Der Monddiamant

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Ich nahm also meinen Verstand zusammen, der von der liederlichen englischen Beschaffenheit war und demgemäß Alles durcheinander rührte, bis Herr Franklin dazwischen fuhr und mich aus die rechte Fährte brachte.

»Bemerken Sie wohl,« sagte Herr Franklin, »daß die Unversehrtheit des Diamanten als eines ganzen Steines hier von der Bewahrung des Leben des Obersten vor einem gewaltsamen Ende abhängig gemacht ist. Es genügt ihm nicht, seinen Feinden zu sagen: »Tödtet mich, und Ihr werdet nicht besser an den Diamanten gelangen können als jetzt, er ist an einem Ort, aus dem Ihr ihn nicht herausholen könnt, in dem wohl bewachten Gewölbe einer Bank,« sondern er sagt: »Tödtet mich, und der Diamant hört auf in seiner jetzigen Gestalt zu existieren, wird nicht mehr derselbe sein.« Was bedeutet das?«

Hier glaubte ich, von einem Blitz des wunderbaren ausländischen Geistes erleuchtet zu sein.

»Ich hab’s,« sagte ich, »es bedeutet, daß der Werth des Steins vermindert werden soll und daß die Spitzbuben ans diese Weise um ihre Beute betrogen werden sollen.«

»Durchaus nicht,« entgegnete Herr Franklin, »ich habe mich danach erkundigt. Wenn der defekte Diamant in Stücke geschnitten würde, wäre ein höherer Preis dafür zu erzielen, als jetzt, aus dem einfachen Grunde, daß vier bis sechs tadellose Diamanten aus demselben gemacht werden könnten, welche zusammen werthvoller sein würden, als der eine große, aber unvollkommene Stein. Wenn Raub aus Gewinnsucht das Endziel der Verschwörung gewesen wäre, so hätten die Räuber in Folge der Instruktionen, die den Stein noch werthvoller machten, ihren Zweck nur noch besser erreicht. Es hätte mehr Geld dafür erlangt werden können und die Verwerthung aus dem Diamantenmarkte würde unendlich viel leichter gewesen sein, wenn der Stein durch die Hände des Diamantenschneiders in Amsterdam gegangen wäre.«

»Um’s Himmels willens« brach ich aus, »worin bestand denn die Verschwörung?«

»Es war eine organisierte Verschwörung der Indier, denen der Edelstein ursprünglich gehört hatte,« sagte Herr Franklin, eine Verschwörung, der, ein alter indischer Aberglaube zu Grunde lag. Das ist meine Ansicht, wie sie durch ein Familienpapier bestätigt wird, das ich in diesem Augenblick bei mir trage.«

Jetzt begriff ich, warum das Erscheinen der drei indischen Jongleurs vor unserm Hause einen solchen Eindruck auf Herrn Franklin gemacht hatte.

»Ich will Ihnen meine Ansicht nicht aufdrängen,« fuhr Herr Franklin fort, »die Idee, daß gewisse auserwählte Anhänger eines alten indischen Aberglaubens sich durch alle Schwierigkeiten und Gefahren hindurch der Aufgabe widmen, die Gelegenheit zur Wiedererlangung ihres kostbaren Juwels zu erspähen, scheint mir vollkommen mit allem dem zu stimmen, was wir über die Ausdauer orientalischer Völker und den Einfluß orientalischer Religionen wissen. Aber ich habe auch Einbildungskraft, und Schlächter, Bäcker und Zolleinnehmer sind für mich nicht die einzigen glaubhaften Existenzen. Lassen wir übrigens den Werth meiner vermeintlichen Aufschlüsse über die Sache auf sich beruhen und zu der einzigen praktischen Frage übergehen, die uns dabei angeht. Überlebt die Verschwörung gegen den Mondstein den Tod des Obersten? Und wußte der Oberst es, als er den Stein seiner Nichte zum Geburtstagsgeschenk vermachte?«

Jetzt fing ich an, zu begreifen, wie sehr Mylady und Fräulein Rachel bei der ganzen Sache interessiert seien und hörte seinem ferneren Bericht mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu.

