgeteilt, dass auch ich demnächst der Gast dieses Vizekönigs sein solle. Man kann sich vorstellen, mit welchen Empfindungen ich das vernahm.

Um dieselbe Zeit erzählte man mir auch noch eine andere schöne Bankettgeschichte von demselben hohen Gastgeber. Er hatte, ein paar Jahre zuvor, sieben Personen, die ihm unbequem wurden, zum festlichen Mahl geladen. Bei Tisch stand hinter jedem dieser Gäste ein Soldat mit gezücktem Schwert. Auf ein Zeichen ihres Herrn schlugen die Soldaten – so versicherte man mir – den ahnungslosen Gästen die Köpfe ab!

Ich blieb immerhin gefasst. Ich sah keinen rechten Grund, weshalb der Vizekönig bei mir dasselbe radikale Verfahren hätte anwenden sollen. Ich hoffte sogar, ganz leidlich mit ihm auszukommen.

Es wurde behauptet, dass der russische Generalkonsul zuweilen seinen Einfluss geltend mache. Dies war umso leichter, als ein namhafter Teil der in Tihwa ansässigen Mohammedaner damals mit Russland sympathisierte. Waren doch schon vor drei Jahren die Kirgisen und gesinnungsverwandte Stämme im Gebiet Sinkiangs, von den Russen aufgewiegelt, bereit gewesen, sich gegen die chinesische Herrschaft aufzulehnen. In letzter Stunde wurden die chinesischen Behörden von der Putschabsicht informiert und von diesen Gegenmaßnahmen getroffen.

Gerade in der Gegend Kaschgar gärte es ununterbrochen. Der Generalgouverneur hatte deshalb zur Vorsicht über sein Reich den Belagerungszustand verhängt.

Die Untersuchung meines Gepäcks war inzwischen im Auftrag des Generalgouverneurs und auf Befehl des Dao-tai, der zugleich Chef des Fremdenamtes und erster Berater des Generalgouverneurs war, von dem Englisch und Russisch sprechenden Mitglied der geheimen politischen Polizei, »Joseph«, vorgenommen worden.

Da Joseph den Zweck meiner Instrumente kannte, wurden sie für unbedenklich erklärt. Joseph war ein Kollege Burkhan Effendis, eines Tataren, der beim Generalgouverneur die Stellung eines Privatsekretärs bekleidete. Der Chauffeur des Gewaltigen war übrigens ein Deutscher namens Schmidt. Er musste seinen Herrn und dessen Sohn fast täglich in der Umgebung der Stadt spazieren fahren.

Beim Dao-tai Fan wurde ich sehr liebenswürdig aufgenommen. Seine Wohnung ist ganz europäisch eingerichtet; saubere, hohe Zimmer. Fan, ein schmächtiger Mann mit klugen listigen Augen, spärlichem, schwarzem Haar, Glatze und borstigem Schnurrbart, behandelte mich sehr verbindlich; er gilt als gewandter Diplomat, der zwölf Jahre in Japan gelebt und dort Jurisprudenz studiert hat. Wir waren bald gute Freunde. Fan half mir in Tihwa manche Schwierigkeit zu überwinden. Er förderte bereitwillig meine umfangreichen Messungen in der Nähe der Stadt.

In Tihwa haben die Engländer übrigens eine sehr starke Sendestation mit drei hohen Stahlmasten und einem geräumigen Senderaum erbaut. Dieses Institut steht mit der Schwesterstation in Kaschgar in ständiger Verbindung und kann unter anderem auch täglich von der indischen Festung Peschauer Zeitsignale in Empfang nehmen. Aber auch mit Peking ist der Verkehr recht lebhaft.

