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Kitabı oku: «Aus der Praxis», sayfa 6

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VI. Kapitel

Die beiden Ehegatten lebten schweigsam nebeneinander hin. Paul besaß immer noch nicht den Mut, sein Weib unumwunden nach dem Grunde ihrer Zurückhaltung zu fragen; es hielt ihn, er wusste selbst nicht was, davon ab. Emma, müssen wir gestehen, empfand unwillkürlich eine Art Hochachtung vor diesem ruhigen, männlichen Unterdrücken einer, wie sie doch an tausend Kleinigkeiten bemerkte, heftigen Neigung; sie rechnete es ihm hoch an, wenn er durch einen ihrer Blicke dazu bewogen, darauf verzichtete, seine Zärtlichkeit tatsächlich zu beweisen, und fühlte Mitleid mit dem gedrückt durch den Park wandelnden Einsamen. Manchmal, besonders bei gemeinsamen Mahlzeiten, versuchte er sie anzureden und auf ihre seltsame abweisende Stimmung anzuspielen; dann geschah dies jedoch mit solcher inniger Zartheit, solch’ lauterer Gemütstiefe, dass es ihr oft grausam erschien, ihm auszuweichen, und das Erbleichen seines Gesichtes, das sich alsdann regelmäßig in erschreckender Weise einstellte, erzeugte ihr oft eine nervös peinliche Stimmung.

Paul hatte sein Bild begonnen; sie kümmerte sich, so lange er daran malte, nicht um die Arbeit, betrachtete dieselbe jedoch zuweilen, wenn er gerade abwesend war. Einmal trat er, als sie vor dem Bilde stand, unvermutet in das Atelier, das er sich neben dem Gewächshause eingerichtet.

»Gefällt es dir«, frug er schüchtern.

»O, so ziemlich«, sagte sie gedehnt.

»Nur ziemlich?« frug er, »sprich doch gerade aus, was dir nicht daran gefällt.«

Sie schwieg.

Endlich, nachdem sie eine gewisse Verlegenheit unterdrückt, begann sie:

»Antigones Abschied vom Leben erscheint mir zu christlich-sentimental.« Dann fügte sie lebhafter werdend hinzu: »Man müsste der Griechin deutlicher ansehen, dass sie keine Madonna ist, die auf himmlische Freuden hofft, sondern, dass sie genau weiß – der Nachen Charons erwartet mich, die dumpfe trübe Unterwelt…«

Paul nickte mit dem Kopf.

»Du verstehst mehr davon als ich dachte«, sagte er in seiner kindlichen Weise.

Emma, deren Kunstverständnis lebhafter erwachte, trat näher, errötete ein wenig und, sich ganz in das Werk vertiefend, fuhr sie fort:

»Auch müsste sie den Altar krampfhafter umklammern! Bedenke doch nur, wie lieb ihr das Leben ist, wie anhaltend, wie rührend sie klagt, da sie aufgefordert wird, endlich zu folgen – das sind prächtige Worte, die sie hierbei vernehmen lässt —«

Sie ergriff das auf dem Stuhle liegende Buch, las begeistert einige Stellen dieser Szene vor und, sich mittelst ihrer lebhaften Phantasie völlig in den Moment hineinlebend, schritt sie auf den als Modell des Altars dienenden Tisch zu.

»Sieh!« rief sie, sich selbst vergessend, aus, »so habe ich mir ihre Stellung gedacht, hier die linke Hand, – da die rechte —«

»Bei Gott!« rief Paul unwillkürlich, als er ihre, jetzt plötzlich die höchste Todesangst ausdrückende Miene wahrnahm, »Bei Gott! Du hättest eine treffliche Schauspielerin abgegeben —«

Kaum war ihm dies bewundernde Wort entfahren, als sie auch wieder ruhig, als sei nichts geschehen, neben dem Tische stand, sich ein wenig ihrer enthusiastischen Kunstbegeisterung schämend.

»Nun, wenn man so viel Trübes erlebt hat wie ich,« sagte sie gelassen, gleichsam entschuldigend, »wird man doch wissen, wie es einer zum Sterben Geführten zu Mut ist —«

Sie rückte den als Altar dienenden Tisch zurecht und fühlte die brennenden Augen Pauls voll bewundernder Hingebung auf sich gerichtet, was sie seltsamer Weise diesmal ruhig, vielleicht sogar mit ein wenig Eitelkeit geschehen ließ. Bildete sie sich doch auf ihre ästhetisch-philosophische Erziehung etwas ein und hatte man ihr doch zugestanden, in ihren Briefen mache sich viel Phantasie, überhaupt schriftstellerisches Talent bemerkbar.

