Kitabı oku: «Blinde Liebe», sayfa 8
Hier wurde der Wein endlich vollständig Herr über seine Zunge. Der Doktor murmelte und lallte nur noch einige unverständliche Worte vor sich hin, dann sank er in seinen Stuhl zurück und fiel endlich, nachdem er noch einigemale aufgestöhnt hatte, in einen süßen Schlummer.
Alles und mehr als alles, was Mountjoy gefürchtet, hatte sich jetzt als wahr erwiesen. In nüchternem Zustand war der Doktor jedenfalls einer von den Menschen, die stets zum Lügen bereit sind. Aber in berauschtem Zustand plauderte er unbewußt die Wahrheit aus. Der Grund, welchen er für Lord Harrys fortgesetzte Abwesenheit in Irland angegeben hatte, konnte nicht so ohne weiteres zurückgewiesen werden. Es lag in der sorglosen Natur des wilden Lords, sein Leben der Gefahr preiszugeben in der Hoffnung, er werde im stande sein, Arthur Mountjoy an den Schurken zu rächen, die ihn ermordet hatten.
Da Hugh diese schlimmen Nachrichten für wahr hielt, lag wohl in diesem Fall ein zwingender Grund vor, Iris zu betrüben, indem er ihr die Gründe mitteilte, welche Lord Harry in seinem Vaterland zurückhielten? – Gewiß nicht!
Und andererseits: brachte es irgend welchen unmittelbaren Vorteil, wenn er ihr den wahren Charakter der Mrs. Vimpany als einer bezahlten Spionin enthüllte? In ihrem gegenwärtigen Gemütszustand würde Iris aller Wahrscheinlichkeit nach sich geweigert haben, das zu glauben.
Als er zu diesem Entschluß gekommen war, sah Hugh noch einmal nach dem Doktor, der in seinem Lehnstuhl lag und fürchterlich schnarchte und stöhnte. Er hatte seine Zeit und Geduld nicht unnütz verschwendet, sondern einem Plan gewidmet, der sich jetzt seinem erfolgreichen Ende nahte. Nach dem, was er soeben, dank dem Rotwein, gehört hatte, durfte er nicht länger Bedenken tragen, die schleunige Entfernung von Iris aus dem Hause des Mr. Vimpany ins Werk zu setzen, und dazu wollte er noch als Ueberredungsmittel das Telegramm ihres Vaters benützen, auf dessen Wirksamkeit er möglicherweise vertrauen konnte. Mountjoy verließ das Gasthaus ohne weiteren Aufenthalt und eilte zu Iris in der Hoffnung, er werde sie dazu vermögen, noch in dieser Nacht mit ihm nach London zurückzukehren.
Achzehntes Kapitel.
ls Hugh an der Thür des Hauses von Mr. Vimpany nach Miß Henley fragte, erfuhr er, daß sie in Begleitung ihres immer noch nicht recht hergestellten Mädchens ausgegangen sei. Sie hatte den Auftrag hinterlassen, wenn Mr. Mountjoy während ihrer Abwesenheit vorsprechen sollte, ihn zu bitten, er möchte so freundlich sein, auf ihre Rückkehr zu warten.
Auf dem Wege nach dem Empfangszimmer hörte Mountjoy die tiefe Stimme von Mrs. Vimpany, die, wie es den Anschein hatte, mit lautem Lesen beschäftigt war. Da die Thür für seinen Eintritt geöffnet wurde, überraschte er sie, wie sie mit majestätischen Schritten im Zimmer auf und ab wandelte, ein Buch in der Hand haltend. Sie deklamirte in pathetischem Tone, ohne daß jemand da war, ihrer Leistung Beifall zu spenden. Nach dem, was Hugh schon gehört hatte, konnte er nur zu dem Schluß kommen, daß Erinnerungen an ihre frühere Theaterlaufbahn die gewesene Schauspielerin verleitet hatten, eine Privatvorstellung zu geben zu ihrem eigenen Vergnügen in einer jener tragischen Rollen, von denen ihr Gatte gesprochen hatte. Bei Mountjoys Erscheinen gewann sie sofort ihre Selbstbeherrschung wieder mit der Leichtigkeit einer Meisterin in ihrer Kunst.