Mein neuer Freund Fan brachte mich zum Generalgouverneur, einem stattlichen Chinesen mit sehr großem, klugem und breitem Gesicht, weißem Haar, Schnurrbart und Spitzbart. Seine durchdringenden Augen verrieten jedoch nichts von seiner Energie. Seine Bewegungen waren gemessen und mit Würde gepaart. Er sprach langsam, das Wichtige deutlich hervorhebend. Er konnte aber auch sehr temperamentvoll werden, ein glänzender Redner und weltgewandter Wirt. Wir saßen zwei Stunden beieinander, sprachen über mein Reisegepäck, meine Messpläne, den Bolschewismus, über Fabriken und die Arbeiterfrage, den deutschen Reichspräsidenten, die Judenfrage, die Christenfrage, die Mohammedaner. Die Bolschewiken verglich er mit einem widerspenstigen, sich bäumenden Pferd, dessen Kraftüberschuss durch Trense und Kandare gebändigt werden müsse. Religion und Politik behandelte der Gouverneur in einem Atem. Es erschien ihm ganz unverständlich, dass die Christen – Katholiken und Protestanten – wegen religiöser Meinungsverschiedenheiten einander befehden.

Meine nächsten Besuche gelten dem italienischen Postmeister Cavalieri und Herrn Feldmann, dem Direktor der Russisch-Asiatischen Bank. Direktor Feldmann hatte Besuch aus Kaschgar. Es handelte sich um die Familie Roerich, Vater, Mutter und Sohn. Sie wollten ursprünglich nach Kansu weiterreisen. Der Generalgouverneur verweigerte ihnen jedoch den Pass. Sie sollten nun nach Tschugutschak in der Sowjetunion abgeschoben werden. Roerich, ein bedeutender Bildhauer, war russischer Staatsangehöriger, wanderte mit seiner Familie dann aber nach Amerika aus und lebte zuletzt in Paris. Er erzählte uns, dass ihm die Vereinigten Staaten eine Million Dollar zu einer Kunstreise in Asien angewiesen hätten.

Tags darauf besuche ich den Generalkonsul der Sowjetunion. Er steht im besten Mannesalter und kommt aus alter Schule. Dieser allgemein beliebte und angesehene Mann erbot sich, meine astronomisch-magnetischen Messungen mit Kurier über Moskau nach dem Zentralobservatorium Leningrad zu senden. Leider sind auf diesem Weg die Messungen von zwölf Stationen verlorengegangen. Es darf im Interesse der Wissenschaft erwartet werden, dass alles geschieht, um das Fehlende wieder herbeizuschaffen.

Auch den beiden ansässigen Ärzten, Pedaschenko und Dr. Eichtmeyer, die als russische Emigranten hier leben, stellte ich mich vor. Sie dürfen als die »Elite« der Emigranten bezeichnet werden. Die übrigen Herrschaften dieser Gattung, mit wenigen Ausnahmen, kommen als Umgang nicht in Betracht. Der Chinese begegnet ihnen mit Verachtung. Er sieht in ihnen arbeitsscheue und lästige Bittsteller, die er sich gern vom Halse hält und denen er alles zu bieten wagt. Damit ist aber zugleich seine einstige Achtung vor den Vertretern der westeuropäischen Kultur gesunken. In seiner Verallgemeinerung macht er nun überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen »Europäern« und »Emigranten«. Alle Weißen wirft er in einen Topf. Natürlich leidet jeder Fremde unter dieser Einstellung, in erster Linie aber der europäische Forscher, auf den die Missachtung übertragen wird.

Der Generalgouverneur lässt mich um Darlegung meines Expeditionsprogramms bitten, das ich ihm sogleich übersende.

Die Luft am Hof des gestrengen Herrn wird sehr dick. Ein verdächtiges Mitglied der Emigrantenschar, der Lehrer des Gouverneurssohnes, intrigiert heimlich gegen mich. Sein Hass ist nicht persönlich. Er steht bei der katholischen Mission in üblem Ruf. Da ich nun von dieser Seite alle nur denkbare Förderung erfahre, sucht er mich zu verdächtigen und meine Kreise zu stören. Seine Einflüsterungen fallen auf guten Boden; denn bald erfahre ich, dass man mich als »lästigen Ausländer« nach Sowjetrussland abschieben will. Diesen Schlag pariere ich sofort und bleibe schließlich Sieger.