Nach einer Pause begann Paul zaghaft:

»Emma – weißt du was?«

»Wie?«

»Ich meine – ich habe so schlechte Hilfsmittel – mein Bild würde besser werden – wenn —«

»Was denn?« frug sie, ihn zweifelhaft anblickend.

Er neigte den Kopf.

»Wenn du mir«, sagte er leise, »einmal als Modell dienen wolltest —«

Sie lachte kurz vor sich hin.

»Mein Bild würde dadurch sehr gewinnen«, meinte er.

»Wir wollen sehen!« sagte sie und ging ihr Erröten zu verbergen, während er ihr traurig nachsah.

»Was sie nur haben mag, das seltsame Weib!« murmelte er, »ich begreife sie nicht.«

Indessen schien Emma, so oft er sie auch bat, sich nicht zum Modell hergeben zu wollen, und er erklärte ihr eines Tages, da sie gerade im Park beim Kaffee saßen: so werde er sich ein weibliches Modell suchen müssen; ohne Modell, das wisse sie, könne man nicht arbeiten. Sie las im Schopenhauer, sah indes nicht vom Buche auf.

»Tue das nur«, gab sie zur Antwort, ein Blatt umschlagend, ohne eine Miene zu verziehen. Er hustete ärgerlich, sah zu den hohen Baumwipfeln empor, die über dem eleganten Gartentisch rauschten, und dann, um ein wenig ihre Eifersucht herauszufordern und ihre Gemütsstimmung zu prüfen, begann er mit naivem Trotz von neuem:

»Ich habe eigentlich bereits ein Modell. Louise heißt das Mädchen, in der Tat ein sehr, sehr feines Gesicht.«

Er spielte nervös mit dem Kaffeelöffel, nahm Zucker aus der silbernen Vase und fuhr sich, da die Mittagssonne brannte, mit dem Taschentuch über die feuchte Stirne. Die Mittagshitze drang zwar nur gedämpft durch das grüne Blätterdach, dennoch belästigte sie heute den Erhitzten, der seines herrlichen Besitztums nicht recht froh werden konnte; fern glänzte das weiße, schlossartige Wohnhaus, in der Nähe rauschte eine Marmorfontäne. Er bemerkte, wie Emma den Kopf ein wenig vom Buch aufhob, wie ihre Schläfen, über die grünen Baumschatten zitterten, ein wenig pochten, doch, nachdem ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen gespielt, murmelte sie: »so, so« und beugte dann den Kopf herab.

»Das Mädchen pflegte mich einst während meiner Krankheit«, fuhr er fort, um sie zu reizen, »ich stehe sehr gut mit dem Kind. Sie ist wirklich zum Verlieben hübsch.«

Emma, die wohl fühlte wo er hinaus wollte, begann sich ein wenig zu ärgern, sie begnügte sich zu lächeln, dann sah sie vom Buch auf und, ihn mit erkünsteltem Mitleid anblickend, sagte sie ruhig, fast verächtlich:

»Du weißt, du bist dein eigner Herr, du hast Narrenfreiheit.«

Er hatte sich weit in den metallenen Gartenstuhl zurückgelehnt, jetzt ließ er sich rasch vorschnellen und lachte gezwungen.

»Ah, das ist ja eine bequeme Ehe«, warf er nervös zitternd hin, »ich danke dir, ich werde mir diese Freiheit zunutze machen.«

Nun schwiegen beide. Paul betrachtete die freie Stirne Emmas, die so graziös in das weiche Kinn auslief und, als ihr jetzt der Ärmel vom Arm zurückfiel, mit dem sie den Kopf stützte, flößte ihm diese rosige Rundung. die so geheimnisvoll weich im blauen Dunkel des Ärmels verschwand, eine unsäglich beengende, fast quälende Sehnsucht ein. Er hätte aufspringen mögen, um ihr zu Füßen zu stürzen, er hätte wenigstens die Formen dieses üppigen Arms küssen mögen.

»Emma!« rief er.

»Nun?«

Er stockte. Er wollte sie fragen, ob sie ihm denn gar nicht mehr gut sei, was denn zwischen sie und ihn getreten sei, aber die Kälte ihres Blicks hielt sein kindlich schüchternes Gemüt wie in Fesseln.

»Du darfst mir’s nicht übelnehmen,« sagte er stotternd und nicht ohne geheime Absicht, »ich muss – ich muss das Mädchen natürlich – ohne – nun ohne Gewand malen – du verstehst mich —«

»O ja – nackt, willst du sagen,« warf sie gähnend hin, nüchterne Gleichgültigkeit an den Tag legend. Er sah sie erstaunt an und bemerkte dann mit einer Art Schadenfreude, wie sie. nachdem sie jene Worte so nachlässig herausgestoßen, nachträglich mehr und mehr errötete, ja sie errötete so tief, dass er mit ihrer plötzlichen Verwirrung ordentlich Mitleid empfand.