»Verzeihen Sie mir,« sagte sie, indem sie ihm das Buch mit der einen Hand entgegen hielt und mit der andern Hand darauf hinzeigte. »Shakespeare versetzt mich immer in eine heftige Aufregung. Eine kleine Flamme von dem Feuer des Dichters brennt auch in der Brust seiner armen Verehrerin. Darf ich hoffen, darin von Ihnen verstanden zu werden? Sie sehen aus, als ob Sie ein Gesinnungsgenosse von mir wären.«
Mountjoy that sein möglichstes, um die mitfühlende Rolle, welche Mrs. Vimpany ihm durch ihre letzten Worte zuerteilt hatte, richtig durchzuführen, aber er hatte nur den fraglichen Erfolg, daß er bewies, welch ein schlechter Schauspieler er geworden sein würde, wenn er auf die Bühne gegangen wäre. Mrs. Vimpany legte ihr Buch weg und stieg aus den erhabensten Höhen der Dichtkunst herab in die tiefsten Tiefen der Prosa.
»Lassen Sie uns jetzt von häuslichen Angelegenheiten sprechen,« sagte sie milde. »Haben die Leute in dem Gasthaus Ihnen ein gutes Mittagessen zubereitet?«
»Die Leute haben ihr Bestes gethan,« antwortete Mountjoy vorsichtig.
»Ist mein Gatte mit Ihnen zurückgekommen?« fuhr Mrs. Vimpany fort.
Mountjoy fing an zu bedauern, daß er nicht auf der Straße auf Iris gewartet hatte. Er war jetzt gezwungen, zu bekennen, daß der Doktor nicht mit ihm zurückgekommen sei.
»Nun, wo ist Mr. Vimpany?«
»Im Gasthof.«
»Was macht er denn dort?«
Mountjoy zögerte. Mrs. Vimpany erhob sich wieder in die Regionen der tragischen Dichtkunst. Sie schritt auf ihn zu, als ob er Macbeth gewesen wäre und sie ihren Dolch benützen wollte.
»Ich verstehe Sie nur zu gut,« erklärte sie in schrecklichen Tönen, »die Fehler und Schwächen meines unglücklichen Gatten sind mir wohl bekannt. Mr. Vimpany ist berauscht.«
Hugh versuchte die Sache so unschuldig wie nur möglich darzustellen.
»Er ist nur eingeschlafen,« sagte er. Mrs. Vimpany warf ihm von neuem einen Blick zu. Diesmal war sie die Königin Katharina, welche den Kardinal Wolsey ansieht. Sie verbeugte sich mit stolzer Höflichkeit und öffnete die Thür.
»Ich muß einen Ausgang machen,« sagte sie und entfernte sich mit langsam abgemessenen Schritten.
Fünf Minuten später sah Mountjoy, der in ungeduldiger Erwartung von Miß Henleys Rückkehr ans Fenster getreten war, Mrs. Vimpany auf der Straße. Sie trat in den Laden eines Apothekers und kam bald darauf wieder heraus mit einer kleinen, eingewickelten Flasche in der Hand. Majestätisch schritt sie die Straße hinab und war bald seinen Augen entschwunden. Wenn Hugh ihr gefolgt wäre, würde er die Frau des Doktors an der Thür des Gasthofes eingeholt haben.
Der unbeschäftigte Kellner stand in dem Hausflur und schaute sich um, obgleich eigentlich gar nichts da war, wonach er sehen konnte. Er machte vor Mrs. Vimpany eine Verbeugung und teilte ihr mit, daß die Wirtin ausgegangen sei.
»Sie können mir ebenso gut sagen, was ich wissen will,« lautete die Antwort. »Ist Mr. Vimpany noch hier?«
Der Kellner lächelte und führte die Frau des Doktors durch den Hausflur an den Fuß der Treppe.
»Sie können ihn von hier aus schon hören.«
Es war vollkommen richtig. Mr. Vimpanys Schnarchen sprach für Mr. Vimpanys Anwesenheit. Seine Frau stieg die ersten zwei oder drei Stufen hinauf und blieb dann stehen, um noch etwas mit dem Kellner zu reden. Sie fragte ihn, was die beiden Herren beim Essen getrunken hätten.
»Sie haben den sauren französischen Wein getrunken.«
»Und sonst nichts?«
Der Kellner erlaubte sich jetzt einen kleinen Scherz.
»Sonst nichts,« antwortete er, »aber mehr als genug von diesem.«
»Ich hoffe, nicht mehr als genug für den Vorteil des Hauses,« bemerkte Mrs. Vimpany verweisend.