Am 13. Mai bin ich Gast im Palast des Generalgouverneurs. Der Empfang ist formvollendet. Der Posten tritt ins Gewehr. Man gibt mir den Ehrenplatz an der Tafel. Das Diner ist ausgezeichnet. Der Schampus fließt in Strömen. Auch hier im Herzen Asiens versteht man zu leben. Trotz alles äußeren Gepränges bleibt die Haltung des Gastgebers mir gegenüber kühl und gemessen. Das macht keinen tieferen Eindruck auf mich. Ich kenne die Söhne des Reiches der Mitte zu genau. Im Verkehr mit ihnen muss man die Zeit arbeiten lassen. Das asiatische »Schnell, aber langsam!« habe ich nun zur Genüge erprobt. Je mehr Misstrauen mir entgegenweht, umso liebenswürdiger, höflicher und – harmloser gebe ich mich.

Am Tag nach dem Fest führe ich in der Nähe der Telefunkenstation meine Messungen aus. Ein kleines Intermezzo: Die Pferde eines offenen Personenwagens scheuen. Der Wagen kippt um. Ein älterer Chinese und ein achtjähriges Mädchen kommen zu Fall. Die Kleine verwundet sich bei dem Sturz am Fuß. Mit Pater Veldman zusammen bringen wir sie zur katholischen Mission, und dort verbinde ich sie. Nun stellt sich heraus, dass die Kleine eine Nichte des Generalgouverneurs ist. Ihr Vater, der bei dem Unfall heil davonkam, ist dessen Bruder und der Leiter der fünf Kilometer entfernten Munitionsfabrik, die vor langen Jahren von Deutschen eingerichtet worden ist. Das Mädchen besuchte mich nun fast täglich. Dieser Zwischenfall brachte mir insofern einen wesentlichen Vorteil, als sich die ganze Familie der Kleinen in ihrer Dankbarkeit für meine Hilfsbereitschaft nicht genug tun konnte. Durch diese zufälligen Beziehungen gestaltete sich mein Verhältnis zum Generalgouverneur allmählich angenehmer.

Am Nachmittag besah ich mir einen chinesischen Tempel, der mehrere große, reich bemalte Höfe hatte. In dem einen der Höfe waren zwei Räume eingebaut mit vielen Figuren, Symbolen der Höllenstrafen. Die »Plastiken« waren aus bemaltem Lehm geformt. Auch leere und besetzte Särge standen in großer Zahl umher.

Am folgenden Tag besuchte ich den Engländer Mr. Hunter, den Leiter der China-Inland-Mission. Schon vor 22 Jahren hatte ich ihn in Sining-fu im Hause meines opferfreudigen englischen Freundes, des Herrn Ridley, kennengelernt. Hunter ist ein ausgezeichneter Kenner des Islams. Er warnte mich, auf meiner Weiterreise Kansu zu berühren.

In Tihwa ist neben anderen auch ein Deutscher ansässig. Er heißt Zug und betreibt eine Darmschlemmerei. Bereits seit zehn Jahren lebt er in China und ist ein hervorragender Vertreter des Deutschtums in Asien. Neben seinem Handwerk versteht er die Chinesen richtig und mit Takt zu behandeln, was leider nicht von allen Landsleuten behauptet werden kann, die einem auf fremder Erde begegnen.

Auch in Asien wohnt das Glück. So habe ich heute meine Taschenuhr, die ich gestern verlor, wiedergefunden!

Die nächsten Tage sind ausschließlich magnetischen Messungen gewidmet. Der Geheimpolizist Joseph bringt mir eine unerfreuliche Neuigkeit. Der Generalgouverneur hat mein Gesuch um Weiterreise kategorisch abgelehnt. Am Nachmittag bestätigt sich die Hiobspost. Fan Dao-tai erscheint persönlich. Er begründet die Ablehnung des Gouverneurs mit dem unsicheren Zustand im Osten und fügt liebenswürdig hinzu, man wolle mich vor allen Dingen vor Gefahren schützen. In dieser kritischen Stunde erwächst mir im italienischen Postmeister Cavalieri ein warmherziger Fürsprecher, der persönlich beim Generalgouverneur für mich wirkt.