Da der Diener sich dem Tische näherte um abzuräumen, benutzte sie die Gelegenheit und stand hastig auf. Paul folgte ihr und, als sie langsam die breite Terrasse hinaufstiegen, sagte er in einem Ton, der Dank ausdrücken sollte, im Grunde aber die immer heißer aufflammende Sehnsucht kaum bemäntelte:

»Es ist mir lieb, dass du keine Vorurteile hast.«

»Was ist da weiter,« entgegnete sie achselzuckend, »du bist Maler – ich bin keine philiströse Hausmutter. Das ist das Ganze!«

»Eifersucht scheinst du auch keine zu empfinden,« erwiderte er in schärferem Ton.

Alles, was er hier sah, die prachtvolle Steintreppe, die großen Vasen, die Blumensträuße oder Leuchter tragende Statuen, all der Pomp, der sich in und außerhalb dieses Hauses entfaltete, war sein Eigentum, aber den Prunk dieses reichen Hauses beachtete er kaum, er empfand ihn kaum als wünschenswert. Auch hatte er sich bereits an das glänzende Leben gewöhnt, dem er sich mit Behagen hingeben konnte, es verlor gemach seinen ersten bestrickenden Reiz und, da ihn nun nicht mehr Nahrungssorgen drückten, stiegen ganz andere Besorgnisse und Sorgen in seiner Seele empor. Sein weiches hingebendes Gemüt fühlte sich vereinsamt, mitten in dem Wohlleben fehlte ihm das geistige Element, er fühlte, dass er entbehrte, und manchmal überkam ihn eine unleidliche Verdrossenheit, die ihn fast unliebenswürdig machte.

Manchmal brach das Bewusstsein, ein reicher Mann, der Besitzer von Geld und Gut zu sein, freudig durch die trüben Wolken, die sich um sein Inneres gelagert, dann wieder ekelte die Pracht, die ihn rings so träg umglänzte, ihn an, und nur das riesige, saalartige Atelier mit künstlich verschließbarem Oberlicht blieb seine Herzensfreude. In dies Atelier verschanzte er sich der Welt gegenüber, er schmückte es aus mit Bildern, Teppichen, Blumen, Statuen und bereitete sich so ein phantastisch-orientalisches Märchen mitten in der öden Prosa seines Alltaglebens.

Als er jetzt mit Emma durch die breite Glastüre in den prunkvollen Salon schritt, dessen Jalousien geschlossen waren und beide nach der hellen Hitze des Parks die Kühle des Raumes umdämmerte, fühlte sich Paul seltsam bewegt; das Halbdunkel flößte ihm diesem Weibe gegenüber auf einmal eine gewisse Tollkühnheit ein. Die goldenen Rahmen der Ölbilder warfen kalte Blitze in die Dämmerung, der Kronleuchter schimmerte umflort, und als nun Emma auf das Klavier zuschritt, bat Paul mit zitternder Stimme, sie möge doch spielen, er würde jetzt so gern Musik hören. Er stellte sich dicht hinter sie und bemerkte mit Behagen, wie reizend ihr blendend weißer Nacken im dunkelgrünen Gewand verlief, während er oberhalb im bläulichen Glanz der Haare rötlich angehaucht verschwamm. ›Und dieser Nacken, dieser Hals, diese ganze Brust gehört dir,‹ rief es in seinem hocherregten Innern, ›warum greifst du nicht zu, warum zeigst du dich nicht als der Herr? Willst du immer ein schüchterner Knabe bleiben? Und kannst du es ihr verübeln, wenn sie dich nicht als Mann behandelt, da du dich ihr nie als Mann gezeigt?‹