»Ich hatte keine große Lust« fuhr Herr Franklin fort, »nachdem ich die Geschichte des Mondsteins herausgefunden hatte, der Überbringer desselben zu werden; aber mein Freund, der Advokat, stellte mir vor, daß doch Jemand das meiner Cousine bestimmte Vermächtniß in ihre Hände legen müsse und daß ich nicht mehr Grund habe, als ein Anderer, mich dieser Übergabe zu entziehen. Nachdem ich den Diamanten aus dem Gewölbe der Bank geholt und an mich genommen hatte, kam es mir vor, als ob ich auf den Straßen von einem schäbig aussehenden dunkelfarbigen Kerl verfolgt würde. Ich ging nach Hause, um mein Gepäck zu holen und fand dort einen Brief vor, der mich unerwarteter Weise in London zurückhielt. Ich ging mit dem Diamanten wieder nach der Bank und glaubte abermals den schäbigen Kerl zu sehen, und diesen Morgen, wo ich den Diamanten wieder aus der Bank holte, sah ich den Menschen zum dritten Mal, entwischte ihm und reiste, bevor er meine Spur wieder aufgefunden hatte, mit dem Morgen- statt mit dem Nachmittagszuge ab. Hier komme ich wohl und munter mit dem Diamanten an, und was ist die erste Nachricht mit der ich empfangen wurde? Ich höre, daß drei indische Herumtreiber sich vor dem Hause gezeigt haben und daß meine Ankunft von London und etwas, das ich bei mir tragen soll, der Gegenstand ihrer besonderen Nachforschung sind, sobald sie sich allein glauben. Ich will mich nicht weiter dabei aufhalten, wie sie Tinte in die Hand des Jungen gießen und ihn in derselben einen entfernten Mann und etwas in dessen Tasche sehen heißen. Ich habe dergleichen oft genug in Indien gesehen und halte es, wie Sie, für Hokus-Pokus. Worauf es jetzt einzig und allein für uns ankommt, ist die Frage, ob ich mit Unrecht diesem Vorfalle Bedeutung beilege, oder ob wir wirklich Grund haben, anzunehmen, daß die Indier die Spur des Mondsteins von dem Moment an verfolgen, wo derselbe das sichere Gewahrsam der Bank verlassen hat.«

Und doch schien uns Beide diese Frage nicht vorzugsweise zu beschäftigen. Wir sahen uns einander an und blickten dann auf die Fluth, wie sie sich sachte höher und höher über den Zitterstrand ergoß.

»Woran denken Sie?« fragte Herr Franklin plötzlich.

»Ich dachte,« antwortete ich, »daß ich den Diamanten am liebsten in den Flugsand versenken und so der ganzen Sache ein Ende machen möchte.«

»Wenn Sie den Werth des Steines aus Ihrer Tasche ersetzen wollen, so sagen Sie es nur, Betteredge, und auf der Stelle versenke ich den Stein.«

Es ist merkwürdig, wie uns, bei einem aufgeregten Gemüthszustand, der kleinste Schmerz erleichtern kann. Wir fanden damals eine unerschöpfliche Quelle von Späßen in der Ausmalung der schrecklichen Verlegenheiten, in welche Herr Blake als Exekutor gerathen würde, wenn wir das Eigenthum von Fräulein Rachel verschleudern würden, obgleich es mir jetzt völlig unerfindlich ist, worin eigentlich die Veranlassung zu unserm Scherzen lag.

Herr Franklin brachte unser Gespräch zuerst wieder auf seinen eigentlichen Gegenstand zurück. Er nahm ein Couvert aus seiner Tasche, öffnete dasselbe und gab mir das darin befindliche Papier.

»Betteredge,« sagte er, »wir müssen um meiner Tante willen der Frage nach den Motiven, die den Obersten bei dem Vermächtniß an seine Nichte geleitet haben, grade in’s Gesicht sehen. Erinnern Sie sich, wie Lady Verinder ihren Bruder von dem Augenblick seiner Rückkehr nach England an bis zu der Zeit behandelt hat, wo er zu Ihnen sagte: er werde des Geburtstages seiner Nichte gedenken. Und dann lesen Sie dies.«

Das Papier enthielt einen Auszug aus dem Testament des Obersten. Er liegt neben mir, während ich dieses schreibe, und ich will es in Folgendem zum Besten des Lesers abschreiben.

