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Kitabı oku: «Seelenrätsel», sayfa 13

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VII

Eduard gönnte sich diese Nacht kaum ein paar Stunden Schlaf. Auf Zureden der Mutter gab er den Entschluß, noch vor Mitternacht abzureisen, auf, logierte sich jedoch nicht in dem Forsthause ein, sondern schlief über dem Stalle, neben der Wohnung des Knechtes, in einem Wirtschaftsraum, um, wenn Isabella zur verabredeten Stunde erscheinen würde, ihren Anblick vermeiden und sich ohne ihr Vorwissen entfernen zu können. Dort verbrachte er, tief in das Stroh eines alten Bettes vergraben, eine der peinlichsten Nächte, beständig von dem Gedanken gequält: werde ich sie noch einmal sehen? was wird sie thun, wenn sie erfährt, ich sei ohne sie abgereist?

Nachdem er gegen Mitternacht endlich, trotz seiner Gemütsbewegung, seiner Gewohnheit gemäß in einen tiefen Schlaf gesunken war, weckte ihn gegen vier Uhr morgens die Hand der Mutter. »Ja,« rief er, als es an die Thüre klopfte und ihm das trübe, nebelverhüllte Morgenrot mit seinem schmerzlich-öden Schimmer in die Augen drang.

Wo war er denn eigentlich? Warum sollte er aufstehen – es lag ihm ja noch wie Blei auf den Augenlidern. Die Umgebung war ihm so fremd? Alles Vergangene lag ihm einen Augenblick hindurch in die angenehme Nacht des Vergessens getaucht – er war ja ganz vergnügt – ganz glücklich – also nur weiter träumen! Schon schloß er die Augen, um von neuem wohlbehaglich einzuschlummern, als ihn die helle Stimme Ludwigʼs aus diesem angenehmen Hinträumen weckte.

»Eduard! Der Wagen steht schon am Thor,« rief der Knabe, »zwei Pferde, – das wird eine lustige Fahrt —«

Nun setzte sich der Verschlafene in die Höhe; der Kleine eilte laut auflachend an das knirschende Strohlager, und plötzlich kam es über ihn zurück wie die Hitze eines intermittierenden Fiebers, das durchkämpfte Leid des vergangenen Tages.

Das arme Mädchen – ich werde schwerlich je einem weiblichen Wesen innigere Liebe schenken – schade um so viel Treue, die hier nutzlos in den Wind verweht wird – schade um dies heiße Herz, das so ehrlich an dem meinen schlug – soll ichʼs denn wirklich thun? es ist zu elend – fliehen! – Da lag wieder alles vor ihm und bedrückte ihm die Brust.

In einem Zustand der Trunkenheit wusch sich der Maler das Gesicht. Die Mutter brachte weinend eine Tasse Kaffee; der vergnügte Ludwig reichte die Kleidungsstücke, in welche der junge Mann mit nervöser Hast, schweigsam, als bereitete er sich zum Gang auf das Schaffot, hineinschlüpfte. Natürlich vergaß er bald dies, bald jenes, ja er hätte in seinem Taumel, als er die Treppe hinabzusteigen im Begriffe war, beinahe vergessen, die weinende Mutter zu umarmen, die ihn heftig an sich drückte und sein Gesicht mit ihren Thränen benetzte.

»Wir danken Dir so sehr, Eduard, siehst Du – aber, – ach! Eduard,« flüsterte sie, »ach! etwas Schriftliches wäre doch gut.«

Eduard, der die alte Frau durch einen Thränenschleier erblickte, sah ihr, sie nicht verstehend, in die geröteten Augen.

»Ich meine,« fuhr sie zaghaft fort, »wenn die Gräfin nun hierherkommt – und fragt – wo Du seist – und wir – o Gott! was sollen wir sagen —«

Nun verstand er.

»Es ist besser – ja!« sagte Eduard, »bringe mir Papier —«

Die Mutter hatte fürsorglich bereits das begehrte Papier zu sich gesteckt, sie breitete es aus und der Sohn setzte sich, die Bleifeder ergreifend, nieder.