Sie hielt stehend die Hände auf den Tasten und beantwortete seine Bitten, sie möge spielen, nur durch ablehnendes Hüsteln. Sie fühlte, dass er an sich halten musste, sein heißer Atem bewegte ihr die Haare im Nacken, sie hörte seine Brust arbeiten und im über dem Klavier hängenden Spiegel gewahrte sie, wenn sie verstohlen hinaufblinzelte, wie seine Augen allmählich tränend einen fast wilden rollenden Ausdruck annahmen, wie sein Mund erbleichend zuckte. Sie hätte gehen können, um sich seinem bevorstehenden Gefühlssturm zu entziehen; die Türe in das andere Zimmer stand geöffnet; sie blieb aber, einesteils, weil sie Leib genug war, um einen Reiz darin zu finden, die Macht ihrer Reize zu erproben, andernteils, um nicht vor sich selbst als eine Mutlose dazustehen. Es erregte ihre sinnliche Neugier, den Gutherzigen in dieser Empörung aller Seelenkräfte zu beobachten; es lag für ihr abenteuerliches Herz etwas ästhetisch Anziehendes, geistig-körperlich Reizendes darin, diesen Gemütsmenschen auch in seinen wildesten Ausbrüchen zu beherrschen, gleichsam seine Tierbändigerin zu sein. Dabei merkte sie, wie ihr in diesem Moment der inneren Spannung allmählich ihre Philosophie, mit der sie so gern prunkte, ganz abhandenkam, ja dass eigentlich etwas Unschönes, Dämonisches, um nicht zu sagen Grausames in ihr erwachte, es bereitete ihr eine geheime Lust, ihn um ihretwillen leiden zu sehen, und doch empfand sie ein Mitleid mit ihm, wie man es mit einem Kinde empfindet, dem man sein Liebstes untersagen muss. Gerade ihre ablehnende Kälte übte auf Paul, in diesem Augenblick eine an Zorn grenzende Wirkung aus. Als sie nun mit den Fingern auf den Tasten zu klimpern begann, verschlang er mit den Augen diese elastisch-weißen Finger, dieses feine Handgelenk, und der Trieb, die von der grünen Seide engumstraffte Hüfte zu umfassen, wuchs ins Unerträgliche. Einmal musste doch ihre allzu strenge Weiblichkeit besiegt merken, sagte er sich, diese nonnenhafte Kälte ist unnatürlich, krankhaft. Als er jetzt im herabgeneigten Spiegel bemerkte, wie sich auf ihren Zügen ein seltsam trotziges, fast verächtliches Lächeln unmerkbar Bahn brach, ließ er sich auf den Klavierstuhl nieder, sah mit seinen verschleierten Augen zu ihr empor, und umschlang sinnlos, wie im Fieber, ihren Namen hauchend, ihre glatte Taille. Die Seide rauschte, als sie sich umwandte.

»Was fällt dir ein,« stieß sie heraus und löste ruhig, ohne Heftigkeit, seinen Arm von ihrer Hüfte.

Sie wich ein wenig von ihm, stützte sich auf das Klavier, dessen Politur ihre Gestalt widerspiegelte und spielte, zu Boden blickend, mit dem vergoldeten Leuchter.

»Was mir einfällt,« gab er verlegen und zitternd zurück, »wie kannst du nur so dumm fragen —?«

»Fühlst du denn nicht, wie dich das in meinen Augen nur herabsetzt?« fuhr sie, die Lippen höhnisch kräuselnd, fort.

»Aus welchem Stoff bist du denn?« stieß er verwundert hervor, indes er nichts mehr sah als einen Wirbel von roten Flecken und nichts mehr hörte als ein Brausen, durch das ihre Stimme wie aus weiter Ferne drang.

»Nein Paul,« sagte sie mit erzwungener Ruhe, »unsere Ehe ist keine Ehe gewöhnlicher Art. Ich liebe dich, gewiss, aber es drängt sich nichts Niedriges in diese Liebe, die dem Mitleid verwandter ist, als der ordinären —«

Sie verschluckte errötend das letzte Wort, obwohl sie als Philosophin sich sonst nicht scheute, die Dinge beim rechten Namen zu nennen.

»Mitleid empfindest du mit mir?« entgegnete er mit instinktiver Zärtlichkeit, »ich wüsste nicht, dass ich jetzt noch dieses Mitleids bedürftig wäre.«

»O,« sagte sie rasch, eine besorgt-mütterliche Miene annehmend, »du bist noch lange nicht ganz gesund, ich sprach mit Dr. Kahler – du musst dich sehr schonen – jede Aufregung ist zu vermeiden – besonders – kurz ich habe die Pflicht – Vernunft für uns beide zu haben —.«

Er musste unwillkürlich laut auflachen, als er sie diese Worte so hastig, fast atemlos hervorstoßen hörte.

»Das ist aber doch stark«, sagte er, ihr unbewusst näher rückend und ihr immer inniger in das halb abgewandte Gesicht sehend, »du machst mich gewaltsam krank, nur um – um dich meiner Liebe zu entziehen – nein Emma, das ist krankhaft – das ist unweiblich –!«

»Unweiblich,« fuhr sie auf, ihm ernst in die Augen blickend, »ich dächte im Gegenteil – und damit du es weißt – warum soll man nicht darüber sprechen«, setzte sie gleichmütig hinzu – »ich habe eine Abneigung gegen dies, was man so gewöhnlich – Liebe nennt. In mir sträubt sich ein dunkler Punkt dagegen. Ich will nicht unter der Gewalt dieses auch die größten Geister klein machenden Naturtriebs stehen, das ist erbärmlich —«

Er machte eine heftige Gebärde, der den Klavierstuhl stark ins Schwanken brachte.