»Ich bitte um Entschuldigung, Frau Doktor; der Rotwein, den die beiden Herren bei Tische getrunken haben, ist nicht mit auf die Rechnung geschrieben worden.«
»Was soll das heißen?«
Der Kellner erklärte ihr, daß Mr. Mountjoy den ganzen Vorrat dieses Weines gekauft hätte. Argwohn sowohl wie Erstaunen zeigte sich auf dem Gesichte der Mrs. Vimpany. Sie hatte es bisher für wahrscheinlich gehalten, der elegante und vornehme Freund der Miß Henley könnte heimlich in die junge Dame verliebt sein. Ihr Argwohn wurde jetzt noch vermehrt. Sie stieg allein die Treppe hinauf und schlug laut die Thüre des Privatzimmers zu, um dadurch ihren schlafenden Mann aufzuwecken. Aber selbst der gewaltige Lärm, den sie auf diese Weise verursachte, war nicht im stande, den berauschten Doktor dem süßen Schlummer zu entreißen. Er schien für äußere Eindrücke vollständig unempfindlich zu sein. Eine Weile blieb sie ruhig stehen und betrachtete ihn über den Tisch weg mit unaussprechlicher Verachtung.
Da lag nun der Mann, an welchen die Religion und die Gesetze des Landes sie für das Leben gefesselt hatten.
Als sie mit sorgloser Neugier die Unordnung auf dem Tische betrachtete, bemerkte sie noch einen Rest Wein in dem Glas, aus dem ihr Gatte getrunken. Hatte man künstliche Mittel angewendet, um ihn in seinen gegenwärtigen Zustand zu versetzen? Sie kostete den Rotwein. Nein, in seinem Geschmacke fand sie nichts, was etwa hätte andeuten können, daß irgend etwas Fremdes beigemischt worden wäre. Wenn sie dem Kellner Glauben schenken konnte, so hatte ihr Gatte nichts weiter als Rotwein getrunken – und trotzdem lag er jetzt hier in einem Zustande von vollkommen hilfloser Betäubung.
Sie blickte noch einmal über den Tisch hin und entdeckte unter den vielen leeren Flaschen eine, in der sich noch etwas Wein befand. Nach einem kurzen Moment der Ueberlegung nahm sie ein reines Glas von dem Seitentische.
Das war also der Wein, welcher für Mr. Vimpany und seine Freunde ein Gegenstand des Spottes gewesen war. Sie waren alle starke Esser und Trinker, und es verlohnte gewiß der Mühe, ihre Ansicht zu prüfen. Jetzt suchte sie nicht mehr darnach, ob in dem Weine ein fremder Stoff vorhanden sei. Ihr jetziger Versuch hatte nur den Zweck, ihn auf seinen eigenen Wert hin zu prüfen.
Zur Zeit ihrer Triumphe auf den ländlichen Bühnen – vor dem Tage ihrer unglücklichen Heirat – hatten reiche Verehrer und Bewunderer die hübsche Schauspielerin oftmals zu Diners und Soupers eingeladen, welche jeden Luxus darboten, den die vollkommenste Tafel gewähren konnte. Die eigene Erfahrung hatte sie daher bekannt gemacht mit dem Geschmacke des allerbesten Rotweins, und diese Erfahrung war wieder aufgefrischt worden durch den Rotwein, den sie soeben gekostet hatte. Es war nicht schwer einzusehen, warum Mr. Mountjoy diesen Wein gekauft, und nachdem sie ein wenig nachgedacht, wurde ihr gleichfalls der Grund klar, weswegen er Mr. Vimpany zum Essen eingeladen hatte. Von diesem ersten Erfolg ihrer Entdeckung, den sie ihrem eigenen Scharfsinn zu verdanken hatte, war sie zunächst vollständig überwältigt, aber bald hatte sie ihre Fassung wieder erlangt. Ihr dicker Mann war zum Trinken verleitet worden und auch zum Ausplaudern, natürlich zum Vorteil von Mr. Mountjoy.
Welche Geheimnisse konnte der Unglückliche nicht verraten haben, bevor ihn der Wein vollständig seiner Besinnung beraubt hatte?
Von Aerger und Wut getrieben, schüttelte sie ihn heftig. Er erwachte und blickte sie mit blutunterlaufenen Augen an; dann drohte er ihr mit der geballten Faust. Hier gab es nur einen Weg, um ihn aus seiner stumpfsinnigen Betäubung aufzurütteln. Sie kannte ihn aus Erfahrung, die sie bei so mancher früheren Gelegenheit gemacht hatte.
»Du Narr, Du hast wieder einmal zu viel getrunken, und jetzt wartet ein Kranker auf Dich!«
An diese Verlegenheit war er gewöhnt, aber die Worte seiner Frau brachten ihn doch wieder etwas zur Besinnung. Mrs. Vimpany riß den Papierumschlag von der Medizinflasche, die sie mitgebracht hatte, ab und öffnete sie. Er starrte auf die Flasche hin und murmelte für sich: »Sie will mich vergiften.« Mrs. Vimpany ergriff nun mit der einen Hand seinen Kopf, und mit der andern hielt sie ihm die geöffnete Flasche unter die Nase:
»Dein eigenes Mittel,« schrie sie ihm ins Ohr, »für Dich und Deine sauberen Freunde!«
Seine Nase sagte ihm, was Worte vergebens versucht haben würden. Er schluckte die Medizin hinunter.