»Aber, wenn es Dir zu schwer hält, lieber Eduard,« wandte die Mutter noch einmal ein, »wenn Du es nicht überʼs Herz bringst – ach! ʼs ist vielleicht besser, Du thustʼs nicht – Du hast so viel für uns gethan.«

Eduard schüttelte abwehrend den Kopf. Was sollte er in dieser Hast, die alle Nerven erschütterte, schreiben? Es fiel ihm ebensowenig etwas Gescheidtes als etwas Dummes ein; alle Worte nahmen Reißaus, sobald er eines zu erwischen trachtete. Und doch kam es nun darauf an, in bündigen Worten ein für allemal die Brücke hinter sich abzubrechen, dem Mädchen eine Fortsetzung des Verhältnisses unmöglich zu machen. Eduardʼs weiches Herz sträubte sich gegen diesen vernichtenden Schwerthieb, nur die Rücksicht auf den Vater nötigte ihn zur Entschiedenheit. Da fiel ihm, als er mit krampfhafter Hand die Blätter seines Skizzenbuches umschlug, seine neueste Skizze; Panthesilea an der Leiche des Achilles! in die Augen. Sofort fühlte er sich innerlich um vieles erleichtert, der jedem Talente so notwendige, künstlerische Egoismus überdrang ihn, die ganze Liebesangelegenheit verlor sogleich an Bedeutung, und der eine glühende Wunsch seiner ehrgeizigen Brust, die Skizze, sobald er in München Muße haben würde, in ein prachtvolles, vollendetes Gemälde zu verwandeln ließ ihn die Kleinlichkeit aller irdischen Dinge einen Augenblick hindurch mit einer Deutlichkeit erkennen, die an Verachtung grenzte.

»Es war thöricht von Ihnen,« schrieb er jetzt auf das Blatt, »vergessen Sie einen leichtfertigen Maler, dem es eine Unmöglichkeit ist, länger als acht Tage Treue zu üben – auch war ja wohl Ihre Neigung zu mir mehr das Ergebnis der Langenweile – kurzum – es ist besser so, Isabella – glauben Sie mir! – Es ist besser, ich bereite Ihnen diesen augenblicklichen Schmerz, als ich bin zeitlebens die Ursache Ihres Unglücks. – —«

Nochmals überflog er diese Worte, vor der Herbheit seiner Ausdrücke zurückschreckend; unzufrieden, wollte er das Blatt zerreißen, als er, durchʼs Fenster blickend, seinen alten Vater im Hof gewahrte, wie er mühsam nach dem Stall wankte, seinen Liebling Kato zu liebkosen. Wie sehr sich der alte Mann freute, im Besitz seines Amtes bleiben zu dürfen. Dazwischen knallte vor dem Thore der Kutscher ungeduldig mit der Peitsche, die Pferde scharrten, Ludwig rief zum Fenster hinauf; er möge doch endlich kommen: jeden Augenblick konnte das Mädchen im Hofe erscheinen.

»Bist Du zu Ende, lieber Sohn?« frug die Mutter leise, die Thüre öffnend. Der Maler zuckte zusammen.

»Noch nicht?« frug die Mutter.

»Ja, ja,« stammelte er aufstehend, das gramvoll verzogene Gesicht von der Mutter abwendend.

Vor seinem Bewußtsein huschten noch einmal, wie von wildem Wirbelwind gejagt, alle die Leidenstage vorüber, die er dem ahnungslosen Mädchen durch dieses Schreiben bereiten mußte, schweraufatmend, wie im Traume, steckte er das Blatt in das Couvert und tröstete sich dann gewaltsam; sie wirdʼs ja verwinden, töten wird sie sich gewiß nicht, dafür ist sie eine Gräfin; der Tod ist nur der Freund der Armen.

Immer lebhafter klatschte unten die Peitsche, Ludwig stürmte die Treppe herauf.

»Gleich, gleich,« rief der Maler.