»Drittens und letztens schenke und vermache ich meiner Nichte Rachel Verinder, Tochter und einzigem Kinde meiner verwittweten Schwester Julia Verinder, für den Fall, daß genannte Julia Verinder an dem ersten meinem Tode folgenden Geburtstage genannter Rachel Verinder am Leben sein sollte, den mir gehörenden, im Orient unter dem Namen »der Mondstein« bekannten gelben Diamanten. Und ich will, daß mein Testament-Executor meinen Diamanten entweder durch seine eigenen Hände oder durch die Hände einer zuverlässigen von ihm dazu beauftragten Person in den Besitz meiner genannten Nichte Rachel an ihrem nächsten Geburtstage nach meinem Tode, und wo möglich in Gegenwart meiner Schwester, der genannten Julia Verinder, gelangen lasse. Und ich will, daß meine genannte Schwester durch eine beglaubigte Abschrift dieser der dritten und letzten Klause! meines Testaments davon in Kenntnis gesetzt werde, daß ich ihr die Schmach, die sie durch ihr Benehmen gegen mich meinem Ruf während meines Lebens angethan hat, aus freiem Willen vergeben habe, und insbesondere als einen Beweis dafür, daß ich, wie es einem Sterbenden wohl ansteht, die mir als einem Offizier und Gentleman zugefügte Beleidigung verzeihe, daß ihr Diener auf ihren Befehl mir am Geburtstag ihrer Tochter die Thür ihres Hauses weisen mußte.«

Weitere Bestimmungen verfügten für den Fall, daß Mylady oder Fräulein Rachel zur Zeit des Ablebens des Testators verstorben sein sollten, daß der Diamant in Gemäßheit der versiegelten und mit demselben deponierten Instruktionen nach Holland geschickt werden solle. Der Erlös des Verkaufs sollte in diesem Falle der Summe hinzugefügt werden, welche bereits durch das Testament für die Gründung einer Professur der Chemie an einer Universität des Nordens bestimmt war.

Ich gab Herrn Franklin das Papier zurück und wußte nicht, was ich sagen sollte. Bis zu jenem Augenblick war ich, wie der Leser weiß, der Ansicht gewesen, daß der Oberst als ein eben so schlechter Mensch gestorben sei, wie er gelebt habe. Nun will ich nicht sagen, daß der abschriftliche Auszug aus dem Testament mir sofort eine andere Meinung beibrachte, ich sage nur, daß er mich betroffen machte.

»Nun,« fragte Herr Franklin, »was sagen Sie jetzt, nachdem Sie die eigene Aussage des Obersten gelesen haben, was sagen Sie? Diene ich, indem ich den Mondstein in das Haus meiner Tante bringe, seiner Rache als ein blindes Werkzeug, oder diene ich dazu, seinen Charakter als den eines reuigen Christen wieder herzustellen?«

»Es scheint sehr hart,« antwortete ich, »zu sagen, daß er mit einer schrecklichen Rache im Herzen und einer fürchterlichen Lüge aus den Lippen gestorben sei. Gott allein weiß die Wahrheit! Fragen Sie mich nicht!«

 

Herr Franklin saß da und drehte und wendete den Testaments-Auszug in seinen Händen herum, als ob er auf diese Weise die Wahrheit herauspressen könnte. Sein Aussehen änderte sich dabei auffallend, hatte er kurz zuvor noch heiter und frisch ausgesehen, so erschien er jetzt aus fast unerklärliche Weise als ein ernster; feierlicher und nachdenklicher junger Mann.«

»Diese Frage hat zwei Seiten,« sagte er, »eine objektive und eine subjektive. Welcher sollen wir uns zuwenden?«

Er hatte sowohl eine deutsche wie eine französische Erziehung genossen. Bis jetzt hatte die eine von beiden; wie ich glaubte, ausschließlichen Besitz von ihm genommen, jetzt aber trat, so viel ich es beurtheilen konnte, die andere an die Stelle. Es ist einer meiner Grundsätze im Leben, nie Bemerkungen bei etwas zu machen, was ich nicht verstehe. Mit andern Worten: Ich sah ihm gerade in’s Gesicht und sagte weiter nichts.