»Lasse mir doch deinen Schopenhauer beiseite,« entgegnete er fast erzürnt, »ich werde dir die Bücher dieses Sonderlings verbrennen, die verwirren dir ja ganz den Kopf —«

Sie sah ihn groß an.

»Rühre nicht an das, was mir heilig ist!« erwiderte sie streng.

»Ach was heilig!« fuhr es ihm aus dem Mund.

»Wenn man ein Leben geführt hat wie ich,« sagte sie leise, »kann man die Täubeleien der Liebe nur verachten und man versteht dann jenes Wort Hamlets: Zu was sollen Kerle, wie wir sind, zwischen Himmel und Erde herumkriechen —«

Er sah fast erschrocken zu ihr empor.

»Du bist ein merkwürdiges Geschöpf,« sagte er kopfschüttelnd, als er ihre düstre Miene gewahrte.

»Besser merkwürdig, als gewöhnlich«, murmelte sie. »Ich hoffe, du wirst«, setzte sie dann hinzu, »deine sogenannten Rechte nicht missbrauchen; übrigens steht auch in dem Ehekontrakt, den du unterschriebst, angemerkt, dass deine Rechte nur bis zu einer gewissen Grenze gehen, – lies den Paragraphen nach, dem du damals wenig Beachtung schenktest, – und denke auch ein wenig an meine Mutter!«

Paul hielt den Kopf schmerzvoll herabgebeugt, sie warf noch einen nicht unfreundlichen, fast mitleidigen Blick auf die schöne Stirne des Trauernden und rauschte in das Nebengemach.

In Pauls Seele, als er nun allein in dem dämmernden Gemach saß, stieg eine vollständige Wut gegen den Philosophen Schopenhauer auf, denn diesem Weltschmerzler schrieb er das aller Weltlust abgeneigte Benehmen seines Weibes zu. ›Sie liebt mich,‹ dachte er, ›aber diese Philosophie ist wie die Religion – sie setzt den Leuten Schwärmereien in den Kopf und ich erlebe es noch, dass man Klöster im Schopenhauer’schen Stile erbaut. Sie hält es offenbar für sündig, dem natürlichen Hange zu folgen; Ideen sind es, die zwischen mich und sie treten, nicht Personen und Dinge.‹ Wirklich suchte Paul nach den Wänden der Schopenhauer’schen Werke und, hätte ihm nicht die künstlerisch gearbeitete Büste des Philosophen als Kunstwerk imponiert, er würde sie sofort zerstört haben. Endlich beruhigte er sich bei dem Gedanken, dass er der Zeit vertrauen müsse.

›Ihre Seele,‹ sagte er sich, ›wurde durch außergewöhnliche Schicksale verdüstert; vielleicht, dass sie es nicht übers Herz bringt, sich in der Nähe ihrer Mutter dem heiteren Lebensgenuss hinzugeben; der beständige Anblick dieser Unseligen färbt alle ihre Empfindungen schwarz und scheucht den Freudenbecher von ihren Lippen.‹

Emma vermied es von diesem Tage an, mit Paul allein zu sein, doch konnte sie nicht verhindern, dass sie sich zuweilen mit ihm allein befand, und die halb herablassende, halb mitleidige Art, in der sie alsdann mit ihm verkehrte, ließ darauf schließen, dass Pauls naive Liebesannäherung einen gewissen bestrickenden Eindruck in ihrem Herzen zurückgelassen. Sie hasste ihn nicht mehr, ja sie dachte zuweilen mit freundschaftlichem Interesse über die seltsame Mischung von Schwäche und Kraft in Pauls Charakter nach. Manchmal schmeichelte ihr des jungen Mannes Glut, manchmal fühlte sie sich ernstlich von dieser stummen Leidenschaft abgestoßen; Paul schien ihr verächtlich, rührend und bemitleidenswert zugleich. Einmal, als sie wiederum im Park zusammentrafen, setzte ihr der Maler auseinander, dass er morgen Louise, jenes Modell, von dem er ihr gesprochen, erwarte. Im Lauf des Gesprächs deutete er einmal an, Emma werde ihn auf Abwege bringen. Sie zuckte in ihrer kühl vornehmen Art die Achseln und sagte, er habe Narrenfreiheit. Dennoch schien ihr diese Bemerkung des Gatten im Kopf herumzugehen, sie blieb, während er sich entfernte, noch einige Zeit sinnend mitten im Kieswege stehen und sah dem langsam Dahinwandelnden mit düsteren Blicken nach. Wie würde es ihr innerlich zumute sein, wenn er sein eben gesprochenes Wort zur Wahrheit machen wollte?