Dann, als er nach seinem Mantel griff, erstaunte er darüber, wie erleichtert er sich fühlte. Ich bin doch ein Egoist, freilich ein sentimentaler Egoist – er hätte beinahe gelächelt und doch wollte ihm der dumme Einfall nicht aus dem Gedächtnis; töten wird sie sich nicht, dafür ist sie eine Gräfin!! Wenn sieʼs aber doch thun würde? Er sah sie plötzlich als starre Leiche vor sich liegen, das gelbe, schöne Wachsgesicht, die durchsichtigen Finger – wie wäre dirʼs dann umʼs Herz? Welche Vorwürfe würden ewig in Dir wühlen? Merkwürdiger Weise zog ihn dies Bild in ästhetischer Hinsicht so sehr an, daß er sich, als er jetzt die Treppe hinabstieg, mit einer Art wonnevoller Rührung in dasselbe versenkte. Wie schön sie dann wäre, wie lieb er sie alsdann haben würde, ja seine Liebe zu der Toten würde stärker sein, als zu der Lebendigen. Warum nur?

Die Augen befeuchteten sich ihm, und erst als er des Vaters ansichtig ward, schüttelte er diese nicht unangenehme Rührung ab, indem ihm ein wirklich grimmiger Schmerz in die Brust fuhr, da er sich des alten Mannes Schicksal vorstellte. Durch die Schuld des Sohnes zur Verzweiflung getrieben; noch schlimmer als tot, kindisch, brotlos, umherirrend – er vernahm das Windgesause, des »Lear!« das Donnern, sah den Wahnsinn aufleuchten – nein, fort von hier, so rasch als möglich.

Der Vater wollte sich vor dem Abschiednehmen verschämt im Stalle verbergen, da ihm das jedoch nicht gelang, sondern der Sohn ihn aufsuchte, lächelte er trübe und gab dem Sohne seinen gewöhnlichen Reisesegen mit auf den Weg, d. h. er sagte:

»Iß recht ordentlich, hörst Du?«

»Gewiß, Vater!«

Noch eine Umarmung der Mutter, ein letztes Lebewohl vom Wagen herab und unter dem Freudengeschrei Ludwigʼs zogen die Pferde an.

* * *

VIII

Graf Ibstein saß gegen neun Uhr morgens in einem behaglich eingerichteten Zimmer des Schlosses. Der alte, magere Herr fror in seinem seidenen Schlafrock ausnehmend, da er eben erst das Bett verlassen. Der alle fünf Minuten hereingerufene Diener war in Verzweiflung, da der mittelalterliche Riesenofen seiner Erwärmung hartnäckige Schwierigkeiten entgegensetzte, obgleich das vorzügliche Holz der Gemarkung Ibstein in seinem grünen Porzellanbauche knisterte.

»Schüren Sie, schüren Sie tüchtig!«

»Gewiß, Herr Graf —«

Der alte Graf wiegte sein dünnes, karg behaartes Köpfchen auf einem noch dünneren Halse, stieß von Zeit zu Zeit sein hüstelndes, vornehmes »Hem, hem!« aus und versenkte, indem er zuweilen an der Chokolade nippte, seine spitze Diplomaten-Nase in die Times, unter deren riesenhaftem Format manchmal die ganze, gebrechliche Gestalt geradezu verschwand.

»Doch die beste Zeitung der Welt,« murmelte er, legte sie weg und griff, da er allezeit ein eifriger Liebhaber der Litteratur gewesen, nach Conrads »Gesellschaft«, einer Zeitschrift, die er ganz besonders bewunderte. Der Graf hatte sich selbst nicht ohne Glück auf das schriftstellerische Gebiet gewagt, in jener Zeit, da er die Stelle eines Direktors der fürstlichen Hofbibliothek bekleidete. Zwei umfangreiche Werke über »die Geschichte der Burg Ibstein« und eine Abhandlung über »Ibsteiner Altertümer« verdankten ihre Entstehung seiner geistreichen Feder. Jetzt freilich vermochte er diese Feder nicht mehr zu führen, sein Gedächtnis besaß nicht mehr die frühere Sicherheit, zuweilen ließ die Spannkraft seines Geistes so sehr nach, daß der alte Herr in gänzliche Teilnahmlosigkeit versinkend, einer jener vornehmen Rokoko-Pendülen glich, die trotz des Glasgehäuses, das ihre kostbare Vergoldung schützt eigentlich die Vergänglichkeit alles Irdischen symbolisieren.