»Suchen wir uns die wahre Bedeutung dieser Worte klar zu machen,« fuhr Herr Franklin fort, »warum hat mein Onkel den Diamanten Rachel und nicht meiner Tante vermacht?«

»Das ist nicht schwer zu errathen,« erwiderte ich, «Oberst Herncastle kannte Mylady gut genug, um zu wissen, daß sie die Annahme jedes von ihm kommenden Vermächtnisses verweigert haben würde.«

»Und woher wußte er, daß Rachel nicht ebenfalls die Annahme eines solches Vermächtnisses verweigern würde?«

»Giebt es ein junges Mädchen, die der Versuchung, ein solches Geburtstagsgeschenk wie den Mondstein anzunehmen, zu widerstehen vermöchte?«

»Das ist die subjektive Art, die Sache anzusehen,« entgegnete Herr Franklin »Es macht ihnen alle Ehre, Betteredge, daß Sie sich zu dieser Betrachtungsweise zu erheben im Stande sind. Das Vermächtnis des Obersten birgt aber noch ein anderes Geheimnis, welches wir noch nicht berücksichtigt haben. Wie sollen wir es erklären, daß es Rachel ihr Geburtstagsgeschenk nur unter der Bedingung vermacht, daß ihre Mutter noch am Leben sei?«

»Ich möchte einem Todten nichts Böses nachreden,« antwortete ich, »aber wenn er seiner Schwester absichtlich durch ein ihrem Kinde gemachtes Geschenk ein Vermächtniß voll Sorge und Gefahr hinterlassen hat, so mußte er natürlich das Geschenk an die Bedingung des Lebens seiner Schwester knüpfen, damit sie die ihr zugedachten Unannehmlichkeiten empfinden könne.«

So erklären Sie also seine Motive? Wieder die subjektive Erklärung! Sind Sie je in Deutschland gewesen, Betteredge?«

»Nein, und was ist Ihre Erklärung, wenn ich fragen darf?«

»So viel ich sehe,« sagte Herr Franklin, kann der Zweck des Obersten sehr wohl der gewesen sein, nicht seiner Nichte, die er nie gesehen hatte, etwas Gutes zu erzeigen, sondern seiner Schwester auf sehr graciöse Art durch ein ihrer Tochter gemachtes Geschenk zu beweisen, daß er ihr sterbend vergeben habe. Da haben Sie eine von der Ihrigen ganz verschiedene Art der Erklärung, die von einer subjektiv-objectiven Betrachtungsweise ausgeht. So weit ich es zu beurtheilen vermag, hat die eine Erklärung genau so viel für sich, als die andere.«

Als er die Frage auf diesen befriedigenden Punkt gebracht hatte, schien Herr Franklin zu finden, daß er Alles gethan habe, was von ihm verlangt werden könne. Er legte sich flach auf den Rücken in den Sand und fragte, was nun zu thun sei. Er war so klar und verständig gewesen, bevor er sein ausländisches Kauderwelsch ausgekramt hatte und hatte bis zu jenem Augenblick so vollständig die Leitung der Sache in die Hand genommen, daß ich auf einen solchen plötzlichen Wechsel, wie er ihn jetzt durch seinen hilflosen Appell an meinen Rath kundgab, völlig unvorbereitet war. Erst später erfuhr ich von Fräulein Rachel, welche zuerst die Entdeckung gemacht hatte, daß diese seltsamen Wechsel und Verwandlungen in Herrn Franklin’s Wesen von seiner ausländischen Erziehung herrührten. In dem Alter, wo wir Alle am bildsamsten und besonders geneigt sind, das Wesen anderer Leute auf uns wirken zu lassen, war er in’s Ausland geschickt und von einer Station zur andern gebracht worden, bevor er Zeit gehabt hätte, mehr die bei der einen als die bei der andern empfangenen Eindrücke in sich zu fixieren. In Folge davon hatte sich sein Wesen bei seiner Rückkehr so eigenthümlich entwickelt, daß er sein Leben in beständigem Widerspruch mit sich selbst und in einem Zustande zuzubringen schien, in welchem Alles mehr oder weniger unfertig und mehr oder weniger gegensätzlich erschien. Er konnte geschäftig und müßig, klar und verwirrt in seinem Kopf, ein Muster von Entschlossenheit und ein Opfer der bejammernswerthesten Hilflosigkeit sein, Alles durcheinander. Er hatte seinen französischen, seinen deutschen und seinen italienischen Charakter, wobei die englische Grundlage hie und da immer wieder durchbrach, als wolle sie sagen: »Hier bin ich, traurig verwandelt; aber es steckt doch immer noch etwas von mir in ihm.« Fräulein Rachel pflegte zu sagen, sein italienischer Charakter zeige sich bei den Gelegenheiten, wo er unerwarteter Weise nachgebe und einen Andern in seiner freundlich einschmeichelnden Weise bitte, ihm die ans ihm lastende Verantwortlichkeit abzunehmen. Man wird ihn, denke ich, nicht falsch beurtheilen, wenn man findet, daß eben jetzt der italienische Charakter die Oberhand bei ihm gewonnen hatte.