Am 22. Mai laufen tatsächlich bedenkliche Nachrichten von Raubüberfällen auf der Strecke Dschin-huo–Sairam-nor–Tihwa ein. Eine von 18 Moslems geführte Warenkarawane ist überfallen worden. Die Räuberbande, etwa 25 Kirgisen, war ausgezeichnet bewaffnet, begnügte sich aber mit dem Diebstahl sämtlicher Pferde. Die Waren blieben unberührt. Cavalieri setzt seine diplomatischen Bemühungen in meinem Interesse fort. Er entwirft zwei Briefe, einen an den Generalgouverneur, einen zweiten an Fan Dao-tai.

Gleichzeitig bringe ich nachstehende Depesche an die Deutsche Gesandtschaft in Peking zur Absendung:

»Weiterreise Kansu möglich, wenn das Zentralgouvernement der Chinesischen Republik amtliche Versicherung erhält, dass meine Expedition wissenschaftliche und keine anderen Ziele verfolgt. Eure Exzellenz bitte ich ehrerbietigst und herzlich, mir und der Wissenschaft diese Hilfe zu gewahren. Filchner, Katholische Mission.«

Am 23. Mai teilt mir der Geheimpolizist Joseph mit, dass die Erlaubnis zur Weiterreise nicht mehr lange ausbleiben werde. Am 26. Mai konferiert Cavalieri stundenlang mit Fan Dao-tai. Drei Tage nachher bestürmt er Fan Dao-tai und Joseph wiederum eindringlich, um meiner Sache zu dienen. Dann stellt er an mich die Schicksalsfrage: »Was gedenken Sie zu tun, wenn man Sie über Tschugutschak abschieben will?« Ich erwidere: »Ich würde mit der sibirischen Bahn nach Peking reisen und von dort über Schanghai nach Lantschou fahren.« Mit dieser Antwort wollte ich dem Generalgouverneur die Sinne schärfen. Ich wusste genau, dass es ihm gegen den Strich ging, wenn ich von hier auf dem nächsten Wege nach Lantschou reiste, weil er befürchtete, ich würde von dort nach Peking weiterfahren. Er will mir nämlich noch immer nicht glauben, dass ich von Lantschou aus die Route westwärts nehmen will, nach Kaschgar oder Kaschmir.

Am 30. Mai scheint es im Palast des Generalgouverneurs sehr stürmisch hergegangen zu sein. Die höheren Beamten sind über die Willkür des Machthabers empört und billigen seine Maßnahmen nicht. Selbst dem Dao-tai, der einen Pass nach dem Osten verlangt, wird sein Gesuch vom Generalgouverneur abgeschlagen. Überall herrscht Auflehnung gegen seine Tyrannei. Man munkelt von seinem baldigen Sturz. Auch im Volk gärt es.

Joseph sucht meinen Unmut zu dämpfen. Er versichert, dass nicht das Geringste gegen mich vorliege. »Im Gegenteil«, sagte er, »man schätzt Sie und hält Sie für einen ehrlichen Mann, der mit den Chinesen sehr gut fertig wird. Der Dao-tai und alle Minister stehen auf Ihrer Seite.«

Josephs wohlgemeinten Rat, sofort funktelegraphisch in Kaschgar beim englischen Konsul anzufragen, ob er mich unter seinen Schutz nehmen wolle, lehnte ich ab, mit dem Hinweis, dass ein deutscher Konsul in Tientsin existiere. Der Trost war schwach, aber schließlich hätte ich die Heimatbehörde doch nicht schneiden können!

Es wird endlich vereinbart, dass Pater Veldman und der hilfreiche Cavalieri anderentags mit dem Dao-tai konferieren. Man weiß genau, dass ich politisch durchaus unverdächtig bin. Der Dao-tai will meinetwegen beim Generalgouverneur sogar schweres Geschütz auffahren. Mitten in all den unerquicklichen Verhandlungen erreicht mich die erfreuliche Nachricht, dass von der Filmfabrik Wolfen am 8. Mai weitere 10 000 Meter Film nach Tientsin auf den Weg gebracht wurden.