Nun trat Frau von Pork mit verweinten Augen in das Gemach; der Graf überhörte, in seine Lektüre vertieft, ihren Schritt, weshalb sich die Gesellschafterin gezwungen sah, zu hüsteln.

»Ah!« stieß der Graf heraus, »hem, Sie hier? Hem, hem! Haben Sie etwas gesagt? Hem, hem!«

»Sie gaben mir den Auftrag, Herr Graf —« flüsterte die Gesellschafterin, ihre Augen trocknend. Der Graf, der sich nicht merken lassen wollte, daß er diesen Auftrag bereits vergessen, hielt die Hand an das Ohr und sagte:

»Gewiß – hem – ich trug Ihnen auf – hem —«

»Ja, Herr Graf —« sagte Frau von Pork, einen vorwurfsvollen, aber sehr respektvollen Seufzer hören lassend, der vermöge seiner Feierlichkeit dem schwachen Gedächtnis des alten Herrn zu Hilfe kommen sollte. Dieser Seufzer erreichte denn auch seinen Zweck.

»Ach! so, ach! ja, hem!« flüsterte der Graf vor sich hin, »armes Kind, armes Kind —«

»Sie gaben mir den Auftrag,« fuhr die Gesellschafterin fort, »dem gnädigen Fräulein jenen Brief —«

»– Zu überbringen —« ergänzte der Graf, »der Brief, von dem – hem! wie ist gleich sein Name?«

»Dem Maler Eduard Enger —« sagte Frau von Pork so leise, als berühre dieser Name eine schmerzhafte Stelle. »Das ist geschehen.«

»So, so, hem! also Sie haben ihn meiner Tochter übergeben,« sagte der Graf, sich einer Art Geistesabwesenheit hingebend, »und welche Wirkung brachte er hervor?«

»Wie ich vermute eine tiefe —« flüsterte die Gesellschafterin, ihre Thränen kaum bezwingend, in ihr Taschentuch hinein, »eine sehr – eine – so zu sagen schmerzliche Wirkung —«

»Nun,« meinte der Vater Isabellaʼs leichthin, »gut, daß es nur eine Herzensangelegenheit ist, das hat nicht so viel auf sich —«

»O doch – Herr Graf – Herzensangelegenheiten —« wandte Frau von Pork errötend ein, »Herzensangelegenheiten – bei uns Frauen —« aber der Graf lächelte ihr gutmütig zu.

»Geben Sie mir Ihre Hand, liebe Pork,« unterbrach er sie, »ich weiß, daß Sie es ehrlich meinen mit meinem Kinde, doch ich vertraue in jener Angelegenheit der Zeit – Jugend – Jugend – es wie? Erinnern Sie sich doch – wie war das denn bei uns – wir litten auch Herzeleid und starben nicht gleich daran – nicht wahr? Und diese jetzige Generation – sehen Sie – die ist bei weitem nicht so feinfühlig wie wir waren – ist es nicht so?«

Und der alte Herr drückte, ein verständnissuchendes Lächeln auf den Lippen, Frau von Porkʼs Hand auf das innigste, welcher Händedruck ihm ebenso herzlich erwidert wurde, vielleicht um so herzlicher da sich die gute Frau reuevoll als Mitschuldige empfand. Mit echt weiblicher Feinheit wußte sie sich hinter dem Rücken ihrer Pflegbefohlenen zu verstecken, die großmütig genug war, die ganze Schuld auf sich zu wälzen.