»Ich sollte denken, es wäre Ihre Sache, zu wissen, was jetzt zu thun ist, meine ist es gewiß nicht.«

Herr Franklin schien die Berechtigung meiner Frage nicht einzusehen, da er in jenem Augenblick nicht in der Lage war, überhaupt etwas Anderes als den Himmel über sich zu sehen.

»Ich möchte meine Tante nicht ohne Grund beunruhigen,« sagte er, »und doch möchte ich sie auch wieder nicht ohne eine, vielleicht dringend nöthige Warnung verlassen. Sagen Sie mir mit einem Wort, was Sie an meiner Stelle thun würden.«

In einem Wort sagte ich ihm »Warten.«

»Das will ich herzlich gern,« antwortete Herr Franklin, »aber wie lange?«

Ich erklärte mich nun:

»Wenn ich recht verstehe, so soll Jemand diesen vermaledeiten Diamanten an Fräulein Rachels Geburtstag in ihre Hände legen und dieser Jemand können Sie so gut sein, wie ein Anderer. Gut, heute haben wir den 25. Mai und der Geburtstag ist am 21. Juni. Bis dahin haben wir also noch beinahe vier Wochen vor uns. Lassen Sie uns abwarten, was inzwischen geschieht, und lassen Sie uns je nach den Umständen Mylady von der Sache in Kenntnis setzen oder nicht.«

»Vortrefflich, Betteredge, so weit wir damit kommen,« erwiderte Herr Franklin, »aber was sollen wir von nun bis zum Geburtstag mit dem Diamanten anfangen?«

»Ganz dasselbe, was Ihr Vater damit anfing,« sagte ich. »Ihr Vater legte ihn in das sichere Gewahrsam einer Bank in London. Und Sie können ihn in das Gewahrsam der Bank von Frizinghall legen (Frizinghall war die uns nächstgelegene Stadt und die Bank von England konnte nicht sicherer sein, als die dortige Bank). An Ihrer Stelle« fügte ich hinzu, »würde ich unverzüglich mit dem Diamanten nach Frizinghall reiten, ehe die Damen zurückkommen.«

Die Aussicht etwas zu thun, und was mehr ist, dieses Etwas zu Pferde zu thun, ließ Herrn Franklin wie einen Blitz vom Sande aufschnellen. Er sprang auf und riß mich ohne Umstände mit sich in die Höhe.

»Betteredge, Sie verdienen in Gold gefaßt zu werden,« rief er, »kommen Sie mit und satteln Sie mir auf der Stelle das beste Pferd im Stall.«

Gottlob! Da kam einmal die englische Grundlage durch all’ den ausländischen Firnis zum Vorschein. Das war wieder mein junger Franklin, wie ich ihn vor Jahren gekannt hatte, der bei der Aussicht auf einen Ritt hervorbrach und der mich an gute alte Zeiten erinnerte. Ein Pferd für ihn satteln! Ich hätte gern ein Dutzend für ihn gesattelt, wenn er sie nur Alle auf einmal hätte reiten können! Wir kehrten rasch nach Hause zurück, sattelten rasch das flinkste Pferd im Stall, und Franklin trabte eben so rasch davon, um den verfluchten Diamanten wieder in das Gewölbe einer Bank einzuschließen. Als ich den letzten Hufschlag seines Pferdes hatte verhallen hören und mich auf dem Hofe wieder allein fand, war mir beinahe zu Muthe, als ob ich eben ans einem Traum erwacht wäre.