VII. Kapitel

An dem Abend desselben Tages besuchte Dr. Kahler die beiden Gatten. Das verstörte Wesen des Arztes fiel nur Emma auf, Paul war während der Abendmahlzeit durch Elisabeth Weber, die Frau eines Bankiers, die er gerade porträtierte und die man gebeten hatte, zum Tee zu bleiben, völlig in Anspruch genommen.

Die immer noch schöne Frau, die die Einladung mit großem Vergnügen angenommen, unterhielt den jungen Maler sehr angelegentlich, ja, wie Emma mit Befremden bemerkte, fast mit übertriebener Zutunlichkeit, so dass Paul mehrmals unruhig auf sein Weib sah und ganz verwirrt den Koketterien der Bankiersfrau seine unbehilflichen Manieren entgegen setzte. Sie machte sich’s zur Aufgabe, dem Künstler den Unterschied zwischen Genie und Talent auseinanderzusetzen, indem sie bemerkte, die Künstler dächten über die Prinzipien ihrer Kunst viel zu wenig nach. Die Lampe verbreitete ein behagliches, grünlich gedämpftes Licht über den reich besetzten, silberstrotzenden Tisch; dies ruhige Licht stand in lebhaftem Kontrast mit den bewegten Gesichtern der Umsitzenden. Der Doktor sah meist finster vor sich hin, Emma gab häufiger als je dem Diener Winke, um dadurch so selten wie möglich ins Gespräch gezogen zu werden; Paul starrte die Schmetterlinge an, die, im Dunkel auftauchend, das Milchglas der Lampe umschwirrten und Elisabeth Weber sprach eifrig in den jungen Maler hinein, zuweilen siegesgewisse Blicke auf den Beunruhigten werfend. Paul fiel es auf, dass Emma fast jedes Mal, wenn der Doktor sie ansprach, ein wenig erblasste, die Augen wie im Halbschlaf schloss und sich dann meist hastig von ihm abwandte, auch wollte ihm der melancholische Ausdruck aus Kahlers Gesicht gar nicht gefallen. Kahler entschuldigte sich, nachdem ihn der Freund zur Rede gestellt, mit einem Patienten, dessen Leiden ihm gerade viel Sorge machten.

Als die Bankiersfrau den Maler nach einiger Zeit wieder völlig mit Beschlag belegt, flüsterte der Doktor rasch Emma ins Ohr:

»Nur eine Minute unter vier Augen.«

Emma schüttelte abwehrend den Kopf und rief dem Bedienten einen Befehl zu. Kahler presste die Lippen aufeinander und presste mit unterdrückter Erregung die Hand in das neben seiner Tasse liegende Brot.

Als jedoch Paul einen seiner grimmig-schmerzlichen Blicke aufgefangen, zwang er sich zur Heiterkeit, um jeden Verdacht zu vermeiden.

»Bin ich Ihnen weit genug dekolletiert,« flüsterte indes Frau Elisabeth dem Maler zu, »oder würde sich’s auf dem Bild besser ausnehmen, wenn ich ein anderes Gewand anzöge —«

Paul, Emma starr ansehend, entgegnete absichtlich ein wenig laut:

»Gnädige Frau, Sie haben eine herrliche Büste, wählen Sie ein Kleid, das dieselbe am vorteilhaftesten erscheinen lässt.«

»Gut, so werde ich tun,« sagte Elisabeth zärtlich.

»Entblößen Sie auch, bitte, die Arme,« fuhr Paul fort, »Ihr Arm hat vollendete Formen.«

»O, Sie Schmeichler,« lächelte die Frau, »wissen Sie was, besuchen Sie uns doch nächstens auf unsrer zwei Stunden von der Stadt gelegenen Villa; dort wird eben der große Saal gebaut, ich bestimme meinen Mann leicht dazu, dass er den Saal von Ihnen ausmalen lässt…«

Paul versprach, sich den Saal anzusehen und ging auf die schelmisch-kokette Art der Dame ein, indes Emma ihm errötend zuhörte; die heiße Wange, das glühende, fast unaufhörlich auf das üppige Weib gerichtete Auge ihres Gemahls ließ merkwürdiger Weise diesmal einen Stachel in ihrer Seele zurück, sie empfand einen wehen Druck in der Brust. Auch gegen die herausfordernden Blicke Elisabeths hatte sie viel einzuwenden, so viel, dass sie die Bemerkung Kahlers, die dieser in seiner düsteren, verschlossenen Art an sie richtete, fast überhörte. Jedenfalls fand sie es unschicklich, dass eine verheiratete Frau mit einem verheirateten Mann auf diese frivole Art zu scherzen wagte.