»Nur Geduld, nur Zeit lassen,« flüsterte der Graf, und Frau von Pork begann, ohne Aufmunterung von ihrem überströmenden Herzen dazu getrieben, ihren Bericht.

»Die Gräfin,« begann sie, »saß, als ich eintrat, auf dem Bette, damit beschäftigt, ihre kleine Handtasche zu schließen. Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, mit welchem Plane sie umging, wahrscheinlich war sie im Begriffe, denselben zur Ausführung zu bringen. Sie hatte sich nicht Zeit genommen, ihre Toilette zu vervollständigen, man sah ihren geröteten verweinten Augen an, daß sie die Nacht schlaflos in den Kleidern zugebracht; alle Gefäße, alle Möbel standen durcheinandergerückt, wie sie am Abend vorher gestanden: es schien mir, als ich eintrat, als habe sich selbst der leblosen Gegenstände des Gemachs eine stumpfe Schwermut bemächtigt. Das Licht des beginnenden Tages drang trüb durch die Jalousien und ich erschrak, als mir aus dieser bleigrauen Dämmerung die geisterhaft bleichen Züge des armen Kindes entgegenschimmerten, das unbedachterweise ihrem Verderben zueilen wollte. O Gott, wie sie zitterte. War es die Kälte des Morgens, die schlaflose Nacht oder die Aufregung der Erwartung, die Ärmste fror, wie ein Vögelchen, das am Fieber stirbt: sie vermochte das schaudernde Beben ihres Körpers nicht zu unterdrücken und suchte vergebens unter der Decke des Bettes Schutz für ihre fröstelnden Hände.

»Ich wußte nicht, was ich thun sollte, ich stand neben ihr; weder sie noch ich sprachen ein Wort. Zuletzt ergriff sie meine Hand, streichelte sie leise und benetzte diese Hand, sie an ihre Lippen pressend, mit ihren Thränen.

»›Vergessen Sie mich nicht,‹ sagte sie, ›und hüten Sie mein Geheimnis wohl‹. Wie mir diese Worte ins Herz schnitten, Herr Graf, und wie ich die Ärmste bedauerte, die einem solchʼ Schändlichen ihr Herz geschenkt, einem solchʼ bestechlichen, leichtfertigen Vagabunden. O du mein Gott! Herr Graf! – Als sie nun aufstehen wollte, um mir Lebewohl zu sagen, hielt ich sie zurück.

›Liebes Kind,‹ sagte ich so ruhig wie möglich, ›sind Sie gefaßt —?‹ ›Gefaßt?‹ gab sie zurück.

›Ich meine‹, fuhr ich fort, ›ob ich Ihnen etwas mitteilen darf, das Sie vielleicht tief schmerzen wird – —‹

Sie sah mich mit einer so erschrockenen Miene an, daß ich unwillkürlich den Blick abwandte, bereuend, daß ich diese traurige Mission übernommen.

›Sie wissen, liebe Mutter,‹ sagte sie, ›was ich im Begriff bin zu thun; niemand hält mich zurück, o bitte, halten Sie mich nicht auf – er harrt meiner, – verraten Sie mich nicht – und ich bin, wenn ich auch traurig erscheine, doch innerlich so heiter, so still —‹

›Das sollten Sie nicht sein – ‹ unterbrach ich sie ernst, ›nicht heiter —‹

›Nicht?‹ frug sie lächelnd.

Man kann sich zuweilen in den Menschen täuschen,‹ fuhr ich fort, denn ich wollte sie vorbereiten – ›Die Leute sind so schlecht – Das Geld spielt eine so große Rolle in der Welt – Sie können dies freilich nicht wissen – Sehen Sie – und die Armut ist selten edel genug den Lockungen des Geldes zu widerstehen – Sie haben darin keine Erfahrung – sehen Sie —‹ fuhr ich fort – ›diese Leute, wenn man ihnen ausreichend zu leben giebt, kann man sie oft ganz erkaufen – vor allem besitzen diese Künstler darin eine so große Schwäche – Italien zieht sie so sehr an und wenn man ihnen die Mittel bietet, in Italien ihre Studien zu vollenden – sehen Sie – dann – ja – was ist solchen dann die Liebe eines armen Mädchens – dazu kommt freilich noch der Ehrgeiz – —‹«