Siebentes Kapitel.

Während ich mich noch so in diesem halbwachen Zustande befand und ein bisschen Ruhe, um wieder zu mir zu kommen, sehr nöthig hatte, trat meine Tochter Penelope mir in den Weg, gerade wie ihre Mutter mir auf der Treppe in den Weg zu treten pflegte, und wollte auf der Stelle Alles von mir wissen, was in der Berathung zwischen mir und Franklin zur Sprache gekommen sei. Wie die Sachen standen, war es das Gerathenste, auf der Stelle der Flamme von Penelopes Neugierde mit einem Dämpfer das Garaus zu machen. Demgemäß antwortete ich, daß Herr Franklin und ich uns über auswärtige Politik unterhalten hätten, bis wir Beide müde geworden und in der Sonnenhitze eingeschlafen seien. Diese Art von Antwort empfehle ich meinem geneigten Leser als ein probates Mittel für das nächste Mal, wo ihn seine Frau oder seine Tochter zu einer unbequemen Zeit mit einer unbequemen Frage plagen wollen, und er kann sich darauf verlassen, daß sie ihn mit ihrer angeborenen Liebenswürdigkeit küssen und bei der nächsten Gelegenheit wieder fragen werden.

Im Laufe des Nachmittags kamen Mylady und Fräulein Rachel wieder nach Hause.

Ich brauche wohl nicht zu sagen. wie erstaunt sie waren, als sie hörten, daß Herr Franklin Blake angekommen, aber auch bereits wieder fortgeritten sei. Ich brauche wohl eben so wenig zu sagen, daß sie sofort unbequeme Fragen an mich richteten und daß die »auswärtige Politik« und das »Einschlafen in der Sonne« mir bei ihnen nicht zum zweiten Male über alle Schwierigkeiten hinweghelfen sollten. Da ich nichts Anderes zu sagen wußte, so erklärte ich, Herrn Franklin’s Ankunft mit dem früheren Zuge sei nur auf Rechnung eines seiner gewöhnlichen grillenhaften Einfälle zu setzen. Als sie mich dann fragten, ob sein Wiederwegreiten auch nur einer von seinen grillenhaften Einfällen sei, bejahte ich diese Frage und zog mich, glaube ich, auf diese Weise sehr gut aus der Affaire.

Nachdem ich die Schwierigkeit mit den Damen so glücklich überwunden hatte, fand ich, daß neue Schwierigkeiten meiner warteten, als ich auf mein Zimmer zurückkehrte. Penelope trat herein, indem sie mich mit angeborner weiblicher Liebenswürdigkeit küßte und mich damit zur Beantwortung einer neuen Frage, die ihr die angeborne weibliche Neugier eingab, geneigt machen wollte. Diesmal wollte sie nur von mir wissen, was es für eine Bewandtnis mit ihrem zweiten Hausmädchen, Rosanna Spearman, habe.

Rosanna war, wie es schien, nachdem sie Herrn Franklin und mich am Zitterstrand verlassen hatte, in einem unerklärlichen Gemüthszustande zurückgekehrt. Sie hatte (wenn man Penelopes Bericht Glauben schenken durfte) abwechselnd in allen Farben des Regenbogens gespielt. Sie war ohne erkennbaren Grund lustig und wieder ohne Grund traurig gewesen. In einem Atem hatte sie Hunderte von Fragen über Herrn Franklin Blake gethan; und gleich darauf war sie ärgerlich darüber geworden, daß Penelope sich herausnähme, zu denken, daß ein fremder Herr irgend ein Interesse für sie haben könne. Man hatte sie dabei ertappt, wie sie lächelnd Herrn Franklin’s Namen in den Deckel ihres Arbeitskästchens kritzelte. Ein andermal wieder hatte man sie überrascht, als sie weinend ihre verwachsene Schulter im Spiegel betrachtete. Kannten sie und Herr Franklin sich schon von früher her? Unmöglich! Hatten sie von einander gehört? Ebenso unmöglich! Ich konnte versichern, daß Herrn Franklin’s Erstaunen, als er sah wie das Mädchen ihn anstarrte, unzweifelhaft echt gewesen sei; Penelope war ebenso fest überzeugt, daß die Neugierde des Mädchens, als sie sich nach Herrn Franklin erkundigte, echt gewesen sei. Unsere in dieser Weise geführte Unterhaltung war recht ermüdend, bis meine Tochter derselben auf einmal dadurch ein Ende machte, daß sie eine nach meiner Ansicht ganz Ungeheuerliche Vermuthung aussprach.