»Wenn ich den Patienten verliere,« lallte er orakelhaft, »so verliere ich auch das Geld.«
Seine resolute Frau zog ihn vom Stuhle empor. Eine zweite Thür führte aus dem Speisezimmer in ein leeres Schlafgemach. Mit ihrer Hilfe gelangte er dorthin und warf sich auf das Bett.
Mrs. Vimpany sah nach der Uhr.
Bei gar so mancher früheren Gelegenheit hatte sie gelernt, wie viel Zeit erforderlich war, bevor der ernüchternde Einfluß der Medizin sich erfolgreich erweisen konnte. Für jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als in das Speisezimmer zurückzukehren. Der Kellner erschien und fragte sie, ob er etwas für sie thun könne. Vertraut mit dem Charakterfehler des Doktors, verstand er sofort, was es bedeutete, als sie nach der Thür des Schlafzimmers wies.
»Die alte Geschichte, Frau Doktor!« sagte er mit der Miene respektvoller Teilnahme. »Darf ich Ihnen eine Tasse Thee holen?«
Mrs. Vimpany bejahte und trank den Thee, in Gedanken versunken.
Sie hatte jetzt zwei Pläne in Aussicht. Erstens wollte sie sich an Mountjoy rächen, und zweitens suchte sie einen Weg, um ihn zu zwingen, die Stadt zu verlassen, bevor er Iris seine Entdeckungen mitteilen konnte. Wie es möglich war, diese beiden so verschiedenen Ziele auf einem und demselben Wege zu erreichen, das war ihr vorderhand noch ein Rätsel, welches sie gerade lösen wollte, als die rauhe Stimme ihres Mannes aus dem Schlafzimmer ertönte und nach jemand verlangte.
Wenn sein Kopf während dieser Zeit klar genug geworden war, um die Fragen zu verstehen, welche sie ihm vorzulegen beabsichtigte, so konnte es leicht möglich sein, daß seine Antworten ihr zur Lösung dieses Rätsels verhalfen. Mrs. Vimpany erhob sich daher schnell und ging in das Schlafzimmer.
»Du elender Mensch,« begann sie, »bist Du jetzt wieder nüchtern?«
»Ich bin so nüchtern wie Du.«
»Weißt Du,« fuhr sie fort, »warum Mr. Mountjoy Dich eingeladen hat, mit ihm zu Mittag zu essen?«
»Weil er mein Freund ist.«
»Er ist Dein schlimmster Feind; schweig still und paß auf, ich werde Dir gleich erklären, was ich meine. Nimm Dein Gedächtnis zusammen, wenn Dir überhaupt noch etwas davon geblieben ist! Ich will wissen, was ihr, Du und Mr. Mountjoy, nach dem Essen zusammen geredet habt.«
Er starrte sie ganz verständnislos an. Sie versuchte jetzt, sein Gedächtnis zu erwecken, indem sie durch Fragen nachhalf. Es war nutzlos. Er klagte nur in einem fort, daß er Durst habe. Seine Frau ließ Sodawasser und Brandy kommen. Die einzige Möglichkeit, etwas aus ihm herauszubringen, war, seiner schlimmen Leidenschaft zu willfahren. Sie reichte ihm daher selbst das begehrte Getränk.
Und wirklich machte dieses sein benebeltes Gehirn in einem gewissen Grade wieder klar. Mrs. Vimpany versuchte es nun noch einmal, seine Erinnerung zu wecken. Hatte er dies gesagt? Hatte er jenes gesagt? Ja, er glaube es gewiß. Hatte er oder Mr. Mountjoy Lord Harrys Namen erwähnt? Ein Strahl der Erleuchtung glänzte in seinen blöden Augen. Ja, und sie waren darüber in Streit geraten; so viel er sich erinnere, habe er sogar Mr. Mountjoy eine Flasche an den Kopf geworfen. Hatten sie auch von Miß Henley gesprochen? O, natürlich! Was denn? Er war nicht im stande, sich darauf zu besinnen. Weswegen hatte ihn seine Frau jetzt so zu plagen?
»Das thu' ich gar nicht,« antwortete sie. »Gib Dir nur Mühe, das zu verstehen, was ich Dir sagen will. Wenn Lord Harry zu uns kommt, so lange Miß Henley in unserem Hause ist –«
Er unterbrach sie.