Frau von Pork hielt, ihre Thränen trocknend, inne; der Graf hielt das kahle Köpfchen errötend geneigt, denn es beschämte ihn, daß er die alte Frau, seine Jugendfreundin, betreffs dieser Angelegenheit hatte täuschen müssen. Frau von Pork lebte im Glauben, Eduard habe, sobald man ihm ein genügendes Reisegeld bewilligt, auf Isabellaʼs Hand verzichtet, um sich schleunigst nach Rom zu begeben. Baron von Brunau war es, der diesen Betrug mit diplomatischer Gewandtheit inʼs Werk zu setzen und den Unwillen der Gesellschafterin gegen diese »Künstlerbrut« geschickt zu schüren verstand. Auf diese Weise glaubte man Isabella am vollständigsten von dem Anfall ihrer Laune heilen zu können.

»Hierauf, als ich das gesagt, sah sie mir mit einem zweifelhaften Lächeln inʼs Gesicht,« fuhr Frau von Pork fort, »welches Lächeln, nachdem ich sie einige Zeit absichtlich ernst und traurig betrachtete, allmählig in eine ängstliche gespannte Miene überging.

›Fassen Sie sich,‹ ermahnte ich, ›verzeihen Sie dem Schlechten und seien Sie froh, daß treue Wächter Ihnen die Augen geöffnet.‹

›Wer ist schlecht?‹ entfuhr es ihr, ›wer öffnet mir die Augen, von wem reden Sie?‹

›Isabella – ‹ wollte ich einwenden, ›fassen Sie sich, armes Kind, und trauen Sie Ihren Freunden —‹

Sie jedoch richtete sich empor: da wußte ich nicht mehr, was ich beginnen sollte – ich hielt ihr – vielleicht zu frühe – den bewußten Brief hin, den sie mir mit einem fragenden Blick abnahm. Sie war an das Fenster geeilt, mir zitterten die Knie, jetzt – jetzt trifft sie der Todesstreich – soll ich es mit ansehen – soll ich gehen – ich wandte mich zur Thüre, doch wenn ich nun gegangen bin – wenn sie allein ist mit ihrem Schmerz – Gott! sie ist so heftig, – nein! rief ich mir zu, du mußt bleiben – das Schlimmste zu verhüten und ich wagte es, mich nach ihr umzublicken. Der Brief war zu Boden gefallen, ihr Gesicht sah gleichmütig wie eine Totenmaske durch die hellen Ritzen der Jalousie, ihre Haare hingen gelöst über die Schulter. Dann sich zu mir umwendend, murmelte sie, wie im Nachtwandlerzustand mit nichtssagender Miene:

›Es ist Zeit – wie lange mag er auf mich harren – ich nehme hier die Handtasche mit – am kleinen Thor – weißt Du? – steht der Wagen —‹

Sie war einige Schritte vom Fenster weggeeilt, mich verwundert anblickend – ich ergriff ihre Hand – immer noch traf mich jener irre, halb trotzige, halb erstaunte Blick – dann glitt dieser Blick langsam an den Wänden des Zimmers entlang, als gäbe er sich Mühe, die Gegenstände zu erkennen, zu erfassen, bis er auf dem am Boden liegenden Briefe mit ausdrucksloser Starrheit haften blieb. Auf einmal drückte sie die rechte Hand beschämt wider die Wange und sagte dann, den Blick von dem Briefe zu mir wendend, leise, mit schmerzlicher Stimme: ›O, wie das traurig ist – nicht wahr?‹ Ich nickte, zog sie auf das Bett und suchte, während sie immer noch den Brief betrachtete, ihr vorzustellen, daß es so, wie es gekommen, viel besser sei, wie sie doch bedenken möge, daß dieser Ehrlose, der sie für Geld verlassen, ein Spiel mit ihr getrieben – wenn er sie nun erst nach der Flucht – in einer fremden Stadt, in fremdem Lande verlassen und ob sie denn nicht gleich anfangs bemerkt, daß es diesem Menschen nie ganz ernst mit seiner Liebe gewesen, sie habe das ja manchmal empfunden, es sich nur nicht eingestehen wollen; sie möge ihre ganze Kraft sammeln, denn dieser Mensch sei es nicht wert, daß man um ihn trauere, er verdiene Verachtung.