31. Mai. Zweistündige Konferenz beim Dao-tai. Er übt scharfe Kritik am Generalgouverneur und deutet bekräftigend mit dem Finger nach der Stirn. Schließlich schlägt er vor, mit ihm gemeinsam sofort zum Generalgouverneur zu gehen und diesem noch einmal die Versicherung zu geben, dass Peking für mich überhaupt nicht in Betracht komme, sondern nur ein Westmarsch von Lantschou aus. Der Dao-tai ist empört und sagt wörtlich: »Es ist ungeheuerlich, Sie, den Gelehrten, nicht ziehen lassen zu wollen!«

Um ein Uhr Audienz beim Gouverneur in Gegenwart des Dao-tai. Einstündige Unterredung. Der Gouverneur operiert mit seiner Nachricht aus Kansu. Dort seien schwere Unruhen ausgebrochen. Er wolle mich nicht in Gefahr bringen! Pater Veldman behauptet das Gegenteil und versichert, er habe Berichte von seinen Missionsbrüdern aus Kansu, dass es dort ganz ruhig sei. Außerdem fügt er hinzu, wolle ich ja überhaupt nicht nach Lantschou, sondern nach Sining-fu. Der Generalgouverneur bittet mich nach langen, fruchtlosen Debatten, mich noch etwas zu gedulden. Das Eis scheint langsam zu brechen! Geduld ist aller Schmerzen Arznei!

1. Juni. Telegraphische Anfrage in Kuldscha und Taschkent nach dem Verbleib des mir von Potsdam nachgesandten Instruments.

Soeben erscheinen zwei chinesische Kriminalbeamte, um vier Photographien von mir für den chinesischen Pass zu erbitten. Gute Auspizien. Gleichzeitig erbittet der Direktor der Munitionsfabrik, der Bruder des Gewaltigen, meinen Besuch. Ich lehne ab, um beim Generalgouverneur kein neues Misstrauen zu erregen. Der Direktor der Munitionsfabrik antwortet: »Ich bürge bei meinem Bruder für Sie.« Seine kleine kranke Tochter kann in ihrer Dankbarkeit gegen mich nicht genug tun. Dudewin feiert den 30. Geburtstag seines ältesten Sohnes. Da er ihn gern als Konsul nach der Sowjetunion schicken möchte, ist das Generalkonsulat der Sowjetunion zu einer Feier eingeladen.

2. Juni. Vormittags starke Leibschmerzen: die ersten Anzeichen eines beginnenden Gallensteinleidens. Aus Manaß treffen von Pater Hilbrenner 2000 Lan ein. Endlich habe ich wieder Geld. Ohne die Steyler Mission hätte ich schon in Tihwa die Zelte abbrechen müssen. Ich bitte um Hilbrenners Besuch in Tihwa. Vielleicht gelingt es seiner Verhandlungskunst, den Generalgouverneur zu bestimmen, mir die Pässe für die Weiterreise auszuhändigen. Dieser treue Mann kommt sofort. Am ersten Tag legt er 120 Kilometer zu Pferde zurück. Bald nach seiner Ankunft, am 5. Juni, wird er mit mir vom Dao-tai empfangen. Da höre ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, dass man mich anklagt:

1. die Grenze Chinas ohne chinesischen Reisepass überschritten zu haben;

2. in China Messungen ohne Erlaubnis ausgeführt zu haben, da weder mein deutscher Pass noch das Empfehlungsschreiben des Generalkonsuls von Tientsin solche Arbeiten erwähnt,

3. außerdem fehle meinem chinesischen Reisepass das Visum des Chinesischen Auswärtigen Amtes in Peking,

4. sei weder die chinesische Grenzstelle in Chorgos noch Tihwa von meiner Ankunft benachrichtigt worden.