»Das ist Deine Sache, das geht mich nichts an.«
»Warte einen Augenblick. Das ist allerdings mein Geschäft,« sagte sie, »und ich werde es auch allein besorgen, wenn ich vorher erfahre, daß der Lord kommt. Er ist jedoch rücksichtslos genug, uns zu überraschen. In diesem Falle möchte ich, daß Du Dich nützlich machtest. Wenn Du zufällig zu Hause bist, so suche es zu verhindern, daß er Miß Henley früher zu sehen bekommt, als bis ich mit ihr gesprochen habe.«
»Warum?«
»Ich möchte die Gelegenheit benützen, ihr meinen Betrug einzugestehen, bevor sie selbst dahinter kommt. Ich hoffe, daß sie mir verzeihen wird, wenn ich ihr alles beichte.«
Der Doktor lachte.
»Was zum Teufel kommt denn darauf an, ob sie Dir verzeiht oder nicht?«
»Es kommt sehr viel darauf an.«
»Du sprichst ja wahrhaftig, als ob Du in sie verliebt wärest!«
»Das bin ich auch.«
Das getrübte Begriffsvermögen des Doktors fing jetzt endlich an, sich aufzuhellen. Er antwortete ihr boshaft:
»In sie verliebt sein und sie dabei betrügen – ha, ha, das ist wirklich sehr gut!«
»Ja,« versetzte sie ruhig, »es ist genau so, wie Du sagst. Es ist nach und nach immer mehr bei mir gewachsen, dieses Gefühl. Ich kann es nicht ändern, daß ich Miß Henley gern habe.«
»Ach,« entgegnete Mr. Vimpany, »Du bist eine Närrin!« Er blickte sie verschmitzt an. »Nun angenommen, ich machte mich nützlich in der Weise, wie Du es verlangst, was kann ich dabei gewinnen?«
»Wir wollen jetzt wieder,« entgegnete sie, ohne seine Frage zu beantworten, »von dem Manne sprechen, der Dich zum Mittagessen eingeladen und Dich für seine Zwecke betrunken gemacht hat.«
»Ich werde ihm alle Knochen im Leibe zerbrechen!«
»Sprich doch keinen Unsinn. Ueberlaß Mr. Mountjoy nur mir ganz allein.«
»Nimmst Du für ihn Partei? Ich kann Dir nur das sagen, wenn ich zu viel von diesem verdammten, vergifteten, französischen Weine getrunken habe, so ging mir Mr. Mountjoy mit gutem Beispiele voran. Er war betrunken, schmählich betrunken. Ich gebe Dir mein Ehrenwort darauf.«
Seine Frau, die bis dahin vollständig ruhig und kalt geblieben war, wurde plötzlich sehr aufgeregt. An dem, was der Doktor soeben von Hugh gesagt hatte, war sicher nicht ein Fünkchen Wahrheit, und Mrs. Vimpany ließ sich auch keinen Augenblick dadurch täuschen. Aber diese Lüge hatte diesmal zufälligerweise ein Verdienst – sie brachte sie nämlich auf den Weg, den sie vorhin vergeblich gesucht hatte, während sie ihren Thee trank.
»Wenn ich nun Dir die Möglichkeit verschaffen würde, Dich an Mr. Mountjoy zu rächen?« fragte sie.
»Wie?«
»Willst Du Dich an das erinnern, was ich Dich vorher bat, für mich zu thun, im Falle Lord Harry uns überrascht?«

Er zog sein Notizbuch aus der Tasche und sagte ihr, sie möge ihm einige Worte hineinschreiben, damit er die Sache nicht vergesse. Sie schrieb so kurz, als ob sie ein Telegramm abgefaßt hätte:
»Halte Lord Harry zurück, damit er nicht früher Miß Henley sieht, bevor ich mit ihr gesprochen habe.«
»Jetzt,« sagte sie, indem sie einen Stuhl an die Seite seines Bettes rückte, »sollst Du erkennen lernen, was für eine kluge Frau Du hast. Höre genau zu.«
Neunzehntes Kapitel.
Nachdem Mountjoy wohl schon zehnmal aus dem Fenster des Empfangszimmers geschaut hatte, erblickte er endlich Iris auf der Straße, als sie nach Hause zurückkehrte.
Sie brachte ihr Kammermädchen mit in das Empfangszimmer und stellte Rhoda in heiterster Laune ihrem Freunde vor.
»Welch ein Vergnügen ist doch ein so weiter Spaziergang, man muß es nur erst kennen lernen!« rief sie aus. »Sehen Sie nur die frisch geröteten Wangen meiner kleinen Rhoda! Wer würde da glauben, daß sie mit trüben Augen und bleicher Gesichtsfarbe hierher gekommen wäre? Ausgenommen, daß sie sich jedesmal in der Stadt verirrt, so oft sie allein ausgeht, haben wir allen Grund, uns zu unserem Aufenthalte in Honeybuzzard Glück zu wünschen. Der Doktor ist Rhodas guter Genius und seine Frau ihre Patin, wie die Fee im Märchen.«
Mountjoy sprach mit seiner gewohnten Höflichkeit dem Mädchen seine Glückwünsche aus. Darauf durfte Rhoda auf ihr Zimmer gehen.