Als sich die beiden Gäste verabschiedeten, begleitete Paul die Frau des Bankiers mit besonderer Liebenswürdigkeit an den Wagen. Als er wieder zurückkehrte, fand er sein Weib in Gedanken verloren am Tische stehen; vom Schein der Lampe grünlich überhaucht, glänzten ihre interessanten Züge erblassend, ihr Auge sah weit geöffnet in die Nacht hinaus auf die im Nachtwind leise rauschenden Wipfel, auf die hellen Fenster des stolzen Wohnhauses.

»Du bist von dieser Dame sehr entzückt,« sagte sie leise, wie zögernd, da ihr eine heitere, fast nervöse Lebhaftigkeit in ihres Gatten Benehmen auffiel.

»Nun, ich habe ja Narrenfreiheit!« lachte er, eine Zigarette an dem Lampenzylinder in Brand steckend. »Danke dir übrigens für dies Wort,« setzte er leichtfertig hinzu, »werd’ mir’s zu Nutzen machen· —«

Und wie von einer boshaften Laune dazu getrieben, fuhr er, mit krampfhafter Lustigkeit sich nachlässig in einen Sessel werfend, fort:

»Bist übrigens ein famoses Weib, so lebt sich’s gut. So genieß’ ich doch mein Dasein. Und morgen erst! Ha! Louise, das göttliche Mädchen!«

Emma zog die Brauen finster zusammen und sah ihren Mann, der sich auf einmal ganz verändert, erstaunt an; sie wollte einlenkend entgegnen, schwieg jedoch; ein weher Druck, der ihr auf einmal die Brust beklemmte, verhinderte sie am Sprechen.

»Ich werde das Atelier abschließen,« fuhr er, seine Erregung zitternd beherrschend, weiter fort, »die Dienerschaft braucht mich gerade nicht für leichtsinnig zu halten, denn sieht so ein Tölpel ein Weib, dazu noch ohne Kleidung bei mir, im Zimmer, so schwätzen die Dummköpfe.«

Endlich raffte sich Emma auf; sie erwachte wie aus einem Traum, als ihr ein heftiger Windstoß, der die Flamme der Lampe niederdrückte, die Wange streifte.

»Ist diese Louise ein unverdorbenes Geschöpf?« fragte sie, ohne recht auf den Inhalt ihrer Worte zu achten.

»Hm! Kann sein, Gewisses vermeldet die Geschichte nicht,« sagte er gleichmütig.

»Man sollte – wenn sie tugendhaft ist —« fuhr sie erblassend fort und hielt dann schwer atmend inne.

»Wie?« rief er, an seiner Zigarette drehend, und sich durch das lockige Haupthaar fahrend.

»Ich meine,« sagte sie, »vielleicht geschähe dem Mädchen ein Gefallen, wenn —«

»Wenn —·.«

»Nun, wenn, während du malst, sich eine ältere Frau bei euch aufhielte –«

Er schwieg, dann sah er auf die Uhr, zog diese auf und drehte sich nach den erhellten Fenstern des Hauses um.

»Hm! Die Tugend Louisens scheint dir zur Herzensangelegenheit zu werden,« sagte er dann.

»Bedenke – ein junges Mädchen,« stieß sie hervor, »es ist doch ein trauriger Erwerb – man sollte dem Kinde die Sache erleichtern – es vor Unheil schützen —«

Er blies den Rauch der Zigarette weit von sich und sagte dann gleichmütig gähnend:

»Beruhige dich, die Tugend des Mädchens wird wohl auf festen Füßen stehen – eine Beaufsichtigung ist unnötig, würde mich auch stören —«

»Sei menschlich, Paul, denke an das Schamgefühl eines Mädchens,« warf sie ein. —

»Eine Beaufsichtigung würde mich stören,« wieder holte er.

»Und wenn ich selbst —« begann sie stockend. —

»Wenn du —« fiel er lächelnd ein.

»Ja —« sagte sie abgewandt.

»Wenn du,« fuhr er freudig erregt fort, »mir zum Modell dienen wolltest —?«

»Nein, nein,« sagte sie streng, »wenn ich das Mädchen in meinen Schutz nehmen würde —«

»Traust du mir denn Schlimmes zu?« entgegnete er erstaunt.

»Davon ist nicht die Rede, ich denke nur an das Mädchen – nicht an dich,« sagte sie mit fast herber Betonung.

Er, von diesem Ton unangenehm berührt, fühlte, dass es notwendig sei, ihr zu imponieren; er stand auf.

»Kümmere dich nicht um meine Angelegenheiten,« erwiderte er mit derselben Herbheit.