Ich antworte: »Aufgrund dieser Vorgänge hätte mich ja der Generalgouverneur glatt einsperren können!«

Der Dao-tai nickt vielsagend.

Dann fahre ich fort: »Es ist also ein besonders großes Entgegenkommen des Generalgouverneurs, wenn er mich trotz dieser Verstöße, die man mir zur Last legt, so wohlwollend behandelt und aufgenommen hat!«

Der Dao-tai stimmt zu. Ich schließe: »Unter diesen Verhältnissen bin ich dem Gouverneur für seine mir bisher erwiesene Güte doppelt dankbar.«

Der Dao-tai meint dann, ich möge mich nur noch einige Tage gedulden; er werde noch einmal persönlich für mich eintreten und hoffe, mir bald das Jawort zu bringen.

Einige Stunden später schickt mir der Dao-tai seine Photographie mit einer freundlichen Widmung. Ich danke und beteuere außerdem, dass ich für alles, was mir zustoßen könne, auf jeden Schadenersatz von chinesischer Seite verzichte und dass ich selbst jede Verantwortung trage.

Schließlich benachrichtige ich den Dao-tai, dass ich ihn, den Generalgouverneur und alle seine Minister demnächst bei mir zu einem Festessen zu begrüßen hoffe. Das ist der einzige Weg, um rasch zum Ziel zu kommen.

Am Abend des 5. Juni erwachte ich mit wahnsinnigen Leibschmerzen. Ich konnte nicht mehr liegen, so hatte ich zu leiden. Beick und die Missionare kamen augenblicklich. Man legte mir heiße Kompressen auf den Leib. Bald stellte sich schweres Erbrechen ein. Wie ich später erfahren sollte, war das der erste Gallensteinanfall!

Am 6. Juni kommt Joseph mit der Freudenbotschaft, dass der Pass in ein paar Tagen da sein werde! – Vielleicht, vielleicht auch nicht! Ärztekonferenz wegen meines Leidens. Die Diagnose schwankt zwischen Gallensteinkolik und Leberkrankheit.

Vormittags mache ich trotz meiner Anfälligkeit mit Pater Hilbrenner Besuche bei folgenden Ministern: Ji-tschin-tschang, dem Chef des Geheimen Kabinetts des Generalgouverneurs, Siü-tschin- tschang, dem Finanzminister, Liu-tschin-tschang, dem Kultusminister, Jen-tschin-tschang, dem Ackerbauminister, und Wu-tschin-tschang, dem Telegraphendirektor.

Mein Freund Cavalieri benachrichtigt mich, dass der Generalgouverneur mir die Erlaubnis verweigert, die Zeitsignale von Peschauer aufzunehmen. Niemand hat Zutritt zu dem Empfangsraum. Der Tyrann trägt den Schlüssel in seiner Tasche!

In der Missionsstation gibt es eine Abwechslung mit humoristischem Einschlag. Pater Veldman wird von Zahnweh geplagt; eine goldene Zahnbrücke ist gebrochen. Während der Nacht spielt der Missionshund mit dem künstlichen Gebiss seines Herrn und bricht noch einige Zähne aus!

Trost im Leid: Meine Passangelegenheit soll günstig stehen!

Ich verfüge jetzt ungefähr über 1000 Lan zur Reise nach Kansu. Meine bisherigen Auslagen von 600 Lan wollen mir die beiden gütigen Missionare Hilbrenner und Veldman stunden. Sie erklären sich sogar bereit, mir weitere Geldmittel vorzuschießen.

Der Geheimpolizist Joseph verriet mir des Gouverneurs Besorgnisse. Der Allmächtige glaubt nämlich, so orakelte Joseph, dass Deutschland und die Sowjetunion gemeinsame Sache machen. Da nun Sinkiang zwischen dem Gebiet der Sowjetunion und dem bolschewistisch eingestellten Kansu liege, sei es nicht unwahrscheinlich, dass Deutschland in Sinkiang in bolschewistenfreundlichem Sinne wirken wolle! – Ich war also nach der allerhöchsten Ansicht der Hund im Kegelschub!