Iris kam sofort auf sein gemeinsames Mittagessen mit dem Doktor zu sprechen.
»Ich hätte dabei sein mögen,« sagte sie, »um zu sehen, wie sich Ihr Gast an den Herrlichkeiten aus der Speisekammer des Hotels gütlich that. Im Ernst gesprochen, Hugh, Ihre gesellschaftlichen Sympathien haben eine Richtung angenommen, auf die ich nicht vorbereitet war. Nach dem Beispiel, das Sie mir gegeben haben, fühle ich mich wirklich wegen meiner Zweifel, ob Mr. Vimpany einer so liebenswürdigen Frau würdig sei, sehr beschämt. Glauben Sie nicht etwa, daß ich gegen den Doktor undankbar bin; er hat durch das, was er an Rhoda gethan, sich meine Achtung zu erringen verstanden. Ich bin mir nur darüber nicht klar, wie er sich Ihre Sympathien erworben hat.«
In der Weise fuhr sie noch weiter zu reden fort und freute sich ihrer eigenen guten Laune in unschuldigere Unkenntnis der ernsten Dinge, über die sie lachte.
Mountjoy versuchte, sie etwas zu mäßigen, aber es war umsonst.
»Nein, nein,« beharrte sie so mutwillig wie zuvor, »der Gegenstand ist zu interessant, als daß ich ihn so schnell fallen ließe. Ich bin furchtbar neugierig, zu hören, wie Sie und Ihr Gast das Mittagessen gefunden haben. Hatte er mehr Wein getrunken, als gut für ihn war? Wenn er sich manchmal selbst vergißt, so bringt er alles doch immer gleich wieder in Ordnung, indem er sagt: ›Bitte, nicht beleidigt sein!‹ und sich die Flasche von neuem reichen läßt.«
Jetzt konnte Hugh nicht länger ruhig zuhören.
»Bitte, mäßigen Sie für einen Augenblick Ihre Lebhaftigkeit!« sagte er; »ich bringe für Sie Nachrichten von zu Hause.«
Diese Worte machten dem Ausbruch ihrer Fröhlichkeit sofort ein Ende.
»Nachrichten von meinem Vater?« fragte sie.
»Ja.«
»Ist er hierher gekommen?«
»Nein, ich habe nur Mitteilungen von ihm erhalten.«
»Einen Brief?«
»Ein Telegramm,« erklärte Mountjoy, »als Beantwortung auf einen Brief von mir. Ich that mein möglichstes, um ihm Ihre Wünsche verständlich zu machen, und ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß meine Mühe nicht umsonst gewesen ist.«
»Hugh, lieber Hugh, Sie haben es also wirklich fertig gebracht, uns zu versöhnen?«
Mountjoy zog das Telegramm aus der Tasche.
»Ich bat Mr. Henley,« sagte er, »mich sofort wissen zu lassen, ob er Sie wieder aufnehmen wollte, er solle einfach mit Ja oder Nein antworten. Die Antwort hätte nun zwar liebenswürdiger ausgedrückt werden können, es ist indessen doch wenigstens eine günstige Antwort.«
Iris las das Telegramm.
»Gibt es wohl noch auf der Welt einen zweiten Vater,« sagte sie traurig, »der seiner Tochter sagen würde, wenn sie ihn bittet, wieder nach Haus zurückkehren zu dürfen, er wolle sie versuchsweise wieder bei sich ausnehmen?«
»Sie sind ihm doch nicht gram, Iris?«
Sie schüttelte ihren Kopf.
»Nein,« sagte sie, »mir geht es wie Ihnen. Ich kenne ihn zu gut, um durch seine Art und Weise beleidigt zu sein. Er soll mich pflichtgetreu, er soll mich geduldig finden. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht so lange zumuten, hier in Honeybuzzard zu warten, bis ich wegkommen kann. Wollen Sie meinem Vater sagen, daß er mich in ungefähr einer Woche zurückerwarten soll?«
»Entschuldigen Sie, Iris, ich sehe, keinen Grund, weswegen Sie noch eine ganze Woche hier in dieser Stadt bleiben wollen. Im Gegenteil, je angelegentlicher Sie es sich sein lassen, zu Ihrem Vater zurückzukehren, um so wahrscheinlicher ist es, daß Sie Ihren Platz in seiner Liebe und Achtung wieder gewinnen. Ich beabsichtigte, Sie mit dem nächsten Zuge nach Hause zu bringen.«
Iris sah ihn erstaunt an.