»Paul —« fuhr sie vorwurfsvoll heftig auf.

»Nun?« stieß er fast zornig hervor und strich die Asche von seiner Zigarette.

Sie biss die Lippen trotzig aufeinander, aber in ihren Augen schimmerte es wie von Tränen. Er bemerkte das und von der instinktiven Schlauheit der Liebe dazu getrieben, sagte er, schon halb zum Weggehen gewendet, in befehlendem Tone.

»Ich verbitte mir jeden Schutz. Es geht niemand was an, ob mir und wie mir das Mädchen sitzen will. Gute Nacht.«

So ging er, sie in einem Zustand tiefer Beschämung zurücklassend, denn alles, was sie ihm eingewendet, war ihr ohne ihren Willen entfahren, sie fühlte bei jedem ihrer Worte: »das solltest du nicht sagen!« und sie sagte es unbegreiflicher Weise doch. Jetzt bereute sie die Art, in der sie sich jenes Modells annehmen wollte. Nahm sie plötzlich Teil an ihm, da er anfing, unliebenswürdiger zu werden? Was kümmerten sie seine Modelle – und wie leicht konnte er sie missverstehen. Wirklich! Das sah ja vielleicht fast wie Eifersucht aus in seinen Augen.

Sie wollte lachen, aber der Gedanke an Kahlers Benehmen erstickte das Lachen; sie vermied es seit einiger Zeit völlig, an Kahler zu denken, sein finsteres, fast unheimliches Wesen beunruhigte sie; sie fühlte sich, sobald sie sich den bleichen, wortkargen Mann in der Phantasie vergegenwärtigte, wie innerlich erkrankt.

Als sie am andern Tag in der Nähe des Ateliers vorüberging, hörte sie ihren Mann, wie er ganz begeistert ausrief:

»Gut so, der linke Arm! Und das Knie ein wenig aus dem Gewand – so ist’s recht.«

Emma schrak zusammen und errötete. Sie wollte umkehren, blieb aber stehen und lauschte. Dann trat sie plötzlich, mit dem Entschluss, ihrer Philosophie nicht untreu zu werden, an die Ateliertüre heran, klopfte und trat, da nicht verschlossen war, auf das: ›Herein!‹ Pauls in den großen, prächtig ausgestatteten Raum.

»Ich störe doch nicht,« sagte sie kühl.

»Ah, Du?« entgegnete der Maler, ruhig weitermalend.

»Ich wollte mich nur ein wenig umsehen,« warf sie, als langweile sie sich, hin.

Sie unterzog nun mehrere an der Wand hängende Skizzen einer nörgelnden Kritik, bis sie an die grüne, spanische Wand gelangte, hinter welcher Louise halb entkleidet stand. Emma betrachtete das nunmehr errötende Mädchen, das unruhig zu werden begann und sein bis unter den Busen herabgefallenes Gewand über die Schultern ziehen wollte, bis ihr Paul zurief, sie möge doch nur nicht in Verlegenheit geraten, die Eingetretene sei seine Frau.

Auf Emma machte es nun einen eigentümlichen Eindruck, als sie ihren Mann diesen jugendfrischen Körperformen so gelassen, ganz in sein Kunstwerk vertieft, gegenüberstehen sah; Paul kam ihr merkwürdiger Weise erfahrener, reifer, ja männlicher vor, da sie ihn so gebietend dem schönen Mädchen Winke mit dem Pinselstiel geben, dann ihn zuweilen auf sie zutreten sah, um eine ihrer Locken über dem nackten Busen zu ordnen. Seine keusche, feste Ruhe diesem ein wenig ängstlich blickenden, halbentkleideten Mädchen gegenüber imponierte ihr, sie fühlte etwas wie die Überlegenheit männlicher Kraft von Paul ausgehen und das Kindliche seines Wesens, das sie sonst nicht an ihm leiden mochte, schien in diesem Augenblick einer naiven Kunstbegeisterung gewichen, welche, da sie seinen Augen einen höheren Glanz, seinem Benehmen eine größere Bestimmtheit verlieh, die gebildete Frau mit einer Art Ehrfurcht erfüllte.

Jetzt zum ersten Mal gewahrte sie auch, dass das Talent ihres Mannes kein gewöhnliches sei, er hatte ihrer Meinung nach den Ausdruck Antigones entschieden verfeinert; das Bild versprach ein vorzügliches zu werden. Als sie nun betreffs dieses Bildes mehrere Fragen an ihn stellte, antwortete er sehr einsilbig, er müsse jetzt alle seine Gedanken zusammennehmen, sie möge ein andermal fragen. Sie, die diesen Ton an ihm nicht gewohnt war, ward, was ihr selbst auffiel, ganz kleinmütig.

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