»Vater,« sagte Penelope ernsthaft, »es gibt nur eine Erklärung für die Sache Rosanna hat sich beim ersten Anblick in Herrn Franklin Blake verliebt.« Daß junge Mädchen sich beim ersten Anblick eines Mannes sterblich in denselben verlieben, ist nichts unerhörtes. Aber ein Hausmädchen aus einer Besserungs-Anstalt, mit einem häßlichen Gesicht und einer verwachsenen Schulter, das sich beim ersten Anblick in einen Herrn verliebt, der in das Haus ihrer Herein kommt, um dieser einen Besuch abzustatten, — etwas so Absurdes würde Einer doch in allen Erzählungen der gesamten Christenheit vergebens suchen. Ich lachte, daß mir die Thränen über die Backen herabliefen. Penelope schien meine Heiterkeit merkwürdig unangenehm zu berühren. »Ich habe nie gewußt, daß Du so grausam sein könntest, Vater,« sagte sie mit sanfter Stimme und ging hinaus. Diese Worte meiner Tochter wirkten auf mich, wie wenn mich Jemand mit kaltem Wasser übergossen hätte. Ich war angehalten über mich selber, daß mich ihre Worte in dem Augenblick, wo sie sie ausgesprochen, so unangenehm berührt hatten — aber es war einmal so. Ich denke, meine Leser werden nichts dagegen haben, wenn ich diesen Gegenstand wieder verlasse. Ich bedaure, daß ich mich habe hinreißen lassen, überhaupt auf denselben einzugehen, und das nicht ohne Grund, wie meine Leser bald sehen werden.

 

Der Mittag kam heran, und die Mittagsglocke erklang, bevor Herr Franklin von Frizinghall zurückgekehrt war. Ich brachte das warme Wasser, das ihm bei seiner Toilette vor Tisch dienen sollte, selbst auf sein Zimmer, in der Erwartung, von ihm zu hören, was die auffallende Verzögerung seiner Rückkehr verursacht habe. Zu meiner größten Enttäuschung (und ohne Zweifel auch zur Enttäuschung meiner Leser) war nichts Besonderes vorgefallen. Er war weder auf dem Hin-, noch auf dem Rückwege den Indiern begegnet. Er hatte den Mondstein in der Bank deponiert, indem er denselben nur als einen sehr kostbaren Gegenstand bezeichnete, und hatte den Empfangschein dafür unversehrt in der Tasche. Ich ging wieder hinunter, in dem Gefühl, daß dies ein ziemlich flauer Abschluß all’ unserer Aufregung vom Vormittage in Betreff des Diamanten sei.

Über das Wiedersehen Herrn Franklins mit seiner Tante und seiner Nichte kann ich nichts sagen.

Ich hätte viel darum gegeben, an jenem Tage bei Tische aufwarten zu dürfen. Aber in meiner Stellung im Hause bei großen Festlichkeiten bei Tisch aufwarten, hätte meine Würde in den Augen der übrigen Dienstboten herabsetzen geheißen, und zu einer solchen Herabsetzung fand mich Mylady schon ohnedies nur zu geneigt. Die Nachrichten, die an jenem Abend aus den oberen Regionen zu mir gelangten, erhielt ich durch Penelope und den Diener. Penelope bemerkte, daß sie Fräulein Rachel nie so eigen auf ihre Frisur und nie so hübsch und freundlich gesehen habe, als da sie an jenem Tage in das Wohnzimmer trat, um Herrn Franklin zu empfangen. Der Diener berichtet, daß ihm in seinem ganzen Dienst noch nie zwei so schwer zu vereinbarende Dinge vorgekommen seien, wie die Beobachtung einer ehrfurchtsvollen Haltung in Gegenwart seiner Herrschaft und die Bedienung Herrn Franklin Blake’s bei Tische. Später am Abend spielten und sangen sie Duette, Herr Franklin mit hoher, Fräulein Rachel mit noch höherer Stimme. Mylady begleitete sie am Klavier und folgte ihnen so zu sagen über Stock und Stein und brachte sie in einer Weise glücklich ans Ziel, die auf der Terrasse durch das geöffnete Fenster höchst lieblich anzuhören war. Noch später ging ich ins Rauchzimmer, wo Herr Franklin mit seinem Sodawasser und Cognac vor sich saß, und wie ich fand durch Fräulein Rachel von seinem Gedanken an den Diamanten völlig abgebracht war. »Sie ist das reizendste Mädchen, das ich gesehen habe, seit ich nach England zurückgekehrt bin,« war Alles, was aus ihm herauszubringen war, als ich es versuchte, die Unterhaltung auf ernstere Gegenstände zu lenken.