›Der arme Mensch! für Geld,‹ flüsterte sie mit hastiger, nur leise von den Schwingungen des Seelenwehs durchzitterter Stimme, ›lassen wir das alles, gute Mutter, – erwähne ihn nicht mehr – für Geld! o pfui – o – der gute Vater – wie ich ihm unrecht that – für Geld – das war ein böser Traum – es wird ja vorüber gehen, aber, liebe Freundin – wir wollen weg von hier – gleich heute – und in der Residenz – da wollen wir – wieder recht fröhlich sein – nicht wahr?‹

Dann drückte sie, die Augen schließend, einmal rasch ihre beiden Hände gegen die Stirne, als wolle sie dem Schmerze wehren, ihr armes Hirn zu zersprengen, unterdrückte einen sie befallenden Schüttelfrost und sah, die Unterlippe schmerzlich eingepreßt vor sich nieder. ›Wäre nur der Tag herum›, flüsterte sie ganz hastig, stand auf und wusch sich das Gesicht mit der befeuchteten Hand. Ich bat sie, sie möge sich doch ausweinen an meiner Brust, denn dies trockene Auge erschreckte mich, diese Beherrschung schien mir unnatürlich, gefährlich.  ›Ich komme gleich,‹ fuhr sie dann fort, ›bitte, gehe zu meinem Vater – weinen? o könnte ichʼs jetzt – gehe zu meinem Vater – ich wollte mit ihm reden, vielleicht, daß ich dann Thränen habe, sieh, sie sitzen hier, aber sie sind zu Eis erstarrt, hier auf der Brust – gehe, liebe Freundin.‹ Sie nickte mir anscheinend heiter, wenn auch etwas unruhig und nervös zu: ich erhob mich, lauschte jedoch einen Augenblick an der Thüre, nachdem ich dieselbe geschlossen. Weinen hörte ich sie nicht, nur ihre schweren, heißen Atemzüge vernahm ich – sie ist ein starkes Mädchen, doch ich fürchte, das ist die Stille vor dem Sturm, diese Stille.«

Frau von Pork hatte geendet, sie war in einen Fauteuil gesunken und verbarg ihr Gesicht in der Hand, indeß der Graf, so rasch es seine unsicheren Füße erlauben wollten, über den Teppich des Zimmers mehr schlich, als schritt.

»Beruhigen Sie sich, gute Pork,« sagte er mit weicher Stimme, »Sie sehen, sie trägt ihr Schicksal mit Standhaftigkeit; in vier Wochen sind wir über alle Schwierigkeiten hinaus —« Der alte Herr suchte sich die Notwendigkeit dieses Betrugs zurecht zu legen, kam damit jedoch nicht ins Reine und eilte, unverständliche Worte murmelnd, im Zimmer auf und ab.

»So geht es nicht – das ziemt mir nicht, daran ist der Baron schuld,« murmelte er und wäre beinahe, über eine Falte des dicken Fußteppichs stolpernd, zu Fall gekommen. Seine nicht mehr ganz sichre Fassungskraft mühte sich krampfhaft ab, sich aus diesen peinlichen Vorstellungen herauszuwinden, er wollte der Tochter Aufklärungen machen, den Betrug an den Tag legen, um Verzeihung bitten – das verlangte seine Ehre – es fehlte ihm jedoch die Energie, zu einem Entschlusse zu gelangen.