»Ist es möglich,« sagte sie, »daß das Ihre wirkliche Meinung ist?«
»Meine aufrichtigste, liebe Iris. Warum sollten Sie zögern? Welcher stichhaltige Grund könnte Sie denn veranlassen, hier noch länger zu bleiben?«
»O Hugh, wie Sie mich enttäuschen! Wohin ist denn Ihre Liebenswürdigkeit, wohin ist denn Ihr Gerechtigkeitssinn und Ihre Rücksicht auf andere gekommen? Arme Mrs. Vimpany!«
»Was hat denn Mrs. Vimpany damit zu thun?«
Iris war empört.
»Was Mrs. Vimpany damit zu thun hat!« wiederholte sie. »Nach allem, was ich der Liebenswürdigkeit dieser guten Frau verdanke, nachdem ich versprochen habe, sie zu begleiten – sie hat so wenig glückliche Tage, die arme Seele! – auf Ausflügen nach den interessantesten Punkten der Nachbarschaft, da erwarten Sie von mir, daß ich sie sofort verlassen soll – nein, noch viel Schlimmeres als das – Sie erwarten von mir, die Arme wie ein altes, abgetragenes Kleid beiseite zu werfen? Und dies, nachdem ich sie in so ungerechter, in so undankbarer Weise in meinen Gedanken verdächtigt habe? Schändlich!«
Mit Mühe bewahrte Mountjoy seine Selbstbeherrschung. Nach dem, was er soeben gehört hatte, waren seine Lippen verschlossen betreffs des wahren Charakters der Mrs. Vimpany. Er konnte jetzt nur noch sich an die Pflicht gegen ihren Vater halten.
»Sie lassen sich von Ihrem lebhaften Charakter immer gleich zu den sonderbarsten Aeußerungen fortreißen,« antwortete er. »Wenn ich es für wichtiger halte, eine Versöhnung mit Ihrem Vater so schnell wie möglich herbeizuführen, als Sie zu ermutigen, Ausflüge mit einer Dame zu machen, die Sie doch nur erst eine oder zwei Wochen kennen, was habe ich dann so Entsetzliches gethan, daß ich einen solchen Ausbruch des Zornes und Aergers verdiene? Still, nicht ein Wort mehr hievon, denn da ist Mrs. Vimpany selbst!«
Während er sprach, war Mrs. Vimpany in das Zimmer getreten; sie war von der Unterredung mit ihrem Gatten aus dem Gasthaus zurückgekommen. Sie warf zuerst einen Blick auf Iris und bemerkte sofort Zeichen von Verwirrung und Mißstimmung in dem Gesichte des jungen Mädchens.
Indem sie ihre Befürchtungen geschickt unter einem wunderbaren Bühnenlächeln verbarg, welches für so viele geheime Gedanken einen praktischen Schleier abgibt, sagte Mrs. Vimpany einige entschuldigende Worte wegen ihrer Abwesenheit. Miß Henley antwortete, ohne die geringste Veränderung in ihrem freundschaftlichen Verhalten gegen die Frau des Doktors. Die Zeichen der Verwirrung und Mißstimmung waren also nach Mrs. Vimpanys Ansicht augenscheinlich einer ganz unwichtigen Ursache zuzuschreiben. Mr. Mountjoy hatte ihr noch nicht seine Entdeckungen mitgeteilt.
Auf Hughs Gemütszustand übte die Anwesenheit der Herrin des Hauses einen störenden Einfluß aus und zwang ihn, seinen Verstand anzustrengen. Unglücklicherweise kam er auf den Gedanken, ihr eine Frage vorzulegen, welche sich auf den Streit zwischen ihm und Iris bezog.
»Es handelt sich um etwas ganz Einfaches,« sagte er zu Mrs. Vimpany. »Miß Henleys Vater wünscht, daß sie zu ihm zurückkehren soll, nachdem eine kleine Differenz, die zwischen ihnen geherrscht hatte, glücklicherweise beigelegt ist. Glauben Sie nun, daß einige zufällige Bekanntschaften, die sie gemacht hat, sie von der sofortigen Heimkehr abhalten dürfen? Wenn sie um Ihre gütige Nachsicht unter diesen Umständen bittet, hat sie dann ein Recht, eine Abweisung vorauszusetzen?«
Mrs. Vimpanys ausdrucksvolle Augen blickten mit scheinheiliger Ergebenheit zu der schmutzigen Zimmerdecke empor und schienen durch einen stummen Blick zu fragen, was sie denn für ein Unrecht gethan hätte, das einen solchen Zweifel in sie zu setzen erlaubte!