Am 10. Juni gab ich Auftrag nach Tientsin, die fünf Kisten der für mich aus Deutschland eintreffenden Negativfilme ungeöffnet an die katholische Mission in Yen-tschou-fu in Schantung zu senden mit der Bitte, diese bei nächster Gelegenheit unter sicherem Geleit an die katholische Mission in Lantschou weiterzugeben.

Es war ein Kommen und Gehen in meinem Quartier. So erschien u.a. ein Geheimpolizist, der Angaben über die Anzahl meiner Wagen, Pferde, Apparate, Gepäckstücke und Waffen erbat. Sie müssten in meinem Pass aufgeführt werden, den ich ganz sicher am nächsten Tag erhalten würde.

12. Juni. Das Orakel versagte auch diesmal.

13. Juni. Zu meinem Schrecken erfahre ich nun, dass der Generalgouverneur den Pass wiederum abgelehnt hat. Ich schreibe sogleich drei Briefe: einen an das Auswärtige Amt in Berlin, den zweiten an den Deutschen Generalkonsul in Tientsin und den dritten an meinen Generalbevollmächtigten in Berlin.

Die neuerliche Passverweigerung soll, wie man mir sagt, darauf zurückzuführen sein, dass tags zuvor ein deutsches Unternehmen ohne ausdrückliche Genehmigung des Generalgouverneurs in Sowjethände übergegangen sei. Mit dieser Transaktion bringt man mich in Verbindung. Ich führe den Nachweis, dass ich diesen Dingen durchaus fernstehe!

Vorläufig lässt mir der Gouverneur die wenig erbauliche Mitteilung machen, dass ich auf acht bis zehn Tage ruhig verreisen könne. Dann sei es ja noch immer früh genug, in meiner Passangelegenheit weitere Schritte zu unternehmen. Das waren also wieder recht nette Aussichten!

Meine Geduld war nun wirklich zu Ende. Ich musste jetzt taktisch vorgehen. Statt einer Antwort lud ich die hohen Herren zu einem festlichen Diner ein. Sämtliche Minister sagten zu, auch der Höchstgebietende. Dieser entstieg im Gehrock unter starker militärischer Eskorte einer eleganten europäischen Kutsche. Die Minister erschienen sämtlich im Festgewand. So waren wir zu achtzehn Personen. Es wurden sehr freundliche Reden gehalten, und während des Diners überreichte mir der Außenminister feierlich den langersehnten Pass. Das war mein Lohn für alle Geduld und alle Kämpfe.

Nun ging alles wie am Schnürchen. Die nächsten Tage waren den Vorbereitungen zur Weiterreise gewidmet. Ich machte beim Generalgouverneur sowie bei allen Ministern einen Abschiedsbesuch und wurde schließlich noch zu einem äußerst prunkvollen und luxuriösen Festmahl im Sommerpalast des Generalgouverneurs eingeladen. Diesem Diner wohnten sämtliche Abgeordnete bei, insgesamt wohl 100 Gäste.

Der Generalgouverneur wollte mir absichtlich vor allem Volk ein ganz »großes Gesicht« geben.

Als ich dann mit meinen beiden Wagen Tihwa, das mich fast sechs Wochen in seinen Mauern festgehalten hatte, entrann, gab mir der Außenminister sogar persönlich das Geleit, und allerseits wurden mir Ehrerbietung und Achtung entgegengebracht.

4 Dieser war ein Bruder des mohammedanischen Generals Ma in Sining, des chinesischen Amban von Tibet. Der Generalgouverneur von Sinkiang hatte stets Angst vor diesem General, und deshalb frohlockte er, als bald darauf die Tibeter den General Ma und dessen Truppen in die Flucht geschlagen hatten. Später ist es Ma übrigens gelungen, die Tibeter entscheidend aufs Haupt zu schlagen, und erst vor Kurzem stand er auf dem Gipfel seiner Macht.

₺726,36