Als die Flügelthüren sich jetzt öffneten, und Isabella ihrem Vater entgegeneilte, drückte er ihren Kopf zärtlich an seine Brust, vergoß sogar einige Thränen mit echt aristokratischem Anstand und wußte einige bedauernde Redensarten einfließen zu lassen. Er war in der That sehr gerührt, sein Kind an die Brust drücken zu können, er streichelte ihr bedauernd die Locken, nahm ihre Wangen zärtlich zwischen die beiden Hände, um einen Kuß auf ihre bleiche Stirne zu drücken, was ihn aber nicht daran verhinderte, die Asche seiner Cigarette graziös am kleinen Finger abzustreifen. Und er war herzlich froh, als sich sein Kind ohne Klagelaut nach wenigen Augenblicken aus seinen Armen riß, ihm die Hand drückte und sich sehr rasch entfernte. »Zerstreuung, Zerstreuung braucht das Kind,« sagte er, ihr wehmüthig nachblickend, »doch wie gefaßt, wie stark das Kind ist.«

Frau von Pork bedeutete ihm, daß diese Ruhe nicht immer das Resultat der Seelenstärke sei, daß vielmehr bei Isabella die tieferen Seelenerschütterungen einer Art Vorbereitung bedürften und daß sie befürchte, der eigentliche Ausbruch dieses zurückgedämmten Schmerzes werde später mit desto leidenschaftlicherer Heftigkeit nachkommen. Hiervon wollte Graf Ibstein nichts wissen. Das sei Schwärmerei; übrigens thue man recht gut, heute noch abzureisen. Isabella benahm sich allerdings auffallend ruhig. Sie saß wenige Stunden später neben ihrem Vater im Wagen, sagte zu allem, was dieser sprach: »Ja!« lächelte beständig und zeigte eine Fügsamkeit in den Willen Anderer, die etwas Rührendes hatte.

Erst gegen Abend, als man bereits das Palais der Residenz D. erreicht, stellte sich eine Unruhe ein, die der Gesellschafterin so Besorgnis erregend schien, daß sie ihr Lager für diese Nacht neben dem Zimmer der Gräfin aufschlug. Isabella schien jetzt erst zu sich selbst zu kommen, eine quälende Sehnsucht trieb sie in der Nacht mehrmals aus dem Bett; Frau von Pork fand sie dann immer an dem offenen Fenster stehen, den Griff in der Hand, den Kopf in die Nachtluft tauchend, als sähe sie draußen im Garten irgend eine Hülfe. Bis jetzt hatte sich indeß Isabellaʼs Schmerz noch nicht zu völlig bestimmten Gedanken oder ihr selbst genau bewußten Empfindungen abgeklärt. Ein Chaos von Qual wütete in ihrem armen Hirn, eine geistlähmende Betäubung benahm ihr oft völlig die Sinne. Sie hatte nur die dunkle Empfindung von etwas unsäglich Schlechtem, Undankbarem, sie gab sich Mühe zu hassen, zu verachten, was sie früher verehrt, geliebt, aber das einzige, was sie hierbei erreichte, war die unbestimmte, elende und demütigende Vorstellung, daß sie nun einmal nicht hassen konnte, daß sogar gerade diese schändliche Leichtfertigkeit, mit der man sie verlassen, dem Schändlichen eine neue Anziehungskraft verlieh. Das Grausame zog sie an; das demütigende Gefühl, ihm eine Waare gewesen zu sein, die man wegwirft, wenn sie uns nicht mehr behagt, gab jenem einen gewissen kalten Heroismus in ihren Augen, den Heroismus des Bösen. Und wie sehr sie sich darum verachtete! So erfüllte sie denn schließlich jene dumpfe, zornige Ohnmacht, die gegen das eigne Ich wütet und die uns weiter nichts mehr übrig läßt, als zu ertragen, was kaum zu ertragen ist, jene Ohnmacht, die völlige Bewußtlosigkeit heischend, aller Selbstpein ein Ende machen möchte.

* * *

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04 aralık 2019
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