»Mr. Mountjoy,« sagte sie ernst, »Sie beleidigen mich durch diese Frage! – Liebe Miß Henley,« fuhr sie fort, sich an Iris wendend, »Sie thun mir gewiß unrecht! Halten Sie mich denn für fähig, daß ich meinen persönlichen Gefühlen gestatten würde, hindernd in den Weg zu treten, wenn Ihre Kindespflicht in Frage kommt? Verlassen Sie mich nur ohne Bedenken, meine liebe Freundin, gehen Sie, ich beschwöre Sie, gehen Sie sofort nach Hause zu Ihrem Vater!«
Sie zog sich von der Bühne zurück – das heißt, sie ging nur an das andere Ende des Zimmers und brach dort in Thränen aus, natürlich Theaterthränen. Die leicht gerührte Iris beeilte sich, ihr Trost zuzusprechen.
»Schämen Sie sich!« flüsterte sie Mr. Mountjoy zu, als sie an ihm vorüberging.
So war er denn zum zweitenmale von Mrs. Vimpany geschlagen worden – und diesmal, ohne daß es ihm möglich war, seinen Widerstand gegen Miß Henleys Entschluß zu rechtfertigen: mit den beiden Frauen gegen sich, welche hinter den Vorrechten ihres Geschlechtes verschanzt waren, war die einzige noch mögliche Gelegenheit, im Interesse von Iris Henley zu handeln, daß er unter Aufopferung seiner eigenen Gefühle seinen Wunsch unterdrückte, das Haus sofort zu verlassen. In der ratlosen Lage, in der er sich jetzt befand, konnte er nur warten, um zu beobachten, welchen Weg Mrs. Vimpany jetzt für vorteilhaft hielt, einzuschlagen. Würde sie wohl in ihrer gewohnten, sehr höflichen Weise ihn bitten, seinen Besuch zu beendigen? Nein, sie blickte zu ihm hin – zögerte – warf verstohlen einen Blick durch das Fenster auf die Straße – lächelte geheimnisvoll – und setzte der Aufopferung ihrer eigenen Gefühle die Krone auf durch die Worte:
»Liebste Miß Henley, lassen Sie mich Ihnen beim Einpacken Ihrer Sachen behilflich sein!«
Iris schlug dies rundweg ab.
»Nein,« sagte sie, »ich stimme hierin nicht mit Mr. Mountjoy überein. Mein Vater überläßt es mir vollkommen, den Tag zu bestimmen, an welchem ich zurückkehren will. Ich halte fest, meine liebe Mrs. Vimpany, an unserer Abmachung – ich verlasse eine angenehme, liebenswürdige Freundin nicht so, wie ich von einer Fremden weggehen würde.«
Mrs. Vimpany schlang ihre kräftigen Arme um die edelmütige Iris und dankte ihr mit der unnachahmlichsten Grazie durch einen Kuß.
»Ihre Güte wird es mir schwerer denn jemals machen, mein einsames Leben zu ertragen,« flüsterte sie, »wenn Sie von mir weggegangen sind.«
»Aber wir dürfen doch hoffen, uns in London wieder zu sehen,« erinnerte Iris sie, »wenn Mr. Vimpany nicht seinen Plan ändert, diese Stadt zu verlassen.«
»Das wird mein Gatte sicherlich nicht thun, meine Teure; er ist fest entschlossen, sein Glück, wie er sagt, in London zu versuchen. Inzwischen werden Sie wohl so liebenswürdig sein und mir Ihre Adresse geben; wollen Sie? Vielleicht versprechen Sie mir sogar, einmal an mich zu schreiben.«
Iris gab das Versprechen sofort und schrieb ihre Adresse in London auf ein Blatt Papier.
Mountjoy machte keinen Versuch, es zu verhindern, es war nutzlos.
Mrs. Vimpany kehrte wieder an das Fenster zurück. Bei dieser Gelegenheit blickte sie durch dasselbe auf die Straße hinab und nahm ihr Taschentuch in die Hand. Sollte das vielleicht ein Zeichen sein?
Iris ihrerseits näherte sich Mountjoy. So leicht sie sich auch zum Zorn hinreißen ließ, so wenig war ihre Natur fähig, lange darin zu verharren. So war es ihr jetzt Bedürfnis, einige begütigende Worte an Hugh zu richten.
Sie bot ihm herzlich ihre Hand. Er hatte sie gerade an seine Lippen gezogen, als die Thüre des Besuchszimmers heftig aufgerissen wurde. Sie sahen sich beide erschreckt um.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.