Gegen Mitternacht ging ich, begleitet von meinem Adjutanten (dem Diener Samuel) wie gewöhnlich durch das Haus, um die Thüren zu verschließen. Als so alle Thüren, mit Ausnahme der auf die Terrasse führenden Seitenthür, geschlossen waren, schickte ich Samuel zu Bett und ging hinaus, um noch etwas frische Luft zu schöpfen, bevor ich selbst zu Bette ging. Die Nacht war still und der Mond stand voll am Himmel. Es war draußen so ruhig, daß ich von Zeit zu Zeit ganz schwach und leise das Rauschen des Meeres hörte, wie sich die Wellen über die Sandbank an der Mündung unserer kleinen Bucht ergossen. Nach der Lage des Hauses war die Seite nach der Terrasse hin im tiefen Schatten, aber das volle Mondlicht fiel auf den Kiesweg, der dicht neben der Terrasse hinführte. Als ich auf diesem Weg hinaus sah, nachdem ich zuvor zum Himmel hinaufgeblickt hatte, bemerkte ich den Schatten einer Person, der von der Ecke der hinteren Seite des Hauses her durch das Mondlicht geworfen wurde. Alt und schlau wie ich bin, hütete ich mich wohl zu rufen, da ich aber auch leider alt und schwerfällig bin, so verriethen mich meine Fußtritte auf dem Kies. Bevor ich mich, wie ich es beabsichtigte, rasch um die Ecke hatte stehlen kennen, hörte ich leisere Fußtritte als die meinigen, und wie mir vorkam von mehr als Einem Paar Füßen, sich eilig entfernen. In dem Augenblick wo ich die Ecke erreicht hatte, waren die Eindringlinge, wer sie auch gewesen sein mochten, ins Gebüsch an der anderen Seite des Weges gelaufen und wurden durch die dort stehenden dicken Bäume und Büsche verdeckt. Aus dem Gebüsch konnten sie leicht über unser Stacket auf die Landstraße gelangen. Wenn ich vierzig Jahre jünger gewesen wäre, wäre es mir vielleicht gelungen, sie zu fassen, bevor sie unsern Grund und Boden verlassen hätten. So aber ging ich zurück, um ein Paar jüngere Beine als die meinigen in Bewegung zu setzen. Ohne irgend Jemand zu stören, nahmen Samuel und ich ein Paar Gewehre und durchsuchten die Umgebungen des Hauses und das Gebüsch. Nachdem wir uns vergewissert hatten, daß kein Mensch sich mehr auf unserm Grund und Boden herumtreibe, kehrten wir zurück. Als wir wieder über den Weg kamen, aus dem ich den Schatten gesehen hatte, bemerkte ich jetzt zum ersten Male einen kleinen, auf dem reinlichen Kies liegenden, im Mondlicht glänzenden Gegenstand. Ich nahm denselben auf und fand, daß es eine kleine Flasche war, welche eine dicke, süßriechende und tintenschwarze Flüssigkeit enthielt.

Ich sagte Samuel nichts davon. Aber dessen eingedenk, was Penelope mir über die Jongleurs erzählt, wie sie Tinte in die hohle Hand des Knaben gegossen hatten, argwöhnte ich auf der Stelle, daß ich die drei Indier nächtlicher Weile um das Haus herumlungernd, bei der Ausführung ihres heidnischen Planes, den Diamanten ausfindig zu machen, aufgestört hatte.